Die Weiße Schlange von MorgainePendragon ================================================================================ Kapitel 11: Überfall! --------------------- Es war bereits einige Tage her, dass Yamazaki und Kanzaki-san sie verlassen hatten und während dieser Zeit hatte es beinahe ununterbrochen geregnet. Madoka hatte es nur an dem beständigen Murmeln von kleinen Wasser-Rinnsalen erkennen können, die durch zahlreiche Spalten und Öffnungen in der Decke der Wohnhöhle in dafür bereitgestellte Krüge tröpfelten. Rund um diese natürlichen Öffnungen wuchsen Moose und Farne in üppigem Maße und machten aus dem gesamten Gewölbe stellenweise einen wunderschönen, natürlich gewachsenen Baldachin. Ab und zu hatte Aurinia die junge Frau in dieser Zeit trotz des Dauer-Regens auf ihre Erkundungsausflüge draußen im Wald mitgenommen. Gemeinsam versuchten sie jenen Ort, jene Lichtung, wiederzufinden, auf welcher Madoka vor knapp zwei Wochen plötzlich in dieser ihr wildfremden Zeit erwacht war. Die Yosei wusste von so einigen seltsamen Plätzen, wo - wie sie es ausdrückte - die natürlichen Energien einen Knotenpunkt bildeten und buchstäblich ALLES möglich war. Madoka war zwar schleierhaft, was sie damit meinte, aber dass sie NICHT auf natürliche Weise in diese Welt geraten war, war ihr auch klar. Also war sie bereit jede nur mögliche Lösung zu akzeptieren - wenn sie nur wieder nach Hause zurückkehren konnte. Während die Yosei nebenher auch immer körbeweise Pilze, Beeren und Kräuter sammelte - und Madoka so ganz nebenbei eine Menge über Heilpflanzen, genießbare und ungenießbare Pilze lernte - führten die beiden Frauen oft stundenlange Gespräche, in denen Madoka regelrecht aufging. Im Grunde redete ausschließlich sie, wie sie im Nachhinein immer wieder verblüfft feststellte. Die Gegenwart der Yosei schien bei Madoka den Effekt zu haben, dass sie sich ihr von Mal zu Mal weiter offenbarte. Sie war so erleichtert, dass es jemanden gab dem sie ihr Herz ausschütten konnte, dass sie ihr wirklich ALLES erzählte, von ihrer Kindheit an bis jetzt, alles was sie erlebt und getan - oder auch nicht getan - hatte. Sogar von ihren widersprüchlichen Gefühlen in Hinsicht auf Takeo erzählte sie ihr. Sie wusste auch nicht, ob die Yosei das alles wirklich interessierte. Aber diese unterbrach sie auch nie und hörte immer zu. Allerdings sagte sie auch niemals, was sie von einer Sache hielt und gab auch nie Ratschläge oder Anregungen. Aber das störte Madoka nicht weiter - jedenfalls nie in jenen Momenten, in denen sie beisammen waren. Und die junge Frau fühlte sich nach jedem Ausflug etwas besser - auch wenn sie jene besagte Lichtung bis jetzt noch immer nicht wiedergefunden hatten. Dennoch... Da war etwas an Aurinia, das Madoka zugleich auch ein wenig misstrauisch machte. Sie glaubte zu spüren, dass die Yosei ihr etwas verheimlichte - oder ganz bewusst verschwieg. Vielleicht würde sie es ihr eines Tages ja selbst sagen. Heute hatte Madoka jedoch tatsächlich einmal ohne Aurinia die Höhle verlassen. Sie hatte gar nicht vorgehabt, sich weit zu entfernen. Sie wollte nur einmal für sich sein und in Ruhe nachdenken können. Außerdem hatte es endlich aufgehört zu regnen, wenn es auch noch weit davon entfernt war schön und sonnig zu sein. Dicht hing der weiße Nebel zwischen dunklen, vom Regen schwer herabhängenden Tannenzweigen und waberte in Schwaden über der tiefschwarz daliegenden Fläche des Sees. Das Rauschen des Wasserfalles wirkte seltsam gedämpft. Die Sonne war nur als münzgroßer, verwaschener Fleck am Himmel auszumachen und es war alles andere als warm. Aber Madoka fühlte sich erfrischt, als sie die Höhle verließ. Ein feiner Film aus winzigen Tröpfchen legte sich über ihr Gesicht, als sie an das Ufer des Sees trat und sich auf einem gewaltigen Felsbrocken niederließ. "Ich habe doch gesagt, dass du nie allein die Höhle verlassen sollst!" Madoka fuhr zusammen und drehte sich dann zu Yasha herum, der sich hinter ihr mit wütend in die Seite gestemmten Händen aufgebaut hatte. Wo sie sich endlich an die ständige Gegenwart des Halbdämons gewöhnt hatte, war sie nun doch wieder erschrocken, als er so drauflos polterte. Trotzig starrte sie zurück in die funkelnden, gelben Augen. "Dir hätte wer weiß was passieren können!", fuhr Yasha nun in rechthaberischem Ton fort. "Jetzt hör mal! Ich bin kein Kleinkind mehr! Ich bin doch nicht weit gegangen. Ich wollte nur kurz... frische Luft schnappen.", erwiderte Madoka etwas irritiert, aber bestimmt. Warum regte er sich so auf? "Trotzdem wär es schön, wenn du vorher sagst, was du vorhast - Aurinia hat sich Sorgen gemacht..." "... und mir ihr Schoßhündchen hinterhergeschickt?", vollendete sie leicht schadenfroh. Yashas Blick wurde finster. Dieses Wort hörte er in letzter Zeit ein wenig zu oft... Zu Madokas Überraschung verzichtete der hitzköpfige Halbdämon jedoch auf eine Antwort und ging stattdessen vor ihr in die Hocke. Er legte den Kopf auf die Seite und blickte ihr forschend ins Gesicht. "Du gehst mir nicht zufällig aus dem Weg, oder? Hast du Angst vor mir?" Beinahe - aber auch nur beinahe - hätte Madoka gelacht, aber dann hätte sie es sich mit dem Halbdämon wahrscheinlich endgültig verscherzt. Wie er so vor ihr hockte und den Kopf schief hielt, die Ohren aufmerksam nach vorn gestellt, da musste Madoka mit Macht den Impuls unterdrücken die Hand auszustrecken, um ihn hinter dem Ohr zu kraulen. "Nein. Ich habe keine Angst vor dir. Nicht mehr... Man hat immer nur Angst vor etwas, das man nicht kennt." "... und du meinst, du würdest mich nach nur ein paar Tagen kennen?" Yasha lachte leise und erhob sich dann. "Spaß beiseite, Madoka. Ich - und natürlich auch Aurinia - möchten nicht, dass dir etwas zustößt. Also sei bitte vorsichtig und geh möglichst nie allein in den Wald. Es treibt sich einiges an zwielichtigem Gesindel dieser Tage hier herum." Madoka erhob sich ebenfalls und trat ganz nah ans Wasser. Sie betrachtete ihr verzerrtes Spiegelbild. "Was beschäftigt dich so?" Yasha lief zu ihr und sie begannen Seite an Seite ein Stück am Ufer entlangzugehen, wobei er sich ihrem Tempo anpasste. "Sag nicht dass es dieser... Sturkopf von einem Schwertkämpfer ist, der dir im Kopf herumspukt." Madoka blieb stehen und sah ihn an. "Sag, Yasha, liebst du Aurinia eigentlich?" Yasha erwiderte ihren Blick verwirrt. "Was hat das denn DAMIT zu tun?" Madoka schwieg nur und sah ihn weiterhin fragend an. Der Halbdämon seufzte. "Ich... Ja, sie bedeutet mir sehr viel. Sie fehlt mir, wenn sie nicht da ist und..." "Dann weißt du nun, wie ich mich fühle. Genauso empfinde ich für Takeo. Und ich habe... ich habe Angst um ihn. Vor allem jetzt, da ich weiß, dass ich ihn womöglich nicht wiedersehe. Nein..., vor allem davor, DASS ich ihn nie wieder sehen könnte..." Noch während sie es aussprach erkannte sie, dass dies die reine Wahrheit war. "Auf der anderen Seite will ich nur nach Hause. Ich weiß nicht mehr, was ich noch denken soll..." Sie blickte hinunter und hoffte, dass er ihre Tränen nicht sah. Sie HASSTE sich für diese Tränen und für ihre Schwäche, konnte jedoch nichts gegen sie tun. Yasha sah sie sehr nachdenklich an. "Ich verstehe...", sagte er leise und plötzlich sehr ernst. "Ich weiß nicht, was ich ohne Aurinia tun würde... Ich verstehe deine Gefühle - aber nicht, warum es ausgerechnet dieser sture Hund sein muss, dem du sie entgegenbringst..." Er seufzte erneut. "Ist auch nicht wichtig. Und wer weiß, vielleicht WIRST du ihn wiedersehen. Allerdings solltest du es nicht hoffen. Das würde vielleicht bedeuten, dass wir den Rückweg in deine Zeit nach wie vor nicht gefunden haben... Ich..." Er brach plötzlich ab und hob wachsam den Kopf. Seine Ohren zuckten nervös. "Was...", wollte Madoka fragen, aber er hob hastig die Hand und bedeutete ihr zu schweigen. Er schloss die Augen und schien Witterung aufzunehmen. Konzentriert sog er die Luft durch die Nase. "Was auch geschieht, du wartest hier!", flüsterte er erregt und mit ein, zwei riesigen, aber dennoch lautlosen, Sätzen war er zwischen den dunklen Tannen verschwunden. Der Nebel schlug hinter ihm zusammen, als hätte es ihn nie gegeben. Und über Madoka schien sich die plötzliche Stille zu verdichten. Das Rauschen des Wasserfalles wurde beinahe vollständig vom immer dichter werdenden Nebel verschluckt. Wo sie zuvor zwar leicht gefröstelt, sich aber trotzdem erfrischt und wohl gefühlt hatte, so FROR sie nun richtig. Schaudernd zog sie den von Aurinia geliehenen Umhang aus weichen Fellen enger um die Schultern. Was mochte den Halbdämon so aufgeschreckt haben? Die Sonne war nun endgültig wieder hinter grauen Wolkenschleiern verschwunden. Der Wind frischte auf. Über der schwarzen Oberfläche des Sees kräuselten sich die Nebelschwaden und rissen auseinander, das jenseitige Seeufer schien näher zu kommen. Madoka stand wie erstarrt da. Sie konnte es spüren. Etwas näherte sich. Sie fühlte sich eindeutig beobachtet. Und die Dunkelheit verdichtete sich. Madoka fuhr auf dem Absatz herum und begann zu laufen, auf den Wasserfall und die Höhle zu. Doch sie hatte die Strecke noch nicht einmal zur Hälfte zurückgelegt, als sich rechts von ihr drei Gestalten aus den Schatten des Waldes lösten und auf sie zuliefen. Sie verdoppelte ihre Anstrengung und wurde schneller - aber sie wusste bereits, dass sie es nicht schaffen würde, als sie nur noch einen Steinwurf vom Wasserfall entfernt war. Einer der Schatten streckte im Laufen einen Arm aus und packte sie an der Schulter, riss sie in vollem Lauf mit sich zu Boden. Die anderen zwei waren ebenfalls sofort zur Stelle. Und noch während Madoka zu Boden ging erkannte sie die hellblauen Umhänge der Shinsengumi wieder, welche die Männer trugen. Dann war sie auf der Erde und wurde vom Gewicht ihres Angreifers förmlich in den weichen Uferschlamm des Sees gepresst. Wo war Yasha bloß? Madoka bekam keine Luft. Sie arbeitete sich hektisch unter dem Körper ihres Angreifers hervor - und hielt dann erschrocken inne, als sie den kalten Stahl einer Klinge an ihrer Kehle spürte. "Keine falsche Bewegung, Mädchen!" Sie KANNTE diese Stimme aus einem weit zurückliegenden Fiebertraum der Bewusstlosigkeit - kalt, gefühllos und rau. Über ihr stand Saito Hajime, der "Wolf von Mibu", mit gezogenem Schwert. Er MUSSTE es sein. Narben verunzierten sein schmales, scharfkantiges Gesicht. "Fesselt sie. Wenn sie hier ist, kann Yamazaki nicht weit sein." Der Mann hinter Madoka zwang ihr brutal die Arme auf den Rücken und fesselte ihre aneinandergelegten Handgelenke, riss sie anschließend grob auf die Füße. Madoka war über und über mit Schlamm besudelt. "Lasst auf der Stelle das Mädchen los!", schnitt eine klare, kalte Stimme durch die Luft. Madoka und auch alle anderen drehten sich überrascht herum. Hinter ihnen, hoch aufgerichtet und vollkommen verändert, stand Aurinia. Madoka erkannte die Yosei lediglich an ihrem feuerroten Haar und an ihren funkelnden, entschlossenen Augen. Wie hatte sie sich verändert! Madoka starrte sie an - und die Männer der Shinsengumi ebenfalls. Genau wie Madoka schienen auch sie nie zuvor etwas Vergleichbares gesehen zu haben. Ein dunkelgrünlich schillernder Panzer oder eine Art Schutzhaut hüllte ihren gesamten Körper ein. Sie wirkte sehr viel gefährlicher als Madoka sie kannte. Beinahe lauernd stand sie da, leicht in die Knie und nach vorn gebeugt - eindeutig eine Angriffshaltung. Auch ihre Hände zeigten nun lange, scharf aussehende Krallen, die sie drohend erhoben hatte. Sie sah dermaßen fremdartig aus, das Madoka mehrmals überrascht blinzeln musste. "Und wen haben wir hier? Eine kleine Wald-Hexe?" Saito trat hinter seinen Männern hervor und ging langsam auf Aurinia zu. Diese duckte sich, scheinbar sprungbereit. Ihr Gesichtsausdruck wurde noch wilder. Saito schien nicht beunruhigt - eher amüsiert. "Was geht dich dieses Menschen-Weib an, Hexe?" Aurinia fauchte leise, wie eine Katze, die sich ihrer Beute bereits sicher war. "Gib sie einfach heraus!", sagte sie böse. Ihre Stimme klang auch komplett anders: Rauer und sehr viel tiefer als Madoka sie in Erinnerung hatte. Der "Wolf von Mibu" blieb stehen. Provozierend langsam hob er sein Katana. Auffällig an Saitos Kampfstil war, dass er die Klinge mit der linken Hand führte. Er nahm die für ihn so berüchtigte Gatotsu-Stellung ein, hob das Schwert waagerecht und mit weit zurückgezogenem Arm in Schulterhöhe, die Schneide wies gen Himmel, bereit zuzustoßen. Den rechten Arm streckte er nach vorn an der Klinge entlang, um sie ruhig zu halten und zu zielen. "Komm her, kleine Katze, wenn du sie haben willst." Die Yosei sprang. Sie war sehr schnell und geschmeidig in ihren Bewegungen - aber nicht schnell genug für Saitos Gatotsu. In derselben Sekunde, in der Aurinia voranstürmte und sich vom Boden abstieß, um sich auf ihn zu stürzen und ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, war der "Wolf von Mibu" schon an ihr vorbei. Seine Bewegungen waren so schnell, dass sie mit bloßem Auge kaum zu sehen waren. Da er sein Schwert wieder in die Ausgangsstellung gebracht hatte, sah es beinahe so aus, als hätte er überhaupt nicht angegriffen, sondern hätte lediglich den Ort gewechselt, wie bei einer Teleportation. Es war einfach unglaublich wie schnell sich dieser Mann bewegen konnte! Madoka hielt entsetzt den Atem an. Aurinia war hinter ihm wieder zu Boden gegangen. Sie stand leicht gekrümmt aber vollkommen bewegungslos da. Sie schien nicht einmal mehr zu atmen. Dann ging ein jäher Ruck durch ihren schlanken Leib und an ihrer Schulter wurde eine klaffende bis auf den Knochen reichende saubere Schnittwunde sichtbar. Dunkles Blut lief an ihrer Seite herunter. In den Augen der Yosei standen Überraschung und vollkommene Fassungslosigkeit. Nie zuvor war es jemandem gelungen ihre Schutzhaut zu durchdringen! Saito drehte sich noch immer nicht herum. Er erhob sich aus der knienden Position und ließ sein Katana in einer formvollendeten Bewegung in der schwarzen Scheide verschwinden, die an seiner rechten Seite baumelte. Er lachte. Sehr leise und sehr böse. "Es geht nichts über die Klinge eines japanischen Schwertes. Kein anderes Schwert der Welt ist so scharf, so prachtvoll. Hast du ernsthaft geglaubt gegen mich bestehen zu können, Mädchen? Ich habe zahlreiche Menschen auf dem Gewissen, darunter die berüchtigtsten der Hitokiri. Und den kleinen rothaarigen Dämon, der sich selbst auch zu diesen Attentätern zählt, werde ich auch noch besiegen und seiner gerechten Strafe zuführen." Madoka zuckte zusammen. Was für eine seltsame Umschreibung für einen Mord. Saito drehte leicht den Kopf und sah zu ihr zurück. "Und DU wirst mich zu ihm führen - oder sagen wir: Ihn zu mir." Er lachte wieder. "Niemals! NIEMALS!", schrie Madoka wütend und halb wahnsinnig vor Angst. Sie bäumte sich in den Armen der Männer auf, die sie immer noch fester hielten als eigentlich notwendig war. Langsam verlor sie das Gefühl in ihren Händen, so brutal waren ihr die Arme auf den Rücken gedreht und die Hände gefesselt worden. Aurinia keuchte schmerzerfüllt und zog so die allgemeine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Madoka sah gerade zur rechten Zeit hinüber, um sie in sich zusammensinken zu sehen. Ihre Augen weiteten sich. In die Gruppe der Männer kam Unruhe. Dann trat eine kleine, schmale Gestalt zwischen ihnen hindurch. Beinahe weiblich wirkte der junge Kämpfer, wie er nun leise lächelnd vor Aurinia stand. Doch dieses Lächeln wirkte so falsch, wie es nur sein konnte. Mit sehr sanfter, leiser Stimme, die völlig im Widerspruch zu seinen Worten stand, sagte er: "Tötet sie. Wir haben keine Verwendung für Hexen." Madoka keuchte vor Schreck. "Jawohl, Okita-sama!" Tatsächlich ließ einer der Männer von ihr ab und trat hinter die am Boden kauernde Yosei. Er zog sein Schwert und hob es hoch über den Kopf um auszuholen. Im nächsten Moment lag er neben ihr und die Klinge wirbelte in hohem Bogen davon. Die Yosei hockte praktisch auf seinem Brustkorb. Blitzschnell hatte sie ihm, der sich seines hilflosen Opfers bereits sehr sicher gewesen war, die Beine weggetreten und die Waffe aus der Hand geschlagen. Trotz ihrer Verletzung war sie immer noch sehr schnell. Der Schmerz schien sie sogar noch aggressiver gemacht zu haben. Ein Hieb ihrer mächtigen Klauen raubte dem Mann auf der Stelle das Bewusstsein. Im selben Moment - es bedurfte nicht einmal einer Aufforderung Saitos oder Okitas - stürzten sich die Männer der Shinsengumi zu dritt auf die Yosei. Madoka fand sich allein am Ufer des Sees wieder. Sie war lediglich an den Händen gefesselt. Die junge Frau sah zu Saito und dem jungen Okita hinüber, die scheinbar gelangweilt dem Kampf mit Aurinia zusahen. Sie setzte den Männern gehörig zu. Und abermals fragte sie sich, wo Yasha wohl steckte. Wenn sie überhaupt eine Chance hatte zu fliehen, dann jetzt. An dieser Stelle war es nicht weit bis zum Waldrand. Langsam erhob sie sich - um dann herumzuwirbeln und so schnell zu laufen, wie sie konnte. Sie MUSSTE entkommen! Sie musste Yasha finden! Aurinia brauchte Hilfe! Sie hatte die ersten Schatten des Waldes beinahe erreicht, als sie hart am Arm zurückgerissen wurde. "Wo möchtest du denn hin?", hörte sie Saitos leise Stimme dicht an ihrem Ohr. Wie um alles in der Welt war er so schnell hierher gekommen? Madoka hätte vor Wut schreien können. Er musste sie sehr genau im Auge behalten haben. Saito zog sie zurück zum See. "Bleib doch noch ein wenig bei uns." Und dann brach am jenseitigen Ufer des Sees Tumult los. Madoka konnte sehen, dass der Halbdämon Yasha, gefolgt von unzähligen schwarzen Schatten, aus dem Wald brach. Er schrie und schlug wild um sich, aber es waren einfach zu viele Männer, die ihn umzingelt hatten. Allesamt in das helle Blau der Shinsengumi gekleidet, wichen sie nicht einen Schritt zurück. Das Blitzen von gezogenen Schwertern drang zu ihnen hinüber. Und Madoka wurde klar, dass Saito und dieser seltsame Okita sie selbst und auch Aurinia nur mit einem Bruchteil ihrer Männer in Schach hielten. Die WAHRE Streitmacht befand sich dort drüben und schickte sich an, einen Halbdämon zu töten - feige gingen sie mit zwanzig oder mehr Männern und gezogenen Klingen auf ihn los. Aber Yasha riss sich immer wieder los, kämpfte sich frei und jagte, gefolgt von seinen Angreifern um den See herum. Es schien beinahe so, als wolle er die Männer die ihn verfolgten verschonen, denn er griff gar nicht richtig an, wich eigentlich hauptsächlich den Angriffen aus. Saito sah sich das alles still und ohne jeden Kommentar mit an. Okita schien sogar ein wenig amüsiert. Fast hatte die Gruppe sie erreicht. Mittlerweile hatten die Männer die verwundete Yosei überwältigt. Sie lag bewegungslos am Boden, das lange rote Haar verdeckte ihr Gesicht, sodass Madoka nicht erkennen konnte ob sie noch bei Bewusstsein war, geschweigedenn noch lebte. Die Schutzhaut - oder was immer es auch war - hatte sich zurückgezogen, war einfach verschwunden, und Aurinia lag vollkommen unbekleidet da. Einer der Männer erbarmte sich, sie zumindest in einen der blauen Umhänge zu hüllen. Madokas Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Nein! Das durfte nicht sein! Bitte, bitte, das KONNTE einfach alles nicht wahr sein! Im selben Moment, in dem Yashas Blick auf Aurinias leblosen Körper fiel schien er mit einem Mal jeglichen Kampfgeist zu verlieren. Er blieb entsetzt stehen, seine Hände fielen herab. Die Männer waren sofort über ihm. Sie entrissen ihm das Schwert, das er bislang unberührt an seiner Seite getragen hatte - ein wirklich altes, abgegriffenes Ding, das Madoka auch noch nie bewusst an ihm wahrgenommen hatte. Wieso trug er so ein altes, nutzloses Schwert? Und warum benutzte er es nicht, wenn er es denn nun schon einmal hatte? Fragen. Einfach zu viele Fragen in einem Moment, wo sowieso viel zu viele schreckliche Eindrücke auf Madoka einstürmten. Sie schloss gequält die Augen, als sie auch Yasha niederrangen. Erst jetzt ließ sich der junge Okita zu einem Kommentar herab, und dieser hatte nicht einmal etwas mit dem Angriff zu tun. "Es wird langsam dunkel.", meinte er heiter mit einem prüfenden Blick in den schiefergrauen Himmel hinauf. "Es wird auch bald wieder regnen. Wir sollten gehen. Fesselt sie! Wir brechen auf. Hijikata und Yamazaki warten mit Sicherheit schon auf unseren Bericht." Die letzten Worte klangen ein wenig spöttisch. Madoka riss erstaunt die Augen auf. YAMAZAKI? Also war Takeos Bruder einer der Befehlshaber geworden? Was ging hier nur vor? Die junge Frau war verwirrt, setzte sich jedoch gehorsam in Bewegung, als sie grob nach vorn gestoßen wurde. Im Vorübergehen bemerkte sie mit grenzenloser Erleichterung, dass die Yosei noch lebte. Sie war schwer verletzt und wurde von den sie flankierenden Männern eher gezogen und getragen, als gestützt - aber sie lebte. Auch Yasha hatte dies bemerkt. "Hey! Hast du hier das Kommando, Alter?", fragte er an Saito gewandt. Dieser reagierte nicht und die Gruppe ging langsam weiter, hinein in die Schatten des Waldes. Okitas androgynes Gesicht wurde erneut von einem amüsierten Lächeln überzogen. "Er redet mit dir, Saito-san.", sagte er heiter. "Ich werde mich nicht auf ein Gespräch mit einem... HALBdämon einlassen...", lautete die unterkühlte Antwort. "Ich möchte mit der Yosei sprechen.", verlangte Yasha, ohne darauf einzugehen. Dann verlegte er sich aufs Nuscheln: "...bitte..." Jetzt sahen ihn sowohl Saito, als auch Okita doch von der Seite her an. Leises Erstaunen war im Blick des "Wolfes" zu erkennen. "DU hast mich gerade um etwas GEBETEN? Was ist geschehen, Halbdämon? Du hast dich verändert. Du warst früher nie so... umgänglich." Yasha knurrte. "Das kann sich sehr schnell wieder ändern, Saito! Das weißt du sehr genau. Ich will nur kurz mit ihr reden, weiter nichts!" Saito legte den Kopf schräg. "Die kleine Hexe bedeutet dir doch nicht wirklich etwas, oder?" Er seufzte, als würde er mit einem uneinsichtigen Kleinkind reden. "Hätte ich das gewusst, dann hätte ich doch schon viel früher ein Mittel gewusst, um dich gefügig zu machen." Und er deutete mit dem Kopf in Richtung der Männer, die Aurinia stützten. Einer von ihnen nickte - und schlug ohne Umschweife hart mit der geballten Faust auf ihre Wunde! Die Yosei sog vor Schreck und Schmerz die Luft zwischen den Zähnen ein und schloss die Augen. "Aurinia!", schrie Madoka entsetzt. "Du... MONSTER!" Yasha wollte sich ohne Umschweife auf Saito stürzen, doch dieser schüttelte nur leicht den Kopf. "Ah, a, a... Was passiert wohl, wenn das Hündchen unartig ist?" Yasha erstarrte. Er sah die erhobene Hand des Mannes neben der Yosei und beschloss, den Angriff auf einen günstigeren Zeitpunkt zu verlegen. "So ist's brav." Saitos Augen wurden ganz klein, als er jetzt sein breites, falsches Lächeln zeigte. "Was meinst du Soji? Jetzt darf das Hündchen die kleine Hexe doch auch fragen, was es wollte." Okita Sojis Lächeln war unerschütterlich. "Du bist ein Monster, Saito.", sagte er ruhig. Saito lächelte böse zurück. An Yasha gewandt fuhr er fort: "Doch glaub nicht, dass ich dich auch nur eine Sekunde lang aus den Augen lasse. Ich kenne dich mittlerweile gut." Yasha ließ ihn nicht einmal ganz zu Ende sprechen. Mit einem Satz war er bei der Yosei, nahm ihr Gesicht in beide Hände und zwang sie, ihn anzusehen. Die Männer, die sie festhielten ließen alarmiert die freien Hände jeweils auf ihren Waffengürtel sinken. Sie entspannten sich wieder, als sie hörten, dass er ihr nur leise Mut zusprach und nach ihrer Verletzung fragte. Dann beugte sich der Halbdämon vor, flüsterte Aurinia etwas ins Ohr - und war im nächsten Moment aufgesprungen, stieß die Männer in unmittelbarer Nähe einfach zu Boden und entfloh in die Dunkelheit des Waldes! Madoka starrte ihm fassungslos hinterher. Doch Saito - zeigte sich nicht im Mindesten überrascht. Die Männer zogen erneut ihre Schwerter und schickten sich an, sofort die Verfolgung aufzunehmen, doch Okita rief sie zurück. "Lasst ihn. Lasst ihn laufen." Beinahe gelangweilt zog der "Wolf von Mibu" einen seiner weißen Handschuhe zurecht. "Es läuft alles genau nach Plan." Und Madoka lief es eiskalt den Rücken hinunter als ihr klar wurde, dass sie Yasha absichtlich entkommen ließen. Der Tross setzte sich wieder in Bewegung. Madoka ging neben Saito, der sich gerade eine Art Zigarillo angezündet hatte und genussvoll rauchte. Die freie Hand hatte er leicht auf ihre Schulter gelegt - das genügte für ihn wohl, um sie am Fortlaufen zu hindern. Aber Madoka hatte auch nicht vor zu fliehen. Sie hatte das dumpfe Gefühl, dass man es ihr nicht so leicht machen würde wie Yasha gerade. Denn zu LEICHT war die Flucht allemal gewesen. Die Shinsengumi war bekannt dafür keine Fehler zu machen. Und die nächste Aussage Saitos bestätigte ihre Vermutung. "Machen Sie sich keine Sorgen, junges Fräulein. Sie werden sie alle bald wiedersehen, wenn es das ist, was Ihnen Sorgen bereitet. Den Hund, den rothaarigen Bastard und das igelköpfige Großmaul. Denn IHR...", er wies auf sie und auf Aurinia, die neben Okita mit gesenktem Kopf ging, "... ihr werdet sie zu uns führen. Es gibt in unseren Reihen jemanden, der sich außerordentlich auf eine Begegnung mit der Verwandtschaft freut." Er blickte stur geradeaus, während er sprach. Dennoch klang seine Stimme tatsächlich eine Spur weniger eisig, als er nun fortfuhr: "Und Sie brauchen keine Angst zu haben. Wir stehen vielleicht auf unterschiedlichen Seiten - aber Hijikata Toshizo und Yamazaki Mamoru sind keine Unmenschen. Sie werden euch nichts tun..." "... solange wir stillhalten und zusehen, wie sie Mamorus Bruder in die Falle locken.", vollendete Madoka bitter. Es war das erste Mal seit längerer Zeit, dass sie wieder sprach und ihre Stimme hörte sich zittrig und nur halb so höhnisch an, wie sie es gern gehabt hätte. Saito neigte leicht den Kopf, wie um dies zu bestätigen. Das eiskalte Lächeln kehrte auf seine Züge zurück. Sagen tat er jedoch nichts mehr. Für eine lange, lange Zeit nicht mehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)