Die Weiße Schlange von MorgainePendragon ================================================================================ Kapitel 2: Eine schwarze Seele ------------------------------ Das Land war in Aufruhr. Der Umbruch war nicht mehr aufzuhalten. Das alte, vorherrschende System der Shogunate begann zu zerfallen und mehr und mehr von innen heraus zerstört zu werden. Abgelöst wurde das herkömmliche System der Kasten durch die sogenannte Restauration: Die Meiji-Ära hatte begonnen. Und mit ihr kamen die Besatzer, Ausländer, allen voran die Briten. Und die Attentäter. Zahlreiche heimatlose Samurai, früher einer starken und ehrenhaften Kriegerklasse angehörig, streiften nun ziel- und heimatlos durch das Land. Das Recht, Waffen zu tragen war ihnen per Gesetz verboten worden. Und dennoch - und gerade auch deshalb - gab es unter ihnen welche, die sich von der neuen Regierung anheuern ließen, um die Restauration voranzutreiben. Auf der anderen Seite gab es natürlich auch ehemalige Schwertkämpfer, die sich auf die Seite des Shogun stellten, um gegen die Restauration vorzugehen. Viele kamen freiwillig, weil sie Geld brauchten und überleben wollten. Aber manche wurden auch gezwungen. Zum Beispiel indem man ihre Familien als Geiseln hielt. Yamazaki Takeo war noch sehr jung gewesen, als all diese Unruhen begannen. Gerade einmal zwölf Jahre alt hatte er mit ansehen müssen, wie man seine Familie, Vater, Mutter und auch seine zwei jüngeren Schwestern, brutal vor seinen Augen schändete und umbrachte. Seinen älteren Bruder, Mamoru, verlor er damals aus den Augen in der Annahme, er sei ebenfalls umgekommen. Ein grausames Schicksal wollte es, dass sich die beiden Geschwister sehr viel später wiederbegegneten - als Feinde - was Takeo sich zuvor niemals hätte vorstellen können. Kleine Scharmützel zerrissen das Land und ließen es praktisch ausbluten. Wenn man Takeo heute fragte wie er damals der Hölle in seinem Dorf entkommen konnte, dann wusste er hierauf keine eindeutige Antwort. Das nächste, was er bewusst wahrgenommen hatte war, dass er ein Pferd stahl und blindlings geflohen war. In einem Vorort der heutigen Stadt Kyoto hatte er die alte Mähre zuschanden geritten und diese war zusammengebrochen, hatte das Kind unter sich begraben. Doch Takeo wurde gerettet. Der damals schon steinalt wirkende Muto Koji, ein außergewöhnlicher Veteran in der Kunst des klassischen Kendo, der einen bekannten Dojo führte und zahlreiche zu dieser Zeit namhafte Schwertkämpfer ausgebildet hatte, fand den Jungen und das tote Pferd, als er die Stadt gemeinsam mit seiner Frau verlassen wollte. Selbst vor der alten Kaiserstadt machten die Aufrührer und Plünderer nicht Halt. An zahlreichen Stellen brannte es und vor dem dunklen Nachthimmel wirkten die Flammen beinahe blutrot. So blutrot, wie das Haar des Kindes, das Muto Koji nun in seinen Armen geborgen forttrug. Fort von der Stadt, in der er sein gesamtes Leben verbracht hatte und in welcher er Herz und Seele an jenem Tag zurückließ. Takeo war bei den Mutos aufgewachsen, die in einer einsamen Hütte in den Wäldern rund um Kyoto Schutz gesucht und gefunden hatten. Er wurde zu einem begnadeten Schwertkämpfer, unterrichtet vom Meister persönlich. Doch so abgeschieden die Hütte auch lag, der Bürgerkrieg ging auch hier nicht spurlos vorüber. Ein berittener Tross der Shinsengumi, der Samurai-Schutztruppe des Shogun, welche die konservative Seite vertrat und mit brutalsten Mitteln gegen die Restauration kämpfte, hatte sich eines Tages ausgerechnet die Lichtung als Rastplatz ausersehen, auf welcher die Mutos zu jener Zeit völlig zurückgezogen lebten. Takeo hatte im Wald trainiert und plötzlich schwarzen Rauch über den Bäumen dahinziehen sehen, ein düsteres Omen in einer noch dunkleren Zeit. Als er zum Haus zurücklief sah er gerade noch, wie die letzten Reiter die Lichtung verließen. Die Hütte brannte lichterloh. Und vor dem Eingang lagen die bis zur Unkenntlichkeit zerrissenen Leichen von Muto Koji und seiner Frau - Takeos Zieheltern. Die Shinsengumi hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass sie die kleine Familie für Sympathisanten der Revolution hielten. Ein mit Blut geschriebenes Blatt, dem alten Schwertmeister mit einem Messer in die Brust genagelt, kündete davon, dass die hier "hingerichteten" Menschen Verräter und Volksverhetzer seien. Von da an wandelte sich das Leben des zuvor so sanftmütigen und liebenswerten jungen Mannes vollkommen. Er sann auf Rache und schloss sich den Revolutionären an, um für sie als Auftragskiller zu arbeiten und zu einem der namhaftesten Ninja-Kämpfer zu werden, die zu jener Zeit gelebt hatten. Doch zugleich verlernte er es zu lachen, wurde zu einem eiskalten und gnadenlosen Mann. Unter der Hand sagte man sich, dass der "Rote Schatten", wie man Takeo nun nannte, ein erbarmungsloser und lautloser Mörder war, der selbst vor Frauen und Kindern nicht Halt machte, wenn es ihm aufgetragen wurde sie zu töten. Und er solle ein unglaubliches Talent dafür haben, sich beinahe unsichtbar zu machen und seine Opfer völlig überraschend zu stellen, sodass an Gegenwehr überhaupt nicht mehr zu denken war. Vor und auch nach ihm gab es immer wieder berüchtigte Attentäter, aber er war zu seiner Zeit der gefürchtetste. Dieser Mann, der den Tod unter die Anhänger des alten Systems brachte, hätte niemals auch nur entfernt daran gedacht, dass er in seinem Leben noch einmal etwas anderes tun würde, als für andere zu töten. Er hätte wahrscheinlich bis zu seinem Ende Rache an im Grunde Unschuldigen genommen. Doch etwas sollte sein Leben erneut - und dieses Mal sehr nachhaltig - verändern. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)