Die Weiße Schlange von MorgainePendragon ================================================================================ Kapitel 9: Schwert mit "verkehrter Klinge" - Reverse blade sword ---------------------------------------------------------------- "Madoka..." Sie hielt inne und drehte sich herum. Hinter ihr stand der Halbdämon, Yasha. Er sah verlegen aus. In den Händen trug er frische Verbände, die er wohl gerade von irgendwo geholt hatte. "Ich... wollte nicht unhöflich sein. Aber ich... habe den Rest eures Gespräches eben mit angehört..." Er wartete kurz ab und warf ihr einen merkwürdigen Blick zu. Dann sah er zu den anderen hinüber und bedeutete ihr mit einem knappen Kopfnicken, ihm zu folgen, weiter von der Gruppe fort. Überrascht und mit einem flauen Gefühl im Magen kam sie der Aufforderung nach. "Ich will mich nicht einmischen. Sicher nicht. Was ihr Menschen tut oder lasst ist mir gleich. Aber... der Junge da...", er wies mit dem Kinn zu Takeo hinüber, der sich unter den Händen seiner Pfleger soeben stöhnend und mit vor Schmerz verzerrten Gesichtszügen aufbäumte (insofern hatte Madokas Traum wohl die Wahrheit gezeigt...). "Er... Nun wie soll ich sagen..." Madoka konnte sich - obwohl sie sich erst so kurze Zeit kannten - nicht vorstellen, warum dieser Halbdämon jemals um Worte verlegen sein sollte. Aber er war es. In diesem Augenblick trat er von einem Fuß auf den anderen und vermied es sogar, sie direkt anzusehen. "Ich will dir nicht weh tun. Und auch dem... seinem Freund nicht. Aber... Nun..." "Jetzt reicht es aber. Du machst mir Angst! Was ist mit Takeo?" Madoka trat vor und fasste Yasha am Arm. Dieser sah mit einem Ruck auf - und sie erkannte tatsächlich so etwas wie einen leichten Schmerz in seinen bernsteinfarbenen Augen. "Aurinia fürchtet, dass er schwerer verletzt ist, als wir alle angenommen haben. Er wurde in letzter Zeit oft verwundet, oder?" Er wartete eine Antwort gar nicht ab, sondern fuhr fort: "Er hätte sich mehr schonen sollen. Sein Körper... ist zwar nicht schwach, aber doch eher... Was ich sagen möchte ist einfach, dass er sich umbringt, sollte er so rücksichtslos mit seinem eigenen Leben und Körper umgehen wie bisher. Er ist kein Dämon. Wenn nicht dieses Mal, so wird er auf JEDEN Fall einen seiner nächsten Kämpfe nicht überleben, sollte er erneut so schwer verletzt werden." Madoka hatte die Augen aufgerissen und hörte die Worte wie aus weiter Ferne. Ihr schwindelte. Es war so, als hätte ihr jemand den Boden unter den Füßen weggezogen oder einen körperlichen Hieb verpasst. Takeo starb? Jetzt? Yasha trat zu ihr und stützte sie. "Aurinia tut was in ihrer Macht steht, um ihm zu helfen. Glaube mir, wenn es jemanden gibt, der ihn retten kann, dann ist das Aurinia. Vertrau ihr!" Madoka sah aus tränenverschleierten Augen in Yashas Gesicht und krallte verzweifelt die Hände in sein rotes Gewand. Mörder oder nicht, zurück nach Hause oder nicht... Der Gedanke Takeo zu verlieren... DAS tat ZU weh. Und Madoka erkannte mit gelindem Schrecken die Antwort auf ihre Frage von vorhin im Wald: Ja, anscheinend WAR sie verliebt. Wider ALLEN Regeln der Vernunft. "Madoka, sieh mich mal an. Ich möchte nur nicht, dass es dich völlig unerwartet trifft, falls es zum Schlimmsten kommen sollte. Wir alle stehen euch bei." Als sie auffahren wollte machte er eine beschwichtigende Geste und fuhr fort: „Aber wie gesagt, es steht ja nicht fest, dass es dazu kommen muss. Aurinia kämpft um sein Leben. Und vielleicht hilft es Takeo ja bereits zu wissen, dass er… gebraucht wird…“ Er warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu. Madoka starrte den Halbdämon entgeistert an. Nachdem sie sich so... "unverblümt" kennen gelernt hatten und sie den Halbdämon von ihrem ersten Eindruck her als sehr starrsinnig, launisch und manchmal sogar aggressiv einschätzte, hätte sie SOLCHE Worte niemals von ihm erwartet. Doch in diesem Moment war er so ernsthaft, wie man es nur sein konnte, und sah wirklich mitfühlend aus, während er sie so stützte. Madoka konnte es nicht glauben. Stand sie wirklich hier und ließ sich von einem Hundedämon Mut zusprechen? Nichtsdestotrotz fühlte sie, wie sie schon wieder errötete. "Aber... ich kenne Takeo doch erst... Ich weiß nicht, ob er mich überhaupt..." Yasha zuckte mit den Schultern und schaute hinüber zu den anderen, die rund um Takeos Liegestatt saßen. "Du musst natürlich selbst wissen, was du tust. Ich kann und will dir da nicht reinreden. Ist womöglich auch nicht das Beste, sich einem Hitokiri so zu öffnen. Aber vielleicht… Nun ja, was weiß ich denn schon. Ich bin ja bloß ein Hundedämon…", brummelte er. Er drehte sich um und schritt zurück zur Liege Takeos. Und gegen ihren Willen musste Madoka bereits wieder lächeln. Dann folgte sie dem Halbdämon. Sie hatten das Krankenlager erreicht. Aurinia sah mit einem ermutigenden Lächeln zu ihnen auf. Madoka hatte das Gefühl zu wissen, wer hinter Yashas plötzlicher Sanftmut und seinem mit einem Mal aufgetauchten Einfühlungsvermögen stecken könnte. Die Yosei wischte sich die Hände an einem Tuch sauber und erhob sich seufzend. "Schau nicht so entsetzt, Madoka-chan." Sie kam ihr entgegen und legte den Arm um ihre Schultern. "Oder was hat dir das kleine Hündchen erzählt?" Sie sah liebevoll in Yashas Gesicht, der wütend die Lippen zusammenpresste - und Madoka wusste mit plötzlicher Sicherheit, dass diese beiden MEHR waren als nur Freunde. Da war etwas in ihren Augen... Dann sah sie Madoka direkt an. "Yamazaki wird nicht sterben. Nicht heute Nacht." Sie lächelte sanft. „Du kannst ein wenig bei ihm bleiben, wenn du das möchtest.“ Madoka war einmal mehr komplett sprachlos. Was ging hier vor? Woher konnte sie wissen…? Aurinia lächelte jetzt über das ganze Gesicht und klatschte in die Hände. "Ihr könnt jetzt gehen. Es ist gut.", sagte sie an die Dienerinnen gewandt, die sich gleich darauf erhoben und mit zahlreichen Verbeugungen leise kichernd den Raum verließen. Es war Madoka völlig unverständlich, wie man in Anwesenheit eines tödlich Verwundeten so albern sein konnte. Aurinia beugte sich zu Shido-san hinunter, der besorgt neben Takeos Liege kniete, und legte ihm die Hand auf die Schulter. "Komm, lass uns gehen. Möchtest du nicht das Pferd - wie war noch sein Name? Akuma? - holen? Es fühlt sich mit Sicherheit wohler, wenn es in einer unserer trockenen Höhlen stehen kann. Yasha kann dir zeigen, wo die Verschläge sind." Widerwillig - und mit einem eindeutig vorwurfsvollen Blick in Madokas Richtung - ließ sich Shido fortführen. Und dann stand die junge Frau allein neben der Liege. Ganz wie in ihrem Traum. Nein, nicht ganz... Sie war zwar wirklich äußerst besorgt um Takeo, der neben ihr auf der Liege unruhig zu schlafen schien, aber... sie war auch so durcheinander, wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Plötzlich war ihr einfach nur noch nach Hinhocken und Heulen zumute. Sie wollte nach Hause. Jetzt so sehr wie noch nie zuvor, seit sie diese seltsame "Welt" betreten hatte. Und sie sollte nun jemandem Mut zusprechen? Jemandem sagen, dass sie ihn brauchte, obwohl sie möglicherweise nur aus Furcht überhaupt so reagierte und für den erstbesten, dahergelaufenen Menschen Zuneigung zu empfinden glaubte, damit sie sich auch ja nicht allein fühlen musste? Mut. Ja, dass war es, was sie jetzt brauchte. Am besten gleich für zwei. Sie sah hinunter auf Takeos hübsches Gesicht und versuchte sich EINDEUTIG über ihre Gefühle klar zu werden. Es war unmöglich Liebe, was sie für diesen jungen Samurai empfand. Mitleid? Ja, ganz sicher. Verliebtheit? Das lag auf der Hand. Aber Liebe? Sie fand die Antwort in sich, als er plötzlich unter einer qualvollen Hustenattacke zusammenzuckte. Er spie Schleim und Blut und verschluckte sich beinahe daran. Madoka war sofort bei ihm, ignorierte wieder einmal den Schmerz, den sie am eigenen Leib zu spüren schien, als sie ihn so sah. Hier und jetzt war Takeo nichts als ein leidender Mensch, der ihr viel bedeutete. Nichts deutete darauf hin, dass dieser Mann ein Mörder sein sollte und er litt Qualen, wie es jeder andere Mensch in seiner Situation auch tun würde. Behutsam drehte sie seinen Kopf zur Seite und säuberte mit einem der Tücher, die in einer Schale neben dem Bett standen, seinen Mund. Er hustete noch mehr. Seine Hand schoss hinauf und schloss sich um ihr Handgelenk, so fest, dass sie vor Schmerz zusammenzuckte. "Takeo..." Dunkles Blut färbte den soeben angelegten Verband um seinen Unterleib rot. So ging das nicht. Er schien keine Luft mehr zu bekommen. Er musste sich aufsetzen. "Takeo! Wach auf, komm schon! Du MUSST aufwachen!" Angst um ihn schnürte ihr die Kehle zu. Sie rüttelte an seinen Schultern. Dann griff sie ihm einfach kurzentschlossen unter die Achseln und setzte ihn selbst in eine aufrechte Position, wobei sie sich allerdings neben ihm niederlassen musste, um seinen Oberkörper abzustützen. Takeo war jetzt wach. Er beugte sich weiter vor, hustete noch einmal sehr heftig - und erbrach sich dann über die Decke und den Boden. Schwer atmend und vollkommen ausgelaugt saß er mit bebenden Schultern da und schluckte mühsam. Madoka hatte schon das eine oder andere Mal dabei gestanden, wenn sich jemand übergab. Und jedes Mal war ihr selbst schlecht geworden. Doch dieses Mal war es anders. Die Sorge ließ sie den Ekel, den sie vielleicht empfinden mochte, vergessen. Sie hob die Hände und strich das lange Haar des jungen Mannes zurück und aus seinem Gesicht. Dann stand sie kommentarlos auf und machte sich daran, die Decke zusammenzunehmen und den Boden zu säubern. Als sie alles notdürftig gereinigt hatte und zu ihm aufsah, hatte Takeo scheinbar beschämt den Kopf gesenkt. Sie setzte sich vorsichtig neben ihn, streckte die Hand nach ihm aus, führte die Bewegung aber nicht zu Ende. "Wie fühlst du dich?", fragte sie stattdessen. "Ich... ein wenig besser." Takeo fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, sah sie jedoch immer noch nicht an. "Was auch immer diese Frau mir verabreicht hat - ich habe es nicht vertragen. Mir war so schlecht..." Er brach ab. Eine Weile lang sagte niemand etwas. Dann: "Es tut mir leid.", murmelte er verlegen. Madoka sah ihn von der Seite her an - und wenn sie sich selbst in diesem Moment hätte beobachten können, dann hätte sie den Ausdruck in ihren Augen gesehen und auch ihre Frage von kurz zuvor wäre beantwortet gewesen. Sie hätte sich nicht mehr so quälen müssen. "Das muss dir nicht leid tun.", antwortete sie ruhig. In ihrer Stimme schwang etwas von der Besorgnis mit, die sie trotz seiner Worte immer noch empfand. Er hob den Kopf - und Madoka konnte nichts anderes tun, als den Blick dieser großen, dunkelblauen Augen zu erwidern. Ihr Kopf war mit einem Mal wie leergefegt. Der Moment verging. Er sah wieder auf seine Hände hinab. Die junge Frau räusperte sich verlegen. "Ah... du solltest dich wieder hinlegen. Auch wenn du dich besser fühlst, versuche ein wenig zu schlafen, Takeo-san." Sie stand auf und schüttelte geschäftig sein Kissen auf, damit er ihr Gesicht in diesem Moment nicht sehen konnte. Anschließend bugsierte sie ihn sanft in die Kissen zurück. "Wie sieht es mit dem Fieber aus?", fragte sie und legte prüfend eine Hand auf seine Stirn. Sie war immer noch schweißnass, aber ihres Erachtens nach nicht zu heiß. Mit ehrlich empfundener Erleichterung wagte sie es nun ihn wieder anzusehen. Der Blick seiner Augen war undeutbar. Bevor sie sich fragen konnte, ob es Trauer, Wut, Hilflosigkeit oder irgendetwas in dieser Art sein könnte schloss er mit einem erleichterten Seufzen die Augen. Eine ganze Weile lang geschah gar nichts. Er schien endlich eingeschlafen zu sein. Madoka wollte sich gerade erheben, um ihn nun schlafen zu lassen, als sie erneut seine Hand spürte. Er legte sie über ihre. Als sie nun aufsah waren seine Augen offen und er sah sie direkt an. "Geh nicht weg. Bitte." Das war alles. Er sagte nichts mehr - und das für Tage nicht mehr, denn er sollte nun tatsächlich durchschlafen. Aber Madoka saß da und fühlte, wie diese Worte in ihr tiefstes Inneres vordrangen und sich dort einbrannten wie ein heißes Feuer, das niemals auch nur eine Sekunde verlöschen würde. Sie saß da wie betäubt, spürte die Wärme seiner Hand auf ihrer und wünschte, dieser Moment würde ewig anhalten. Und in diesem Augenblick wurde ihr endgültig klar, dass sie sich etwas vormachte wenn sie glaubte, dass sie Takeo NICHT lieben würde... Sie hatte ihre Antwort gefunden. Zumindest auf EINE Frage. ~~~oOo~~~ Tage vergingen, an denen sich die unfreiwilligen Gefährten ausruhen konnten und während denen sich der Zustand des jungen Samurai beständig besserte. Tage, während denen Madoka mit sich und ihrem Schicksal haderte, an denen sie versuchte schlau aus sich selbst und ihren Gefühlen für Takeo zu werden. Alles WAS sie wusste war, dass diese Gefühle mit jedem einzelnen Tag der verging zunahmen - wo auch immer das hinführen mochte. Sie erkannte sich selbst kaum wieder. So war sie nicht. Nein. Sie gehörte für gewöhnlich nicht der Art von Frauen an, die sich sofort und unwiderruflich verliebten. Liebe auf den ersten Blick? Sie war immer der Meinung gewesen, dass es so etwas nur in Romanen gab. Und jetzt das. War das möglich? Was zog sie so an, an diesem jungen Mann? Dieses Gefühl der Vertrautheit, dass sie in seiner Nähe empfand, war nicht gewichen. Es nahm sogar immer mehr zu. Es war, als wenn es so hatte kommen müssen, als wäre es ihr hier und in dieser Zeit BESTIMMT auf Yamazaki zu treffen und sich in ihn zu verlieben. Es war ein durch und durch unwirkliches, seltsames Gefühl und wäre es nicht so lächerlich, so würde sie denken, dass eine höhere Macht sie sowohl in diese Zeit, als auch genau hierher, an diese Stelle und an die Seite des jungen Mannes geschickt hatte. Sie hatte einige Male versucht mit Aurinia darüber zu sprechen. Doch die junge Yosei gab sich als erstaunlich wortkarg, wenn es um solche Themen ging. Das fand Madoka zwar eigenartig, doch sie drang nicht weiter in sie. Einige Tage nach ihrer Ankunft in den Höhlen sah Madoka Takeo bereits wieder trainieren. Sie liebte es ihm dabei zuzuschauen, sich leise irgendwo hinzusetzen und heimlich das Spiel der langen, straffen Muskeln unter seiner Haut, die feinen Schweißperlen auf seiner Brust, die das Licht in der Höhle einfingen und wie kleinste Diamanten zurückwarfen, und das fliegende, lavafarben-schimmernde Haar zu bewundern, wenn er seine Schwertkampftechniken übte. Die Schwerelosigkeit, die Grazie, die er dabei an den Tag legte war manchmal einfach nur atemberaubend. Der Schwertkampf war tötlich. Doch diese Übungen waren einfach nur wunderschön und faszinierend anzusehen. Manchmal leistete Shido-san Madoka beim Zuschauen Gesellschaft, wobei er ihr hin- und wieder äußerst seltsame Blicke zuwarf. Madoka bildete sich ein, eine unterschwellige Warnung darin zu lesen: Wenn du ihm wehtust werde ich dafür sorgen, dass du ihm nicht mehr zu nahe kommst. Wo sie sich zuvor blendend mit Kanzaki-san verstanden hatte, kühlte die Temperatur zwischen ihnen in genau dem gleichen Maße ab, wie sich sein Freund Takeo langsam für Madoka erwärmte. Wenn Takeo die junge Frau jetzt bemerkte und feststellte, dass sie ihm zusah, dann schickte er ihr nicht einen von jenen fürchterlich kalten und abweisenden Blicken mehr zu, sondern nickte nur kurz oder grüßte auf andere Weise, ließ sie jedoch ansonsten völlig in Frieden. Er war zwar so wortkarg wie zuvor, aber Madoka fühlte sich nicht mehr so unwohl und "ungewollt" wenn sie an seiner Seite war, wie noch vor einigen Tagen. Wahrscheinlich war das für den jungen Samurai schon ein riesengroßer Schritt und ein großes Entgegenkommen. Sie verlangte gar nicht mehr. Sie wusste nun, dass sie ihn sehr gern hatte. Aber sie war zufrieden, wenn sie in seiner Nähe sein konnte. Vielleicht sollte sie dies auch Shido-kun sagen. Dann hörten die giftigen Blicke möglicherweise auch auf. Sie gedachte nicht, Takeo weh zu tun. An diesem Tag trainierte Takeo zum ersten Mal wieder mit seinem Langschwert. An Akumas Sattel war ein Bambusschwert befestigt gewesen, mit dem er ab und zu trainierte, wie Shido ihr einmal auf eine Frage hin erzählte. Und auch hier, in den letzten zwei Tagen nach seiner Genesung, hatte er zunächst mit dem Bambusschwert geübt. Doch das eigentliche Training begann erst mit dem richtigen Schwert, dem Katana. Während er die blanke Klinge durch die Luft wirbeln ließ fiel Madoka zum ersten Mal auf, dass die Schneide nicht so makellos glänzte, oder vielmehr ANDERS aussah, als sie das beispielsweise aus alten Samurai-Filmen kannte. Etwas daran irritierte sie. Die Klinge wirkte... matter. Sie fragte auch dies den neben ihr sitzenden Shido. Der ließ sich mit der Antwort Zeit, löste sein Stirnband und versuchte es neu zu wickeln. Madoka fand sich schon damit ab keine Antwort mehr zu bekommen, als er ruhig sagte: "Takeo will nie wieder einen Menschen töten. Die Schwerter, die er benutzt haben eine "verkehrte Klinge". Alle. Auch die Kodachi. Das bedeutet, dass die geschliffene Schneide auf der Innenseite der Klinge ist." Madoka starrte ihn verblüfft an. Sie konnte sich zwar einen Reim darauf machen, nachdem sie von Takeos schrecklicher Kindheit und seinem Dasein als Attentäter erfahren hatte, und sie hatte schon von Kriegern mit solch einem Schwert gehört, aber dass er mit stumpfen Klingen gegen beinahe übermächtige Feinde kämpfte... Wollte er sein Leben wegwerfen? Ihre Gedanken mussten ihr deutlich anzusehen sein, denn Kanzaki fuhr fort: "Ich weiß, was du jetzt denkst, aber genau das ist der Fehler, den auch seine Feinde begehen: Sie halten ihn dadurch für schwach. Sie unterschätzen ihn. Aber hier liegt auch sein absoluter Vorteil: Er kann die Gegner vollkommen überraschen, indem er sie vom Gegenteil überzeugt. Takeo ist nach wie vor einer der talentiertesten Schwertkämpfer die es gibt - ob nun mit oder ohne scharfe Klinge. Er beherrscht Techniken des Hiten Mitsurugi-Kampfstils, von denen seine Feinde nur träumen können. Ich habe ihn kämpfen sehen. Wenn er losschlägt ist er wie ein Sturm, der über seinen Feinden hereinbricht, und unglaublich schnell." "Und dennoch willst DU ihn beschützen?", fragte Madoka skeptisch und mit wohlwollendem Spott. "Es kommt vielleicht irgendwann einmal der Tag, an dem er meine Hilfe benötigt. Dann werde ich bei ihm sein. Das habe ich mir geschworen.", antwortete Shido bitter. "Du verstehst das nicht." Er erhob sich und ging. Madoka sah ihm nachdenklich hinterher. Die Beziehung zwischen diesen beiden Männern war tatsächlich etwas, das sie nicht vollkommen verstand. ~~~oOo~~~ Und dann kam der Tag, an dem Takeo den anderen mitteilte, dass er zusammen mit Shido-san aufbrechen wollte, um die verstreuten Reste der Gruppe um Shigeru-sama in Kyoto und der Umgebung aufzuspüren. "Ich habe vor, die Organisation aufrecht zu erhalten. Falls Sayan-sama tatsächlich tot ist, haben wir uns um ihre Zukunft zu kümmern und ein neues Oberhaupt zu wählen. Jetzt sind wir als Gruppe schwach und angreifbar, da führerlos und ohne Konzept wie es weitergehen soll. Die Shinsengumi ist nicht dumm. Sie werden uns Fallen stellen, uns aufreiben wollen, jetzt noch mehr denn je." "Einen Vorteil haben wir.", führte Shido den Gedanken weiter. "Vorerst sind sie gar nicht in der Lage uns wieder anzugreifen. Unsere Gruppe ist zur Zeit so versprengt, dass selbst wir Schwierigkeiten haben dürften, die verbliebenen Mitglieder zu finden. Wir wollen sie natürlich trotzdem suchen gehen. Wir brauchen jeden Mann." Alle schwiegen. Die einzige Reaktion auf diese Worte war das nervöse, vielleicht auch ein wenig missbilligende, Zucken von Yashas Ohren. "Und du glaubst, dass du sie VOR der Shinsengumi finden kannst." Er sah bei diesen Worten nicht Shido, sondern Takeo an. Dieser zuckte mit den Schultern. "Wir müssen es versuchen." Er erhob sich und bat Aurinia um ein wenig Proviant. Auch Shido erhob sich. Er gab an, dass er sich um das Pferd kümmern würde und verschwand in eine der angrenzenden Höhlen, in welcher Madoka die Verschläge für Pferde wusste. Momentan war jedoch nur eine Box belegt: Die von Akuma. Aurinia sprach leise auf Takeo ein, als Madoka zu ihnen trat. "Ich möchte, dass du dich nicht überanstrengst. Ich will dir nicht vorschreiben, was du zu tun oder zu lassen hast. Aber du solltest deine Kräfte nicht überschätzen. Dein Körper ist noch immer geschwächt. Sei einfach vorsichtiger." Takeo, der nebenbei die Schwerter an seinen Seiten verstaute und sich die Lederplatten-Rüstung anlegte, verzog nicht eine Miene. "Takeo! Nimm es nicht auf die leichte Schulter! Es nützt niemandem etwas, wenn du dich umbringst!" Die sonst so ruhige und gelassene Yosei wurde nun doch langsam ungehalten. Dieser Mensch war tatsächlich genauso stur wie der Halbdämon. Aber sie wusste auch, dass er nicht auf sie hören würde. Ein Teil von ihr... rechnete sogar damit... "Niemand sagt, dass ich das will.", entgegnete er ruhig. Er warf das lange Haar zurück und zog die ledernen Gurte um seine Handgelenke fest. Aurinia seufzte, verdrehte kommentarlos die Augen und ging Shido entgegen, der soeben mit Akuma am Zügel herankam. Das nachtschwarze Pferd wirkte erfrischt und ausgeruht. Wachsam hatte es die Ohren aufgestellt, als würde es alles mitbekommen, was um es herum geredet wurde. Madoka trat auf Takeo zu, als dieser seine Beinpanzer festzog. Sie wollte so viel sagen, brachte nun aber kein Wort heraus. Alles was sie tat war ihn nach wie vor fasziniert anzusehen. Der junge Samurai richtete sich auf und drehte sich zu ihr herum. Ja, wahrhaftig. Er war nun ein Samurai. Schon lange kein Hitokiri mehr. Madoka hatte keine Ahnung, dass ihre Gefühle in diesem Moment deutlich in ihrem Gesicht zu lesen waren, so offen wie in einem Buch. Takeo schwieg. Er erwiderte ihren Blick lange und mit einer Intensität die sie schaudern ließ. Das war neu. Er hatte sie noch nie so bewusst lange angesehen. Es war jedoch ein äußerst angenehmes Gefühl. Und während sie in seine Augen sah, erkannte sie plötzlich etwas sehr Erschreckendes und Beunruhigendes: Er hatte nicht vor zurückzukommen. Dies hier war für ihn ein endgültiger Abschied. Ihre Augen weiteten sich. "Du... hast nicht vor zurückzukommen, oder?", sprach sie mit zitternder Stimme aus was sie dachte. Takeo schwieg. Er hielt ihrem Blick jedoch stand. "Dann... dann nimm mich mit! Ich werde..." Der junge Schwertkämpfer trat so nah an sie heran, dass sie nur noch eine Handspanne voneinander trennte. "Du bleibst hier, bei Yasha und Aurinia. Solange ich weiß, dass du hier bist, brauche ich mir nicht auch noch Sorgen um deine Sicherheit machen." Madoka presste stur die Lippen zusammen. "Ihr wollt mich hierlassen?" "Madoka, überleg doch einmal. Aurinia hat versprochen für dich einen Weg zurück in deine Welt zu finden. Wenn dir überhaupt jemand helfen kann, dann sie. Ich bin sicher, dass ist genau das, was du auch willst. Ist es nicht so?" War es so? Sie sah in sein Gesicht, ein Gesicht, das sie sehr liebgewonnen hatte, und in blaue Augen, die noch vor einigen Tagen kalt wie Eis auf sie herabgesehen hatten und nun mit einer Wärme erfüllt waren, die Madoka gänzlich einzuhüllen schien. Allein das war schon unglaublich.Und sie hatte keine Ahnung, was sie erwidern sollte. Sie WOLLTE zurück in ihre Zeit, ja natürlich. Aber... Herrgott noch Mal! Warum war das Schicksal so grausam zu ihr, dass sie ausgerechnet hier, in einer fremden Zeit, an einem völlig fremden Ort, den Menschen kennen lernte, dem sie bedingungslos vertrauen wollte? Den sie liebte? Sie leugnete nicht mehr. Sie wollte bei ihm bleiben! Immer! Aber sie gehörte nicht hierher. Der junge Mann, der vor ihr stand, hatte vor langer Zeit gelebt und nur der Zufall (oder was auch immer) hatte es ermöglicht, dass sich ihre Wege kreuzten. Vielleicht war er sogar um hundertfünfzig Ecken mit ihrer Familie verwandt, ihr Urururururahne - sozusagen. Ihr schwindelte. Es war verrückt auch nur darüber nachzudenken. Nein. Sie konnte, sie DURFTE ihm ihre Gefühle niemals gestehen, so einfach war das. Diese Bürde würde sie bis zum Ende selbst tragen müssen. Sie seufzte tief und hoffte, dass man ihre widersprüchlichen Gefühle nicht allzu deutlich in ihrem Gesicht ausmachen konnte. "Ja, ich will zurück nach Hause...", sagte sie mit einiger Verspätung. "Na, siehst du." Takeo legte eine warme Hand auf ihre Schulter. "Und du WIRST auch zurückkehren. Glaub daran. Und deine neue Freundin wird dir helfen. Mach dir keine Sorgen." DARÜBER machte sie sich auch keine Sorgen... Madoka legte ihre Hand leicht auf seine. Sie konnte nicht anders. "Sei vorsichtig...", sagte sie leise. Er blinzelte. Ein seltsam melancholischer Ausdruck erschien in seinem Blick. Dann drückten die Finger seiner Hand leicht ihre Schulter. "Ich werde mich bemühen..." Ein leichtes, ganz leichtes Lächeln, glitt über seine Züge. Madoka verspürte wieder einen tiefen Stich in ihrem Inneren, dort wo sich ihr Herz befand. Die Legende vom Herzschmerz war zwar rein medizinisch gesehen kompletter Unsinn - aber hier spielten Körper und Seele zusammen und für die junge Frau war dieser Schmerz gerade sehr real. Takeo ließ ihre Schulter los, ihre Hand glitt herab, und er drehte sich herum - zumindest wollte er es. Ihre Hand schoss vor und hielt ihn am Arm zurück. "Warte!" Sie hob die Hände hinter ihren Kopf, begann in ihrem Nacken zu nesteln und löste die dünne Silberkette, die sie immer um den Hals trug und die sie, seit sie sie damals von ihrem Vater bekam, nicht ein einziges Mal abgelegt hatte. Sie besaß einen fingernagelgroßen Anhänger in Form einer kleinen, aufgerichteten Schlange. "Trag das. Bitte." Sie hielt ihm die äußerst feingliedrige Kette hin und er starrte verständnislos darauf, rührte keinen Finger. Verlegen trat sie von einem Fuß auf den anderen. "Eigentlich ist es purer Aberglaube - aber ich denke doch, dass sie Glück bringt." 'Schließlich hat sie mich letztendlich auch zu dir geführt...', fügte sie in Gedanken hinzu. Der junge Krieger hob die Hand und berührte das Silber. Sein Daumen strich über die dünne, filigrane Kordel. "Legst du sie mir an?" Kein "Was soll ich damit?" oder "Ich glaube nicht an so einen Blödsinn." Die junge Frau hatte alles erwartet - nur nicht, dass er sie anstandslos annehmen würde. Er drehte sich herum und hob seinen langen Zopf. Madoka trat mit klopfendem Herzen an ihn heran. Ihre Finger zitterten leicht, als sie um seinen schlanken Hals herumfasste und ihm die Kette umlegte. Sie bekam den Verschluss nicht zu. "Ahh... Verdammt... Warte, es klemmt irgendwie..." Lauter und lauter schlug ihr Herz - so meinte sie. Er MUSSTE es einfach hören. Sein Haar duftete schwach nach Honig und den Blüten, die hier allgegenwärtig und selbst im Wasser waren. Endlich - endlich! - hatte sie es geschafft und den Verschluss geschlossen. Erleichtert trat sie zurück. "Okay...", sagte sie. "Okay?", echote er verständnislos. Madoka starrte blödsinnig zurück. Was meinte er? Dann klingelte es bei ihr. "Ach so, das ist ein Ausdruck, den wir in meiner Zeit dafür benutzen, wenn wir etwas in Ordnung finden.", erklärte sie lächelnd. "In deiner Zeit..." Er betonte dies sehr merkwürdig. Dachte etwa auch Takeo über die Unterschiedlichkeit ihrer "Welten" nach? Dann bewegte er den Kopf, als würde er einen Gedanken abschütteln und lächelte sie schräg an. "Ich... danke dir." Seine Hand wanderte unwillkürlich wieder hinauf zu der Kette. "Vielleicht hast du die Möglichkeit, sie mir irgendwann wiederzugeben. Wenn du mir nun zusagen würdest, dass du sie für mich aufbewahren und... nun ja, wenn du sie mir eben irgendwann... vielleicht... wiedergeben willst, dann weiß ich, dass ich dich..." Sie brach hilflos ab. "...vielleicht wiedersehen werde?", half Shido aus. Madoka fuhr ertappt zusammen. Der große, junge Mann war hinter ihnen herangekommen und blickte sie nun mit undeutbarem Ausdruck in seinen dunklen Augen an. Er hatte sie überrascht. Nichtsdestotrotz hatte er genau ihre Gedanken wiedergegeben: Das, was sie hatte sagen wollen und doch nicht hatte formulieren können. "Mach dir keine Sorgen, Mado-chan.", sagte Kanzaki jetzt. "Ich werde auf ihn aufpassen. Das habe ich IMMER getan." Er nickte ihr zum Abschied zu. Mehr nicht. Takeo lachte leise. Es war überhaupt das erste Mal, dass sie ihn lachen hörte! Ein wohliger Schauer jagte ihr den Rücken hinunter. "Lass gut sein Shido-kun. Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen." Zu Madoka gewandt sagte er: "Vielleicht sehen wir uns wieder, Madoka-chan. Und wenn es so sein sollte, dann wirst du die Kette bei mir finden. Immer." Die junge Frau verspürte einen mächtigen Kloß im Hals. Wenn er nicht gleich verschwand, würde sie wie ein Kleinkind plärrend an seiner Schulter landen. Und dann tat Takeo etwas, das Madoka über die folgenden Tage, sogar Wochen begleiten sollte, wie ein wunderbarer Sonnenstrahl, der eigens für sie vom Himmel gefallen war und nun einzig und allein ihr gehörte. Er lächelte noch ein letztes Mal, hob den Arm und strich ihr, noch während er bereits losging, leicht mit dem Handrücken über die Wange - so wie er es auch in ihrem Traum getan hatte! Madoka wollte die Hand heben, sie wollte seine Finger berühren, ihn festhalten und nie wieder gehen lassen - und als er endlich auf das Pferd stieg und so von Shido-kun aus der Halle geführt wurde, ohne dass er sich noch einmal umsah, als er endlich außer Sicht war, da fühlte sie sich plötzlich, als hätte jemand einen Schleier von ihren Augen, ihrem Bewusstsein, genommen. Die starrte noch sekundenlang in die Richtung, in welcher Takeo und Shido verschwunden waren, und fühlte sich mit einem Mal sehr verlegen. Wie benahm sie sich denn überhaupt? Wie ein kleiner, verknallter Teenie! Was um Himmels Willen war in sie gefahren? Sie HASSTE beispielsweise Romane, in denen genau solche Situationen auf die ausgeschmückteste Art und Weise beschrieben wurden! Sie HASSTE Schnulzen! Und sie benahm sich gerade original so wie eine Protagonistin aus einer dieser Geschichten: Völlig kindisch, abgedreht und unfähig, einen klaren Gedanken fassen zu können, wenn der Mann den sie liebte in ihrer Nähe war. Denn sie liebte ihn. Dass er mit einem Mal so freundlich zu ihr war machte es nicht leichter. Im Gegenteil - jetzt würde es RICHTIG schwer werden, die Gefühle für sich zu behalten. Nun gut, vielleicht hatte sie ihn ja auch gerade zum letzten Mal gesehen - dann hatte sich DIESES Problem von selbst erledigt. Auch dieser Gedanke tat erstaunlich weh. Sie schüttelte unwillig den Kopf. Sie sollte sich darauf konzentrieren nach Hause zu kommen. Sie MUSSTE ihre Gefühle wenn schon nicht vergessen, dann doch zurückstellen. Himmel noch mal, sie musste wieder KLAR DENKEN! Sie benahm sich wie ein Kleinkind! Als sie sich nun umdrehte stand Aurinia hinter ihr. Madoka war nicht wirklich überrascht. Auch nicht über das sanfte, jedoch merkwürdigerweise leicht sorgenvoll wirkende, Lächeln, das fortan um die Lippen der hübschen Yosei spielte, wann immer sie sich sahen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)