Die Weiße Schlange von MorgainePendragon ================================================================================ Kapitel 10: Die Liebe eines Hitokiri ------------------------------------ Das Geräusch der Hufe auf dem steinernen Boden hallte laut von den Wänden des Hohlweges wider. Akuma suchte sich, von Shido am Zügel geführt, einen Weg durch Schutt und Geröll auf der Erde. Rechts und links des Weges ragten Wände aus Erdreich und Gestein empor, an denen Farne wuchsen und die Bäume auf den Wällen schienen zusätzlich noch das Licht des ohnehin recht trüben Tages zu schlucken. Es nieselte. Beide hatten kein Wort gesprochen seit sie aufgebrochen waren. Allzu lange waren sie allerdings noch nicht unterwegs. Shido schüttelte das feuchte Haar und fuhr sich mit der Hand über den Mund. "Spürst du das auch?", murmelte er leise, hielt den Kopf jedoch weiterhin gesenkt. Takeo hatte schon längst bemerkt, dass sie verfolgt wurden. Er antwortete auch nicht darauf, hatte nur den Kopf leicht schräg gelegt und die Augen geschlossen. Jemand kam. Und dann raschelte es rechts über ihnen im Gebüsch. Sekunden später sprang der Halbdämon Yasha zu ihnen herunter. Shido blieb stehen und ließ auch das Pferd halten. "Lasst euch bloß nicht aufhalten.", sagte Yasha dann und begann vor ihnen den Weg entlangzugehen, als würde er einen Spaziergang machen. "Was willst du?", fragte Kanzaki-san geradeheraus. "Von dir bestimmt nichts, Igel-Kopf.", meinte der Halbdämon spöttisch und drehte sich dann zu Takeo herum. "Mit DIR will ich sprechen." "Es gibt nichts, was ich mit dir besprechen muss, das nicht auch mein Freund hören darf.", antwortete Takeo schlicht. Er ließ sich aus dem Sattel gleiten. Schweigend gingen sie alle eine Weile Seite an Seite weiter. Dann räusperte sich Yasha. "Dieses... Mädchen...", er brach ab, überlegte wohl, wie er fortfahren sollte. Shido hatte aufmerksam den Kopf gehoben während der junge Samurai einfach nur weiter stur geradeaus blickte. "Madoka. Du solltest ihr nicht... zu viele Hoffnungen machen." Jetzt wandte Takeo doch den Kopf. Einen Augenblick lang wusste er wirklich nicht was er denken, geschweigedenn sagen sollte. Wollte sich denn alle Welt in sein Leben einmischen? Und überhaupt: Was ging das einen Halbdämon an? "Ich wüsste nicht, was dich das angeht.", sprach er den letzten Gedanken laut aus. Er verzog keine Miene. "Was mich...?" Yasha schnaubte. "Ich habe ihr gesagt, dass du mir so kommen würdest... Aber NEIN... Ich wüsste schon, wie ich es dir zu sagen hätte... Was für eine ausgezeichnete Idee." Er schüttelte unwillig sein langes Haar, wie ein Hund, dem es zu nass geworden war. Dann nieste er leise. "Aurinia hat dich geschickt?", fragte Shido überrascht. "So ist es. Ich wäre niemals FREIWILLIG noch einmal mit diesem... Sturkopf zusammengetroffen, wenn sie mich nicht darum gebeten hätte." Shido lächelte breit. "Für die Kleine würdest du wohl alles tun, oder?" Yasha sah ihn schräg von unten mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen an. Er sagte nichts. "Wenn du nur gekommen bist, um mir das zu sagen, dann hättest du dir den Weg sparen können.", sagte Takeo nun. "Ich lasse mir von NIEMANDEM vorschreiben, was ich tun oder lassen soll. Schon gar nicht von einem räudigen Halbdämon." Yasha knurrte leise. "Gut, das war wohl die Retour-Kutsche für gerade eben... Aber es ändert nichts an den Tatsachen, Yamazaki. Dieses Mädchen LIEBT dich. Du solltest sie nicht wiedertreffen. Du weißt ja, dass sie in ihre Zeit zurück muss. Lass sie einfach in Frieden." Takeo blieb stehen. Er kam so nah an das Gesicht des Hundedämons heran, dass sich beinahe ihre Nasen berührt hätten. "Das ist ja fabelhaft. Dann richte deiner süßen Aurinia aus, dass ich bereits von selbst auf diesen glorreichen Gedanken gekommen bin. Ich gedenke nicht sie wiederzusehen." Yasha glotzte. "Warum streiten wir dann? Mach doch, was du willst! Sturkopf!", zischte er. Und mit einem gewaltigen Satz war er den Wall hinaufgesprungen und wieder zwischen den Farnen verschwunden, als wäre er nie hier gewesen. Takeo ging weiter. Shido beeilte sich ihm nachzukommen. Eine Weile folgten sie dem Pfad, der nun zu einem breiteren Waldweg wurde, in unbehaglichem Schweigen. Dann sagte Kanzaki leise: "Was ist mit dir los, Takeo?" Der andere antwortete nicht. "Ernsthaft. Ich KENNE dich so gar nicht. In den letzten Tagen bist du so... anders geworden. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, dass du mit einem Mal gesprächiger bist als zuvor oder auch mal lächeln kannst. Ich hatte schon geglaubt, dass du das vollkommen verlernt hast... Aber... Wenn es wirklich an der Kleinen liegt..." Der junge Schwertkämpfer sah sich nicht zu ihm um. "Fängst du jetzt auch damit an?" "Es ist nur das, was mir aufgefallen ist, Takeo-kun! Was ALLEN aufgefallen sein dürfte.", er hob beschwichtigend die Hände. "Ich will damit nur sagen: Sei vorsichtig. Lass dir nicht von ihr den Kopf verdrehen. Es könnte sein, dass sie sonst Wunden bei dir hinterlässt, vor denen ich dich nicht schützen kann." Takeo seufzte leise. Und alles was er sagte, so leise, dass sein Freund es nicht hören konnte, war: "Dafür ist es bereits zu spät, Shido-san..." Sie setzten ihren Weg fort. Nur das beständige Geräusch des leichten Regens auf dem Blätterdach hoch über ihnen begleitete sie. ~~~oOo~~~ Und dies war nun Yamazaki Takeo: Ein außergewöhnlicher Schwertkämpfer. Ein gnadenloser Gegner und brutaler Mörder, ein Hitokiri. Hunderte hatte er sterben sehen. Dieselbe Anzahl hatte er mit eigenen Händen getötet. Er hatte unglaubliches Leid erlebt - und selbst Leid unter die Menschen gebracht. Er hatte gehofft seinen Frieden finden zu können indem er Rache nahm. Aber die geliebten Menschen aus seiner Vergangenheit wurden dadurch nicht wieder lebendig. Sie kehrten niemals zurück. Er war allein. Nach wie vor allein. Und in einem Regen aus Blut GAB es keinen Frieden zu finden. Keinen Frieden - und keine Vergebung. Was hatte er nur getan? Schon lange quälte ihn die Gewissheit, dass er für viele tausende Menschen den Inbegriff des Bösen darstellen musste. Nur aus diesem Grund hatte man ihm den Namen "Roter Schatten" gegeben. Und wo auch immer er hinkam, wo man ihn erkannte, da sah er die Angst in den Augen der Leute. Und das Schlimmste war, dass er dies auch nachvollziehen konnte. Wenn er die Möglichkeit dazu gehabt hätte, dann hätte er all das, was er getan hatte, ungeschehen gemacht. Aber er konnte es nicht. Und so würde er sein Leben lang mit der Gewissheit leben müssen, unzählige Familien zerstört, Väter und Söhne, ja sogar Frauen und Kinder einfach ausgelöscht zu haben, aus dem blinden Glauben heraus, dass er es im Namen der Gerechtigkeit und für den Frieden getan hatte und allein dadurch schon Vergebung erlangen würde. Er hatte sich etwas vorgemacht. Wenn er jetzt tötete, dann nur noch, weil er sich verteidigen wollte - das hatte er sich jedenfalls geschworen. Wenn es irgendeine Möglichkeit gab, einen Kampf OHNE Opfer zu beenden, dann würde er sie suchen und finden, dann würde er diese Möglichkeit wahrnehmen und nutzen. Er wollte niemals wieder mutwillig töten. Und dann trat sie in sein Leben. Madoka. Er hatte gehofft, die Stimme in seinem Inneren ignorieren zu können, die ihm immer wieder zuflüsterte, dass es dieses Mädchen war, das er beschützen wollte, für das er kämpfen würde, egal was für Opfer dabei gebracht werden mussten. Er hatte keine Ahnung, wo diese intensiven Gefühle so plötzlich hergekommen waren. Es war überhaupt das erste Mal, dass er so fühlte. Vielleicht war es das, was die fahrenden Dichter immer meinten, wenn sie von Liebe sprachen. Er hatte es nie verstanden. Doch dann war sie mit einem Mal da, diese... Liebe. Zum ersten Mal hatte er es bereits gespürt, als sie gemeinsam auf dem Pferd vor der Shinsengumi geflohen waren. Er hatte es seinerzeit jedoch noch nicht einornen können. Es verunsicherte ihn nur. Sie war noch nie geritten - das hatte er sofort gemerkt. Und sie hatte sehr große Angst gehabt. DESHALB hatte er Shido auch nicht widersprochen, als dieser vorschlug, dass sie vorausreiten sollten. Er wollte sie beschützen - von Anfang an hatte er das gewollt. Von dem Moment an, als er ihr zum ersten Mal in die Augen geblickt hatte, hatte er gewusst, dass er sie beschützen wollte. Er hatte damals nicht gewusst, wie er mit diesen neuen Gefühlen in sich umgehen sollte, die ihn so... verletzlich machten. Daher war er abweisend und kalt zu ihr gewesen. Er hatte einfach gehofft, dass es irgendwann verschwinden würde, dieses Gefühl, oder dass SIE wieder verschwinden, gehen würde - wohin auch immer, nur fort von ihm. Beides war nicht eingetreten. Und er merkte schnell, dass auch seine ruppige Art nichts an seiner Einstellung ändern konnte. Ja, diese Liebe - wenn sie es denn nun war - machte ihn verwundbar. Sollte ihr etwas passieren, würde er nicht zögern und wahrscheinlich ohne groß nachzudenken losstürmen, um sie zu schützen, zu retten oder - wenn es sein musste - zu rächen. Er würde sich vergessen. So einfach war das - und die absolute Wahrheit. Jetzt, wo er endlich bereit war, einem Menschen sein Herz zu öffnen, jetzt, wo er bereit war, seine Vergangenheit hinter sich zurückzulassen, da wusste er, dass dies zugleich auch seine größte Schwäche werden konnte. Jetzt war er angreifbar geworden. Sollte dies irgendjemand mitbekommen, dann hätte Madoka keine Chance. Man würde sie verfolgen, genau so wie man auch ihn verfolgte. Das wollte er nicht. Um keinen Preis. Also würde er seine Gefühle für sich behalten. Das war tatsächlich auch für sie besser. Da hatte Aurinia schon Recht. Es ärgerte ihn bloß, dass sie ihm ihr Schoßhündchen hinterhergeschickt hatte, um ihn mit der Nase auf etwas zu stoßen, auf das er bereits selbst gekommen war - und das ihm erstaunlich weh tat, wenn er auch nur darüber nachdachte. Liebte er sie wirklich? Er wusste es nicht. So etwas wie Liebe hatte er niemals wirklich kennengelernt - außer vielleicht die Zuneigung, die seine Mutter damals für ihn und seine Geschwister empfunden hatte und später dann die freundliche Fürsorge, die die Kojis ihm entgegenbrachten. Aber Liebe? Konnte ein Hitokiri überhaupt lieben? DURFTE er lieben? Er hatte keine Antwort auf all diese Fragen. Alles was er wusste, war, dass er ihn gefunden hatte: Den Menschen, für den es sich lohnte weiterzuleben, für den er kämpfen und den er beschützen würde. Sollte dieser Mensch wieder aus seinem Leben verschwinden, so würde es um einiges ärmer sein. Madoka hatte das Lächeln auf seine Lippen zurückgebracht. In gewisser Weise hatte sie ihn vor sich selbst gerettet. Und er war dankbar dafür. Egal was die Zukunft für sie beide bereithielt. Er würde ihr immer dankbar dafür sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)