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Die Weiße Schlange

von

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Eine unheimliche Begegnung

Das Pferd war atemberaubend schön - und ein schwarzer Dämon aus einer Nachtmar. Mit schäumenden Nüstern bäumte es sich wiehernd auf die Hinterhand auf und riss den reichlich verzweifelt aussehenden Stallburschen um ein Haar die Zügel aus der Hand. Wild warf es den Kopf herum, die schwarze Mähne flog und der lange Schweif peitschte durch die Luft.

Madoka stand auf dem Hof vor dem Stall und konnte die Augen nicht abwenden von diesem wundervollen und zugleich furchteinflößenden Tier. Es war riesig. Erst jetzt, wo sie direkt neben dem Pferd stand konnte sie sehen, WIE groß es war. Sie selbst machte sich daneben sehr klein und verloren aus. Sie trat respektvoll noch ein Stück weiter zurück. Die Stallburschen hingen zu zweit mit ihrem Gewicht in den Zügeln und hatten wirklich Mühe das Tier zu halten.

Madoka hatte nicht bemerkt, dass Takeo hinter ihr aus dem Wohnhaus getreten war.

"Ruhig, mein Schwarzer. Ganz ruhig. Gleich kannst du wieder laufen, Akuma. (Anm. d. Redaktion^^: Akuma = japan. "Teufel") Noch ein wenig Geduld, mein Schöner."

Der junge Mann trug Kampfausrüstung und sah wie ein leibhaftiger Samurai aus, zumal das flammend rote Haar nun zu jenem strengen Zopf zurückgebunden war, wie sie es von zahlreichen Illustrationen und aus Büchern in ihrer Zeit kannte. An seinen Seiten das lange Katana und zwei etwas kürzere Kodachi. Geformte Lederplatten schützten Hände, Arme und Beine, dennoch waren sie nicht so eng zusammengefügt, dass es seine Mobilität einschränken würde. Vor der Brust trug er gar eine Art Hornpanzer mit orientalischen Ornamenten und Ziselierungen. Er sah sehr eindrucksvoll aus in dieser Art Rüstung und Madoka konnte nicht umhin, ihn wieder einmal unverhohlen anzustarren...

Takeo beachtete sie jedoch gar nicht. Er trat an ihr vorbei auf sein schwarzes Pferd zu und hob beruhigend die Hand.

"Still, Großer. Still. Es ist gleich soweit. Geduld."

Und das Tier reagierte auf den Klang seiner Stimme. Mit bebenden Flanken stand es da. Die Augen, in denen man vorher das Weiße hatte sehen können, waren ruhig auf ihren Herrn gerichtet. Es schnaubte leise, senkte dann den Kopf und stieß ihn mit den weichen Nüstern sanft vor die Brust. Die Burschen überreichten nur zu gern die Zügel und suchten schleunigst das Weite. Takeo legte eine Hand auf den Hals des Tieres und flüsterte leise beruhigende Worte. Madoka hatte ihn noch nie so sanft und freundlich gesehen.

Sie war so sehr in die Betrachtung dieses Bildes vertieft, dass sie erst jetzt merkte, dass die Hausmädchen und Dienerinnen ebenfalls das Haus verlassen hatten und nun in Reisekleidung mit ihrem Gepäck dastanden. Sänften wurden herangetragen. Madoka schaute befremdlich auf das altmodische Fortbewegungsmittel, das neben ihr abgestellt wurde.

"Ahh.. Ist es vielleicht möglich, dass ich ebenfalls reite?"

Es war zwar schon eine ganze Weile her, dass sie mal geritten war (genauer gesagt war sie da noch RICHTIG klein gewesen), und schon gar nicht professionell, aber sie wollte lieber an der frischen Luft bleiben, als sich in einem dunklen Holzverschlag hin und herschaukeln zu lassen, wo ihr womöglich grottenschlecht wurde.

"Haben sie noch ein...", sie warf einen bezeichnenden Blick auf das schwarze Pferd. "... umgänglicheres Reittier?"

Der Stallbursche, der die Sänfte mitgetragen hatte, schaute sie groß an.

"A... Aber, werte Dame, Sie.. Das geht nicht... Ich..." Er wirkte unglaublich hilflos.

"Damen reiten nicht in diesem Teil des Landes, Sakurai-san.", vernahm sie nun Takeos angenehme Stimme. Er kam heran und führte sein Pferd am Zügel.

"Bring ihn und vor allem den Hausherren nicht in Verlegenheit und nutze die Sänfte."

Madoka schaute ihn erst ungläubig, dann trotzig an.

"Ich denke nicht, dass..."
 

Sie brach abrupt ab, als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm und erschrocken gleichzeitig zwei Dinge feststellte - alles in einer einzigen langgezogenen, schrecklichen Sekunde. Erstens, dass sie selbst und womöglich das ganze Grundstück umstellt waren und zweitens, dass mit Pfeil und Bogen auf sie geschossen wurde! Einer dieser besagten Pfeile zischte in dieser Sekunde nur fingerbreit an ihrer Wange vorbei und bohrte sich federnd in die Seitenwand der Sänfte, der zweite folgte einen Sekundenbruchteil später und hätte Takeo an der Schulter getroffen, hätte die junge Frau sich nicht geistesgegenwärtig nach vorn geworfen und ihn grob zur Seite gestoßen. Takeo

taumelte, fing sich mit der Hand an der Sänfte ab und zerrte in der Bewegung die Zügel seines Pferdes grob herum. Das Tier stieg wiehernd. Takeo verlor nun vollends das Gleichgewicht, fiel gegen die Sänfte und zu Boden, die Zügel entglitten seiner Hand. Dennoch lief das Pferd nicht weg. Stampfend und schnaubend blieb es dicht bei seinem Herren, schien ihn sogar vor dem

Pfeilhagel, der nun über die Gruppe hereinbrach, abschirmen zu wollen.

Madoka war durch den eigenen Schwung nach vorn und ebenfalls zu Boden gerissen worden - was ihr womöglich das Leben rettete. Ein halbes Dutzend nachtschwarzer Pfeile flog sirrend über sie hinweg - und dieses Mal trafen die Pfeile nicht nur auf Holz. Sie hörte Schreie und das Wimmern von Frauen. Sie selbst hatte Mühe überhaupt wieder auf die Füße zu kommen. Der Boden an

dieser Stelle war weich, feucht und morastig und sie rutschte immer wieder aus. Zudem hinderte sie der enge Kimono - wahrhaftig keine Reisekleidung - daran aufzustehen. Und natürlich gab sie so auch ein wunderbar unbewegliches Ziel für die unbekannten Bogenschützen ab...
 

Der Pfeil traf sie oberhalb der rechten Brust mit solcher Wucht, dass sie herum und rücklings in den Morast geschleudert wurde, aus dem sie sich soeben mühsam befreit hatte. Das erste was sie daraufhin empfand war Ungläubigkeit und Verblüffung. Aus irgendeinem Grund hatte sie BIS EBEN

GEGLAUBT (und sei es auch nur in einer winzigen Ecke ihrer Gedanken), dass dies alles hier ein Traum war und sie zu Hause in ihrem Bett aufwachen und feststellen würde, dass dies alles nicht wahr war. Und jetzt...

spürte sie den Schmerz. Es tat WEH. Keuchend und nach Luft ringend wollte sie sich auf die Ellenbogen aufrichten, sich jede Sekunde bewusst, dass sie hilflos dalag und weiterhin ein einfaches Ziel bot. Sie stöhnte vor Schmerz. Ihr wurde schwindelig.

"Madoka!"

Durch einen Schleier der Benommenheit, der gnädigerweise auch alle Geräusche um sie herum zu dämpfen schien, nahm sie wahr, dass um sie her zumindest die bewaffneten Leibdiener, welche den Tross hatten begleiten sollen, ihre Überraschung überwunden hatten und schreiend die Schwerter zogen, um auf die nur als schwarze Schatten im umgebenden Dickicht erkennbaren Feinde

einzustürmen. Es roch nach Blut, Schweiß und Angst.

"Madoka!" Sie spürte einen Arm und griff blindlings zu, klammerte sich daran fest, wie an einen Rettungsring.

"Madoka, steh auf! Sofort!"

Sie erkannte Takeos Gesicht vor sich durch einen Vorhang aus grauen Schlieren vor ihrem Blick.

Madoka versuchte es. Wirklich. Sie stützte sich auf seinen Arm und kämpfte darum, hochzukommen. Doch irgendwie konnte sie ihre Beine nicht mehr richtig spüren und die grauen Schlieren wurden zu großen, schwarzen Flächen. Sie sackte in sich zusammen.

Takeo fluchte ungehemmt.

"Verdammt! Wo steckt Shido?"

Mit dem letzten Rest ihres Bewusstseins konnte sie nun spüren, wie er sie kurzerhand auf die Arme hob und mit ihr loslief - sie wusste nicht wohin. Es war ihr auch gleich. Fühlte es sich SO an? Das Sterben? Der Tod?

Sie fühlte Blut warm an ihrer Seite herablaufen und ihre Kleidung tränken, während der junge Samurai mit ihr durch einen sirrenden Regen aus Pfeilen lief.

"Akuma!" Er rief nach seinem Pferd. Dann war auch Shido plötzlich da. Er trug keine Waffe, hatte aber Handschuhe mit eisernen Nägeln angezogen, die voll von dunklem Blut waren.

"Takeo! Was ist mit Madoka?"

"Sie lebt." Wie in einem Traum konnte sie Takeos Stimme gepresst antworten hören.

"Du musst sie hier fortbringen, Shido! Ich kümmere mich um Shigeru-sama!"

"Du bist verrückt! Lass uns fliehen! Sie sind überall!"

Madoka hustete qualvoll. Voller Erstaunen schaute sie auf das Blut hinab, dass sie gespuckt hatte. Ihr Kopf klärte sich langsam, aber dafür nahm der Schmerz zu.
 

Sie alle hörten plötzlich eine laute, männliche Stimme, die einen scharfen Befehl rief. In der darauf folgenden, schon beinahe gespenstische Stille, in welcher alle angstvoll die Luft anzuhalten schienen, ertönte das Peitschen von Dutzenden gespannter Bogensehnen, die annähernd gleichzeitig

losgelassen wurden. Ebenso viele brennende Pfeile flogen aus dem Dickicht rund um das Anwesen heran und schlugen auf dem Dach des Wohnhauses und dem des Stalles ein. Es hatte längere Zeit nicht geregnet, daher fing das aus Holzschindeln bestehende Dach sofort Feuer. Die Schreie waren auf einen Schlag wieder da - ungleich lauter als zuvor. Grellorangener Feuerschein tauchte den ganzen Hof in ein seltsames Licht. Dieser Eindruck wurde durch das vergossene Blut überall auf der Erde noch verstärkt.

"Verflucht! Sayan-sama ist noch da drin!"

Takeo sprang auf und wollte sofort loslaufen, als erneut dieser scharfe Befehl ertönte. Shido fiel seinem Freund in den Rücken und brachte ihn damit zu Fall. Eine neue Salve nachtschwarzer Pfeile jagte über sie dahin und schlug in Wänden und Dach des Anwesens ein, um dort sofort alles in Brand zu setzen.
 

Und dann konnten sie plötzlich Shigeru sehen. Eine dunkle Silhouette, hoch aufgerichtet und mit erhobenem Schwert, stand inmitten des Flammenmeeres, in welches sich der Eingangsbereich des Haupthauses verwandelt hatte. Jetzt erst konnte Madoka, die schweratmend und völlig erschöpft in Shidos Armen lag, erkennen, dass auch dieser Mann ein Samurai sein musste. Er gab eine äußerst beeindruckende Figur ab in seiner scharlachroten Rüstung und mit dem langen, schwarzen Haar, dass er, ähnlich wie Takeo, zu einem hohen Zopf gebunden trug.

Der Pfeilregen hörte abrupt auf und aus dem Dickicht trat ein wahrer Hüne von einem Mann hervor. Dabei war er nicht einmal sonderlich breit. Aber er musste an die zwei Meter messen. Er trug ein annähernd mannsgroßes, mächtiges Schwert. Sein Haar war schwarz wie die finsterste Nacht und er

hatte ein unheimliches, lauerndes Gesicht mit schmalen Augen und unzähligen Narben auf den bleichen Wangen.

"Der Wolf von Mibu...", flüsterte Shido - und sein Gesicht hatte auch noch das letzte bisschen Farbe verloren. Wie ein Echo auf seine Worte hörten sie nun Shigeru-samas Stimme: Laut, klar und ohne die geringsten Anzeichen von Beunruhigung oder gar Furcht.

"Saito Hajime. Ich hätte mir denken können, dass du es bist."

Der Angesprochene verzog den linken Mundwinkel zu etwas, das er wohl für ein verkniffenes Lächeln hielt.

"Shigeru. Es freut mich auch dich zu sehen - nach all der Zeit. Willst du nicht herüberkommen und mich willkommen heißen?"

Seine Stimme klang wie das Geräusch von rostigen Schrauben, die in ihrem alten Gewinde gedreht wurden: Rau, heiser, der Tonfall war unangenehm und schien direkt aus den Tiefen der Hölle zu kommen. Dennoch klang sie leicht amüsiert. Der "Wolf von Mibu" schien keine Antwort erwartet zu haben, denn er fuhr sogleich fort:

"So lange war ich dir auf den Fersen. So lange habe ich den Kopf der Widerstandsbewegung gesucht. Bis ich feststellen musste, dass es mein bester Freund war, der mir nun als Feind gegenüberstand. Und dann... habe ich dich verfolgt. Ich habe mir geschworen, dass ich dich in die Finger bekommen werde - und wenn es das Letzte sei was ich täte. Du solltest mir nicht entkommen. Und dann habe ich deinen... Schoßhund getroffen. Er führte mich hierher."

Er wandte nicht den Kopf. Er sah nicht zu ihnen hinüber. Aber Takeos Blut begann zu kochen. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Shido trat vorsichtshalber einen Schritt nach vorn und schräg vor ihn, damit er nicht etwas Unbedachtes tat. Es war klar, wen Saito meinte.

"Erbärmlich. Und ihn nennt man den "Roten Schatten"? Er ist der Nächste, den ich mir vornehmen werde."

"Bastard!", zischte Takeo wütend durch zusammengebissene Zähne. "Elender Bastard, ich werde..."

"... gar nichts tun!", vollendete Shido den Satz leise. "Du bist verletzt! Lass es sein!"

Shigeru blickte nun zu Takeo und den anderen hinüber. Als hätte er seine Gedanken gelesen oder seine Stimme bis auf den Hof gehört sagte er:

"Flieh, Takeo! Ich werde mich dieser Sache allein annehmen. Ich kenne ihn."

Ein abfälliges Geräusch kam über Saitos Lippen.

"Verlass dich nicht darauf, mein Freund. Viele Jahre sind vergangen. Und ich bin besser als je zuvor."

"Ich weiß.", antwortete der Samurai ruhig. "Ich habe davon gehört."

Saitos Augen begannen gefährlich zu leuchten.

"Genug geredet. Lassen wir Taten folgen. Um der guten alten Zeiten Willen lass ich dir den ersten Schritt."

Sein Kopf ruckte herum.

"Lasst sie nicht entkommen!" Er nickte in die Richtung, in welcher Takeo und die anderen standen. Unter die Männer, die immer noch hinter ihrem Anführer standen, jedoch zurückgeblieben waren, kam Bewegung. Erneut und sehr viel eindringlicher befahl Shigeru:

"Flieht! Bringt euch in Sicherheit!"

Takeo stand ganz ruhig da. Äußerlich war ihm nicht anzumerken, dass er in Wahrheit vor mühsam zurückgehaltenem Zorn bebte. Langsam reichte er die Zügel den Pferdes an Shido weiter. Er sah seinen Freund dabei nicht an, ließ den "Wolf von Mibu" nicht eine Sekunde aus den Augen.
 

Dies war er also. Saito Hajime. Hundertfacher Mörder im Auftrage der alten Regierung. Hier standen zwei Seiten eines Ganzen. Licht und Schatten, doch trotzdem gar nicht so verschieden. Voller Hass und Zorn aufeinander und auf die Welt, die Ihnen so übel mitgespielt, ihnen Freunde genommen und geliebte Menschen hatte sterben lassen. Und BEIDE waren nicht besser als der jeweils andere. BEIDE waren Mörder - eiskalt und gnadenlos. Und BEIDE wussten es...

Takeos Hände schlossen sich um die Griffe der beiden Kodachi-Schwerter an seinen Seiten.

"Geh. Bring das Mädchen in Sicherheit, Shido."

Shido, der Madoka soeben über den breiten Pferderücken gelegt hatte (sie war nun wirklich bewusstlos), schüttelte ungläubig den Kopf.

"Ich..."

"Geh! Ich wiederhole mich ungern!"

Shido sah man an, dass ihm das nicht schmeckte. Aber er schluckte hinunter, was er hatte sagen wollen, und schwang sich hinter Madoka auf das Pferd.

"Sturer, alter Hund..." murmelte er böse.

Als er das Tier antraben ließ drehte er sich nicht um, aber er konnte deutlich das Geräusch vieler Füße und Hufe hören, die sofort die Verfolgung aufnahmen. Aber sie kannten Shido nicht. Und vor allem: Sie kannten nicht den Teufel von einem Pferd, auf welchem er ritt.
 

Takeo machte sich keine Gedanken mehr um seinen Freund. Er würde entkommen. Mit Sicherheit.

Saito Hajime erwiderte nun seinen Blick. Eisiges Blau traf auf stahlhartes Grau.

Der "Wolf" grinste.

"Ich nehme es auch mit euch BEIDEN auf! Ich bin nicht wählerisch!"

"ICH bin dein Gegner, Hajime!", rief Shigeru plötzlich und schoss nach vorn, die blankgezogene Klinge direkt auf Saitos ungeschützte Kehle gerichtet. Beinahe spielerisch lenkte dieser den Schlag der Waffe mit seiner eigenen Klinge ab und brachte Shigeru damit aus dem Gleichgewicht. Als dieser an ihm vorbeitaumelte ließ er die Faust wuchtig in seinem Magen landen. Shigeru krümmte sich vor Schmerz und keuchte. Aber er dachte nicht daran zu Boden zu gehen. Täte er es, wäre er wahrscheinlich schon tot.

"Ich hätte mit dem Schwert zuschlagen können, Shigeru.", sagte Saito nun ruhig und mit einem Mal auch ohne jede Häme.

"Ich will dich nicht töten. Ich habe gesagt, dass ich dich in die Finger bekommen will, ja. Aber ich wollte dich niemals töten. Wenn du dich ergibst garantiere ich dir einen fairen Prozess. Du warst einmal mein Freund. Daher will ich dein Leben schonen."

"Wie... großmütig... von dir...", keuchte Shigeru und wische sich Blut aus dem Mundwinkel.

"Dann werde ich eben NACH dem "fairen Prozess" getötet. Wo liegt der Unterschied?"

Hajime kam ganz nah an ihn heran.

"Ganz einfach. Dann werde nicht ICH es sein, der dich tötet."
 

"Und ICH würde sagen, dass wir hier ein klassisches Patt haben.", erklang Takeos Stimme hinter Saito. Dieser drehte sich nicht herum. Das brauchte er nicht. Das lodernde Feuer hinter ihnen warf den Schatten der zwei scherenförmig an seinem Nacken liegenden Kodachi-Schwerter deutlich vor ihm auf Shigerus Gesicht und Kleidung. Ein schmales, süffisantes Lächeln glitt über seine Züge.

"Du hast einen Fehler gemacht, Saito. Lasse nie deinen Gegner aus den Augen!", zischte Takeo gepresst. Saito bewegte den Schwertarm.

"DENK nicht mal dran!", sagte Takeo grob. Die Schneiden berührten bereits die Haut des großen Mannes und ein einzelner Blutstropfen lief daran herunter, fing das Licht des flackernden Feuers ein.

"Du bist zu LANGSAM, Schoßhündchen!"

Und schneller als für das Auge erkennbar fuhr er in einer einzigen Bewegung zurück und herum, führte mit der rechten Hand einen täuschenden Schlag mit seinem Schwert aus, mit welchem er auch die Kodachi abwehrte, und stieß gleichzeitig mit der linken von schräg unten einen kleinen, blitzenden Dolch in Takeos Unterleib!

Der junge Samurai taumelte.

Eher überrascht und verblüfft als wirklich vor Schmerz keuchte er und krümmte sich erschrocken. Noch nie zuvor hatte jemand so seine Deckung durchbrochen! Noch nie zuvor war er so verletzt worden! Von Pfeilen und aus der Ferne, ja, aber niemals im Nahkampf! Er war ein begnadeter

Schwertkämpfer - vielleicht einer der besten die es zur Zeit gab. Und dann das! Wie konnte das passieren? WER zum Teufel war dieser "Wolf von Mibu" überhaupt? Er war UNGLAUBLICH schnell!

Saito stand mit erhobenem Schwert über ihm.

Doch dann war Shigeru da.

Er warf sich auf den hünenhaften Mann und riss ihn mit sich zu Boden. Der um sie aufsteigende Staub, und das verwirrende Spiel von Licht und Schatten auf dem von Flammen nun beinahe umschlossenen Hof, machten es Takeo unmöglich mehr als wirbelnde Gliedmaßen und blitzende Klingen wahrzunehmen. Wenn er überhaupt eine Chance hatte ungesehen zu fliehen, dann jetzt. Aber er wäre nicht Takeo gewesen, hätte er dies getan. Er stand da, eine Hand auf die Wunde gepresst und in der anderen locker sein Schwert, und wartete ab, wann er die Gelegenheit bekam, dazwischen zu gehen.

Wind kam auf. Glühende Funken wurden über den Hof und hinüber zum Dickicht getragen, der einzigen Seite vom Anwesen, die noch nicht in Flammen stand.
 

Und dort...

Takeo bemühte sich, nicht zu auffällig hinüberzusehen. Er presste die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und versuchte mehr als den Schatten auszumachen, der sich als deutlicher Umriss vor dem noch dunkleren Hintergrund abzeichnete.

Eindeutig. Da stand jemand und beobachtete sie. Und wer wusste wie lange schon.

Als wäre das alles noch nicht merkwürdig genug, trat die Gestalt nun in das flackernde, rote Licht des Feuers und...

Takeo erstarrte.

Er hatte von den Legenden gehört, die sich um diesen Wald rankten. Legenden, die man Kindern erzählte, damit sie nicht zu weit von den gekennzeichneten Wegen abkamen und genügend Respekt vor dem Unbekannten zeigten. Gerüchte von Dämonen, Hexen und bösen, dunklen Wesen der Nacht.

Aber das waren GESCHICHTEN. Erfunden. Nicht wahr.

Doch die Gestalt, die nun hoch aufgerichtet und vollkommen ruhig am Waldrand stand war WIRKLICHKEIT!

Der Wind fuhr durch langes, weißes, seidig schimmerndes Haar, das ihm bis zu den Kniekehlen reichte. Ein langes, rotes Gewand umhüllte einen Körper, der durchaus menschlich und ziemlich muskulös zu sein schien. Die nackten Füße und auch die Hände, die leicht geöffnet an seinen Seiten hingen, trugen keine Nägel, sondern Krallen. Das Gesicht... Takeo hatte nie zuvor solch ein Gesicht gesehen. Auf den ersten Blick auch dies menschlich, so war der Ausdruck in den bernsteingelben Augen... der eines Raubtieres: Lauernd, aufmerksam und gefährlich. Aber das absolut Verblüffendste an der Gestalt waren die Ohren. Es waren die weißen Ohren eines Wolfes oder Hundes. Nervös zuckten sie hin und her. Nichts schien ihnen zu entgehen.

Takeo war so entgeistert in die Betrachtung des Wesens versunken, dass er nicht merkte, dass der Kampf hinter ihm nun zum Höhepunkt kam. Die Schreie seines Mentors Shigeru - verzweifelt und voller Pein - rissen ihn abrupt in die Wirklichkeit zurück.

Takeo blinzelte.

Vielleicht war er einer vorübergehenden Sinnestäuschung unterlegen. Aber die Tatsache, dass Shigeru starb war Realität. Er verschwendete nicht einen weiteren Gedanken an die seltsame Gestalt am Waldrand, fuhr herum und wollte auf die zwei Kontrahenten zustürzen - Shigeru lag nun über und über mit Blut bedeckt am Boden und Saito führte soeben den letzten, vernichtenden

Schwertstreich - als Takeo sich plötzlich mitten in der Bewegung an der Schulter gepackt und herumgerissen fühlte. Leichtfüßig, schnell und vollkommen lautlos war der Hundedämon hinter ihm aufgetaucht und verhinderte, dass er in seinen sicheren Tod lief.

"Bist du wahnsinnig? Er wird dich töten, du Narr! Du bist verwundet und zu schwach ihn zu stellen!", zischte eine Stimme dicht an seinem Ohr.

"Los, folge mir! Schnell!"

"Den TEUFEL werd ich tun!", Takeo, nicht minder erbost, riss sich los und wollte weiterlaufen - aber zu spät, viel zu spät. In einer furchtbaren letzten Sekunde sah er Shigerus Blick direkt auf sich gerichtet - einen verzeihungsheischenden Ausdruck im Gesicht - dann sauste Saitos blitzende Klinge in einem perfekten Halbkreis herab. In letzter Sekunde drehte der "Wolf von Mibu" seine Waffe und Shigeru wurde mit voller Wucht mit der Breitseite des Schwertes an der Schläfe getroffen. Er war sofort bewusstlos.

Takeo riss sein eigenes Schwert mit einem Wutschrei in die Höhe und stürmte wie ein Besessener furchtlos auf den hünenhaften Krieger zu. Er ignorierte den reißenden Schmerz in seinem Unterleib. Sein Herr! Der "Wolf" hatte seinen Herren und Freund geschlagen!

Saito sah ihm gelassen entgegen. Seine Klinge war dunkel von Blut. In seinem Zustand hatte Takeo nicht die Nerven, über eventuelle Finten oder Winkelzüge des Gegners nachzudenken. Er bevorzugte den gradlinigen Kampf. Saito allerdings weniger... Er war bekannt für seine etwaige Heimtücke und

Listigkeit.
 

Und scheinbar hatte sich das auch bis zu einem Hundedämon herumgesprochen. Dies, oder ein völlig anderer, bislang im Dunkeln liegender Grund, ließen den weißhaarigen Fremden nun handeln. Ein roter Schemen wischte rechts an Takeo vorbei (und er lief beileibe nicht langsam! Waren denn heute alle Menschen - Menschen? - schneller als er?) und sprang!

Der "Wolf von Mibu" mochte noch so listenreich sein - aber DAMIT hatte er nicht gerechnet.

Der Dämon prallte mit einem wilden Schrei auf seinen Gegner und ging mit ihm zu Boden. Direkt neben dem bewusstlosen Shigeru nagelte er den verblüfften Riesen förmlich an der Erde fest und zog seine langen Krallen über seinen Körper, seine Kleidung, sein Gesicht.

Und so unfassbar das auch war: In Hajime Saitos Augen glomm Erkennen auf! Der Mann KANNTE seinen Gegner!

"Du?", flüsterte er heiser. Und dann, lauter, wilder, wütender: "Du schon wieder! Ich werde dich töten!"

Er wollte sich unter dem langen, schlanken Leib, der auf ihm hockte, aufbäumen - aber dieser gegenüber Saito so schmal aussehende Hundedämon in der Tarnung eines menschlichen Körpers schien unglaubliche Kräfte zu besitzen, denn er konnte sich nicht aus dessen Griff befreien.

Der Dämon lachte. Böse und voller Verachtung.

"Saito! Noch ein paar Narben mehr? Kein Problem!"

Und erneut schossen die erbarmungslosen Krallen vor und zogen blutige Spuren über das Gesicht des Kriegers. Mit diesen Klauen hätte er nicht einmal Mühe gehabt, seine Kehle aufzuschlitzen. Saito stöhnte. Aber er kauerte sich nicht zusammen. Er schloss nicht die Augen. Er biss die Zähne zusammen und schlug die Arme des Dämons zurück wo er nur konnte. Ein wildes Handgemenge entstand. Aber der Hundedämon gewann. Saitos Kopf fiel nach einem besonders heftigen Hieb zurück und schlug hart auf dem Boden auf. Er teilte das Schicksal Shigerus und verlor das Bewusstsein.

Der Hundedämon war von einer Sekunde zur anderen an Takeos Seite, der immer noch nicht fassen konnte, was er da gerade gesehen hatte. Er hätte gelacht, wenn die Situation nicht so bitter ernst gewesen wäre. Da hockte eben ein Mensch mit Hundeohren auf einem ihn um beinahe drei Köpfe überragenden Gegner und schlug wie eine räudige Katze unablässig fauchend auf sein Gesicht

ein.

Takeo war... irritiert. Gelinde ausgedrückt.

"Kommst du nun mit, oder was?", fragte das Wesen neben ihm ungehalten.

"Oder muss ich dich vielleicht auch erst bewusstlos prügeln? Deine Freunde haben mich... gebeten, dich zu holen..."

Takeo erwiderte den Blick des Halbdämons das erste Mal direkt. Er hatte das Gefühl, dass diese Augen bis auf den Grund seiner Seele blicken konnten. Alles, was eben noch seltsam und vielleicht sogar belustigend ausgesehen hatte, dieses Katzenhafte, war verschwunden und vor Takeo stand wieder dieser unnahbare, gefährliche Fremde, den er zuvor am Waldrand stehen sehen hatte.

"Du weißt, wo Shido-san ist?", fragte er.

"Heißt er so?", antwortete der andere mit einer Gegenfrage. "Ja, ich weiß wo er ist."

Er stapfte an ihm vorbei und wollte schon im Wald verschwinden, als er wie gestochen zu Takeo herumfuhr und ihn unvermittelt anbrüllte:

"Was glotzt du so?"

Takeo, der tatsächlich unablässig auf die seltsamen Ohren des Wesens gestarrt hatte, blinzelte ertappt.

"Wie? Ich...", er verhaspelte sich und musste neu ansetzen. Noch nie in seinem Leben war er so verwirrt gewesen.

"Wer bist du? WAS bist du?"

Der Halbdämon seufzte und verdrehte die Augen.

"Kann ich dir das unterwegs erklären? Der Alte regt sich bereits wieder."

Takeo sah zurück auf den immer noch hellerleuchteten Platz. Ein Bild des Chaos und der Gewalt. Überall lagen tote Menschen in ihrem Blut. Doch eine der Gestalten, Saito Hajime, begann sich langsam wieder aufzurichten. Dann waren Stimmen zu hören. Viele Stimmen, die sich von Ferne zu nähern schienen und die scharfe Befehle brüllten. Die Verstärkung der Shinsengumi musste jede Minute hier sein. Saito bewegte sich mühsam auf den am Boden liegenden Shigeru zu. Er band dem Bewusstlosen die Hände auf den Rücken.
 

Der junge Samurai stellte keine weiteren Fragen. In einem Punkt musste er dem Halbdämon Recht geben. Er WAR verletzt und geschwächt. Und jetzt, wo der erste Schreck nachließ, da konnte er beinahe spüren, wie mit jedem Tropfen Blut, den er verlor, die Kraft aus ihm wich.

"Es tut mir leid, Sayan-sama...", flüsterte er traurig.

Er folgte seinem unfreiwilligen Begleiter in den Wald, doch schon nach den ersten paar Schritten verließen ihn endgültig die Kräfte, und er brach zusammen. Nun war es der Halbdämon der fluchte.

"Verdammt, reiß dich zusammen, Mann!"

Aber Takeo antwortete nicht mehr. Geschwächt und völlig am Ende seiner Kräfte, hatte nun auch er gnädigerweise das Bewusstsein verloren. Yasha seufzte schicksalsergeben. Er warf das lange Haar zurück und hob den leblosen Körper auf seine Arme.

"Ist denn heute der Tag der Bewusstlosen? Die Glücklichen...", grollte er.

Dann verschmolz seine Gestalt mit den Schatten in der frühen Dämmerung des Waldes, so schnell war er verschwunden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Schalmali
2007-03-19T12:37:54+00:00 19.03.2007 13:37
Ah jetzt kommt mein Lieblingsheld in die Geschichte und was ohnehin schon spannend war wird für mich noch spannender hehe. Madoka die arme... in andere Zeit und gleich schwer angeschossen *seufz* Ist Inuyasha deswegen Takeo zu Hilfe geilt? Weil Madoka ihn Kagome erinnerte oder so? Naja keine Ahnung ist mir alles noch etwas rätselhaft wie Inuyasha jetzt dort reinpasst aber das werd ich schon noch sehen :)
Von:  Rogue37
2006-05-02T22:01:53+00:00 03.05.2006 00:01
Yasha, nein, wie lustig. kann mir wirklich vorstellen, wie so ein Hunddeämon (gut, ein halber ^^) auf einen waschechten Samurai wirken muss. armer TAkeo. Was ist mit Madoka? mei ,was für ein Schock. Ihre Wahrnehmung der Verletzung war gut geschildert.


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