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Die Weiße Schlange

von

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Die Yosei

Madoka erwachte aufgrund eines stechenden Schmerzes in ihrer Schulter. Es dauerte eine Weile, bis sie wieder klar denken und die Schmerzen einordnen konnte. Jemand machte sich an ihrer Wunde zu schaffen. Als sie vorsichtig die Augen aufschlug, sah sie zunächst alles undeutlich und verschwommen: Das grüne Dach des Waldes über sich, die sie umgebenden, dunklen Baumstämme und den weißen Schemen eines Gesichtes, das sich über sie beugte und umrahmt war von einer Flut dunkelroten Haares. Sie schloss die Augen kurz wieder, als der Schmerz beinahe unerträglich wurde - und dann abrupt erlosch, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Madoka lag ganz still und genoss das Gefühl, welches sich nach vergangenen Schmerzen einstellte.

'Bloß nicht bewegen!', dachte sie und hoffte, dass dieser Zustand noch eine ganze Weile anhielt. Dann blinzelte sie vorsichtig. Aus dem hellen Fleck über ihr wurde ein Gesicht.
 

Madoka war irritiert. Aufgrund der rötlichen Haarpracht hatte sie automatisch angenommen, dass es

Takeo war, der sich über sie beugte. Aber es war nicht Takeo. Es war nicht einmal jemand, den sie kannte.

Eine hübsche, junge Frau sah besorgt auf sie herab und legte soeben einen festsitzenden Verband um ihre Schulter an. Sie hatte große, smaragdgrüne, ausdrucksstarke Augen in einem fein geschnittenen Gesicht mit makellos weißer Haut. Die dunkelroten, glänzenden Haarsträhnen fielen ihr lang und offen über Schultern und Rücken. Sie hätte Takeos Schwester sein können.

Aber etwas an ihren Augen... Es war seltsam, dass sie so etwas dachte, aber sie konnte nicht umhin zu bemerken, dass ihre Augen etwas... "Nichtmenschliches", beinahe Überirdisches an sich hatten.

'So muss es sein, wenn man einer Elfe begegnet...', dachte Madoka mit einem seltsamen Gefühl in der Brust. Irgendetwas wurde durch den Blick dieser jungen Frau in ihr angerührt, etwas Altes, Zeitloses, etwas, dass es schon gegeben hatte, bevor sich ihr Körper rund um dieses Gefühl entwickelt hatte. Etwas Gütiges und Weises. Dieser Blick beinhaltete die ganze Welt - von ihrer

Entstehung an bis jetzt und alle Orte, die es auf ihr geben mochte, alle Zeiten und jedes Gefühl, das je entstanden war. Madoka starrte in diese Augen und fühlte sich mit einem Mal - das erste Mal überhaupt seit sie in diese merkwürdige Welt oder auch Zeit geraten war - auf seltsame Weise

getröstet und vollkommen sicher.

Wer war diese Frau? Und wieso fühlte sie sich so... wohl in ihrer Gegenwart?

Dann hörte sie Schritte näherkommen - rasch. Shido-sans Gesicht tauchte in ihrem Blickfeld auf. Seine großen braunen Augen blickten sehr besorgt.

"Sie ist wach?", fragte er unsinnigerweise an die Fremde gerichtet.

"Madoka-chan! Bist du in Ordnung?" Er beugte sich jetzt über sie.

Madoka erwiderte seinen Blick und versuchte sich mühsam aufzusetzen. Jetzt sprach die Fremde zum ersten Mal. Ihre Stimme war angenehm und ruhig, wie das Raunen des Windes, der durch die Zweige belaubter Bäume fährt.

"Sei vorsichtig. Bewege dich nicht zu schnell. Die Wunde könnte sonst wieder aufbrechen."

Madoka schaute erst sie, dann Shido an. Shido fasste den Ausdruck ihrer Augen wohl richtig auf, denn er sagte:

"Madoka, das ist Aurinia. Sie hat deine Wunde gesäubert und genäht."

Madoka sah Aurinia an und lächelte verlegen.

"Ich... danke dir."

Aurinia lächelte ebenfalls. Es war, als würde die Sonne aufgehen.

"Du brauchst mir nicht zu danken. Ich hätte das für jede verletzte Seele getan."

Madoka konnte nicht umhin, sie weiterhin anzustarren. Aurinia lächelte jetzt noch eine Spur wärmer.

"Du hast noch nie eine Yosei gesehen, nicht wahr?"

"Eine... Yo... Nein, das habe ich nicht.", antwortete Madoka beinahe mechanisch.

"Bist du... eine Elfe?", fragte sie zaghaft, fast so als hätte sie Angst vor dem Spott der nun vielleicht folgte. Und tatsächlich warf die Yosei den Kopf zurück und lachte leise - aber nicht verletzend oder

gehässig. Es klang wie Hunderte kleiner Glöckchen im Wind.

"Nun, sagen wir einfach, wenn du mich als solche siehst, dann ist das nicht falsch."

Sie sah Madoka wieder mit diesem fürsorglichen Blick an, der eine solche Wärme und Geborgenheit vermittelte, dass die junge Frau erschauerte. Aurinia hob die Hand und strich ihr ganz sacht über das Haar.

"Armes, kleines Mädchen. Du hast Angst, nicht wahr? Dies ist nicht deine Welt. Nicht einmal deine Zeit. Alles ist dir fremd, unangenehm und erscheint dir allzu grausam. Ist es nicht so?"

Wie war das möglich? Konnte diese Frau in ihr Herz sehen? Das waren so genau ihre Gedanken und Gefühle, welche die Yosei da schilderte... Es war... unheimlich...

Obwohl sie nicht älter aussah als sie selbst hatte Madoka das Gefühl, mit einem zeitlosen Geschöpf zu sprechen, einem Wesen, das älter als sie alle zusammen war. Und vielleicht war das ja auch gar nicht so weit hergeholt...
 

"Jemand kommt!", meldete sich Shido wieder zu Wort, der ebenso fasziniert war von dem, was er soeben gehört und gesehen hatte, dass er die ganze Zeit in beinahe ehrfürchtiges Schweigen gehüllt dagesessen hatte. Doch nun war er aufgestanden und half nach kurzem Zögern und einem besorgten Blick, welchen die junge Frau aber mit einem energischen Nicken beiseite wischte, auch Madoka auf die Füße. Sie verzog das Gesicht. Es schmerzte doch nicht unerheblich wenn sie sich bewegte.

Jedoch, was nun folgte, schmerzte sie beinahe noch mehr...

Irgendwo raschelte es im Gehölz und mit einem Mal sprang ein Dämon aus den Schatten des Waldes heraus auf die kleine Lichtung, auf der sie sich befanden.

Madoka starrte zum zweiten Mal an diesem Tag mit unverhohlener Neugier und sogar einer Spur von Schrecken. Der Dämon war nicht viel größer als sie selbst und hatte langes, schneeweißes Haar. Im Kontrast dazu leuchtete das Rot seines Gewandes. Und er hatte krallenbewährte Hände und Füße. Er war annähernd menschlich - bis auf die Ohren. Nie hatte sie solche Ohren gesehen! Es waren sie Ohren eines Wolfes. Oder eines Hundes...

UND er trug Takeo auf seinen Armen!

Madoka keuchte erschrocken und Shido war mit einem einzigen Satz an ihr vorbei und bei seinem Freund.

"Verdammt, ich habe dem Idioten gesagt, dass er...", er schluckte seine letzten Worte hinunter, als ihm der Hundedämon ohne viel Federlesens den leblosen Körper grob in die Arme drückte! Dann rauschte er an dem verblüfften jungen Mann vorbei, kletterte gewandt und sehr schnell am Stamm des nächsten Baumes empor und blieb dort grummelnd auf einem der unteren Äste hocken. Aurinia schob sich an Madoka vorbei und blickte zu dem Halbdämon auf.

"Komm sofort da runter, Yasha! Was sind das für Manieren?"

"Ich habe getan, worum du mich gebeten hast, oder? Also lass mich in Ruhe!"

Yasha knurrte leise.

Madoka war viel zu entsetzt, um an irgendetwas anderes zu denken, als an den jungen Samurai, der erstaunlich viel Blut verloren hatte und dennoch halbwegs bei Bewusstsein war. Seine Kleidung war einmal mehr von dunkelrotem Blut getränkt. Und wieder war es so, als könne sie den Schmerz des jungen Kriegers am eigenen Leib spüren. Mehr noch, viel mehr noch als ihren eigenen in der Schulter.

"Lass mich runter.", beschwerte Takeo sich schwach bei seinem Freund.

"Ich bin kein Kleinkind!"

"Nein, aber man könnte es denken - so stur wie du bist!"

Dennoch stellte Shido ihn vorsichtig wieder auf seine Füße.

"Hättest du auf mich gehört..."

"Takeo?" Eine leise, entsetzte Stimme.

Shido brach ab und sah Madoka verdutzt an. Sie war kreidebleich geworden. Ihre Augen schreckgeweitet. Sie stand neben ihm und hatte die Hand leicht erhoben, zögerte jedoch, den jungen Schwertkämpfer zu berühren, als hätte sie Angst ihm dadurch nur noch mehr Schmerzen zuzufügen.
 

Takeo selbst, der bislang den Kopf gesenkt gehalten und sich schweratmend auf Shido-sans Schulter gestützt hatte, sah langsam und mit einer irgendwie mühsam wirkenden Bewegung auf - und begegnete wohl zum ersten Mal einem Blick, der ihn bis ins Mark, bis auf den Grund seiner Seele berührte. Wie ein Pfeil durchdrang ihn Madokas Blick - und er stand einfach nur da und starrte zurück, ohne indes auch nur einen Finger rühren zu können.

War er blind gewesen? Diese junge Frau starb beinahe vor Angst. Und zwar wegen IHM! UM ihn!

Etwas von dem schwarzen Panzer, der undurchdringlichen Mauer, die sein Herz seit den schrecklichen Ereignissen in seiner Kindheit und Jugend umgab, brach unter diesem Blick zusammen wie ein Kartenhaus - und ließ einen völlig verwirrten jungen Mann zurück.

Nein... Er durfte nicht zulassen... Er durfte sie nicht hinter seine Fassade blicken lassen. Sie hatte keine Ahnung, wer er wirklich war. WIE er wirklich war.

Und doch spürte er seinen inneren Widerstand langsam bröckeln.
 

Takeo taumelte - doch diesmal war es Madoka, die sofort an seiner Seite war um ihn zu stützen.

"N... Nicht...", wehrte er kraftlos ab, als er ihren Leib nah an seinem spürte. "Das Blut..."

"Das ist nicht wichtig.", sagte sie einfach nur und hielt ihn weiterhin fest.

Sie war ihm nun so nah wie noch nie zuvor. Seine Augen... schmerzerfüllt und voll von dunklen Vorahnungen, waren groß und wunderschön. Sie waren so blau wie die Kornblumen, die bei ihr zu Hause an der Straße blühten, gleich dort, wo die Auffahrt zu dem Haus war, in dem sie eine kleine Wohnung über der ihrer Eltern ihr Eigen nannte... Aus irgendeinem Grund musste sie plötzlich mit den Tränen kämpfen.

"Komm, setz dich erst mal.", versuchte sie ihre Traurigkeit zu überspielen und bugsierte Takeo vorsichtig unter den Baum, unter welchem sie zuvor auch schon gelegen hatte.

Als sie sich erhob und suchend nach Aurinia umsah, schloss sich mit einem Mal eine warme Hand um ihr Handgelenk. Sie erstarrte.

"Madoka.. Es tut... es tut mir Leid."

Sie wusste, was er meinte.

Alles. Er entschuldigte sich bei ihr gerade für ALLES was bisher geschehen war - ob es nun seine Schuld gewesen war oder nicht. Und ganz egal, was sie zu Anfang vielleicht auch über ihn gedacht oder welche Angst ihr sein Verhalten auch gemacht haben mochte, diese wenigen Worte reichten aus, in ihr eine Wärme und Freude auszulösen, die sie noch nicht bereit war einzuordenen, sich noch nicht traute sie zu benennen.

Sie zitterte unmerklich.

Madoka drehte sich wieder zu ihm herum.Sie legte langsam ihre andere Hand über seine und konnte nun nicht mehr verhindern, dass ihr eine Träne über die Wange lief. Takeo wirkte betroffen. Er missverstand ihre Tränen - und vor allem das traurige Lächeln, das sie dennoch zeigte.

"Ich... WIR werden dir helfen, einen Weg zurück nach Hause zu finden. Ich... verspreche es.", sagte er leise. Der Druck seiner Finger um ihrem Handgelenk verstärkte sich. Und während sie aus tränenverschleiertem Blick auf ihn herabsah, in ein Gesicht, das sie tatsächlich und wider aller Vernunft in kürzester Zeit sehr lieb gewonnen hatte, da war sie plötzlich - zum ersten Mal überhaupt - hin- und hergerissen in ihren Gefühlen und wusste nicht mehr, was sie denken sollte. Sie WOLLTE zurück! Diese Welt war GRAUSAM, SCHRECKLICH, BRUTAL und VÖLLIG anders, als ihre - aber in dieser Welt gab es Takeo...

Sie fragte sich ganz nüchtern und ernsthaft: Liebte die ihn?

Das war im Grunde einfach nicht möglich, denn sie kannte den jungen Mann einfach noch nicht gut genug, um das beurteilen zu können. Vielleicht war sie in gewisser Weise verliebt in das Bild, das er ihr von sich bislang gezeigt hatte - besonders in das Bild von eben. Doch LIEBE konnte man das beileibe noch nicht nennen. Eine Verliebtheit also? Warum wankte sie dann in ihrem Entschluss auf jeden Fall und so schnell wie möglich wieder einen Weg zurück nach Hause zu finden? Warum wollte sie in seiner Nähe sein so oft es ging, ihn am liebsten immerzu ansehen? Warum ertrug sie es nicht, wenn er Schmerzen litt? Und vor allem Anderen: Warum hatte sie so ein vertrautes und zugleich verwirrendes Gefühl, wann immer er ihren Blick erwiderte?

Sie verschob diesen Gedanken. Vorerst. Es gab wichtigere Dinge zu tun. Doch während sie zu Aurinia hinübereilte, um sie bei der Versorgung von Takeos Wunden um Hilfe zu bitten, da nagte es in ihr und sie konnte die kleine, nachhaltige Stimme in sich nicht ganz verdrängen, die immer wieder fragte:

"Nur mal angenommen... Gesetzt den Fall, dass du dich tatsächlich verliebt hast. Wärst du bereit ALLES aufzugeben? Deine Welt, deine Zeit? Du KENNST ihn nicht einmal!"

Wohin sie sich innerlich auch drehte und wendete - es war einfach zu früh, um darauf eine klare Antwort zu finden.
 

Aber da war auch noch immer eine ganz andere, vielleicht momentan auch vorrangigere Frage.

Wie und warum war sie hier hergekommen?

War es Zufall? Oder hatte sie eine Aufgabe zu erfüllen?



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Schalmali
2007-03-19T12:53:06+00:00 19.03.2007 13:53
Das mit Madokas Gefühlen sehe ich ebenso aber ansonsten alles gut. Basiert der Inuyasha Teil der Geschichte auf Aurinias Geschichte Moonsoul? Wenn nicht nicht lynchen bitte xD Dieser Part intressiert mich als Inuyasha-Fan verstänlicherweise noch mehr auch wenn das andere auch intressant und spannend ist :)
Von:  Rogue37
2006-05-02T22:10:09+00:00 03.05.2006 00:10
Ich lach mich schlapp.Yasha wie er leibt und lebt und unsere kleine Auri ist auch treffend geschildert. Für meinen Geschmack entwickelt sich Madokas GEfühlsleben zu schnell, aber das ist ja nur ansichtssache.


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