Zum Inhalt der Seite

Dunkle Nächte

Wenn das Schicksal zuschlägt...
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel ist stark überarbeitet worden. Es ist von der Handlung gleich geblieben, doch es hat nun über 700 Worte mehr. Ich habe versucht, die Reaktionen der Figuren etwas Verständlicher zu machen und teilweise die Dialoge geändert. Diese Überarbeitung ist deutlich tiefgreifender, als die bisherigen und ich habe versucht, das Kapitel mehr an die neuen anzupassen.
Ebenso versuche ich hier zwei Dinge deutlich zu machen. Mokuba ist ein Teenager. Er versteht manchmal selbst nicht, was er empfindet und er weiß nicht, wie er mit der Situation mit Seto umgehen soll. Seto hingegen hat durch seine Vergangenheit mit Gozaburo selbst eine innere Kälte entwickelt, die ihn zu einem sehr grausamen Mann macht. Sie wird euch im Laufe der Geschichte noch ein paar Mal begegnen. Sie gehört leider zum Grundkonzept meines Setos dazu.
Ich habe versucht, so viel wie möglich vom alten Kapitel zu erhalten, damit es weiter in die Geschichte passt. Das Frühstück habe ich allerdings gegen ein Japanisches ausgetauscht. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
An dieser Stelle möchte ich mich für die lieben Kommentare bedanken! Ich freue mich über jedes und lese sie mir gerne immer einmal wieder durch! :)

Wie euch vielleicht aufgefallen ist, überarbeitet ich gerade auch die alten Kapitel noch einmal und versuche die Fehler heraus zu nehmen oder Situationen feiner zu gestalten oder der Geschichte anzupassen. Da ich aus der Generation der "fliegenden Rechtschreibung" komme, kann es gut angehen, dass meine Wahl teilweise etwas veraltet ist. Aber seit ich das Schreiben gelernt habe, sind sicher vier bis sieben neue Reformen und Überarbeitungen in Kraft gesetzt worden.
Ich empfehle euch das zweite Kapitel noch einmal zu lesen, dass hat eine vollständige Änderung erhalten und ist nun deutlich realistischer gehalten. Die anderen Kapitel sind nur mit kleineren Änderungen versehen, die allerdings keinen großen Einfluss nehmen.
Und ja, offensichtlich ist mir entgangene, dass Seto Kaiba im ersten Kapitel Geburtstag hatte! Daher habe ich das im letzten noch einmal aufgegriffen.

Nun aber viel Spaß beim Lesen dieses hoffentlich etwas kürzeren Kapitel. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ein netter Kaiba, ja, das wäre noch etwas. Aber keine Sorge, so einfach gibt die dunkle Seite in ihm nicht auf, auch wenn es ihr in diesem Kapitel sehr schwer gemacht wird. Hier dürft ihr noch einmal nach Herzenslust lachen und freudig sein, bevor wir wieder dem Drama wieder näher kommen. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel sollte bis zum Abend dauern, aber ich wollte die Szenen noch etwas tiefer ausschreiben und habe es daher geteilt.
Ich wünsche viel Spaß bei diesem "dankbaren Geste", die Seto seinem "neuen Freund" zukommen lässt. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Liebe kuschelmietz,
Seto Kaiba wird nicht von ein bisschen Widerstand weich und lieb und seine grausame Seite ist noch deutlich grausamer, als das letzte Kapitel vermuten lässt. Aber ich gebe zu bedenken, dass auch er nette, freundliche Seiten hat. :)

Liebe Lunata79,
wie gesagt, auch er hat weiche Seiten und sein Ziel ist ja Joeys "Vernichtung". Außerdem ist Joey viel zu lieb und nett um wie Gozaburo zu werden. Dir wird dieses Kapitel siche rgut gefallen. ;)

Liebe (?) Onlyknow3,
wir wollen doch aber nicht vergessen, dass zwischen Brüdern und einem Straßenköter ein großer Unterschied liegt! Das würde jetzt der gute Seto zur Verteidigung sagen. XD

Ich wünsche euch allen viel Spaß beim Lesen und Joey hat sich natürlich als nächsten Schritt etwas Herzerwärmendes ausgedacht, was ihn in Kapitel 19 in dezente Schwierigkeiten bringen wird. Aber dass kommt im nächsten Kapitel drann. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Und es geht in die Nächste Runde! ;)

Liebe(r) Onlyknow3,
ja, Seto ist böse und gemein und es schert ihn nicht unbedingt, ob sein Handeln richtig ist. Allerdings gehört der Gute auch nicht zu den Menschen, die nur böse und gemein sind. Er hat einen guten Teil! Vielleicht ist der ein bisschen versteckter… gut, sehr tief und sehr gut in seinem kleinen Herzchen versteckt, aber er ist da! 

Liebe Lunata79,
wie fies Seto auch immer ist, er hält sein Wort und wenn er etwas verspricht, dann setzt er es Zähneknirschend um. Ich kann dir aber sagen, dass ein Joey Wheeler aus so festem Holz geschnitzt ist, dass der nicht einfach aufgibt! :D


Ich wünsche euch viel Spaß bei diesem Kapitel und vielleicht wird auch deutlich, warum Joey den Stick mitgenommen hat. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Leider lässt mir mein Studium nicht mher so viel Zeit zum Schreiben und es könnte jetzt wieder länger dauern, bis das nächste Kapitel kommt.

Liebe(r) Onlyknow3,

ja, auch er hat sanfte Seiten und manchmal braucht man Mandel-Krokant-Schokoladentörchen dafür! ;)

Libe Lunata79,

ach quatsch, Seto leugnet nur seine gute Seite! Aber wer hat schon eine Chance gegen honigbraune Augen? Machen wir uns weiter auf die Suche nach den guten Seiten von setos Seele. :D

Liebe Taiet-Fiona-Dai,

bei mir ist er wirklich etwas sensibel und vielleicht auch etwas zu unwissend. Er unterschätzt sich allerdings selbst sehr gerne und seine Sorge um Serenity hat ihn auch ein Stück weit verändert. Seine große Klappe wird er aber nie verlieren!

Dann wünsche ich euch viel Spaß mit dem nächsten Kapitel! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Die Vorlesungszeit meines Semesters ist beinahe um und nun kommt es auch wieder zu regelmäßigen Uploads. Die Tage soll es noch ein schönes, neues Bild geben.

Ich muss euch leider sagen, dass Joeys Glück nicht all zu lange hält. Setos gute Seite ist leider doch deutlich kleiner, als seine böse und er lässt sich da doch etwas zu sehr von seinem besten Freund beeinflussen.

Dennoch viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Guten Morgen!

Ja, als Pause zwischen dem Lernen für die letzte Klausur gibt es ein weiteres Kapitel. Es ist an einigen Stellen noch nicht ganz so fein ausformuliert, aber ich will auch nicht zu sehr in die Tiefe gehen. Wir haben immerhin noch nicht einmal die ersten zwei Wochen geschafft und es werden noch deutlich mehr.
Als keiner Spoiler vorweg, es wird wahrscheinlich einen zweiten Teil geben, weil die Geschichte einfach zu lang wird. Also keine Fortsetzung, sondern nur Teil zwei. Da wir ein Drama sind, lautet der momentane Arbeitstitel "Schwarze Jahre".

Hi Onlyknow,

Setos Ziel ist es noch immer, dass Joey nach dieser Wette nie wieder auch nur ein böses oder aufmüpfiges Wort gegen ihn sagt. Anders ausgedrückt, er vesucht Joey zu brechen. An dem jetzt folgenden Kapitel ist vielleicht schon der weitere Verlauf ersichtlich, der seine Steigerung und den ersten großen Höhepunkt in der Reise nach Dubai findet.
Ach ja, eventuell erfährt Joey davon, allerdings frühestens im letzten Drittel des zweiten Teiles und da wird es ihm völlig egal sein. XD

INFO:

Ich will Donnerstag und Freitag in einem Kapitel zusammen legen und das komplette Wochenende auch. Allerdings sollten sie auch nicht länger als die bisherigen weren. Q.Q Große Herausforderung. Geplant ist die Reise in Kapitel 25, die dann auch ausführlich ausgearbeitet wird.

Viel spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Liebe Leserinnen und Leser,

ich habe gar nicht bemerkt, wie sich die Zeit zog. Nun ist das nächste Semester beinahe um und ich habe es erst heute geschaffte, dass nächste Kapitel fertig zu stellen.
Ich habe den Freitag sehr, sehr gekürzt und ich versuche auch die beiden kommenden Tage nicht ganz so ausschweifend werden zu lassen. Immerhin geht es nur um die Vorstellung einer jungen Dame und einer anderen, kleinen... "Nebensächlichkeit", die uns mit Spannung zum Montag bringt, an dem endlich die Reise nach Dubai beginnt.

Viel Spaß beim Lesen!

Euer Traumfänger Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Nun sind es doch zwei Kapitel geworden. Ich werde mich dem Sonntag noch einmal widmen und dann kommen wir endlich zum Montag, dem Beginn der Reise! :D

Viel Spaß beim Lesen!

Gruß
Traumfänger Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Frohe Ostern!

Nach Jahren geht es endlich weiter! Die Geschichte wird noch weiter geschrieben und die bisherigen Kapitel überarbeitet.

Ich hoffe, dass ihr diese Geschichte nicht ganz vergessen habt.

Liebe Grüße Traumfänger Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Meine Lieben,

es ist endlich so weit. Das nächste Kapitel ist online!

Da immer wieder auch englische Sätze darin vor kommen, war es ein ziemlicher Aufwand bei Word. Sollten irgendwelche Probleme durch die Sprache auftreten, sagt mir doch bitte Bescheid.

Und nun wünsche ich viel Spaß bei dem nächsten Kapitel!

Liebe Grüße
eure Traumfänger Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Qualvolle Nacht!

Dunkle Nächte
 

Kapitel 1

Qualvolle Nacht
 

Ein kalter Wind strich um die Ecken und ließ die wenigen trockenen Blätter an den Bäumen rascheln. Die Nacht hatte sich schon seit einigen Stunden über die Stadt Domino gelegt und nun waren auch noch die letzten Sonnenstrahlen vertrieben. Der Mond wurde von schweren, schwarzen Wolken verdeckt, die sich über den ganzen Himmel erstreckten und kein Fünkchen Licht durch die Wolkendecke ließen.

In solchen grauen Nächten blieb man am besten zu Hause oder nahm den kürzesten Weg in sein vertrautes Heim. Was in solchen Nächten geschah, konnte ein ganzes Leben verändern. In dieser Finsternis ging das Schicksal umher und griff sich diejenigen, die es wagten, sich dagegen aufzulehnen. Menschen, die immer noch glaubten, sie könnten ihres eigenen Schicksals Schmied sein.
 

Nur noch lichtscheues Gesindel trieb sich nun auf den Straßen herum und drückte sich in die Schatten der schwarzen Nacht. Schatten, die in alle Ecken hinein drangen und alles verschlangen, was sich darin zu verstecken versuchte. Nur einer schien dem, was um ihn herum geschah, nichts beizumessen.
 

Der brünette, junge Mann schritt ohne auf seine Umgebung zu achten seinen Weg durch diese unheimliche Dunkelheit. Sein dunkelblauer Mantel flatterte im leichten Wind und das Geräusch seiner festen Schritte hallte von den Wänden der alten Häuserfronten wider. Seine eisblauen Augen blickten ins Leere, während er mit leicht gesenktem Kopf die Straße entlang ging.
 

Es war wieder einer dieser Tage gewesen, an denen der junge Mann erst zu spät gemerkt hatte, dass er am besten gar nicht aus dem Haus gegangen wäre. Heute hatte es nur Ärger gegeben, den ganzen Tag über.

Zuerst hatte dieser Stümper von einem Sekretär seinen heißen, schwarzen Kaffee über alle Akten gekippt. Beim Rettungsversuch der einzelnen Blätter aus der Brühe fand er auch noch heraus, dass er einen wichtigen Termin in Osaka verpasste. Sein Sekretär hatte ihm nicht mitgeteilt, dass der Termin um drei Tage vorverlegt wurde und trotz eines sofortigen Anrufes war der Vertrag bereits mit einem anderen Unternehmen geschlossen worden. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, schaffte es ein völlig unfähiger Autofahrer vor gut 20 Minuten beim Abbiegen in seine schwarze Limousine zu krachen. Diese war nun gänzlich fahrunfähig und mit den Nerven am Ende, ließ er Roland dieses Desaster klären. Er ging zu Fuß nach Hause. Dunkelheit und kalte Nachtluft waren genau das Richtige nach so einem grauenvollen Tag! Mit einem Seufzen fuhr er sich gedankenverloren durch die kurzen Haare. Bis der Ersatzwagen vor Ort gewesen wäre, hatte es der Firmenchef auch zu Fuß geschafft. Die Nachricht von seinem Bruder war ihm fast entfallen. Der Kleine hatte sich angewöhnt, in einer drei Sätze langen E-Mail von seinem Fortbleiben zu berichten. Bei der Länge waren schon die Anrede und die Verabschiedungszeile mit eingerechnet.
 

So würde zumindest niemand meckern, wenn er einmal mehr erst spät in der Nacht nach Hause kam. Das Personal hatte er gut genug erzogen, damit sie nicht einen Gedanken daran verlören und Mokuba hatte sich irgendwo hin abgesetzt und würde nicht vor dem nächsten Mittag zurückkommen.
 

Erneut seufzte er und sein Blick fiel auf die leere Straße. Dieser Trost war nun wirklich zu gering, um weiter über ihn nachzudenken. Mit einer gewissen Frustration malte er sich sarkastisch aus, was in den letzten anderthalb Stunden noch passieren könnte. Nach Ablauf dieser Frist war der Tag beendet.

Wahrscheinlich würde ihm noch ein weiterer „Zwischenfall“ gänzlich die Nerven rauben. Erst ein leises Stöhnen, eine Art Wimmern, holte ihn wieder in die Realität zurück. Verwundert blieb er stehen und suchte mit seinen kalten Augen nach dem Grund dieses Geräusches. Erst jetzt bemerkte er, in welch heruntergekommener Gegend er gelandet war. Die dunklen Straßen mit ihren löchrigen Asphaltdecken waren leer und verlassen, selbst das übliche Gesindel, das man in solchen Gegenden antraf, ließe sich heute Nacht nicht blicken. Die Häuserfronten zu beiden Seiten waren verweist und aus vielen Wänden hatte man Steine herausgebrochen. Das Glas der großen Fenster war teilweise vollständig zerbrochen und einige waren sogar ausgehängt. Früher war er diesen Weg öfter gegangen. Es hatte ihm geholfen, wenigstens kurz den Kopf abzuschalten. Dass diese Gegend jedoch so erheblich abgestürzt war, kam in seinen Erinnerungen nicht vor. Warum befanden sich die schlechtesten Stadtteile immer in der Nähe der gut situierten? Einen Müllberg setzte doch auch keiner neben ein Einkaufszentrum.
 

Das Geräusch kam aus einer der kleinen Seitenstraßen, die tief im Mauerwerk der Häuserfronten wie finstere Mäuler versunken waren. Langsam beschleunigte er seine Schritte wieder, ohne es wirklich bewusste zu bemerken, und steuerte direkt auf die kleine Gasse zu. Er wusste nicht, was ihn dort erwarten würde. Grauenhafterweise gab es da nicht sehr viele Möglichkeiten und die Wahrscheinlichkeit, auf einen dieser betrunkenen Straßenstreuner zu treffen, war entschieden zu groß.

Doch die Dunkelheit der kleinen Gasse war so tief, dass er zuerst wieder zurückweichen musste. Sie war geschätzt nur zwei bis drei Meter breit und die hohen Häuserwände ließen sie in einer tiefen Dunkelheit versinken.
 

Es dauerte einige Sekunden bis sich seine Augen an diese Finsternis gewöhnt hatten. Langsam erkannte er eine in sich zusammen gesunkene Person, die zu Füßen der Mauern saß. Im Näherkommen wurde ein heller, vielleicht blonder Schopf erkennbar. Auch die Jacke schien stark zerschlissen, wirkte matt grau. Mit dem Rücken an die kalten Steine gelehnt, den Kopf tief auf die Brust gesunken und die Beine leicht angewinkelt, saß der junge Mann auf dem Boden. Von ihm kam das klägliche Stöhnen, welches den Brünetten aus seinen Gedanken gerissen hatte.

Vorsichtig machte Kaiba einen Schritt auf den Zusammengesunkenen zu. In ihm keimte ein schrecklicher Verdacht auf. Er kannte nur einen Menschen, der solch eine alte, zerschlissene Jacke trug und eine so blonde Haarfrisur hatte, dass sie sogar in dieser Dunkelheit zu erkennen war.
 

„Wheeler.“ Der Brünette konnte selbst nicht sagen, warum er so überrascht war. Mit einem ernsten Blick schaute er auf den Blonden herunter. Es war doch nur dieser temperamentvolle Straßenköter Wheeler, der ihm einmal mehr den Tag zu verderben drohte. Damit hatte er dann wohl seine Antwort gefunden. Wheeler würde also der letzte, kleine Tropfen sein, der sein Nervenfass zum Überlaufen brächte.

Doch dieser schien ihn nicht gehört zu haben, denn nichts weiter als ein leises Stöhnen kam über seine Lippen. Eine solche Reaktionslosigkeit war gerade bei dem Blonden sehr ungewöhnlich, immerhin hatte sein „schlimmster Feind“, Kaiba Seto persönlich, ihn in dieser Lage gefunden.

Warum ereilte dieses Schicksal immer ihn? Gab es denn keinen anderen attraktiven, jungen und obendrein wohlhabenden Firmenchef, dem das Schicksal auf die Nerven gehen konnte?
 

Plötzlich hörte er innerlich Ishizus Worte: Das ist dein Schicksal, Kaiba!

Als ob er daran glaubte!
 

Doch so sehr er diesen kleinen Köter auch hasste, er konnte nicht einfach wieder gehen. Noch einmal warf er einen Blick zurück über die Schulter. Wahrscheinlich war es das Einfachste und auch das Unauffälligste ihn mit nach Hause zu nehmen. „Wheeler, ich schwör dir, beim nächsten Mal bring ich dich um!“ Mit diesen Worten kniete er sich neben den jungen Mann und schaute in dessen Gesicht. Ein leichtes Blutrinnsal war dem Blonden über die Stirn, die Wange entlang und schließlich bis zum Kinn heruntergelaufen und tropfte auf den Saum des weißen Hemdes. Über dem rechten Wangenknochen hatte ihm jemand mit einem Messer eine tiefe Schnittwunde verpasst. Die blaue Jeans war an einigen Stellen zerrissen und sowohl seine Knie als auch seine Handinnenflächen waren blutig aufgescheuert.

Aus irgendeinem Grund war Kaiba nicht verwundert darüber, den jungen Mann in diesem Zustand vorzufinden.
 

„Mit wem hast du dich denn angelegt? Kannst du es eigentlich nie lassen?“ Zwei eisblaue Augen fixierten das Gesicht des Jüngeren und plötzlich hob Seto mit seiner linken Hand Joeys Kinn leicht an. Dessen braune Augen hatten für heute ihren Glanz verloren und verwirrt schaute der Blonde den jungen Mann an, der ihn grade ansprach. „K... Kaiba...“ Seine Stimme versagte ihm den Dienst und er zuckte leicht zusammen, als er die warmen Finger spürte, die seine Wange entlang strichen.
 

Warum machte er das hier eigentlich? Kümmerte er sich gerade wirklich um diesen Köter? Nein, das konnte nur ein schlechter Traum sein. Leider halfen all die Einbildungsversuche nicht, die Wirklichkeit auszublenden. Warum er das tat, konnte er sich nicht erklären, aber lange zögern konnte er auch nicht mehr.

Seufzend warf Seto noch einen Blick über die Schulter und ein Schauer lief über seinen Rücken. Wie konnte er nur auf die absurde Idee kommen, diesen flohverlausten Köter mit nach Hause zu nehmen? Ein wenig angewidert schaute er zu dem Kleineren herunter, der gerade noch ein Stück an der Wand herabgesunken war. Ihn einfach hier liegen zu lassen, konnte er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren. Es war zwar nicht bitterkalt, aber ausreichend, damit der Köter bis morgen böse Erfrierungen erleiden würde.

„Du kannst wahrscheinlich noch nicht einmal alleine gehen.“ Murmelte er leise vor sich hin. Der Angesprochene warf nur einen müden Blick zu ihm und verstand nicht ganz, was von ihm verlangt wurde. Ein wenig wütend über sich selbst schüttelte Seto seinen Kopf und mit einer kurzen Bewegung zog er den Blonden mit einem leichten Ruck an sich. Kaum einen Herzschlag später lag dieser weit über dem Boden in den Armen des Dunkelhaarigen. Jetzt war der Firmenchef froh, dass er seinen geliebten Koffer bei Roland im Auto gelassen hatte. Dieser würde jetzt erheblich stören.
 

Ein sehr leiser Schrei des Entsetzens kam von dem Angeschlagenen, als dieser den plötzlichen Ruck spürte. Er kniff verängstigt die Augen zusammen und klammerte sich mit letzter Kraft an den verhassten Feind.

Was war das nur für ein Tag. Grinsend schaute Seto auf den völlig verwirrten und verängstigten Mann in seinen Armen herab. Er musste wirklich nicht ganz bei Trost sein. Jetzt tat er es doch wirklich. Kopfschüttelnd setzte er seinen Weg fort und seine Gedanken begannen langsam um das Problem in seinen Armen zu kreisen. Der Blonde war so leicht, dass er ihn ohne größere Probleme tragen konnte. Es war ihm bis heute nie aufgefallen, wie mager Wheeler war. Aber soweit er wusste, lebte der junge Mann doch mit seiner jüngeren Schwester zusammen und war schon lange aus den Fängen seines alkoholabhängigen Vaters entkommen. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass dies noch nicht die letzte Überraschung war, die ihn in dieser Nacht erwartete.
 

Was hat dein Schicksal nun schon wieder vor, Ishizu?
 

Der Weg zu seiner Villa war in dieser Dunkelheit zwar nicht unbekannt, wenn er ihn auch schon lange nicht mehr gegangen war, dennoch schien heute Abend alles etwas anders zu sein. Die Schatten schienen sich immer weiter von ihm abzuwenden, als spürten sie den Hauch von Schicksal, den die beiden jungen Männer an sich hatten. Obwohl der Blondschopf in Setos Armen verhältnismäßig leicht war, fühlte er sich dennoch ein wenig erschöpft, als er vor das große Tor seines Hauses trat. Für dieses Opfer würde Wheeler noch bezahlen müssen, dachte er grimmig und musterte kurz das Gesicht es Jüngeren im einfallenden Schein der Straßenlaterne.

Hoffentlich war das Personal soweit schon aus dem Haus. Bis auf zwei alte Herrschaften, die beinahe zum Inventar gehörten, verließen alle zu später Stunde die Villa und kehrten, wenn überhaupt, erst am Morgen zurück. Er hasste es, wenn sich zu viel Personal im Hause aufhielt. Nun musste er jedoch hoffen, dass die beiden Verbliebenen nicht schon im Bett waren, denn er kam nicht an seinen eigenen Schlüssel heran, solange er Wheeler trug. Seit sehr langer Zeit war Kaiba Seto nun dazu gezwungen, an seiner eigenen Tür zu klingeln. Irritiert musste er sich die Frage stellen, ob er überhaupt jemals zuvor an seiner Gartenpforte geklingelt hatte oder wann er dies an der Eingangstür getan hatte. Normalerweise schien immer einer der Bediensteten hinter der Tür zu lauern, nur um sie ihm direkt zu öffnen.

Plötzlich hörte er das summende Geräusch, mit dem das große Metalltor freigegeben wurde, welches sich wie von Geisterhand selbst zu öffnen schien. Die letzten Meter bis zur gewaltigen Flügeltür des Anwesens erschienen dem Brünetten wie eine Ewigkeit.
 

Joey war schon länger nicht mehr wirklich bei Bewusstsein, er dämmerte eher zwischen einer Ohnmacht und einem unruhigen und höchstwahrscheinlich recht schmerzhaften Schlaf. Der feste Griff hatte sich gelockert und sein Kopf war gegen Setos Brust gesunken.

Wieder schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis er die ersten Schritte hinter der Tür hörte, ein schwerer Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt und mit einem leisen Klicken herumgedreht. Als sich endlich die Tür öffnete, fiel zuerst ein warmer Lichtschein auf die blassen Gesichter der beiden jungen Männer. Seto staunte nicht schlecht, als er den alten Butler eingewickelt in einem langen Morgenrock mit einer alten Kerzenlampe in der Hand stehen sah. Dieser rückte seine Brille zurecht und hob das alte Relikt ein Stück an. Als er dann den Hausherrn erkannte, erschrak er maßlos. Bleich im Gesicht verbeugte er sich so tief, wie er es in seinem Alter noch konnte und seine raue Stimme ertönte leise. „Okaerinasai, Kaiba-sama.“
 

Fragend zog der Brünette eine Augenbraue hoch und musterte den alten Butler. Anscheinend hatte sich dieser schon auf die Nachtruhe vorbereitet und sichtlich nicht mehr mit dem Erscheinen seines Herrn gerechnet. Seltsamerweise sah er dieses heute Abend nicht als einen Grund an, den alten Mann direkt fristlos zu kündigen. Wahrscheinlich hätte er es unter anderen Umständen getan. In dieser Nacht, so vermutete der 22-Jährige, war jedoch einfach schon viel zu viel geschehen.

„Sag Margerite Bescheid, sie soll den Arzt rufen und mir einen heißen, schwarzen Kaffee zubereiten.“ Wieder verbeugte sich der ältere Herr und hielt noch einmal die Tür weit auf. Nachdem Seto hindurchgetreten war, verschloss der diese wieder auf dieselbe Weise, wie er sie zuvor geöffnet hatte. Mit einer weiteren Verbeugung fragte er noch, ob er den jungen Mann mit dem Licht geleiten sollte, doch dieser verneinte. Das Treppenhaus war dunkel, die Lichter ausgestellt. So drehte sich der Butler um und verschwand mit dem hellen Lichtkegel in die Richtung der Küche. Anscheinend hatten die beiden dort noch gesessen und über all die kleinen Probleme und Herausforderungen dieses Haushalts und des Älterwerdens gesprochen. So wie alte Leute nun einmal waren.
 

Seto war leicht durchgefroren und auch an ihm hatte der Tag seine Spuren hinterlassen. Ohne noch lange darüber nachzudenken, schritt er die große Treppe hinauf in den ersten Stock. Keine Lichter brannten in der riesigen Eingangshalle, allein durch die großen Fenster fiel der Schein der Straßenlaternen, sodass die Treppe in fast völliger Dunkelheit lag. Wie ein schwerer Nebel erfüllte sie die riesige Halle und verbarg den Marmorboden unter sich. Es schien fast so, als würde die Schwärze selbst die hohen Wände hochkriechen.
 

Doch der junge Mann kannte dieses Haus mittlerweile viel zu gut, als dass ihn dieser Umstand stören würde. Er brauchte nicht mehr als das fahle Licht, um den richtigen Weg zu finden. Ein wenig sorgenvoll blickte er zu dem Blonden in seinen Armen hinunter. In dieser Lichtlosigkeit wirkte er zerbrechlich und geschunden. Das blasse Gericht erschien beinahe wie tot, allein das leise kaum wahrzunehmende Stöhnen und das flache Heben und Senken des Brustkorbes widersprach dem.
 

Joey lag immer noch wie eine Feder in seinen Armen. Wog der Kerl denn gar nichts? Selbst Yugi schien dem Brünetten schwerer zu sein, obwohl dieser ein abgebrochener Zwerg war.

Die Dunkelheit verbarg all den Prunk dieses Hauses und das Dämmerlicht reichte nicht aus, um das Ende des Flures deutlich zu erkennen.

Nun doch müde, kaputt und mit leicht schmerzenden Gliedern stieß Seto eine der vielen Türen auf, die sich den Gang entlang zogen. Die Stille im Haus und das Auftreten des Butlers verdeutlichten, dass keiner mehr mit ihm gerechnet hatte. Nun war er dennoch da und hatte sogar, mehr oder weniger freiwillig, jemanden mitgebracht.

Wieso er das getan hatte, wusste er immer noch nicht. Wahrscheinlich geschah es aus Mangel an Alternativen. Immerhin hätte er ihn in diesem geschundenen Zustand auch nicht dort zurücklassen können.
 

Stumm betrat der schlanke Mann das dunkle Zimmer und schritt durch den großen Raum auf das Himmelbett zu. Die Vorhänge standen noch offen, sodass ein wenig Licht von draußen hereinfiel und den Raum schwach erhellte. Sein Blick schweifte über die Regale, die in diesem Schattenspiel nur schwer als solche zu erkennen waren.

Er war selbst überrascht, welches Zimmer er für seinen 'Gast' ausgewählt hatte. Behutsam legte er Joey auf die weiche Decke und richtete sich wieder auf. Na wunderbar, jetzt hatte er sich selbst ein Problem angeschleift. Ein wenig wütend starrte er auf die roten Ziffern der Uhr auf der anderen Seite des Bettes. 23:47 Uhr verkündeten sie stumm und straften den jungen Mann gleich wieder mit einem schlechten Gewissen.
 

Wie lange mochte Joey schon da draußen in der Kälte gelegen haben, bevor er vorbei gekommen war? Mit wem hatte sich der Blonde angelegt? Und wann würde er ENDLICH AUFHÖREN sich über diesen Straßenköter Gedanken zu machen?

Es war Wheelers Sache, mit wem er sich prügelte und von wem er sich halb totschlagen ließ!

Außerdem war Seto selbst extrem müde, denn auch die letzten Nächte waren mehr als kurz gewesen. Zumindest der Teil, den er zum Schlafen genutzt hatte. Erschöpft ging er um das Bett herum und trat auf die Uhr zu. Eben hatte er bemerkt, dass der Wecker noch eingeschaltet war. Wann wurde dieser denn das letzte Mal benutzt? Hatte er etwa seit einem halben Jahr jeden Morgen geklingelt?
 

Wieder huschte sein Blick zu dem unruhig schlafenden Jungen, der so winzig in dem riesigen Bett wirkte. Hatte er Wheeler je in solch einem erbärmlichen Zustand gesehen? Oft hatte er sich über diesen lustig gemacht, aber nie damit gerechnet, dass seine Worte einmal eintreffen würden. „Wie ein ausgesetzter, kleiner Hund siehst du aus, Wheeler.“ Sagte er leise genug, um den Blonden nicht zu wecken. Verloren wirkte der Kleine, regelrecht hilflos und vor allem sehr schwach.

Wie perfekt seine Rache für all die Aufmüpfigkeit des Blonden nun sein könnte. Da lag er, hilflos und ihm völlig ausgeliefert. Doch irgendwie konnte er diese Situation nicht vollends genießen. Der Gedanke, ihm noch mehr Leid zuzufügen, gefiel ihm heute Abend gar nicht. Ja, irgendwie hatte er eher das Bedürfnis, den Blonden zu beschützen, keine weitere Gefahr an ihn herankommen zu lassen und wie ein Drache über seinen Schlaf zu wachen.
 

Bitte was???
 

Seto fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Jetzt reichte es! Immerhin war er hier der böse, der gemeine, der arrogante Fiesling. Es konnte ihm völlig egal sein, wenn sich dieser Typ vermöbeln ließ, sich deswegen den Allerwertesten fast abgefroren hätte und schließlich hier lag, um sich durch einen schmerzhaften Schlaf zu quälen. Warum sollte er ihn da beschützen wollen? Wheeler war mit seinen 21 Jahren alt genug, um zu wissen, was er tat.
 

Plötzlich drang das leise Geräusch von Schritten durch die Stille, die sich unaufhörlich dem Zimmer näherten. Noch bevor der Brünette aufsehen konnte wurde das Licht eingeschaltete und erhellte den ganzen Raum.

Ein schrecklicher Albtraum

Kapitel 2

Ein schrecklicher Albtraum
 


 

Schreie drangen an seine Ohren, gequälte Schreie. Es klang so grauenhaft, dass es ihm durch Mark und Bein ging. Was wurde diesem Wesen nur angetan, das es so voller Schmerzen schrie? Es waren menschliche Schreie, die Schreie einer jungen Frau.

Müde versuchte er seine Augen zu öffnen, sich zu bewegen, doch nichts davon konnte er. Jeder einzelne Muskel schmerzte und Joey biss sich auf die Unterlippe, als er darunter zusammen zuckte. Wieder drangen diese Schreie an seine Ohren und er selbst stöhnte leise. Alles fühlte sich so schwer an und die Luft schien unglaublich heiß zu sein, heiß und staubig. Irgendetwas schien ihm an dieser Stimme bekannt vor zu kommen. Als hätte er sie schon einmal gehört. Er musste sich zusammen reißen, es war doch nicht möglich, dass er sich nicht bewegen konnte. Langsam spannte er die Muskeln seiner Arme an, ballte die Hände zu Fäusten und spürte, wie sich seine Finger in die Handflächen drückten. Warte, diese Stimme, das war… das war…
 

"Serenity." Ein Schwall purer Angst erfüllte ihn und ließ sein Herz für einen Moment aussetzen. Er sammelte all seine Kraft und öffnete die Augen. Helles Licht blendete ihn und er schmeckte Sand in seinem Mund. Langsam entstand ein Bild vor ihm und er begriff, dass er von einer Laterne geblendet wurde, die vor ihm auf dem Boden stand. Es war deutlich dunkler, als er dachte und die flackernde Kerze nahm den Großteil seines Blickfeldes ein. Er lag auf dem Boden, der aus heißem Sand bestand. Die Luft war noch immer von der Sonne erhitzt und sie befanden sich in einem großen Hinterhof. Die Häuser waren aus Lehm und die Fenster nur klein. Der Himmel über ihnen war dunkel, schwarz und von hunderten leuchtender Sterne übersät.

In diesem Hinterhof stand ein Baum, es war eine Akazie, die sich nach einem Meter über dem Boden in kräftige, weitere Äste aufteilte. Ihre aufgefächerten Blätter spendeten am Tage Schatten und unter ihr war eine kleine Bank aufgestellt. Doch dieses Mal saß niemand lesend auf der Bank und entspannte sich für einen Moment Ruhe suchend. Jemand hatte ein junges Mädchen an einen der höheren Äste gefesselt, die Arme über den Kopf gebunden und Joey erkannte sie sofort! Es war seine kleine Schwester! „Serenity!“ Rief er noch einmal und versuchte aufzustehen. Er schaffte es kaum seinen Oberkörper zu heben. Hände und Füße waren gefesselt und ein dickes Seil umschlang seinen Körper. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass dieses Seil die Blutzufuhr zu seinen Beinen abdrückte und Blut über seine Stirn die Wange herunter lief. Anscheinend hatte ihn jemand niedergeschlagen, bevor er gefesselt wurde.
 

Wie lange mochte er bewusstlos gewesen sein? Blut bedeckte die Wunden auf Armen und Beinen, die seine Schwester trug. Sie wimmerte leise, während noch immer Tränen über ihre Wangen liefen. Die Augen waren gerötet, sie schien schon lange zu weinen. Er konnte eine Gestalt erkennen, die hinter ihr zum Vorschein kam. „Oh, auch wieder bei uns?“ Fragte eine tiefe Stimme und dann trat Bakura hinter der jungen Frau hervor. Er trug einen roten Umhang und eine breite Narbe auf der Wange.

Nun starrten die braunen Augen verwirrt zu dem Dieb auf, der ihn nur herablassend angrinste. „Bei Ra, du solltest dein dummes Gesicht sehen!“ Lachte der Mann und schlug sich auf den Oberschenkel. „Das war Angst, Entsetzen, Sorge und jetzt Verwirrung. Man, so viel auf einmal hätte ich einem dummen Sklaven wie dir gar nicht zu getraut!“ Dass er sich über den Gefesselten lustig machte, war nicht einmal das Schlimmste. Joeys Gedanken hingen an einer anderen Stelle fest. Sklave?
 

„Warte, du kannst noch dümmer drein schauen?“ Fragte der Dieb und begann laut zu lachen. Ja, wo war er eigentlich? Er kannte diese Gegend nicht oder? Und was trug seine Schwester da für ein Kleid? Es war aus einfachem Leinen, mit einer Kordel in der Taille gerafft und ärmellos. Stoff lag auf dem Boden, anscheinend hatte Bakura mit seinem Dolch das Kleid gekürzt, sodass es gerade noch ihr Höschen verbergen konnte.

Der Dieb wandte sich nun wieder dem weinenden Mädchen zu. "Aber, aber, du willst doch nicht, dass dein Bruder sich um dich Sorgen machen muss. Wenn er dich so weinen hört, bricht ihm ganz bestimmt sein kleines Herz." Raunte Bakura in ihr Ohr, während er seine Hand in ihren Haaren vergrub. Ein Zittern ging durch ihren mageren Körper, doch die Klinge, die der Mann zwischen ihre Brüste drückte, ließ sie schweigen. Mit einem breiten Grinsen schaute der Weißhaarige zu dem am Boden liegenden. "Ja, mein Guter, schau genau hin, was ich mit deiner lieben, kleinen Schwester mache!" Seine Stimme war tief und klang drohend. Die Klinge wanderte ihren schlanken Körper herunter und schob sich dann unter den Stoff zwischen ihre Beine. Joey konnte sehen, wie sie sich verkrampfte und die Luft an hielt. Sie hatte Angst, schreckliche Angst.
 

„Hör auf!“ Schrie er. Panik ergriff ihn und mit aller Kraft versuchte er die Fesseln zu lösen. Er musste ihr helfen, er konnte doch nicht zu sehen, er konnte doch nicht untätig sein! Tränen liefen über seine Wangen, ein schmerzhafter Husten ergriff ihn, als er den Sand aufwirbelte. Er musste die Augen zusammen kneifen und kauerte sich unter Schmerzen auf einer Seite zusammen. Sein Körper gehorchte ihm nicht, Blut lief unter den Fesseln hervor und der Schmerz trieb ihm die Luft aus der Lunge.

"Schau dir dieses zitternde Weibsstück nur Mal an!" Raunte es plötzlich neben ihm und er spürte, wie kräftige Hände nach ihm griffen. Er wurde auf den Rücken gedreht und über ihm war das Gesicht des Diebes. Er stand hinter ihm, so sah ihn Joey verkehrt herum. Er konnte die Grausamkeit in den braunen Augen des Mannes sehen, für ihn waren sie nur Spielzeuge. Es gab nichts, was sie dagegen tun konnten. "Du möchtest sie doch gerne beschützen, nicht wahr? Du bist immerhin ihr Bruder!" Diese tiefe Stimme hatte etwas Erregtes und Heiseres. "Du kennst doch das Gefühl mit ansehen zu müssen, wie die von dir geliebten Menschen misshandelt werden! Das Gefühl, sie nicht beschützen zu können, einfach wehrlos zusehen zu müssen." Flüsterte der Mann, dessen Lippen jetzt nah an seinem Ohr waren. „Warum glaubst du, hat deine Mutter nur sie mitgenommen? Warum glaubst du, hat sie dich bei deinem Vater gelassen?“ Fragte er und hob den Kopf, um in die weit aufgerissenen Augen zu starren. „Erst hat er sie geprügelt und dann ging sie mit deiner Schwester. Warum glaubst du, hat sie dich bei ihm gelassen?“ Fragte der Mann noch einmal und kniete nun auf dem Boden. "Es tut weh, nicht wahr! Du möchtest schreien, aber deine Kehle ist wie zugeschnürt, weil du die Antwort kennst. Wenn sie dich nicht zurück gelassen hätte, wäre er gekommen und hätte sie gesucht! Darum hat sie dich zurück gelassen. Du warst ihr Bauernopfer!“
 

Es lag so viel Spott und Hohn in diesen Worten, doch sie schnitten wie eine glühende Klinge in seine Seele. Er hatte sich schon so oft gefragt, warum seine Mutter ihn bei seinem Vater zurück ließ und sich immer darüber gefreut, dass es seiner kleinen Schwester besser ging als ihm. Doch dass er das Bauernopfer war, wollte er sich niemals eingestehen. Nein, so selbstsüchtig konnte seine Mutter doch nicht gewesen sein! Nein, dass wollte er nicht glauben. Er spürte die heißen Tränen, die über seine Wangen liefen und keuchend schnappte er nach Luft. Bakura strich ihm schon fast zärtlich über die Stirn. „Willst du es noch einmal erleben?“ Fragte er dabei so freundlich, so sanft, dass dem jungen Mann das Blut in den Adern gefror. „Ich lasse deine kleine Schwester in Ruhe und dafür mache ich bei dir weiter! Du erträgst ihre Schmerzen, so wie damals! Sei ihr Bauernopfer und ich lasse sie in Ruhe!“

Es dauerte, bis Joey diese Worte in all ihrer Tiefe verstanden hatte. Er begriff nicht, das Bakura mit der kalten Klinge begonnen hatte sein Hemd von oben her aufzuschlitzen. „Weißt du, nachdem ich mein Opfer gefoltert und gequält habe, kommt erst der eigentliche „Akt“. Mir ist es egal, ob du oder deine Schwester sich meiner Befriedigung hin gibt. Ich sehne mich nur nach eurer Angst, eurer Verzweiflung und will sehen, wie ihr innerlich daran zerbrecht.“ Nun war das Gesicht des Mannes so nahe, er konnte den warmen Atem auf seinen Wangen spüren. „Also, soll ich dich oder sie nehmen?“
 

Wie ein kalter Windhauch erfasste es ihn und er begann vor Kälte zu zittern. Er konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie jemand den Hof betreten hatte, doch außer einem Schatten konnte er nichts erkennen. Allein die Kälte, die sich nun im Innenhof ausbreitete, war deutlich für ihn zu spüren. "Was willst du, Seth?" Fragte der Weißhaarige und hob seinen Kopf. Erst jetzt, als der Mann die Klinge schmerzhaft über die Brust seines Opfers zog, wurde sich Joey dem Dolch bewusst. Er schrie leise auf und versuchte sich zu krümmen. Eine Hand lag noch immer auf seiner Schulter und drückte seinen Oberkörper herunter.

"Das weißt du doch am besten, Bakura! Lass deine Finger gefälligst von meinen Sklaven. Vergreif dich am Eigentum anderer Priester!" Erklang eine eisige Stimme, die über den ganzen Hof schallte. Wieder wurde er als Sklave bezeichnet und etwas ließ ihn den Atem anhalten. Er kannte diese Stimme! Er war diesem Mann schon einmal begegnet. „Ich hätte wissen müssen, dass ich die zwei gleich gestern mitnehmen sollte. Sieh dir an, was du angerichtet hast! Sie war sowieso schon viel zu mager, jetzt wird sie auch noch von Narben gezeichnet sein! Wofür habe ich bitte 8 Goldstücke für die beiden bezahlt?“ Knurrte der Mann, dessen feste Schritte so leise auf dem Sandboden klangen.
 

"Warum bist du so an denen interessiert? Du hast doch wahrlich genug andere Sklaven, dann lass mir doch wenigstens diese hier!" Brummte Bakura und erhob sich langsam. Er bemerkte das Blut an der Klinge und mit einem dreisten Grinsen hob er diese an, um provokativ über das Metall zu lecken. „Außerdem hast du doch deinen Pharao, mit dem du es treibst. Warum willst du dann diesen Blonden hier haben? Als Ersatz? Lässt dich dein kleiner Pharao nicht mehr rann?“ Stichelte er frech und lachte dabei spöttisch.

Voller Angst versuchte er den Kopf zu drehen und zu erkennen, wer da zu ihnen gekommen war. Noch immer steckte der Schock von Bakuras Worten tief in seiner Seele. Hatte der Mann ihm eben wirklich vorgeschlagen, ihn statt seiner Schwester zu verg… ver… nein, er konnte das Wort nicht einmal denken!

Ein Priester kam langsam näher, er trug die übliche Kluft und die eisblauen Augen erkannte er sofort. Dieser Mann war erst vor kurzem hier gewesen und hatte mit seinem Vater gesprochen. Hatte der Alte sie wirklich an diesen Mann verkauft? Hatte sein eigener Vater ihn verkauft? Alles um ihn schien sich aufzulösen, an Bedeutung zu verlieren und nur noch die beiden Männer, die sich da über ihn und seine Schwester stritten, brachen wie überdeutliche Monster aus der schwankenden Welt hervor.
 

„Halt deinen Mund oder ich schneide dir persönliche die Zunge heraus!“ Knurrte der Priester und seine Stimme klang dabei so kalt und grausam, als könnte sie alles zu Eis gefrieren lassen. „Du hast sie für mich unbrauchbar gemacht, diese Wunden werden nie ohne Narben verheilen. Was ich mit den beiden vor habe, geht dich rein gar nichts an!“ Der weiße Umhang wehte auf, die goldenen Beschläge der dunkelblauen Robe glitzerten im Licht der flackernden Kerze. Bakura drehte sich um, verschränkte die Arme vor der Brust und sah zu dem jungen Mädchen. Seine Augen wanderten langsam über ihren geschundenen Körper und er begann begierig zu lächeln. „Oh ja… das ist wirklich ein Meisterwerk.“ Die Erregung war deutlich in seinen Worten zu hören und er sog scharf die Luft ein.
 

„Das macht dich auch noch an?“ Für einen Moment schien der Priester entsetzt zu sein, er zog angewidert eine Augenbraue in die Höhe. „Was? Ja,… ja, natürlich!“ Platze Bakura hervor und sah genervt zu dem Gottesdiener. „Also wirklich, wenn ich mir so lange Zeit lasse um jeden einzelnen Schnitt zu setzen, was glaubst du, was das für mich ist? Ich meine, ich hätte auch nichts dagegen, wenn du unter mir lägest und ich meine Klinge in dein Fleisch treiben darf, Seth! Ich bin nicht so Geschlechter bezogen.“ Er hielt kurz inne und lachte dann. „Warte, du ja auch nicht!“

Er musste kurz prusten vor Lachen und sah wieder zu dem Mann zu seinen Füßen, der noch immer so tief erschüttert war, dass er keine Reaktion von sich gab. „Ich liebe es nun einmal Angst und Verzweiflung in ihren Augen zu sehen. Lüg nicht, bei dir ist es genauso! Du bist kein guter Mensch, Seth! Dich widert es nur an, dass ich meine Gelüste frei genießen kann und du hinter dicken Mauern gefangen bist.“ Mit einer schnellen Bewegung streckte der Dieb seinen Dolch wieder in den breiten Stoffgürtel, in dem die Dolchscheide versteckt war. Dann trat er mit einem Schritt breitbeinig über Joey und sah nun direkt in die Augen des Mannes, als er sich zu ihm herunter gebeugt hatte. „Keine Sorge, ich bekomme dich auch im Palst und dann klären wir, wer von euch es sein wird. Du gefällst mir, wirkst so erbärmlich, wie ein winselnder Köter! Keine Sorge, ich lasse mir auch nicht so viel Zeit, nachher treibt es dieser notgeile Priester noch vorher mit dir!“
 

Die braunen Augen starrten Bakura voller Entsetzen an und der Schock darüber saß so tief, dass er zu keiner Reaktion mehr fähig war. Sein Verstand versuchte verzweifelt zu begreifen, was hier geschah. Er dachte an seine Schwester, daran, dass sie nun eine kleine, gemeinsame Wohnung hatten. Er dachte daran, dass sein eigener Vater sie an einen Priester verkauft hatte und dieser Mann, wer auch immer er war, seine Schwester oder ihn vergewaltigen wollte. Alles begann sich um ihn herum zu drehen, die hellen Sterne am Himmel wurden zu Kreisen und Übelkeit stieg in ihm auf. Sie lebten in Domino, es gab keine Priester! Es gab keinen heißen, staubigen Sand, keine Lehmhäuser. Nein, das durfte alles nicht wahr sein! Verzweiflung erfasste ihn bis in die Abgründe seine Seele und er drehte sich vor Schmerzen schreiend auf die Seite. Nein, er war kein Sklave, er war nicht verkauft worden! Nein, das konnte alles nicht angehen…
 

Nein, er war kein Sklave…
 


 

Nein, er war kein Sklave…
 

Morgengrauen?

Kapitel 3

Morgengrauen?
 

Ein Schmerz raste durch Joeys Kopf und ließ ihn langsam aus seinem Schlaf aufdämmern. Er hatte schreckliche Kopfschmerzen und jeder Muskel tat ihm weh. Was war bloß geschehen? Ein leises Stöhnen kam über seine Lippen und vorsichtig öffnete er seine Augen. Es dauerte eine Weile bis der Blonde außer Lichtpunkten und Schleiern etwas erkannte.

Langsam wurden die rotschwarzen Stoffwogen eines Himmelbettes sichtbar. Blinzelnd schaute er zur Decke, nein, das war wirklich der obere Teil eines Himmelbettes. Ein Himmelbett? Wo in drei Teufelsnamen war er? Zuhause ganz sicher nicht! Doch bevor er weiter denken konnte, machte sich wieder dieser pochende Schmerz in seinem Kopf bemerkbar und er schloss die Augen.

In diese Dunkelheit drang unerwartet ein eintöniges Geräusch an seine Ohren. Flock, flock, flock. Starr lag er da und lauschte auf diesen Klang. Joey hatte das Gefühl, als hätte er ihn schon irgendwo einmal gehört. Bildfetzen platzen unkontrolliert vor seinem trägen Verstand auf und Schreie dröhnten in seinen Ohren. Erschrocken zuckte er zusammen, kalter Schweiß lief über seine Stirn. Er sah einen Baum mitten im Innenhof unter einem sternenbesetzen Himmel. Der Schmerz, der durch diese plötzliche Bewegung entstand, ließ ihn nach Luft schnappen. Er unterdrückte einen Schrei und Tränen sammelten sich in seinen Augenwinkeln.
 

Je verstummte der eintönige Takt und eine unheimliche Stille trat ein. Zwischen Schmerzen und Verwirrung begriff der junge Mann, das er nicht alleine im Zimmer sein konnte. Angst stieg in ihm auf, panische Angst. Sie schien nicht hier her zu gehören, wie eine schreckliche Ahnung, wie der Fluch einer bösen Erinnerung. Panisch fragte er sich, wer das war, wer war noch in diesem Raum? War dieser Mensch eine Gefahr für ihn? Er wusste ja nicht einmal, wo er hier war. Er konnte sich nicht daran erinnern, wo er zuletzt gewesen war. Der Geschmack von Blut und Sand lag auf seiner Zunge. Sein Körper schmerzte, auch wenn dieses Gefühl langsam verklang. Die wenigen Geräusche, die er vernahm, hörte er wie durch einen dicken Vorhang. Leise erklangen Schritte, die eindeutig auf das Bett zukamen. Wer war das? Bedächtig und mit klopfendem Herzen drehte er den Kopf zur Seite. Dabei durchfuhr ein stechender Schmerz seinen Hals und schwach entkam ein weiteres Stöhnen seinen Lippen.

„Ist ja gut. Du solltest liegen bleiben, es dauert noch eine Weile, bis sich dein Kreislauf wieder stabilisiert hat.“ Joey zuckte erneut zusammen, als er die beruhigende Stimme vernahm. Auch diese Aktion wurde mit dröhnenden Kopfschmerzen belohnt und seine Brust schien wie zusammengedrückt. Lautlos biss er sich auf die Unterlippe und versuchte zu erkennen, wer neben seinem Bett stand. Von irgendwoher musste eine Lichtquelle kommen, die den Raum schwach erhellte. Sein Blick fiel auf eine kleine rundliche Frau. Sie hatte ihre grauen Haare zu einem leichten Knoten hinter ihrem Kopf gebunden und ihre graubraunen Augen ruhten mit einem mütterlichen Blick auf dem jungen Mann. Einige Falten durchzogen ihre helle Haut, die über ihr Alter nichts verrieten. Der cremefarbige Pullover, auf dem sie eine doppelt gelegte Perlenkette trug und der dunkle Rock ließen sie ein wenig wie aus dem letzten Jahrhundert erscheinen. In ihren kurzen Händen hielt sie noch immer den Knäuel Wolle und ihr angefangenes Strickwerk.
 

Daher kam also das Geräusch. Joey bat innerlich nicht gleich wieder vor Schmerzen aufzuschreien und versuchte sich vorsichtig und langsam aufzusetzen. Schnell ließ er sich in die Kissen zurücksinken und zog scharf die Luft ein. So einfach war es dann doch nicht, wie er wünschte. Ohne lange zu zögern, versuchte er es erneut und unterdrückte mit all seiner Willenskraft das Schwindelgefühl und die Schwärze vor seinen Augen. Die aufblitzenden Bilder seines Traumes verdrängte er dabei ebenso. Schmerzen erfüllten seine Handflächen. Er hatte das Gefühl, als wären sie aufgescheuert.

Sie verfolgte jede seiner Bewegungen argwöhnisch. „Wenn du dir unbedingt noch mehr Schmerzen zufügen willst, werde ich dich nicht aufhalten.“ Ihre Stimme war nun um einiges schärfer als zuvor. Doch Joey beachtete sie nicht und versuchte krampfhaft ein klares Bild vor Augen zu behalten. Er war hier in einem Zimmer, in dieser Zeit und nicht in einem heißen, stickigen Hinterhof. Draußen war es bitterkalt und des würde sicher bald zu schneien beginnen. Bedächtig ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen. Die Vorhänge waren zugezogen, doch eine Stehlampe in der Ecke erhellte das Zimmer mäßig. Das Bett war mit rotschwarzem Stoff bezogen und auch der Rest war mit Ebenholz und mit rot bemalten Reliefs aus Holz ausgestattet. „Wo bin ich eigentlich?“ Langsam minderten sich seine Kopfschmerzen und auch das Denken fiel ihm leichter. Was auch immer er geträumt hatte, er wurde sich dessen bewusst, dass es nur ein Traum war.

Die alte Frau setzte sich neben ihn auf die Bettkante und betrachtete ihn abwartend. „An was kannst du dich denn noch erinnern?“ Fragte sie in diesem sanften, mütterlichen Ton, während sie ihn beobachtete.
 

Joeys Blick ruhte auf einem der Regale, in dem ein auffälliges Buch stand. Auch, wenn sein Kopf nun nicht mehr so schmerzte, konnte er sich nicht gleich an alles erinnern. Die aufblitzenden Bilder seines Traumes vermischten sich mit den letzten Erinnerungen. Grübelnd kaute er auf seiner Unterlippe herum. „Ich habe mich mit Ivanow geprügelt.“ Begann er gedankenversunken und schaute an sich herab. Er trug kein Shirt mehr und seine Brust war mit einem dicken, weißen Verband umwickelt. Blaue Flecken zeichneten seine Arme, besonders aber die unteren, mit denen er seinen Kopf gegen die Tritte zu schützen versuchte. Selbst die Hände waren leicht bandagiert und jede Bewegung schmerzte, als wäre die Haut unter den Verbänden aufgerissen. Vorsichtig hob er die rechte Hand, strich über das Pflaster an seiner Wange.

Der rothaarige Russe hatte sich mit einem breiten Grinsen über ihn gebeugt, um mit der scharfen Klinge diesen Schnitt in der Wange zu hinterlassen. Mit einem Schauer erinnerte er sich an das höhnische Lachen, während der kräftige Mann auf ihm gesessen hatte. Mit seinen Knien hatte der Russe die Oberarme des Blonden auf den Boden gedrückt und ihn so bewegungsunfähig gemacht. Die linke hatte sich fest in den hellen Haaren vergraben, die rechte setzte den tiefen Schnitt. „Na ja, eigentlich habe ich mich mit Ivanow und seiner Gang angelegt und wurde verprügelt. Und was dann kam, weiß ich nicht mehr.“ Er gab seine Niederlage einfach so zu, als sei es schon zur Gewohnheit geworden. Viel zu oft war er Tala bereits begegnet und immer wieder hatte der Russe sich persönlich um ihn gekümmert. Als wäre Joey sein Prügelknabe, mit dem er stets seine Spielchen trieb. Die Stimme des Russen klang noch in seinen Ohren und er konnte sehen, wie er sich in der Gasse umdrehte. ~Beim nächsten Mal schneide ich dir die Zunge heraus, dann kannst du nicht mehr so frech sein!~ Hatte der rothaarige Mann ihm mit seinem schweren Dialekt zugerufen, als sie die Gasse verließen. Obwohl er immer wieder unterlag, bewahrte er sich zumindest so viel Würde, dass er keinem einzigen Kampf aus dem Weg ging. Mit aller Mühe warf er dem Anführer jede Beleidigung vor, die er finden konnte.

Plötzlich stieß Joey einen halb unterdrückten Schrei aus und riss die Augen weit auf. „Da... das... das kann doch nicht...“ Seine Stimme versagte. Bildfetzen brachen in seiner Erinnerung auf, der Klang einer vertrauten Stimme drang an seine Ohren und rief seinen Namen. Die großen, honigbraunen Augen starrte die Dame auf der Bettkante entgeistert an, doch diese nickte nur. „Warum kann das nicht angehen?“ Hakte sie noch einmal nach, während die verschwommenen Bilder der eisblauen Augen vor ihm auftauchten. Er hörte die Stimme des Brünetten und erinnerte sich mit einem Schlag an den Schrecken, den er bekommen hatte, als dieser ihn in die Höhe hob. Nein, das konnte nicht angehen! Dort in der Gasse…, das war Seto Kaiba gewesen!
 

Sie wollte Joey gerade zu einer Antwort drängen, als die Tür aufgerissen wurde und ein schwarzhaariger Junge erschien. Er hatte einen hoch roten Kopf und wirkte verlegen, aufgewühlt, ja in gewisser Weise wütend. Doch als er die alte Dame sah, schien er nur noch nach Trost zu suchen. Das feine Gesicht veränderte sich und nahm kindliche Züge an. Mit einem Ausdruck mütterlicher Liebe legte sich ein Lächeln auf die Lippen der Frau und sie meinte ruhig. „Na komm her.“ Sie streckte ihre Arme aus und nun schien der 17-Jährige gänzlich kindlichen Gewohnheiten zu unterliegen, denn der schlanke Körper setzte sich von allein in Bewegung. Immer schneller überbrückte er die kurze Strecke und ließ sich neben ihr auf das Bett fallen, direkt in ihre ausgebreiteten Arme. „Ich hasse ihn! Er hat es schon wieder getan!“ Kam in einer Mischung aus Kränkung und Zorn von ihm und Joey verstand gar nichts mehr. Er war bisher gänzlich ignoriert worden und warf einen zögerlichen Blick hinüber zur Tür. Nein, sie stand noch immer offen, da war kein anderer, schwarzhaariger junger Mann. Doch war das hier wirklich Mokuba? Er musterte den aufgewühlten Mann, der zu einem großen Teil von der fremden Frau verdeckt wurde. Aber die Haare passten, das war Mokuba.
 

Beruhigend strich sie ihrem Schützling über den Rücken. „Ist ja gut.“ Die alte Köchin wusste längst, was vorgefallen war. Sie arbeitete schon zu lange hier, um den Kleinen nicht gut genug zu kennen. „Nun beruhige dich Mokuba, du bist doch kein kleines Kind mehr.“ Meinte sie mit mütterlicher Strenge zu ihrem Schützling. Es dauerte noch einen Moment, in dem nur das flache Atmen des 17-Jährigen zu hören war, hektisch und wild.

Mit einem tiefen Ein- und Ausatmen schien sich der junge Mann zu sammeln und löste sich langsam von ihr. Sein Blick lag einen Moment auf ihr und dann sah er flüchtig zu Joey. Er lächelte zuerst verlegen und senkte dann den Blick. Noch einmal schien er sich zu sammeln, bevor er in das sanfte Gesicht der alten Frau blickte. Ein breites Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus, als er ihr antwortete. „Ja, ich weiß, ich bin nicht nur groß, sondern auch alt!“ Begann er etwas zu witzeln und setzte dann mit einem flüchtigen, schüchternen Blick zu Joey hinzu. „Es ist mir einfach schrecklich peinlich, auch wenn ich weiß, dass es Noah genau deswegen tut. Ich habe es ihm schon oft genug gesagt, aber dafür hat er dieses Mal mein Knie in den Magen bekommen.“ Gab er an und rieb sich kurz mit der rechten Hand über den linken Oberarm. Hinter dem breiten Grinsen versuchte er seine Unsicherheit zu verbergen. „Geschieht ihm recht.“ Murmelte er und sah erneut zurück zu dem Blonden.

Dieser sah ihn mit einer Mischung aus Entsetzen und Verblüffung an. Anscheinend wusste der Blonde nicht, wie er reagieren sollte und so meinte der 17-Jährige. „Guten Morgen, wie geht es dir?“ Er hatte sich ganz von der alten Dame gelöst und setzte sich so um, dass er nun halb auf dem Bett saß, sein rechtes Bein auf der Decke leicht angewinkelt liegend. „Nicht sonderlich gut.“ Brummte der Angesprochene und musterte Mokuba eingehend. Dieser ergriff erneut das Wort. „Ich wollte dich fragen, was denn gestern geschehen ist. Ich weiß nur, dass der Arzt noch da gewesen ist. Du siehst gar nicht gut aus.“ Meinte der Schwarzhaarige und blickte mit seinen dunkelblauen Augen auf den großen Verband auf Joeys Brust.
 

Anstelle einer Antwort hob Joey nur die Augenbrauen und fragte stattdessen. „Ich würde lieber wissen, was DIR zugestoßen ist! Warum siehst du aus wie ein halb gerupftes Huhn und warum hast du Noah dein Knie in den Magen gerammt?“ Joey wankte zwischen Entsetzen und Besorgnis. Der 17-Jährige trug seine schwarzen, immer ein wenig verwuschelt wirkenden Haare offen, sein weißes Hemd war oben aufgeknöpft und die Krawatte war offen. Sein Hemd war leicht zerknittert und der Gürtel halb geöffnet. Skeptisch blickte er Mokuba tief in die Augen. „Was um Himmelswillen ist dir zugestoßen?“

Joey konnte es nicht glauben, aber der Angesprochene wurde augenblicklich tief rot und senkte ruckartig den Blick. „Ähm, weißt du, ich,... also... ähm, ja... das war so...“ Begann er stotternd und wusste nicht, wie er sich erklären sollte.
 

Ein leichtes Räuspern rettete Mokuba vor weiteren Erklärungen, unwillkürlich drehte er sich um und starrte zur immer noch offen stehenden Tür. Joey war ebenfalls überrascht, doch dass sich der Kleine so einfach um eine Antwort drücken konnte, gefiel ihm gar nicht. Ein wenig murrend schaute auch er in diese Richtung.

In der Tür stand ein älterer Herr, ungefähr Mitte Vierzig, in einer schwarzen Flanellhose und einem cremefarbenen Hemd. Seine dunkle Jacke trug er über seinem linken Arm und in der rechten Hand hielt er eine schon recht ausgeleierte Koffertasche aus hellem Leder. Seiner Körperhaltung nach zu urteilen war er sehr streng und er besaß ein leicht kantiges Gesicht. Seine helle Haut betonte seine schmalen Lippen, die weit unter den durch die dicken Brillengläser so groß wirkenden Augen saßen. Der schwarzhaarige Mann trat mit einem leicht verärgerten Blick auf Joey ein und stellte seine Tasche auf das Bettende.
 

Mokuba lächelte verlegen, als der Mann neben dem Bett angekommen war. „Deswegen habe ich mich eigentlich auf den Weg gemacht. Da hab ich wohl was vergessen. Ich wollte eigentlich Bescheid geben, dass Sakurai-hakase endlich da ist.“ Sagte er mit leiser Stimme und sah entschuldigend zu dem älteren Mann auf. Er hatte diesen an der Eingangstür gesehen und sich auf den Weg nach oben gemacht. Dort war er Noah begegnet, der ihn in diese issliche Lage brachte. Joey hingegen klappte der Unterkiefer herunter. Das konnte doch jetzt nicht wirklich wahr sein. 'Bitte, bitte, kneif mich doch einer, damit ich endlich aufwache.' Vieles würde der Blondschopf glauben, aber das hier grenzte schon an ein Wunder. Er musste noch immer verarbeiten, dass er hier anscheinend in einem Zimmer in der großen Villa der Kaibas war und der große Seto Kaiba ihn mitten in der Nacht in einer Gasse aufgelesen hatte. Wieso dieser auch immer dort gewesen war. Die Begegnung mit Mokuba, der wirkte, als wäre gerade eine Horde verliebter Mädchen über ihn hergefallen, machte es da nicht besser. Doch das Erscheinen dieses Mannes überforderte ihn maßlos. Immerhin kannte er ihn aus einem anderen Kontext und seine Anwesenheit musste zwangsläufig bedeuten, dass er der Hausarzt der Familie Kaiba war. Das hatte er nicht gewusst. Fassungslos starrte er auf den eben eingetretenen Mann. „Saku... Sakurai-san.“ Er versuchte den Klos in seinem Hals herunterzuschlucken. „Sakurai-hakase.“
 

Doch dieser achtete nicht weiter auf die zwei und wandte sich gleich an die ihm nun zu lächelnde Frau. „Margerite-chan, du siehst mich verwundert.“ Meinte er mit ruhiger, weicher Stimme. Belustigt stand die Angesprochene auf und fischte nach ihrem Knäuel Wolle, das bei dem Ansturm des jungen Kaibas zu Boden gefallen war. Gelassen schritt sie auf den kleinen Sessel zu, der neben der Lampe hinten in der Ecke des Zimmers stand. Dort setze sie sich und platzierte das Strickwerk auf ihrem Schoß. Lächelnd schaute sie zu dem ihr sehr bekannten Herrn auf. „Es ist seine Sache, wenn er sich unbedingt weitere Schmerzen zufügen will. Ich werde ihn sicher nicht aufhalten, er ist wirklich alt genug.“ Ihre grauen Augen leuchteten kurz auf, als ihr Blick auf den Blonden fiel.

Seufzend legte der Arzt seine Jacke auf das Bett neben die alte Tasche und musterte kritisch seinen Patienten. „Ich habe selten jemanden gesehen, der so zugerichtet war!“ Brummte er und fügte an. „Und dann auch noch wild durch die Gegend turnt.“ Sein Blick lag kritisch auf dem Blonden.

Margerite lachte kurz auf und schien sich dann jedoch wieder zu fangen. Sie hob den Blick und sah vielsagend zu dem alten Mann, der sich verwundert bei dem Lachen zu ihr gedreht hatte. Er hob eine Augenbraue und dachte kurz nach. Er kannte die Familie Kaiba nun schon seit 17 Jahren und damit auch den ältesten Sohn des Hauses. Er war damals ein dickköpfiger, kleiner Junge, der sich ebenso ungern in seine Schraken weisen ließ, wie es der Blonde nun zu tun schien. Mit einem zuerst schweigenden Nicken bestätigte er ihr, was sie nicht ausgesprochen hatte. „Ja, doch ich gebe dir Recht.“ Meinte er schließlich und beendete damit dieses stumme Gespräch.
 

Joey und Mokuba starrten sich fragend an. Das Lachen Margerites klang wie ein Widerspruch, als wolle sie dem Arzt sagen, dass er sich irre. Dies ginge nur, wenn der Patient, an den die Dame dachte, in diesem Haus lebte und da gab es nicht viele “andere“. Nach einem einfachen Ausschlussverfahren blieb in erster Linie Seto Kaiba übrig. Völlig ungläubig starrten sie den Arzt an. Als dieser ihre Blicke bemerkte, musste er leicht schmunzeln.

Margerite schüttelte nur den Kopf und meinte ruhig. „Nein, ihr braucht nicht danach fragen. Ihr bekommt sowieso keine Antwort.“ Sie schmunzelte belustigt. Wieder trafen sich die Blicke der beiden Jungen, trotz dieser Aussage blieb damit immer noch der Verdacht gewaltig, nein, er wurde sogar noch ein wenig größer. Wer erzählte schon unangenehme Geheimnisse über Seto Kaiba weiter?

„Mokuba, was um Himmelswillen weiß ich nicht über deinen großen Bruder?“ Joey hatte nicht erwartet, dass dieser Kaiba eine solche Vergangenheit besaß. Aber mit wem hatte sich der Junge damals geprügelt?
 

Doch noch bevor der Kleine antworten konnte, unterbrach sie Doktor Sakurai. „Ich bin nicht hierhergekommen, um mich über die Vergangenheit einiger meiner Patienten zu unterhalten, sondern um herauszufinden, wie es um sie steht, Wheeler-kun.“ Sein strenger Blick ruhte auf den beiden Jungen und brachte den Blonden zum Schweigen. „Ich würde gerne wissen, was nach meinem Verschwinden gestern Nacht noch alles geschehen ist.“

Margerite nickte. „Ich war fast die ganze Nacht hier und ich kann dir versichern, dass er den Rest ruhig geschlafen hat. Es gab keine weiteren Zwischenfälle mehr.“ Sie hatte nun doch nicht mehr angefangen zu stricken und rollte den viel zu langen Faden auf dem Knäuel auf.

Joey starrte auf die Bettdecke, er konnte sich zwar kaum noch an etwas erinnern, aber das, was ihm von seinem Traum noch einfiel, ließ ihn leise frösteln. Die Erinnerung an Bakura war das Letzte, was ihm jetzt noch gefehlt hatte. Ganz waren die Angst und der Schmerz aus seinem Traum nicht fort. Schweigend starrte er auf seine Handgelenke, denen es anscheinend gut ging. Doch immer wieder sah er die festen Stricke, die der Mann darum gewickelt hatte. In seinem Traum konnte er ihn nicht erkennen, doch jetzt wusste er, dass es Bakura gewesen war. Doch warum hatte er so etwas gesagt? Warum hatte Bakura ihm in seinem Traum gedroht ihn zu… Nein! Joey schüttelte heftig den Kopf, er wollte auf gar keinen Fall weiter denken. Erst ein leichtes Räuspern riss ihn wieder aus den Gedanken und schlagartig wurde ihm bewusst, dass er nicht alleine war. Joey konnte spüren, wie er puterrot wurde.
 

Doktor Sakurai wollte lieber nicht fragen, warum der Blonden nun schon wieder aus allen Wolken fiel, außerdem gab es auch noch andere Dinge, die er für durchaus wichtiger hielt. Mokuba hingegen empfand das anders. Ungeniert beugte er sich nach vorne, bis er fast Joeys Nase berührte. „Na, woran hast du jetzt schon wieder gedacht? Sag schon, sag schon!“

Doch statt einer Antwort erhielt er nur einen finsteren Blick. Zwar hatte sich der Blonde vorgenommen, dem Jüngeren nicht alles vorzuwerfen, doch gab es Grenzen, die Mokuba mit erschreckender Regelmäßigkeit überschritt und jedes Feingefühl dabei vergaß. Dieses hier war so eine Grenze. „Das geht dich recht wenig an. Auch wenn du zur Familie Kaiba gehörst!“ Gab er als strenge Antwort.

Der Kleine seufzte, er wusste genau, was damit gemeint war. Na gut, er hatte ja fragen müssen, obwohl man Joey seine Verlegenheit deutlich ansah. „Tut mir leid Joey, ich war mal wieder zu neugierig.“ Verlegen setzte er sich auf die Bettkante zurück. „Ich versuch mich zu bessern, versprochen!“ Kurz schaute er unentschlossen auf seine Hausschuhe herunter, bevor er breit grinsend in die rehbraunen Augen seines Freundes blickte.
 

„Ist ja gut. Du hast mir das so oft versprochen, dass ich schon gar nicht mehr daran glaube.“ Joey konnte nicht anders, als ebenfalls zu lächeln. Es gab Leute, denen konnte man nicht böse sein und Mokuba und Yugi gehörten einfach dazu.

Doktor Sakurai fühlte sich dezent überflüssig. Zumindest schien es allen Beteiligten gut zu gehen, das war zumindest etwas Gutes. Was ihn jedoch überraschte, war die prompte Entschuldigung des jungen Kaibas. Er hatte sogar sofort eingesehen, dass er zu weit gegangen war. Bei der aktuell sehr wechsellaunigen Stimmung des Pubertierenden, war dies etwas Seltenes. Verwundert stellte er überdies fest, dass Mokubas Erscheinungsbild ein wenig zu wünschen übrig ließ. Fragend hob er eine Augenbraue und schaute zu seiner alten Bekannten hinüber, die ihre Wolle und ihr ganzes Strickwerk in dem kleinen Korb neben dem Stuhl verstaut hatte. „Nachher.“ Flüsterte sie. „Bei einem heißen Tee.“ So zauberte sie ein Lächeln auf die schmalen Lippen des älteren Herren, die Aussicht auf einen heißen Tee war etwas Wunderbares.

„Ich glaube, ich schaue mal nach, ob Seto schon wach ist. Bisher habe ich ihn noch nicht gesehen.“ Mokuba rutschte vom Bettrand herunter und verbeugte sich noch kurz vor dem Arzt. Mit einem etwas fiesen Lächeln ging er zur Tür und bevor er sie hinter sich schloss, drehte er sich noch einmal zu Joey um. „Ich hoffe nicht!“ Innerlich hatte der Schwarzhaarige sich beruhigt, aber die Röte auf seinen Wangen war noch nicht ganz verschwunden. Was hatte er eigentlich verbrochen, dass Noah ihn immer wieder so ärgern musste? Aber das Schlimmste an der Sache war ja, dass es ihm immer unendlich peinlich war.
 

Seufzend schlenderte er den Flur entlang, er musste langsam etwas ändern. Selbst die Jungen aus seiner Klasse machten sich über ihn lustig, von ihren Bemerkungen mal ganz abgesehen. Mit einem noch viel längerem Seufzer dachte er an Aiko. Sie war so ziemlich die einzige, bei der es ihm nichts ausmachte, wenn sie lachte. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass er genau wusste, dass sie es nicht böse meinte.

Nun umspielte ein Lächeln seine Lippen, das selbst Seto vor Neid erblassen ließe. Es gab kaum einen, der sich so viele Möglichkeiten ausdenken konnte, die anderen an ihrer Nase herumzuführen wie er. Selbst Margerite schöpfte nicht den leisesten Verdacht, wo er gestern Nacht wirklich war. Seinen Bruder auszutricksen war eigentlich schon zu leicht, dass durfte er mittlerweile gar nicht mehr mitzählen. Ihn konnte er locker mit einer seiner berühmten superkurzen-drei-Worte E-Mail abspeisen. Nur bei der alten Köchin musste er aufpassen. Sie war die einzige, die ihm noch gefährlich werden konnte. Aber wie gesagt, bisher schöpfte auch sie keinen Verdacht.

Na ja, er war mittlerweile 17 und er tat weder etwas Verbotenes, noch gab es einen Grund, es allen zu verheimlichen. Manchmal fragte er sich, warum er es Seto nicht endlich sagte. Aber jedes Mal, wenn er darüber nachdachte, wurde es ihm wieder klar. Damals hatte er seinem großen Bruder nichts gesagt, weil er einfach die Nase voll davon hatte, dass dieser sein Leben bestimmte und eigentlich ALLES wusste. Das war kindisch gewesen, aber er bereute es nicht. Heute hatte er eine andere Sorge: wahrscheinlich wäre sein Bruder strickt gegen diese Beziehung, denn er lag mit ihrem Vater im Clinch. Vielleicht hätte er sich in ein anderes Mädchen verlieben sollen, aber in dieser Romeo und Julia Geschichte steckte er nun fest.
 

Grinsend schlenderte er den Flur entlang hinüber in den hinteren Teil des Flügels in diesem Stockwerk. Seto hatte sich gleich die gesamten hinteren Zimmer umgebaut und einen Komplex aus mehreren Arbeitszimmern, seinem Schlafzimmer, einem Meditationsraum und einem kleinen Dojo errichtet. Immer schneller wurden seine Schritte, bis er schließlich anfing zu rennen. Wieso er dies machte, wusste er nicht. Vielleicht war es der Gedanke an das Risiko, das er dabei einging. Er achtete schon längst nicht mehr auf den blauen Teppich und die edlen Leuchter an den Wänden. In diesem Teil gab es keine Fenster, weil er in der Mitte des Stockwerkes lag. Schnell griff er nach einer Ecke, um nicht groß abbremsen zu müssen, wenn er sie nahm. Jetzt gelangte er in den Teil, wo wieder die großen Fenster die Flure schmückten und alles erhellten. Ohne nach draußen zu schauen, bog er erneut um die nächste Ecke und blieb vor einer schwarzen Ebenholztür stehen.
 

Keuchend schnappte er nach Luft und stützte sich an der Wand ab. Nun glühten seine Wangen wieder rot und sein Herz schlug schneller, als er es auszuhalten glaubte. Für einen Augenblick versuchte er, wieder zu Atem zu kommen, bis er schließlich aufgab. So schnell würde es eh nicht gehen. Sein Blick lag auf der schwarzen Holztür, hinter der sich Setos Schlafzimmer befand. Vorsichtig drückte er sein Ohr gegen das Holz, doch er konnte nichts hören. Entweder schlief sein Bruder oder er war nicht mehr in diesem Zimmer. Zögernd griff er nach der Türklinke und drückte sie herunter. Leise öffnete er die Zimmertür und schlich hinein. Die Vorhänge waren noch zugezogen, sodass nur wenig Licht in den Raum fiel. Auf Mokubas Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, als er erkannte, dass sein großer Bruder noch schlief. Es war wirklich selten, dass Seto um diese Uhrzeit noch im Bett lag. Geräuschlos trat der Schwarzhaarige an das mit dunkelblauem Stoff bezogene Bett heran.
 

Der Brünette lag auf dem Rücken, die Decke bis zu seinem Bauch zurückgeschoben und die rechte Hand unter dem Kopfkissen verborgen. Doch in seinem Gesicht war eindeutig die Anspannung zu sehen, die Seto wohl nie ganz verlieren würde.

Mokuba grinste fies, er war halt durch und durch ein Kaiba. Die Vorstellung, seinen ach so korrekten Bruder unsanft aus dem Schlaf zu reißen, gefiel ihm sehr gut. Doch zuerst musste das ganze Spektakel ins richtige Licht gerückt werden. Schmunzelnd wand er sich den Vorhängen zu und ganz plötzlich riss er diese auf. Sofort flutete das helle Tageslicht in den Raum und zufrieden hörte der 17-Jährige ein tiefes Grummeln und das Rascheln der Bettdecke. Leise trat er zurück neben das Bett und zu seiner vollsten Befriedigung sah er, dass sich der Brünette auf die rechte Seite gedreht hatte. Noch einmal tief durchatmend betrachtete er den so friedlich Schlafenden. Plötzlich schrie er so laut er nur konnte.
 

„ONIIIIIIIIIIIIIII-CHAN!“
 

Erschrocken zuckte Seto zusammen und ein leiser Schrei entfuhr ihm. Mokuba dagegen ließ sich einfach auf das Bett neben seinen Bruder fallen und grinste ihn begeistert an. Sein Plan hatte erfolgreich geklappt. „Guten Morgen!“ Der Angesprochene verstand im ersten Moment nicht, was geschehen war und starrte nur entgeistert in das Gesicht seines Bruders. Seufzend grummelte er etwas als Antwort und zog das Kopfkissen noch etwas näher zu sich heran. Mokuba konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, Treffer versenkt!

Müde schloss Seto die Augen und vergrub seine Finger im feuchten Stoff. Da dieser anscheinend zu keiner Antwort bereit war, sprach der Kleinere einfach weiter. „Auweia, du hast echt bis eben noch tief und fest geschlafen. Hast du eigentlich eine Ahnung wie spät es ist?“

Wieder kam nichts als ein tiefes Brummen, zumindest öffnete er langsam seine blauen Augen. „Nein, hab ich nicht und um ehrlich zu sein, ist es mir auch egal.“ Mokuba konnte nicht mehr aufhören zu grinsen, sein Bruder war gerade wirklich aus allen Wolken gefallen. Obwohl er ihm schon fast ein bisschen leid tat, so fertig, wie er wirkte. „Man, du bist heute echt verpeilt.“ Lachend rückte er näher zu seinem Bruder. „Hilfe, wer bist du! Mein Bruder wurde entführt!“ Neckte ihn Mokuba und seine blauen Augen leuchteten freudig. Er war noch immer aufgewühlt, ein wenig überdreht.

Mit einem „Hahaha“ rappelte der Brünette sich auf und stützte sich mit den Ellenbogen auf der Matratze ab. Fragend zog der junge Mann eine Augenbraue hoch, nachdem er seinen kleinen Bruder eingehend gemustert hatte. Den offenen Gürtel konnte er zwar nicht sehen, weil Mokuba auf dem Bauch lag, doch die Krawatte hing halb heraus gezogen herunter und die obersten Hemdknöpfe standen offen. „Sag mir lieber, wem du zum Opfer gefallen bist?“
 

Mokuba drehte sich auf den Rücken, um sich aufzusetzen. „Erst wenn du mir verrätst, was du gemacht hast, damit man dich heute nicht aus dem Bett bekommt.“ Verlegen versuchte er sich damit etwas Zeit zu verschaffen. Kurz musterten die eisblauen Augen den 17-Jährigen und er wägte ab. Seufzend gab Seto sich geschlagen. „Nichts Unerwartetes. Ich habe mal wieder bis spät in die Nacht gearbeitet. Und du?“

Sofort wurde Mokuba wieder rot. Na wunderbar, das hatte er wieder toll hinbekommen. Er hatte sich eher etwas zu Joey erhofft und keine abweisende Antwort, bei der er sofort wieder zum Zug gezwungen wurde. „Also, vorhin... da, na ja,... wie soll ich sagen,... es...“ Er schluckte, warum immer er? Es war ihm unglaublich peinlich. „Vorhin auf dem Flur bin ich Noah begegnet und der hatte wegen gestern noch ne Rechnung zu begleichen. Tja, ich glaube, du kannst dir ganz gut vorstellen, was dann geschehen ist.“

Seto schüttelte den Kopf. Das hätte er sich auch gleich denken können. „Wie alt bist du eigentlich?“ Leise lachte er. „Du bist mit deinen 17 immer noch so naiv, wie vor fünf Jahren.“ Nun grinste der Brünette seinen recht verlegenen Bruder an, bis ihm plötzlich etwas einfiel. „Sag mal Mokuba, wolltest du nicht bei einem Freund übernachten? Hast du zumindest so geschrieben.“

Der Kleinere legte den Kopf schräg und überlegte. „Wieso, hab ich doch auch. Nur das ich schon um kurz vor neun zurück gekommen bin. Hast du wohl verschlafen.“ Breit grinsend ließ er ein Bein aus dem Bett baumeln und schaute zum Fenster. „Ach ja, Joey geht's auch wieder besser. Sakurai-hakase ist gerade da und nimmt ihn auseinander. Sag mal, kennen sich die zwei?“
 

Müde nickte der Brünette. Wie konnte man nur jetzt schon so munter sein? Gegenfrage: warum war er immer noch so müde? „Seto, was ist denn nun? Woher kennt Jo-chan unseren Hausarzt?“ Mokuba hatte sich zu seinem Bruder umgedreht, doch sein Nicken vorher nicht mehr gesehen. „Sakurai-hakase ist ebenfalls in der Schreinerei Kunde, in der dein JO-CHAN arbeitet!“ Na wunderbar, womit hatte er nur zwei solche Brüder verdient? Gleich zwei Kleinkinder auf einmal! „War das etwa der Grund, warum du mich aus dem Bett geschmissen hast?“ Seto hätte glatt bis zum Mittag durchschlafen können. Wie um seine Worte zu unterstreichen, musste er gähnen.

Mokuba zögerte nicht lange. „Nein, aber wenn du darauf bestehst, werde ich das aus dem Bett schmeißen sofort nachholen.“ Laut lachend sprang er vom Bett herunter und griff nach der Decke, um sie zu sich zu ziehen. „Untersteh dich, Mokuba! Das würdest du bereuen!“ Augenblicklich kam Leben in den verschlafenen jungen Mann. Wütend packte er den Kleinen am Handgelenk und hielt ihn fest. Zum Glück musste Mokuba nur noch mehr lachen. „Hej, das ist gemein. Lass los, Onii-chan!“ Seine Stimme hatte etwas Kindliches, doch kaum das er sich wieder gefangen hatte, beugte er sich vor. Sein Bruder hatte immer noch diesen verschlafenen Blick, dazu hingen ihm seine brünetten Haare in Strähnen in die Augen und die Pyjamajacke war über seine linke Schulter gerutscht und legte diese so frei.

„So verschlafen siehst du richtig niedlich aus, Se-chan!“ Ruckartig zog Mokuba seine Hand aus Setos Griff und rannte zur Tür. Noch bevor er ganz verschwand, drehte er sich ein letztes Mal zu dem jungen Mann um. Dieser saß völlig verdattert auf dem Bett und starrte seinem kleinen Bruder mit einem halb entsetzten, halb ungläubigen Blick nach. Noch im selben Augenblick fiel die Tür zu.

Kleiner Zwischenfall vorm Frühstück

Kapitel 4

Kleiner Zwischenfall vor dem Frühstück
 

Es dauerte eine Weile, bis der Brünette sich wieder gefangen hatte. Seufzend fuhr er sich durch die leicht schweißfeuchten Haare und schaute auf die Uhr neben seinem Bett. Was hatte Mokuba sich dabei eigentlich gedacht? Anscheinend war er zu oft mit Noah und Wheeler zusammen! Irritiert registrierte er, dass Mokuba ihn seit langer Zeit wieder Onii-chan genannt hatte. Er war sich nicht sicher, wann sein Bruder das letzte Mal diese Bezeichnung genutzt hatte. Vielleicht war Wheelers Einfluss doch nicht gänzlich unnütz.

Ungnädig warf er einen Blick auf seinen Wecker. Es war 10:08 Uhr, wie hatte er es geschafft so lange zu schlafen? Wann hatte er in den letzten Monaten überhaupt so lange geschlafen? Mit einem Seufzen rieb er sich über die Augen und schlug die Decke zurück. Seltsamerweise hatte er heute Morgen kein Zeitgefühl. Müde setzte er sich auf die Bettkante und ließ seine Gedanken schweifen. Was in drei Teufelsnamen war mit ihm los? So viel hatte er gestern nicht mehr gearbeitet und getrunken schon gar nicht. Gut, die Aktion seines Sekretärs war niederschmetternd und der Streit mit ihr über diese Inkompetenz in Person war nicht gerade hilfreich. Hatte er etwas geträumt? Er konnte sich zumindest nicht erinnern. Warum also schlief er heute bis in die Puppen?
 

Der Gedanke an den versäumten Termin in Osaka ließ ihn leise stöhnen. Er wusste noch immer nicht, wie er das alles verarbeiten sollte. Seine Mitarbeiter saßen an der Schadensanalyse und um ehrlich zu sein, wollte er die erst gar nicht sehen. Schon jetzt war ihm klar, dass es sich um einen Riesenverlust handeln musste. Bisher war nur sicher, dass eine andere Firma den Zuschlag erhalten hatte und der Vertrag mit der Kaiba Corporation nicht zustande kam. Vielleicht war es so besser. Was hätte er auch sagen sollen? ‚Es tut mir leid, aber erst als mein Sekretär ihren Brief mit meinem Kaffee übergoss, fiel mir unser Termin wieder ein!‘ Er könnte sich auch gleich selbst als Vollidioten darstellen und mit einer Clownsmütze auf dem Kopf durch die Straßen rennen. Das war einfach zu lächerlich!

Sein Kopf dröhnte leicht und langsam begann er zu frieren. Mürrisch ließ er seinen Blick durch das Schlafzimmer schweifen. Dabei blieb er an einigen Bildern an der Wand hängen, die alle nur ein Motiv hatten. Den weißen Drachen mit eiskaltem Blick.

Eigentlich war es nur ein Bilderrahmen in dem auf 90x60 Zentimetern die Kohlezeichnung des Weißen war. Warum hatte er sie noch gleich hier hinein gehängt?

Die scharf gezeichneten Augen strotzten nur so vor Stolz und Übermut und in jedem seiner Züge war Überheblichkeit und Egoismus zu erkennen. Der Drache mit seinem weißen Schuppenkleid war nicht größer als 35 Zentimeter und doch wirkte er mächtig in diesem Augenblick, in dem er dem Feuer aus Eis entstieg.

‚Er ist wie du, Kaiba! Egal was auch immer geschehen wird, selbst wenn er zu Boden geht, verliert er doch nie seinen Starrsinn. Miss Ishtar erzählte einmal, dass selbst im alten Ägypten diese Eigenschaft des Weißen Drachens mit eiskaltem Blick gefürchtete wurde.‘

Leicht fröstelte der Brünette, als er an die Worte des Zeichners dachte.

‚Stolz, eigensinnig und bis ins Letzte berechnend. Kein Feuer kann ihn verbrennen und nach jeder Niederlage steigt er wie ein Phönix nur noch überzeugter aus den Bruchstücken des Kampfes.‘
 

Schweigend erhob er sich von seinem Bett und trat auf das Bild zu. Der schwarze Rahmen war nicht besonders breit und um die Zeichnung aus Kohle tummelten sich Bilder und Skizzen von ganz unterschiedlichen Personen aus seinem Leben. Er konnte sich noch genau an seinen 20. Geburtstag erinnern. An diesem Tag hatte ihm Crawford Pegasus dieses Bild mit einer Grußkarte, die mittlerweile im Flammen aufgegangen war, zugeschickt. Eigentlich wollte er dieses Werk gar nicht haben und es am liebsten nebst Karte in den Kamin schmeißen - ohne Bilderrahmen und Glas versteht sich. Leider verlor er gegen seinen kleinen Bruder Mokuba, der das Bild ohne zu zögern gerettet hatte.

Nur wenige Tage später bekam er es wieder, doch nun hatte der Kleine noch weitere Zeichnungen und Skizzen um den Drachen herum angeordnet. Unter dem großen Fensterglas prangten zwei Zeichnungen von Seto selbst, die eine mit Bleistift die andere mit Tinte gezeichnet. Auch sie zeigten den weißen Drachen. Mokuba hatte ebenso ein Bild von sich dazu gelebt. Es war die alte Karte, die er vor Jahren einmal für seinen Bruder gezeichnet hatte, noch bevor Seto die drei Weißen besaß. Bis heute fragte sich der Brünette, wie er an dieses Bild herangekommen war.

Auch eine Bekannte von ihm hatte eine Zeichnung von den Drachen angefertigt, die um Crawfords Kohlebild prangten. Jedes einzelne Bild war etwas Besonderes für sich. Immer das gleiche Motiv und doch jedes Mal so unterschiedlich, wie es nur sein konnte.
 

Seufzend fuhr Seto sich mit der Hand durch die Haare und entschied, mit dem Träumen für heute aufzuhören. Es gab immerhin noch genug auszubaden und zu richten. Da brauchte er erst gar nicht mit dem Trödeln beginnen. Sein Blick fiel auf das Bett und ihm wurde schlagartig bewusst, warum er überhaupt diese Bild betrachtet hatte.

Innerlich stöhnte er auf, warum geschah eigentlich ihm so etwas? Er war eben noch bei all seinen Problemen gewesen, von denen Crawford das geringste war und Wheeler jetzt gerade das größte! Warum musste er sich jetzt unbedingt wieder an die gestrige Nacht erinnern? Warum hatte er den Köter gleich noch auf der Straße aufgesammelt? Ach ja, er wusste es selbst nicht! Der Gedanke, dass es sonst keine Alternative gab und er den Kerl nicht erfrieren lassen konnte, galt auch nur zur Beruhigung seiner gewissenlosen Seite.

Der Brünette war über seinen eigenen Zynismus überrascht, doch in Anbetracht der Lage, dass er sich gestern Nacht wirklich Wheeler aufgehalst hatte, war er durchaus angebracht. Seine Gedanken schweiften einen halben Tag zurück, an die Stelle, an der er gestern den Blonden aufgelesen hatte. Innerlich sah er die leeren braunen Augen, die Schnittwunde auf der Wange und die Körperhaltung, die eine völlige Aufgabe zeigte.
 

„Bonkotsu!“ Was sollte man denn sonst dazu sagen? Als Mann sollte dieser Schwächling seine Grenzen kennen, doch diese schien der Köter in erschreckender Konstanz zu ignorieren. Nicht zu seinen Gunsten, wie Seto leidvoll feststellen konnte, denn nun war er mit dem kläglichen Rest dieser Existenz konfrontiert. Ab wann war es vertretbar, dieses Häuflein Elend aus der Villa zu werfen? Mokuba würde sicher Einspruch erheben, wenn er Wheeler ohne Frühstück aus dem Hause vertrieb. Reichte es nicht, dass er in seiner unendlichen Güte extra den Arzt hatte kommen lassen? Wie lange musste er diesem Bonkotsu noch Obdach bieten? Wurde er von jemandem vermisst? Hatte der Köter ein Herrchen, welches sich um ihn sorgte? War da nicht diese nervende Schwester? Nicht das diese nachher vor der Tür stand, immerhin war dies kein Tierheim für verlorene Hunde! Na toll, bis gestern musste er sich nur um seine eigenen Probleme kümmern und höchstens noch um Mokuba! Aber nein, jetzt fand er sich in der widersinnigen Situation wieder, dass er sich Gedanken über solche Nebensächlichkeiten machte!
 

Ohne noch weiter darauf zu achten, erhob er sich vom Bett, schritt auf die zweite Tür in seinem Zimmer zu und öffnete diese. Dahinter wurde das große Badezimmer sichtbar, welches vollständig mit weißem Marmor ausgelegt war. In Gedanken immer noch abwesend schloss er die Tür und mit derselben Handbewegung ließ er den leichten Stoff von seinen Schultern zu Boden gleiten. Genauso achtlos landete seine Hose auf dem warmen Marmor. Der Brünette zog die gläserne Tür der Dusche auf, doch während er eintrat, gab er ihr lediglich einen achtlosen Stoß und überging, ob sie sich gänzlich hinter ihm schloss. Er drehte ohne zu zögern das kalte Wasser auf und zuckte darunter zusammen. Scharf sog er die Luft ein, als er den Schauer spürte, der durch seinen ganzen Körper lief.

Die Müdigkeit wich nur langsam von ihm, doch die Kälte war das beste Mittel dafür. Er fuhr sich mit den Händen durch seine braunen Strähnen und schloss die Augen. Das Wasser lief über seine helle Haut und ließ alle anderen Empfindungen verblassen. Die Anspannung, die schon die ganze Zeit auf ihm lastete, verflüchtigte sich wie die zahllosen kleinen Tropfen, die auf sein Gesicht prasselten und über die nicht makellose Haut rannen.

Langsam drehte Seto das Wasser wieder aus und öffnete seine blauen Augen. Der verschlafene Blick war längst aus ihnen gewichen, doch etwas anderes war in ihnen zurückgeblieben, dass schon fast unwirklich erschien. In diesen Momenten brauchte er niemandem etwas vorzuspielen. Jetzt konnte er entgegen sämtlicher Prinzipien auch einmal Schwäche zeigen. Bei diesem Gedanken fielen ihm gleich dutzende Erinnerungen ein, die er lieber für immer vergessen würde. Manchmal war er einer gewissen Person doch ähnlicher, als er es je zugeben würde.

Ohne es bewusst wahrzunehmen, drehte er den Wasserhahn erneut auf. Wieder schloss er seine Augen und legte den Kopf in den Nacken. Nun prasselte das Wasser ungehindert auf sein Gesicht, doch er spürte mittlerweile nicht einmal mehr die Kälte. Wheeler, es gab mehr, was sie gemeinsam hatten, mehr als ihm lieb war. Wie konnte dieser Naivling eigentlich glauben, dass er der Einzige auf dieser Welt wäre, der es in seiner Vergangenheit schwer gehabt hatte? Noch heute wurde ihm bei diesem Gedanken schlecht, wie der Blonde winselnd und verängstigt auf dem Boden hockte und sich zusammenkauerte. Erbärmlich, mehr fiel ihm dazu nicht ein.

Glaubte er wirklich, er war der Einzige? Wütend schlug er mit der Hand gegen die Wand. Ruckartig hatte er seinen Augen wieder geöffnet und starrte auf seine zitternde rechte Faust. Erbärmlich war noch zu gut für diesen Straßenköter! Es gab immer Dinge, die man nie vergessen konnte. Auch wenn man versuchte, seine Vergangenheit vollständig hinter sich zu bringen. Das hatte er am eigenen Leib erfahren und nun lebte er damit.
 


 

„Was macht Kanei-san? Geht es ihm gut?“ Joey hätte am liebsten laut aufgeschrien, als sich die spitze Nadel in seinen Arm bohrte. „Ja noch, aber wenn Sie seinen Azubi halb verstümmeln, wird sich das schnell ändern!“ Maulte der Blonde wehleidig und sah aus seinen honigbraunen Augen vorwurfsvoll auf. Der Arzt konnte über diesen zynischen Humor nur lachen. „Ich bitte Sie, das ist nichts weiter als eine kleine Spritze. Ihre Oberarme und Ellenbogen sind mit Blutergüssen übersät. Da kann ich selbst mit all meiner Erfahrung keine Schmerzfreiheit garantieren.“

Joey biss die Zähne zusammen und nuschelte etwas Unverständliches. Ja, besonders sein rechter Arm sah sehr übel aus. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie dieser dämliche Kerl ihm diesen auf den Rücken gedreht hatte und ihn vor Tala in die Knie zwang. Für ihn wirkte es so, als zöge der Arzt die Spritze ohne Acht wieder heraus und diesmal schrie der Blonde kurz auf. Den kleinen Wattebausch, den Sakurai gleich auf den Arm gepresst hatte, hielt er nicht sonderlich stark fest. Nun schien doch eine gewisse Besorgnis in den Augen des Mannes zu liegen und er richtete sich zu voller Größe auf. „Ich werde Ihnen auch wegen ihrer Rippe ein Schmerzmittel verschreiben. Sie sollten es gleich zum Frühstück einnehmen.“ Riet der Arzt und löste die Nadel der Spritze ab, die er nun extra verstaute, um dann alles andere wieder in seine große Tasche einzuräumen.
 

„Ja, es geht ihm gut, besser als mir!“ Sauer starrte der Blonde den Arzt an. Seine Wangen glühten schon fast rot und aus seinem Blick war jegliche Freundlichkeit verschwunden. Sein Arm schien ihm schwer, dick und schmerzte schrecklich. Er wollte gerade dazu ansetzen, noch etwas zu den Tabletten zu erwidern, als ein Räuspern ihn aufschauen ließ.

„Anscheinend bist du immer noch am Leben, Wheeler!“ Ein hämisches Lächeln lag auf Setos schmalen Lippen, als er den Blonden betrachtete. „Ich hatte schon gehofft, dass es anders wäre.“ Setzte er provokant hinzu. Seine Haare waren noch leicht feucht und wirkten so ein wenig verstrubbelt. Doch genau das ließ seine Erscheinung etwas lockerer wirken. Denn die schwarze enganliegende Hose mit dem breiten Gürtel und das dunkelblaue Hemd mit festem Kragen brachten den ernsten Gesichtsausdruck auf unheimliche Weise zur Geltung.

Joey spürte, wie er leicht zu zittern begann. Irgendetwas ließ ihn erschauern, wenn er diese eiskalten, blauen Augen sah. Er vergaß alles um sich herum, es war jedes Mal das Gleiche. Doch heute schien noch etwas anderes an diesem Blick so unheilvoll zu sein. Dieses dunkle Blau, welches der Firmenführer trug, es war dasselbe Blau der Kleider des Priesters in seinem Traum und es war derselbe Mann! Zum Glück konnte er das Entgleisen seiner Gesichtszüge gerade noch verhindern und spie dem Brünetten so entgegen. „Ja, das bin ich und das werde ich auch noch eine ganze Weile sein. Dir muss ich ja auch immer wieder über den Weg laufen, weil man dich leider nicht los wird!“ Konterte Joey, ohne seine Unsicherheit zu verraten.

Überrascht blinzelte der Blonde, als er erkannte, dass Seto nur noch unverfrorener lächelte. „Welch intelligente Feststellung, Wheeler. Mich wird man nicht los. Das haben sich schon ganz andere gewünscht. Aber wie du siehst, hat es ihnen nicht viel gebracht.“ Joey schluckte, was sollte denn dieser kalte Ton und dieser noch kältere Blick? Der Brünette zwinkerte ihm zu, während er sich umdrehte. „Wer sich mit mir anlegt, legt sich mit dem Teufel an! Also sei vorsichtig mit deinen Wünschen, Wheeler!“
 

„Was...?“ Völlig überfordert starrte der 21-Jährige in die Richtung, in die der leibhaftige Seto Kaiba gerade verschwunden war. Das war doch echt nur ein Traum... oder? Konnte ihn nicht endlich jemand wecken? Wieso wollte er lieber nicht genauer über diese Worte nachdenken? Da war wieder dieses Gefühl, welches ihn innerlich erschaudern ließ. Es war dasselbe, welches er in dieser Nacht in seinem Traum gehabt hatte. Toll, für wie viel Goldmünzen hatte ihn dieser Scheißkerl noch gleich gekauft?

Doktor Sakurai seufzte still. Manchmal bereute er es wirklich, damals nicht gleich die Stadt verlassen zu haben, als Gozaburo Kaiba vor 17 Jahren zu ihm gekommen war. Immerhin hatten das ja schon genug andere Ärzte vor ihm getan, aber er musste ja dessen Hausarzt werden...

„Sie dürfen jetzt wieder aufstehen. Aber passen Sie auf, dass Sie nichts Schweres heben und tragen oder sonst eine Arbeit verrichten, bei der Sie ihre Arme und somit Ihre Brustmuskulatur besonders anstrengen. Sonst könnte Ihre Wunde wieder aufreißen und das wäre höchst unangenehm. Zusätzlich kann der Druck die angebrochene Rippe überbelasten und den Bruch verschlimmern. Auch ihren Rücken sollten Sie schonen.“

Seine tiefe Stimme riss den Blonden wieder aus seiner Trance und ließ ihn überrascht aufblicken. „Wie bitte? Ich habe nicht ganz zugehört.“ Seine honigbraunen Augen schauten verwirrt drein. Seufzend wiederholte der Arzt seine Worte und nahm aus seiner Tasche ein kleines Fläschchen in dem weiße, runde Tabletten lagen. Dieses stellte er auf den kleinen Nachtschrank und schloss seinen Arztkoffer wieder. „Dies ist ein leichtes Schmerzmittel. Nehmen Sie gleich eine mit ausreichend Wasser und heute Abend wieder eine, aber nicht auf leeren Magen. Wenn Sie über den Tag hin stärkere Schmerzen verspüren, nehmen Sie noch eine halbe zusätzlich, jedoch keinesfalls mehr. Sollte sich der Zustand dann nicht bessern, melden Sie sich umgehend bei mir. Sonst nehmen Sie je eine Tablette am Morgen und je eine abends, bis die Packung aufgebraucht ist. Kommen Sie in sieben Tagen wieder zu mir, ich möchte mir ihre Wunde noch einmal ansehen und ein Röntgenbild von ihrer Rippe machen. Bis dahin werden Sie wohl alleine zurechtkommen. Es ist ja nicht das erste Mal in Ihrem Leben, dass Sie so eine Verletzung haben. Nicht wahr?“
 

Immer noch leicht abwesend nickte er und blickte zur Tür zurück. „Kennen Sie ihn schon lange, Sakurai-hakase?“ Joey wusste selbst nicht, warum er das plötzlich wissen wollte. Überrascht zog der Angesprochene eine Augenbraue hoch. Was sollte denn das werden? „Ich habe vor 17 Jahren angefangen, für Kaiba Gozaburo zu arbeiten, wenn man das so sagen darf. Ich kenne Kaiba-san, seit er von ihm adoptiert wurde. Aber mehr werde ich dazu nicht sagen, denn ich bewahre über alle meine Patienten Stillschweigen.“ Mit einem leisen -Klick- rastete die Verriegelung der Tasche ein und verschloss sie damit. „Ich für meinen Teil werde nun die Küche aufsuchen und Margerite-chans Einladung auf einen kleinen Plausch und einen guten Tee annehmen.“ Seine ernsten Augen musterten den Blonden noch einmal. „Sie sollten auch kommen, denn Margerite-chan wird sicher ein Frühstück angerichtet haben, Wheeler-kun.“
 


 

Mokuba wippte gelangweilt mit dem Stuhl nach vorne. Er saß verkehrt herum darauf und ließ beide Beine herunter baumeln. Seine Arme hatte er überkreuzt auf die Lehne gelegt und sein Kinn darauf abgestützt.

Mittlerweile hatte er seine Kleider wieder geordnet, Gürtel und Hemd geschlossen und die Krawatte abgelegt. „Marga-chan, wann ist der Reis endlich fertig?“ In seinem Blick lag etwas, das nur schwer zu deuten war.

Die alte Köchin trug nun eine große weiße Schürze und hatte ein großes weißes Tuch um den Kopf gebunden. Sie stand mit dem Rücken zu dem relativ großen Eichenholztisch, der sich im hinteren Teil der Küche befand und ihn fast ganz einnahm. Er war höher als normale Tische, weil er oft auch als Arbeitsfläche genutzt wurde. „Gleich.“ Sie war leicht genervt von dieser Frage, denn sie wurde ihr nun schon zum dritten Mal gestellt.

Die Küche war riesig. Ihre Ausmaße waren längst nicht mehr normal und trotz ihrer Größe glänzte sie wie kein anderer Raum im ganzen Haus. An den Wänden zogen sich die Arbeitsflächen, der eine oder andere Herd, die verschiedensten Öfen und so manches Waschbecken entlang. In der Mitte waren zusätzliche Arbeitsflächen und große Herdplatten. Unzählige Schränke und Schubladen waren überall unter den mächtigen Flächen verborgen. Hier konnte eine gesamte Gesellschaft von über fünfzig Personen bekocht werden.

Obwohl die meisten Geräte, Flächen und Schränke aus purem Edelstahl waren, entstand keine sterile Atmosphäre, die durch die gigantischen, schneeweißen Kacheln des Fußbodens noch verstärkt werden würde.
 

„Marga-chan? Ist der Reis jetzt fertig?“ Seine dunkelblauen Augen schauten fragend hinüber, denn er konnte den Geruch des Frühstückes bereits riechen. Obwohl er heute bereits etwas gegessen hatte, verspürte der schwarzhaarige Junge eindeutig ein schreckliches Loch in seinem Magen.

Erstaunlich schnell drehte sich die alte Dame um und funkelte Mokuba wütend an. Drohend hob sie ihren Holzkochlöffel und sprach mit recht lauter Stimme. „Wenn du noch einmal danach fragst, schmeiße ich dich aus meiner Küche raus. Du gehst mir eindeutig zu viel auf die Nerven.“

Überrascht kippte er mitsamt Stuhl wieder zurück und hob den Kopf. Ein Grinsen lag auf seinen Lippen, als er verschmitzt schnüffelte. „Marga-chan, ich glaube, JETZT ist der Reis gut.“

Augenblicklich drehte sich die Köchin wieder um und sorgte für den Rest des Essens. Mokuba hatte einfach hier in der Küche gedeckt. Er hatte heute Morgen keine Lust darauf, irgendwo in einem der Speisesäle zu essen. Außerdem hatte er sich hier schon oft genug durchgefuttert. Sollte Seto doch von seinem hohen Ross herunterkommen und auch hier essen. Woanders gab es eben nichts. Zumindest in diesem Haus. Ja, er konnte die Stimme seines Bruders schon hören. ‚Erst schmeißt du dich in mein Bett, als wärest du noch vier Jahre alt und jetzt soll ich hier essen? Warum haben wir zwei Speisesäle und drei Kaminzimmer?‘ Oh, warum musste Seto nur so starrsinnig sein? Konnte er sich nicht einmal mit dem zufrieden geben, was für andere Menschen eine Freude wäre?
 

„Kannst du dich nicht wie jeder anständige Mensch auf den Stuhl setzen, Mokuba?“ Der Brünette trat ein und schaute mit einem leicht unterkühlten Blick zu seinem kleinen Bruder hinüber. Da war er also, der Mann, über den sich Mokuba innerlich schon aufgeregt hatte und natürlich gab es gleich eine Rüge! Nein, es kam kein ‚Schön, dass wir endlich mal wieder zusammen frühstücken können.‘, nein, gleich wieder einen Tadel!

„Nein, kann ich nicht!“ Plötzlich wurde Mokuba laut. Er bemerkte selbst nicht, wie die Wut in ihm aufstieg und er sich zornig zu seinem Bruder umdrehte. „Es ist immer noch meine Sache, wie ich auf meinem Stuhl sitze. Nicht mal von DIR lass ich mir da was sagen. Hast du das verstanden?“ Seine Stimme war immer gewaltiger geworden, bis sie schließlich einen Tonfall angenommen hatte, in dem man die unterdrückte Wut deutlich hörte.

Damit hatte der Brünette nicht gerechnet und ohne es zu wollen glomm kurz Verständnislosigkeit in seinen Augen auf. Er hatte doch nur einen ganz normalen Satz ausgesprochen. Er hatte doch nichts weiter getan, als eine Tatsache offenzulegen. Gab es da etwas, das er nicht mitbekommen hatte? „Meinst du akustisch oder sinngemäß?“ Fragte er ruhig, denn von dem 17-Jährigen würde er sich sicher nicht noch einmal aus der Fassung bringen lassen. Was war denn geschehen, vorhin war er doch noch so gut gelaunt?
 

Jetzt platzte Mokuba der Kragen und er sprang auf. „Wenn du's akustisch nicht verstanden hast, kannst du es sinngemäß erst recht nicht verstehen!“ Schon fast hasserfüllt ballte er beide Hände zu Fäusten. „Aber ich kann es ja später deinem Sekretär schriftlich geben, vielleicht besteht dann ja noch ne Chance, dass du es liest!“ Ohne weiter auf seinen großen Bruder zu achten, schritt er auf die Tür zu. „Ich sag Noah Bescheid und schaue nach Joey.“ Mit diesen Worten schloss er die Tür hinter sich.

Margerite verstand überhaupt nichts mehr. Verständnislos stand sie mit ihrem Reislöffel in der Hand da und starrte den Brünetten an. „Was ist denn jetzt in ihn gefahren? Habe ich etwas nicht mitbekommen?“ So etwas hatte sie bisher noch nie erlebt. In all ihren Jahren, in den sie Mokuba nun schon kannte, hatte er sich nie so gehen lassen. Sie wusste, dass er hin und wieder in den letzten zwei Jahren mit seinem Bruder stritt, dass er auch Türen knallte, wenn ihm etwas nicht passte. Aber noch nie war er von jetzt auf gleich in die Luft gegangen.

Seto schüttelte nur den Kopf, er wusste selbst nicht, was er davon halten sollte. Einerseits empfand er es als typisch für den Kleinen, auch wenn er nicht wusste, wann sich Mokuba das Herumschreien angewöhnt hatte. Andererseits hatte er aber auch bewiesen, dass er durch und durch ein Kaiba war. Er hatte einmalig gekontert und zum Schluss entgegen aller Voraussetzungen die Tür nicht hinter sich zugeknallt. Seufzend setzte er sich an den Tisch und stützte sein Kinn in die rechte Hand. Irgendetwas geschah hier, ohne dass er es bemerkte. Irgendetwas geschah mit Mokuba, ohne dass er es begreifen konnte. Müde schloss er die Augen und brummte nur ein ‚Danke.‘, als er die Tasse Kaffee vor sich roch. In seiner Firma schien es drunter und drüber zu gehen, hier in der Familie schien schon lange nichts mehr zu stimmen und jeden Tag entwickelte sich Mokuba weiter in eine Richtung, die er nicht verstand.
 


 

Am ganzen Leib zitternd stand Mokuba vor der geschlossenen Küchentür. Sein Herz raste wie nach einem Dauerlauf und er atmete ungewohnt schwer. Warum hatte er das getan? Vorhin noch hatte er so mit Seto gelacht und jetzt schrie er ihn an? Er konnte die Wut immer noch überdeutlich spüren, die seinen ganzen Körper zum Beben brachte. Es war ganz plötzlich geschehen, ohne dass er noch etwas dagegen tun konnte. Seine Wangen färbten sich rot und sein Blick wurde immer verschwommener. Egal was er sich auch einredete, die Tränen konnte er nicht mehr unterdrücken. Warum? Warum nur?

Eigentlich schämte er sich für diese schäbige Tat, aber um sich das so einfach einzugestehen, war er zu stolz. Es war klar, dass Seto nicht die ganze Schuld an dem eben Geschehenen trug. Seine jugendlichen Gefühle waren chaotisch, wirr. Woher die Wut kam, wusste er nicht. War sein Bruder wirklich daran schuld? Oder redete er sich das ein, weil es leichter war? Immerhin hatte sein Bruder ihm nur gesagt, dass er sich anders hinsetzen sollte. Ja, so wie er ihm alles sagte. Jeden Schritt seines Lebens hatte der jetzt 22-Jährige bestimmt. Es war erstaunlich, dass er sich seine Kleidung noch selbst aussuchen konnte. Aber war das jetzt wirklich noch so? Er musste an die E-Mail denken, die er seinem Bruder gestern geschickt hatte und wo er sich wirklich befand.
 

Mokuba setzte sich langsam in Bewegung und betrat den großen Eingangsbereich. Sein Blick fiel auf die schier unendlich hohe Treppe und entmutigt stieg er die ersten paar Stufen empor. Wenn es etwas gab, dass er in letzter Zeit nicht mehr verstand, dann war er es selbst. Immer noch aufgewühlt wischte er die Tränen fort, die sich nun langsam ihren Weg über seine Wangen bahnten. Er hätte länger bei Aiko bleiben sollen, hier hätte es eh keiner bemerkt. Seto fragte ja auch seit langem nicht mehr, was er tat. Er hasste seinen Bruder nicht dafür, denn auf gewisse Weise war es ja genau das, was er wollte. Aber er konnte einfach nicht begreifen, was geschehen war. Sie hatten sich so extrem auseinander gelebt und jeder konnte ohne den anderen zurechtkommen.

Früher hätte er nie geglaubt, dass so etwas möglich wäre. Langsam ließ die Wut darüber nach und die Gedanken des 17-Jährigen wurden klarer. Dabei schritt er die Treppe hoch und wand sich dem rechten Gang zu. Hier hatten er und Noah ihre Zimmer. Sie kamen mit wenig zurecht, Mokuba hatte sein eigenes Zimmer mit integriertem Bad und ein Gästezimmer unter Beschlag genommen. Noah hatte Schlaf- und Arbeitszimmer voneinander getrennt und besaß noch einen privaten Raum, den er grundsätzlich verschlossen hielt. Seto hingegen hatte ein Arbeits- und Schlafzimmer, einen Meditationsraum, ein kleines Minidojo, ein Archiv, eine Art Werkstatt, in der er die technischen Aspekte seiner Arbeit auslebte und im Keller war ein Teil zu einem privaten Serverraum umgebaut worden. Kurzum, sie brauchten zusammen deutlich weniger Platz als Seto. Deprimiert erinnerte sich der Kleine noch an etwas anderes. Früher hatte er alle Zimmer von seinem großen Bruder gekannt. Heute sah das etwas anders aus. Er war froh darüber, wenigstens die Hälfte von ihnen zu kennen.
 

Seufzend schaute er sich den Gang genauer an. Eigentlich achtete er nicht mehr darauf, wo er hier entlang ging. Er kannte, bis auf die eben genannten Ausnahmen, jeden Winkel dieses Hauses. Seto hatte es zwar innen komplett neu einrichten lassen, aber gebaut hatte es ihr Stiefvater. In den Augen des Brünetten war dieses Haus wie eine Siegestrophäe. In Gedanken versunken fuhr Mokuba mit der flachen Hand über die hellblaue Tapete. Er hatte wirklich nichts ausgelassen. Kein Parkett, keine Tapete, kein Bild und nichts, was in irgendeiner Weise von Kaiba Gozaburo stammte. Er war schon fast wie eine Besessenheit gewesen, alles zu vernichten. Oh ja, vernichten war das richtige Wort dafür.

„Mokuba? Was machst du denn hier?“ Erstaunt darüber, den Kleinen heute noch einmal zu sehen, trat er aus der halb geöffneten Tür heraus. Das helle Licht des Zimmers fiel auf den Flur und hüllte den Älteren in eine schemenhafte Aura ein. „Noah?“ Erschrocken fuhr der Schwarzhaarige in sich zusammen und blinzelte ins einfallende Licht. Er musste schlagartig an ihr Treffen am Morgen denken. Ungewollt stieg die Hitze wieder in ihm auf und die leichte Verlegenheit schlug in ein ganz anderes Gefühl um. Gut, es war nur Noah, er sollte sich zusammenreißen. So räusperte sich der junge Mann, damit seine Stimme fester klang. „Dämliche Frage, ich hab hier auch meine Zimmer. Aber eigentlich suche ich dich.“ Kurz schwieg er. Er spürte schon wieder, wie sein Herz schneller zu schlagen begann. „Marga-chan hat noch einmal ein Frühstück gemacht und ich wollte fragen, ob du auch Hunger hast.“ Diesmal war seine Stimme ruhiger gewesen. Er musste unbedingt lernen, sich zu beherrschen.
 

Ein ungesehenes Lächeln umspielte Noahs Mundwinkel. Wie er es doch liebte, den Kleinen in Verlegenheit zu bringen. Dabei war es so einfach, dass es schon fast wieder lächerlich war. „Danke, aber ich habe eher auf etwas anderes Hunger!“ Seine Worte wurden von einem merkwürdig provozierenden Ton unterstrichen. Er konnte genau sehen, wie Mokubas Blick leicht entsetzter wurde, hatte er diesen Ton doch längst verstanden. „Tja, dann musst du dir aber einen anderen suchen. Ich für meinen Teil habe KEINEN Hunger darauf. Also, lass mich endlich in Ruhe. Ich habe dir oft genug gesagt, dass mir deine Spielchen auf die Nerven gehen!“ Mit diesen Worten drehte er sich wieder um und wollte gehen. Nein, auf die Nerven gehen war das falsche Wort, er verstand sie nicht. Er wusste nicht einmal, ob Noah auf Männer stand. Selbst wenn er das tat, sie waren Stiefbrüder, damit waren sie doch eine Familie und Mokuba stand sicher nicht auf Männer!

Blitzschnell griff Noah nach dessen Handgelenk und zog den Schwarzhaarigen zurück. „Hej, Moki, warte doch. Was ist denn nun schon wieder geschehen? Ich sehe doch, dass du geweint hast.“ Erschrocken zuckte der Schwarzhaarige zusammen, als er den festen Griff um sein Handgelenk spürte. War er so einfach zu durchschauen? Er sah ihn mit großen Augen an und drehte den Kopf verlegen zur Seite. Sein Herz begann wild zu schlagen, die verwirrten Gefühle schäumten auf. Er wollte nicht darüber sprechen und schon gar nicht jetzt! „Lass mich los!“ Er konnte die Unsicherheit und seine Verletzlichkeit nicht aus seiner Stimme verbannen. Der weinerliche Unterton in dieser zeigte dem Älteren, dass er Recht hatte. Unerwartet zog Noah den Jüngeren an sich und lächelte. „Ich kann dich gerne auf andere Gedanken bringen. So wie ich dich und Seto kenne, habt ihr euch wieder gestritten. Er hat dir etwas vorgeworfen, was dir nicht gepasst hat. So ist es doch immer zwischen euch beiden.“ Doch Mokuba drehte den Kopf zur Schulter, er wollte ihn jetzt nicht ansehen. Es war ein sonderbares Gefühl, so nahe bei ihm zu stehen, die Wärme seiner Hand zu spüren, die ihn noch immer festhielt. Gleichzeitig fühlte er sich schwach, der aufkommenden Verzweiflung nicht gewachsen, die in seiner Brust anschwoll. Scham und Schuld mischten sich in die Erinnerungen, die Noah weckte. Es war so schwer, die aufkommenden Tränen wieder zu unterdrücken und gleichzeitig versuchte er sich nicht zu fragen, auf welche Art ihn Noah auf andere Gedanken bringen wollte.
 

Sanft griff dieser nach dem Kinn Mokubas und drehte dessen Gesicht zu ihm. Ein böses, wissendes Lächeln lag auf den Lippen des 22-Jährigen. „Ach komm, ich kenne euch beide. Was war es? Sollst du nicht immer die Türen knallen, nicht immer so schreien oder war es doch eher eine unwichtige Nebensächlichkeit?“ In Noahs Augen funkelte etwas auf, dass Mokuba einen Schauer über den Rücken jagte. „Außerdem muss ich mich noch für heute Morgen bedanken. Ich hätte nicht gedacht, dass du so stark bist. Oder war es doch eher die Kraft der Verzweiflung?“

Der 17-Jährige spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Ängstlich versuchte er, sich aus dem festen Griff zu befreien und wusste doch, dass er kaum eine Chance hatte. „Noah, du bist unmöglich. Lass mich endlich in Ruhe. Außerdem geht es dich nichts an, worüber ich mich mit Seto gestritten habe.“ Warum musste er auch unbedingt hierher kommen? Für diese Aktionen hasste er seinen großen Bruder wirklich. Aber das Schlimmste an all dem war, dass Noah ihm oft genug aus der Patsche geholfen hatte. Wie oft hatte er sich schon bei ihm ausgeheult, weil Seto ihn wie das Letzte behandelt hatte oder weil er wieder einmal von seinen Mitschülern gedemütigt worden war.

Plötzlich drückte ihn der nur um zehn Zentimeter Größere gegen die Wand. Er hatte mitbekommen, dass Mokuba abwesend wirkte. Als dieser die harte Wand im Rücken spürte, kehrte er ruckartig in die Gegenwart zurück. „Worüber zerbrichst du dir jetzt schon wieder den Kopf?“ Lächelnd schaute er tief in die leicht verschwommenen Augen seines Opfers. Die Tränen konnte Mokuba kaum noch zurückhalten. „DARÜBER, WARUM DU SO EIN IDIOT SEIN MUSST!“ Schrie Mokuba einfach seine Gedanken heraus, ohne über die Folgen nachzudenken. Nun zog sich ein wirklich teuflisches Lächeln über Noahs Lippen.
 

Joey gähnte ausgiebig. Was für ein Morgen, konnte jetzt eigentlich noch etwas schief gehen? „Oh ja, ne Menge!“ Trotz dieser Erkenntnis setzte sich der Blonde lächelnd auf die Bettkante. Aber Kaibas Worte verstand er immer noch nicht ganz. Was bedeutete es, wenn man sich mit dem leibhaftigen Teufel anlegte? Was tat Kaiba, wenn er anderen wie "der Leibhaftige" nachjagte? Und was würde der Kerl mit ihm anstellen, wenn er sich daneben benahm? Würde der Kerl übergriffig werden? Würde er sein gesamtes Leben versauen und dafür sorgen, dass er seine Wohung verlor? Seinen Ausbildungsplatz verlöre? Oder würde der Mann ihn um die... um die Ecke bringen?

Erschrocken schüttelte er den Kopf. Nie im Leben! Wahrscheinlich tat Kaiba all das nur, damit alle anderen glaubten, er wäre der große, böse Mann und in Wahrheit steckte rein gar nichts hinter diesen Worten! Langsam fing der ganze Raum an sich zu drehen und überrascht von diesem Schwindelanfall kniff er die Augen zusammen. Er sollte an andere Dinge denken. An gestern zum Beispiel. Was hatte er denn gestern getan? Ach ja, Tala! „Nein!“ Das Kopfschütteln ließ er diesmal lieber sein. „Nicht auch noch an den!“ Zischte er wütend. Vorsichtig öffnete er eines seiner honigbraunen Augen und schaute sich bedächtig im Raum um, nur um sicher zu gehen, dass er alleine war. Er machte sich echt vor sich selbst lächerlich.

Da der Bondschopf nun sicher war, dass ihn niemand bei diesen peinlichen Selbstgesprächen beobachtet hatte, griff er nach seinen Sachen, die feinsäuberlich neben dem Bett zusammengelegt waren. Während er die zerschlissene Jeans aufschlug, dachte er an seinen komischen Traum. Vielleicht hatte er auch nur eine abgedrehte Phantasie. Immerhin hatte Tala ihm damit gedroht, dass er ihm die Zunge herausschneiden würde. Solche Aussagen konnten sichere auch Albträume heraufbeschwören. Vorsichtig schlüpfte er in die Hose, seine Brust spannte leicht und der rechte Arm fühlte sich von der Spritze noch seltsam taub an.
 

Den dunkelroten Pullover zog er wie gewohnt über, auch wenn er dabei sehr vorsichtig und langsam sein musste. Das Heben der Arme und das Anspannen der Brustmuskulatur war unerwartet schmerzhaft. Erst jetzt bemerkte er den zarten Duft, der von seinen Sachen ausging. Sie mussten alle frisch gewaschen worden sein. Noch immer irritiert hielt er den Saum des Pullovers fest. Gestern hatte er ihn nicht an. Da trug er ein einfaches, weißes Shirt. Das wusste er noch, weil er erst draußen feststellte, dass er zu kalt angezogen war. Das hier konnte also nicht seiner sein. Er konnte sich nicht einmal daran erinnern, dass er überhaupt einen roten Rollkragenpullover besaß. Mit einem Schulterzucken schob er das Ganze zu den vielen Nebensächlichkeiten, die in diesem Hause wie selbstverständlich geschahen und doch von ,normal sterblichen Menschen‘ überhaupt nicht nachzuvollziehen waren. Er griff schon nach dem schwarzen Gürtel, als er verbissen bemerkte, dass sein Schlüsselbund auf dem Nachtschrank neben dem Bett lag. Mit einer schnellen Handbewegung schnappte er danach und stopfte ihn zurück in die Hosentasche. Auch seine abgegriffene Brieftasche wurde an ihren eigentlichen Ort befördert. Das Schulterzucken sollte er sich jedoch für die nächste Zeit abgewöhnen. Er spürte den Schmerz im Rücken und auf der Brust.

Nachdem er seine Socken angezogen hatte, was heute am schwierigsten erschien, ließ er erneut seinen Blick suchend durch das Zimmer schweifen. Wo war denn nur...? Unsicher stand er auf und schaute noch einmal zu dem kleinen Nachtschränkchen. Vielleicht war es heruntergefallen? Vorsichtig ließ er sich auf die Knie sinken und suchte mit seiner rechten Hand den Boden unter dem Bett ab. Nein, hier war es auch nicht, aber wo dann?

Wütende verengten sich seine Augen, nein, DAS konnte Kaiba nicht getan haben. Vieles, aber nicht DAS! Unsicher erhob er sich wieder und schaute sich noch einmal um. Vielleicht sollte er sich doch nicht so sicher sein. Dem Brünetten konnte man allerhand zutrauen.
 

Dann fiel sein Blick auf etwas Ungewöhnliches, das im Regal lag. Verwundert trat er vor das Bücherregal und nahm den weißen Briefumschlag heraus. Wheeler stand in reichlich verschnörkelter Schrift auf dem weißen Papier. Das konnte nur einer geschrieben haben.

Joey konnte fühlen, dass sich etwas Hartes, Kleines in dem Brief befand. Wütend riss er den Umschlag auf und schüttete den Inhalt auf seine Hand. Eine einfache silberne Kette mit einem runden Medaillon und eine kleine Karte kamen zum Vorschein. Erleichtert drückte er die Kette mit dem kleinen Anhänger an sein Herz. Dieser Mistkerl, musste er das tun?

Unsicher warf er einen Blick auf die Karte, die er nun in der anderen Hand hielt.

,Wirklich süß, Familie Köter!‘

Wütend zerknüllte er die kleine Karte und schaute auf. Kaiba! Was fiel diesem Großkotz eigentlich ein? Das würde er ihm noch heimzahlen. Diese Aktion schrie förmlich nach Rache. Ein Grummeln unterbrach seine Rachegedanken und ließ den Blonden verlegen lächeln. Wann hatte er eigentlich das letzte Mal gegessen? Er sollte erst einmal dieses Problem lösen und sich dann seiner Rache widmen. Es würde ihm schon das Passende einfallen, da war er sich sicher. Ohne weiter darüber nachzudenken, schlüpfte er in die Hausschuhe, die vor dem Bett standen und stürmte zur Tür heraus. Nur kurz hielt er inne, dann nahm er den nächstbesten Gang. Er hatte sowieso keine Ahnung, wo er war, daher verließ er sich ausschließlich auf sein Bauchgefühl. Irgendwann würde er schon jemanden finden, den er nach dem richtigen Weg fragen könnte. Er irrte die vielen Gänge entlang, ohne müde zu werden. Wenn er in einem Geduld hatte, dann war es dieses seltsame Spiel.
 

Während er die Gänge entlang schlenderte, legte er sich die Kette um und ließ sie unter dem Pullover verschwinden. Es war schon verrückt, aber wenn er sich das so überlegte, gab es wirklich Schlimmeres, als hier entlang zu irren. Überrascht horchte er auf. War da nicht eben eine Stimme zu hören gewesen? Na, dann konnte ihm derjenige sicher helfen, die Küche zu finden. Neugierig beschleunigte er seine Schritte und bog um die nächste Ecke.

Angewurzelt blieb er stehen und versuchte das Bild vor ihm zu begreifen. Das war niemand vom Hauspersonal. Er blinzelte. Das konnte jetzt nicht wahr sein. „Mokuba...?“ Die schwarzen schulterlangen Haare waren völlig verstrubbelt. Seine Wangen waren gerötet und in seinen Augenwinkeln sammelten sich die ersten Tränen. Das weiße Hemd war gänzlich aufgeknöpft und aus dem Saum er Hose gezogen. .

Noah hatte sich über seinen kleinen Bruder gebeugt und drückte ihn an die Wand. Mit der einen Hand war er unter dem weißen Hemd verschwunden und zog es noch weiter über die Schulter.

Ein hinterhältiges Angebot

Kapitel 5

Ein hinterhältiges Angebot
 

Sekundenlang herrschte Stille, während sich zwei Blicke trafen. Herzschlag um Herzschlag verstrich, ohne dass sich einer von ihnen rührte. Es war ein stummer Dialog über diesen intimen Augenblick. Ein stetiges Hin und Her der unausgesprochenen Fragen, der Verständnislosigkeit und der Sorge.

Noah verstand nicht, was sich da vor seinen Augen abspielte. Ungläubig huschte sein Blick von einem zum anderen. Er erkannte deutlich das Entsetzen, welches Joeys Gesicht zeichnete, aber genauso auch die Scham, die Mokubas Wangen tief rot gefärbt hatte. Doch was ging zwischen den beiden vor? „Ich störe ja nur ungern euer „wortreiches Gespräch“, aber was bitte hast DU hier zu suchen, Wheeler?“ Aus seiner Verwunderung wurde Ärger, der nun in Noahs dunkelblauen Augen funkelte. Er hatte sich gänzlich von Mokuba gelöst und stand leicht breitbeinig mit verschränkten Armen im Flur. Er konnte es nicht leiden, wenn er gestört wurde, egal bei was.
 

Nur sehr langsam ließ Joey seinen Blick zu dem aufgebrachten, jungen Mann wandern, der seinen aufsteigenden Ärger hinter einer harten Fassade versteckte. Es schien, als ob er sich jede Bewegung einzeln überlegen würde. Die honigbraunen Augen blickten ernst und sicher zu dem Grünhaarigen hinüber, obwohl das Entsetzen immer noch nicht ganz von ihm gewichen war.

Das war kein typisches Verhalten für diesen Straßenköter. Verwundert und innerlich auch ein wenig verunsichert wartete Noah auf die nächste Reaktion. Er zeigte nur die kalte Verstimmung, die sich nach dem ersten Aufbegehren in ruhigere, fokussierter Bahnen lenkte. Er hatte von Joey erwartet, dass dieser ausgerastet oder verlegen geworden wäre, selbst dass er einfach davonlief, lag als verständliche Reaktion nahe, aber sicher nicht das hier. Er wirkte zwar geschockt und verlegen, aber in seinem Blick lag eine unbeugsame Stärke. Es schien die Situation viel tiefer zu begreifen, als Noah von ihm erwartet hätte. Ruhig und bewusst schien der junge Mann seine nächsten Schritte zu setzen, damit er nicht kopflos handelte. War der Köter doch schon so ‚erwachsen’ geworden?
 

Stumm schloss Joey seine Augen und senkte kurz den Kopf, bevor er Noah direkt in die Augen blickte. „Ich suche die Küche! Aber wenn du so fragst: Was veranstaltest du hier?“ Warum musste er eigentlich immer von einer Schwierigkeit in die nächste schlittern? Er konnte deutlich spüren, wie verärgert Noah war, der ihn um ein gutes Stück überragte. Bisher hatte er nicht sehr viel Kontakt zu dem grünhaarigen jungen Programmierer gehabt, so konnte er dessen Reaktion nicht einschätzen. Seine eigene Brust schmerzte und auf einen weiteren Kampf, eine Prügellei konnte er es definitiv nicht ankommen lassen. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass er selbst unglaublich wütend wurde. „Das würde mich nämlich interessieren!“ Seine Worte waren nur noch ein Zischen, welches eine ungewohnte Schärfe inne hatte. Er war sauer auf den jungen Mann, der anscheinend jede Grenze überschritt. Am liebsten hätte er ihm eine gescheuert.

Noah strich sich eine Strähne seines grünen Haares aus dem Gesicht und erwiderte den ernsten Blick. „Warum sollte ich dir das sagen?“ Ein leicht überhebliches Lächeln zog sich über seine Lippen. Er achtete nicht mehr auf Mokuba, der nun zitternd an der Wand lehnte. Der Schwarzhaarige hatte die Arme wieder herunter genommen, das Hemd so gut es ging um sich gezogen. Noahs Selbstsicherheit war nur teilweise echt, denn Joeys Reaktion hatte ihn mehr getroffen, als er sich selbst eingestehen wollte.
 

Jetzt reichte es dem Blonden. Wie konnte man nur so eingebildet sein. „Du bist immer noch sein großer Bruder, Kröte!“ Mit wenigen schnellen Schritten überbrückte er den letzten Abstand zu dem Gleichaltrigen und griff nach seinem Hemd, die Schmerzen in seiner Brust ignorierend. „Hast du dir darüber mal Gedanken gemacht?“ Nur noch schwer konnte sich Joey beherrschen und er spürte deutlich, wie seine Hände zitterten. „Selbst wenn du nur sein Stiefbruder bist, trägst du eine gewisse Verantwortung ihm gegenüber! Wenn du dich auch nur noch einmal an ihm vergreifst, ich schwöre dir, ich weiß nicht, was ich mit dir machen werde!“ In seiner tiefen Stimme war die aufgebrachte Wut deutlich zu hören. Es bedurfte nicht mehr sehr viel und jede Beherrschung ginge verloren.

Zornesröte hatte sich auf Joeys Wangen geschlichen und mit der linken Hand hielt er das Revers des Grünhaarigen fest gepackt. Ohne es zu bemerken, hob er die Rechte und schlug zu. „Was bildest du dir nur ein!“ Der 19-Jährige zitterte am ganzen Leib vor Wut. Das Dröhnen in seinem Kopf machte es schwer, noch irgendeine Art der Beherrschung aufrecht zu erhalten. Er konnte das Kribbeln in seinen Fäusten spüren. Er wusste selbst nicht, was ihn noch zurück hielt, denn es fiel ihm kein plausibler Grund ein. Dafür verdrängte langsam das in seinen Adern angestaute Adrenalin den Schmerzen und ließ ihn nicht bis in den Verstand vordringen. Auch die Taubheit seines rechten Armes war jetzt nicht spürbar. „Wage es noch einmal, du dreckige kleine Kröte und ich zerquetsche dich, wie Kaiba es hätte längst tun sollen!“
 

Das hatte er nicht erwartet, nein, das ganz sicher nicht. Er war fassungslos, jede Farbe war aus seinem Gesicht gewichen und im ersten Moment wusste er nicht, was er tun oder sagen sollte. Sicher war seine Wange nun scharlachrot und würde es auch eine Weile bleiben. Er spürte den Schmerz nicht so, wie er ihn damals wahr genommen hätte. Die Erinnerungen waren noch immer vorhanden, doch in diesem Moment gab es etwas anderes, dass ihn stärker beschäftigte. Joey hatte da ein Thema angeschnitten, das ihm sehr wichtig war. Seine grünen Augen huschten zu Mokuba und er schluckte. Noch immer stand Joey dicht vor ihm, blanker Zorn spiegelte sich in seinen Augen. „Er vertraut dir, er braucht dich, also hör mit diesem verfluchten Scheiß auf!“ Zischte der Blonde leise und ein Knurren entkam ihm dabei.

Noah versuchte noch immer zu verstehen, was hier genau geschah. Aber eines begriff er deutlich. Noch immer lag sein Blick auf Mokuba, der zitternd an der Wand lehnte, das weiße Hemd fest um sich zog und den Kopf tief gesenkt. Offensichtlich war er zu weit gegangen und hatte es nicht mitbekommen. Nun gut, jetzt konnte er nichts weiter tun, als so glamourös wie möglich die Flucht zu ergreifen. Mit einem wütenden Joey wollte er sich nicht anlegen.

„Verschwinde endlich!“ Mit einer kräftigen Bewegung stieß er den 22-Jährigen von sich weg und wand sich Mokuba zu. Er spürte noch immer diesen unbändigen Zorn in sich, aber seine Sorge um den Kleineren war einfach zu groß, um sich noch länger mit Noah zu beschäftigen. Er beobachtete wie dieser mit einem unzufriedenen Knurren zurückwich und sich schließlich umdrehte. Er schlug noch im Vorbeirauschen die Tür neben sich zu und verschwand irgendwo in den Fluren der Villa.
 

„Ist ja gut! Es ist vorbei!“ Langsam ging der Blonde in die Knie und zog Mokuba an sich, der nun am Fuße der Wand saß. Er konnte deutlich fühlen, wie der schlanke Körper bebte. Plötzlich ließ sich der Schwarzhaarige in Joeys Arme sinken und vergrub sein Gesicht in dessen Pullover. Erst jetzt wurde das klägliche Schluchzen unregelmäßiger und Mokuba ließ endlich allen Tränen freien Lauf.

Während er den Jüngeren schützend an sich drückte, kreisten seine Gedanken um diese Situation. Was bei allen verfluchten Flüchen dieser Welt war geschehen, dass Noah so einen Scheiß abzog? War so etwas etwa auch heute Früh geschehen? Hatte Mokuba deswegen so ausgesehen? Wenn das öfter geschah, warum unternahm Kaiba nichts dagegen? Das alles waren Fragen, auf die er keine Antwort finden würde und wahrscheinlich würde sie ihm auch keiner beantworten, wenn er danach fragte.
 

Die Zeit verstrich unbemerkt, wie ein zähflüssiger Strom, der nur von seiner eigenen Trunkenheit angetrieben wurde. Mokuba brauchte lange, um sich zu beruhigen. Noch immer zitterte er leicht, doch sein Schluchzen war verstummt. Dafür spürte Joey die kleine Rache seines Körpers für die saftige Ohrfeige. Sein rechter Arm fühlte sich schwer an und sein Brustkorb schmerzte. Das Adrenalin war offenbar abgebaut worden.

„Joey?“ Fragend hob Mokuba den Kopf und schaute auf. Er wusste, dass seine Hände immer noch zitterten und seine Augen mussten mittlerweile rot unterlaufen sein. „Warum hast du das gesagt?“ Ein fast schon flehender Ausdruck lag in seinem Blick, als er mit flüsternden Worten seine Frage stellte. Ein sanftes Lächeln legte sich auf Joeys Lippen und Erleichterung breitete sich in ihm aus. Zumindest hatte sich der Kleine etwas beruhigt, damit hatte er schon eine Menge erreicht. „Weil jeder große Bruder von dem Tage an, an dem sein Geschwisterkind zur Welt kommt, eine Verantwortung trägt. Ob es ihm passt oder nicht, so ist es nun mal.“ Vorsichtig strich er Mokuba einige Strähnen aus dem Gesicht. „Auch wenn man nicht Blutsverwandt ist.“

Der Schwarzhaarige schluckte und nickte dann. Unsicher senkte er seinen Blick und starrte auf seine Hände, deren Finger sich tief im roten Pullover vergraben hatten. Er war wirklich erbärmlich. Jetzt saß er hier mitten auf dem Boden und heulte sich die Augen aus. Fast erdrückt von diesem Gedanken schluckte er schwer. „I… ich meinte eigentlich…“ Schnell wischte er sich die wiederkehrenden Tränen aus den Augenwinkeln und setzte neu an. „Ich meinte eigentlich, warum du zu Noah gesagt hast, dass du die Küche suchst.“ Erstaunt blickte er auf, als er Joey lachen hörte. „Weißt du, ich hab eben Hunger.“
 

Durch das breite, verschmitzte Grinsen des blonden jungen Mannes musste Mokuba einfach zögerlich lächeln. Joey würde eben immer Joey bleiben. „Ich kann dir ja die Küche zeigen.“ Schlug er ein wenig bedenklich vor, da er nicht wusste, ob Seto noch immer dort war.

„Also, wenn du meinen Vorschlag hören willst, solltest du dir erst einmal etwas anderes anziehen.“ Immer noch freundlich lächelnd knöpfte er die obersten Knöpfte des weißen Hemdes zu und legte den Kopf wie ein kleines Kind leicht schief. „Aber sonst ist das eine wirklich gute Idee.“

Mokuba spürte, wie er wieder rot anlief und beschämt zu Boden blickte. Er nuschelte ein ziemlich unverständliches ‚Ja, du hast Recht.‘ und versuchte etwas umständlich aufzustehen. Doch Joey war schon schneller und grinste breit, als er ihm die Hand reichte. Er ahnte, wie sich der Kleinere jetzt fühlen musste. Gleichzeitig bemerkte er auch, dass sein Zorn völlig verschwunden war. Nicht aber die Schmerzen, die seinen Körper traktierten.

Seufzend ergab sich der Schwarzhaarige in sein Schicksal und ließ sich hoch ziehen. „Komm mit, dann kann ich dir auch endlich meinen neuen Schreibtisch zeigen. Aber ich warne dich, in meinem Zimmer sieht es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen!“ Wirklich lachen konnte er noch nicht, aber zumindest war er nicht mehr so schrecklich durcheinander. Er bereute es nicht, das der Blondschopf gerade in diesem Augenblick um die Ecke gestolpert war.

„Ich sag dazu nur eins: Wenn Serenity bei uns nicht ständig aufräumen würde, sähe es auch schlimm aus. Du kannst mich also nicht sonderlich schocken.“ Kommentierte der Blonde und versuchte jede Regung aus seinem Gesicht zu verbannen, die seine Qual verriet. Offenbar war die angebrochene Rippe der Meinung, dass Mokuba zu schwer war, um ihn mal eben so auf die Beine zu ziehen. Dieser grinste nur wissend, bei den beschwichtigenden Worten. „Wenn du meinst.“ Er kannte Serenitys Ordnungssinn nur zu gut und er wusste auch, was für ein Chaos er in seinem Zimmer veranstaltet hatte. Innerlich wettete er mit sich selbst, dass der Blonde mehr als nur überrascht sein würde.
 

Sein breites Grinsen verlor er den ganzen Weg bis hin zu seinem Zimmer nicht und als er die Tür öffnete und eintrat, warf er einen Blick über die Schulter. Er wollte Joeys Reaktion auf keinen Fall verpassen, denn er kannte auch noch ziemlich gut das Durcheinander, das bei Joey sonst immer geherrscht hatte. Ein Chaos, das es mit diesem hier nicht einmal ansatzhalber aufnehmen konnte.

Seine dunkelblauen Augen folgten jeder Bewegung des Blonden und ließen ihn keinen Herzschlag unbeobachtet. Dieser trat vorsichtig ein, er hatte zwar keine Ahnung, was ihn erwarten würde, aber er kannte den kleinen, schwarzhaarigen Wirbelsturm. Sein Blick fiel als erstes auf das große Bett, welches hinten in der Ecke des riesigen Zimmers stand. Das Kopfkissen war zu Boden geworfen worden und die dazugehörige Decke lag zusammen geknautscht am Bettende, die unzählige T-Shirts und Jeanshosen lagen zerstreut über- und untereinander auf der Matratze. Bücher und Hefte säumten den Boden davor und gingen nahtlos über in Zettel und Stifte, die anscheinend einfach fallen gelassen worden waren. Genauso wie der Schreibtisch mit Blöcken und verschieden farbigen Heftern belagert war, tummelten sich überall im Zimmer Videokassetten und CDs, wie auch DVDs, Bluerays, Kopfhörer und Kabel auf dem Teppich und den Möbeln.

Der Computer war in seine Einzelteile zerlegt worden, ohne jedoch seine Funktion aufgegeben zu haben. Fest- und Grafikplatten, Laufwerke und Speicher waren verkabelt worden und breiteten sich zwischen dem in drei Teile gelegten Drucker, den vier Lautsprechern und dem offenen Scanner auf dem Schreibtisch und dem Fußboden aus.

Selbst der Drehstuhl war mit Kisten vollgestellt, in denen Schraubenzieher, Drähte, Magneten, winzige Schrauben und noch einiges anderes lagerte. Der Monitor war unter den Tisch gewandert und befand sich in der reizenden Gesellschaft eines Hamsterkäfigs.
 

Joey schluckte, als er das ganze Ausmaß dieses Chaos erkannte. „Da… da… dass ist nicht dein Ernst?“ Sein völlig entgeisterter Blick wanderte zu Mokuba und er bekam nicht einmal mit, dass ihm der Unterkiefer herunter klappte. „Oder?“ Das belustigte Lachen des Schwarzhaarigen bekam er schon gar nicht mehr wirklich mit.

Da seine Wangen immer noch von einem kräftigen Rot waren, fiel seine Verlegenheit nicht mehr auf. „Na ja, weißt du, ich bin in letzter Zeit eigentlich nur zum Schlafen hier.“ Er warf einen Blick hinter sich. „Also, wenn ich hier schlafe.“ Joey nickte nur verdattert. „Eigentlich will Seto nicht, dass ich mein Zimmer so zurücklasse, aber um ehrlich zu sein, mache ich es auch absichtlich.“ Während er sprach bahnte er sich einen Weg zu seinem Schreibtisch und schob den Stuhl ein Stück zur Seite. Danach ließ er sich auf den Boden sinken und zog den Käfig hervor.

„Weißt du, ich hab hier ein paar Sachen, die so ziemlich niemanden was angehen. Seto ganz besonders nicht! Tja, und bei dieser Unordnung findet hier sowieso keines etwas.“ Er hatte die kleine Tür geöffnet und vorsichtig hinein gegriffen. Nun holte er ein kleines cremefarbenes Fellknäuel heraus und schob den Käfig wieder zurück. „Mal sehen, vielleicht räume ich heute Nachmittag Mal ein Bisschen auf. Hier schau mal, Takato hätte sie fast vom Dach unserer Schule geschmissen.“ Mokuba grinste breit, als er Joey den noch etwas schlaftrunkenen Hamster zeigte. „Sie ist wohl unserer Chemielehrerin abgehauen.“ Er machte eine Pause und sein Blick wurde traurig, als er meinte. „Sie wollte die Kleine an ihre Katzen verfüttern.“ Langsam erwachte das Fellknäuel zum Leben und fing an auf Mokubas Hand zu schnüffeln. „Ich habe ihr den Namen Lalapee gegeben. Du kennst doch auch diese schrecklich langweilige Geschichte von der Prinzessin Lalapee, die erst dreimal von ihrem Prinzen gerettet werden musste, um ihn dann endlich zu heiraten.“

Joey nickte. Er schaute sich noch einmal kurz um, bevor er vorsichtig zu Mokuba kam. Irgendwie fand wirklich jeder Schüler diese Geschichte schrecklich, dabei gehörte sie doch mit zu den ältesten Sagen Japans – und auch zu den unbekanntesten –, doch anscheinend musste es jede Klasse lesen. „Ach, und du bist nun ihr Asami!“ Er konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen und handelte sich auch gleich einen leichten Stoß des Jüngeren ein. „Ist ja gut, aber sag mal, was hast du mit deinem Computer gemacht? Ich meine, die Sage um den zerteilten Helden habe ich noch nicht gehört.“

Verwundert schaute Mokuba zu seinem Freund auf, bis er endlich verstand, was dieser meinte. Lachend musste er mit ansehen, wie Lalapee von seiner Hand kletterte und über den Boden davon huschte. „Nein, ich wollte nur etwas ausprobieren und musste dafür den Computer umbauen. Tja, und weil ich ständig andere Platten und Laufwerke brauche, habe ich ihn dann so gelassen.“
 

Wieder nickte Joey und schaute der Hamsterdame hinterher, die sich ihren Weg bis hin zu dem Schrank neben dem Bett suchte und darin verschwand. „Ach, also ich will mit dem Ärmsten nicht tauschen.“ Joey blickte auf die Kabel hinunter und setzte einen mitleidserregenden Blick auf. „Wenn du dich je zerstückelt fühlst, sag mir Bescheid, ich kenne einen guten Psychiater dafür.“ Mit einem breiten Grinsen schielte er zu Mokuba.

Dieser lachte nur und stand auf, um auf die andere Seite des Zimmers zu „gehen“. Der Gang des jungen Mannes hatte etwas schrecklich Selbstsicheres, als lebte er schon viel zu lange in diesem Chaos. „Sollte er es mir je sagen, ich werd dich anrufen, Jo-chan.“ Er öffnete die große Tür des buchefarbenen Schrankes und ging in die Hocke.

Erst jetzt fiel Joey auf, dass alle Möbel aus diesem hellen Holz waren und die Decke und die Wände weiß mit dunkel- und hellblauen Bordüren gestrichen waren. Auch der Fußboden war mit einem Teppich mit einem hellen Blauton ausgelegt. Zwei große Fenster lagen auf der entgegengesetzten Seite der Tür, wie von dieser ausgehend sich zur Linken noch eine weitere Tür befand.
 

Joey lehnte sich vorsichtig an den großen Schreibtisch und beobachtete Mokuba dabei, wie er aus den Tiefen des Schrankes einen kleinen Leinenbeutel herauskramte und eine Handvoll Körner zum Vorschein brachte. Lalapee hüpfte begierig um ihn herum und krabbelte schließlich wieder auf seinen Schoß. Mit Freude machte sie sich über diese Mahlzeit her. „Sag mal, Moki, weiß Kaiba eigentlich von ihr?“ Er deutete mit einer Kopfbewegung auf den kleinen Hamster. Der Schwarzhaarige schwieg erst eine Weile, bevor er zu einer Antwort ansetzte. „Du bist der Erste. Auch Noah hat keine Ahnung, dass ich sie hier habe.“
 

Die beiden alberten noch eine Weile gemeinsam herum, bis Joey den Kleineren endlich dazu brachte sich umzuziehen. Nach schier endlosen 10 Minuten und einer schrecklichen Hamsterjagd für den Blonden, betrat Mokuba wieder sein Zimmer. Nun trug er eine einfache schwarze Jeans und einen weiten hellblauen leicht lilafarbenen Pullover. Dieser hatte eine große Bauchtasche, auf der das Emblem eines Käselieferanten abgedruckt war.

Neugierig musterte Joey seinen kleinen Freund während er vorsichtig den Hamster mit beiden Händen fest hielt. „Ich wusste nicht, dass du Käse so gern hast.“ Doch noch bevor er weiter sprechen konnte, durchbrach das Knurren seines Magens die Stille und ein rötlicher Schimmer huschte auf die Wangen des Blonden, der verlegen lächelte.

„Jepp, Käse mag ich, aber vielleicht sollten wir wirklich etwas essen. Na komm!“ Er war während seiner Worte auf Joey zugegangen und hielt ihm nun eine Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen. Danken nahm dieser das Angebot an, wobei die kleine Hamsterdame wieder entwischte. Fluchend schaute der Blonde dem Fellbüschel hinterher, das unter dem Bett verschwand.
 

„Na komm, Lalapee, für dich gibt es gestimmt auch noch etwas.“ Mit einem vielsagenden Lächeln führte Mokuba seinen Freund aus dem Zimmer und stand abwartend an der noch offenen Tür, bis plötzlich der cremefarbene Hamster heraushuschte. Ungläubig starrte Joey zu seinen Füßen, um die Lalapee herum wuselte. Noch im Gehen hob der Schwarzhaarige das Fellknäuel auf und stopfte es in seine Bauchtasche. „Ich weiß nicht warum, aber da fühlt sie sich am Wohlsten.“

Auf dem Weg zur Küche lachten und quatschten die beiden über so viele Nichtigkeiten, das keiner zum Schluss noch alle nennen konnte. Joey beobachtete Mokubas gute Laune mit Freuden, denn auch er war ein großer Bruder und ob er nun wollte oder nicht, er fühlte sich verantwortlich für den Kleinen, der schon lange nicht mehr so klein war. Doch auch seine eigenen, körperlichen Probleme waren geringer geworden. Sein Arm fühlte sich nicht mehr so taub an und auch seine Brust schien entspannter. Das Atmen fiel ihm deutlich leichter, nur das sein Magen unerträglich leer war.
 

Als Mokuba die Tür zur Küche aufstieß verbarg er geschickt die Sorge davor, dass sein Bruder noch immer dort war. Allerdings halfen ihm weder Gebete, noch Bitten diesem Problem aus dem Weg zu gehen. Unsicher fiel sein Blick auf den Brünetten, der stumm am Tisch saß, den linken Ellbogen auf die Platte gestellt, seinen Kopf in die Handfläche gestützt und mit der anderen Hand in seinem Kaffe rührend. Mit leicht abwesendem Blick starrte er auf den Bildschirm seines Laptops und schien über irgendetwas nachzudenken. So sehr, dass er die beiden nicht bemerkte, als sie eintraten.

Joey beobachtete eine Weile den Brünette, wie dieser so dort saß, bevor er sich räusperte. „Du? In einer Küche, Kaiba? Wer hat dich dazu gezwungen?“ Dabei legte sich ein breites Grinsen auf seine Lippen.
 

Erschrocken war der junge Mann in sich zusammengefahren und schaute überrascht auf. Doch er interessierte sich nicht sonderlich für den Blonden, sein Augenmerk lag eher auf seinem Bruder. Er musterte diesen eindringlich, nur um sich dann doch wieder seinem Laptop zuzuwenden. Mokuba schluckte, er hasste es, wenn sein großer Bruder ihn so wortlos abschob. Dieser Blick, in dem alles zu lesen stand und der doch nichts aussagte.

Joey hatte nicht damit gerechnet, dass er kein Contra auf seine Sticheleien bekam. So kannte er die Familie Kaiba gar nicht. Hier schien etwas geschehen zu sein, dass viel tiefer ging, als irgendeiner vermuten mochte. Aber so leicht wollte er seine Rache nicht aufgeben. Immerhin musste er sich noch wegen der Aktion mit der Kette rächen. So ging er ungerührt an Mokuba vorbei und schlenderte am Tisch entlang auf die Arbeitsfläche daneben zu. Dort standen die Kaffeemaschine und einige Becher. Er griff nach einem schlichten Becher und stellte ihn unter die Maschine. Schnell hatte er alles ausgewählt und sorgte gleich noch für die richtige Mischung von Zucker und Milch. Dabei ließ er den Brünetten keinen Augenblick aus den Augen und bemerkte, dass dieser das Gleiche tat.
 

Langsam drehte sich Joey um und lehnte sich rücklings gegen die Arbeitsplatte. Sein Blick ruhte auf Seto, der nun versuchte ihn zu ignorieren. Ein schelmisches Lächeln lag auf seinen Lippen, während er den nun gefüllten Becher zum Trinken ansetzte. Mokuba wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Auf dem Tisch standen noch drei weitere Teller, der Reis duftete und all die anderen warmen Speisen für ein ordentliches japanisches Frühstück waren fertig. Die Köchin selbst hatte den Rückzug angetreten. So setzte er sich zur linken Tischseite seines Bruder, gegenüber der Kaffeemaschine und starrte verlegen auf die Tischkannte. Unsicher griff er nach einer Kanne, die vor ihm stand und schenkte sich etwas Kakao ein. Immer wieder schaute er zu Joey und Seto auf, nur um dann seinen Blick erneut zu senken.

Doch dem Blonden war sein Grinsen nicht vergangen. Plötzlich stieß er sich von seinem Halt ab und schritt auf den Tisch zu. Er stellte den eigenen Becher neben einen der freien Teller, zwischen Mokuba und Seto ab und machte sich auf den Weg hinüber zu Kaiba. Er sagte kein Wort als er sich neben ihn stellte und sich mit der linken Hand auf dem Tisch abstützte. Dabei schaute er auf den Monitor des Laptops und las, worüber sich der große Kaiba so den Kopf zerbrach.

Augenblicklich hörte dieser auf in seinem Kaffeebecher herumzurühren. Allerdings wollte auch er sich in diesem stillen Duell nicht einfach geschlagen geben und versuchte weiterhin seine Ignoranz aufrecht zu erhalten.
 

Verwundert schaute Mokuba zu den beiden hinüber, die sich so wortlos bekriegten. Was hatte das denn nun zu bedeuten? Normalerweise zofften sich die beiden immer so laut, dass man es noch im Umkreis von drei Kilometern hören konnte. Na gut, dass war vielleicht etwas übertrieben, aber nur ein Bisschen.

Joey war überrascht, als er den Teil des Textes las, der noch auf dem Bildschirm zu sehen war. Es war nur noch der letzte Abschnitt, doch es ging eindeutig um ägyptische Gottheiten. Er vertiefte sich immer mehr in das Dokument und bemerkte nicht einmal, wie die tief blauen Augen des Brünetten ihn bei jeder Bewegung argwöhnisch beobachteten.

Erst bei seinem Räuspern erschrak der Blonde und drehte ruckartig den Kopf in dessen Richtung. Ihre Blicke trafen sich und die unangenehme Stille schien noch von einer unerklärlichen Kälte verstärkt zu werden. Langsam breitete sich wieder ein Grinsen auf Joeys Lippen aus und er legte einen leicht höhnischen Ton in seine Worte. „Seit wann bist du denn gottesfürchtig geworden? Und dann auch noch Ägyptische?“ Sein Grinsen wurde immer breiter und in seinen braunen Augen blitzte eine gewisse Belustigung auf.
 

Seto ließ seinen linken Arm sinken und schloss den Laptop. „Ach, ich hätte nicht gedacht, dass du mit deinem Erbsenhirn das Wort Gott überhaupt Ansatzhalber verstehen kannst. Weiß du denn wenigstens, wie man das Wort schreibt?“ Nun war es an der Reihe des Brünetten höhnisch zu lächeln. Er ließ den Kaffeelöffel los und zog seinen Becher zu sich heran, ohne jedoch seinen Blick abzuwenden.

Aber Joey verging sein Grinsen nicht und mit der Rechten hielt er den Becher fest, nach dem Seto gegriffen hatte. „G-O-T-T! Du sollest aber darauf achten, dass Gott großgeschrieben wird. Dieses Wort gehört eindeutig in die Gruppe der Nomen. Du Subjekt!“ Er zog den Becher ganz aus Kaibas Griff und richtete sich wieder auf. Seinen hatte er auf den Tisch gestellt und nun schaute er sich die schwarze, schwappende Flüssigkeit an. „Ohne Zucker, ohne Milch, schwarz wie deine Seele, nicht wahr?“ Der Blonde schaute wieder auf und bemerkte zufrieden, wie das höhnische Lächeln gefroren war.
 

Setos Augen verengten sich leicht wütend bei dieser Bemerkung. Wie konnte dieser Köter es eigentlich wagen ihm SEINEN KAFFEE wegzunehmen? Das grenzte ja schon an Hochverrat!

Mokuba spürte, wie er ganz langsam angefangen hatte zu zittern. Die zwei konnten einem richtig Angst einjagen, selbst Joey, was er überraschender Weise nicht erwartet hätte. Seine dunkelblauen Augen huschten immer wieder von einem zum anderen und still fragte er sich, ob es nun gut oder schlecht sei, dass ihn die beiden ignorierten.

„Och, kein böses Contra? Keine gemeine Beleidigung oder irgendein fieses Argument, dass mich in meine Schranken weisen soll? Du enttäuscht mich, Kaiba!“ Joey schwenkte den Becher etwas in seiner Hand, bevor er ihn ansetzte und einen großen Schluck daraus nahm. Danach setzte er ihn wieder genau dort ab, wo er ihn eben aus der Hand des anderen genommen hatte.
 

In seinem Kopf drehte sich alles. Hunderte Beleidigungen, zig Bosheiten und diverse Gemeinheiten, aber keine von ihnen wollte über seine Lippen. So blickte er nur weiterhin stumm den Blonden an. Er hätte nie gedacht, dass dieser ihm so gut Parole bieten konnte. Anscheinend war der Köter wirklich erwachsen geworden. Doch ganz langsam nahm in ihm eine Idee Gestalt an, die in seiner Bosheit kaum noch zu übertreffen war.

Jetzt taute auch sein Lächeln wieder auf und bestimmt erhob er sich von seinem Stuhl, wobei er ihn etwas zurück schob. „So, du denkst also, du könntest dich mir in den Weg stellen, ja? Warum tust du es dann nicht ganz offiziell?“ Er verschränkte die Arme vor seiner Brust und blickte herablassend auf den Kleineren herunter.
 

Etwas verwirrt schaute Joey auf und versuchte seine Sicherheit nicht zu verlieren. „Ach, und wie soll ich das machen? Ich meine, ich kann ja schlecht einfach raus gehen und in die Welt schreien: Ich, Joey Wheeler, stelle mich offiziell Seto Kaiba in den Weg. Du musst zugeben, das wäre ein wenig bekloppt.“ Er bemerkte den musternden Blick des Brünetten nicht, mit dem dieser ihn betrachtete.

„Ja, das wäre sogar für dich zu bekloppt, obwohl ich mir das gut vorstellen könnte. Nein, eigentlich meinte ich damit,“ er machte eine Pause und schenkte seinem Gegenüber ein ganz besonders fieses Lächeln, „dass du offiziell mein privater Sekretär wirst.“

Ausgeliefert!

Kapitel 6

Ausgeliefert!
 

Er schwieg und beobachtete mit Vergnügen, das sich langsam ausbreitende Entsetzen auf Joeys Gesicht. Dieser wich einige Schritte zurück und starrte völlig entgeistert den brünetten Firmenführer an. „Ich bin doch nicht wahnsinnig!“ Er musste direkt nach Luft schnappen, während sich seine braunen Augen erschrocken weiteten. „Erstens; liefere ich mich dir ganz sicher nicht auch noch freiwillig aus und zweitens; weiß jeder, dass dieser Job die absolute HÖLLE ist. Nein danke, ich verzichte freiwillig!“ Seine Stimme war deutlich von aufgewühlten Gefühlen geprägt und der Klang seiner Worte ließ keinen Zweifel daran zurück, dass er genau so empfand.

Mokuba hatte das Gespräch ängstlich, aber interessiert mit verfolgt, obwohl er dabei ein unangenehmes Gefühl im Magen verspürte. Allerdings war er über Joeys Reaktion doch sehr überrascht. Er hätte nicht mit einer solchen Antwort gerechnet, selbst in Anbetracht der Lage, dass Seto dieses Angebot gemacht hatte. Sicher war dieser Job schwer, immerhin brachte er eine ganze Menge Verantwortung mit sich, aber als die Hölle hätte er ihn nicht beschrieben. Davon einmal abgesehen, dass es einem zusätzliche Qualifikationen brachte. Wer bei seinem großen Bruder bestand, der konnte in jedem Unternehmen seiner Wahl arbeiten.
 

Der Brünette schien damit jedoch gerechnet zu haben, denn er verzog keine Miene. „Hm, ich habe geahnt, dass du zu feige sein würdest, dich dieser Aufgabe zu stellen.“ Er wand sich von dem Blonden ab und griff nach seinem Becher. Mit einem kühlen Lächeln schaute er kurz zu Mokuba hinüber, den er bisher völlig ignoriert hatte. Ohne noch einmal aufzuschauen schritt er zum nahegelegenen Spülbecken und schüttete den heißen Kaffee weg. Er drehte den Wasserhahn auf und schwenkte den Becher aus. Mit einem Seitenblick zu Joey sagte er. „Das Zeug kann ja jetzt keiner mehr trinken.“ Den Rest des Satzes sparte er sich, denn an dessen Gesichtsausdruck konnte er Joeys Verstehen deutlich erkennen.

„Auf diese billige Tour falle ich ganz bestimmt nicht rein. Denk dir was Besseres aus. Außerdem bin ich nicht feige, sondern nur überlebenswillig! Und ich wollte auch nicht für den Rest meines Lebens zum Psychiater rennen.“ Große Worte, die Joey da von sich gab. Seine Stimme klang selbstsicher, dennoch hoffte er inständig, dass Kaiba es nicht weiter auf diese Art versuchen würde. Joey glaubte noch immer ein guter Lügner zu sein, was wiederum hieß, dass er sehr wohl auf diese „billige Tour“ hereinfallen würde.
 

Doch Kaiba stellte den Becher einfach nur auf die Abtropffläche, bevor er sich zu dem 19-Jährigen umdrehte und sich an die Spüle lehnte. Obwohl gut drei Meter und der Esstisch zwischen ihnen lagen, war sein Blick so intensiv, dass er sich regelrecht in die braunen Augen Joeys bohrte. So verstrichen Sekunden, bevor der Brünette wieder etwas sagte. „Du bist also doch einfach nur zu feige. Meinem Wissen nach musste noch keiner meiner Sekretäre zum Psychiater. Aber wenn du der Meinung bist, dem Ganzen nicht gewachsen zu sein, tut es mir wirklich leid. Ich hätte nicht gedacht, dass du so rückratlos bist.“ Sein Lächeln wurde gefährlich. „Da hat ja sogar deine Schwester mehr Mut und das kleine Ding ist schon erbärmlich genug. Wie steht es dann nur um dich?“ Ein belustigtes Lachen entfloh leise seiner Kehle, während er zufrieden die aufkeimende Wut in Joeys Blick erkannte. Er war auf dem richtigen Weg. „Aber was erwarte ich schon von jemanden, der sich immer wieder aufs Neue von Ivanow verprügeln lässt. Wird es nicht langsam langweilig? Ich meine, es ist doch sowieso immer schon vorher klar, dass du keine Chance hast. Hm, wahrscheinlich wärst du genauso chancenlos aufgeschmissen, wenn du ein paar Akten alphabetisch ordnen solltest. War ja nie so deine Stärke, nicht wahr Joseph Jay Wheeler?“
 

Ob es Tala oder seine Schwester war, blieb unklar, doch diese Beleidigungen hatten seinen Geduldsfaden reißen lassen. Gedankenlos holte der Blonde aus, während er auf sein Gegenüber zustürmte und zu schlug. Doch der Abstand zwischen ihnen war so groß, dass der Angriff leicht zu durchschauen war. Noch bevor seine Faust ihr Ziel erreichte, packte ihn Seto am Handgelenk. „Du bist zu langsam, Kötter! Wenn du dich immer so anstellst, kann ich verstehen, warum nur du jedes Mal die Prügel kassierst.“ Das Lächeln auf seinen Lippen zeugte von der tiefen Bosheit, die in jedem seiner Worte lag. Ohne zu zögern, stoppte er auch noch Joeys zweiten Angriff. „Ich sagte doch, dass du zu langsam bist! Warum versuchst du es eigentlich immer wieder, Versager?“

Mokuba sprang auf, von einer Woge der Entrüstung und des Zornes getrieben. Jetzt reichte es dem Kleinen und seine Wut verdrängte die Angst und die Unsicherheit. „HÖRT AUF! Ihr benehmt euch ja wie kleine Kinder!“ Schimpfte er mit lauter Stimme und rannte um den Tisch herum. Der 17-Jährige, der nun bei weitem nicht mehr so klein war, quetschte sich zwischen die beiden und drückte sie mit aller Kraft auseinander. Er stellte sich mit in die Hüften gestemmten Händen so, dass er beide sehen konnte. „Spinnt ihr jetzt ganz? Die Kleinsten aus meiner Schule prügeln sich schon immer auf dem Schulhof, da braucht ihr das hier nicht auch noch zu machen. Könnt ihr euch nicht einmal im Leben nicht streiten, wenn ihr euch begegnet?“ Wütend schaute er von einem zum andern, die Wangen mit einem Anflug kräftiger Farbe versehen.
 

Regelrecht perplex starrten die beiden jungen Männer den Schwarzhaarigen an und waren nicht in der Lage zu reagieren oder etwas zu erwidern. Keiner von ihnen hatte mit Mokuba gerechnet und besonders sein großer Bruder nicht. Erstaunt erkannte der 17-Jährige die Überraschung, die fast schon in Entsetzten umschlug. „Hallo? Alles gut bei euch beiden? Sind jetzt die letzten Gehirnzellen auch noch außer Betrieb?“ Doch auch jetzt bekam er keine Antwort, denn die beiden schienen sich jetzt erst zu sammeln. Ein Schlucken war von Joey zu hören. Diese Situation war ihm unangenehm und peinlich. Genervt und in Gedanken fluchend stapfte Mokuba zu seinem Platz zurück und ließ sich auf seinen Stuhl plumpsen. „Warum hatte ich nur diese wahnwitzige Idee, am Wochenende zurück nach Hause zu kommen?“ Beleidigt griff er nach seinem Becher und lehnte sich zurück.

Seufzend richtete sich Mokuba wieder auf und griff nach seinen Stäbchen. Zielsicher pickte er aus einer der Gemüseschüsseln etwas Paprika und frische Karotten heraus, die er auf seinen Teller legte. „Hier Lalapee, damit wenigstens du nicht umsonst hier bist.“ Er hatte den Becher auf die Tischkante gestellt und griff in die Tasche seines Pullovers. Ein stilles Lächeln legte sich auf seine Lippen, als der wuschelige Kopf der Hamsterdame zum Vorschein kam und sie schnupperte. „Kannst auch etwas Sellerie haben, wenn dir das lieber ist.“ Gab er fürsorglich von sich.
 

Seto sog scharf die Luft ein, als er erkannte, mit wem sich sein kleiner Bruder unterhielt. Hatte er da einen Hamster in seiner Bauchtasche versteckt? Was sollte das denn nun schon wieder? „Seit wann schleppst du so einen Flohzirkus mit dir herum?“ Die herablassende Art war deutlich in seiner Stimme zu hören, doch Mokuba interessierte sich nicht weiter dafür. Er setzte Lalapee auf den Tisch, wo sie genüsslich anfing, an einem Stück Paprika zu knabbern. Mokubas braune Augen ruhten freundlich auf dem cremefarbenen Fellknäuel. „Tja, Lalapee, was soll ich ihm dazu nur sagen?“ Mokuba nahm einen großen Schluck von seinem Kakao und wusste genau, dass er seinen Bruder damit provozierte. „Ich meine, mein großer Bruder wirft so lange mit Beleidigungen um sich, bis alle wütend auf ihn sind. Selbst auf dir hackt er herum und du kannst wirklich nichts dafür.“ Die Hamsterdame schaute kurz auf, nur um ihn verständnislos mit ihren schwarzen Knopfaugen anzublinzeln.

„Wenn du schon nicht weißt, was ich dazu sagen soll, dann halte ich es doch lieber, wie mein vorbildlicher, großer Bruder und übe mich in absoluter Ignoranz.“ Er stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch auf und schaute dem kleinen Hamster beim Fressen zu. Er wusste genau, dass es im Prinzip sehr einfach war, seinen Bruder aus der Fassung zu drehen, als wäre er eine Glühbirne. Man musste einfach nur das Gleiche tun, was er normalerweise tat. Ignorieren war dabei Setos Lieblingsstrafe. Wurde er ignoriert, war es nur eine Frage der Zeit, bis diese Lampe platzte – und die hatte gerade ihren Kontakt verloren.
 

Joey bemerkte, wie sich der Brünette auf die Unterlippe biss. Es schien ihn wirklich zu wurmen, so eindeutig von seinem kleinen Bruder vorgeführt zu werden. So seufzte der Blonde und setzte sich auf den Stuhl neben Mokuba. „Und wie lange willst du uns ignorieren, Moki?“ Sein Blick huschte zu dem Kleineren hinüber, in der Hoffnung, eine Antwort zu erhalten. Doch es war vergebens, denn Mokuba schien ihn völlig in seine Taktik zu integrieren und ihm das gleiche Schicksal anzugedenken, welches auch Seto traf. Eine Erweiterung fand Mokuba jedoch. Er nutzt nun verstärkt indirekte Angriffe gegen seinen Bruder. „Ich frage mich nur, warum wir hier Stühle haben, wenn sich sowieso niemand setzen will.“ Dabei nahm er gelassen einen Schluck aus seinem Becher.

Die eisblauen Augen starrten Mokuba an, Wut brannte langsam in den Adern des Firmenführers und er ballte seine Hände zu Fäusten. Wie groß sein Zorn war, zeigte sich daran, dass er nicht bemerkte, wie sich seine eigenen Nägel schmerzhaft ins Fleisch drückten. Aber warum regte ihn das Ganze so auf? Kurz schien er sich neu zu ordnen und atmete konzentriert durch. Das war doch nur die dumme Provokation eines Teenagers! Angespannt setzte er sich wieder auf seinen Platz und öffnete den Laptop. Er würde sich sicher nicht auf dieses dämliche Spiel einlassen. Er hatte noch Arbeit vor sich. Ein ganzer Artikel, den er lesen musste. Es war eine detaillierte Aufstellung des Grundaufbaues eines neuen Spieles, welches seine Firma für Ishizu Ishtar entwickelte.

Bei dem Versuch, sich auf den Text zu konzentrieren, verschwammen die Reihen und die Buchstaben tanzten über den Bildschirm. Er konnte Mokubas Lächeln direkt vor sich sehen. Wie er da saß, heimlich zu seinem Bruder hinüber spähte und innerlich seine Siegesparty feierte.
 

Die kleine Hamsterdame quietschte vor Freude, als sie über den ganzen Tisch raste und zum Schluss wieder auf Mokubas Schoß sprang. Sie schien eine besondere Verbindung zu dem Schwarzhaarigen zu haben, denn auf alle seine Worte und Bewegungen reagierte sie, als hätte sie ihn verstanden. „Um wie viel wetten wir, dass er gerade vergeblich versucht, sich auf seinen Text zu konzentrieren?“ Der 17-Jährige konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken, als er das tiefe Knurren des Brünetten hörte. Auch Lalapee quiekte vergnügt, während sie langsam den blaulila Pullover erklomm. Sie war ganz offensichtlich auch dieser Meinung.

Joey seufzte und griff nach einer leeren Schüssel, um sich etwas Reis aufzutun. Wenn er schon hier war, konnte er auch etwas essen. Mürrisch begann er auch von den anderen Dingen etwas auf den Reis zu laden, Gemüse, ein wenig kalten Fisch. „Was ist hier eigentlich los? Ihr zwei wart mal unzertrennlich. Aber heute würdet ihr es wohl nicht mal bemerken, wenn Pegasus einen von euch entführen würde.“ Es war beinahe flapsig dahingeworfen, doch Joey meinte diese Frage ernst. Der Blonde schaute auf und überrascht stellte er fest, dass zwei ernste Augenpaare auf ihn gerichtet waren.
 

„Wir haben uns auseinander gelebt. Jeder hat halt sein eigenes Leben.“ Seto war der erste, der wieder sprach und schob nun seinen Laptop zur Seite, um den 19-Jährigen besser in den Blick zu nehmen. Er wirkte abweisend und verschränkte die Arme vor der Brust. Dennoch schien er endlich auch dazu bereit, halbwegs vernünftig über irgendetwas zu sprechen und nicht nur zu beleidigen. „Tja, Joey, ich bin nicht mehr der kleine Junge von damals. Ich weiß dass die Welt nicht unter geht, nur weil ich meinen großen Bruder einmal ne Woche nicht zu Gesicht bekommen habe.“ Erklärte Mokuba plötzlich und wich dem Blick des Blonden nicht aus, doch hatte Joey den Eindruck, etwas Trauriges in ihm zu sehen. „Wie Seto gesagt hat, wir leben unser eigenes Leben.“

Joey schüttelte nur den Kopf und überlegte, ob er noch etwas Sojasoße dazu nehmen sollte. Das war zwar nicht die feine japanische Art, aber er entschied sich dafür. So landete in seiner Schüssel auch noch davon ein großer Schluck. „Nein, ihr lebt nicht nur euer eigenes Leben, früher war jeder von euch ein Teil des anderen Lebens, aber heute lebt ihr an einander vorbei.“ Er stopfte sich etwas Reis und Gemüse in den Mund und senkte den Blick auf sein Essen.
 

Keiner der beiden anderen sagte etwas, ihre ernsten Blicke waren nur fragend und abwartend auf ihn gerichtet. Langsam schluckte er seinen Bissen herunter und unsicher sprach er weiter. „Als Serenity noch bei unserer Mutter gelebt hatte, verging kaum ein Tag, an dem ich nicht an sie gedacht habe, und jetzt, wo wir zusammen wohnen, ist diese Bindung noch enger geworden. Klar, sie erzählt mir nicht kleinlich, mit wem sie, was gemacht hat, aber, wenn sie ein Problem hat, kommt sie zu mir.“ Vorsichtig warf er einen Blick zu Mokuba. „Ich will ja nichts Falsches sagen, aber irgendetwas geht hier schief!“ Der Schwarzhaarige schien innerlich eisern zu werden, bei diesen Worten. So als ob er zwar ihre Bedeutung verstand, es aber nicht wahr haben wollte.

Ganz im Gegensatz zu seinem Bruder. „Wie schön, dass du das auch gemerkt hast! Aber ich bin nicht der pubertierende Hitzkopf hier, der die Türen knallt.“ In seinen blauen Augen herrschte die Kälte vor, eine Kälte, die jedes Gefühl erfrieren ließ. „Manchmal gibt es Dinge, die man besser nicht weiß, Wheeler, und diese Angelegenheit gehört eindeutig dazu.“ In einer schon fast würdevollen Bewegung erhob er sich und schloss seinen schwarzen Laptop. „Und manchmal gibt es Dinge, die einen einfach nichts angehen. Zu welchen diese Angelegenheit auch zählt.“ Mit festen Schritten wand er sich der großen Tür zu, um die Küche zu verlassen.
 

Während dieser Worte hatte Mokuba den Kopf gesenkt. Er brauchte sich nichts vorzumachen, diese Worte hatten ihm sehr weh getan. Noch mehr weh getan, als all die Ignoranz, mit der ihn sein Bruder strafte. Dieser Schmerz, der ihm langsam die Kehle zuschnürte, ihm die Luft nahm und seinen Blick langsam verschleierte, es tat so weh. Er verstand sich doch selbst so oft nicht, begriff nicht, warum er von jetzt auf gleich wütend wurde.

Mit einem Ruck stand Joey auf, er stützte sich mit beiden Händen auf dem Tisch ab und mit wütendem Blick starrte er auf seine Schüssel. „Für dich ist es also okay, einfach damit weiter zu leben, einfach nicht hinzusehen, wenn du andere verletzt? Wenn andere, die dir einmal lieb und teuer waren, verletzt werden? Kennst du eigentlich den Schmerz, den Schmerz, den man empfindet, wenn man sich mit dem Gedanken abfinden muss, einfach ignoriert zu werden? Wenn man nach Hause kommt und die Person, die einem wichtiger war als das eigene Leben, einen nicht mal wahr nimmt?“

Sein Herz raste, warum hatte er das gesagt? Ihm ging einfach dieses Bild nicht mehr aus dem Kopf, wie Mokuba zittern und verängstigt dort auf dem Boden gesessen hatte, ausgeliefert und verraten. Es war als würde sich in ihm etwas zusammenziehen, das wichtiger war, als alle Vernunft. „VERDAMMT, DU HAST DOCH KEINE AHNUNG, WIE DAS IST! DU VERLETZT EINFACH NUR, IMMER UND IMMER WIEDER!“
 

Mokuba erstarrte und nun konnte er die Tränen nicht länger zurück halten. „Joey… hör auf… sei bitte still…“ Seine Worte erstickten in Schmerz und Tränen, nicht auf die Hamsterdame achtend, die sich liebevoll mit sorgendem Blick an ihn kuschelte. Der Brünette schwieg, doch seine rechte Hand verkrampfte sich um die Plastikverdeckung des Computers. Seine Stimme war nichts weiter als ein Flüstern, das gerade noch über Mokubas Schluchzen hinweg zuhören war. „Ja, ich habe keine Ahnung, wie es ist, so erbärmlich zu sein. Glaubst du etwa, ich wüsste nicht, was in diesem Haus geschieht? Glaubst du etwa, dass ich auch nur einmal weggesehen habe, wenn ich voller Absicht jemanden verletzt habe?“

Langsam drehte er sich um und schritt auf den Tisch zu. Noch bevor einer der beiden etwas sagen konnte hatte Seto zugepackt. Mit einer einzigen Bewegung riss er Joey herum und drückte ihn gegen die Tischkante. In seinen blauen Augen lag etwas Unbeschreibliches. Etwas, dass den Blonden wie Espenlaub zittern ließ. „Glaubst du etwa, dass dich das etwas anginge?“ Seine Finger vergruben sich schmerzhaft in Joeys Schulter und mit aller Gewalt musste er sich beherrschen, nicht übergriffig zu werden.
 

Die Zornesröte hatte sich auf Setos Wangen gelegt und vor Wut bebte sein ganzer Körper. „Erinnere mich daran, dich das nächste Mal einfach liegen zu lassen! Ganz gleich, ob die Kälte der Nacht dich umbringt!“ Das wütende Zittern seiner flüsternden Stimme war für Mokuba nicht mehr zu hören. Dieser saß in Tränen versunken auf seinem Stuhl und sein Verstand verarbeitete die Aussage, dass sein eigener Bruder jede dieser Beleidigungen und Bestrafungen absichtlich und bewusst gemacht hatte. Das war ihm immer klar gewesen, aber es zu hören, war etwas anderes. Zum ersten Mal in seinem Leben empfand er einen Schmerz, als würde ihm sein Herz grausam aus der Brust gerissen.

Erschrocken schluckte Joey und kniff kurz die Augen zusammen. Der Brünette hatte ihn mit diesem Angriff überrascht und die Finger bohrten sich schmerzhaft in seine Schulter. Doch da war etwas in ihm, dass ihn einfach nicht mehr los ließ, etwas, dass ihn nicht aufgeben ließ. Irgendwo in diesem Eiskloz musste doch noch etwas von dem Kaiba stecken, der seinen kleinen Bruder liebte. Verbissen versuchte er die Gedanken in seinem Kopf zu ordnen, einen einfachen Weg zu finden, doch er konnte nicht sagen, wie es weiter gehen würde. Wenn er jetzt versuchte, gegen diese Kälte vorzugehen und ein liebendes Herz dahinter zu finden, wusste er nicht, wie Kaiba reagierte. Der grausame Griff des 22-Jährigen verriet ihm nur eines, dieser würde keine Rücksicht auf Mokuba nehmen.
 

„Mokuba, geh!“ Joey schaute nicht auf, als er diese beiden Worte aussprach. Er unterdrückte den Schmerz in seinem Herzen. Er achtete nicht auf den verwirrten Blick des 17-Jährigen und wiederholte monoton seinen Willen. Nein, es war keine Bitte, ausnahmsweise nicht, heute war es ein Befehl. Noch immer spürte er die Hand auf seiner Schulter, noch immer war da diese Kälte in den eisblauen Augen, die alles andere zu verschlingen schien.

Mit gesenktem Kopf und zitternden Knien stand der Kleine auf. Er drückte das fiepende Fellknäuel fest an sich, ohne dem Hamster dabei wehzutun. Er wollte aufschauen, wollte fragen, doch da war etwas, dass ihm Angst einjagte. In diesem Haus hatte sich etwas geändert. Es war, als würde immer noch der ruhelose Geist ihres Stiefvaters herumirren und in ihren Herzen Schmerz und Kälte säen. Mehr noch, als würde er selbst ein so gutes und starkes Herz wie Joeys in ein vertrübtes Schicksal stürzen.
 

Erst als er sicher war, dass Mokuba die Tür hinter sich geschlossen hatte, wagte er den Blick in die Augen des Brünetten, dessen Nägel sich gnadenlos in seine Schulter gebohrt hatten. „Merkst du es nicht? Oder ist es dir egal?“ Fragte Joey mit bebender Stimme. Er selbst war aufgewühlt und aufgebracht. Es dauerte eine Weile, bis sich der feste Griff lockerte und der Blonde innerlich seufzend seine Schulter sinken ließ. Der Blick der Eisaugen hatte sich verändert. Diese eisblauen Augen schauten ihn nun ohne jegliche Regung an, so als ob sie seit Tagen nur noch Regen beobachten würden. Nein, es war kein Regen, was war die Gewissheit um einen alten Schmerz.

„Warum, Kaiba? Was ist geschehen?“ Doch noch bevor er ein weiteres Wort aussprechen konnte, hatte der Brünette ausgeholt und zugeschlagen. Das schallende Geräusch hallte von den kachelbesetzten Wänden wider und mit einem dumpfen Aufschlag fiel der Blonde zu Boden. Entsetzten und Unglaube lag in seinem Blick, als er versuchte, das eben Geschehene zu verstehen. Ganz automatisch legte er eine Hand auf seine schmerzende Wange und starrte ins Nichts der weißen Kacheln.
 

Behutsam deponierte Kaiba seinen Laptop auf dem Küchentisch neben Joeys Teller und richtete sich zu voller Größe auf. Sein Blick ruhte schnell wieder auf dem Blonden und tief aus seinem Inneren stieg ein Gefühl auf, das er so lange versucht hatte zu unterdrücken.

Warum hatte er nach dem gefragt, was hier geschah? Wie konnte sich dieser kleine miese Kötter anmaßen, auch nur über so etwas nachzudenken, geschweige denn es anzusprechen? Er kannte diese Szene. Aber damals war es anders gewesen, damals war er es gewesen, der eine Antwort wollte. Damals hatte er von Gozaburo Antworten gefordert. Schweigend trat Seto einen Schritt auf den am Bodenliegenden zu, den er mit seinen völlig leeren eisblauen Augen fixierte.

‚NEIN! Du darfst es nicht tun!’ Mit verzweifelter Stimme schrie der brünette Junge seine letzte Hoffnung heraus. Er breitete seine Arme aus und rutschte auf dem weißen Boden ein Stück weiter nach vorne. Er war vielleicht 11 oder 12 Jahre alt, die kindlichen Gesichtszüge waren ihm so bekannt. ‚Nein, ich flehe dich an, tu es nicht!’ Das Herz des Kindes raste und seine Brust hob und senkte sich viel zu schnell. Kaiba konnte die pure Angst in den blauen, klaren Augen des Jungen erkennen, vor denen die hellbraunen Haare in Strähnen herab hingen. Der Kleine zitterte am ganzen Körper und Tränen verschmierten seine roten Wangen. Das helle Hemd war von seinen schlanken Schultern gezerrt und gab unzählige Narben und verheilende Wunden frei. Doch auch einige frische Blutergüsse waren auf dem mageren Körper zu sehen. Seto konnte sich noch an jede erinnern. An jeden Übergriff Gozaburos, jeden einzelnen Schlag.
 

„Du fragst mich warum?“ Ein leises Lachen entkam seiner Kehle, doch es klang tief und eher wie ein altes Echo. „Ich bitte dich, Wheeler, ich kenne dein Geheimnis, das Geheimnis deiner Angst.“ Er achtete nicht auf die flehentlichen Gesten des Kindes vor ihm. Es war nur eine Erinnerung. Nur eine dumme, längst vergangene Erinnerung. Ein Abbild dessen, was er einst einmal gewesen war. Schwach und hilflos. Jetzt war er das nicht mehr. Jetzt wollte sein Verstand nur eine alte Erinnerung ins Leben zurück rufen. Gnadenlos ignorierte er dies und griff durch dieses Trugbild hindurch. Er packte Joey am Kragen und zog ihn ein Stück zu sich heran. „Sag mir, hat er dich nur geschlagen oder ist er weiter gegangen?“ In seiner Stimme lag so viel Hohn, in seinem Blick so viel Verachtung.

Wenn man sein Herz wirklich an den Teufel verkaufen konnte, dann hatte es sein Stiefvater getan. Wie töricht, aber dieses Problem würde Seto niemals haben. Kälte erfasste ihn, erfüllte seine Seele und jedes Gefühl schien darin zu ertrinken. Das diabolische Lächeln auf seinen Lippen ließ nichts von den kläglichen Erinnerungen erahnen, dem Trugbild seiner selbst. Es blieb nur diese gefühllose Kälte in ihm. Nein, ihm würde der Teufel nie ein Angebot dieser Art machen, denn die Rothaut wusste etwas, was dieser flohverlauste Kötter vor ihm noch nicht begriffen hatte.
 

„Ich habe kein Herz mehr, Wheeler!“ Diese Worte kamen ihm über die Lippen, als wären sie aus purem Gift. Die Erinnerung, die noch verzweifelt versucht hatte, zu retten, was zu retten wäre, zersplitterte unter diesem ausgesprochenen Glaubenssatz. Damals war es anders gewesen und doch waren es dieselben Worte, die er nun sagte. Er wiederholte die Worte Gozaburo, die dieser ihm damals gesagt hatte. „Wann wirst du es endlich verstehen? Es ist völlig egal, wie sehr du dich auch anstrengst, alle deine Versuche, annähernd so gut zu werden wie ich, sind absolut überflüssig.“

Ein tiefes höhnisches Lachen erklang aus seiner Kehle und erfüllte den ganzen Raum. Mit ausgesprochener Freude beobachtete er die Angst und die Verwirrung, welche sich in seinem Opfer breit machten und die warmen, honigbraunen Augen mit einem unbeschreiblichen Schleier überzogen. „Du zitterst wie ein kleines Kaninchen! Also hatte ich doch Recht, du hast zu wenig Rückgrat.“

Doch da war noch etwas anderes, das ihm durch den Kopf ging. Etwas, dass ihn völlig von seinem Stiefvater unterschied. Es war ein alter Schwur, den er genau diesem gegenüber abgelegt hatte. Der Schwur, sein Schicksal selbst zu bestimmen! Ohne Hast beugte er sich vor, Joey noch immer fest gepackt und ließ sich jeden Gedanken in Luft auf lösen. Es war nur für einen Augenblick, etwas, was aus Trotz und Starrsinn zu einem unfreiwilligen Beschluss geworden war. Unerwartet zog er den Blonden noch ein Stück näher an sich heran und legte seine schmalen Lippen auf dessen.
 

Es war für ihn nichts weiter als ein Spiel. Sein Stiefvater hatte es nie gekonnt; spielen!

Vorsichtig stabilisierte er seinen Stand, in dem er sein rechtes Knie auf den Boden stellte. So saß er in der Hocke mitten in der Küche und mit einem Lächeln bohrten sich seine eisblauen Augen in die Joeys. Der Blonde war viel zu überrascht, um sich gegen irgendetwas zu wehren und so war es für ihn ein Leichtes, sich mit seiner Zungen einen Weg zwischen dessen warmen Lippen zu bahnen.

Fisch und Sojasoße, danach schmeckte der Blonde. Er konnte genau spüren, wie der 19-Jährige langsam nach Luft rang, doch er hatte noch nicht vor, schon von ihm abzulassen. Genüsslich erkundete er jeden Winkel und stupste Joeys Zunge dabei immer wieder an, ohne auch nur ein einziges Mal seinen Blick zu senken oder zu zwinkern.
 

Erst als sein Sauerstoffmangel immer erheblicher wurde, regte sich wieder Leben in dem Blonden. Der Überlebenswille war stärker, als der Schock und instinktiv hob er seine Hände. Noch bevor in seinen Gedanken die Angst gänzlich explodierte, stieß er Seto von sich. „NEIN!“ Keuchend und mit geröteten Wangen presste er sich die Hände vor den Mund. Plötzlich wurde er von einer Woge des Entsetzens gepackt. Sie schnürte ihm die Kehle zu und erfüllte ihn vollständig mit einer lähmenden Angst. Hatte der Kerl ihn gerade wirklich geküsst? Was sollte der Scheiß? Warum hatte Kaiba das getan? Und warum hatte er gesagt, dass er kein Herz mehr besitzen würde? Was verdammt noch mal ging hier ab?

Er schaffte es nicht einmal, den Mut dazu zusammen zu bekommen, um aufzuschauen. Mit gesenktem Kopf saß der auf dem warmen Küchenboden und hörte den dröhnenden Rhythmus seines Herzschlages in den Ohren.
 

Ein leises Lachen drang über die Stille und Seto setzte sich wieder in eine angenehmere Position. Er konnte genau sehen, was jetzt ihn dem 19-Jährigen vor sich ging. Und am liebsten hätte er laut los gelacht. „Für mich ist es nur ein Spiel! Hast du das immer noch nicht verstanden?“ Er lauschte eine Weile den unregelmäßigen Atemzügen des anderen, der langsam seine Hände wieder sinken ließ. „Dann werde ich es dir wohl erklären müssen.“

Er lehnte sich vor und ohne zu zögern hob er Joeys Kinn an, sodass dieser ihm in die Augen schauen musste. „Ich könnte dich hier auf der Stelle vernaschen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Es würde mir nichts bedeuten, dir hingegen würde es ein Leben zerstören.“ Er beugte sich noch ein Stück weiter nach vorne und flüsterte. „Ein Leben, das du gerade erst zu leben beginnst!“ Die Kälte, die Setos Gefühle unterdrückte, die seine Handlungen bestimmte, blieb und ließ ihn ebenso herzlos und kalt erscheinen, wie einst sein Stiefvater gewesen war.
 

Was auch immer in Joey vorging, es war zu gewaltig, um es mit Worten beschreiben zu können. Angst und Entsetzen waren nur die Grundtöne, doch die Worte des Brünetten hallten unablässig in ihm wider, ohne dass er ihren Sinn ganz verstand. Das Rauschen seines eigenen Blutes dröhnte in seinen Ohren und der rasende Herzschlag schien den ganzen Raum zu erfüllen. Noch bevor Joey darüber nachgedacht hatte, entfloh seinen Lippen eine absurde Frage. „Würdest du es auch tun?“

Seto blinzelte überrascht. Damit hatte er nun nicht gerechnet, doch diese Frage gefiel ihm, besonders die Antwort darauf. Kurz schloss er die Augen und stieß die Luft aus, nur um dann dem 19-Jährigen mit einem diabolischen Lächeln tief in die Augen zu sehen. Er würde diese Frage gerne beantworten, aber diesmal ohne Worte. Dieses Spiel gefiel ihm unerwartet gut und es entschädigte ihn für die Wut, die er noch eben über Joeys Einmischung empfunden hatte. Die Wut, die ebenfalls von der inneren Kälte verschlungen worden war. „Du bist immer noch rot wie ein kleines Schulmädchen!“ Neckte der Brünette frech.

Mit einer kräftigen Bewegung drückte er den Blonden mit dem Rücken auf den warmen Küchenfußboden. Seto achtete nicht auf den erschrockenen Schrei, sondern beugte sich mit selbstgefälligem Lächeln über sein Opfer. „Wheeler, du wolltest doch eine Antwort auf diese prekäre Frage haben, nicht wahr?“ Ja, wenn er die Wut unterdrückte und die Kälte seine Seele erfasste, dann konnte er auf eine Art spielen, wie kein anderer. Yami Moto mochte zwar immer noch der „König der Spiele“ sein, aber in diesem einen Spiel würde er chancenlos verlieren. Der Pharao spielte nicht mit dem Leben, der Seele und dem Herzen eines Menschen, Seto tat es mit größter Freude. Langsam schob er den dunkelroten Pullover in die Höhe und legte somit den gut gebräunten Bauch des Blonden frei. Er würde diesem Kerl mit Vergnügen zeigen, wie weit er ging!
 

Plötzlich regte sich in Joey etwas und er drückte sich vom Boden ab. Seine Arme legten sich um den Hals des Brünetten und er zog sich weiter nach oben. Der Blonde verbarg sein Gesicht geschickt vor dem jungen Mann und versuchte das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücke. Seine Worte waren mehr ein Flüstern. „Dann beweise es mir! Beweise mir, dass du kein Herz hast!“ Schnell löste er sich wieder und drückte ihn wütend von sich. Mit funkelnden Augen starrte er in das Gesicht des jungen Firmenbesitzers. „Ich nehme dein Angebot an. Ich, Joseph Jay Wheeler, werde für die nächsten drei Monate dein privater Sekretär sein!“

Erinnerungen?

Kapitel 7

Erinnerungen?
 

Wenn es auf dieser Welt so etwas wie ein Schicksal gab, dann hatte es mir eine ganz besondere Rolle zugedacht. Es geschah immer wieder ohne dass ich es bemerkte. Ständig geriet ich in diese Situationen, in denen ich zum Schluss unter ging. Es passierte schleichend, ohne Vorwarnung oder in irgendeiner Weise rücksichtsvoll.

Ich hatte plötzlich das Gefühl, als würde es mir schon Jahrhunderte so ergehen. Dieser stechende Schmerz in der Brust schien nicht von der Wunde zu kommen, die sich unter dem weißen Verband versteckte. Es war eher so, als wäre es ein Schmerz, der etwas tief Trauriges nicht vergessen lassen wollte. Ich wusste nicht, was es war, woher es kam und mir war klar, dass ich niemals eine Antwort auf diese Fragen finden würde. Aber jetzt, mit dem Blick in den dunklen Himmel gerichtet, erschien es mir ein ewiger Kreislauf zu sein. Als spielte ich immer und immer wieder die gleichen Rollen, wie ein Schauspiel, ein Theaterstück, bei dem die Geschichte stets sdie gleiche war, allein die Darstellung änderte sich über die Jahrhunderte. Nur schien der Schmerz mit jedem neuen Durchlauf stärker zu werden und ich ein wenig verzweifelter. Wenn ich an ihn dachte, an diesen schrecklichen Mann mit diesen eiskalten blauen Augen, dann kam es mir wie ein Fluch vor. Er war mir gerade jetzt so vertraut, als wäre es nicht unsere gemeinsame Schulzeit, sondern ein Jahrtausend, welches wir umeinander strichen und miteinander rangen. Als wären wir in diesem Theaterstück gefangen, als müssten wir es Jahrhundert, für Jahrhundert erneut spielen und doch war das Ende immer gleich schmerzhaft. Als wären wir nur Figuren für andere, die chancenlos den Regeln der Götter folgen mussten.
 

Aber warum? Was habe ich getan, damit mir so ein Schicksal aufgezwungen wird? Habe ich den Liebling eines Gottes getötet? Wenn nicht, was ist schlimm genug, um all das hier zu rechtfertigen? Draußen regnete es, als wollte mir der Tag auch noch den letzten Mut nehmen. Es wird ein Gewitter aufziehen, ich kann es spüren. Selbst jetzt noch, kann ich es fühlen. Auch über diesen Schmerz hinweg. Ich weiß auch nicht warum, aber ich freue mich irgendwie darauf. Eigentlich habe ich Angst davor, Angst vor Gewittern. Aber heute ist es anders. Fast schon so, als ob in den schwarzen Wolkenbergen, die sich vor meinem Fenster türmen, etwas Wichtiges wäre.

Mein Blick fiel auf den kleinen Teich, der eingebettet in ein immer noch grünes Tal aus Pflanzen, gut sichtbar im Garten lag. Die Seerosen waren längst verblüht und auch ihre großen Blätter hatten sich schon zum Schlafen tief in das Wasser zurück gezogen. Eine weiße Bank stand nur wenige Meter dahinter, doch sie lud nicht dazu ein, sich zum Ausruhen ein wenig Zeit zu nehmen. Die kahlen Büsche und die blätterlosen Bäume, die sich wie ein verschachteltes Labyrinth durch den ganzen Garten zogen, schirmten alles von außen ab.

Es hätte eine gemütliche Stimmung aufkommen können, auch wenn der Wind mit den leeren Ästen spielte und sich auf der Oberfläche des Teiches geisterhafte Wellen bildenten. Wir hatten immerhin Winter, da konnte es schon mal vorkommen, dass ein Gewitter aufzog.
 

... aber ich fragte mich, ob es nur das Wetter war oder auch in den Gefühlen ein Sturm los brach.
 

Diese Verzweiflung, die sich in mir breit gemacht hatte, schien mich innerlich zu zerreißen. Ich hatte eingewilligt, wie konnte ich nur? Tja, jetzt stand ich hier vor dem großen Fenster, wusste nicht weiter und schaute den aufziehenden Wolken zu. Ich fragte mich, ob es richtig war.

Zumindest hatte ich erreicht, was ich wollte. Erst einmal Abstand.

Dieser Blick, er hätte es getan, ohne Zweifel. Wenn ich daran dachte, brannte meine Wange noch immer von dem Schlag. Er war übergriffig geworden und ich war mir sicher, dass er nicht nur gewalttätig war. Aber warum? War es wirklich nur ein Spiel? Spielte Seto mit mir?

Ein leichter Stich ließ mich plötzlich aus den Gedanken taumeln. Mitten in der Brust, nur ganz kurz, aber er tat verdammt weh. Ich dachte an diese eisblauen Augen und daran, dass sie mich eigentlich anders ansehen sollten. Nicht voller Kälte, sondern voller Zuneigung. Reflexartig hatte ich meine Hand auf die Brust gepresst und die Augen zusammengekniffen. Es tat so weh, weil es falsch war. Dieser Gedanke jagte durch meinen Kopf und doch wurde das Bild, welches sich für einen winzigen Moment vor mir zeigte, ein Ausdruck tiefster Zuneigung, von diesem eiskalten Blick in der Küche überlagert.
 

Dieser Blick, er hätte es getan, ohne Zweifel. Aber warum? War es wirklich nur ein Spiel?

Dieser Satz ging mir nicht aus dem Kopf. Egal was ich machte, seine eisblauen Augen gingen mir nicht mehr aus dem Sinn. Seine Stimme hallt in meinem Kopf wider und jede Faser meines Körpers erzitterte, wenn ich versuchte, es zu verstehen. Er hatte doch nur mit mir gespielt. Wie schon so oft! „Es reicht!“ Mit einer schnellen Handbewegung zog ich den Vorhang vor das Fenster. Diese verdammten schwarzen Wolken, ich konnte sie nicht mehr sehen! Was sollte das alles?

Ich zitterte, zitterte wie Espenlaub im stürmischen Frühlingswind. Langsam ließ ich mich auf das Bett sinken und starrte auf meine Hände. Es hört einfach nicht auf. Bedächtig schaute ich mich um, es war Nachmittag, ich hatte Mokuba seit dem „Frühstück“ nicht mehr gesehen und nun ergriff mich eine Kälte, als wäre der Winter in diesem Zimmer ausgebrochen.

Ist es Angst? Aber wo vor denn? Ich hatte jetzt eh keine andere Wahl mehr, nun musste ich mich damit abfinden. Kaiba war ein Sadist, daran konnte niemand etwas ändern, und ich musste mich damit rumschlagen, in den nächsten drei Monaten nicht von ihm fertig gemacht zu werden. Wie ich das überleben wollte, wusste ich noch nicht.

Zumindest hatte ich erreicht, was ich wollte. Erst einmal Abstand.
 

Wollte ich das wirklich? Was wurden das hier eigentlich für Fragen? Natürlich wollte ich erst einmal meine Ruhe und dann kamen mir erneut diese Worte in den Sinn, die er mir in der Küche gesagt hatte. Wie sehr hatte ich mir meinen Kopf schon darüber zerbrochen, doch eine Antwort hatte ich noch nicht gefunden.

Oder doch? Nach dem, was ich erlebt hatte, war ich mir nicht so sicher.
 

„Ich habe kein Herz mehr, Wheeler!“
 

Ein unbegründetes Beben ergriff mich. Unbegründet? Dieser Mann hatte mich geschlagen und wollte dann über mich her fallen! Herzlos und kalt über mich herfallen! Aber konnte das stimmen? So, wie er heute mit seinem Bruder umgegangen war, erschien es mir passend. Aber… zwei Geschwister, die sich so sehr geliebt hatten, wie diese beiden, … da musste doch noch etwas Liebe sein! Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Seto Kaiba kein Herz mehr hatte. Er musste noch eines haben. Daran wollte ich glauben.
 

Wieso war ich eigentlich so müde? Schon den ganzen Tag über verfolgte sie mich und ein Gähnen entfloh meinem Mund. Langsam ließ ich mich auf das Bett sinken und legte mich auf die Seite. Durch den vorgezogenen Vorhang war es etwas dunkler im Zimmer. Allerdings hatten die schwarzen Wolken schon genug dafür getan, dass das Licht der Sonne heute nicht besonders zur Geltung kam.

Ich wurde aus ihm einfach nicht schlau. Selbst ein Mensch wie er musste doch ein Herz besitzen. Es war fast... oh nein, schon wieder musste ich gähnen. Wie müde konnte ein Mensch eigentlich sein? Lächelnd schloss ich meine Augen. Serenity wusste, wo ich war, auch wann ich jetzt eigentlich wieder zurück wollte. Aber ich war so müde...

Sie würde es verstehen, sie war ja nicht auf den Kopf gefallen. ... Oh verdammt, schon wieder. Warum erschienen selbst meine Gedanken immer langsamer zu werden? Ich hatte zwar nicht besonders gut in der letzten Nacht geschlafen, aber dafür... musste ich... doch nicht...
 

~~~ooo~~~
 

Stimmen. Wieder hörte er zuerst nur die Stimmen, die von fern an sein Ohr drangen. Doch diesmal schrie zumindest niemand. Diesmal war es ein Streit. Die Stimmen klangen im Dunkeln wider und schienen aus einer unbestimmten Richtung zu kommen. Wo er war und wie er hier her kam, wusste er nicht. Es war kühl, die Luft dennoch trocken. „Ich sagte dir doch, dass ich kein Herz mehr habe! Also sei vorsichtig mit deinen Wünschen!“ Die Worte waren so kalt, dass sie schon fast zu klirren schienen. Ihr Träger erweckte den Eindruck, gnadenlos und grausam zu sein. Verwirrt sah sich Joey um. Seine Hand lag auf dem Stein der Wand und sie fühlte sich rau und kühl an. Woher kam diese Stimme? Sicher war derjenige nicht allein. Immerhin schien er mit jemandem zu sprechen.

„Oh, da brauchst du dir bei mir keine Sorgen zu machen. Ich bin gerissen und habe mir hier ausreichend Freunde angelacht, um mich deinen intriganten Spielen zu entziehen!“ So viel Selbstsicherheit in dieser Stimme lag, soviel Hohn begleitete sie. Jung und mutig klang sie, davon überzeugt, alles zu überstehen. Ein finsteres Lachen erfüllte die Luft. „Du willst dich also aus meinem Netz befreien? Glaubst, dass du mir entkommen kannst? Nicht einmal der Pharao kann sich meinen Ränken entziehen und nun kommst du mir dahergelaufen und glaubst, auch nur eine geringe Chance gegen mich zu haben?“
 

Joey stöhnte leise auf, als er dieses eine Wort hörte: Pharao! Warum wollte ihm dieses Wort gar nicht gefallen? Es begrenzte doch alles so schön auf einen einzigen und doch langen Zeitraum. Einen, der ihm aber ganz und gar nicht gefiel. Noch immer war es stockfinster um ihn herum und nur diese Stimmen kamen von den Wänden, den Gängen, er wusste es nicht genau zu sagen. Sie klangen fern, aber nicht allzu fern. Vorsichtig setzte er einen Schritt voraus, um in irgendeine Richtung voran zu kommen. Da er von einer tiefen Dunkelheit umgeben war, konnte er nur die Hände ausstrecken und sich vorsichtig an den kühlen Wänden entlang vortasten.

„Pha, der Pharao, dieser kleine Möchtegernmann steht doch sowieso immer in der Mitte aller Intrigen. Obwohl oder vielleicht gerade weil er auf dem Thron sitzt, hat er doch am wenigsten Macht!“ Soviel Frechheit hatte der Blonde dem Unbekannten gar nicht zugetraut. Immerhin konnte er davon ausgehen, das Atemu der hier erwähnte und denunzierte ägyptische König war. Seufzend erblickte er einen sachten Lichtschimmer, zwar noch weit entfernt, aber es gab Licht. Auch die stimmen schienen ein wenig lauter zu werden.

Freude breitete sich in ihm aus und beflügelte seine unsicheren Schritte. Hoffentlich würde der eine nicht wieder… er schwieg seine Gedanken sich selbst gegenüber aus. Nicht alles musste er sich erst sagen, um davor Angst zu haben. Angst, verdammt, das war aber auch alles, was er in letzter Zeit hatte. Angst um seine kleine Schwester, um Mokuba, um Yugi und um sich. Immer nur Angst, innerlich rügte er sich dafür.
 

Ein Scheppern durchbrach die kurze Stille des Gespräches. „Ah, du willst mir also sagen, dass du mich besser in meine Schranken weißen kannst, als unser kleiner Pharao?“ Joey ergriff ein Schauer, als er sich das bitterböse Lächeln auf den Lippen dieses unbekannten Mannes vorstellte, der da gerade so provozierte. Ein überraschtes „Was?“ war noch zu hören, bevor sich eine schwere Ruhe in den Raum legte. Es war diese Art von Stille, in der man immer noch die Bewegungen, das Rascheln des Stoffes und die weit aus unerfreulicheren Geräusche hörte, doch trotzdem war die Ruhe nicht zu leugnen.

Unsicher stolperte er weiter auf den Lichtpunkt zu, der zwar größer, aber nicht heller wurde. Dieses Mal war es ein Klatschen, gefolgt von einem erneuten scheppernden Geräusch, ein Poltern, als wäre jemand zu Boden gestürzt. „W…was fällt dir eigentlich ein?“ Die vorher so freche, von Selbstsicherheit nur so strotzende Stimme zitterte und das Entsetzen lag tief in ihr geborgen. Noch bevor diese Worte verklangen, erfüllte ein herablassendes, höhnisches Lachen die Dunkelheit.

Es dauerte einige Zeit, bis sich derjenige wieder beruhigt hatte und während er sprach, breitete sich eine unverständliche Erkenntnis in dem Blonden aus. Er war sich sicher, dass er diesen Mann kannte. „Ich dachte, dass du mich in meine Schranken weisen wolltest. Dafür hast du mich aber ganz schön lange rann gelassen.“ Seine Worte waren von Hohn und Gehässigkeit durchzogen. Wieder amüsierte er sich darüber, doch diesmal war es nur ein Kichern. „Wenn du nicht besser küssen kannst, bist du ganz schön schlecht. Da ist dir sogar der kleine Pharao überlegen.“
 

Joey biss sich auf die Unterlippe. Warum spürte er plötzlich wieder diesen Stich in seinem Herzen? Er hatte den Durchgang erreicht, aus dem das Licht so sachte schien und ihn hier her gelockt hatte. Warum tat es so weh? Zitternd und unsicher, ob es das Richtige wäre, warf er einen zögerlichen Blick um die Ecke.

Erschrocken starrte er auf den Brünetten, der dort auf dem Boden saß. Diese Haltung, diese Kleidung, ja, diese Stimme, sie gehörte also doch ihm. Sein Herz wurde schwer, warum, das wusste er nicht. Die gebräunte haselnussfarbige Haut schimmerte im Licht der Kerze, die auf dem Tisch stand. Das so gefürchtete Lächeln auf den schmalen Lippen und dieser grenzenlose Hohn in den tief blauen Augen. Erstarrt klammerte er sich im türlosen Rahmen fest und konnte den Blick nicht von dem Brünetten wenden.
 

Der Rothaarige, der nur wenige Meter daneben mit dem Rücken zur Wand stand, klopfte sich mit einer Handbewegung den nicht vorhandenen Staub von der Schulter und blickte angewidert auf den Priester herunter. „Du musst es ja wissen, Seth!“ Zischte er leise, seine Gefühle nur noch schwer im Zaum haltend. „Gibt es eigentlich irgendein sterbliches Wesen hier ihm Schloss, dem du noch nicht an die Wäsche gegangen bist?“

Der Ekel, den er schon allein bei dem Gedanken daran hegte, war allzu deutlich seiner Haltung anzusehen. Die grünen Augen hatten sich an dem sich nun aufrichtenden Mann festgesetzt und ließen ihn nicht unbeobachtet. Zwei rote Strähnen umrankten sein Gesicht und die restlichen Haare legten sich in weichen Spitzen zusammen, fast wie eine Sternenkrone.

Nachdem er sich erhoben hatte, richtete Seth seinerseits die blaue Robe und strich sie glatt. „Oh ja, es gibt immer noch ein männliches Wesen im Schloss, mit dem ich noch nicht Unzucht getrieben habe.“ Diese Worte wurden von einem bitterbösen Lächeln begleitet und in einer fließenden Bewegung kam er dem Rothaarigen näher. Mit einem schnellen Schritt drängte er diesen ganz an die Wand zurück und griff nach dessen Handgelenken.
 

Gekonnt hatte er ihn festgesetzt, indem er die Handgelenke nach oben über den Kopf drückte und an die Wand presste. Sein rechtes Bein schob er zwischen die seines Opfers und nahm ihm so jede Fluchtmöglichkeit. Sein bitterböses Lächeln bekam noch einen grausameren Zug um die Mundwinkel des Brünetten. „Hast du schon mal an dich gedacht, Tala?“ Nicht auf das Entsetzen in dessen Blick achtend begann er sanft die gebräunte Haut des anderen zu küssen. Er bedeckte den sehnigen Hals mit nur gehauchten Berührungen seiner Lippen und strich mit einer freien Hand leicht den hellen Stoff hinunter. Mit der linken hielt er beide Handgelenke wie in einem Schraubstock fest, chancenlos war der Jüngere ihm ausgeliefert. Offenbar hatte der Mann Erfahrung darin, jemanden auf diese Weise gefangen zu nehmen.

„Du bist widerlich, Seth! Sollen dich alle Götter Ägyptens dafür verdammen.“ Schimpfte Tala mit einer erstickten Stimme, aus der er die Abscheu nicht vertreiben konnte. Seine Versuche, sich aus der Umklammerung zu befreien, waren nutzlos. Der Mann hatte ihn so an die Wand gedrängt, dass er diese nicht einmal nutzen konnte, um sich zu befreien. Wütend biss er sich auf die Unterlippe und knurrte irgendetwas Unverständliches, während er versuchte, den Kopf so zu drehen, dass er es dem Angreifer möglichst schwierig machte. Er wusste, dass der Brünette nur spielte, doch leider war ihm dieses Spiel immer viel zu ernst. Seth war ein Mann, der seine Dominanz auch auf diese Weise zeigte, die Grenzen des intimsten Bereiches mit Absicht brechend, um diese frivolen Berührungen und Gesten als Demütigung zu nutzen. Ihn auf hundert verschiedene Weisen verfluchend ließ er diese Erniedrigung über sich ergehen. Aber dafür würde er sich rächen, soviel stand fest.
 

Eine warme Röte hatte sich auf Joeys Wangen geschlichen, als seine honigbraunen Augen das Szenario verfolgten. Das konnte doch nicht wirklich wahr sein, er musste einfach träumen. Er sah dort die beiden schlimmsten Sadisten stehen, die er in seinem Leben kannte und sie handelten wie… wie… nein, Kaiba und Tala würden NIEMALS so etwas tun!

Kurz stockte er, als ihm ein Gedanke kam. Diese Szene, sie hatte Ähnlichkeiten mit dem, was er vor nicht allzu langer Zeit erlebt hatte. Kaiba, der ohne Rücksicht nahm, wonach ihm der Sinn stand. Übergriffig wurde und sich jetzt an Tala verging. Der Rothaarige war hier ehern das Opfer.

Was hieß hier überhaupt Kaiba, es war doch Seth, der sich da über den jungen Mann her machte. Seufzend wand er den Blick ab und drückte sich in den Schatten neben der Türöffnung gegen die kühle Wand. Er spürte Überforderung und Verzweiflung, Angst und Unverständnis. Dennoch kam in all diesen Gefühlen etwas zum Vorschein, dass er nicht genau deuten konnte. Es schien wie eine Hitze, die ihn ergriff. Seine blonden Strähnen hingen wirr in sein Gesicht und ein Zittern ließ ihn die Augen schließen. Was war hier eigentlich los? Immer wieder wechselten sich Hitze und Kälte in ihm ab, brachten ihm zum Beben, jagten Schauer über seinen Rücken. Allein bei dem Gedanken, was da neben ihm in diesem Zimmer passierte, wurde ihm ganz bang. Er bekam die Vorstellung nicht aus seinem Kopf, wie diese feinen Lippen diese fremde Haut küssten und es kam ihm so falsch vor.
 

Mittlerweile hatte Seth sein Opfer zur Hälfte entkleidet und dessen Hände mit einem Seidentuch zusammen gebunden. So fiel es ihm leichter, diese weiter mit einer Hand nach oben zu drücken. Das Licht der kleinen Kerze warf lange Schatten und hüllte den leeren Raum mit einer gespenstigen Aura ein. Regale zogen sich an einer Wand entlang, leer und ohne Inhalt. Eine große Truhe stand an einer anderen und nicht weit von den beiden Männern war ein einfacher Schreibtisch mit einem Stuhl platziert. Ein unterdrücktes Keuchen zerriss die Stille der Dunkelheit und verebbte in den Schatten.

Mit geröteten Wangen biss sich Tala auf die Unterlippe, versuchte krampfhaft die ungewollte Lust in sich zu unterdrücken. Das konnte doch nicht wahr sein, was machte der Brünette mit ihm? Doch schon im nächsten Augenblick entfloh seinen Lippen ein erneutes Stöhnen. Das Seidentuch drückte ihm in die Gelenke, ließen sein Blut nur schwerlich fliesen und auch die Tatsache, dass Seth seine Arme nach oben drückte, half nicht dagegen.
 

Sein Gewand war nicht schlicht, bestickte Stoffe und schwere Tücher, die sich über seidene Lagen legten. Nun war seine ordentliche Kleidung zerwühlt, der weiche Stoff scheuerte, war bis zur Hüfte herunter geschoben und legte sich in großen Falten über seine Oberschenkel. Nur noch der kompliziert geflochtene Gürtel verhinderte, dass seine Kleider gänzlich zu Boden fielen. Seth schien dieses zum Glück noch nicht zu stören, sanft strichen seine schlanken Finger über die Brust seines Opfers und umrundeten eine der beiden Brustwarzen. Verführerisch hauchte er ihm einen Kuss auf das rechte Schlüsselbein. Nur für einen kurzen Moment hatte Seth dem Rothaarigen diese Pause gegönnt, er konnte schon jetzt dessen erhöhte Temperatur spüren.
 

„Was ist, bist du jetzt schon so geil, dass dir die Widerworte fehlen?“ Weich und höhnisch legten sich diese Worte in Talas Ohren und der heiße Atem auf seine Haut. Die warmen Lippen berührten immer wieder Hals und Oberkörper seines Opfers, bis sie schließlich zurück zu ihrem Ziel fanden.

Gepresst erfüllte ein erregtes Keuchen die Luft, als die feuchte Zunge über die rechte Brustwarze leckte, sich die schmalen Lippen um sie legten und der Brünette leicht an ihr saugte. Als er auch noch mit seiner freien Hand an der anderen spielte, konnte der Rothaarige ein lustvolles Stöhnen nicht mehr unterdrücken. Mit geschlossenen Augen lehnte er sich an die Wand, wehrlos und willig.

Nur ungern löste der Brünette seine Lippen, hauchte noch einmal seinen Atem über die von einer Gänsehaut überzogene Brust und bedeckte den Hals mit Küssen. Er setzte seinen Weg fort, bis er schließlich die Lippen des anderen erreicht hatte. Gierig presste er seine auf die des jungen Mannes und zögerte nicht, sich mit seiner Zunge einen Weg zu bahnen.
 

Intrigen und Machtspielchen waren sein Steckenpferd. Macht, die dominierte, die unterwarf. Nach außen hin kühl und gierig, so klang in seiner Seele selbst kaum ein Gefühl. Für ihn war es gleich, wer unter ihm lag. Diese Art von Machtspielen war einfach, weil sie effektiv war. Wurde er Männern gegenüber übergriffig und drängte sie in die unterlegene Position, blieb für sie immer dieser eine Moment voller intensiver Gefühle. Ob Ekel, Hass, Angst oder Lust, so wie sie Tala nun überraschender Weise empfand. Diese Gefühle bildeten die Grundlage seiner weiteren Aktionen. Er konnte sie ausnutzen, um massiven Einfluss auf die Unterlegenen auszuüben. Es war für ihn nichts weiter als ein Mittel zum Zweck.

Seine Seele schwieg, da war keine Empfindung, die sein Herz rührte. Es war allein sein Körper der darauf reagierte, auf seine eigenen Handlungen und Aktionen. Außer einer körperlichen Lust und der Befriedigung eines weiteren Sieges blieb für ihn nichts.

Genüsslich bemerkte er, wie es bei seinem Opfer anscheinend ganz anders war. Neben dem erregten Keuchen, welches er immer wieder hervorlockte, hatte er noch ein anderes Anzeichen gefunden. Er spürte, wie sich etwas hart gegen seine Lenden drückte, innerlich lächelnd.
 

Ungeachtet den Bedürfnissen seines Opfers drängte er sich weiter auf, wanderte mit seiner freien Hand stetig tiefer hinab, strich sanft mit den Fingern über den Bauch und streifte dann den teuren Stoff, bis er selbst etwas Platz zwischen ihnen schaffen musste. Die Hüfte wich nach hinten, das Gewicht verlagerte er zurück und seine Hand umgriff die Ausbeulung mit einer unerwarteten Kraft. Als sich der Rothaarige plötzlich verkrampfte und keuchend nach Luft rang, wurde dies einfach von ihm ignoriert. Nun ging es um sein Spiel. Nun begann die eigene Lust zu fordern. Seine Finger lösten den festen Griff und packten nun nach dem Rest der Kleidung. Seine Hand hatte sich tief im Stoff vergraben, war kurz davor, selbigen gänzlich zu beseitigen. Der erschrockene, ängstliche Blick des Rothaarigen machte ihn nur besessener, ungezügelter und noch einmal zwang er ihm einen Kuss auf.
 

Mittlerweile war er selbst so in Wallungen gekommen, dass auch er gewisse Erregungen nicht mehr verheimlichen konnte. Auch in seiner Männlichkeit pulsierte das Blut, hatten sie anschwellen lassen und nun drückte sie sich deutlich gegen den blauen Stoff.

Kalt und regungslos war seine Seele, doch das Verlangen seiner Körpers nur all zu menschlich. Erst als er den leichten Widerstand bemerkte, den Tala in seiner Hilflosigkeit versuchte, löste er den Kuss. Er zog seine rechte Hand zurück, erkannte, wie sich dieser augenblicklich entspannte und packte dessen Kinn. Seine eisblauen Augen bohrten sich gnadenlos in die ihm gegenüber und ein sadistisches Lächeln spielte um seine Mundwinkel.
 

„Dafür, dass du eben noch so Selbstverliebt warst, bist du jetzt ganz schön gefügig.“ Er würde es hier und jetzt zu Ende bringen. Sein Verlangen war einfach zu stark, seine Sinne schon zu betäubt von diesem Rausch, als dass er sich diesem noch hätte erwehren können. Grob zerrte er den Rothaarigen mit sich drängte sich hinter ihn und konnte ein bittersüßes Lachen nicht verhindern. Ängstlich verkrampften sich die gefesselten Hände, Seth hatte sie wieder sinken lassen.

In seinen Augen funkelte die Begierde, rücksichtslos bugsierte er ihn zum Tisch hinüber und gab ihm einen Schubs. Tala stolperte, stürzte und krachte schmerzhaft gegen den mächtigen Holztisch. Verzweifelt versuchte er sich darauf abzustützen, seinen Halt wieder zu finden und bemerkte, wie die Kerze ins Wanken kam.

Sie taumelte und panisch warf er einen letzten Blick zurück zu dem Brünetten. Der Priester stand mit einem selbstgefälligen Lächeln hinter ihm, griff nach dem Kerzenständer und zog fiesen näher an sich heran. Er genoss die panische Angst, die er in den grünen Augen sehen konnte. Tala war noch nicht bereit für diesen Schritt. Aber das war nicht sein Problem. Mit einem grausamen Lächeln pustete er die Kerze aus. Tiefe Dunkelheit legte sich in den Raum, umhüllte alles mit diesem Schleier der Sichtlosigkeit und selbst das unregelmäßige tiefe Keuchen des Rothaarigen schien leiser zu werden.
 

Nur noch Geräusche berichteten von dem Geschehen, Lust und Panik in den Blick waren nicht mehr zu erkennen. Schnell hatte der Brünette den Gürtel geöffnet, den weichen Stoff gänzlich von den Hüften gestrichen und gab sich seinem Verlangen hin. Auch seine blaue Robe lag auf dem Boden, seine Hände griffen nach den Hüften des andern und ein Schrei zerriss die Stille.
 

Ängstlich presste er seine Hände gegen sie Ohren, wollte nicht mehr hier sein, wollte von alle dem nichts mehr wissen. Sein Herz schlug schmerzhaft gegen seine Rippen, heiß liefen ihm Schweißtropfen die Schläfen entlang.

Joey kauerte zitternd am Boden, hatte sich leicht gegen die Wand gelehnt und wollte schreien. Doch da war etwas, dass ihm die Kehle zuschnürte, das förmlich mit eisigen Händen nach ihm griff, ihn festhielt und nicht entkommen ließ. Was sollte das alles? Tränen rannen über seine roten Wangen, die Augen fest zusammengekniffen.

Angst, sie raubte ihm den Atem, ließ ihn zittern und verklärte seinen Verstand. Unregelmäßig sog er die Luft ein, bis er sich schließlich daran verschluckte. Keuchend hustete er, vergaß alles um sich herum und spürte plötzlich einen Schmerz, der seinen ganzen Brustkorb lähmte. Ängstlich sackte er noch weiter in sich zusammen, schrie in Gedanken, doch nichts weiter als die gequälten Schreie des Rothaarigen klangen in seinen Ohren.

Krampfhaft griff er sich an den Hals, schluckte und würgte, bis ihm schwarz vor Augen wurde. Es war ihm, als würde ich sein Herz für wenige Sekunden zusammen ziehen, vergessen, dass es das lebenswichtige Blut durch eine Adern pumpen musste. Und ganz langsam wurde ihm kalt, schneidend Kälte umfasste ihn, riss ihn mit sich in die finstere Bewusstlosigkeit.
 

Eine Hand legte sich auf seine Stirn, strich ihm einige Strähnen aus dem Gesicht und jemand schien mit ihm zu sprechen. Immer wieder seinen Namen zu nennen, doch zu tief saß die Angst, zu schwer schienen ihm sein Körper. Bildfetzen schwirrten vor seinem inneren Augen rasend schnell vorbei. Oder waren es Erinnerungen?

Kleine Geheimnisse

Kapitel 8

Kleine Geheimnisse
 

Wie ein kleines Kind wurde er auf den Rücken gezogen, jemand griff nach seinen Händen, und langsam drang auch die immer während fragende Stimme zu ihm durch. Was war um Himmelswillen passiert? Es dauerte, bis er die Augen öffnen konnte, und ein verklärtes Bild vor ihm entstand.

Verwundert blinzelten seine Honigbraunen Augen zu dem Jungen vor ihm auf. Es dauerte, bis er den Schwarzhaarigen erkannte und nun war er ganz durcheinander. Wie um Himmelswillen kam den Mokuba hier her?
 

Diese Verwunderung musste zu deutlich in seinen Augen zu lesen gewesen sein, denn der 17 Jährige setzte sich neben ihm auf die Bettkante und legte den Kopf leicht schräg. Joey war es schon zuvor etliche Male aufgefallen. Immer, wenn der Kleine etwas nicht ganz verstand oder eine Frage stellen wollte, legte er den Kopf so schräg.

„Du solltest nicht auf der Seite schlafen, Jo-chan.“ Er deutete auf seine Brust, dort wo unter dem Pullover noch der Verband versteckt war. Doch der Blonde reagierte kaum darauf, es schien ihm egal zu sein.

Mokuba hingegen legte pure Sorge in seinen Blick und schaute mit großen dunkelblauen Augen zu ihm hinüber. Er wusste genau, dass Joey sich nicht dagegen wehren konnte.
 

Ein tiefes Grummeln entkam ihm und verschlafen fuhr er sich mit beiden Händen durch seine blonden Strähnen. „Hör auf damit. Ich hab schon genug Probleme am Hals.“ Die Dunkelheit, die sich im Zimmer ausgebreitet hatte, nahm er erst jetzt wahr. Sein Blick schweifte flüchtig durch den Raum und schließlich kam er zu dem Schluss, es müsste draußen schon dunkel sein.

Na ja, sie hatten es mittlerweile Oktober, da wurde es schon Mal früher dunkel. Vorsichtig rappelte Joey sich auf, um einen Blick auf die Uhr neben dem Bett zu erhaschen, doch noch ehe er sie gefunden hatte, bekam er die Antwort.

„Es ist schon sieben Uhr. Du hast ganz schön lange geschlafen.“ Die Sorge war auch in seiner Stimme zu deutlich zu hören und verwundert zog Joey die Augenbraun zusammen. „Was ist los, Moki?“ Dabei setzte er sich etwas auf, stützte sich währenddessen mit den Unterarmen leicht ab und sein fragender Blick ruhte ungeduldig auf dem Kleineren. „Wenn du dir so viele Sorgen um mich machst, hast du doch selbst was auf dem Herzen.“
 

Er war nicht überrascht, dass er Schwarzhaarige seinem Blick auswich, doch so schnell würde er ihm nicht nachgeben. „Nun sag schon, dich wurmt doch etwas!“ Bis ihm plötzlich bewusst wurde, wann er ihn das letzte Mal gesehen hatte. Wollte Mokuba etwa nach ihrem „Gespräch“ fragen?

Aber anstelle einer Antwort breitete sich eine unwirkliche Stille im Raum aus und Joey spürte langsam selbst, wie ihm die Kehle zugeschnürt wurde und er es nur noch mühsam schaffte einen erneuten Versuch zu Stande zu bringen.

„Wenn du wissen willst, was Kaiba und ich noch zu besprechen hatten, dann frag doch einfach. Ich reiße dir schon nicht den Kopf ab und anlügen tue ich dich auch nicht!“ Er lächelte so gut es ging und wuschelte dem 17 Jährigen durch die schwarzen Haare. Es fiel ihm schwer, dass wusste er selbst, doch wenn es das war, würde er Mokuba Rede und Antwort stehen.

Die dunklelblauen Augen blickten ertappt zu ihm auf, leicht von der Seite her, unsicher und immer noch mit dieser kindlichen Naivität. Es war nicht nur das, wenn der Blonde doch nur wüsste, was für einen Platz er in seinem kleinen Leben eingenommen hatte.

Doch anstatt etwas dergleichen zu sagen, nickte er nur und versuchte kläglich das Lächeln zu erwidern. „Ich meine, wenn du mich mal vor die Tür schickst, dann muss schon was Außergewöhnliches passieren.“
 

Joey konnte den immer schwerer werdenden Stein in seinem Margen nicht verhindern, auch wenn es nur Einbildung war. Er konnte ihm doch aber nicht alles erzählen oder? Er hatte es sich zwar gerade selbst gesagt, aber da war dieser keine Hintergedanke.

Er spürte, wie sich eine Röte auf seine Wangen schlich. Wo sollte er anfangen? Und dass Kaiba ihn geküsst hatte, würde er sicher rauslassen. Immerhin musste DAS nun wirklich nicht gesagt werden.

„Na ja, so wirklich viel ist eigentlich nicht passiert. Dein Bruder hat mir nur welche gescheuert und mir gesagt, dass er kein Herz mehr hätte.“ Mit einem Schlucken bemerkte er den belegten Blick des Jüngeren. Ob er besser wusste, was damit gemeint war?

Er biss sich kurz unsicher auf die Unterlippe und führte seine kleine Zusammenfassung zuende. „Na ja, ich habe ihm dann entgegnet, dass er es mir beweisen soll und ich für drei Monate sein Sekretär werde....“ Nervös beobachtete er die erstaunte Reaktion des Schwarzhaarigen und legte ein gespieltes Lächeln auf seine Lippen.
 

„Ist schon gut.“ In den dunkelblauen Augen glomm etwas auf, dass Joey nicht deuten konnte, doch bohrte sich ein kleiner Stich tief in sein Herz. „Eigentlich bin ich auch nicht nur deswegen hier. Seto ist wohl noch mal weggegangen und ich wollte dich fragen, ob du vielleicht Hunger hast.“

Sein klares und doch leicht belegtes Lachen hallte in der Luft wider, als er die Antwort mit ‚immer doch’ von seinem Freund zu hören bekam. „Dann sollten wir uns aber langsam auf machen.“
 

Während sich Joey aus dem Bett kämpfte, wenn auch eher mit sich selbst als mit der Decke, auf der er lag, zog der 17 Jährige die Vorhänge wieder zurecht.

Sein Blick fiel auf den Teich draußen, nicht ahnend, dass der Blonde schon das Gleiche getan hatte. „Sag mal, wann willst du eigentlich gehen?“ In der Frage lag etwas, dass den Blonden erschauern ließ. Verwundert blickte er zu dem Kleineren hinüber und zuckte mit den Schultern. Er hatte sich darüber eigentlich so genau noch keine Gedanken gemacht.

„Ich wollte ja schon längst wieder zu Hause sein, aber dann bin ich irgendwie eingeschlafen. Na ja, und wie du siehst, bin ich bisher noch nicht dazu gekommen wieder zu gehen.“ Er beobachtete den Schwarzhaarigen der mit traurigem Blick vor dem Fenster stand und immer noch den Vorhang in der Hand hielt. Er war eben doch ein großer Bruder.
 

Ohne ihn zu fragen zog er den Jüngeren in seine Arme und schaute an ihm vorbei hinaus auf den Teich. Der Regen prasselte wild auf die Oberfläche des Wassers, donnerte auf die kleine Bank und tränkte das Gras. Von irgendwoher erhellte eine Lichtquelle diesen Teil des Gartens. Joey war sich nicht sicher, ob es nur ein erleuchtetes Fenster war.

Schwarze Wolken verdeckten den Himmel und ein starker Wind riss an den kahlen Ästen. „Na ja, bei so einem schlechten Wetter geht auch ein Joey Wheeler ungern vor die Tür. Ich glaube, Serenity wird das verstehen, wenn ich noch ne Nacht hier bleibe.“
 

Er musste breit grinsen, als er ein freudiges „Wirklich?“ zu hören bekam. Mokuba drückte sich kurz eng an seinen Freund und im nächsten Moment zog er ihn mit sich zur Tür hinaus. Es war ihm egal, dass Joey es nur knapp geschafft hatte, die Tür hinter sich zu schießen.

Wie ein kleiner Sturm brachte er den Größeren dazu, immer schneller zu werden, bis sie schließlich in einem irren Tempo die Treppe herunter rannten. Keiner von beiden hörte auf die Vernunft, lachend rappelte sich Mokuba wieder auf, als er die letzten drei Stufen ausgerutscht und auf dem Boden der Eingangshalle gelandet war. Er griff nach Joeys ausgestreckter Hand und beide rannten weiter.

Hochrot tollten sie durch die leere Küche und achteten nicht auf die blauen Flecken, die sie sich dabei einfingen. Während sie für sich den Tisch deckten, ging ihr kleines Spiel weiter.
 

Erst als keiner von ihnen mehr die Kraft besaß, noch weiter zu Toben, ließen sie sich auf ihre Stühle sinken. Das Wettessen konnten sie vergessen, denn beide schnappten nach Luft. So zog sich ihr Abendessen in die Länge und erst nach einer Stunde begangen sie, den Tisch wieder abzuräumen.

Lachend und scherzend verzogen sie sich in Mokubas Zimmer und unter Joeys Aufsicht begann ein neues Spiel. Sie merkten nicht, wie die Zeit verstrich. Die Nacht hatte sie um das Haus gelegt, der Regen prasselte seit Stunden auf die Erde nieder und das Chaos in dem kleinen Zimmer verschwand.

Der Computer wurde wieder halbwegs zusammen gebaut und Joey suchte mit dem Kleineren ein sicheres Versteck für all die Dinge, die sonst dieses pure Chaos verbargen. Der Hamsterkäfig wanderte vor das Fenster, was mit einem freudigen Quietschen seiner Bewohnerin begleitet wurde. Mokuba erklärte dafür zum Dank dem anderen die Hausaugaben, der leider zugeben musste, dass er Algebra auch noch nach drei Jahren nicht verstanden hatte.
 

BlueEternity(0:23): hä? hab ich das jetzt richtig verstanden? wer hat hier jetzt wem welche hausaufgaben erklärt?
 

Mokuba grinste und schielte zu seinem Freund, auf dessen Wangen sich ein breiter, rötlicher Schimmer gestohlen hatte. Seine Finger huschten sanft über die Tasten, als er seine Antwort eingab.
 

LittleBreadAndHoney(0:24): Also, ICH habe Jo-chan MEINE Hausaufgaben erklärt! ^o^ So schwer?
 

BlueEternity(0:26): hääääääääää? Jaaaaaaaaa. Ich dachte der wäre schon durch mit der schule und algebra ist nicht wirklich schwer....
 

Joey spürte, wie er noch verlegener wurde, und lehnte sich zurück. Sie saßen vor Mokubas Schreibtisch, eine Tüte Reischips neben der Tastatur liegend. Sie hatten aus einer der anderen Zimmer einen weiteres Stuhl geholt, damit sie beiden nebeneinander sitzen konnten. „Ja, ja, macht euch nur lustig über mich.“ Er schloss die Augen und lächelte in sich hinein. Den Abschluss hatte er und seit dem war ihm Algebra auch nicht wirklich wieder begegnet. Aber auch nur nicht wirklich, denn er wusste, dass er einige Grundlagen davon zum Erstellen von eigenen Möbelstücken benötigen würde. Zumindest am Ende in der Prüfung für das dritte Lehrjahr.

Lachend ließ Mokuba einen Reischip in seinem Mund verschwinden und schrieb weiter. „Paddi ist eh betrunken. Der weiß Morgen bestimmt nicht mehr, was er heute schreibt.“
 

LittleBreadAndHoney(0:28): Säufer, du hast dich doch nie um so was wie Schule geschert! *smile* Und außerdem weiß ich auch nicht, wo Algebra einfach oder schwer sein soll! Das ist doch alles nur Sache des Auswendiglernens.
 

Der Blonde schüttelte den Kopf und knuffte Mokuba leicht in die Seite. „Ja klar. Nur auswendig lernen! Jetzt weiß ich auch, warum ich es nicht verstanden habe.“

Lachend schrak dieser zusammen und kuschelte sich an den Übeltäter. Mit großen Honigbraunen Augen schaute er zu ihm auf und legte ein Zuckersüßes Lächeln auf seine Lippen. „Wirklich! Aber du bist halt schon immer was besonderes gewesen!“

Wie sollte man da nur böse sein? Grinsend wuschelte er dem Jüngeren durch die Haare. Der Nickname passe wirklich gut. „Dann kannst du mir ja beim Lernen im nächsten Jahr gut helfen.“ Schlug er so versöhnlich vor.
 

BlueEternity(0:33): Ach komm, Honigkuchen, ich bin kein säufer, ich versuche nur meinen frust zu ertränken... was mir leider nicht gelingt. ... ~.~
 

Verwundert hob Joey seine Augenbrauen. „Was um Himmelswillen hat der den für nen Frust zu ertränken? Was sollten wir denn da bitte sagen?“

Mokuba zuckte mit den Schultern. Als ihm plötzlich einfiel, dass er „Blue Eternity“ ja noch gar nicht vorgestellt hatte. So griff er noch einmal zu den Reischips und überlegte. „Paddi, also mit richtigem Namen Patrick, ist Leiter einer Computer-Firma in Europa, so wie Seto, nur dass er sich mit Systemprogrammen beschäftigt. Ich frag ihn mal.“ Während er weiter an seinen Reischips knabberte, huschten erneut seine Finger über die Tastatur.
 

LittleBreadAndHoney(0:35): Oh, du hast es hinbekommen 6 Wörter ohne Fehler zu schreiben! *lol* Wie viel hast du um H.W. intus? Und was ist eigentlich passiert? //Säufer...!!!// :P
 

BlueEternity(0:37): *heul* musst du mich immer so fertig machen? Na gut, ich geb mir ab jetzt mehr Mühe! ... ähm, du, keine Ahnung, ne halbe Flasche Whisky, 1/8 Portwein und bestimmt noch 2/3 Wodka... ... nich hauen... *fleh*
 

LittleBreadAndHoney(0:38): -.- *Eisenplatte nehm*
 

BlueEternity(039): Neeeeeeeeeeeeein. Es tut mir ja auch (fast) Leid!!!!
 

Joey schüttelte den Kopf. „Und dann kann der auch noch halbwegs auf die Rechtschreibung achten??? Oh mein Gott, ich würde sterben...“ Mit zwei Fingern zog er vorsichtig die Tüte Chips vom Tisch und nahm selbst welche.

„Anscheinend schon, ich bin absoluter Antialkoholiker, mich könntest du schon nach der halben Flasche Whisky ins Krankenhaus bringen. Dass Paddi das überlebt ist echt ein Wunder.“ Suchend schaute er sich nach seinen Reischips um. „Wo sind denn... hej, meine!!!!“ Gespielt verzog er den Mund und versuchte dem Blonden die Tüte wieder zurückzuklauen, doch dieser sprang auf und schob den Stuhl zwischen sie. Mokuba war deutlich kleiner und so hätte es ausgereicht, wenn Joey die Tüte einfach über seinen Kopf gehalten hätte. Allerdings genoss er die kleine Jagt durch das Zimmer und so sehr sich Mokuba auch bemühte, immer wieder wich im Joey grinsend aus.
 

BlueEternity(0:46): Keine Schläge??? Keine Rumgeschreie??? ... ..... ..................

Noch da???? ................................

Honigkuchen???? Moki???? Kaibaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa????
 

„Och bitte, Joey, komm schon. Ich liebe sie doch sooooooooooooo sehr.“ Er breitete die Arme aus und setzte wieder diesen bettelnden, flehentlichen Blick auf. Langsam sammelten sich erste Tränen in seinen Augenwinkeln und gekonnt zog er einen passenden Mund.
 

„Das ist Bestechung...“ Seine Worte klangen, als würde er sie unter schieren Qualen aussprechen. Mokuba saß nun wieder auf seinem Schreibtischstuhl und litt vor sich hin. So hielt er dem Schwarzhaarigen die Tüte mit hängenden Schultern hin und ließ sich zurück auf den zweiten Stuhl sinken. Ihm war schon klar, dass die Tränen nur gespielt waren, doch jedes Mal musste er sich deswegen geschlagen geben.
 

Strahlend fiel Mokuba ihm um den Hals und wuschelte nun seinerseits durch die blonden Strähnen. Er konnte sehen, wie sich das Lächeln wieder auf Joeys Lippen ausbreitete und seine ganzen Züge erhellte. Erst ein kleines Piepsen holte sie zurück.

Verwundert drehten sie sich zu seinem Schreibtisch um, vor dem die beiden saßen und schaute auf den Monitor, der nun ebenfalls wieder an seinem Platz stand.

Ein kleiner Hamster hüpfte unter den Worten auf und ab und schaute die beiden mit großen Tränenfeuchten Augen an.
 

BlueEternity(0:50): Hast du mich vergessen???? T.T Welcher Fiesling entreist dir die Aufmerksamkeit, die du mir schuldest???? O.o
 

Joey starrte auf den Bildschirm und verzog den Mund. Also wirklich.
 

LittleBreadAndHoney(0:52): Ich bin kein Fiesling! Ich bin nur ein armer harmloser Schreiner Azubi!!!! Außerdem ist ein wenig Bewegung gut, man soll nicht so viel vor dem PC sitzen!
 

BlueEternity(0:53): Häääääääääääääääääääääää???????? Was??? Ich weiß ja, dass ich was intus habe, aber seit wann bist du… treibst du… … —...— °°°
 

Mokuba wurde rot. „Na toll, dieser Idiot....“ Er spürte den musternden Blick des Blonden und versuchte ihm auszuweichen. Er war sich nicht sicher, ob Joey verstand, dass Paddi nicht auf die Schreinerlehre hinaus wollte.

Vorsichtig sah er zu Joey hinüber, der nun auf den Bildschirm starrte. „Er hat das mit der Bewegung völlig falsch verstanden oder?“ Fragte Joey und spürte, wie ihm eine erneute Welle der Hitze in die Wangen schoss. „Das glaube ich auch!“ Antwortete Mokuba und hoffte, dass die Anstrengung bei Toben eben die nun zusätzlich aufsteigende Röte verstecken konnte.

„Du solltest es auf jeden Fall verneinen, auch wenn er es morgen vielleicht sowieso nicht mehr weiß.“ Meinte der Blonde mit einem Mal und starrte noch immer auf den Text, er mit so vielen Zeichen geschmückt war. Seufzend zog Mokuba die Tastatur zu sich, die so nun etwas zu weit weg zum Schreiben war. Er lehnte sich zurück, den Kopf kurz auf Joey Schulter legend, der direkt neben ihm saß. Schweigend überlegte er, was er antworten sollte.
 

LittleBreadAndHoney(0:57): NEIN!!! Ich treibe sicher nicht das, woran du schon wieder denkst!!! Er hat mir nur meine Reischips geklaut und wollte sie mir nicht wieder geben! *heul*

LittleBreadAndHoney(0:57): Ich habe ihn nur als großen Bruder adoptiert!!!!! T.T Ich hasse dich....
 

BlueEternity(0:58): *um dich rum hüpf und dich knuddel* Oh… es tut mir leid! Ich hab dich lieb!!!! Warte, ich schmeiß noch einen mit rein!
 

Blacksoul wird von BlueEternity um 0:59 in den Raum gewiesen.
 

Blacksoul(0:59): Hej, was soll der Scheiß! Du Volltrottel hast doch wieder gesoffen! *knurr*
 

LittleBreadAndHoney(1:00) *glubsch* Was hast du mit dem Chatt gemacht? Paddi, musstest du wieder mal das System hacken???

N’Abend Blacky! ~.~
 

Blacksoul(1:00): Idiot!!!! *zensier*

N’abend Honey. Wie hast du es nur mit dem ausgehalten??? Ich werde ja schon nach drei Minuten aggro.... T.T
 

BlueEternity(1:01): Ist ja gut. *drop* Ich weiß, ihr hasst mich alle..... *heul*
 

Blacksoul(1:02): Jepp, wir hassen dich. Wie schön, dass du es begriffen hast. ......

Aber warum bist du eigentlich schon wieder besoffen? Wird ja langsam zum Dauerzustand... -.-
 

Mokuba schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, wer Blacksoul ist. Paddi hat ihn mir irgendwann mal „vorgestellt“. Ist auch son reicher Snob.“ Er versuchte sich noch enger an den Blonden zu kuscheln, doch dabei störten die Stuhllehnen etwas. Mokuba schwieg einen Moment, ihm gingen mit einem mal so viele Dinge durch den Kopf. „Er erinnert mich irgendwie an Seto. Zumindest manchmal, ich meine, meistens kann ich mir nicht vorstellen, dass er so eine Ausdrucksweise benutzen würde. Er hat mal erzählt, dass er auch einen kleinen Bruder hat.“

Joey drückte den Schwarzhaarigen kurz und stibitzte einen der Chips. Er war schon seltsam, was sie hier taten.
 

LittleBreadAndHoney(1:05): Sei doch nicht immer so gemein.... reicht schon, wenn bei mir zu Hause genug auf einander rum hacken....

Hab ich ihn auch schon gefragt..... o.o
 

„Hm, ich weiß, was du meinst, seine Sprache ist ein Bisschen zu einfach... na ja, du weiß, was ich meine.“ Joey war etwas überrascht, aber schon nach diesen wenigen Worten, konnte er Mokuba verstehen. Blacksoul erinnerte auch ihn an den Blauäugigen, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, wie Kaiba irgendwo saß und so etwas in seinen Laptop tippte. Der Nickname machte ihn jedoch stutzig, der würde sehr, sehr gut zu dem Mistkerl passen.
 

BlueEternity(1:06): *knuffel* Danke, dass du wenigstens zu mir hältst. ... Ähm... warum ich besoffen bin????ßßßß ... Also, wollt ihr das wirklich wissen?????ßßß
 

LittleBreadAndHoney(1:06): Ja, sonst würde ich nicht zweimal fragen!!!!
 

Blacksoul(1:07): *hau* Schau dir mal deine Fragezeichen an!!!! Die sehen so aus -> ß <- !!!! Teufel noch eins, ich will nie einen Geschäftsbrief von dir bekommen!

Natürlich! Jetzt spuck’s schon aus!!!
 

BlueEternity(1:09): Na ja, ich bin mir sicher, dass ihr (du Blacky), das nicht gut finden werdet.... T.T ....
 

Mokuba verzog den Mund und drehte leicht seinen Kopf nach hinten. Die dunkelblauen Augen stellten eine unausgesprochene Frage.

Auch der Blonde grübelte über diese Worte und legte die Stirn in Falten. „Also, ich wüsste langsam wirklich gern, was er für’n Mist verbockt hat.“ Er bemerkte den zweifelnden Blick des Jüngeren. „Du hast eine Ahnung, was er angestellt hat?“ Fragte er besorgt und Mokuba drehte sich wieder um. „Na ja, ich bin mir nicht sicher, aber meistens hat es etwas mit Wetten, jungen Männern und Dummheiten zu tun, die sich so tief im Graubereich der Legalität befinden, dass… du kannst es dir sicher denken!“ Schloss er den Satz und starrte wie der Blonde auf den Bildschirm. „Vielleicht hat er sich auch einfach um Haus und Hof gewettet...“ Schlug Joey eher hoffnungslos vor.
 

Blacksoul(1:12): Also, wenn du nicht willst, dass ich es persönlich aus dir herausprügle, dann sag es endlich freiwillig!!!
 

BlueEternity(1:13): Warum bist du eigentlich immer so brutal???? ~.~ Sadist!!!!

Na gut, ... also, ihr kennt doch diesen superreichen Amerikaner, der ... na ja, ähm, ich meine den, der die chinesische Mafia als Vize vertritt...
 

Blacksoul(1:13): Sag es nicht! Sag nicht das du dich auf eine Wette eingelassen hast !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
 

BlueEternity(1:15): ............................ Doch, hab ich! .................. Es ging um seinen Sohn!!!!!!!!
 

Blacksoul(1:15): Ok, ich hab mit Layla gewettet. Tausend Doller! So was nennt man doch mal leicht verdientes Geld. Soll ich für dich weiter erzählen? *evilsmile*
 

BlueEternity(1:16): NEIN! AUSSERDEM, SEIT WANN WETTEST DU????
 

Blacksoul(1:17): Seit dem du dich immer wieder mit dem einzigen Typen einlässt, mit dem du sogar mal drei Tage zusammen warst, und es immer nur ums Flachlegen geht!!!!
 

BlueEternity(1:17): hey, das stimmt aber wirklich nicht. Es waren vier Tage.... *blusch*
 

Blacksoul(1:18): Ach komm schon, das war höchstens n halber Tag. Und um die 1000 Doller endlich einstreichen zu können, sag, wie’s weiter ging. //Auch wenn ich’s schon weiß...//
 

BlueEternity(1:19): *drop* Arsch..., wenn du’s unbedingt wissen willst… ich hab mit Robert darum gewettet, dass ich keine woche brauche, damit mir der kleine verfällt..........
 

Blacksoul(1:23): ... ... ... ... ... ... ... ...

Und jetzt wirst du ihn nicht mehr los! Sein Vater will dich killen und du sitzt echt in der Klemme, weil du ihn zwar ohne Probleme aus der Welt tilgen kannst, aber gleichzeitig auch dein Herz an ihn verloren hast! ^^ Hab ich Recht?

Um dich zu retten, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als Robert endlich aufzuspießen und den Kopf abzuschlagen!
 

BlueEternity(1:25): ja......... hat nur drei tage gedauert… und jetzt sitze ich hier in New York fest, weil ich nicht einfach so verschwinden kann….

Lass Robert in ruhe! Q.Q
 

Blacksoul(1:26): Na und, in spätesten 48 Stunden ist der Spuk sowieso vorbei! Das war bei dir nie anders. Oder willst du mir erzählen, dass sich das geändert hat?

Na gut, dann tilgen wir ihn eben anders von dieser Welt! Dann lege ich ihn erst auf die Streckbank oder ich schneide ihm die Zunge raus, dann kannst du ihn behalten!
 

Mokuba schloss die Augen und lehnte sich zurück in seinen Stuhl. Hatte er also doch mit seinem Verdacht Recht? Der Wind peitschte den Regen gegen die Fensterscheibe, doch nicht einmal das langsam immer lauter werdende Donnern holte ihn aus seinen Gedanken zurück.

‚Tilgen’ Balcksoul hatte das Wort tilgen benutz. Wer wusste heute überhaupt noch, was dieses Wort bedeutete? Sonst schrieb er immer in einer Sprache, die er eher unter Joeys Niveau einordnen würde. Aber dann schienen immer wieder die intellektuellen Züge zwischen all dem Chaos herauszubrechen, er sprach von Dingen, die er von seinem Bruder kannte. Wie oft hatte dieser schon voller Wut geschrien, dass er jemanden am liebsten auf die Streckbank legen würde? Und dann war da wieder dieses kleine Wort, dieses kleine Wörtchen tilgen… Er war sich nicht wirklich sicher, aber ein Teil von ihm wollte ohne zu zögern ja sagen. Er kannte bisher nur einen Menschen, der dieses Wort so verwenden würde.

Sein schlaftrunkener Blick fiel wieder auf die Tastatur und so zog er sie näher an sich heran. Er spürte, wie sich der Arm des Blonden um ihn legte, fast schon als wolle er ihm damit Halt und noch etwas geben, für das keine Sprache ein Wort finden konnte.
 

BlueEternity(1:27): NEIN!!! WEnn irgendwer den kerl umbringt, dann bin ich das!
 

LittleBreadAndHoney(1:28): Ihr wisst schon, dass es uns auch noch gibt? *drop* Nur so mal neben bei. T.T
 

BlueEternity(1:29): Wie könnte ICH dich je vergessen????? Mein kleiner Honigkuchen!!!!!
 

LittleBreadAndHoney(1:30): o.o Och, dass soll ich jetzt nicht alles aufzählen, oder? Ist ja schon oft genug passiert!!!! ^.~
 

Blacksoul(1:31) Ach ne, jetzt ham wir den Salat. Kleinkindterror! Sag mal, müsstest du nicht längst ins Bett??????

Wofür gibt es eigentlich kleine Brüder?????
 

LittleBreadAndHoney(1:32): Damit wir jemanden haben, auf den wir aufpassen können!!!! *lol* Womit sollten wir großen Brüder uns denn sonst die Zeit totschlagen????
 

Verwundert schauten die großen Honigbraunen Augen zu ihm auf. Joey hatte schneller getippt, als das der Schwarzhaarige es hätte lesen können. Erst als die blauen Buchstaben auch für die beiden anderen lesbar waren, erreichte er das Ende. „Ach, wir sind also nichts weiter als eine Beschäftigungstherapie?“

Breit grinsend drückte er den Jüngeren an sich. „Natürlich, was denkst du denn? Doch nicht etwa, weil unsere Eltern ein weiteres Kind haben wollten!“ Frech streckte er ihm die Zunge heraus und begann seinen kleinen Freund zu kitzeln.
 

Blacksoul(1:33): Hab ich jetzt was nicht verstanden??? Das war jetzt nicht Mokuba oder?
 

BlueEternity(1:34): Frag mich nicht, was die da treiben.... *drop* Ich weiß nur, dass ne Freund von ihm da ist.
 

Blacksoul(1:35): O.O Bitte was???????? Ich dachte, der wäre nicht schwul und ist er nicht erst 17 Jah...... ok..... ja, ... du brauchst erst gar nichts zu sagen..... -.-

Aber seit wann interessiert er sich für Männer?
 

LittleBreadAndHoney(1:37): Bin ich auch Nichttttttttttt!

............. Warum glaubt ihr das eigentlich alle?????????? *Sturzbachtränen*
 

Joey konnte nicht anders und ein breites Grinsen legte sich in seine Züge. „Na ja, ich weiß ja nicht, was du denen alles erzählt hast. Die werden schon ihre Gründe dafür haben.“ Dass er sich damit nur einen verzweifelten Blick des Jüngeren einfing, störte ihn nicht weiter.

„Also, wirklich, ich erzähle hier doch nichts... na ja, eben was, dass diese Unterstellungen rechtfertigt. Außerdem bin ich doch schon längst nicht mehr Single.“ Schmollend verschränkte er die Arme vor der Brust und starrte aus dem Fenster. Der Regen hatte sich nun mit dem Donnern in ein ausgewachsenes Gewitter verwandelt und plötzlich wurde ihm doch etwas bang. Er mochte das laute Krachen des Donners nicht und auch die hell über den schwarzen Himmel ziehenden Blitze lösten in ihm ein unwohles Gefühl aus.
 

BlueEternity(1:38): Ja klar, du musst hier gerade was sagen. Wer ist den schon mit 15 durch die Betten anderer getobt???? -.-

Und was du noch so im Bett treibst, ist echt blutig!
 

Blacksoul(1:39): Ja und? Außerdem weißt du schon, dass hier einer in unserem kleinen Kreis ziemlich sensibel ist, was dieses Thema angeht?

Davon mal abgesehen, dass du erheblich schlimmer bist als ich..... V_V
 

LittleBreadAndHoney(1:40): Jepp, und der schmollt jetzt! T_T *darunter leiden muss*
 

Blacksoul(1:40): Och, das tut mir aber wirklich leid, ich fühle mich schuldig!!! *eg*
 

BlueEternity(1:41): Klar doch, dir tut es doch nur leid, wenn’s um dein Geld geht! Ach ja, hast du eigentlich die 1000 Dollar bekommen?

Warum schmollt Moki denn? Ich meine, das ist doch was ganz natürliches.... O.o
 

LittleBreadAndHoney(1:43): Ja, vielleicht ist es normal, aber nach meiner Erfahrung hat bei solchen intimen Begegnungen BLUT nichts zu suchen! Außerdem geht es ihm um die Unterstellungen, die ihr beide hier die ganze Zeit ihm/uns vorwerft!!!!
 

Blacksoul(1:45): Ej, was heißt hier Unterstellung! Wenn es jemand länger mit dem da aus hält, dann kann er ja sowieso nicht normal sein! Und wenn der da.... das immer Unterstellt, kann ich ja wohl nichts dafür... Idiot!

Was soll ich sonst auch glauben, wenn Mokuba mit einem anderen Kerl anscheinend „etwas treibt“?
 

LittleBreadAndHoney(1:45): -.-
 

BlueEternity(1:47): Hm, also gut, ja, kann ich auch verstehen. Gut, es war wirklich meine Schuld....
 

LittleBreadAndHoney(1:48): Seit wann kannst du wieder schreiben??? Ohne Fehler???
 

Blacksoul(1:50): Er ist ein Idiot, Idiot, IDIOT!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
 

LittleBreadAndHoney(1:51): Danke, das war jetzt sehr hilfreich!
 

BlueEternity(1:52): Keine Ahnung, ich schreib einfach, wenn es fehlerfrei ist, kann ich auch nichts dafür. *lol*

Tja, dafür hat jetzt Balcky auch noch schlechte Laune.... Dann sind wir hier wohl die einzigen, die sich hier nicht aufregen.....
 

LittleBreadAndHoney(1:53): *nick* Aber ich glaube, wir ... zumindest ich... verzieh mich jetzt. Wir haben’s fast 2 uhr. ich bin so müde, ich könnte bis morgen nachmittag durchschlafen. T.T
 

Blacksoul(1:53): Ja, verzieh dich ruhig, ich werde dich nicht vermissen!
 

BlueEternity(1:54): Halt endlich die Klappe! Was ist dir denn jetzt bitte für ne Laus über die Leber gelaufen???? Und da sagst du mir, ich wäre besoffen, schrecklich!!!!!!!!
 

BlueEternity(1:55): Mach das! Ich werde HEUTE eh nicht vor 15 Uhr aus dem Bett kommen! Heute, nicht morgen! *lol*
 

LittleBreadAndHoney(1:56): .........................

^//^ Yes, da hast du Recht. Hab völlig verplant, dass wir ja schon den neuen Tag haben!
 

Blacksoul(1:58): ... ’Tschuldigung.... ~.~
 

BlueEternity(1:59): Kommt bei mir öfters mal vor!

Mach’s Gut, vielleicht schreibt man sich ja mal wieder! *knuddel* Würd mich freun!

Und du auch, Moki! Tut mir Leid, dass ich so ungehobelt war..... *drop* Nich mehr böse sein, ja???

Guts Nächtle!!!! ^o^ *knuddel*
 

LittleBreadAndHoney(2:01): Schon gut, bin ich nicht mehr! ^.^

Dafür bin ich jetzt auch ganz schön müde! ^^ *reknuddel*

Tschüss, Blacky! Und nicht mehr schmollen, ja! ^^

Gute Nacht!
 

LittleBreadAndHoney verlässt den Raum

Geständnisse

Kapitel 9

Geständnisse
 

Das Licht war längst durch die Vorhänge gedrungen und erhellte den Raum in warmen Farben. Das ganze Zimmer strahlte mit der neuen Ordnung in einer ungewohnten Ausgeglichenheit und ließ eine gewisse Ruhe in allem entstehen. Der kleine Käfig stand auf einem niedrigen Tisch vor dem Fenster und so war seine Bewohnerin schon früh von der Sonne geweckt worden. Nun blickten ihre schwarzen Knopfaugen ungeduldig zu den beiden noch Schlafenden und das erste Piepsen entfloh ihrer kleinen Kehle. Es war ein langgezogenes Geräusch, gleich einem hohen Kreischen und zerriss gnadenlos die Stille des Zimmers.

Doch noch schien niemand das Herz erweichende Geräusch gehört zu haben, noch einmal erhob sich das helle Piepen und ein schriller Schrei entfloh dem winzigen, cremefarbigen Fellknäuel. Nun wurde auch die erste Reaktion auf das Quengeln hörbar. Ein leises Grummeln schwirrte durch die Luft und ein Rascheln der Bettdecke untermalte den Ton.

Erfreut beobachteten die schwarzen Knopfaugen, wie Bewegung unter der Bettdecke entstand, sie sich zu heben begann und plötzlich ein blonder Schopf zum Vorschein kam. Auf ihr drittes, nun erheblich leiseres Quicken nuschelte vom Bett her nur eine tiefe Stimme ein paar unverständliche Worte, die schnell wieder in sich selbst untergingen.
 

Die honigfarbenen Augen des Blonden blinzelten, noch verschwommen sahen sie Bilder aus Farbe und Formen, die keinen Sinn ergaben und so kniff er sie noch einmal zusammen. Er wollte doch gar nicht wach werden. Wer war nur auf diese außerordentlich dumme Idee gekommen, hier so einen Krach zu veranstalten? Genüsslich gähnend sackte er zurück auf das große Kissen, die geschlossenen Lider verhinderten nicht das gedämpfte Farbenspiel in der Finsternis und so zog er schließlich seine Hände aus dem Gewühl aus Stoff und rieb sich über die Augen. Warte mal, wo war er eigentlich?

Vorsichtig blinzelte er erneut und hob den Kopf an. Licht blendete ihn, sodass er noch einmal seine Augen zusammen kniff und einige Herzschläge Zeit brauchte, um sich daran zu gewöhnen. Erst dann konnte er erkennen, dass er weder in seinem Zimmer, noch in dem rotschwarzen Gästezimmer der Kaibas war. Mit einem Lächeln und einem erneuten Gähnen ließ er sich noch einmal in die weichen Stoffe sinken. Ja, sie hatten gestern wirklich gut aufgeräumt. Das Zimmer wirkte jetzt viel schöner als vorher und vor allem, kinder- und hamsterfreundlicher.
 

Doch ganz anscheinend hatte Lalapee nicht vor, den 19 Jährigen wieder einschlafen zu lassen. Boshaft erzürnt begann sie in ihrem Käfig herumzurennen und lauthals zu quicken. Wie hysterisch hopste sie auf das kleine Häuschen und sprang Richtung Gitter. Dabei fixierten die kleinen Äugelein das Bett und ihre Stimme schien sich mehrfach zu überschlagen.

Mit einem Ruck saß Joey senkrecht im Bett. Was war denn nun passiert? Erschrocken starrte er zu der Hamsterdame, die schlagartig schwieg. Wie? War das etwa ein Weckversuch gewesen? Wollte ihn dieses kleine Ding da etwa nicht schlafen lassen? Seufzend fuhr sich Joey mit einer Hand durch die verstrubbelten Haare, gähnte noch einmal ausgiebig und schlug die Decke zurück. „Ist ja gut, ich bin ja wach...“, nuschelte er vor sich hin.

Was war das nur für ein Hamster? Er wusste ja, dass sie einer Chemielehrerin gehört haben sollte und ein Schulkamerad die Kleine aus dem Fenster schmeißen wollte. Verschlafen beobachtete er das kleine Fellbündel, dessen schwarze Knopfaugen ihrerseits auf ihm ruhten. Nun schien sie zufrieden.
 

Noch immer nur halb wach streckte sich der 19 Jährige, spürte den stechenden Schmerz erst zu spät, der durch seinen Brustkorb raste und ihn erschrocken zusammen fahren ließ. Na toll, dass hatte er ganz vergessen. Verwirrt und mit zerknirschtem Blick drehte er sich leicht um, seine rechte Hand fest auf die Stelle gepresst, die eben noch so geschmerzt hatte. Und was war mit Mokuba, wollte der Knirps denn gar nicht mehr aufstehen?

Doch als er den 17 Jährigen „fand“, löste sich sein Unmut in Wohlgefallen auf und ein spöttisches Lächeln huschte zufrieden über seine Lippen. Nichts weiter als ein schwarzer Haarschopf schaute aus der Decke hervor, die eng um den kleinen Körper geschlungen war. Mokuba hatte die Beine angezogen und sich auf die linke Seite gerollt. Einige Haarsträhnen klebten auf seiner Stirn, die Wangen rot glühend und tief die Luft einziehend. So in die Decken eingemummelt war es mit der Sauerstoffzufuhr und dem Wärmeausgleich nicht ganz so einfach und ein leichter Schweißfilm hatte sich auf das zwar ruhige, aber dennoch etwas angespannte Gesicht gelegt. Die Hände waren unter dem Stoff verschwunden, hatten die Decke fest zusammen gezogen und waren unter dem Kinn in der Halsbeuge versteckt.
 

Kopfschüttelnd setzte er sich auf die Bettkante und warf noch einen Blick rüber zu dem kleinen Fellknäuel, das zufrieden an einigen Körnern knabberte. Na toll, und jetzt? Er gähnte noch einmal und fuhr sich unbewusst mit der rechten durch die wirren Haare. Er konnte ja schlecht durch das Haus wandern, auf der vergeblichen Suche eine Küche zu finden. Warte, wie war das. Er musste zuerst einmal in die große Eingangshalle finden. Von dort den Gang zur linken, nein, den rechten. Müde kniff er die Augen zusammen und fuhr sich mit den Händen erneut durch die Haare. Es war links, ja, die dritte Tür. Aber zuerst musste er links den Gang, nein, warte, halt. Resigniert erhob er sich vom Bett und streckte die Arme weit über den Kopf aus. So würde er nicht weiter kommen. Sein Blick suchte im Zimmer nach einer Uhr, die er schließlich auf dem kleinen Tisch neben dem Bett fand. Es war schon fast 10, so lange hatte er schon lange nicht mehr geschlafen, außer gestern, aber da konnte er sich nicht mehr an die genaue Zeit erinnern. „Mokuba, willst du nicht langsam mal wach werden. Ich verlaufe mich doch nur wieder maßlos in diesem Haus, also, hm, du könntest mir mal das Leben retten und mir den Weg zur Küche zeigen.“

Der Kleine hörte es eh nicht, viel zu leise und im Grunde eh nur für sich selbst waren diese Worte gesprochen.
 

Schlaftrunkend zog er sich den roten Pullover über, er sollte wirklich duschen gehen. Doch er hatte nichts mehr zum Wechseln. Er wusste nicht einmal, wo sein weißes Hemd geblieben war. Anscheinend hatte es den Angriff von Tala nicht überstanden und war so ausgemustert worden. Als er halbwegs wieder vernünftig gekleidet war, machte er sich mit einem Gähnen auf den ungewissen Weg in die Küche.
 

Wie zu erwarten hatte er sich heillos verlaufen. Sein Blick fiel auf die unzähligen Türen, von denen er sich immer noch fragte, was hinter ihnen zu finden war. Er spürte zwar eine gewisse Wut in sich, doch noch immer steckte die Müdigkeit zu sehr in seinen Knochen.

Doch im nächsten Augenblick war nur der Schrecken in seinen Gedanken. Eine der Türen hatte sich blitzschnell geöffnet und wäre er nicht mit einem Fuß zurück gewichen, hätte er jetzt eine blutende Nase. „Was soll das?“ Kam eher empört als wütend von ihm.

Zwei eisblaue Augen blickten unverständlich um die Tür herum und langsam betrachteten sie den jungen Störenfried von oben bis unten. „Die Frage ist eher, was du hier zu suchen hast?“ Noch immer lag die Feuchtigkeit des Duschens in den kurzen brünetten Haaren. Der junge Mann hatte eine schwarze Hose und einen dunkelblauen Rollkragenpollover an. Der breite Gürtel war mit einer silbernen, schmucklosen Schnalle versehen. „Ich…“ kam verwirrt von dem Blonden, dem dann doch die Worte fehlten. „Du solltest dringend duschen gehen, Wheeler. Was machst du eigentlich hier, suchst du mal wieder die Küche?“ Die Feindseligkeit in seiner Stimme war sehr viel geringer, als er es geplant hatte. Müde fuhr er sich mit der linken Hand durch die Haare.
 

Joey konnte sich kaum fangen. Er war immer noch müde und sein Gegenüber sah ebenfalls nicht mehr ausgeschlafen aus. Während er sich so beschämt am Kopf kratzte nuschelte er nur in sich hinein. „Ich habe leider weder eine Dusche, noch etwas zum Wechseln.“

Erstaunlicherweise gab es dieses Mal keinen bösen Kommentar, die blauen Augen hatten nur einen seltsamen Schimmer. „Da du ja eh schon einen meiner alten Pullover trägst, kannst du ruhig noch einen haben. Komm rein.“ Joey war nun noch verwirrter und doch folgte er der Bewegung wie ein treuer Hund seinem Herrchen. Zögerlich trat er um die Tür herum und als er in das Zimmer seines Feindes und neuem Arbeitgeber kam, blieb er vor Ehrfurcht wie angewurzelt stehen. Sein Blick glitt über den gewaltigen Kleiderschrank auf der linken Seite, das riesige Fenster ihm quer gegenüber, neben dem sich ein großes, ja beinahe gigantisches Bett anreite und schließlich die verschlossene Tür auf der rechten Seite. Das nannte er einmal ein imposantes Zimmer. Als letzes stand da noch ein kleiner Schreibtisch neben ihm in der rechten Ecke. Das große Bild neben der verschlossenen Tür war ihm natürlich auch ins Auge gefallen.
 

„Was ist los? Hast du noch nie ein Zimmer gesehen?“ Die blauen Augen bohrten sich schon aus der Ferne in die seinen und er spürte einen Schauer über seinen Rücken laufen. Schnell schüttelte er den Kopf. „Natürlich habe ich schon ein Zimmer gesehen, aber noch nie so eins.“ Er machte eine große ausladende Bewegung mit beiden Armen. „Ich habe noch nie ein Zimmer gesehen, dass so groß und schlicht ist und trotzdem so unglaublich aussieht. Allein die Farbkombination mit dem dunklen Blau und den Silber ist schon atemberaubend, aber die schwarzen Akzente mit dem Mobiliar.“ Er vergaß, wem er das alles erzählte und machte ein paar Schritte auf das aus schwarzem Ebenholz gefertigte Bett zu. „Und diese Verarbeitung erst. Ich glaube es kaum.“

Seto betrachtete mit großen Augen wie Joey unter dem Bett verschwand und einen Bewunderungsausruf nach dem anderen von sich gab. Als der Wuschelkopf wieder zum Vorschein kam, die Wangen rot glühend, sah Seto seit langem die honigfarbenen Augen einmal wieder leuchten, als wären Weihnachten und Ostern auf einen Tag gefallen. „Wer auch immer dieses Bett gefertigt hat, es ist ein Prachtstück. Ich habe selten so etwas Gutes gesehen. Ich würde fast sagen, dass das hier eine Arbeit von meinem Meister Kanei-sempai ist.“ Der Blonde strahlte förmlich, während er wieder unter dem Bett hervor krabbelte. „Du solltest aber immer daran denken, das Holz ordentlich zu pflegen. Vor allem ist es ein älteres Stück und trocknet langsam aus.“ Er saß mittlerweile im Schneidersitz neben dem Bett und strich mit der rechten Hand zärtlich über das Holz des Pfostens. „Du solltest es zuerst einmal gut einfetten und noch circa 48 Stunden noch einmal nach polieren. Wenn du damit fertig bist, ist es sehr ratsam eine Schüssel Wasser unter das Bett zu stellen, damit dass Holz nicht weiter austrocknet. Wäre echt schade um so eine gute Arbeit.“
 

Seto stand einfach nur da, er hatte schnell die Sachen in seinem äußerst penibel geordneten Schrank gefunden und hielt sie nun in der Hand. Mit Bewunderung und Verwirrung war er den Taten und Worten der Jüngeren gefolgt, der noch immer verträumt auf das Bett blickte. Mit einem leichten Räuspern holte er diesen wieder in das Hier und Jetzt zurück. „Du hast ganz anscheinend den richtigen Beruf gefunden.“ Es war ein stilles Lächeln, das sich auf seine schmalen Lippen verirrte als der Blonde puterrot anzulaufen begann. Er stammelte etwas vor sich hin und verbeugte sich dann tief vor dem Brünetten. „Ich wollte nicht unhöflich sein. Es tut mir leid.“

Doch Seto schüttelte nur den Kopf und sein Lächeln wurde ein klein wenig breiter. „Du bist wirklich einzigartig auf dieser Welt.“ Joey hob den Kopf und schaute ihn verwundert an. Die honigbrauen Augen spiegelten die Verständnislosigkeit wieder. „Normalerweise bekomme ich nur zu hören, wieso dieses Zimmer so schlicht ist. So viel Bewunderung habe ich wirklich noch nie gehört.“
 

Joey saß da, kratze sich verlegen an der Nase und schaute von unten leicht verlegen zu ihm auf. „Also, wenn ich einmal eine Vermutung anstellen darf, sind die anderen Aussagen wahrscheinlich eher von Damen, die mehr Geld und gutes Aussehen haben, als Interesse für die Gestaltung eines Zimmers. Wahrscheinlich wird ihnen auch grundsätzlich die Ahnung von der Holzverarbeitung fehlen.“

Das Lächeln verschwand von den Lippen des Brünetten und er blickte kurz überlegend aus dem Fenster. Der Jüngere hatte schon mit einem Protest, einer bösen Bemerkung, im Schlimmsten Falle sogar mit einer Tracht Prügel gerechnet, doch nichts dergleichen kam. Mit ernster Stimme nickte der Brünette nur und sagte. „Ja, da muss ich dir Recht geben. Solche Gespielen sind aber in meinen Kreisen auch nicht zu finden.“

Joey fiel den Unterkiefer herunter und seine Augen wurden groß. Das heute Morgen irgendetwas anders war als sonst, fiel ja gleich auf, aber so??? Perplex starrte er den jungen Mann an, der nun seinerseits verwirrt drein blickte. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Joey schüttelte nur den Kopf. „Nein, wahrscheinlich schlafe ich nur noch und das alles passiert gar nicht.“ Er schüttelte den Kopf und stand langsam auf. Als er dann einem völlig verwirrten Seto Kaiba in die Augen blickte, seufzte er nur und ließ die Schultern hängen. „Du hast nichts Falsches gesagt. Anscheinend sind wir beide noch sehr müde. Du siehst auch nicht gerade aus, als hättest du viel Schlaf gehabt.“
 

Es war sehr lange her, dass er nicht wusste, was er sagen sollte. Mit einem verlegenen Blick drückte er dem Blonden einfach das sauber gefaltete Kleinod in die Hand und schob ihn dann Richtung Tür. „Geh duschen und werde wieder wach!“ Die Stimme hatte etwas Schneidendes bekommen und bevor Joey noch wusste, was mit ihm geschah, hatte der Brünette die Tür schon geöffnet, ihn hindurch gestoßen und mit einem leichten Knall wieder geschlossen. Nun stand er da, wie ein vor die Tür geschickter Hund, mit hängenden Schultern und starrte in den Spiegel. Dieser hing ihm direkt gegenüber und der junge Mann, der ihn daraus anblickte, hatte etwas Jämmerliches. Wie geistesabwesend legte er die frische Wäsche auf den Toilettendeckel und begann sich auszuziehen. Er ließ die Sachen einfach fallen und noch immer abwesend trat er unter die Dusche. Es war so ein seltsames Gefühl, dass sich von seinem Magen her ausbreitete und bis hinauf zu seinem Herzen krabbelte. Als das warme Wasser über seine Schultern lief, schloss er die Augen und lauschte nur noch dem Geräusch des Wasserstromes. Irgendetwas passierte hier. Es schien wie das donnernde Dröhnen der Schicksalsräder, die sich mit unendlicher Geduld zu drehen begannen. Eine unbestimmte Angst ergriff ihn. Was passierte hier? War das eben wirklich der Seto Kaiba, den er kannte?
 

Mit klopfendem Herzen lehnte er sich gegen die Badezimmertür und drückte beide Handballen gegen die Stirn. Was sollte das alles nur werden? Was für ein verdammter Tag! Noch immer schmerzte sein Kopf von den abendlichen Flaschen. Er hatte gestern ganz sicher mehr getrunken, als ihm jetzt lieb war. Mit belegtem Blick ging er auf den kleinen Schreibtisch zu und zog eine soweit sehr gut versteckte Flasche Cognac heraus. Das leere Glas auf dem Tisch war gar nicht groß aufgefallen. Oh Gott, wie dumm konnte ein einzelner Sekretär eigentlich sein? Er schenkte das bauchige Glas bis zur äußerten Kannte voll und leerte es mit einem einzigen Zug. Wütend stellte er das Glas wieder auf den Schreibtisch und schlug mit der linken Hand auf die hölzerne Fläche. Was für ein Verlust!

Es ging hier immerhin nicht um ein paar Dollar, nein es war ein wirklich stattlicher Betrag. Eine schreckliche Wut kam in ihm auf und mit einem Knurren drehte er sich wieder um. Er wollte am liebsten Schreien, aber was half ihm das schon? Der Auftrag war geplatzt und all seine Wut konnte daran nichts verhindern. Leicht resigniert schenkte er sich noch einmal nach und trat an das große Fenster heran. Wie wunderbar, er begann den Sonntagmorgen mit zwei viel zu vollen Gläsern Cognac. Der Krater von gestern war noch nicht ganz verloren und schon gab er dem ganzen noch einen drauf. Wenn es um das Thema jämmerlich ging, hatte er es heute wirklich geschafft sich selbst zu übertrumpfen. Mit einem grimmigen Knurren nahm er einen weiteren großen Schluck und ließ das Glas dann wieder sinken. Er starrte aus dem Fenster ohne wirklich zu begreifen, wie der Wind die ausgetrockneten Blätter durch die Luft wirbelte. Nichts von dem vor ihm kam zu ihm hindurch.
 

Erst ein Räuspern holte ihn aus seinen Gedanken zurück und ließ ihn aufblicken. Joey stand in der Tür, die Haare immer noch leicht feucht und mit fragenden Augen. Mit einer schnellen Handbewegung sagte der Brünette nur. „Deine alten Sachen kannst du ruhig in die Wäschetruhe im Bad legen. Sie werden sicher bis heute Nachmittag sauber sein.“ Er starrte wieder aus dem Fenster, bis er das Schließen der Tür hörte. Mit einem Seufzen erklang plötzlich Joeys Stimme. „Du trinkst nicht wirklich morgens Cognac oder?“ Er hatte die Flasche vom Schreibtisch genommen und auf das Etikett einen verwunderten Blick geworfen.

Er bekam keine Antwort und so stellte er diese wieder auf ihren Platz. Mit zögerlichen Schritten ging er durch das Zimmer, umrundete das Bett und blieb kurz hinter dem jungen Mann stehen. Er schaute über dessen Schulter und schwieg eine ganze Weile; auf eine Antwort wartend. Doch die ungemütliche Stille im Raum blieb bestehen und der Blauäugige unterbrach sie höchstens durch einen weiteren Schluck aus dem bauchigen Glas.
 

„Was ist los? Ein so finsterer Blick ins Nichts und Alkohol zum Frühstück deuten nicht gerade auf einen erfolgreichen Geschäftsabschluss hin.“ Doch wieder gab es nur Schweigen, keine weitere Reaktion. Allein das fast leere Glas ließ er sinken, den Blick ohne Unterlass in die Ferne gerichtet. Joey wusste nicht, wie lange sie da schon standen. Die Zeit schien wie ein zäher Strom über dem Haus zu liegen und kaum zu vergehen. Ein Knurren entkam seinem Magen und ein leichter Schmerz zog sich über seinen Bauch. Auch die Wunde an der Wange war nach dem Duschen ausgetrocknet und jede Bewegung ließ einen unangenehmen Schmerz durch das Fleisch ziehen.

Langsam hatte sich der Brünette zu ihm umgedreht und ließ seinen Blick über ihn wandern. Ein sachtes Lächeln legte sich auf seine Lippen und er stellte das noch mit einem guten Schluck gefüllte Glas auf den kleinen Schrank neben dem Bett. „Wir sollten in die Küche gehen, du scheint wirklich Hunger zu haben.“ Mit diesen Worten ging er an ihm vorbei und hielt ihm noch einmal die Tür auf, um diese sicher hinter ihm zu schließen.
 

Auf dem ganzen Weg bis zur Küche schwieg er wieder. Joey hatte schon den Verdacht, der Brünette hätte seine Sprache verloren, doch als sie den weißgekachelten Raum betraten, kam unerwartet noch ein Satz von ihm. „Trinkst du den Kaffee mit Milch?“ Joey schaute verwirrt auf und setzte sich an den schon gedeckten Tisch. „Ähm, ja, und einem kleinen Löffel Zucker.“ Ergänzte er zögerlich und bekam dafür einen bösen Seitenblick.

„Wir reden hier von Kaffee und nicht von Plörre. Trink doch gleich Kakao.“ Die tiefe Stimme hatte an diesem Morgen etwas sehr Raues und mit einem Kopfschütteln machte sich der Firmenbesitzer an seine Arbeit. Joeys honigbraune Augen schauten ihm dabei genau zu und er legte die Hand vorsichtig auf seinen schmerzenden Bauch. Anscheinend hatte jemand den Tisch schon von vorne herein gedeckt und mit vier Personen gerechnet.
 

Es war wieder ein langes Schweigen in dem nur die Kaffeemaschine ihren Dienst tat und dieses leise unterbrach. Als Seto ihm dann den heißen Becher neben den Teller stellte, fixierten die kalten blauen Augen den Jungen vor sich. Ohne noch einmal zu fragen hob er dessen Hand an und zog dann den Pullover nach oben. Empört schrie Joey auf und versuchte vergeblich den wollenen Stoff wieder über seinen Bauch zu ziehen. „Was soll das?“ Fragte er mit wütender Stimme und hatte innerlich ein wenig Angst vor einer Wiederholung der gestern Ereignisse. „Bist du wirklich so betrunken?“ Er befreite seine Hand aus dem leichten Griff und zog den Stoff wieder über seinen Bauch. Die blauen Augen schauten ungerührt auf und langsam hob sich die rechte Augenbraue fragend. „Ich?“ Er richtete sich wieder auf und schüttelte den Kopf. „Wer ist es denn, der hier so durch die Gegend läuft? Wenn du deine Wunden nach dem Duschen nicht wieder ordentlich verbindest, kann es im schlimmsten Fall zu einer Blutvergiftung oder einer schlimmen Entzündung kommen.“ Er schüttelte noch einmal den Kopf und im nächsten Augenblick drehte sich der Blauäugige um. „Hör zu, du kümmerst dich um den Frühstückstisch und ich hohle dir etwas zum Verbinden. Verstanden?“

Joey nickte und blieb sitzen, bis der Brünette die Küche verlassen hatte. Was meinte er eigentlich mit ‚sich um den Frühstückstisch kümmern‘? Es war doch schon alles da, oder? Sein Blick schweifte über den Tisch und da fiel es ihm auf. Es fehlte alles, was gekühlt werden musste und so machte er sich auf, den passenden Kühlschrank zu suchen. Bei jeder Bewegung schmerzte die Wunde an seinem Bauch etwas mehr.
 

Die blauen Augen hatten einen eiskalten Blick, als sie den Blonden fixierten. Joey spürte förmlich, wie er um einige Zentimeter in seinem Stuhl zusammen sank, doch der Schmerz in seinem Bauch war zu stark. Blut sickerte durch die Finger, die er auf die Wunde presste. Der Pullover lag auf dem Tisch und so war der Oberkörper des Jungen frei.

Die kalten Augen blickten herablassend und schneidend scharf war seine Stimme. „Das hast du jetzt davon. Wie ein kleines dummes Kind!“ Er ging auf den Tisch zu und stellte den kleinen Verbandskasten ab. Joey zog den Kopf noch ein bisschen mehr ein und beobachtete verschüchtert, wie sich der Ältere umdrehte und von einem der Regale einige Tücher herunter nahm. Als er wieder vor dem Blonden stand, gab er nur kurz von sich, dass dieser die Hände heben sollte. Vorsichtig säuberte er die Wunde und doch musste sich der Jüngere auf die Unterlippe beißen. Ein böser Schmerz zog durch seinen Bauch und ohne es verhindern zu können, zog er diesen ein.

Seto hatte nur eine Augenbraue gehoben und wartete schon beinahe auf den darauf folgenden Aufschrei. Nachdem er die Wunde soweit versorgt hatte, gab er wieder nur einen kurzen, Befehl von sich. „Aufstehen!“ Mit einem Schlucken folgte der Kleinere und noch einmal hielt er die Luft an, als er weichen Stoff auf der offenen Wunde spürte. Schnell wurde der enge Verband angelegt und tief blaue Augen funkelten ihn an. „Geh dir die Hände waschen, bevor du hier noch alles dreckig machst." Mit einem Kopfnicken schlich er hinüber zu einem der Waschbecken und nachdem er gehorsam seine Aufgabe erfüllt hatte, bemerkte er, dass er nicht alleine dort stand.
 

Seto hatte sich zuerst noch mit einem Tuch die Hände gereinigt und dann das restliche Verbandszeug verpackt. Danach hatte auch er sich noch einmal an das Waschbecken begeben und sich die Hände erneut gesäubert. Leise schlich sich Joey wieder in die Richtung des Kühlschrankes und holte die letzten Sachen heraus. Als er diese auf den Tisch stelle, bemerkte er ein kleines Döschen, das Seto anscheinend vergessen hatte.

„Nein, aber du musst deine Wunde auf der Wange auch verarzten. Nach dem Duschen trocknen solche Schnittwunden schnell aus und dann wird es schmerzhaft.“ Verwirrt schaute der Blonde auf und nickte. Vielleicht war sein Gegenüber doch etwas mehr betrunken. So nett war er bisher noch nie gewesen. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm.

Nachdem Joey auch diesen Befehl ausgeführt hatte, setzte er sich neben den Brünetten an den Tisch. Dieser nickte ihm nur zu und bedeutete ihm etwas zu essen. Schweigend verdrückte Joey so seine ersten beiden Brötchen. Bis er wieder auf sah. „Was ist mit dir? Willst du nichts essen?“ Fragte er leicht besorgt. „Ich gehe einmal davon aus, dass das Glas vorhin nicht das erste war.“ Kalte Augen trafen ihn und er zuckte leicht zusammen. „Ich weiß ja, dass… dass du nicht gerade von mir einen Vorschlag annimmst, aber Alkohol auf leeren Magen, bei deiner Figur… also,… naja…“ Joey starrte wieder auf seinen leeren Teller und schob einige der Krümel erst nach links und dann wieder zurück.
 

„Ich kann nicht.“ Er hatte es nicht besonders laut gesagt und blickt nun seinerseits in den Kaffeebecher, den er in Händen hielt. „Ich kann morgens einfach nichts essen. Das ist seit Jahren schon so.“ Joey glaubte seinen Ohren nicht zu hören. Gab der große Seto Kaiba gerade eine Schwäche zu? Nein, das konnte nicht sein oder doch? Verwundert blickte er diesen nun an und lehnte sich zurück. „Gar nichts?“ Er bekam nur ein Kopfschütteln als Antwort. Nun war es der Blonde, der zu einem bösen Seitenhieb ausholte. „So würde ich das nicht sagen, immerhin passen Kaffee und Alkohol in deinen Magen!“ Sein Blick hatte nichts gemeines, sondern eher diesen strengen, wissenden Ton.

„Willst du dich ernsthaft mit mir anlegen, Wheeler?“ Doch dieser zuckte nur mit den Schultern und griff sich ein weiteres Brötchen. „Nein, ich sage nur die Wahrheit. So ist es doch!“ Er lachte kurz auf und meinte nur verschmitzt. „Ich hätte mir nie träumen lassen, mit dir in einer Küche zu sitzen und zu Frühstücken. Aber noch unwahrscheinlicher ist es, dass du zur Flasche greifst!“ Wieder wich ihm der andere aus, starrte vehement aus dem Fenster, welches auf der anderen Seite des Raumes lag. „Hej, mir glaubt eh niemand, also kannst du es mir auch erzählen. Was ist passiert?“

Es dauerte, bis sich Seto einen großen Schluck Kaffee gönnte und endlich in die honigbraunen Augen sah. „Mein Sekretär hat vor einer Woche den Termin zur Übernahme einer Firma um drei Tage vorverlegt. Es sollte eigentlich Morgen stadtfinden. Leider kam der Vollidiot nicht auf die Idee, mir das auch mitzuteilen und so fand ich am Freitagnachmittag, nachdem er mir den Kaffee über den ganzen Tisch gekippt hatte, eine durchtränkte Notiz ganz unten unter Akten, Zetteln und Notizen, auf der mir der Termin für Freitag um 13 Uhr notiert war. Ich habe natürlich versucht, dem nachzutelephonieren, aber zu dem Zeitpunkt war alles schon gelaufen. Ein anderer Investor hatte die Firma zu 49% aufgekauft und unser Vertrag war hinfällig. Gestern Abend habe ich dann die Schadensanalyse bekommen. In den nächsten 5 Jahren hätten wir einen Zugewinn von 7 Millionen Dollar gehabt! Keinen Umsatz, nein, einen Reingewinn, da sind alle Kosten für die Umstrukturierung, die Umbauten die Verwaltung, einfach alles schon abgezogen. 7 Millionen Dollar! Und dieses Arsch hat sie im Kaffee versenkt!“
 

Joey war der Unterkiefer herunter geklappt und er schluckte nach langer Zeit. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Unfähig, sich diese Summe vorzustellen, den Wert zu begreifen, der da verloren gegangen war. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen und stotternd gab er von sich. „Dann… dann war das mein… Vorgänger?“ Ein stummes Nicken war die Antwort und der Brünette nahm wieder einen Schluck Kaffee. „Als ich das gelesen habe, wollte ich den ganzen Mist einfach nur vergessen. Aber leider lassen sich Sorgen nicht ertränken.“

Nun war es an Joeys Stelle zu nicken und stumm trank er seinen Becher leer. Es dauerte, bis er seine Sprache wieder fand. „Sollte ich nachfragen, was du mit ihm gemacht hast?“ Ein seltsames Lächeln lag auf den Lippen des Brünetten. „Nun, nennen wir es einmal so, ich habe ihn gefeuert. Das entspricht so ungefähr der Wahrheit.“ Er legte den Kopf leicht schief und blickte mit diesem absurden Lächeln zu dem leicht Jüngeren, dem zum Dank ein kalter Schauer über den Rücken lief. „Das… das hört sich nicht gut an.“ Er sank leicht in seinem Stuhl zusammen. Aber vielleicht war das der richtige Zeitpunkt um…

Er schaute fragend auf und meinte dann ebenso leise. „Wann muss ich denn Morgen anfangen? Und vor allem, wer zeigt mir dann, was ich alles machen muss?“ Joey wartete voller Ungeduld, während sich der Brünette wieder erhob und zur Anrichte mit der Kaffeemaschine ging. Er schwieg, bis die schwarze Flüssigkeit dampfend in seinen Becher lief. Während er sich umdrehte und den Becher in beide Hände nahm, als wolle er sich daran wärmen, gab er knapp von sich. „Ich denke 7 Uhr sollte für dich ausreichend sein. Die Einweisung werde ich dir geben.“
 

Der Blonde nickte und knabberte in Gedanken versunken an einem weiteren trockenen Brötchen. Ob es eine gute Idee war? Er musste immer noch mit Kanei-sempai sprechen, der ihm sicher nicht einfach so frei geben würde. Er wollte es auf jeden Fall besser machen, als der Sekretär vor ihm. Ob er das konnte? Er hatte ja nicht einmal eine Idee, was er alles erledigen musste. Ob er das alles schaffte?

Der Anfang vom Ende!

Kapitel 10

Der Anfang vom Ende!
 

Joey war ihm so dankbar ohne zu wissen, wie dankbar er Mokubar wirklich sein würde. Er stand immer noch mit großen Augen in dem gewaltigen Büro, dass nur der Vorgeschmack auf das von Seto Kaiba persönlich sein sollte. Es handelte sich um ein Gemeinschaftsbüro, in dem sein gewaltiger Schreibtisch direkt vor einer noch gewaltigeren Flügeltür stand. Das war also ab Morgen sein Arbeitsplatz?

Mokuba kicherte. „Du siehst wirklich erstaunt aus. Dabei kommt doch das Beste erst noch.“ Dabei wedelte er mit einer DVD vor seinem Gesicht herum und zog ihn am Ärmel. „Ich denke, dass ist ideal für dich. Diese Programm ist nur für dich geschrieben!“ Joey schnappte nach Luft und blickte dann wieder verwirrt zu dem Kleineren. Der Raum war so gestaltet, dass sein Schreibtisch von den anderen dreien weiter hinten im Raum abgeschirmt war, Pflanzen und Wände ließen eine sehr angenehme Trennung im Raum entstehen. Alles war dabei auf die große Flügeltür ausgerichtet. Sie mussten erst an den drei kleinen Schreibtischen vorbei, passierten das Gesteck zur Abschirmung und traten dann auf den gewaltigen Schreibtisch zu, der links von der Doppeltür stand. Auf der rechten Seite befand sich noch eine kleine Tür, die beinahe in der ganzen Größe untergegangen wäre.

Es stellte eine Art Hinterausgang oder wie Mokuba zu sagen pflegte, eine Fluchtweg für den Firmenchef dar. Der Kleine hatte sich als Dank für die gestrige Hilfe und als wieder Gutmachung bereit erklärt, schon am Sonntagnachmittag eine kleine Firmenführung zu halten. So wurde Joey nicht ganz ins kalte Wasser geschmissen.
 

„Dieses Programm ist eine seltsame Mischung zwischen einem Kinderlernprogramm und einer ausgeklügelten Buchhaltungs- und Organoistationssoftware. Es ist wohl ein Nebenproduckt gewesen, das niemals einen Anklang bei den Mitarbeitern hier gefunden hat.“ Er hatte den großen Pc hochgefahren und die DVD eingelegt. „Es verbraucht sehr wenig Speicherplatz, denn es ist ein interaktives System, das sich weiter entwickeln kann. Du kannst also in Zusammenarbeit mit dem Programm sogar über eine Sprachsteuerung weiter Funktionen erstellen.“

Joey nickte ergeben und verstand doch so gut wie nichts. Er saß da, Mokuba auf seinem Schoß und beobachtete so viel er konnte. Am liebsten hätte er sich alles aufgeschrieben, aber der kleine hatte so viel erzählt, dass er gar nicht hinter her gekommen wäre. Langsam machte sich eine Idee breit. „Könnte ich zum Beispiel einen Kalender entwickeln, der mit Kaibas … ähm… mit Mr. Kaibas Handy und Pc vernetzt ist?“ Der kleine Schwarzhaarige kicherte bei den Worten und legte dann den Kopf schief. „Wie kommst du darauf?“ Der Blonde spürte, wie er rot anlief. Verlegen kratzte er sich am Kopf. „Also, ich werde doch auch für die Termine zuständig sein oder?“ Mokuba nickte und so sprach er weiter. „Wenn ich also einen Termin ändere, müsste ich jedes Mal zu ihm laufen und es ihm sagen, richtig?“ Wieder bekam er ein Nicken. „Wenn ich den Termin in meinem Kalender ändere und der dann auch in dem von Kaib… Mr. Kaiba geändert wird mit einer kleinen Nachricht, würde ich mir einen Weg sparen und eine Fehlerquelle wäre ausgelöscht.“
 

Der 17 Jährige legte seinen Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Er schien lange darüber nachzudenken und meinte dann. „Ich denke schon, dass ließe sich machen.“ Joey lächelte und meinte dann plötzlich. „Oh, da tut sich etwas.“ Nun wandten sich beide wieder dem Computer zu und der Blonde wusste jetzt schon, dass er mit zwei Bildschirmen überfordert wäre.

Es dauerte eine Weile bis Mokuba sich durch die Installation und die wichtigsten Grundeinstellungen gearbeitet hatte. Doch dann schaute er mit einem breiten Grinsen auf und drückte Joey ein kleines Headset in die Hand. „Hier, jetzt ist gleich dein Typ gefragt.“ Es brauchte wieder eine ganze Weile, bis alle Spracheinstellungen für seine Stimme vorgenommen waren. „Jetzt musst du nur noch das Design und den Namen auswählen.“ Meinte der kleine Schwarzhaarige plötzlich und drehte sich zur Seite. „Hier, das ist die Auswahl. Sehr groß ist sie allerdings nicht.“ Joey blickte fragend auf den Bildschirm und griff dann nach der Maus. Er scrollte die Liste hinab, doch alle Symbole wirkten irgendwie… lächerlich und kindlich. So entschied er sich schließlich für einen großen gelben Smiley. Als er auf „Weiter“ klickte, öffnete sich ein Feld, in dem er den „Rufnamen“ des Systems eingeben musste. S-A-L-L-Y tippte er ein und bestätigte.
 

Plötzlich schlossen sich alle Fenster und der eben noch angegebene Smiley erschien auf dem linken Bildschirm und machte große Augen. „Guten Tag, Joey.“ Kam in einer melodischen Stimme aus den Lautsprechern und dem Headset. Erschrocken blickte er auf dieses seltsame Bild und nuschelte nur „Gu.. guten Tag.“

Mokuba hatte sich in der Zeit ebenfalls ein kleines Headset aus einer der Schreibtischschubladen herausgesucht und grinste breit. „Guten Tag, Sally!“ Der gelbe Punkt sprang in die Höhe und kugelte sich dabei. Sie strahlte über ihr rundes Gesicht und meinte dann. „Guten Tag, Mokuba! Sollen weitere Funktionen getestet oder installiert werden?“ Der blonde Junge stand da und schnappte nach Luft. „Sie versteht uns?“ Plötzlich lief der gelbe Smiley rot an und blies sich so weit auf, bis er das ganze Bild erfüllte. „JA! Mr. Wheeler, ich verstehe sie, sehr gut sogar! Wollen sie also weitere Funktionen testen oder installieren?“

Joey wich zurück und wäre fast vom Stuhl gefallen. Was war das denn? „Es tut mir wirklich Leid…“ Nuschelte er und verbeugte sich vor ihr. Der nun rote Punkt wurde kleiner und färbte sich zurück in ein sattes Gelb.
 

Es dauerte noch Stunden, in denen er lernte mit Sally zusammen zu arbeiten und sich alle wichtigen Dinge aufzuschreiben, die es morgens zu beachten gab. Sein Kopf brummte immer noch, als er abends zu seiner Schwester zurück kam. Sie regte sich natürlich darüber auf, dass er sich das ganze Wochenende über nicht hatte blicken lassen und sie nur von Seto Kaiba eine Nachricht bekommen hatte. Sie schimpfte und untersuchte ihn und seine Wunden erst einmal.

Joey saß nur grinsend am Esstisch ihrer kleinen Wohnung. „Danke, für das gute Essen!“ Er faltete die Hände und verbeugte sich leicht vor ihr. Serenity lacht nur und schüttelte den Kopf. Ihr Bruder wusste doch immer, wie er sie wieder besänftigen konnte. Sie nahm ihre Stäbchen in die Hand und steckte sich das erste Stück Gemüse in den Mund. „Ich mache mir wirklich Sorgen. Mit dieser Verletzung willst du auch noch bei diesem arroganten Schnösel arbeiten? Bekommst du überhaupt Geld dafür? Was hat den Kanei-sempai dazu gesagt?“

Er verzog den Mund und machte sie ungewohnt fleißig an das Gemüse auf dem Tisch. Diese Fragen waren genau dass, was er nicht gebrauchen konnte. „Alsooooo, das ist schwierig.“ Zog er jedes Wort auseinander und ließ noch auffälliger das gute, wenige Fleisch in der Schüssel unberührt. Dafür aß er besonders Reis und Gemüse. Die braunen Augen seiner Schwester hatten diesen wissenden Blick. „Du tust es schon wieder!“ Knurrte sie gefährlich von ihrer Seite des Tisches zu ihm hinüber. „Was denn?“ Fragte er nun wirklich unwissend und schob dich einen weiteren Bissen Sprossen in den Mund. „Dein Essen!“ Sagte sie und deutete auf die Schüsseln auf dem Tisch. Gemüse und Fleisch war extra auf den Tisch gestellt, nur den Reis hatte jeder in seiner eigenen Schüssel. „Immer, wenn du ein schlechtes Gewissen hast, lässt du mir das gute Fleisch übrig und ist das ganze Gemüse.“
 

Joey lief rot an und ließ die Schulter hängen, seine kleine Schwester kannte ihn einfach zu gut. „Ja, du hast ja Recht.“ Nuschelte er und sah sie demütig an. „Also, mein Sempai meinte, ich könne mit der angebrochenen Rippe eh nicht arbeiten. Er hat mich aber ermahnt, mich ja anständig zu benehmen, immerhin wäre Seto Kaiba ein langjähriger, sehr guter Kunde.“ Joey betonte den Rest des Satzes unnötig lang und machte so damit deutlich, dass er auch gerne darauf verzichtet hätte. Er konnte sich eh nicht vor ihren Fragen drücken und so stand er ihr Rede und Antwort.

Sie hatte ihn noch einmal aus dem Haus gejagt um einige Kleinigkeiten zu besorgen und als er ein wenig erschöpft zurück kam, blieb er breit grinsend in der Tür stehen. Seine Schwester hatte Tee gekocht und im Wohnzimmer alles ein wenig umgeräumt. Sie lächelte ihn an und gemeinsam bereiteten sie sich auf Joeys „großen Tag“ vor. Sie gab ihm Tipps, erklärte ihm ein wenig die Buchführung und sammelte mit ihm noch offene Fragen.

Erleichtert und glücklich kuschelte sich der Blonde an diesem Abend in sein Bett und hoffe, den nächsten Morgen gut zu überstehen. Den Wecker hatte er gestellt, mit seiner Schwester zusammen sogar schon für Morgen seine Kleidung zusammen gelegt und… und jetzt sollte er alles haben…
 

Es war in den letzten Wochen, nein, in den letzten Monaten zur Gewohnheit geworden, dass ihn erst sein Wecker aus dem Bett holte. Auch heute Morgen gab es da keine Ausnahme. Sein Kopf dröhnte, der Alkohol der vorletzten Nacht und das gestrige „Frühstück“ rächten sich nun bitterlich. Schwer erhob er sich aus seinem Bett und seine dunklen Augen huschten zu den leuchtenden Zahlen des Weckers. Er stützte sich resigniert mit den Ellenbogen auf seinen Knien ab und vergrub das Gesicht in seinen Händen. Was für ein beschissener Morgen. Er würde nicht besser werden und schon gar nicht, wenn er an seinen Terminplan dachte. Er würde am liebsten Kotzen. Na ja, er hatte ja noch Wheeler. An dem hatte er all die letzten Jahre wunderbar seine schlechte Laune auslassen können.

Langsam erhob er sich und wankte zum Badezimmer. Sein Magen drehte sich um, schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen, hatte er gestern überhaupt gegessen? Seine Erinnerung spielte ihm Streiche und das einzig greifbare blieb dieses seltsame Gespräch in der Küche. Seine Galle stieg ihm auf und er spürte, wie sich sein Magen zusammen zog.
 

Anscheinend hatte sein Magen doch noch irgendetwas gefunden. Seine Hände zitterten und fahrig wischte er sich mit dem Handrücken über die Lippen. Er hatte gerade das dringende Bedürfnis jemanden umzubringen. Wenn er diesen Nichtsnutz von Sekretär jemals wieder in die Finger bekommen würde…

Knurrend zog er sich wieder in die Höhe. Er hatte keine Zeit hier in Selbstmitleid oder Schwindel zu versinken. Er musste sich beeilen, er hatte schon genug Zeit verloren. Kaltes Wasser würde sicher auch heute wieder eine gute Hilfe sein. Wie jeden Morgen. Ohne zu zögern hatte er sich seiner Sachen entledigt und war unter die Dusche gestiegen. Prasselnd hatte sich das eiskalte Wasser auf seine schneeweiße Haut gelegt. Sein Verstand schien davon so herrlich betäubt zu werden, endlich nicht mehr denken, nicht mehr erinnern…
 

Seine Schritte hallten durch die große Eingangshalle und seine kalten Augen funkelten wie die einer lauernden Wildkatze. Er hatte schlechte Laune, dass spürte jeder und wie von einer Welle der Angst geführt wichen sie ihm aus. All die kleinen Krabbelviecher, die sich zu seinen Füßen wanden und um seine Gunst buhlten. Er betrat den Fahrstuhl und mit dem Schließen der Türen, ließ er auch seinen Blick in der Schwärze versinken. Seine Finger fuhren massierend über seine Stirn. Gleich musste er sich auch noch mit diesem Wheeler auseinander setzten. Warum hatte er dem noch zugestimmt?

Ach ja, er wollte diesen kleinen Köter einmal mehr den Platz am unteren Ende der Nahrungskette zeigen. Aber warum heute? Er hätte sich selbst dafür erschießen können, aber die Zeit hatte er nicht. Die Türen öffneten sich mit einem leisen Ping. Als Seto Kaiba sein Büro betrat, sah man im nichts weiter als seine überaus schlechte Laune an. Die drei Damen, die die ersten Schreibtische besetzten, sprangen auf und verbeugten sich vor ihm. Sie wollten wohl etwas sagen, doch bevor sie auch nur einen Ton ausgesprochen hatten, war dieser schon vorbei. Heute interessierte er sich nur für eines. War Wheeler da?

Seine Muskeln spannten sich an, als er den leeren Platz vor sich fand. Ganz anscheinend war er noch nicht da. Dabei hatten sie es 5 Minuten vor Arbeitsbeginn! Ein tiefes Knurren entkam ihm, als er wütend zur Tür seines Büros schritt. Als er diese öffnete, strömte ihm der Geruch von heißem Kaffee entgegen. Verwundert trat er ein und schaute auf seinen Schreibtisch. Welches dieser Hirnlosen Weiber hatte sich in sein Büro gewagt? Das würden sie noch bereuen!
 

Da stand wirklich eine Tasse, nein, an anständig großer Becher schwarzen Kaffees, der mit herrlich verführerischen Duft seine Sinne verwöhnte. War das etwa…? Er ließ seine Tasche sinken und setzte sich erst einmal in seinen Stuhl. Vorsichtig griff er nach dem Kaffeebecher und spürte noch immer die Hitze der Flüssigkeit. Kaffee, schwärzer als eine Mondlose Nacht, heißer als die Sonne Ägyptens und das in einer angemessenen Menge? Genüsslich schloss er die Augen, lehnte sich zurück und wärmte sich die Hände an dem Becher. Was für ein Morgen. Wie herrlich! Welcher Gott hatte ihn da bedacht? Und es handelte sich dabei nicht einmal um stinknormalen Kaffee, das hier war erstklassige Qualität! Seit Monaten spürte er zum ersten Mal die Anspannung von sich abfallen. Irgendeiner dieser Hirnlosen Krabbelviecher hatte anscheinend einen Funken Verstand gefunden. Aber wer?

Plötzlich ließ ihn ein kräftiges, aber kurzes Klopfen aufschrecken. Verwirrt blinzelte er und stelle den Kaffee zurück auf den Schreibtisch. „Herein!“ Seine Stimme war ungnädig und hart. Wer wagte es, ihn in so einem göttlichen Moment zu stören?

Innerlich fielen ihm beinahe die Augen aus dem Kopf, als er begriff, wer da zur Tür herein kam. Er trug ein schlichtes weißes Hemd, eine schwarze Jeanshose und eine einfache schwarze Krawatte. Das ganze wurde mit ebenso einfarbig dunklen Turnschuhen abgerundet, nur die blonden Haare schienen wirr wie immer. Im ersten Augenblick schien er zu keiner anderen Reaktion fähig, als fragend eine seiner feinen Augenbrauen in die Höhe zu heben. Er erkannte die Unruhe und die offensichtliche Nervosität des jungen Mannes, doch dessen Stimme schien ungewöhnlich fest. „Die Post hat sich etwas verspätet, sonst hätten ich sie Ihnen schon zu Ihrem Kaffee dazu gelegt.“ Mit wenigen Schritten überquerte dieser die Distanz zum Schreibtisch, die Tür hatte er geschlossen. Mit einer einfachen Handbewegung legte er eine Zeitung und einige Briefe vor Seto Kaiba auf den Tisch und verbeugte sich leicht. Dann zog er ein kleines Büchlein heraus und gab knapp von sich. „Über das Wochenende sind wenig Anfragen eingetroffen. Herr Matsumoto bittet um eine Verschiebung des Termines am Freitag. Frau Ishikawa möchte noch eine Bestätigung für die Besprechung am Nachmittag um 16 Uhr haben und der Bericht der wöchentlichen Bilanz wird heute erst um 12:30Uhr fertig gestellt werden. Natürlich leite ich diesen so schnell es geht an Sie weiter.“ Die Honigbrauen Augen des Mannes schauten auf und er schluckte merklich.
 

Warte, er musste träumen! Das konnte nicht wahrhaftig Joey Wheeler sein, der ihm nicht nur den besten Kaffee in diesem gesamten Irrenhaus gebracht hatte, sondern auch noch eine perfekte Aufzählung und ein absolut angebrachtes Verhalten an den Tag legte? NEIN! Er ließ sich zurück sinken und warf einen Blick auf die Uhr, welche auf seinem Schreibtisch stand. 7:08 Uhr.

„Wann hast du heute angefangen?“ Seine Stimme duldete keinen Widerspruch, herrisch und kalt legte sie sich in den Raum. Er konnte deutlich sehen, wie der junge Mann in sich zusammen fuhr. Leicht verbeugte er sich und gab dann mit leicht zittriger Stimme von sich. „Ich weiß, ich hätte um 7 Uhr beginnen sollen, doch in Anbetracht der anfallenden Arbeit und Ihrem Wunsch entsprechend nach einem Kaffee begann ich heute eine Stunde früher.“

Hörte er da Recht? Eine Stunde früher? War das wirklich noch der Kerl, mit dem er gestern in der Küche gesessen hatte? Der Kerl, den er vor einigen Nächten in einer Seitengasse aufgegabelt hatte, verletzt und zusammen geschlagen? Er machte eine fahrige Handbewegung und meinte nur. „Kümmer dich um die Anfragen. Wenn noch etwas anliegen sollte, rufe ich dich!“ Damit wendete er sich ab, schaltete seinen Rechner ein und griff nach den Briefen, die er eben auf den Schreibtisch bekommen hatte. Der junge Mann war schon wieder an der Tür, als seine Stimme kalt durch den Raum hallte. „Wheeler!“ Seine Augen funkelten zornig auf, als er ihm zwei der Briefe entgegen hielt. „Um solchen Kleinkram hast du dich zu kümmern!“ Wieder war er so erschrocken zusammen gefahren und doch blieb er standhaft. Mit einem Nicken nahm er die Briefe an und drehte sich wieder um. Als sich die Tür schloss, saß er noch immer völlig sprachlos in seinem Sessel. Der Duft des Kaffees holte ihn aus den Gedanken zurück und er griff nach dem Becher. Träumte er das alles?
 

Völlig fertig mit seinen Nerven ließ er sich auf seinen Stuhl sinken und in einer resignierten Geste landete auch sein Kopf auf der Tischplatte. „Ist alles in Ordnung, Joey?“ Piepste eine helle Stimme an seinem Ohr und ein besorgtes Gesicht zeichnete sich auf dem gelben Simile ab. „Nein~n, schon gut…“ Nuschelte er und sah mit einem kleinen Dackelblick Richtung Bildschirm. „Ich muss nur erst begreifen, dass ich wirklich noch lebe. Dieser Morgen war der grauenhafteste, denn ich je erlebt habe.“ Er schloss die Augen einen Moment und seufzte hörbar.

„Nun, ich denke, du hast deine Sache soweit ganz gut gemacht.“ Joey lachte auf und hob seinen Kopf wieder von der Schreibfläche auf. „Sally, was verstehst du schon davon?“ Daraufhin zog die angesprochene eine Schnute und piepste aufgebracht. „Was ich davon verstehe? Ich bin seit gestern Nacht mit dem Hauptrechner der Kaiba Corporation verbunden. Ich habe ein Datenvolumen, eine Arbeitsleistung und einen Rechnerkapazität von der du nur träumen kannst. Ich habe mich in der letzten Nacht „selbstständig“ gemacht!“ Joey legte den Kopf schief und meinte dann fragend. „Was hast du?“ Der Smiley verdrehte die Augen und hüpfte von einem zum anderen Bildschirm. „Noch einmal für dich. Ich bin ein interaktives Lernprogramm und würde eigentlich mit DIR zusammen lernen, aber da du dumm wie eine Sumpfpflanze bist, hat Moki mir den Zugriff auf den Hauptrechner gestattet und ich habe mich durch extrem viele Informationen gearbeitet. Das, was ich gebrauchen konnte habe ich verarbeitet, abgespeichert oder Verknüpfungen erstellt, damit ich immer Zugriff darauf habe.“ Der Blick des jungen Mannes verdeutlichte ihr, dass er immer noch nicht verstanden hatte. „Ok, dann anders.“ Sie huschte wieder zurück auf ihre Seite und plötzlich wurde der eben verlassene Bildschirm weiß. „Also, das bin ich und da bist du!“ Ein kleiner gelber Punkt und ein Strichmännchen zeichneten sich auf dem „Papier“ ab. „Normalerweise wachse ich, indem ich von dir bzw. mit dir lerne!“ Ein Pfeil in beide Richtungen blinkte zwischen den kleinen Zeichnungen auf und der gelbe Punkt begann zu wachsen. „Da du aber kaum Ahnung hast, musste ich mir einen anderen „Lehrmeister“ suchen! Das ist der Hauptrechner der Kaiba Corporation!“ auf der linken Seite des Bildes zeichnete sich ein großer schwarzer Balken ab, der einmal von oben bis unten hindurch ging. Darin stand in weißen Buchstaben Kaiba Corp.. „Ich habe also von Mokuba Zugriff auf den Hauptrechner bekommen und suche mir wie in einer Bibliothek das heraus, was ich gebrauchen kann. Wenn du einen Kuchen backen willst, interessieren dich ja auch keine Bücher über Bodenfließen verlegen!“
 

Joey nickte und hatte endlich verstanden, was sie ihm versuchte zu erklären. „Ich wünschte, das ginge auch so einfach bei mir.“ Er seufzte und ließ den Kopf wieder hängen. „Nichts da! Du hast noch eine ganze Menge zu tun! Und Mokuba will nachher auch noch vorbei schauen! Also, ab an die Arbeit.“ Der Blonde setzte sich anständig auf und meinte dann fragend. „Woher weißt du das mit Mokuba?“

Sally grinste breit über ihr gelbes Gesicht und zeigte wieder auf die kleine Skizze auf der anderen Bildschirmseite. „Also, Mokubas Rechner, also sein Laptop, ist per Internetverbindung mit mir in Kontakt und da ihm zu Hause langweilig ist, tauschen wir uns gegenseitig aus. Ich erzähle ihm, was du so anstellst und er schreibst mir dafür noch ein paar nützliche Programme.“ Sie lächelte und klimperte mit ihren Augen. „Am besten finde ich es ja, dass ich jetzt eine eigene Persönlichkeit habe. Die hat Moki gestern Nacht entworfen, als er nicht schlafen konnte. So kann ich mein Verhalten an dich anpassen!“ Nun war es ein breites Grinsen in ihrem Gesicht. „Und jetzt ab an die ARBEIT!“

Joey wäre fast von seinem Stuhl gefallen, als er ihre laute Stimme in seinem linken Ohr hörte. Er grummelte etwas vor sich hin und meinte dann aber wieder etwas freundlicher. "Was steht denn noch auf unserer Liste?“ Der rechte Bildschirm begann sich erneut zu ändern und ein simples Word Dokument öffnete sich. Sally erzählte. „Kaffee – erledigt, Post – erledigt, Termine weitergegeben?“ Joey nickte und gab ein knappes ja von sich. „Gut, dann weiter. Wie sieht es mit unbeantworteten Anrufen aus?“ Der Blonde schüttelte den Kopf und verneinte. Es gab noch keine. „Gut, was ist mit der Post für dich, du hast doch wieder welche mitgebracht.“ Der junge Mann schaute verdutzt und fragte dann verwirrt. „Woher weißt du das? Kannst du mich sehen?“
 

Sallys Grinsen wurde größer als ihr Gesicht und sie blies sich zu enormer Größe auf. „Oh jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!“ Kam sehr lang gezogen und sie platze spielerisch. „Was glaubst du denn? Ich bin mit dem Hauptrechner verbunden und Kaiba hat vor Jahren einmal ein sehr interessantes Programm geschrieben, dass in den Archiven des Rechners zurück geblieben ist.“ Sie tanzte über den Bildschirm und hopste auf dem rechten heraus, um dann auf der linken Seite wieder herein zu springen. „Ich bin so etwas wie eine künstliche Intelligenz und er weiß es nicht mal! Ich kann in einem bestimmten Bereich sogar völlig unabhängig handeln. In erster Linie hatte ich nur den Drang mich selbst weiter zu entwickeln, um meiner Aufgabe, dir zu helfen, möglichst gut nachkommen zu können. Dank diesem kleinen Geheimnis, dass ich jetzt hier auf deinem Rechner habe, entwickele ich mich jede Minute, die wir hier quatschen, weiter. Oh und ich habe die Codes für die Kameras im Hause geknackt. Mit dem Analyseprogramm vom letzen Frühjahr kann ich also nachvollziehen, was du machst. Das ist noch nicht ganz einwandfrei, aber in groben Zügen klappt es.“

Joey überlegte einen Moment, während er die Post öffnete. „Ist das nicht gefährlich? Ich meine, du würdest dich zu einer Art na ja, sowas wie ein Supercomputer entwickeln und könntest die ganze Kaiba Corporation lahm legen.“ Sally klimperte wieder mit ihren Meerblauen Augen und flüsterte ihm nur über das Headset zu. „Das könnte ich jetzt schon! Aber psst, sag das auf keinen Fall laut!“ Das war der Augenblick, indem ihm er Unterkiefer herunter klappte. „Aber… aber… aber…“ Mehr bekam er nicht zu Stande. Über Sally erschien ein Heiligenschein und sie flatterte mit zwei weißen Flügelchen. „Na ja, ich müsste meine eigene Programmierung ändern, weil ich ja von Grund auf „gut“ programmiert bin. Also, ich kann gar nicht der Kaiba Corporation schaden.“

Joey war immer wieder von dieser Technik fasziniert. Doch nun ließ ihn Sally nicht weiter trödeln und trieb ihn an. Sie unterstützte ihn, wo sie nur konnte oder gab Anfragen an Mokuba weiter, der sich mittlerweile in der Schule langweilte.
 

Kaiba hatte den „Vorfall“ des Morgens ignoriert und war seiner Arbeit weiter nachgegangen. Was auch immer da passiert war, es konnte gar nicht der Joey Wheeler sein. Plötzlich drang ein seltsamer Lärm an seine Ohren und er schaute auf. Was war denn nun schon wieder los? Verwundert setzte er seine Brille ab und stand auf. Der Morgen hatte zwar seltsam begonnen, aber doch irgendwie gut…

Langsam schritt er zu seiner Tür und öffnete diese. Das Bild, das er dann zu sehen bekam, ließ ihn schweigend die Arme vor der Brust verschränken. Seine Augen verengten sich und er hob fragend eine Augenbraue. „Was, bei allen gottverlassenen Dämonen dieser Welt, ist hier passiert?“ Joey lag auf dem Boden, Akten und allerlei Papiere wie Notizen und wichtige Dokumente lagen um ihn herum verstreut. Doch das Schlimmste war der Kaffee. Der Becher war zerbrochen und die heiße Flüssigkeit hatte sich auf dem jungen Mann und einigen Papieren verbreitet.

Seto bekam keine Antwort. Dafür konnte er deutlich den Schmerz im Gesicht des Jüngeren sehen. „Räum hier alles wieder auf. Ich will gar nicht wissen, wie das passiert ist!“ Knurrte er wütend und drehte sich um. Die Tür hinter ihm flog mit einem lauten Krachen zu und schien wie eine böse Vorahnung des noch folgenden Gewitters zu sein.

Joey sah immer noch auf dem Fußboden und nur langsam begriff er, was ihm da eben um die Ohren gehauen wurde. Der heiße Kaffee hatte sein weißes Hemd völlig ruiniert und auch der darunterliegende Verband hatte die heiße Flüssigkeit aufgesogen. So ein Mist aber auch…
 

Doch das sollte nicht der letzte unerklärliche Vorfall sein. So gut Sally auch versucht Joey zu unterstützen, den ganzen Morgen über verschwanden Dokumente und andere wichtige Informationen. Er verlor Briefe oder fand Dinge an ganz anderen Stellen wieder. Jedes Mal, wenn seinem „Herrn“ dies auffiel, konnte der junge Mann die Wut ein wenig deutlicher in seinen Augen sehen. Der Morgen hatte so gut angefangen und nun wurde er zu seinem Desaster. Joey durchsuchte ein weiteres Mal alle seine Ablagen. Er war sich ganz sicher den Vertrag hier hin gelegt zu haben. Ganz sicher. Verdammt, Kaiba wollte ihn schon vor 5 Minuten auf seinem Schreibtisch haben!

Panisch sah er sich um, durchsuchte die Schubladen und stockte in seiner Bewegung, als ein Schatten über ihm lag. Mit einem betretenen Gesicht schaute er auf, sah in die funkelnden Augen Seto Kaibas und wäre am liebsten unter dem Schreibtisch verschwunden. „Was bei allen verfluchten Göttern tust du da?“ Zischte er nur so leise er konnte. Der junge Mann schluckte und meinte dann leicht verängstigt. „Ich… ich… also,… d… der Vertrag, den du… ähm, den ihr haben wolltet… also, der ist… nun ja…“ Er schluckte und wagte es kaum sich aufzurichten. Der Blick, der ihn nun traf, verbesserte seine Lage nicht besonders. „Was ist mit diesem Vertrag?“ Knurrte der junge Mann und nun wurde er wirklich ungeduldig.

Joey stand nun mit zitternden Knien vor ihm und senkte den Blick. „Ich… ich kann ihn einfach nicht finden…“ Seine Stimme wurde immer leiser und als er das sagte, wäre er am liebsten vor Scharm im Boden versunken. Er zuckte zusammen, als die Faust auf die Kannte des Schreibtisches schlug. „WAS?“ Donnerte die Stimme des Brünetten durch das gesamte Büro und die drei Vorzimmerdamen warfen einen schüchternen Blick um die Ecke. Eine hielt schon einen Verbandskasten in den Händen. „DAS IST NICHT DEIN VERFLUCHTER ERNST?“ Selbst Sally schaltete den Bildschirm aus und verkroch sich in den Tiefen des Hauptrechners. Joey hingegen bekam kein Wort heraus und starrte nur mit zitternden Händen auf seine Schuhe. Er war unfähig etwas zu sagen, etwas zu denken, überhaupt eine Reaktion von sich zu geben. Er hörte nur das tiefe Ein- und Ausatmen seines Chefs, der sich dann schweigend umdrehte und ein grausames Donnern erfüllte die Luft, als die große Tür mit Wut zugeschlagen wurde.
 

Joey konnte nicht mehr, er sank auf seine Knie, vergrub das Gesicht in den Händen und hätte da nicht noch ein letzter Funken Stolz in seinem Herzen besessen, er hätte hemmungslos geweint.

Leise ging das Licht der beiden Bildschirme wieder an. Der gelbe Punkt drückte sich verschämt vom Rand aus den Desktop und leise flüsterte sie. „Joey?“ Als sie keine Antwort bekam bewegte sich still eine der Kameras an der Decke und als sie den in sich Zusammengesunkenen sah, verzog sie traurig das Gesicht. „Joey…“ flüsterte sie erneut und kam nun ganz auf den Bildschirm. „Ich… also,… magst du vielleicht mit Mokuba sprechen?“ Ihre Programme konnten die kleine Reaktion nicht registrieren, dafür waren sie noch nicht gut genug ausgearbeitet. „Also… ich möchte dir gerne helfen…“ Flüsterte sie und verschwand plötzlich wieder. Die zwei Damen aus dem Vorzimmer standen vor seinem Schreibtisch und schauten suchend nach ihm. „Herr Wheeler?“ Fragte die kleinere von beiden. Doch Joey versteckte sich nur noch ein Stück weiter unter dem Schreibtisch. Er wollte jetzt mit niemandem sprechen.

Plötzlich wurden die beiden davon geschoben und eine schlicht wirkende, aber groß gewachsene Dame schob sich an ihnen vorbei. Sie ging mit einem heißen Becher dampfender Schokolade um den Schreibtisch herum und setzte sich auf den Stuhl. Lächelnd beugte sie sich herab und schaute aus ihren grauen Augen mütterlich zu ihm herab. „Mach dir bloß keinen Kopf darüber.“ Meinte sie sanft und reichte ihm den Becher Schokolade. „Das wird dir sicher helfen und wenn der leer ist, suchen wir den Vertrag.“

Joey schaute mit großen Augen zu ihr auf und ein Zucken seiner Lippen sollte ein Lächeln darstellen. „D… danke…“ Hauchte er kaum hörbar und griff nach dem Becher. So saßen sie eine Weile stumm und mit einer Handbewegung scheuchte sie die zwei anderen wieder an die Arbeit. Sie war ein Stück älter als die beiden anderen Sekretärinnen. Sie war trotz ihrer wohl fast 40 Jahre eine attraktie Frau. Sie trug ein schwarzes Kostüm, eine weiße Bluse und einen engen, bis zu den Knien gehenden schwarzen Rock, der an der Seite leicht geschlitzt war.
 

Schrill klingelte das Telephon und sie nahm es ohne zu zögern ab. „Kaiba Corporation Sekretariat Seto Kaiba. Yuriko Miyagi am Telephon. Was kann ich für sie tun?“ Ihre Stimme klang melodisch und doch ernst und ruhig. Es war eine sehr schöne Stimme. „Natürlich, warten sie bitte einen Augenblick.“ Sie schien eine Taste zu betätigen und einen Augenblick später meinte sie. „Yuriko Miyagi hier, Herr Kaiba. Der Sekretär von Oki Masuko will gerne noch einmal mit ihnen sprechen.“ Sie schien kurz inne zu halten und meinte dann knapp. „Ich bin Sekretärin und keine Hellseherin. Er gab an, es wäre ein vertrauliche Information, die, ich zitiere: Eine Vorzimmerdame wie mich nichts anginge.“ Wieder folgte ein Schweigen und sie sagte. „Ich stelle durch.“

Sie lächelte, als sie den blonden Wuschelkopf neben sich höher kommen sah. „Das klang ja nicht gerade freundlich.“ Er sah zu ihr auf, stellte den leeren Becher auf den Tisch und blickte dann zum Bildschirm. Yuriko lachte nur. „Ach, das darf ich mir oft anhören. Darum will ich auch ganz sicher niemals erste Sekretärin sein.“ Sie stand auf und machte ihm wieder Platz. „Na, du siehst ja aus.“

Joey mochte sie irgendwie. Die Frau hatte etwas Nettes an sich und nachdem sie ihn in ein neues Hemd gesteckt und seine wirren Haare etwas gerichtet hatte, half sie ihm suchen.
 

Verwirrt starrte er auf den Zettel, den sie da in der Hand hielt. „Ich… ich bin mir sicher, dass ich da drei Mal gesucht habe.“ Stotterte er entsetzt, als der Vertrag unter zwei drei Blättern in seiner Ablage auftauchte. Sie sah ihn nur milde an und drückte ihm die Dokumente in die Hand. „Hol ihm am besten noch einen schwarzen Kaffee und dann bring ihm beides rein. Entschuldige dich einmal bei ihm und sage, dass dir ein solcher Fehler nicht wieder passieren wird.“ Der junge Mann nickte und machte sich sogleich brav auf den Weg.

Mit dem Kaffee zurück kommend ging er dieses Mal sehr langsam an seinem Schreibtisch zurück und erleichtert lag da noch immer der Vertrag. Jetzt hieß es also in die Höhle des Löwen gehen. Langsam und bedacht ging er auf die Tür zu, sein Herz klopfte, seine Knie waren weich. Er hatte wirklich Angst, wieder einen Fehler zu begehen. Entschlossener, als er sich fühlte, klopfte er an die Tür und wartete auf das Herein. Als er die Tür öffnete, sahen ihn zwei eisblaue Augen an, als wollten sie ihn töten. Er schluckte und trat ein. Kein Kommentar, keine Frage allein dieser kalte Blick war sein Willkommen. „Ich… ich habe den Vertag gefunden.“ Sagte er und Seto erhob sich aus seinem Stuhl. Langsam, aber dennoch allmächtig wirkend trat er auf den jungen Mann zu, der gerade noch verhindern konnte, dass er einen Schritt zurück machte. Schweigend nahm er ihm das Dokument aus der Hand und schaute es an.

Die einzige Reaktion blieb ein stilles Schließen der Augen. Langsam atmete er ein und aus. „Was, Wheeler, habe ich dir aufgetragen?“ Seine Stimme zitterte, so sehr musste er den Zorn unterdrücken. Joey stand der kalte Schweiß auf der Stirn. So hatte er sich das nicht vorgestellt. „Ich… ich sollte den Vertrag nach… nach euren Wünschen ändern….“ Gab er so kräftig er konnte von sich, doch nun sah die Angst wirklich tief in ihm. Der Mann vor ihm schien wie ein Vulkan kurz vor der völligen Explosion zu stehen. Schweigend bekam er den Vertrag zurück und als seine Augen das Datum lasen, die ersten Sätze und Eintragungen wurde er bleich. Das war die alte Fassung!!! „Aber…“ Er war sich so sicher, er hatte doch eben noch mit Yuriko überprüft, ob das die neue gewesen war…
 

Der Schlag kam wie aus dem Nichts und Joey stolperte zurück. Der Becher stürzte und zersprang auf dem Boden. Schmerzhaft spürte er die Wand in seinem Rücken, hielt sie die Wange und starrte aus großen Augen zu dem zornigen Mann auf. „Ich verlange nun wirklich nicht viel von dir.“ Zischte er, während er sich links und rechts neben ihm an der Wand abstützte. „Das, was du hier zu leisten hast, ist ein Minimum von dem, was du leisten müsstest. UND NICHT EINMAL DASS KANNST DU?“ Seine Stimme war laut geworden und Joey sank in sich zusammen. Er wollte nur noch weg hier. Er gab keine Antwort, sah ihn nur aus seinen großen Augen verängstigt an, die Welt nicht mehr verstehend. „Es reicht mir mit dir!“ Knurrte der Brünette und packte ihn am Kragen. Unwirsch zog er ihn mit, riss die Tür auf und gab ihm einen ordentlichen Stoß.

Joey stolperte und konnte sich nicht mehr fangen. Ohne eine Chance auf Rettung landete er auf dem Boden vor seinem Schreibtisch. Wieder hörte er nur das Knallen der Tür, Tränen in den Augen. Irgendwo weit weg waren zwei Frauenstimmen zu vernehmen, die ihn ansprachen, mit ihm reden wollten. Sally schien etwas von sich zu geben, er konnte ihre Stimme in seinem Ohr hören…

Erst Yurikos feste Worte schienen für ihn wieder deutlich zu werden. Sie zog ihn einfach auf die Beine, griff unter seine Arme und setzte ihn auf seinen Stuhl. „Was ist denn passiert?“ Fragte sie streng und keine Wiederrede duldend. Er sah aus verklärten Augen zu ihr auf und meinte dann halb erstickt. „Der… der Vertrag, … es… es war die alte… die alte Version….“ Verwirrt nahm sie ihm das Blatt aus der Hand und sah dann auf seinen Schreibtisch. „Ja, aber die neue liegt doch hier.“

Schluckend wischte er sich über die Augen und sah auf das, was ihm die Frau unter die Nase hielt. Das war der neue Vertrag! „Er lag genau da, wo ich ihn dir hingelegt habe…“ Sie sah ihn mitleidig an, denn mehr als ein Häuflein Elend war er nicht mehr.

Die Mitte vom Ende!

Kapitel 11
 

Mokuba stand schweigend da, starrte von Yuriko auf den großen Schreibtisch und wieder zurück. Es dauerte bis er sie fragte. „Sollte hier nicht Joey sitzen?“ Die schlicht gekleidete Dame schaute auf und sah ihn etwas verzweifelt an. „Er sitzt ja auch hier…“ Sie zeigte unter den Schreibtisch und langsam ging der 17 jährige Junge um diesen herum. „Joey?“ Fragte er leise und erkannte den blonden Wuschelkopf unter dem Tisch. Er hatte die Beine angezogen, die Arme darum gelegt und sein Gesicht darin verborgen.

Ruhig erklärte ihm die ältere Sekretärin das, was sie von der ganzen Situation mitbekommen hatte. Schweigend legte Mokuba seine Tasche auf die Arbeitsfläche und krabbelte ebenfalls unter den Tisch. Langsam wurde es dort unten wirklich eng und Mokuba mussten sich sehr klein machen, um nicht allzu sehr mit seinem Freund zu kuscheln. Mitleidig sah er ihn an und strich sanft mit seiner Hand über einen der verschränkten Arme.

Plötzlich ging eine der beiden großen Flügeltüren mit Schwung auf, Yuriko regaierte sofort und riss mit einer Hand die Tasche herunter, während sie mit der anderen einen Stift hervor zog. Sie war so nah es ging an den Tisch heran gerückt und tat so, als wäre sie dabei etwas zu notieren.
 

Seto Kaiba trat mit kräftigen, schnellen Schritten aus seinem Büro heraus und starrte sie missbilligend an. Frauen hatten an diesem Schreibtisch nichts zu suchen und schon gar nicht, wenn dort ein Wheeler zu sitzen hatte. Herablassend schmiss er ihr einige Akten auf den Tisch, während er mit kalter Stimme fragte. „Seit wann sind sie denn für diesen Schreibtisch zuständig?“ Seine Worte glichen eher einem Knurren, bei dem die Angesprochene gerade noch rechtzeitig ihre Hände vor den heranfliegenden Akten zurück ziehen konnte. „Ich?“ Sie suchte nach einer Antwort und bekam schon die nächste herabwürdigende Frage. „Wo steckt dieser unfähige Dummkopf von Wheeler?“

„Unten ist ein Paket für sie angekommen, welches anscheinend falsch adressiert wurde. Er sollte nach unten und sich das ganze einmal ansehen. Solange sorge ich dafür, dass all ihre Anrufe entgegen genommen werden.“ Sie lächelte so charmant sie konnte und sah ihm geradeheraus in die Augen. Auch das nächste Knurren schüchterne sie nicht ein. „Solange er sich nicht feige unter seinem Schreibtisch verkriecht… Sagen sie ihm, dass ich diesen Trottel sprechen muss. Wenn er sich aus seinem Mäuseloch wieder heraus traut, soll er in meinem Büro antanzen.“ Und wieder drehte er sich mit dieser schneidenden Arroganz herum und ließ die Tür hinter sich mit einem Krachen ins Schloss fallen, dass es im ganzen Büro widerhallte.
 

Alle drei waren unter diesem Donnern zusammen gezuckt und erleichtert atmete Yuriko aus. Sie rollte mit ihrem Stuhl etwas zurück und sah unter den Tisch. „Lebt ihr noch?“ Ihre grauen Augen sahen sorgenvoll zu den beiden Jungen herunter und sie hatte in ihre Worte all ihr Mitgefühl gelegt.

Mokuba nickte mit einem mehr schlecht als rechtem Lächeln. Er sah fragend zu Joey, doch dieser hatte sein Gesicht längst wieder in seinen verschränkten Armen vergraben. Seufzend bedankte sich der Schwarzhaarige bei der Sekretärin für ihre Hilfe. Immerhin hatte Seto einmal mehr ohne es zu ahnen genau ins Schwarze getroffen und ihre schnelle Ausrede hatten ihnen wohl allen den Kopf gerettet. „Er wird mich umbringen…“ Nuschelte Joey leise unter seinen blonden Strähnen hervor und kauerte sich noch ein bisschen mehr zusammen. Beruhigend legte ihm Mokuba die Hände auf die Arme und meinte dann. „Hey, sag mir erst einmal, wie das alles passieren konnte. Immerhin haben wir gestern doch noch alles besprochen und Sally hat dir doch auch so gut es ging geholfen.“
 

Die einzige Antwort war ein tiefes, verzweifeltes Brummen und so lehnte er sich seufzend zurück. „Au.“ Gab er plötzlich von sich und verzog sein Gesicht. Er setzte sich so gut es ging um und fuhr mit der flachen Hand über den Boden. Verwundert starrte er auf den kleinen Gegenstand, der ihn eben so geärgert hatte. „Warum liegt hier eine kleine Kugel?“ Fragte er verwundert und zuckte dann mit den Schultern. „Wir sollten aber langsam wirk… au… verflucht!“ Nun war er doch bedächtig wütend geworden und erneut suchte er den Grund seiner Schmerzen. Seine blauen Augen verengten sich, als schon wieder eine solche Kugel hier auftauchte.

Dann trafen sich die Blicke von Yuriko und ihm ahnungsschwer. „Sind da nur die beiden?“ Fragte die Frau aufgeregt und blickte noch einmal auf die kleinen durchsichtigen Kügelchen, die im Teppich kaum zu sehen waren.

„Raus da, weg hier, steht auf, Joey.“ Fauchte Mokuba plötzlich wie besessen und beide zogen und schoben den Blonden unter den Schreibtisch hervor. Dieser verstand rein gar nichts mehr, saß von Jetzt auf Gleich vor dem schweren Arbeitstisch und beobachtete wie Yuriko um selben herum geeilt war und nun mit allen Kräften an ihm zog. Mokuba hingegen krabbelte auf allen vieren auf dem Boden herum und schien dabei seine Nase fast auf den Teppich zu drücken. Nachdem sie den Tisch einen guten Meter zurück gezogen hatten, lehnte sich die Sekretärin darüber und schielte nach dem 17 Jährigen. So hing sie nun wie der sprichwörtliche „nasse Sack“ über der Arbeitsfläche und das ganze Bild wirkte mehr als aberwitzig.
 

„Wheel…“ Kaiba stand in der Tür seines Büros, eine weitere Akte in der Hand und starrte ungläubig auf die Szenerie. Seine eisblauen Augen wurden wahrhaftig rund wie kleine Murmeln und sein Mund stand ein Stück weit offen. Mokuba hatte sich so erschrocken, dass er mit dem Kopf unten gegen die Arbeitsfläche gestoßen war und Joey plumpste rückwärts auf seinen Hintern. Yuriko wusste nicht, ob sie eher bleich vor Schreck oder rot vor Scharm werden sollte. Alle drei sahen entsetzt zu dem jungen Mann auf und wussten nichts zu sagen.

Ohne eine weitere Reaktion drehte sich der Brünette wieder um und schloss die Tür hinter sich. Hinter ihm herrschte eine absolute Stille. Es schien den dreien beinahe so, als könnten sie ihren eigenen Atem hören. Wieder wurde die Flügeltür geöffnet, dieses Mal bedächtig und der Firmenchef schaute erneut in das Vorzimmer seines Büros. Nein, das Bild war immer noch völlig identisch. Das schien er hier wirklich nicht zu träumen. Hier herrschte anscheinend wahrhaftig das pure Chaos und der „vermisste“ Sekretär war dort zu finden, wo man Köter für gewöhnlich suchte. Auf dem Boden!

Sein Gesicht war völlig regungslos, als er von einem zum anderen blickte.
 

Mokuba schluckte und fand als erstes seine Stimme wieder. „Also, nein, das ist kein Traum. Ähm… ich kann das auch erklären… also… wir suchen etwas… das…also…“ Er lief rot an und brachte kein weiteres Wort heraus, denn die Tür wurde einfach wieder geschlossen und der Brünette war verschwunden. Erneut schluckte er, seine Augen bekamen einen sehr kindlichen Zug und er starrte zu Yuriko auf. Diese sah ebenso verzweifelt aus, auch wenn sie dieses sehr viel besser verbarg. Ihre Stimme zitterte leicht, als sie sagte. „Ich glaube, das war gar nicht gut…“ Nur schwer konnte sie halbwegs ihre Fassung wieder finden und fragte dann hoffungsvoll. „Hast du denn noch etwas gefunden?“

Mokuba nickte und öffnete seine Hand. „Ja, hier sind sogar noch sehr viel mehr. Überall wo der Schreibtisch gestanden hat, sind welche.“ Er kam langsam wieder in die Höhe und stand nun vor dem verrückten Schreibtisch. Die Sekretärin besah sich die Kugeln genau und verzog dann ihren Mund leicht. „Das ist leider kein ausreichender Beweis, nur eine Idee…“ Gab sie leise von sich und sah dann wieder in Mokubas blaue Augen.

Joey verstand kein Wort und blickte nur verwirrt zu ihnen auf und konnte sich nicht dazu durchringen, selbst wieder auf seine Füße zu kommen. Er fühlte sich innerlich wie zerschlagen, jetzt hatte er doch auch noch das letzte bisschen Respekt, das ihm vielleicht je gehört hatte, vor Seto Kaiba verloren. Er konnte sich dessen Gedanken regelrecht vorstellen: Da saß er genau dort, wo ein Hund wie er hingehörte, auf dem Fußboden… Er beobachtete schweigend, wie sie den Schreibtisch wieder zurück schoben und Mokuba seinen Laptop aus seiner Schultasche holte. Er ließ die Schultern hängen und hatte nicht einmal die Kraft um jetzt die Flucht zu ergreifen. Kaiba hatte ja Recht, was dachte er sich eigentlich dabei? Er war vielleicht nicht feige, aber ein Trottel, wenn er wirklich gedacht hatte einen Job wie diesen zu schaffen. Das war doch völlig wahnsinnig.
 

„Sally, kannst du dich mit meinem Headset verbinden?“ Fragte der Kleine kurz und als er das Nicken des gelben Smileys bekam, sah Yuriko ebenso verwirrt aus wie der Blonde. „Was ist das?“ Fragte sie irritiert, denn es schien beinahe so, als würde Mokuba mit der Figur auf dem Bildschirm reden. Doch die Antwort blieb aus.

Stattdessen zog der Schwarzhaarige den Stuhl heran und holte sich aus seiner Tasche ein Kabel, mit dem er seinen Rechner mit dem des Schreibtisches verband. „Gib mir bitte den Zugang frei.“ Kamm in knappen Worten und kräftiger Stimme von ihm und plötzlich fuhren seine Finger über die Tastatur seines Laptops. Seine Augen wanderten über die drei Bildschirme und er gab Sally immer wieder Anweisungen. Es vergingen Minuten, die sich wie ein zäher Strom an einander reihten und für die beiden anderen unerträglich schienen. „Da, ich wusste es doch!“ Plötzlich sprang er auf, zeigte wild auf die Aufnahmen der Kameras. „Hier, schaut euch das an!“

Joey hatte sich nun doch erhoben und trat neben Yuriko und den kleinen Kaiba. Die beiden blickten verwirrt auf den Bildschirm, auf dem sich offenbar ein Teil dieses Büros gezeigt wurde. Auch die beiden Vorzimmerdamen hatten sich bis zur Raumtrennung vorgetraut. „Hier, als du das erste Mal gestolpert bis, da, fünf Minuten vorher!“ Beide starrten wie gebannt auf die Aufnahmen und sahen dann völlig überrascht auf. Die beiden anderen Frauen erbleichten langsam.
 

Wütend rannte er um den Schreibtisch herum und stürmte in das Büro seines Bruders. Dieser saß wieder an seinem üblichen Platz und hatte seine Brille aufgesetzt. In der einen Hand hielt er einige Vertragsunterlagen und mit der anderen hielt er den Telephonhörer fest. „Seto, ich muss mit dir reden!“ Der Kleine wäre fast gegen dessen Schreibtisch gerannt und sah in das entsetze Gesicht seines Bruders. Er hatte seinen Satz nicht zu ende bekommen und der Anrufer auf der anderen Seite fragte verwirrt nach. Noch immer hatte der Brünette die Aktion vor seinem Büro nicht verkraftet und so raubte diese „Begegnung der dritten Art“ jeden klaren Gedanken aus seinem sonst so scharfsinnigen Verstand.

Ohne eine Ankündigung nahm ihm Mokuba den Höher aus der Hand und gab ihn geschäftlichem Ton von sich. „Bitte verzeihen Sie, es geht um existenzielle Entscheidungen. Herr Kaiba wird sich später wieder bei ihnen melden!“ Damit legte er auf und deutete mit festem Blick auf die Tür hinter sich. „Komm, dass musst du dir ansehen!“

Noch immer hatte der junge Mann weder einen Ton, noch eine Regung von sich gegeben. Wie versteinert saß er da und fragte sich zum zweiten Mal an diesem Tag, in welch grausamen Albtraum er gefangen war. Er sah aus seinen kalten Augen ungläubig zu seinem Bruder auf und versuchte außer einem völlig versteinerten Gesichtsausdruck etwas anderes zu Stande zu bekommen. Das gelang ihm wahrhaftig und das blanke Entsetzen breitete sich in den feinen Gesichtszügen aus. Das hier war doch alles nicht wahr! „Hast du auch nur eine Vorstellung, wer das eben gewesen ist?“ Fragte er leise, seine Stimme zeugte immer noch von dem Aberwitz dieser ganzen Situation. „Nein, und das ist mir auch egal!“ Schnaubte der Junge vor seinem Schreibtisch und deutete auf die Tür. „Sieh es dir einfach an!“
 

Langsam legte er seine Brille auf dem Schreibtisch und erhob sich Seto, jede Bewegung wirkte unsicher, beinahe als würde er schlafwandeln. Schweigend folgte er dem Schwarzhaarigen und blieb kurz in der Tür seines Büros stehen. Er warf einen langen Blick auf das Bild vor ihm, als hätte er noch immer ein vollständiges Chaos erwartet. Nun, alle drei Sekretärinen standen wie bestellt und nicht abgeholt in der Gegend herum und sein „persönlicher Sekretär“ sah aus, als hätte man ihm eine Tracht Prügel verabreicht. Es war ein absolutes Chaos! War er wirklich der einzige, der hier noch arbeitete?

Als sich Mokuba an den Schreibtisch setzte, überbrückte auch sein Bruder die letzten Schritte bis dorthin. Seine kalten Augen lagen auf dem Schwarzhaarigen und er meinte nur mit einem Knurren. „Du hast genau zwei Minuten!“ Ein böser Seitenblick war zu Joey geflogen, der sich nun mehr als nur unwohl in seiner Haut fühlte. Noch immer konnte man die leichte Röte auf seiner Wange sehen, dort, wo ihn die Ohrfeige Setos getroffen hatte. Yuriko war zurück gewichen, hatte dem Brünetten Platz gemacht und hatte nun Joeys Hand ergriffen, selbst aufgeregt und deutlich unruhig.

„Hier, da! Sieh!“ Seto beugte sich vor, stütze sich mit beiden Händen auf der Tischplatte ab und blickte auf einen der beiden Bildschirme. Dort war deutlich ein Teil dieses Büros zu erkennen und eine der beiden Sekretärinnen. Sie trat vorsichtig in das Bild und sah sich um. Es schien, als würde jemand mit ihr sprechen und sie nickte daraufhin. Eine seltsame Handbewegung folgte und sie verschwand eben so, wie sie aufgetaucht war. Kaum einen Moment später kam Joey mit einem Arm voll Unterlagen und dem Kaffeebecher in den Händen an und stürzte.

Seufzend zog der Brünette eine Augenbraue in die Höhe. Er hatte das Ergebnis dieser Aktion gesehen, der Anfang interessierte ihn da reichlich wenig. „Ist das alles?“ Fragte er so genervt und sah zu seinem Bruder hinab. Dieser schüttelte den Kopf und spulte vor. Kaum hatte Joey die Papiere zusammen gesucht und war wieder verschwunden, kamen die beiden Damen aus dem Nebenbüro und fegten etwas zusammen. Der Kaffeebecher blieb aber in Scherben am Boden liegen.
 

Es folgten weitere Szenen, in denen beide Damen immer und immer wieder um den Schreibtisch des Blonden strichen und mit Unterlagen verschwanden oder wieder brachten. Zuletzt zeigte Mokuba seinem Bruder die Geschehnisse, die kurz vor seinem Eintreffen stadtgefunden haben mussten. Yuriko hatte Joey Kaffee hohlen geschickt und war selbst wieder gegangen. Die kleinere der beiden Sekretärinnen kam und tauschte den Vertrag aus, der auf der Ecke des Schreibtisches lag. Kaum war Joey im Büro verschwunden, legte sie das Dokument zurück.

„Es war nicht seine Schuld! Alles was heute passiert ist, war nicht Joeys Schuld!“ Mokuba sah mit großen Augen zu seinem Bruder auf und deutete dabei auf die Aufnahmen, die er in diesem Bild angehalten hatte. Seine Stimme war fest und fordernd und auch sein Blick hatte diese unnatürliche Stärke. „Er kann für all das, was heute passiert ist, nichts. Die beiden sind an allem schuld!“ Mit einer kräftigen Bewegung deutete er nun auf die beiden zur Salzsäulen erstarrten Frauen, deren Gesichter so bleich waren, dass ihr heller Lippenstift dunkel wirkte.

Ungerührt beobachteten die eisblauen Augen des Brünetten das Schauspiel und mit finsterer Stimme fragte er sehr leise. „Das hier sind die Aufnahmen der Überwachungskamera. Wie im Namen aller gottverdammten Teufel der Hölle hast du die Passwörter geknackt und die Verschlüsselung gelöst?“ Er hielt kurz inne, schien um seine Fassung ringen zu müssen und sprach dann ebenso leise und bedrohlich weiter. „Dafür bräuchtest du schon die Kapazitäten des Hauptrechners!“

Der Jüngere schluckte und ließ seine Hände sinken. Oh nein, das war keine gute Frage. Schweigend hörte er den nächsten Worten seines Bruders zu. „Und selbst dann hättest du mindestens einen halben Tag dafür gebraucht!“ Der Schwarzhaarige sah nicht auf, als er leise antwortete. „Es… es gäbe da noch eine Überbrückungsmöglichkeit… also, ein Programm, dass schon gewisse… na ja,… Protokolle besäße…“ Er schielte zu dem zweiten Bildschirm, auf dem sich plötzlich ein gelber Smiley ins Bild schob. „So eine Art interaktives Lernprogramm mit Zugriff auf den Hauptrechner zum Beispiel…“
 

Seto Kaiba schien für einen Moment zu erstarren. Hatte er das jetzt richtig gehört? Das war eher eine Art schlechter Scherz gewesen. Das Mokuba wahrhaftig den Hauptrechner der… der… Sein Blick folgte wie gebannt dem seines Bruders und er starrte auf den Bildschirm. „Was bitte?“ Fragte er nur in entsetzt unterdrücktem Ton. Als sich der Smiley dann bewegte und auch noch „Guten Tag, Mr. Kaiba.“ sagte, konnte man deutlich sehen, wie es hinter der Stirn des Firmenchefs arbeitete. Er schien gerade dabei zu sein, den letzten Schritt in den Abgrund des Wahnsinns zu setzten.

„Ihre Stimme ist schon im System erfasst und da es sich bei Mokubas Head-Set um ein hochsensibles handelt, kann ich ihre Stimmen von einander trennen.“ Gab sie leise von sich und ihre mädchenhafte Stimme schallte aus den Lautsprechern. Der gelbe Smiley sah verschämt aus, drückte sich leicht hin und her und sah aus großen blauen Augen zu ihm auf. „Was – bist - du?“ War seine einzige Frage, die Stimme von Entsetzen und Unglauben gezeichnet.

„Projektnummer 20 147CG Abteilung Interaktiver Spielplanung. Projektname „Feenkönigin“. Entwickelt in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Organisationsprogramme. Fertigstellung Oktober vor drei Jahren.“ Erklang es erneut, selbstsicherer und ein wenig blechern. Als wäre es eine schon vorher einprogrammierte Antwort. Der Brünette schloss die Augen und schwieg, während er die Handballen gegen seine Stirn drückte. Es schien ein Wunder zu sein, dass er sich nicht die Ohren zuhielt, als erneut die mädchenhafte Stimme sprach. „Über ein manuell angelegtes Zugriffsprotokoll habe ich gestern um 23:53 Zugriff auf den Hauptrechner der Kaiba Corporation genommen und…“ Sie brach ab, denn all ihre noch nicht ganz ausgearbeiteten Programme zeigten ihr größte Gefahr an.
 

„Lass mich diese Situation ganz kurz zusammen fassen, Mokuba.“ Begann der Brünette, als er nach einer schieren Unendlichkeit wieder zu seiner Stimme gefunden hatte. „Du hast ein uraltes, nicht effizientes Programm, einen absoluten Fehlschlag, aus dem hintersten Archiv gekramt, es erweitert und ihm den Zugriff auf den Hauptrechner gestattet, die Sicherheitsprogramme umgangen, die Kameras angezapft und beschuldigst nun aufgrund von qualitativ verdammt schlechten Aufnahmen zwei meiner Sekretärinnen, welche seit über fünf Jahren gut für mich arbeiten, auf hinterlistigste Art und Weise Sabotage zu begehen? Habe ich das so richtig verstanden?“ Seine Stimme hatte einen schneidend scharfen Ton angenommen und seine blauen Augen schienen nur noch die innerlich gefrorene Seele wieder zu spiegeln.

Mokuba war in sich zusammen gesunken, wagte es nicht aufzublicken. So hatte er das noch gar nicht gesehen und sich das auch sicher nicht vorgestellt. Das hier sollte Joey doch helfen und die Sache nicht noch schlimmer machen. Aber bei diesen Worten, bei dieser Stimme… Er hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Die zwei entsprechenden Sekretärinnen atmeten erleichtert auf, den sie fühlten sich schon aus dem Schneider und vogelfrei von jeder Schuld. Yuriko und Joey spürten, wie auch sie erbleichten und ihre Hände klammerten sich ein wenig fester aneinander.
 

Plötzlich geschah etwas völlig unerwartetes. Beide Bildschirme wurden schwarz und der Computer schien sich ausgeschaltete zu haben. Seto blickte fragend auf dieses seltsame Geschehen und dann gab es wieder dieses leise Summen, der Rechner schien neu zu starten. Der blaue Willkommensbildschirm blinkte auf und wechselte mit dem schlichten, schwarzen Desktophintergrund. Nach und nach baute sich dieser wieder auf und alle Elemente und Programmverknüpfungen wurden an ihren ursprünglichen Platz gesetzt.

Der gelbe Smiley hatte sich verändert. Sie stellte nun eine junge Frau mit langen weißen Haaren dar. Sie trug die Kleidung einer ägyptischen Priesterin und sah ihn aus silbernen Augen an. „Aktualisierung des Systems ist erfolgt. Neukonfiguration und Erweiterung der Programme beendet.“ Tönte es melodisch aus den Lautsprechern. Wieder wurde auf dem rechten Bildschirm das Video der Überwachungskamera gezeigt, doch dieses Mal lief es in einwandfreier Qualität. „Mr. Kaiba, gestatten Sie mir den Zugriff auf ihren Rechner?“ Fragte die junge Stimme und die silbernen Augen schienen genau auf den Brünetten gerichtet zu sein.

Seto stand da und sah fragend zu seinem Bruder, der nur mit den Achsel zuckte. Konnte es jetzt wirklich noch schlimmer werden? „Wie… wie hast du das gemacht?“ Fragte Mokuba nur verwirrt und starrte auf das nun abgespielte Video der Kamera, welches in gestochen scharfer Qualität lief. Die junge Frau sah zu dem 17 Jährigen auf und meinte dann in einer sanften Stimme. „Ich habe vorhin die Schnittpunkte angezapft und von dort aus die Aufnahmen herunter geladen. In diesem Gebäude befinden sich 576 Kameras, drei davon in diesem Büro. Eine verfügt über einen internen Speicherchip, der eine Leistung von 72 Stunden Videomaterial besitzt. Ich habe die Sicherheitsprogramme übergangen und mir so einen Zugriff auf den internen Chip dieser Kamera ermöglicht. Von dort habe ich die Bilder entschlüsselt und mit einer eigenen Codierung überschrieben. Diese habe ich erst hier wieder aufgehoben und kann so die Qualität erheblich verbessern.“

Die junge Frau legte die Hände aneinander, nickte kurz mit geschlossenen Augen und das Video auf der andern Bildschirmseite erneuerte sich. Es zeigte wieder das Bild, in dem die jüngere der Sekretärinnen den Vertrag ausgetauscht haben sollte. Durch ein erneutes Nicken der animierten Figur vergrößerte sich die Aufnahme und es wurde deutlich sichtbar, was für ein Dokument sie entwendete und welches sie dafür auf den Platz legte.
 

Mokuba schluckte, als er den bitterbösen Blick seines Bruders spürte. „S… Sally, wa… warum hast du dein Design geändert?“ Fragte er leise, denn er hatte Angst vor der Antwort. Dieses Programm hatte sich auf eine Weise weiter entwickelt, die ihn gelinde gesagt in Panik versetze. Die Frage blieb nur, was gefährlicher war: Sally oder Seto?

Die junge Priesterin schaute auf und ihre silbernen Augen sahen in die Richtung, in der sich Mokuba befand. „Ich habe in einer groß angelegten Suche alle Informationen über Mr. Seto Kaiba zusammen getragen und mein Design seinen Vorstellungen angepasst. Leider ist mein Analyseprogramm noch nicht vollständig aktualisiert. Ich besitze nur die Version, die vor einer Woche im Zwischenspeicher des Hauptrechners abgelegt wurde.“ Ihre Stimme war sehr viel ruhiger, wobei Seto wie ein Vulkan gleich vor der Explosion stand. „Mr. Kaiba, darf ich sie darauf aufmerksam machen, dass die Speicherung gewisser Zwischenergebnisse in den einzelnen Produktionsabteilungen nicht nur unterschiedlich ist, sondern teilweise auch einige Sicherheitslücken aufweist?“

Scharf sog der Angesprochene die Luft ein und meinte dann leise. „Wie willst du das beurteilen können?“ Sein Blick zeigte deutlich, dass er mit aller Kraft um seine Fassung rang. Seine Hände zitterten, Zorn hatte seinen ganzen Körper erfasst. Doch als er die Antwort aus dem Lautsprecher hörte, erbleichte er vollständig. „Durch einen Zusatz des manuellen Zugriffsprotokolls habe ich mich zu 73 % mit den einzelnen Sicherheitssystemen der Kaiba Corporation verbunden, welche in einigen Bereichen starke Sicherheitsmängel aufweisen.“ Hörbar schluckte der Brünette und taumelte zurück. Mit beiden Händen fuhr er sich durch die Haare und starrte wie besessen auf den Bildschirm. Plötzlich sah die junge Priesterin auf und gab die schlichte Information von sich. „Verbindung mit den Sicherheitssystemen auf 100% erhöht.“

Es war ein seltsamer Anblick, wie Seto Kaiba selbst zur berühmten Salzsäule erstarrte. Die eisblauen Augen waren kugelrund und sein Mund stand offen. Sein Blick war wie abwesend und doch völlig besessen auf den Bildschirm, auf diese kleine animierte Figur gerichtet. Mokuba wurde immer kleiner auf seinem Stuhl und er ahnte böses. Er fragte an der Stelle seines Bruders. „Sally, mit was bist du sonst noch alles verbunden?“ Seine Augen schauten fragen zum Bildschirm und scharf hörte man Joey und Yuriko die Luft einatmen.

„Möchtest du eine genaue Auflistung aller Programme, Systeme und Verknüpfungen haben, soll es ein grober Umriss sein oder reicht dir die Aussage, dass ich in der Cafeteria die Preise ändern könnte?“ Bei dieser Aussage blieb die ganze Zeit über dieses unendlich süße Lächeln auf ihren Lippen und die silbernen Augen schauten mädchenhaft unschuldig.

Nun kam wieder Regung in den jungen Mann und er fuhr erschrocken zusammen. Dabei kam ihm ein Laut über die Lippen, der kaum einzuordnen war. Er stürzte nach frone, lehnte sich mit beiden Händen auf die Arbeitsfläche und fuhr den Bildschirm an. „Das sind ganz andere Systeme, das Kassensystem ist nicht einmal mit dem Hauptrechner verbunden!“
 

Die Priesterin begann noch etwas breiter zu lächeln und nickte eifrig. „Es handelt sich um einen nicht autorisierten Zugriff über einen Brückenschnittpunkt. Beide Systeme arbeiten mit dem gleichen Backup bzw. Speicherprogramm und bei der Neuladung des Kassensystems kam es zu einer Überscheidung, über die ich Zugriff auf das gesamte System der Kassen bekam. Sie sind an einen extra Rechner angeschlossen.“

Seto schloss die Augen, schien für einen Moment wirklich um seine Beherrschung zu ringen und verlor diesen Kampf schlussendlich. Er drehte sich um und packte grob nach Mokubas Schultern. „Du elender Kindskopf hättest auch gleich einen Virus in den Hauptrechner pflanzen können!“ Seine Stimme donnerte von den Wänden wieder, dass jedem das Blut in den Adern gefror. Der kleinere zuckte zusammen und seine Augen füllten sich mit Tränen. „Da… da…. das wo.. wo… wollte ich doch nicht!“ Presste er heraus und angsterfüllt blickte er aus den überlaufenden Augen zu ihm auf.
 

Plötzlich ertönte diese sanfte Stimme aus den Lautsprechern und als wollte sie dazwischen gehen. „Mr. Kaiba, gestatten sie mir den Zugriff auf ihren Computer?“ Der angesprochene verharrte in seiner Bewegung, als müsste er diese Worte noch einmal hören, um ihren Inhalt zu verstehen. Gereizt fragte er nur. „Warum sollte ich?“

Die Priesterin sah aus ihren silbernen Augen zu ihm auf und antwortete. „Meine grundsätzliche Programmierung ist darauf ausgelegt, Mr. Wheeler in seiner Arbeit so gut es geht zu unterstützen. Diesbezügliche möchte ich gerne mit ihnen sprechen.“ Es dauerte einen Moment, bis Seto wirklich verstand, was da eben gesagt wurde. Sein Blick fiel wieder auf den Bildschirm und er fragte ungläubig nach. „Ich möchte gerne mit ihnen „allein“ sprechen.“ Gab das Programm erneut mit einem Lächeln von sich und erweiterte. „Dazu brauche ich die Erlaubnis Zugriff auf ihren Rechner zu nehmen.“

Völlig verwirrt ließ er seinen Bruder wieder los und meinte dann zornig. „Du hast beinahe den gesamten Hauptrechner dieser Firma infiziert und du hast dir die Sicherheitssysteme und die gesamten Entwicklungen dieser Firma unter den Nagel gerissen und fragst mich, ob du auf meinen verdammten Rechner Zugriff haben darfst?“

Ihr Lächeln wurde etwas breiter und sie meinte. „Sie sind Mr. Wheelers Vorgesetzter und es gebührt sich nicht ohne ein Anklopfen und ein darauffolgendes „Herein“ in ihr Büro einzutreten.“
 

Ein absolutes Schweigen herrschte schon seit fast einer Stunde in diesem Raum und alle Anwesenden hatten sich wahrhaftig noch kein einziges Stück bewegt. Joey und Yuriko standen immer noch wie zu Eis gefroren hinter dem Schreibtisch, Mokuba sah bewegungslos auf seinem Stuhl und die beiden Sekretärinnen waren an der Raumtrennung zur Salzsäule erstarrt. Keiner konnte sagen, wie oft das Telefon schon geklingelt hatte, doch niemand konnte auch nur einen Finger rühren. Sie alle starrten auf die Tür, hinter der Seto Kaiba fluchen verschwunden war und in ihren Ohren schallten noch immer seine brüllenden Worte, es sollte sich ja keiner vom Fleck bewegen! Das nahmen sie wörtlich.
 

„Also, noch ma, Sally is nich dene neue Ische?“ Patrick stopfte sich einen weiteren Chip in den Mund und starrte auf seinen Bildschirm. „Nein, ist sie nicht!“ Der junge Mann fläzte in einem Sessel vor seinem Schreibtisch und der nächste Chip verschwand in seinem Mund. „Und das, wa ich hier seh sind kene von dir gewollten Programmierung oder sowas?“ Der Grünäugige setzte sich auf und legte die Tüte zur Seite. Kurz schlug er seine Hände gegeneinander, um die letzten Krümel los zu werden. „Man, Alter, weißt du, was dat hier alles is?“ Er schob seine Nase bis kurz vor das Glas und folgte Zeile für Zeile den Zahlenreihen. „Das is echt krass! Welcher irre Programmierer hat denn deinen Hauptrechner so übel vergewaltigt?“ So langsam wurde seine englische Aussprache wieder verständlicher.

Setos Stimme war mehr als gereizt, als er dem jungen Mann in dessen Landessprache antwortete. „Hast du mir nicht zugehört?“ Der Angesprochene schüttelte nur den Kopf und sah auf den zweiten Bildschirm, auf dem die zwei Übertragungsvideos zu sehen waren. Er zuckte nur mit den Schultern. „Hey, ich bin volltrunken und auf dem Weg ins Bett gewesen, also sei gnädig mit mir. Ich muss mein Gehirn erst wieder aufwecken.“ Brummte er und meinte dann an die Dame in der Runde. „Vik, erklär du mir dat noch ma, ja?“ Er hatte die Beine angezogen und saß nur in einer Boxershorts vor seinem Rechner. Obwohl er noch so jung wirkte, hatte er einen guten und attraktiven Körperbau, nicht sehnig, dennoch konnte man die leichten Wölbungen seiner Muskeln erkennen.

Seufzend fuhr sich die Schwarzhaarige durch die Haare. „Also, Mokuba hat ein interaktives Lernprogramm über ein manuelles Protokoll mit dem Hauptrechner verknüpfte, welches selbstständig den Schaden angerichtet hast, den du da siehst. Also, schwing dich an die Arbeit und benutze deinen versoffenen Kopf einmal für etwas Vernünftiges.“

Der Engländer kratze sich hinter dem Kopf und fuhr sich dann mit der Hand durch seine hell braunen, leicht rötlichen Haare. Sie wirkten im Licht des Bildschirmes seltsam grau und durch das Hindurchfahren Patricks nun sehr wirr. Vorne waren sie länger und hingen ihm in wilden Strähnen in die Augen. Langsam meinte er dann. „Jo, dat is aber echt viel Abeit.“ Er gähnte und sah sich in seinem Zimmer um. „Ähm… wenn ich… warte ma…“ Er stand auf und nahm aus einem der Regale einen schwarzen Laptop. Das Büro war im klassischen, alt englischen Stil eingerichtet. Alles war aus dunklem, schwerem Holz und auf diese elegante, aber schlichte Art gehalten. Hinter ihm waren zwei gewaltige Fester, die hinaus auf einen weiten Balkon führten. Jetzt waren aber schwere, wollene Vorhänge vorgezogen, sodass man nicht sagen konnte, ob Tag oder Nacht dahinter herrschte. Der elegante Schreibtisch war mit vielen Schubladen versehen und doch ebenso schlicht und edel, wie der Rest des Raumes.
 

Gähnend stellte er den Laptop auf den Tisch, verband ihn mit seinem Rechner und schaltete ihn an. Wieder ging er zu einem der Schränke, knipste nebenher das Licht an und holte einen weiteren Bildschirm hervor. Diesen stellte er ebenfalls auf den Schreibtisch und schmiss sich dann wieder in seinen Sessel. „Dann wollen wir mal!“ Gab er von sich, ließ seine Finger knacken und plötzlich war nur noch der seltsame Rhythmus der Tastenanschläge zu hören. Er kaute dabei auf seiner Lippe herum. „Habmwir das Zugriffsproto?“ Fragte er nebenher. Sein Blick war wie gebannt auf die beiden übrigen Bildschirme gerichtet, über die Reihen von Zahlen und Zeichen flogen, die außer ihm wohl kaum einer so schnell lesen könnte. Ständig wechselten die Fenster und immer wieder flog seine linke Hand über die Tastatur seines Laptops.

„Nein, und Sally vertraue ich da sehr wenig.“ Gab Seto von sich und warf einen fragenden Blick auf das, was er sah. „Dir ist schon bewusst, dass wir dich auch sehen können?“ Patrick sah auf und seine grüngrauen Augen starrten verwirrt auf eines der beiden Übertragungsfenster. „Das ist ein „Videoanruf“ über eine verschlüsselte Leitung, da ist normalerweise ein „Video“ dabei!“ Fauchte er genervt und konzentrierte sich auf seine Arbeit.

Die schwarzhaarige Frau lachte und schüttelte nur den Kopf. Ihre tiefgrünen Augen waren mit einem belustigen Schimmer verziert und sie trug eine weiße Bluse, die ihre großen Brüste besonders gut betonte. Ihre langen Haare hatte sie leicht zusammen genommen, sodass die schönen Locken noch deutlich zu sehen waren. Auch sie schien in ihrem Büro zu sitzen und war am tippen. „Paddy, ich glaube, er meint, dass du halb nackt herum geisterst.“ Wieder stutze der junge Mann und sah die beiden fragend an. „Ja, und?“ Er zuckte mit den Schultern und meinte dann, während er sich wieder auf seine Arbeit konzentrierte. „Ey, ich habe mit dem Kerl schon gevögelt, soll er sich nicht so anstellen!“
 

Plötzlich gab er einen seltsamen Laut von sich. „Krass, is das eine Scheiße!“ Er lehnte sich zurück in seinen Sessel und starrte die beiden Bildschirme an. „Alter, ich habe echt bitter miese Nachrichten. Warte eben!“ Er hob seinen rechten Zeigefinder, beugte sich nach links über seinen Stuhl und zog eine Whiskyflasche hervor. Er drehte den Deckel auf und nahm einen kräftigen Schluck. Dem Inhalt nach zu urteilen, nicht der erste. „Alsooo, du hast ne neue Flamme!“ Er sah aus seinen grauen Augen zu dem äußersten Bildschirm und ließ sich wieder zurück sacken. „Die wirste nich mehr los. Die sitzt im Rechner fest.“ Er stieß auf und presste sich die freie Hand gegen den Mund.

„Was soll das heißen?“ Kam gleichzeitig von Viktoria und Seto. Erneut hob er nur einen Zeigefinger und stieß noch einmal auf. „Puh, wie erklär ich euch dat? Alsooo, kannst deinen Hauptrechner chraschen, dann biste sie los, oder du löscht das ganze Teil, dann biste sie los, oder du behältst se.“ Er starrte die beiden entsetzten Gesichter an, die sich über die Übertragung auf dem rechten Bildschirm zeigten. „Jo, dat ist leider die Wahrheit. Enzige Lösung is, wir setzten uns die nächsten… ähm,… jor, 10 Stunden hin und schreiben alles um, entwerfen neue Zugriffsprogramme und son Zeug, damit dein Schneckchen nich alles machen kann, was se will. Sonst chrasht sie den Rechner.“ Er schlucke und gähnte. „Schaut nicht so blöd aus der Wäsche, ich habe meinen Schnuckelhasen drüben liegen und will eigentlich nur kuscheln… stattdessen aase ich hier in den Eingeweiden deines Hauptrechners herum.“ Er stellte die Flasche ab und verschränkte die Arme auf dem Tisch, legte den Kopf darauf ab und sah zu ihnen auf. „Also, was machen wir?“

Der Schluss!

Kapitel 12
 

Das Ende vom Ende?
 

Seto blickte noch immer entsetzt auf seinen Bildschirm und meinte dann. „Ich hätte jetzt auch gerne einen Schluck Whisky.“ Er lehnte sich zurück und biss sich auf die Unterlippe. Seine eisblauen Augen beobachteten regungslos die kleinen Bewegungen des Engländers, dessen Stimme aus den Lautsprechern tönte. „Na, das Problem ist simpel. Du müsstest jeden Fitzel im Hauptrechner einzeln umdrehen und ihn löschen, wenn er zu ihr gehört. Da sie sich aber mit einer rasanten Geschwindigkeit entwickelt, kannst du das vergessen. Die hat überall da, wo du eben gelöscht hast, ihre Daten aktualisiert. Also müsstest du jeden noch so keinen Teil von ihr auf einmal löschen. Da das auch nicht möglich ist, bliebe nur der böse Spruch aus „Batman, The dark Nigtht“. Wir brennen den ganzen Wald nieder, dann haben wir sie auf jeden Fall gelöscht. Leider auch alle anderen Daten.“ Seto schloss die Augen und begann langsam seine Schläfen zu massieren. Wie sehr er diese Worte hasste, aber sie stimmten. Er konnte nicht den gesamten Hauptrechner platt machen. Aber wieso hatte ein Programm wie dieses überhaupt die Möglichkeit sich so rasant zu vergrößern? Das war ein absolut anormales Verhalten. Das Grundprogramm war überhaupt nicht dazu in der Lage… Patrick begann zu summen und wippte mit dem Kopf von links nach rechts. „Mal ehrlich, was willste denn machen? Da gibt es nur eine Möglichkeit, sonst sind alle Daten und son Kram weg.“
 

Schweigend hörte er der schweren Stimme von Patrick zu und meinte dann leise. „Ja, ich weiß.“ Was hatte sein Bruder da nur angestellt? Doch auch er hatte auf seinem Rechner nicht mehr die Originalversion seines Zugirffsprotokolles. Da hatte ganz anscheinend Sally schon Änderungen vorgenommen. Aber wieso? Sie war doch ein Lernprogramm und es gab keine Erklärung, warum sie selbstständig zu arbeiten begann. Sie hatte ganz anscheinend so etwas wie ein künstliches Denken entwickelt. Aber das war unmöglich! Es gab nur eine „Programm“ das diese Fähigkeit hatte und das war eigentlich ein Mensch. Noah war zwar eine Datei, ein Programm, aber grundsätzlich basierte es auf einem menschlichen Gehirn. Wie auch immer sein Stiefvater das geschafft hatte. Daher war es auch so wichtig, dass diesem Trottel nichts zu stieß. Man konnte ihn nicht einfach wieder rekonstruieren. Wenn sein Gehirn einmal kaputt war, würde es das auch bleiben!

Noah… sein Verhalten war ebenso verwirrend und seltsam. Es gab keine Erklärung für den Unfug, den er mit Mokuba anstellte. Natürlich wusste er davon, aber er verstand es nicht. Es schien wie eine Fehlfunktion, der er bisher noch nicht auf die Schliche gekommen war. Auch die anderen beiden wussten damit nichts anzufangen. Seufzend sah er wieder auf und bemerkte einen Jungen, der in das Bild trat. Er wirkte sehr jung, kaum 16 Jahre alt und seine blonden Haare hingen ihm wirr ins Gesicht. Er rieb sich müde über die Augen und ließ die schlanken Schultern hängen. Seine Stimme klang jugendhaft und kindlich als er auf englisch sprach. „Was machste denn da noch?“ Er schien ein gebürtiger Engländer zu sein, seine Stimme hatte diesen typischen Einschlag und seine großen Augen waren himmelblau. Er trug nur eine Boxershort, ebenso blau wie seine Augen. Er schien fast im Stehen einzuschlafen.
 

Patrick setzte sich überrascht auf und drehte sich um. Er hatte nicht mit dem Kleinen hier gerechnet. Liebevoll zog er ihn in seine Arme und küsste ihn am Hals. „Arbeiten, mein Hase, oder sowas ähnliches.“ Gab er säuselnd von sich, während sich der Kleine breitbeinig auf seinen Schoß setzte. Müde kuschelte er sich an den Ältern, schloss die Augen und murrte genervt. „Waruuuuuuuuuuuum?“ Sanft strich im Patrick über den Rücken, küsste ihn erneut neckisch am Hals und sagte dann versöhnlich. „Weil ein alter Freund meine Hilfe braucht. Da is ein böses, böses Programm dabei, seinen Rechner zu schroten.“ Gähnend legte der Blonde seinen Kopf auf Patriks Schulter und knurrte dann noch unglücklicher. „Ja, und? Is doch nur n Rechner. Komm wieder ins Bett!“
 

Seto beobachtete sprachlos das Bild, das sich da vor ihm abspielte und auch Viktoria sah entgeistert auf den Bildschirm. Der Kleine könnte Patricks Bruder sein, ganz offensichtlich handelte es sich aber um den „Schnuckelhasen“ von dem der junge Mann vorhin gesprochen hatte. Viktoria zog eine Augenbraue hoch. Sie hasste solchen Kitsch. Man liebte sich, vielleicht nicht nur leidenschaftlich, sondern auch zärtlich, aber höchstens im Bett, oder dem Sofa, dem Tisch oder dem Büro. Aber doch nicht so… Sie war kein Freund vom Kuscheln und Liebkosen, wenn es nicht für den einen Zweck gedacht war.

Da jedoch keiner der beiden „Zuschauer“ etwas sagte, ging das Spiel ungerührt weiter. Säuselnd sagte der junge Mann halblaut. „Nee, das is der Megarechner einer Firma, der darf nich so einfach hops gehen.“ Langsam jedoch schien auch Patrick immer müder zu werden, die Wärme seines Hasens, der sich eng an ihn geschiegt hatte, trieb ihn in Gedanken fort. Bedächtig schlossen sich seine Augen, auch er hatte seinen Kopf auf die Schulter des anderen gelegt und so verlor er sich ganz langsam in seiner Müdigkeit.

Dann meldete sich wieder der kleine Blondschopf zu Worte. „Hm, kennt sich nich D mit sowas aus?“

Seine kindliche Stimme war fragend und man hörte ihr an, dass er schon halb eingeschlafen war. Doch dazu hatte er nicht länger Zeit. Seine Worte hatten den Älteren auf eine Idee gebracht, die ihn aus jeder Müdigkeit riss. Plötzlich sprang er mit glänzenden Augen auf und zog dabei in seinen Armen den Jungen mit. Sein Übermut brachte ihn beinahe zum Stolpern und er wäre fast mit samt seinem „Hasen“ gegen den Schreibtisch gesprungen. „Natürlich! Du hast Recht!“ Gab er von sich, setzte den Kleinen auf den Sessel und rannte aus dem Zimmer.

Schweigen blieb alles, in der Hoffnung auf eine folgende Erklärung und der Blonde saß verwirrt dort auf dem Sessel. Er gähnte herzhaft und zog die Beine an. Wahrscheinlich kam der andere gleich wieder. So streckte er sich noch einmal, kratzte sich am Hinterkopf und rollte sich wie eine Katze zusammen. Er passte genau auf die Sitzfläche des Sessels und schien Augenblicklich einzuschlafen.
 

Qualvolle 10 Minuten gingen vorbei, bis eine laute Stimme durch den Raum schallte. „Nein, ich brauche dich! Nicht einschlafen! Sieh es einfach als Überstunden an!“ Patrick schien mit dem Unbekannten zu sprechen, aufgeregt und laut, denn dieser hatte sich nur schwer wecken lassen. So war ein Knurren zu hören, welches diese Vermutung untermauerte. Mit einem Mal wurde ein junger Mann in das Bild geschoben, der deutlich müde und äußerst unwillig schien. Auch er war nicht mehr bekleidet als seine zwei Genossen und gähnte herzhaft, ohne die Hand vor den Mund zu nehmen. Seine schwarzen Haare waren zerzaust und gingen ihm anscheinend bis über die Schultern. „Überstunden, ja? Kriege ich die auch noch einmal in meinem Leben bezahlt, Chef?“ Fragte er und streckte sich ausgiebig. Seiner Stimme war anzuhören, dass er kein gebürtiger Engländer war, er hatte einen typisch amerikanischen Einschlag in seiner Wortwahl.

Er wirkte im Vergleich zu den beiden anderen doch erheblich Älter, geschätzt um die 25 Jahre. Er hatte einen kleinen Kinnbart und seine grünen Augen schienen matt zu leuchten. Nun schien auch er endlich wach geworden zu sein und blickte fragend auf die Bildschirme auf dem Schreibtisch. Seine Augenbrauen hoben sich und er deutete auf den äußersten rechts. Er schien bemerkt zu, was hier passierte. „Ich weiß ja, dass ich echt viel intus habe, aber du weißt schon, dass da eine Videoübertragung ist?“ Er sah den leicht Kleineren mit einem seltsamen Blick an und schaute diesem dabei zu, wie er den Sessel zurück schob. „Ja, und das sind immer noch Seto und Viktoria, solltest du ja kennen.“
 

Die junge Frau sah sprachlos aus, ihre Augen waren ebenso wie ihr Mund ein gutes Stück offen und erst nach einer Weile fragte sie leise. „Ich dachte, du hättest nur einen Schnuckelhasen zu besuch.“ Der junge Mann lief knall rot an und schluckte, während er sich unsicher hinter dem Kopf kratze. Seto schüttelte nur den Kopf und meinte dann spöttisch. „Warum glaube ich dir eigentlich nicht, wenn du mir erzählst, dass du einen der weltbesten Hacker als deinen Chefprogrammierer eingestellt und dann in dein Bett geschleift hast, Paddy?“ Er hatte die Arme verschränkt und beobachtete, wie der Angesprochene mit zwei gemütlichen Stühlen zurück kam. „Du hörst mir nur nie zu, ich habe ihn erst in mein Bett und dann in meine Firme geschleift!“ Kommentierte er völlig ernst und warf eine Decke über den Kleinen, der noch immer tief und fest in dem Sessel schlief.

„D“ lief noch etwas röter an und nuschelte, dass die Reihenfolge doch völlig egal wäre und dass er sich gerne noch etwas anziehen würde. Patrick sah ihn nur an und meinte. „Dafür ist keine Zeit.“ Er deutete auf den Bildschirm und warte. Der junge Mann stützte sich auf der Arbeitsfläche ab und starrte auf die verschiedenen Fenster. Ohne etwas zu sagen zog er die Tastatur an sich heran und nun flogen seine Finger über die Tasten. Er ließ dabei die Bildschirme nicht aus den Augen. Nach einer Weile jedoch hörte er auf und richtete sich zu voller Größe auf. Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und fluchte. „Was ist das den für eine abgefackte Scheiße!“ Er sah völlig entgeistert zu den anderen und deutete dann auf die geöffneten Programme. „So, wie die sich weiter entwickelt, bricht das ganze System in geschätzt den nächsten 48 Stunden zusammen!“
 

Die Zeit verstrich qualvoll langsam und obwohl nun alle vier mit einer beinahe anormalen Geschwindigkeit arbeiteten, kamen sie kaum gegen die Entwicklung des Programmes an. Patrik und D fiel die Arbeit immer schwerer, der Alkohol und die Müdigkeit setzten ihnen übel zu und keiner konnte sagen, wie viel Kaffee sie schon getrunken hatten. Ihre Augen waren rot, die Tränensäcke dunkel abgezeichnet und ihre Gesichter bleich. D griff zu seinem Becher und verschüttete dabei beinahe den Inhalt. Er starrte erschöpft auf seine zitternde Hand und meinte dann leise. „Leute, wenn wir in dem Tempo weiter arbeiten, erreichen wir gar nichts.“

Als sich dann eine animierte Figur auf dem Laptop abzeichnete und ihn auch noch ansprach, rieb er sich stumpf über die Augen. Er drehte sich wieder um und arbeitete weiter. Doch diese seltsame Stimme blieb. „Hörst du das auch?“ Fragte er leise und der 20 Jährige schaute auf. „Ähm, ja… woher kommt das?“ Der Chefprogrammierer zeigte auf den Laptop und arbeitete weiter. „Was bist du?“ Fragte Patrick entsetzt und erstarrte bei seiner bösen Vorahnung.

„Hallo, ich bin Sally!“ Gab sie in fließendem Englisch von sich. „Es freut mich, euch kennen zu lernen.“ Beine Männer hielten in ihrer Bewegung inne und es dauerte eine halbe Minute, bis sie sich wieder rührten. D fragte nur entgeistert. „Viktoria, kann sich dieses Viech jetzt auch noch innerhalb unseres Netzes bewegen?“
 

Die junge Frau sah auf und gab einen leisen Schrei von sich. „Sag nicht, sie ist in eurem System?“ Ihre Finger flogen panisch über die Tasten und man hörte sie fluchen. „Sie hat die Einschränkungsprotokolle überschrieben!“ Ein resigniertes Stöhnen kam von allen drei Männern gleichzeitig. „Können wir ihre Entwicklung nicht eindämmen, sie nicht aufhalten?“

Mokuba war sehr, sehr leise eingetreten und hatte das Gespräch belauscht. Zum ersten Mal seit langem war er sehr froh, dass sein großer Bruder ihn immer zum Englischunterricht genötigt hatte. Patrick und Ds Aussprache war zwar sehr schwer zu verstehen, dennoch wusste er, um was es ging. Langsam trat er näher und als er vor dem Schreibtisch zum Stehen kam, entdeckte ihn auch sein großer Bruder. Dieser jedoch beachtete ihn nicht weiter, seine Finger flogen erneut über die Tasten und kein Wort kam über seine Lippen.

„Kaffee?“ Fragte der Kleine leise und hielt ihm einen Becher hin. Als wieder keine Antwort kam, stellte er diesen einfach auf die Ecke der Arbeitsfläche ab. Auch die andern schienen von ihm keine Kenntnis zu nehmen und verlegen zupfte er an seinem Pullover. „Es… es gäbe da noch eine Möglichkeit…“ Würgte er förmlich heraus. Seine Stimme schien kaum noch zu hören, doch sie war bei seinem Bruder angekommen. Er sah auf.

„Es… es gibt da eine Möglichkeit das Programm in den O…Offline-Modus zu setzen.“ Es war ein seltsames Gefühl plötzlich Englisch mit seinem Bruder zu sprechen. Alle Augen waren auf ihn gerichtet und er biss sich auf die Lippe. Paddy war der erste, der etwas von sich gab. „Nun sag schon, raus mit der Sprache. Es ist echt dringend.“ Mokuba nickte, er hatte noch immer sein Head-Set im Ohr. Langsam trat er um den Schreibtisch herum und sah auf einen der Bildschirme. „Sally!“ Rief er das Programm und kaum später erschien die animierte Figur auf dem Bild. „Hallo Mokuba.“ Grüßte sie und winkte ihm lächelnd zu. „Hallo Sally. Menü öffnen!“ Gab er mit möglichst kräftiger Stimme wieder auf Japanisch von sich. Wieder faltete die junge Frau die Hände und nickte wie ein Dschinn Plötzlich erschein ein einfaches Fenster, welches schlicht und simpel gehalten wurde. „Arbeitsmodus öffnen.“ Befahl der Schwarzhaarige und wieder änderte sich die Beschriftung des Menüs. Mokuba sog scharf die Luft ein. „Modus auf Offline setzten. Alle Zugriffe einstellen. Alle Verbindungen kappen, vollständige Einstellung des Arbeitsprozesses.“
 

Die Priesterin sah aus ihren blauen Augen zu ihm auf und ihr Lächeln war verschwunden. „Erbitte Wiederholung der gegebenen Befehle!“ Mokubas Hände begannen zu zittern und er spürte die Blicke der anderen auf sich. „Menü öffnen, Arbeitsmodus öffnen und Modus auf Offline setzten. Alle Zugriffe einstellen, alle Verbindungen kappen und die vollständige Einstellung des Arbeitsprozesses einleiten!“

Wieder ertönte die Stimme der animierten Figur seltsam blechern. „Erbitte erneute Prüfung der Autorisierung.“ Mokuba fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und schloss die Augen. Seine Nerven schienen das Ganze nicht mehr lange mit zu machen. Er stützte sich auf dem verbleibenden Platz neben der Arbeitsfläche ab. „Mokuba Kaiba, 17 Jahre, Sternzeichen Krebs, Geburtstag ist der 7. Juli.“ Wieder lächelte die kleine Figur, schloss die Augen und verbeugte sich mit zusammengelegten Händen. „Autorisierung abgeschlossen. Bitte geben sie zur Bestätigung der Auszuführenden Befehle ihr Passwort ein.“ Mokubas Augen wurden groß. Er hatte doch nie ein Passwort eingeben… oder? Fieberhaft überlegte er und schaffte es wahrlich, das fragende Gesicht seines Bruders auszublenden. „Natürlich, nicht mein Passwort…“ Er drehte sich um und rannte hinaus. „Joey, ich brauche das Passwort, welches Passwort hast du gestern eingegeben?“

Der Blonde saß wieder an seinem Schreibtisch und versuchte mit zitternden Händen den Anrufern zu erklären, dass Mr. Kaiba momentan und auf unabsehbarer Zeit nicht zu sprechen wäre. Er sah aus seinen braunen Augen erschrocken auf und zuckte mit den Achseln. „Ich weiß es nicht, aber normalerweise heißen alle Passwörter bei mir gleich. J ein Punkt und dann meinen Nachnamen, warum?“ Doch da drehte sich der Kleine schon wieder um und rannte zurück. Er stürmte um den Schreibtisch herum und schob seinen Bruder einfach zu Seite. Er zog die Tatstatur an sich heran und gab die Kombination ein. Als er auf Enter drücken wollte, zögerte er. Sein Blick fiel zu Seto, dem nur eine unverständliche Frage in den Augen stand. Und dann drückte Mokuba doch die letzte Taste.
 

Er betete, er hatte die Augen geschlossen und die Hände zu Fäusten geballt. Wenn das jetzt nicht stimmte… Qualvolle Augenblicke verstrichen, in denen alle Augen auf ihn gerichtet sein mussten. Es geschah nichts. Langsam öffnete er ein Auge, sah auf den Bildschirm und schwieg. Es geschah gar nichts…

Plötzlich tauchte eine einfache Sanduhr auf, die sich in langsamen Rhythmus um ihre eigene Achse drehte. Bitte warte, Befehl wird ausgeführt. Stand daneben und nun hielt er erst recht die Luft an. Minute um Minute verging und Patrik hatte auf einen der Bildschirme den Arbeitsprozess aufgerufen. Wen er jetzt etwas Dummes angestellt hatte, war es das mit ihm! Aber er hatte ja eh schon etwas Dummes angestellt.

Er war kurz davor zu verzweifeln, als es dennoch passierte. „Befehl ausgeführt!“ Stand da und Augenblicklich wurden alle Bewegungen angehalten. Die Zahlen des Arbeitsprozesses fielen auf Null herunter und Makuba sackte vor Erleichterung in sich zusammen. Sein Bruder konnte ihn gerade noch festhalten, der Körper des Kleinen bebte und er atmete flach und hektisch. „Hey, beruhige dich. Es hat funktioniert.“ Meinte er so ruhig er konnte und zog ihn vorsichtig an sich. „Es ist alles in Ordnung, Mokuba.“ Der Schwarzhaarige schloss die Augen und lehnte seinen Kopf an die Schulter seines großen Bruders, Tränen liefen über seine Wangen. „Ga.. gar nichts ist in Ordnung… i… ich bin doch für das… das ganze Chaos zu… zu… zuständig hier…“ Presste er hervor und versuchte sein Gesicht hinter seinen Händen zu verbergen.

Patrik schüttelte den Kopf. „Moki, was redest du denn da? Das ist nicht deine Schuld, das, was du gemacht hast, war zwar nicht gerade intelligent, aber es hätte nicht zu solchen Ausmaßen führen können. Da muss ein Programm im Hauptrechner gewesen sein, das da hätte nicht sein dürfen. Das ist nicht deine Schuld.“ Versuchte er den Jungen zu beruhigen, während Seto ihm sanft über den Rücken strich. „Patrik hat Recht. Du kannst gar nicht so ein Chaos angerichtet haben.“ Er griff nach dem Telefonhörer und drückte die erste Kurzwahltaste. „Kommst du bitte rein.“ Meinte er sachlich und doch zu ruhig für diese Situation.
 

Schniefend wischte sich Mokuba mit dem Handrücken über die Augen. „Wen… wen hast du denn angerufen?“ Fragte er verwirrt und sah dann fragend auf, als sich die Tür öffnete. Joey war diese seltsame Stimmlage ebenso aufgefallen und obgleich er versuchte entspannt zu wirken, war es ihm deutlich anzusehen. „Kümmerst du dich bitte um Mokuba. Ich habe hier noch einiges zu tun. Ich werde heute auch keine Termine mehr wahr nehmen können, verleg sie auf den Rest der Woche.“ Die sonst so Eisblauen Augen hatten einen selten warmen Zug und der Blonde nickte. Vorsichtig trat er auf den Schreibtisch zu und Mokuba erhob sich. „Geht schon.“ Meinte er leise, als sein Bruder ihm helfen wollte. „Es tut mir wirklich leid, Seto.“ Doch der Brünette schüttelte nur den Kopf und schickte ihn mit Joey aus seinem Büro.

„Das war dein Bruder?“ Fragte D irritiert und hätte eine so sanfte Seite an dem berühmt berüchtigten Seto Kaiba gar nicht erwartet. „Ja.“ Gab dieser nur knapp von sich und da war es das auch schon mit der Sanftheit gewesen. Die blauen Augen hatten wieder diesen todbringenden Blick und Patrick flüsterte. „Lassen wir das Thema lieber.“
 

Es war in Japan längst die Nacht angebrochen, Patrick war mit dem Kopf auf dem Schreibtisch eingeschlafen und D hielt sich kaum noch wach. „Ich denke, jetzt haben wir es.“ Flüsterte er beinahe, weil seine Stimme kaum noch Kraft besaß. „Was ist das für ein Programm?“ Fraget er irritiert, als seine Augen die Zeilen musterten und den Programmcode überflogen. „Sowas habe ich noch nie gesehen!“ Viktoria sah zu dem Brünetten, dessen Haltung und dessen Blick deutlich Gefahr signalisierten. „Gozaboru Kaiba hat anscheinend einen Weg gefunden ein menschliches Gehirn in ein Datenprogramm umzuwandeln und das ist eine Restdatei von dem Programm, das als Noah Kaiba bekannt ist.“ Gab er schlicht von sich. Die Augen Ds wurden groß. „Hä? Noah Kaiba? So heißt doch dein zweiter Bruder? Der ist doch aber aus Fleisch und Blut und… und… neee, nicht wahr? Wollt ihr mich verarschen?“

Viktoria schüttelte den Kopf. „Nein, nichts an diesem Mann ist aus Fleisch oder Blut, Kabel, Schrauben und Metall trifft es eher!“ Die beiden Firmenbesitzer sahen mit einer gewissen Zufriedenheit, wie das Entsetzen immer größer wurde. „Aber… aber… warum haltet ihr das geheim? Es gibt nicht einmal im Internet darüber Gerüchte? Das ist doch das Absolute… das ist doch…“ Ihm fehlten die Worte.

Seto lehnte sich zurück und sah ihn eisig an. „Weil ich mir nicht ausdenken will, was in dieser Welt passiert, wenn das bekannt wird.“ Seine Stimme hatte einen unterkühlten, grausamen Ton. „Sollte ich auch nur die Vermutung haben, dass darüber ein Gedanke von dir ausgesprochen wurde oder sogar ein Gerücht darüber hören, war es das mit dir!“ Der junge Mann erstarrte und sah fragend zu Viktoria, die ebenso erst und eisig wirkte. „Warte mal, was soll das heißen?“ Fragte er irritiert. Die junge Frau sah ihn lächelnd an. „Ist das nicht deutlich gewesen? Wenn du dieses kleine Geheimnis herum erzählen solltest, werden wir dich suchen, finden und ganz langsam, grausam und qualvoll umbringen! Jetzt verstanden?“

D zuckte zusammen, als er ihre kalte Stimme hörte. „D… da… das ist nicht euer ernst, oder? Ihr zwei droht mir jetzt nicht gerade mich umzubringen?“ Nun sah er wieder zu Seto, dessen Miene sich nicht verändert hatte. „Nun, hältst du den Mund, hast du nichts zu befürchten.“ D lief der Schweiß die Stirn herunter. Die beiden konnten einem wirklich Angst einjagen. Er nickte langsam. „Ihr meint das echt ernst…“
 


 

Es war viel Zeit vergangen bis der Brünette aus seinem Büro kam. Mokuba und Joey waren noch immer wach und sahen ihn aufgeregt und auch schüchtern an. Yuriko hatte den beiden eine heiße Schokolade gemacht und sie kam gerade mit ihrem Becher zurück.“Oh, auch einen Kaffee?“ Fragte sie schlicht und als er nickte, stellte sie ihren ab. „Die beiden Damen sind übrigens schon zu Hause.“ Gab sie noch über die Schulter Bescheid und war auch schon verschwunden.

Erst als auch er einen Becher dampfenden Kaffees in der Hand hielt, wurde Seto wieder gesprächig. Mokubas Augen hatten ihn groß und rund angesehen. „Keine Sorge, es ist alles wieder in Ordnung. Es hat zwar sehr viel Zeit gekostet, aber es sind weder Dateien verloren gegangen, noch ist sonst ein Schaden im System entstanden.“ Die beiden hielten ihre Becher fest und blickten noch immer ungläubig zu Seto auf. Der Brünette musste schmunzeln und nahm noch einen Schluck. Was für eine Wohltat, noch jemand, der es verstand Kaffe zu kochen. „Das ganze Chaos ist deswegen passiert, weil ein Restprogramm im Archive des Rechners zurück geblieben ist, das da nicht hätte sein sollen. Es hat die Selbstentwicklung dieser „Sally“ so beschleunigt und sie innerhalb von 24 Stunden im Rechner Amok gelaufen wäre. Ach ja, hier. Das ist für dich, Wheeler.“ Meinte er ruhig und hielt dem jungen Manne in mehrseitiges Dokument unter die Nase.

Zwei paar Augen musterten dieses Papier eingehend und Joey wusste nicht genau, was er davon halten sollte. Das war ein Vertrag, ein Vertrag mit seinem Namen. Es war ganz offensicht ein Dokument, in dem es darum ging, die zuständigen Verhältnisse für die nächsten drei Monate zu klären. „Du musst es noch unterschreiben.“ Meinte der Firmenführer ruhig und wartete geduldig darauf, dass die beiden auf die nächste Seite umblätterten. Zeile um Zeile wanderten ihre Augen den Vertrag herunter und dann stockten Mokuba und Joey schlagartig. Der 19 Jährige blickte auf und erkannte das amüsierte Lächeln auf den schmalen Lippen des 20 Jährigen. „Das… dass steht da wirklich oder?“ Fragte er noch einmal nach und nun beugte sich Yuriko über den Schreibtisch um zu schauen, was da geschrieben stand. „Das… das sind wirklich… wirklich… 177.344,40 Yen?“ Fragte Joey noch einmal und auch die alte Sekretärin staunte nicht schlecht. Gut, sie verdiente mehr, aber es ging hier nur um eine Wette.
 

„Allein schon um dein dummes Gesicht zu sehen, ist es mir das Wert. Außerdem befindest du dich damit in der geringsten Gehaltsklasse in dieser Firma und ungerechnet sind es nur 1.506 Dollar oder 1.200 Euro. Das ist jetzt wirklich nicht berauschend.“ Es war doch immer wieder schön, die kleinen Bosheiten des Lebens zu genießen. So entgeistert vor Unglaube und Freude hatte er Joey wohl noch nie gesehen. „Sind soweit alle Termine umgelegt worden?“ Fragte er noch einmal nach und alle drei nickten brav wie dressiert. „Und die beiden Damen haben sich entschlossen zu verschwinden?“ Wieder gab es die gleiche Situation und er seufzte. Das würde ein Nachspiel haben! Er hatte gesagt, dass sie sich nicht von ihrem Fleck bewegen sollten und dann auch noch nach Hause zu gehen. Nun, da würde er am nächsten Tag zumindest noch eine kleine Freude haben.

Mokuba blickte zu seinem großen Bruder hoch, er wirkte noch immer erschöpft und abgekämpft. „Ich… es tut mir wirklich leid. Ich wollte nicht, dass das alles so passiert.“ Meinte er noch immer mit brüchiger Stimme und wieder schüttelte Seto den Kopf. Der Brünette wirkte ebenso erschöpft und sagte dann ruhig. „Lass uns nach Hause fahren. Es war ein langer Tag.“ Es dauerte einen Moment, bis diese Worte in ihrer ganzen Wahrheit bei dem 17 Jährigen angekommen waren und er nickte. Sein Herz machte einen kleinen Satz, dass hatte er nicht erwartet. Oder kam das Donnerwetter noch am nächsten Morgen oder gleich im Auto? Nun wurde er doch wieder von einer gewissen Anspannung ergriffen.
 

„Wenn du Morgen kommst, bring den Vertrag unterschrieben wieder mit.“ Seine tiefe Stimme hatte wieder diese kräftige Selbstsicherheit, dieser überlegene Befehlston. „Oder komm gar nicht.“ Damit stellte er den ausgetrunkenen Becher auf den Tisch und griff nach dem Koffer, der davor stand. So schnell, wie der großgewachsene junge Mann zum Fahrstuhl ging, so schnell konnte er gar nicht reagieren. Eilig griff Makuba nach seiner Tasche und lief seinem Bruder hinter her. Konnte das wirklich die Chance sein, auf die er so langegewartet hatte? Hinter ihm schlossen sich leise die Tüten und er stellte sich neben ihn. Fragend sah er auf, doch Seto bemerkte es nicht. Er war in Gedanken versunken, während der Fahrstuhl lautlos hinunter glitt. In der großen Eingangshalle brannte kaum noch Licht. Es war herunter gedunkelt, der Empfangsbereich leer und die Türen schon verschlossen. Draußen stand schon die Limousine und wartete auf die beiden Kaiba Brüder. Es schien wie vor vielen Jahren zu sein und in Mokubas Erinnerung sah er einen kleinen Jungen mit geringeltem Hemd lachend aus dem Gebäude laufen. Er dachte an die Geschehnisse in der Küche, wie er sich mit Seto gestritten hatte. Vielleicht war es an der Zeit, selbst der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Was auch immer nicht mit ihm stimmte, aber solange er sich dem nicht stellte, konnte es nicht besser werden. Nachdenklich sah er zu seinem großen Bruder auf, der gerade in den Wagen stieg. Trotz alle dem, schien ihn Seto nicht anzuschreien, nicht sauer zu sein und das war doch etwas wirklich Gutes oder?

In Gedanken versunken stieg er in den Wagen und rutschte ein Stück näher an seinen Bruder heran. Nun blickte der Brünette ihn irritiert an. „Willst du etwas?“ Fragte er und die braunen Augen sahen ihn schüchtern an. „Also, ich… ich würde gerne…“ Vorsichtig beugte er sich näher und mit einem Kopfschütteln hob der angesprochene den Arm. Er zog seinen Bruder an sich und bemerkte, wie dieser im ersten Moment noch erstarrt stockte. Erst nach und nach wurde er entspannter und die eisblauen Augen wurden leicht enger. Ihr Weg hatte sie dahin gebracht, dass er seinen eigenen Bruder nicht einfach so in den Arm nehmen konnte? Ein Pochen breitete sich hinter seinen Schläfen aus, es war alles ein bisschen viel gewesen.

Neustart?

Kapitel 13

Neustart?
 

In dieser Nacht hatte der Brünette ein seltsames Gefühl. Er stand in der Tür seines Zimmers, blickte auf das fein säuberlich gemacht Bett. Alles war ordentlich aufgeräumt, er würde kein Staubkörnchen finden und sogar das leicht gefüllte Glas auf dem Nachttisch war entfernt, gesäubert und dann neben der Flasche auf einer Servierte umgekehrt aufgestellt worden. Es war nichts mehr hier, dass an den Tag zuvor erinnerte. Für einen Moment musste er sich sammeln, da war ja etwas, nein, das war schon der nächste Tag. Es war schon Montag… oder Dienstag, wenn es schon nach Mitternacht war. Das mit dem dressierten Hündchen war schon über einen Tag her. Mit einem Seufzen trat er ein, wendete sich dem Schreibtisch zu seiner rechten zu und stellte die Tasche auf den Stuhl davor. Er war wirklich müde und für einen Moment dachte er daran, noch einmal zu Mokuba zu gehen. Sie hatten sich in der Eingangshalle verabschiedet und nun stand er hier und wusste nicht so ganz, was er tun sollte. Es war schon sehr spät und die Müdigkeit schien bei diesem Gedanken wie ein bleierner Vorhang über ihn her zu fallen. Mit einer eleganten Bewegung streifte er den Mantel ab und warf ihn über die Lehne des Stuhles. Dann begann er sein Hemd aufzuknöpfen und ließ es von seinen Schultern gleiten. Er fühlte sich so unendlich müde, erschöpft, wann hatte er sich das letzte Mal so müde gefühlt?
 

Als er den seidenen Stoff seines Pyjamas über die schlanken Schultern gleiten ließ, hatte er sich dazu entschlossen einfach schlafen zu gehen. Er wusste eh nicht, was er mit seinem Bruder besprechen wollte. Es war nur ein unbestimmtes Gefühl, welches ihn in seinem tiefsten inneren Heim suchte und keine weitere Begründung empfand. Während er die Vorhänge zu zog, hingen seine Gedanken an der Heimfahrt, bei der sich Mokuba so an ihn geschmiegt hatte. Es wirkte so schutzsuchend und auf gewisse Weise hilflos. Seit wann war sein 17 Jahre alter Bruder solchen Gefühlen unterworfen? Im Vergleich zu dem Geschrei, dass er in der Küche angestellt hatte, war es so… er fand keine passenden Worte dafür und schlug die Decke zurück. Verstand er seinen Bruder einfach nur nicht? Sollte er sich mehr mit ihm auseinander setzen? Nun, Mokuba war es doch, der ihn aus seinem Leben ausschloss und um jeden Preis ein Geheimnis aus seinen Aktivitäten machte. Langsam ließ er sich in das große Kissen zurück sinken. Bei einem Freund übernachten, wahr wahrscheinlich nur eine Ausrede für irgendetwas anderes oder eher ein Zeichen für eine Flucht aus diesem Haus? Mokuba schlief öfter auswärts als zuhause. Vielleicht wurde er auch einfach nur erwachsen. Mit seinem eigenen Verhalten in diesem Alter konnte er das ja immerhin nicht vergleichen, vielleicht war es also richtig, nein, normal, war der passende Ausdruck. Vielleicht war Mokubas Verhalten also normal, seine wechselartigen Aggressionen, seine schutzbedürftige Seite und seine Flucht aus dem Haus.

Mit einem Seufzen drehte er sich um, zog die Decke bis zum Kinn heran und umgriff dass Kopfkissen. Er bekam so oder so keine Antwort auf seine Fragen. Was erwartete er schon? Dass der Kleine zu ihm kam und ihm all das erklärte? Wahrscheinlich verstand er es selbst nicht. Gab es jemanden, denn er da fragen konnte? Jemanden außer dem Straßenköter? Mit diesem Gedanken schlief er ein, fiel in einen traumlosen Schlaf, der ihn bis zum nächsten Morgen gefangen nehmen sollte.
 

Der Straßenköter jedoch saß in seiner kleinen gemeinsamen Wohnung und starrte auf die Seiten, die sich seine Schwester eine nach der anderen durchlas. Er hielt noch immer den Atmen an und wartete auf eine Reaktion. Hatte er etwas übersehen? Er hatte nicht alles gelesen. Ihr Gesicht war angespannt und sie schien völlig konzentriert zu sein. Mühsam zwang sich der Blonde dazu wieder zu atmen und füllte seine schmerzenden Lungen mit der so ersehnten Luft. Sie saßen in dem nur 15 Quadratmeter großen Wohnzimmer, ein kleiner Tisch mit Heizdecke war der Mittelpunkt und vor ihm dampfte ein Becher heißer Tee. Wenn er so darüber nachdachte, würde ihre gesamte Wohnung wahrscheinlich in das Vorzimmer von Kaibas Büro passen. Doppelt. Sein Zimmer maß gerade einmal 10 Quadratmeter, seiner Schwester hatte er das größere Zimmer überlassen. Die kleine Küchenzeile war auf der Seite der Tür im Wohnzimmer eingebaut worden und ein kleines Bad, in dem gerade eine Dusche, ein Waschbecken und eine Toilette Platz hatten, ging vom Flur direkt hinter dem Eingang ab. Es war wirklich eine kleine Wohnung, aber für mehr reichte ihr Geld nicht. Es reite ihnen aus, auch wenn er sich allein schon für seine Schwester eine größere Wohnung wünschte. Er wusste, dass sie sich nach Möglichkeit immer mit ihren Freundinnen wo anders traf, nur sehr selten brachte sie diese mit hier her. Aber mehr als vier Personen bekam man auch kaum in dieser Wohnung unter.

„Das ist wirklich der Vertrag?“ Fragte sie nun und blickte mit ihren braunen Augen zu ihm auf. Er nickte, schluckte bei ihrer schlichten Tonlage. Er wagte es nicht zu fragen. Doch Serenity begann nur zu kichern. Sie griff nach ihrem Becher und nahm einen Schluck des noch heißen Tees. „Er ist wirklich gut. Ich bin keine Expertin für so etwas, aber bisher konnte ich nichts finden, dass mir seltsam vor kam. Nun, bis auf die Bezahlung. Das ist wirklich, wirklich viel!“ Nun schien sich auch ihr Bruder wieder zu entspannen und nickte. „Oh ja, und er meinte wirklich noch, dass ich nach der geringsten Gehaltsklasse bezahlt werden. Wenn es nicht die Kaiba Corp. wäre, würde ich dir ja eine Ausbildung dort vorschlagen.“ Seine Schwester lachte leicht auf und schüttelte den Kopf. „Oh nein, niemals! Da muss schon einiges geschehen, damit ich jemals dort arbeite.“
 

Sie blieben nicht mehr lange auf. Serenity wärmte für ihren Bruder noch einmal das Abendessen auf, während er seine Sachen für den nächsten Tag packte und den Vertrag unterschrieb. Der Dienstag hatte schon begonnen, als sie sich verabschiedeten und jeder zu Bett ging. Dass eine böse Überraschung an diesem Tag auf sie warten würde, hätte keiner erwartet. Nach all dem Stress und den Katastrophen, sollte es doch endlich besser werden oder? Hätte er nach diesem grausamen Beginn nicht endlich ein wenig Glück und Ruhe verdient? War es nicht endlich an der Zeit, dass auch er, Joey Wheeler, sich ein wenig behaupten durfte?

Der Wecker klingelte wie schon am Montag und nach einer kühlen Dusche und einem schwarzen Tee, begrüßte er auch seine Schwester, die im Gegensatz zu ihm wach und aufmerksam wirkte. Sie huschte ins Bad und während Joey ihr Frühstück vorbereitete, duschte sie sich. Trotz der Umstellung verstanden sie sich unglaublich gut. Normalerweise gehörte das Bad morgens eher ihr, Joey duschte abends nach der Arbeit. Doch um diese Uhrzeit brauchte er nicht nur eine Dusche zum Wach werden, er würde sich nicht die Blöße geben, dass Kaiba auch nur irgendetwas sagen konnte. „Oh, das sieht gut aus. Ich sehe, dass mein Unterricht sich gelohnt hat.“ Scherzte Serenity, als sie fertig angezogen mit dem Handtuch über dem Kopf ins Wohnzimmer kam. Der Tisch war schon gedeckt und er hatte ihr eine heiße Schokolade gemacht. Lächelnd gab sie ihm einen Kuss auf die Wange und setzte sich mit ihm an den Tisch. „Oh ja, nachdem du mir drei Wochenenden hinter einander gezeigt hast, was es zum Frühstück geben soll und wie man das perfekte Ei und gute Reisbällchen macht, denke ich, sollte ich das können.“ Sie grinste nur und griff nach dem Teller mit eben diesen kleinen, weißen Bällchen.
 

Dieses Mal musste er vor ihr aus dem Haus gehen, sie blieb noch an der Tür stehen und gab ihm einen Abschiedskuss auf die Wange. Er zog sie dafür an sich und drückte sie einen Moment. „Ich will dich nie wieder verlieren!“ Flüsterte er ihr ins Ohr und sie schaute ihn dafür frech an. „Dann bist du mir also nicht mehr böse, wenn ich am Donnerstag mit Miko Ohrlöcher stechen gehe? Du unterschreibst mir also die Erlaubnis?“ Da hatte sie ihn kalt erwischt und das sah sie seinem Blick auch an. „Also, nun… wollen wir darüber lieber heute Abend sprechen?“ Doch ein Blick in ihre braunen Augen ließ ihn weiche Knie bekommen. Oh, er hatte sie nun schon ein ganzes Jahr vertröstet und er wusste, dass sie sich nichts sehnlicher wünschte. „Na gut, lass uns heute Abend darüber sprechen und… und bring diesen komischen Antrag mit.“ Das Strahlen in ihrem Gesicht hätte nicht geringer sein können. Freudig riss sie die Arme in die Höhe und sprang ihm fast um den Hals. „Oh, dass… dass war aber noch kein ok dazu…“ Versuchte er sich zu retten und wusste doch, dass er schon lange verloren hatte. Einige der Mädchen hatten schon seit ihrem 10 Lebensjahr Ohrlöcher und seine Schwester mit ihren 17 Jahren durfte immer noch keine haben. Wenn schon keine große Wohnung, dann wenigstens das oder? Er ging Gedankenverloren den Flur zum Treppenhaus hinüber und griff nach dem Geländer, als er eine Stufe nach der anderen nahm. Das Gebäude war nicht mehr das schönste. Zwar hatte der Besitzer vor 7 Jahren alles renovieren lassen, aber das Weiß der Wände war mittlerweile vergilbt und auch der Belag des Bodens leicht abgewetzt. Einen Fahrstuhl gab es in dem alten Haus nicht, alle Einkäufe mussten in den dritten Stock hinauf getragen werden. Über ihnen gab es noch ein Stockwerk und dann kam das Dach. Dafür wohnten sie nicht weit von der Schule seiner Schwester entfernt und nach einem Fußweg von 20 Minuten war er auch in dem kleinen Betrieb seines Meisters angekommen. Er hatte heute einen längeren Weg vor sich. In die Stadt brauchten er allein mit dem Bus 30 Minuten zu Fuß wollte er es gar nicht wissen. Fünf Minuten von seiner Haustür aus hinüber zur Haltestelle und nach Kleingeld kramen. Gestern Nacht war es wirklich schwierig, der Bus fuhr nur noch alle halbe Stunde bis Mitternacht und danach nur noch jede Stunde. Sie wohnten am Rand von Domino City, doch im Vergleich hätte es sie wirklich schlimmer treffen können.
 

So zahlte er wie gestern den Preis für seine Fahrkarte und suchte sich einen möglichst leeren Platz zum Stehen. Der Bus war wohl jeden Morgen so voll wie gestern. In Gedanken griff er nach der Stange über seinem Kopf um sich festzuhalten, sein Blick fiel auf die aufgeschlagene Zeitung eines Mannes, der den Platz neben ihm zum Sitzen hatte. Dort prangte das Bild des Einganges der Kaiba Corporation, den er ab jetzt ja häufiger sehen würde. Doch der Mann, der dort abgebildet war, hatte blonde Haare. Nach und nach verarbeitete sein Gehirn die angegebenen Informationen. Das war er da! Das war er, Joey Wheeler, wie er gestern Nacht das Gebäude verlassen hatte! Aber, bei allen… bei allen verfluchten Göttern!

~Ein neuer Zeitvertreib oder ist es Wahnsinn?~ Prangte die Überschrift des Artikel auf der Titelseite. ~Erst platzt das Geschäft mit der „Union Bay“ und nun wird der „Straßenköter“ erster Sekretär?~ Folgte als Untertitel über dem Bild. ~Erst am Wochenende wurde bekannt, dass die Millionenschweren Verhandlungen zwischen der Kaiba Corporation und der Union Bay gescheitert sind. Gerüchten zufolge soll der Fehler bei Mr. Kaibas erstem Sekretär gelegen haben, der kurz darauf spurlos verschwunden ist. Bis jetzt gibt es keine gesicherten Informationen über den wahren Grund des Scheiterns. Als Nachfolger des untergetauchten Sekretärs wurde nun jedoch ein völlig unqualifizierter junger Mann gewählt. Joseph Wheeler, der als stetiger Begleiter von Yugi Moto, dem Sieger etlicher Duel Monsters Wettbewerbe, bekannt und von dem Firmenpräsidenten Seto Kaiba nur als Straßenköter bezeichnet wurde, scheint nun eine fragwürdige Karriere zu beginnen. Wie wir aus anonymer Quelle wissen, hat der 19 Jährige gestern seine Arbeit als erster Sekretäre begonnen und dabei gleich für mehr Chaos gesorgt, als sein Vorgänger. Alles zu seinen vorhandenen Qualifikationen, seinem bisherigen Verhältnis zu Seto Kaiba und den lächerlichen Fehltritten des ersten Tages lesen sie im Innenteil auf Seite 3.~
 

Sprachlos starrte er auf den Text der Zeitung und schluckte. Das… das hatte er da nicht gerade gelesen! „Verzeihung, ähm… brauchen sie die dritte Seite noch?“ Fragte er verlegen und der Mann blickte hinter seiner Zeitung auf. Es war ein älterer Mann, seine grauen Haare waren nach hinten gekämmt und lichteten sich schon so weit, dass die helle Haut des Kopfes darunter zum Vorschein kam. Die braunen Augen lagen hinter gewaltigen Brillengläsern und er trug einen schwarzen Anzug. Er wirkte irgendwie so typisch… Dann breitete sich ein Lächeln auf dem faltigen Gesicht aus und er nickte. „Nein, den Teil habe ich schon gelesen.“ Das Rascheln des Papieres erfüllte den ganzen Innenraum des Buses und ein paar blickten zu den beiden. Zum Glück schlug der Mann seine Zeitung so um, dass man das Titelbild nicht mehr erkennen konnte. Als er Joey die Zeitung reichte, deutete dieser eine Verbeugung an. Während des Fahrens war das nicht so einfach, doch es schien dem Fremden zu reichen. Nun, auch wenn es anders wäre, meistens sagten Japaner so etwas nicht. Sie behielten es für sich und lächelten immer freundlich. Mit einem inneren Kopfschütteln, konzertierte er sich wieder auf die Zeitung und las das, was dort auf der ganzen Seite stand. Es war wirklich alles zusammen getragen. Von seinen „Platzierungen“ in den Wettbewerben, über seinen schulischen Werdegang und die Dramatik seiner Familie. Zum Glück brühten sie nicht wieder die ganze Angelegenheit mit der Operation seiner Schwester und vor allem mit dem Tod ihrer Mutter auf. Es wurde zwar angesprochen und es gab auch ein Bild von seiner Schwester auf der Seite, aber den Teil hielten sie klein. Woher wussten diese Aasgeier nur davon? Was hatte er denn bitte verbrochen, dass sie ihn jetzt schon schlachten wollten? Dabei ließen sie kein gutes Haar an ihm, der bisherige Werdegang des jungen Mannes war nicht einmal annähernd ausreichend für sie und er konnte sich nur darüber freuen, dass sie nicht auch noch seine Zeugnisse heraus gekramt hatten. Das Bild war doch aber erst von gestern Abend, wie konnten sie in so kurzer Zeit so viel zusammen tragen?
 

Mit einem Seufzen ließ er die Schultern hängen und faltete das Zeitungsblatt ordentlich. Er hätte es am liebsten zerrissen, aber das erschien ihm nicht richtig. Es war ja nicht sein eigenes. Als sein Blick auf den Platz des alten Mannes fiel und er ihm die Seite wieder geben wollte, war dieser schon verschwunden. Er musste ausgestiegen sein. Eine Station noch und dann hatte er noch 10 Minuten in der U-Bahn vor sich. Sollte er seine Schwester vorwarnen? Doch da summte sein Telefon schon. Es war ein einfaches, kleines Handy, dass noch ganz ohne Farbe und Touch aus kam. Eine Sms von seiner Schwester. Klasse, sie hatte anscheinend von einer Klassenkameradin erfahren, was in der Zeitung stand. Er solle sich auf eine böse Überraschung in der „daily Domino“ einstellen. Ja, die hatte er schon gesehen. #Danke, ist leider zu spät. J.# Schrieb er ihr zurück und seufzte erneut.

Mit hängenden Schultern verließ er den Bus und wurde auch schon weiter geschoben. Wie eine große Masse drängten hier die Leute aus den Busen und hinüber zur Station. Es waren noch zwei andere angekommen, das Licht der Straßenlaternen erhellte den geordneten Trupp. Sie alle gingen in gleichem Rhythmus über den Gehweg hinüber zur Treppe, über der das große, blaue Schild hing, dass den Namen der unterirdischen Station verdeutlichte. Er hatte von Tea einmal gehört, dass es in anderen Ländern ganz anders war. Sie hatte ein, wie hieß das noch… Aupair Jahr gemacht und war so in Europa gewesen. In Frankreich und ein paar Wochen in Deutschland. Zwei Tage hatte sie auf der Rückreise in England, London verbracht. Dort drängelten sich alle durch die Gänge, es wurde geschubst und es herrschte ein unglaublicher Lärm. Es gab auch keine Begleitpersonal, dass vom außen für das Schließe der Türen zuständig war. Und die Züge und Buse kamen sehr oft zu spät.
 

In Gedanken versunken war er in die U-Bahn gestiegen und hielt sich an einem der Schlaufen der oberen Stangen fest. Er achtete nicht auf die anderen Leute und hoffte, dass ihn niemand erkennen würde. Er versuchte jeder Zeitung aus dem Weg zu gehen und schob sich so schnell er konnte an der richtigen Haltestelle hinaus. Jetzt noch fünf Minuten zu Fuß und er war endlich angekommen. Was würde ihn bloß erwarten? Hatte Kaiba es schon gelesen und wenn ja, wie reagierte er darauf. Würde er das ganze gleich hier beenden? Wohl eher nicht, wahrscheinlich würde er eher der Presse sagen, dass es sich um eine Wette handelte und er darauf setzte, dass „sein Straßenköter“ alles vermasseln würde. Damit rutschte er auf der Grausamkeitsskala weiter nach oben und Joey blieb keine Wahl mehr. Wenn Kaiba das wirklich heraus posaunte und das passte zu ihm, würde er nicht früher aufgeben können. Dann wäre nicht nur sein Ruf vor Kaiba, sondern in der ganzen Stadt hinüber. Wieder summte sein Handy und nun war es eine Nachricht von Yugi. Der Kleine fragte nach, ob es ihm gut ging und ob das, was er in der Zeitung gelesen hatte wirklich stimmte. Mit einer kurzen Antwort verschob er das Gespräch auf später und da klingelte auch schon Tristan an. Nun leicht gereizt drückte er den Anruf weg und stellte sein Telefon aus. Er brauchte nicht noch mehr besorgte Freunde, die ihm erzählten, was er dummes getan hatte und dass er besser gleich wieder aufhören sollte.

In seiner Wut musste er dennoch inne halten. Vor dem Haupteingang tummelte sich eine Handvoll Menschen, die verdächtig nach Journalisten aussahen. Die Kameras in ihren Händen sprachen auf jeden Fall dafür. Wie sollte er denn da bitte hinein kommen? Das war nun wirklich das letzte, was er gebrauchen konnte. Hatte dieser Laden einen Hintereingang? Oh, was hatten die Götter nur mit ihm, dass sie ihn immer und immer wieder leiden ließen? Wenn die jetzt ankamen und ihm Fragen stellten, ihn durchlöcherten… oh nein, das wollte er einfach nicht. Sein Morgen war so oder so schon versaut! Hilfesuchend blickte er sich um und dann entdeckte er sie. Eine große Gruppe Frauen hatte sich in einiger Entfernung gesammelt. Sie alle waren tief in ihre Gespräche verstrickt und gestikulierten, kicherten und wedelten mit irgendwelchem Kleinkram oder Zeitschriften herum. Als sie näher kamen, schlug Joey seinen Kragen hoch und mit wenigen Schritten tauchte er zwischen den Damen unter. Sie bemerkten ihn nicht einmal, drängten in geschlossener Form auf den Eingang des großen Gebäudes zu und dann war er drinnen. Vor den Fahrstühlen hatte er kaum eine Chance ihnen zu entkommen. Sie drängten ihn einfach mit hinein und drückten ihn zurück an die Wand.
 

Es dauerte, denn kaum waren die ersten aus dem Stockwerk hinaus, fuhr der Fahrstuhl wieder hinunter und holte die nächste Traube ab. Doch aussteigen wollte Joey auch nicht. Wenn man vom Eingang her die Fahrstuhltüren sehen konnte, entdeckten sie ihn vielleicht doch noch. So kam er erst gegen kurz nach halb sieben oben im Büro an. Vorsichtig sah er sich um, doch niemand schien hier zu sein. Er schlich an den großen, leeren Schreibtischen der drei Sekretärinnen vorbei und stellte seine Tasche neben seinem Tisch ab. Mit einem erleichterten Seufzen drückte er den großen Schalter seines Computers und ging schon einmal hinüber in den „Aufentalsbereich“. Es war ein schön eingerichteter, lichter Raum, in dem einige Tische Bistro ähnlich aufgestellt waren und eine kleine Küchenzeile eingebaut wurde. Dort befand sich auch die Kaffeemaschine. Er machte sich lieber einen Tee und griff nach dem glänzenden Edelstahlkocher, um ihn mit Wasser zu füllen. Also, wie war das jetzt? Kaffee für Kaiba, Post holen, was gab es noch von gestern zu erledigen? Er öffnete die Schranktür über seinem Kopf und nahm einen dunkelblauen Becher heraus. Hier war alles mit dem Logo der Firma versehen, jeder Becher hatte die gleiche Farbe und das gleiche Zeichen. KC. Zumindest gab es kostenlos Tee und eine Mikrowelle und einen kleinen Herd hatten sie auch. Obwohl beides so wirkte, als wäre es noch nie benutzt worden.

Erschrocken zuckte er zusammen, als sein Handy wieder klingelte und lautstark verkündete, dass er eine Sms erhalten hatte. Wer wollte ihn denn nun schon wieder nerven? Es war Mokuba, der ihn anscheinend kurz nach dem Aufstehen oder eher „Aus dem Bett fallen“ darüber informierte, dass er Sally noch immer nutzen konnte. Er hätte nun ein paar extra Sicherungen eingebaut und so konnte er sie noch weiterhin benutzen. Das war doch schon einmal eine gute Nachricht. Wenigstens eine gute heute.

Mit seinem Tee ging er zurück zu seinem Schreibtisch, die Jacke hatte er an der Personal Garderobe zurück gelassen und dann leuchteten ihn auch schon wieder die schwarzen Knopfaugen des gelben Smileys an, der voller Freude wartete. „Guten Morgen, Joey!“ Flötete sie voller Zufriedenheit, als er das Headset aktivierte. „Guten Morgen Sally. Was sind denn die Aufgaben für heute Morgen?“ Es war schön und es machte ihm alles einfacher. Sie blätterte eine Seite auf, die die Liste mit den morgendlichen Aufgaben enthielt. „Dann hole ich mal die Post.“ Meinte er und stand auf.
 

Die halbe Stunde war schnell vorbei, er hatte den Kaffee gerade noch rechtzeitig auf den Schreibtisch gestellt und sich wieder auf seinen Platz gesetzt, als sich der Fahrstuhl schon öffnete. Die kraftvollen, schnellen Schritte konnten nur einem Menschen gehören. „Guten Morgen Mr. Ka…“ Doch weiter kam er nicht. Joey hatte zu ihm aufgesehen und die blauen Augen funkelten ihn so totbringend an, dass es ihm die Sprache verschlug. Sein nächster Blick fiel auf die Zeitung, die der Brünette in der Hand hielt und um die sich seine Finger verkrampften. „Guten Morgen?“ Zischte der Brünette und mit einer Bewegung schlug er die zerknitterte Zeitung auf den Schreibtisch. Joey konnte gerade noch die Hände zurück ziehen, ein Blatt segelte von dem Wind getrieben von der Arbeitsplatte und hinunter zu den Füßen des neuen Sekretärs. Mit einem Schlucken wich er leicht auf seinem Stuhl zurück und starrte weiter in die kalten Augen seines Gegenübers. „Ja, ich weiß, du kriegst dein Maul wieder nicht auf, aber wenn schon du nicht, wird wenigstens deine Schwester die Zeitung gelesen haben, Wheeler! Ich weiß also, dass dir dieser Artikel bekannt ist!“ Seto Kaiba hätte es nicht treffender ausdrücken können. Serenity kaufte sich jeden Morgen auf dem Weg zur Schule eine Zeitung am Kiosk, an dem sie manchmal aushalf. So musste sie nur die Hälfte zahlen und sparte sich ein wenig Geld. Sie hatte ihn heute Morgen auch gleich angeschrieben, als sie den Artikel entdeckt hatte. „I…“ Doch weiter kam er nicht. „Halt einfach deine Klappe! Ich will gar nichts hören! Absolut nichts!“ Fuhr er den jungen Mann an und drehte sich schwungvoll zur großen Flügeltür um. Geräuschvoll fiel diese hinter ihm ins Schloss und Joey zuckte zusammen. Das konnte doch nicht wahr sein! Warum? Warum musste sich immer alles in eine wahre Katastrophe verwandeln? Noch immer leicht zitternd sank er in seinem Stuhl zusammen und sah zu Yuriko auf, die nun auch hier war. Sie sah ihn aus ihren alten mütterlichen Augen besorgt an.
 

Der dampfende Kaffee in seinen Händen machte es einfacher. Er versuchte sich zu sammeln, sein Computer fuhr nebenher hoch und er schloss müde die Augen. Er hatte nicht mit der Meute Reporter gerechnet, zumindest nicht so früh. Nachdem er aber seine morgendliche Zeitung zur Hand nahm, war das Aufeinandertreffen mit dieser "Gruppe" unausweichlich. Natürlich, es war ja richtig, dass die Presse so reagierte. Der Daily Domino war nicht für eine sachliche und recherchierte Nachrichtenpresse bekannt. Er war hetzerisch und reißerisch. Wenn seine Journalisten ein Thema zwischen ihre Klauen bekamen, dann war jede Wahrheit „Schnee von gestern“. Er hatte eben keinen Kommentar abgegeben und war nur mit eisernem Blick durch die kleine Menge gewartet. Aber um seinen Ruf zu stählern, musste er noch eine Erklärung abgeben. Nicht sofort, sonst kämen sie noch auf die Idee, dass er sich bei ihnen rechtfertigen müsste. Das wäre bei weitem zu viel. Ihm war auch klar, dass Joey damit reichlich wenig zu tun hatte. Der Mann war vielleicht dumm, aber nicht bescheuert. Auch Joey musste klar sein, dass er als Firmenchef nur eine Möglichkeit hatte: Er würde Joey ans Messer liefern. Er würde von der Wette erzählen und bekannt geben, dass dieser Vertrag über drei Monate lief und er einen gewissen Kostenvoranschlag an verschmerzbaren Verunglimpfungen des Mannes für diese alles beendende, niederschmetternde Wette bereit gestellt hätte. Je höher die Verluste, desto deutlicher würde daran Joeys Versagen bemessen. Durch diesen Schachzug konnte der Blonde auch nicht wieder zurück, nicht einfach früher abbrechen, denn dann wäre er der Versager ganz Dominos, nein, zu dem Zeitpunkt würde die ganze Welt davon wissen. Es gab nur zwei Damen, die dafür verantwortlich waren.

Mürrisch löste er eine Hand von dem Becher und schaute wieder auf. Sein Smartphone lag auf dem Schreibtisch und so griff er nach diesem. Er wählte eine Nummer aus dem Speicher, die nur als Ivanow eingegeben war. Die langen Wähltöne schienen in diesem Moment wie laute Glockenschläge in seinen Ohren widerzuhallen und als endlich das leise Klicken am anderen Ende der Leitung erklang, trat eine beruhigende Stille ein. „Kein Kommentar von deiner Seite aus?“ Meinte er, denn auf der anderen Seite war bisher kein Ton zu hören gewesen. „Du hast schon lange nicht mehr angerufen. Ich frage mich also, ob ich endlich mit einem Auftrag rechnen darf oder du nur so tun möchtest, als wärst du grausam und rücksichtslos?“ Fragte eine ruhige, tiefe Stimme, die einem Mann zu gehören schien. Sie war geprägt von einem heftigen, russischen Akzent. Ein tiefes Seufzen war von Seto zu hören und der Fremde meinte. „So schlimm ist es? Ich habe schon gelesen, dass dein Sekretär die Verhandlungen mit der Union Bay hat platzen lassen. Ich könnte ihn für dich finden. Ihm ein paar nette Betonschuhe verpassen und ihn wirklich untertauchen lassen.“
 

„Nein, schon gut. Ich halte wenig von solchen Dingen.“ Meinte Seto erstaunlich entspannt und ein Schmunzeln schien den anderen zu Bewegen. „Gut, wie ist es dann mit deinen beiden Sekretärinnen? Wenn du sie nicht töten willst, kann ich sie auch an ein russisches Bordel verkaufen.“ Zufrieden lächelte der Brünette und nahm einen Schluck Kaffee. „Ich bin ein großer Liebhaber des Wortes subtil, aber deine Vorschläge sind alles andere als das. Lass sie in Ruhe, ich kümmere mich selbst darum.“

Nun schien der andere leicht verstimmt und fragte. „Darf ich ihnen wenigstens etwas Angst einjagen?“ Doch wieder erhielt er eine Abfuhr. „Nun gut, wenn du heute so nett zu ihnen bist, beantworte mir wenigstens eine Frage: Warum rufst du an?“ Diese Worte schienen eine erneute Stille zu provozieren und plötzlich meinte Seto ruhig. „Ein Teil von mir möchte ja sagen. Ich bin wütend und will meine Rache, aber... nicht so. Wenn ich dir noch immer nein sagen kann, weiß ich, dass ich nicht wie mein Stiefvater bin.“ Gab er nun als Erklärung und der Russe musste lachen. „Dann warte ich also weiter, wann du das nächste Mal meine Dienste in Anspruch nehmen willst. Bitte zögere nie, diese Nummer anzurufen.“ Die Erheiterung klang offensichtlich in seiner Stimme. „Dann bis zum nächsten Mal.“ Meinte er und ein leises Klicken deutete an, dass sein Gegenüber das Gespräch beendet hatte.

Schweigend legte er sein Telephon zur Seite und nahm einen weiteren Schluck Kaffee. Tala Ivanow, der Anführer der russichen Mafia. Ja, das war vielleicht etwas riskant mit jemandem wie ihm Kontakt zu haben, aber was machte das schon? Er war kein lieber Junge, er war kein sanftmütiger Chef, er war ein grausames Arschloch, aber wenigsten kein Mörder. Außerdem ließer sich allein der Privatsphäre wegen keinen Anruf zurückverfolgen, keine Nummer wurde gespeichert. Alle Protokolle waren so ausgelegt, dass er tun und lassen konnte, was er wollte, solange es über sein Telefon geschah. Einige Nummern waren nur mit einem Passwort zu öffnen und nur der Name war zu sehen. Nicht einmal der Besitz dieses Telefons brachte ihnen etwas, dafür hatte er gesorgt. Nun hieß es sich gemütlich zurück lehnen, den heißen Kaffee zu trinken und die nächste Grausamkeit Wheeler gegenüber zu planen. Immerhin musste er ja sein Statement der Presse gegenüber noch formulieren. Oh, wie gut dieser Kaffee schmeckte. Wenn er den Köter wieder los geworden war, musste Yuriko unbedingt weiter Kaffee kochen. Wie er gestern festgestellt hatte, konnte sie das genauso gut!
 

Die Zeit verging und die Sekretärin hatte ihren neuen Freund wieder aufgebaut. Kaiba würde sicher wissen, wer für diesen Artikel zuständig war und sich wieder beruhigen. Er sollte lieber weiter arbeiten und sich nichts ablenken lassen, damit half er sich selbst am meisten. Die alte Sekretärin ging derweil hin und suchte die Arbeit der beiden anderen zusammen, sortierte sie und begann sie in ihre mit einzuarbeiten und vor allem abzuarbeiten. So viel war es erstaunlicherweise gar nicht. Wäre die Arbeit gerecht aufgeteilt worden, hätte sie jetzt deutlich mehr von den beiden eingesammelt. So hatten sie sich also durchgeschummelt und konnten immer Pausen ohne Ende machen. Um 8 Uhr hatte Kaiba ein Geschäftstreffen in den Räumen ein Stockwerk unter ihnen. Er hatte Joey nicht großartig beachtet, als er an diesem vorbei ging. Es war nur ein Verhandlungsgespräch über zwei Stunden, dass mit einer kleinen Verlängerung bis 10:35 Uhr ging.

Nun war der Brünette wieder zurück und mit der gleichen Ignoranz schritt er an dem blonden, jungen Mann vorbei auf sein Büro zu. Er wollte sich einfach keine weiteren Gedanken über die seltsamen Reaktionen Wheelers machen, die ja schon gestern begonnen hatten. Obwohl… er hatte sich doch wirklich ganz gut benommen. Trotz der Anfuhr am Morgen kuschte er nicht wie ein kleiner geprügelter Hund, sondern konzentrierte sich auf seine Arbeit. Joey war mit Sicherheit unschuldig an der ganzen Situation, aber warum sollte er seine schlechte Laune nicht an ihm auslassen? Dafür war er ja schließlich da! Mit einem heimlichen Grinsen griff er nach der Tür und öffnete diese. Noch immer zufrieden mit sich und seiner für die Presse zurecht gelegten Erklärung durchschirtt er sein Zimmer und umrundete seinen Schreibtisch. Die kühlen, blauen Augen sahen auf das runde, weiße Etwas, das da auf der Arbeitsplatte stand. „Was bei allen verfluchten Göttern ist das?“ Entwich ihm und er griff dabei schon über den Tisch. Er drückte die Taste für den „Fernsprecher“, den er schon sehr lange nicht mehr genutzt hatte. „Wheeler, komm sofort hier rein!“ Fauchte der Firmenchef durch das kleine, elegante Gerät, das in moderner Variante seinen Schreibtisch zierte. Es war mit dem Telefon verbunden und bildete eine große, ebenmäßige Apparatur, die in glänzendem Schwarz fort ruhte. Es wirkte wie eine Verlängerung des Telefons, bei dem vier Knöpfe, vier Tasten die jeweiligen Schreibtische angab. Das er ja nicht sehen konnte, ob der Köter an seinem Platz saß, war es unsinnig diese Funktion zu nutzen. Doch das wütende Schreien und somit für alle Ohren zu verkündende Herzitieren des jungen Mannes, ließ wenigstens etwas von seinem plötzlich aufsteigenden Adrenalin verschwinden.
 

Als sich die Tür öffnete, stand noch immer diese Mischung aus blanken Entsetzen und völliger Wut in seinen Augen. „Was ist DAS?“ Fragte er und deutete auf den runden, weißen Teller, auf dem zwei dunkle Borte lagen. Eine der Schwarzbrotscheiben war mit Hartkäse, einem Stück Tomate und einem Salatstreifen belegt. Die andere hatte seine Pfeffersalami als Grundlage und wurde mit einem Stück Gurke und dem Salatstreifen verziert. Der junge Mann vor ihm schien kurz zusammen zu zucken, als seine Stimme so laut durch den Raum hallte. Seto konnte deutlich sehen, wie sich der Mann langsam wieder aufrichtete, schluckte und kurz die weißen Ärmel seines Hemdes ein Stück zu den Handgelenken zog. „Ich…“ Begann er und musste noch einmal tief ein und aus atmen. „Du hast mir am Sonntag gesagt, dass du morgens nichts essen kannst. Jetzt ist es halb elf, das ist nicht mehr morgens und du brauchst außer Cognac und Kaffee etwas in deinen Magen!“

Wo liegt Dubai?

Kapitel 14
 

Wo liegt Dubai?
 

Es dauerte wirklich einen Moment, bis der Brünette verstanden hatte, was da eben gesagt wurde. Die eisblauen Augen blinzelten und das helle Gesicht verlor jede Fassung. Joey versuchte so unbemerkt zu schlucken, wie es nur ging. „Du brauchst etwas zu essen… und jetzt vielleicht Ruhe. Es wäre wohl besser, wenn ich wieder gehe.“ Schlug er mit einem sehr unsicheren, leichten Lächeln vor. Doch Kaiba richtete sich langsam wieder zu voller Größe auf, er hatte sich auf der Arbeitsplatte seines Schreibtisches abgestützt und begann den Kopf zu schütteln. „Nein, du gehst jetzt nicht!“ Sagte er und schien sich noch immer nicht ganz gefasst zu haben. „Hast du mir eben ernsthaft gesagt, dass ich…“ Doch da war es Joey, der mit all seinem Mut den Satz wiederholte. „Du brauchst außer Cognac und Kaffee etwas in deinen Magen!“ Er spürte die Angst in seiner Brust, die Feuchtigkeit seiner schweißnassen Hände, doch jetzt reichte es ihm. Er wollte nicht mehr kuschen, kein kleiner Hund mehr sein, der sich vor allem versteckte. Seit wann ließ er sich eigentlich von diesem Schnösel so einschüchtern? Mit einer kräftigen Geste trat er vor und sah den Firmenchef direkt in das blasse Gesicht. „Wann hast du gestern etwas gegessen? Wann wirst du heute etwas essen?“ Fragte er provokant und bemerkte, dass der Brünette wirklich noch immer so perplex war, dass er ihm nicht antworten konnte. „Du isst zu wenig, dafür brauche ich kein Arzt zu sein und dafür brauche ich dich nicht einmal näher kennen lernen. Also, iss und wirf mir nicht alles vor. Ich kann nichts für diesen verfluchten Artikel und… und… ich… ich…“ Nun war es der Blonde, der verwirrt drein blickte. Warum begann sein Gegenüber zu lächeln. „Ja, was ist mit dir?“ Fragte Seto ruhig und verschränkte die Arme vor der Brust. Er wirkte mit einem Mal wieder so überheblich, gelassen und selbstsicher. Warum? Warum war aus diesem völlig perplexen Gesichtsausdruck dieser… dieser völlig überhebliche geworden? Nein, er musste sich zusammen reißen! „Ich werde sicher niemals so dumm sein, solch einen Blödsinn der Presse zu erzählen! Glaubst du wirklich, nach all dem, was passiert ist, will ich meine Schwester da mit rein reißen? Nein, ganz sicher nicht. Also grins nicht so blöd und… und lass mich meine Arbeit machen!“ Jetzt hatte er gegeben, was er konnte. So viel Kraft und Überzeugung er noch besaß, legte er in diese Worte, drehte sich so schwungvoll um, wie es ging und verschwand so schnell er konnte aus dem Büro.
 

Das Lächeln verschwand beim Schließen der Tür sofort wieder. Er hatte es nur aufgesetzt, um Joey aus der Bahn zu werfen, was auch wunderbar funktioniert hatte. Noch immer schwankte er zwischen kochender Wut und völliger Überforderung. Ja, er würde es niemals zugeben, aber das überforderte ihn wirklich. Wieso interessierte es diesen Köter, wann und was er aß? Außer seinem Bruder hatte sich niemand dafür interessiert und vor allem keine Sekretäre! Gut, aber so einfach würde er Joey sicher nicht entkommen lassen. Er schritt um den Schreibtisch herum, über den blauen Teppich und öffnete eine der Türseiten sehr langsam und vorsichtig.

Wie er erwartet hatte! Noch immer nach Luft ringend und mit geschlossenen Augen lehnte Joey an der anderen Seite der Flügeltür und schien sich zu sammeln. Er rechnete nicht damit, dass Seto ihm folgen würde. „Mein Kaffee fehlt noch!“ Seine Stimme hatte diesen kalten, herablassenden Ton und er genoss, wie der Blonde aus allen Wolken fiel und zusammen zuckte. Die honigbraunen Augen sahen ihn voller Angst, ja regelrecht voller Panik an. „Mein Kaffee!“ Wiederholte er und den Anblick noch einen Atemzug genießend zog er die Tür hinter sich wieder zu. Das Schöne an dieser Situation war die Tatsache, dass Joey gleich mit dem Becher wieder hier hinein kommen musste. Er hatte alle Karten in seiner Hand und dieser Anblick… oh, da lief ihm ein regelrecht angenehmer Schauer über den Rücken. Diese vor Angst geweiteten Augen, das war eine herrliche Rache! Mit sich selbst sehr zufrieden setzte er sich zurück an seinen Schreibtisch und wartete.

Als hätte er eine volle Schachtel Pralinen vor sich, aus der er die schönste heraussuchen konnte, saß er in seinem großen Sessel und telefonierte gerade, als es an der Tür klopfte. Er rief den jungen Mann herein und meinte breit grinsend am Telefon. „Oh nein, keine Sorge, es ist nur mein stümperhafter Sekretär, der den Kaffee vergessen hat!“ Die eisblauen Augen funkelten ihn voller grausamer Häme an.
 

Für ihn war es mehr als der Schritt in die Höhle des Löwen. Er hatte nicht erwartet, dass der Kerl wirklich zur Tür kommen würde und so von Kaiba erwischt zu werden, hatte all seinen Mut bis ins Mark erschüttert. Seine Hände zitterten, als er den Becher auf dem Tisch neben dem Teller abstellte und dabei jede Bewegung von dem Brünetten beobachtet wurde. „Was ist denn? Hast du solch eine Angst, dass du schon vor mir zitterst?“ Fragte dieser mit einem höhnischen Ton in der Stimme. „Dann habe ich ja alles richtig gemacht!“ Die Genugtuung, die er in diesem Moment empfand, konnte er nicht in Worte fassen. Er sah Joey tief in die Augen, diese gemischten Gefühle aus Angst und Wut, die er nicht zu zügeln wusste. Was für eine göttliche Freude! „Du gehörst noch ganze drei Monate mir, Joey. Vergiss das nicht, es sind noch fast ganze drei Monate. Das hier ist der zweite Tag. Dienstag. Zähl für mich doch einmal die Stunden, die wir noch gemeinsam vor uns haben!“ Er sah, wie der blonde Mann vor ihm die Hände zu Fäusten ballte und sich wütend auf die Unterlippe biss. Doch dann entspannte sich Joey mit einem Mal und meinte unerwartet ruhig. „Es sind ca. 560 Stunden, wenn ich bis zum 26. Januar nächsten Jahres hier arbeite und pro Woche 5 Arbeitstage rechne. Wenn ich von einer 40 Stunden Woche ausgehe, sind es 560 Stunden plus die wahrscheinlich kommenden Überstunden.“

Erstaunt ließ der Brünette sein Smartphone sinken. „Oh, ich wusste nicht, dass du so panisch bist, dass du es schon ausgerechnet hat.“ Meinte er mit einem leichten Lachen und bemerkte, wie eine erneute Anspannung in die Muskulatur des Blonden trat. „Dann mach dich für die nächsten vier ein halb Stunden nützlich! Ich bezahle dich immerhin nicht für’s Rumstehen!“ Damit hob er das Telefon wieder an sein Ohr und wandte sich von ihm ab. „Bin ich wirklich so furchteinflößend, meine Liebe? Ich meine, er arbeitet den zweiten Tag für mich.“ Er schien sich köstlich zu amüsieren, doch Joey konnte nicht hören, was die Dame am anderen Ende antwortete. Er drehte sich nur um und verließ das Zimmer.
 

Sein Blick war starr auf den Bildschirm gerichtet und er schwieg. Was war das eben für eine Situation gewesen? 560 Stunden, ja, die würde er hier noch verbringen und es brachte rein gar nichts, vor diesem Scheißkerl in Angst zu erstarren! Er würde für sich eine Entscheidung treffen müssen, das war das einzige, was ihn jetzt noch retten konnte. Er war Seto Kaibas persönlicher Sekretär und er würde sich nicht wie ein kleiner Hund herum schupsen lassen! Und wenn er sich noch einmal mit ihm anlegen musste, aber Morgen würde er wieder einen Teller mit Brot auf den Schreibtisch stellen! Ja, auf die Angst durfte er nicht hören! Diese panische Angst, die ihm jetzt schon die Luft abschnürte und seine Hände zittern ließ. Ja, er hatte sich dazu entschieden und es war ihm egal, was die Presse sagte! Er würde das schaffen!

Erschrocken starrte er auf das klingelnde Telefon und atmete tief ein und aus. Ok, ja, er würde das schaffen. Er griff nach dem schwarzen Hörer, räusperte sich noch einmal und sprach mit erstaunlich fester Stimme. „Büro Seto Kaiba, was kann ich für sie tun?“
 

Er hatte das Gespräch kurz gehalten, starrte auf den Teller mit den beiden Broten und spürte ein Ziehen in seinem Magen. Salami und Käse waren nicht gerade seine Lieblingssorten, aber Hunger hatte er so langsam schon. Das lag wahrscheinlich nur an den Broten, die da vor ihm lagen, aber… aber was störte es schon, wenn er probierte oder? Seine Rache hatte er gründlich ausgelebt und Joey würde noch das eine oder andere Mal bluten. Warum sollte er also nicht doch etwas essen? Zögerlich griff er nach dem Salamibrot und während er es in der rechten Hand betrachtete, stahl er die Dekoration davon herunter. Die Gurke schmeckte gut und nun musste er sich eingestehen, dass er definitiv Hunger hatte! Der Geruch des Kaffees erfüllte die Luft und in seinen großen Sessel zurück gelehnt, denn Teller auf dem Schoß, sah er aus dem großen Fenster hinter seinem Schreibtisch. Wann hatte er das überhaupt einmal getan? Den nächsten Termin hatte er frühestens in einer Stunde und sonst gab es Nichts, dass er nicht auch verschieben konnte. Einfach einmal entspannen. Die eisblauen Augen sahen den fliegenden Wolken zu, die über den Himmel zogen. Was auch immer das für ein Hartkäse war, aber der schmeckte verdammt gut!
 

War es wirklich ein so schlimmer Posten? Musste er sich wirklich von anderen Sekretären beschimpfen lassen? Es war draußen mittlerweile dunkel und Yuriko schon gegangen. Sein Englisch war nicht sonderlich gut, doch dass der Mann ihn eben wüst beschimpft hatte, war ihm klar. Müde lehnte er sich zurück und schon wieder klingelte das Telefon. Kurz musste er gähnen, bevor er den Hörer aufnahm und sich meldete. Der Mann an der anderen Seite hatte eine gehetzte, grelle Stimme, die ihm schon jetzt in den Ohren weh tat. Joey seufzte innerlich, als ihm gleich vorgeworfen wurde, warum man ihn nicht sofort zu Seto Kaiba persönlich durchstellte und er schon wieder mit einem Dilettanten telefonieren musste. „Mr. Kaiba ist in einer Besprechung und kann Sie leider nicht persönlich entgegen nehmen. Vielleicht kann ich Ihnen weiter helfen, ich bin immerhin für die Belange unseres Firmenführers zuständig.“ Doch das, was er dann zu hören bekam, ließ ihn den Mund ein Stück offen stehen. „Was soll mir schon so ein dummer Sekretär wie du weiter helfen? Wenn ich sage, dass ich mit Kaiba sprechen möchte, dann meine ich das auch so. Wie soll ein inkompetenter Trottel mir schon helfen können?“ Die Schimpftirade war weitaus länger und leicht entsetzt starrte Joey das Telefon an, als nicht nur er, sondern auch noch die Firma und etwaige, unbekannte Familienmitglieder in den Dreck gezogen wurden.

Erschrocken sah er auf, als er den Schatten bemerkte, der nun auf ihn fiel. Genau der besagt Herr stand vor ihm und da der Mann am anderen Ende so laut war, hatte „Mr. Kaiba“ alles mit angehört. Im ersten Moment wusste er nicht, was er sagen oder tun sollte, als sich der Brünette über den Schreibtisch beugte und auf die Lautsprecher Taste drückte. Mit einem lauten Räuspern unterbrach er den Schwall an Flüchen und Beschimpfungen. „Mit wem soll ich verbunden sein?“ Fragte er deutlich und ein „Mr. Kaiba, sind sie das?“ erklang aus dem Telefon. Die blauen Augen sahen belustigt zu Joey. „Bis eben bin ich noch Seto Kaiba gewesen. Allerdings habe ich bis eben auch noch mit ernstzunehmenden Vertretern einer anderen Firma gesprochen, die sachlich und ernst ihre Belange vorgetragen haben. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich danach in meinem Sessel eingeschlafen bin.“ Der Mann schaffte es all das so trocken und ernst zu sagen, dass Joey sich ein Kichern verkneifen musste. „Oh, Sie scherzen, wie schön.“ Ertönte es aus dem Lautsprecher und der Mann räusperte sich. „Nun, Mr. Kaiba, ich bin Jonathan Smith von der I-Tek Group. Wir haben Ihnen vor ein paar Tagen…“ Doch da unterbrach ihn der Firmenführer.
 

„Warte, wer waren Sie noch gleich? Jonathan Smith? Mr. Wheeler, haben sie bisher mit diesem Mann gesprochen?“ Irritiert sah Joey den Brünetten an und zog nur die Schultern fragend hoch. Kaiba machte eine deutlich auffordernde Geste und dann verstand auch der Blonde endlich. „Nein, nein, Mr. Kaiba, dieser Name ist mir völlig unbekannt.“ Ein gequältes Lachen erklang aus dem Lautsprecher und Mr. Smith meinte. „Nun, bisher hat alles mein Sekretär gemacht, der leider kein Japanisch spricht und Ihr Sekretär kein Englisch. Darum…“ Doch wieder unterbrach ihn der Brünette. „I-Tek. Hm, der Name kommt ihr auch nicht bekannt vor. Sie sind also eine Firma, die etwas von uns will und dabei nicht einmal unsere Sprache spricht?“ Fragte er nun nach und Joey hielt sich die Hand vor dem Mund, um nicht laut Lachen zu müssen. Sie konnten beide hören, wie der Mann am anderen Ende nervöser wurde. „Nun, bisher hat es ja ganz gut funktioniert. Sie scheinen einen neuen Sekretär zu haben. Ich…“ Joey hätte darauf gewettet, dass Seto dem Fremden wieder ins Wort fiel und er tat es. „Und darum beschimpfen Sie meinen Sekretär, der meine Vertretung und rechte Hand ist? Sie wissen schon, dass sie damit mich beschimpft haben? Immerhin habe ich diesen Mann ausgesucht!“

Das nun eintretende Schweigen an der anderen Hörerseite war zu herrlich. „Wie mir scheint, haben Sie nichts weiter dazu zu sagen. Damit beende ich dieses Gespräch.“ Seto drückte auf den Kopf der Gabel, der das Gespräch automatisch beendete. Mit einem breiten Grinsen sah er zu seinem Gegenüber der noch immer versuchte nicht laut zu lachen. „Lach ruhig, solche Idioten haben nichts anderes verdient. Was für ein aufgeblasener Sack. Sein Angebot war sowieso unter meiner Würde und hatte keinerlei finanziellen oder technischen Vorteil für mein Unternehmen.“ Aus dem unterdrückten Lachen war ein freudiges Grinsen geworden und Joey legte den Hörer auf. „Du bist mein Sekretär, Joey, du musst dich nicht von jedem dahergelaufenen Trottel beleidigen lassen. Du darfst da ruhig ein wenig energischer sein.“ Meinte Seto und sah, wie der Blonde leicht rot vor Verlegenheit wurde. „Mach Feierabend. Es ist schon fast 19 Uhr, du bist doch seit heute Morgen da.“ Die braunen Augen begannen zu leuchten und das Grinsen wurde noch breiter. „Wirklich?“
 

Was dann geschah, hatte etwas Irreales. Seto hatte die Hand gehoben und wuschelte durch die blonden Haare. „Ja, doch. Du hast offiziell um 17 Uhr Feierabend. Das sind schon 10 Stunden, die du hier verbringst. Sag mir morgen einfach Bescheid, wenn ich es wieder einmal vergesse.“ Das Gesicht des sitzenden Mannes verzog sich und er deutete auf seinen Kopf. „Hast du mir gerade durch die Haare gewuschelt wie einem Hund?“ Fragte er entsetzt und der Angesprochene lachte nur kurz. „Nein, nicht wie einem Hund, sondern wie „meinem“ Hund! Joseph, wenn du mich ansiehst, wie ein treudoofer Golden Retriever, dann muss ich dich ja regelrecht so behandeln.“ Die Antwort darauf war nur ein großer Schmollmund. „Du bist doof. Ich sehe doch nicht wie ein Hund aus.“ Damit wendete er sich seinem Bildschirm zu und begann die Programme zu schließen. „Ach ja, soll ich das nächste Mal ein Photo von dir machen, wenn du vor einem übergroßen Teller vorzüglicher Pasta mit einer Käse Sahne Soße aus einem vier Gänge Menü sitzt?“ Fragte er und verschränkte die Arme vor der Brust, ein herablassendes, provokantes Lächeln auf den Lippen. „Die Ähnlichkeit mit einem Hund ist verblüffend.“

Joey hingegen sah ihn nur skeptisch an. Nach der Aktion heute Vormittag hatten sie kaum ein Wort gewechselt, er brachte ihm nur das Notwendigste und Kaiba hatte mit einem Nicken und diesem fiesen Lächeln geantwortet. Doch das eben, dass er ihn vor diesem Mistkerl in Schutz nahm, war so... so nett von ihm! „Gerne, mach das, ich denke nicht, dass ich in den nächsten Monaten oder Jahren ein vier Gänge Menü genießen werden.“ Er zog seine Augenbrauen in die Höhe, als er aufstand um den Stuhl an den Schreibtisch zu schieben. „Außerdem werde ich es sicher nicht mit dir tun!“ Brummte er nur, griff nach seiner Tasche und starrte in ein erstaunlich zufriedenes Gesicht.
 

„Das Problem lässt sich leicht aus der Welt schaffen. Weißt du, Wheeler, ich liebe die kleinen Wetten mit dir und es ist eine willkommene Abwechslung, in die ich gerne investiere.“ Mit Freuden sah er, wie der junge Mann vor ihm inne hielt und mit seinen honigbraunen Augen musterte. Joey stellte seine Tasche auf der Ecke seines Schreibtisches ab und schwieg abwartend. Das klang doch genau so, als hätte der Kerl seine Gedanken gehört. „Nun, es gibt da einen guten Italiener in der Stadt und ich habe heute Abend nichts mehr vor.“ Nun konnte er die sich verbreitende Skepsis beobachten und der junge Mann zeigte erst auf ihn, dann auf sich selbst. „Wir zwei? Gemeinsam essen gehen?“ Fragte er ungläubig und hob dann abwehrend die Hände. „Oh nein, nicht mit dir allein. Allerhöchstens, wenn Mokuba und meine Schwester dabei wären! Aber nach deinen Aktionen heute, gehe ich sicher niemals mit dir essen!“

Diese Aussage bereute er nur einen Moment später, als der brünette Firmenführer sein Handy zog. „Tisch für vier heute Abend um 20:30 Uhr! Und wenn du es schaffst, dass Mokuba und deine Schwester da sind, zahle ich dir diesen Monat das Doppelte!“ Diese Aussage saß. Kurz schluckte Joey und fragte noch einmal nach, um sicher zu gehen. Schon das Telefon am Ohr bestätigte der 22 Jährige seine Aussage und lächelte herablassend. „Ja, sag deiner Schwester, dass sie ein Wagen abholt.“ Damit wandte er sich dem Mann zu, der sich gerade auf der anderen Seite des Telefons meldete.
 

Mit großen Augen musterte Joey sein Gegenüber. Anscheinend hatte er keine Wahl und noch gab es nichts, was für ihn nach einer schlechten Wette aussah. Allerdings gab es auch noch keinen Einsatz, falls der unerwartete Fall eintrat und es doch zu einem Photo kam. Das sollte er lieber klären, bevor er irgendwen anrief. Kaum hatte der Brünette aufgelegt, platze er auch schon mit seiner Frage heraus. Die eisblauen Augen wurden von einem belustigten Schein durchzogen und er meinte mit ruhiger Stimme. „Gut, ich schlage dir folgendes vor. Es sind zwei Wetten. Wenn deine Schwester und Mokuba pünktlich da sind, bekommst du das Doppelte diesen Monat. Wenn ich Recht habe und der Anblick eines erstklassigen Essens lässt dich wie einen Hund aussehen, mit Beweisphoto, dann fällst du vor mit auf die Knie und sagst mir, dass ich der größte bin und mal wieder Recht hatte! Du brauchst es auch niemandem sagen, es wird keine Beweisaufnahmen geben und es reicht mir, wenn du dich allein vor mir demütigst! Ach ja, und da du so oder so in den nächsten drei Monaten genügend gequält wirst, bleiben die beiden Wetten voneinander unabhängig. Wenn es kein Beweisphoto gibt, bekommst du trotzdem das doppelte Gehalt, wenn die erste Wette erfolgreich für dich ausgegangen ist! Du hast also dieses Mal ein sehr geringes Risiko! Im besten Fall gehst du mit deiner Schwester gut Essen und bekommst eine überdurchschnittliche Gehaltserhöhung und wenn du wirklich Pech hast, musst du nur vor mir auf die Knie fallen!“
 

Als wäre das eine angenehme Vorstellung! Also wirklich, aber dennoch… Joey konnte nicht abstreiten, dass seine Chancen sehr gut standen. Er musste ja nur verhindern, dass dieser Schnösel ein Photo machte und dann wäre er auf der sicheren Seite. Er wollte nicht käuflich sein, aber wenn er überlegte, dass dieser zusätzliche Bonus die nächsten Zahlungen von Serenitys Schulgeld sichern würde…

Knurrend verschränkte er die Arme und starrte auf das Telefon, dass der Brünette in Händen hielt. Er wollte nicht käuflich sein und das ganze gefiel diesem Mistkerl viel zu gut, als dass dabei kein Harken sein konnte! Aber wo war er? Wo war der Trick, den er nicht sehen konnte? „Na gut, aber nur, wenn so ein Photo wirklich zustande kommt und… und ich auch der Meinung bin.“ Dabei musste er schlucken. War er sich sicher, dass er diese Wette eingehen wollte? Die Vorstellung vor Seto Kaiba auf die Knie zu fallen, ließ schon jetzt die Übelkeit in ihm aufsteigen! Mürrisch griff er nach der ausgestreckten Hand und schlug als Zeichen der Akzeptanz ein. Jetzt musste er also das zufriedene Grinsen dieses Idioten ignorieren und seine Schwester anrufen. Er musste ihnen ja nichts von der Wette erzählen.
 

Seine Schwester willigte nur unter Protest ein und Mokuba musste er zumindest die Hälfte der Wahrheit sagen. Der Wagen würde Serenity abholen. Da der Italiener nicht weit weg sein sollte, schlug der Brünette einen kurzen Spaziergang vor. Draußen war der Platz leer und mit einem geradezu grausamen Ton erklärte Kaiba, dass der gesamte Platz, einschließlich der angrenzenden Straßen vor dem Gebäude in seinem Besitz waren und er so einfach mit Hausfriedensbruch und der Polizei drohen konnte. Rufmordanklagen waren auch bei Journalisten ein effektives Druckmittel. Es war draußen sehr kalt geworden und so zog Joey seinen grünen Schal enger. Die dunkle Winterjacke, die er trug, wärmte zum Glück soweit ausreichend, doch die Handschuhe versagten ihren Dienst bei diesem kalten Wind. So vergrub er die Hände tief in den Taschen seiner Jacke und war froh darüber, dass er eine Umhängetasche besaß. Auch der Firmenführer trug nun einen dicken, schwarzen Mantel, der dennoch extrem elegant wirkte und nicht auftrug. Der blaue Schal passte gut zu den gleichfarbigen Handschuhen. Verwundert blickte er sich um, in dieser Gegend war er sehr selten. Das war die Gegend der Innenstadt, in der er für ein paar Handschuhe sein gesamtes Monatsgehalt hinlegen konnte. „Wo wollen wir denn hin?“ Fragte er mit einem Mal und bemerkte, dass der junge Mann in Gedanken versunken war. Der Blick der eisblauen Augen war in sich gekehrt und das Kinn leicht zu Boden geneigt. So verschob er seine Frage lieber und folgte ihm schweigend weiter durch die Straßen.

Kurz drehte er sich um, sah zurück und konnte selbst im Dunkeln die große Glaskuppel erkennen. Mit einem Seufzen vergrub er die Hände tiefer in den Taschen und bemerkte, dass Kaiba stehen geblieben war. Verwundert sahen ihn die kühlen Augen an und Joey lächelte. So sah der 22 Jährige ja wirklich wie ein Mensch aus! „Ich wollte nur wissen, ob man von hier aus noch den Tower sehen kann. Ähm, ich meine dein großes Bürogebäude.“ Der blonde, junge Mann lächelte verlegen, denn es war ihm unangenehm. Doch erstaunlicherweise legte sich ein regelrecht sanftes Lächeln auf die Lippen seines Gegenübers. „Ja, die große Kuppel kann man fast in der ganzen Stadt sehen. Ironischer Weise nicht in dem Viertel, in dem meine Villa steht.“ Nun grinste Joey und holte zu ihm auf. „Wahrscheinlich sollst du Zuhause nicht an die Arbeit denken.“ Neckte er ihn leicht und bekam dafür einen skeptischen Blick. „Zu deiner Frage, wo sich der Italiener befindet: Dort drüben ist er!“ Mit roten Wangen rieb er sich den Nacken und schaute auf. Er hatte ihn also doch gehört.
 

Die Häuserfassaden waren mit großen Schaufenstern ausgefüllt, in denen nur wenige, sehr teure Artikel kunstvoll ausgestellt waren. Die vielen Laternen tauchten alles in ein warmes Licht und überall verteilten sich Sitzbänke und kleine Beete, in denen nun kahle Bäume standen. Das hier war eine ganz andere Welt. Die Stühle kleiner Cafés waren zusammen gestellt und mit glänzenden Ketten gesichert. Gut 300 Meter vor ihnen war eine hell erleuchtete Überdachung zu erkennen, die vorne von zwei eleganten Säulen getragen wurde. Die beiden großen Fenster zeigten gefüllte Tische, an denen Männer und Frauen saßen, deren Kleider schon jedes Jahresgehalt überstiegen, dass Joey bekam. Über dem Eingang prangte hell erleuchtet der Name „la vita“ und der Blonde schluckte. „Wir gehen da hinein?“ Fragte er noch einmal und sah sich verwirrt um. Nein, da befand sich kein anderes Restaurant. „Was dachteste du denn? Wenn ich essen gehe, dann ist es auch etwas hochpreisiger. Keine Sorge, du bist eingeladen.“ Der Blick des 19 Jährigen war vernichtend und doch konnte Seto nur darüber lachen. „Denk lieber an unsere Wette. Wir haben es jetzt 19:59 Uhr, sie haben also noch 31 Minuten.“ Ok, das war ein gutes Argument!

So würdevoll er konnte, betrat er den Eingang und sah sich möglichst unauffällig um. Der große Innenraum war nur mit wenigen Tischen ausgestattet und diese wurden durch geschickt aufgestellte Pflanzen und Säulen voneinander abgeschirmt. Alles war in sanften Farben, zartem Organge, Rot und Braun gehalten. Es wirkte wirklich so, als wären sie nicht mehr in Japan. Hinter dem Eingang befand sich ein kleines Stehpult, welches verwundert von Joey gemustert wurde. Kaum hatte er dieses betrachtet und sich die Frage gestellt, weswegen es hier stand, als schon ein Mann im schwarzen Anzug an dieses heran trat und sich leicht verbeugte. „Guten Abend, Mr. Kaiba. Sie hatten einen Tisch für vier Personen bestellt, nicht wahr?“ Nur kurz fiel der Blick des Mannes auf Joeys verwirrtes Gesicht und einen Moment später trat noch ein junger Mann hinzu, anscheinend ein Kellner. „Wenn sie gestatten, kümmern wir uns um ihre Garderobe.“ Sagte der Keller, der nicht älter als Joey erschien. Kaum waren sie ihre Jacken los, verbeugte sich der ältere Mann und deutete zur rechten Seite. „Wenn sie mir bitte folgen würden.“ Bat er in routiniertem Ton und Seto setzte sich schon in Bewegung. Mit klopfendem Herzen folgte Joey ihnen und versuchte genau zu beobachten. Er wollte nichts falsch machen und hier spielte man offensichtlich nach anderen Regeln. Er war noch nie in einem Restaurant gewesen, in dem man ihm die Jacke abnahm.
 

Während sie durch den großen Raum geführt wurden, trat ein anderer Mann auf sie zu. Er hatte sich erhoben, als er den Firmenführer erkannte. Freudig streckte er ihm die Hand entgegen und unter dem grauen Schnauzer hoben sich die Mundwinkel zu einem Lachen. „Guten Abend, Mr. Kaiba.“ Begrüßte dieser ihn und der Brünette ergriff seine Hand. Kurz tauschten die beiden ein paar Worte, sie wirkten eher wie Floskeln und dann verabschiedete sich der Mann auch schon wieder. Er steuerte auf einen Tisch zu, an dem eine Dame mittleren Alters saß. Sie hatte die welligen Haare mit einer Spange zusammen genommen und ihren Hals mit hellen Perlen geschmückt. Sie passten gut zu ihrem dezenten, schwarzen Kleid, das selbst im Sitzen ihre Figur betonte, aber nicht eitel wirkte. Sie hob kurz ihr Glas und nickte ihnen zu.

Kaum saßen sie am Tisch, spürte Joey den musternden Blick auf sich und sah in die eisblauen Augen. „Geschäfte werden nicht nur an Verhandlungstischen geführt. Viele Entscheidungen werden bei einem guten Essen ausdiskutiert und entschieden. Dabei wird diese Welt von Gefälligkeiten und Floskeln bestimmt. Derjenige, der auf den anderen zugeht, ist derjenige, der die Geste ausspielt. Er bietet sich mir an, versucht mir zu schmeicheln, indem er das Essen mit seiner Frau unterbricht um mich zu begrüßen. Dir als Sekretär wird dabei keine Aufmerksamkeit zuteil, außer ich bin so gnädig und beziehe dich mit ein, indem ich dich vorstelle. Dann steht er in der Pflicht, dass er dir bei jeder Begegnung eine gewisse Aufmerksamkeit schuldig ist.“ Verwirrt lauschte der Blonde diesen Erklärungen. „Und für seine Frau gilt das selbe?“ Fragte er interessiert und versuchte möglichst unauffällig zu dem Tisch hinüber zu sehen. „Nein, der Kerl ist nur unhöflich. Normalerweise werden Frauen vorgestellt und ich hätte ihr der Höflichkeit gebietend das eine oder andere Kompliment gemacht, ihr kurz erzählt, wie gut ich doch mit ihrem Mann zusammen arbeite und ihnen einen schönen Abend gewünscht. Dieser Kerl ist nur ein Trottel, darum tut er es nicht.“ Mit einem in die Höhe ziehen der Augenbrauen dachte Joey nach. „Aber du magst ihn doch nicht. Also lügst du seine Frau einfach an?“
 

Er bekam gerade noch ein Nicken als Antwort, als der ältere Herr vom Empfang wieder zurück kehrte. Er wurde von dem jungen Kellner begleitet, der einen großen Präsentkorb in Händen hielt. Als Seto seine eisblauen Augen auf ihn richtete, verbeugte sich dieser noch einmal. „Mr. Kaiba, wir möchten ihnen mit größter Freude nachträglich zu ihrem Geburtstag gratulieren und ihnen als kleines Geschenk diesen Präsentkorb überreichen. Wir haben uns erlaubt neben einigen Spezialitäten des Hauses den von ihnen so geschätzten Bordeaux hinzu zugeben.“ Der junge Mann trat näher, ließ den Firmenführer einen Blick in den Korb werfen und mit ruhiger Stimme sprach der Empfangschef erneut. „Möchten sie das Präsent hier an ihrem Tisch behalten oder sollen wir es für sie verwahren?“ Mit einem Nicken bat der Brünette um die Verwahrung und orderte schon einmal den Aperitif.

Kaum waren die beiden verschwunden, platze es aus Joey heraus. „Wann hattest du denn Geburtstag?“ Mit einem verlegenen Blick wurde er wieder ruhiger und wartete mit großen Augen. „Am Freitag wurde ich 22 Jahre alt.“ Wie es bei dem Blonden zu rattern begann, konnte er deutlich sehen. Als dieser dann nachfragte, ob der letzte Freitag gemeint war, der Freitag, an dem er von ihm aufgesammelt worden war, konnte er sich ein leises Lachen nicht verkneifen. „Doch ja, genau an diesem Freitag. Ich mag Geburtstage nicht sonderlich, darum habe ich ihn auch nicht gefeiert.“ Nun musste er Joey dennoch erklären, was es damit auf sich hatte. So erzählte er diesem, dass er kurz am Morgen mit seinem Bruder gesprochen hatte und dieser ihm ein kleines Geschenk überreichte. Dass war auch schon alles, was er an Feierlichkeiten wollte. Er hatte sogar seinem Personal verboten darüber zu sprechen. Doch mehr gab er zu diesem Thema nicht preis und bevor der Neugierige weiter fragen konnte, wurde ihnen schon der Aperitif gebracht. Für Joey war das eine neue Welt und so war er sehr froh, dass Seto heute so gesprächig war und ihm so viel erklärte. Da er auch schon eine Zeit in der Gastronomie gearbeitet hatte, kannte er wenigstens das Prinzip, das hinter den vielen Gabeln, Messern und Löffel auf dem Tisch stand.
 

Erst, als es mit einem Mal toten still im Raum wurde, sahen die beiden Männer auf. Mokuba und Serenity waren sich vor der Tür begegnet und so reichte der junge Mann ihr den Arm. Sie hatte ihre langen Haare hoch gesteckt und trug ein schwarzes Kleid mit roten Dekorbändern. Es war auf der linken Seite Schulterfrei, fiel in weichen Stoffwogen von rechts sanft über drei Ebenen nach links hinüber und reichte vorne nur bis zu den Knien. Die dunkelroten Bänder waren geschickt unter den Säumen angebracht und dazu trug sie ebenso rote Ohrringe aus Perlen. Aus den gleichem Dekorbändern hatte sie einen Hals- und Armschmuck hergestellt, der ebenso mit roten Perlen versehen war. Sie war mit ihren elegante Schritten, der schlanken Figur und dem verzaubernden Augenaufschlag die schönste Frau im ganzen Raum. Ohne es zu bemerken waren Joey und Seto aufgestanden. So hatte er seine Schwester noch nie gesehenen! Allerdings wusste er auch nicht, dass sie ein solches Kleid besaß.

„Mokuba, du hast soeben die schönste Frau Dominos in diese Wände gebracht.“ Mit diesen Worten deutete er eine Verbeugung an und erhielt ein unglaublich hinreisendes Lächeln. „Gib dir keine Mühe, wenn mich Joey nicht gebeten hätte, wäre ich niemals gekommen!“ Erstaunt sah Mokuba zu der jungen Frau an seiner Seite und der Brünette schien einen Eimer eisigen Wassers zu spüren bekommen zu haben. „Gut, dann lassen wir die Begrüßung eben weg.“ Meinte der Brünette leicht angefahren. Sie hingegen umarmt Joey, gab ihm einen Kuss auf die Wange, um die Ablehnung dem Firmenführer gegenüber noch deutlicher zu zeigen. „Darf ich wenigstens fragen, wo du…“ Einen Moment abwarten wendete sie sich ihm zu, ihre braunen Augen blickten ihn dabei so herausfordernd an, dass er den Satz abbrach. „Dieser Designer ist leider zu teuer für dich.“ Hauchte sie ihm schon beinahe mit anrüchiger Stimme zu. Die schlanke Augenbraue wanderte fragend in die Höhe, als sie nun alle am Tisch Platz genommen hatten. „Wenn du ganz lieb fragst, entwerfen ich dir für deine Beerdigung einen Anzug und nähe ihn! Darüber verhandle ich natürlich mit dir.“ Dabei schenkte sie ihm wieder dieses unglaubliche Lächeln und einen Augenaufschlag, dass es einem Mann den Atem raubte.

„Das Kleid hast du selbst entworfen?“ Fragte nun Joey nach und sie nickte begeistert. „Das ist das Kleid, von dem ich dir erzählt habe. Ich sollte in der Schule doch eines nähen und damit bin ich letzte Woche fertig geworden.“ Mokuba konnte sich sein Grinsen nicht verkneifen, als er den Gesichtsausdruck seines Bruders sah. „Ihr seid wirklich miteinander verwandt? Du solltest deinem Bruder etwas von deiner Schlagfertigkeit abgeben.“
 

Das Essen entwickelte sich deutlich besser, als irgendeiner der Anwesenden gedacht hätte. Serenitys Wissen war erstaunlich und sie schaffte es mit ihrer provokanten Art sogar andere Seiten des Firmenführer zu Tage zu bringen. Sie sprachen vielen über Amerika und Reiseziele in Europa, die keiner von ihnen schon einmal gesehen hatte. Die Vorspeise schaffte die perfekte Ablenkung und da Patrik im richtigen Augenblick eine SMS schrieb, fiel es nicht einmal auf, als Seto das Handy zog. Mit einem heimliche Grinsen hatte er das Photo geschossen, als der dritte Gang serviert wurde. Auf den tadelnden Blick der jungen Dame hin sagte er lächelnd, dass er das Telefon auch nicht mehr verwenden würde. Er hatte, was er wollte. Nun, um ein klein wenig ärmer, weil die beiden Jüngeren pünktlich erschienen waren, aber damit konnte er leben.

Mit einem Lachen erzählte Mokuba von seiner letzten Klassenfahrt und Joey ärgerte den Brünetten damit, dass dieser ja nie bei irgendwelchen Ausflügen dabei gewesen war. Während des Nachtisches erzählte der Schreinerlehrling dann von seiner Arbeit und der Abend neigte sich langsam dem Ende zu. „Oh, bevor ich das vergesse, du solltest übrigens mit deiner Schwester deine Englischkenntnisse aufbessern. Im Vergleich zu dir spricht sie sehr gut und am 10. November fahren wir drei Tage nach Dubai.“ Die Überraschung stand deutlich in den Gesichtern von Mokuba und Serenity, nur Joey schien die Aussage nicht zu verstehen. „Mein Sekretär ist auf solchen Reisen immer mit dabei und das ist jetzt Joey. Also, vielleicht sollte er da noch ein wenig üben.“

Verwirrt sah sich der Blonde um, begann seine Serviette zu knicken. „Anscheinend bin ich hier der einzige, der keine Ahnung hat. Aber wo liegt Dubai? Ist das weit weg?“ Nun war es der Brünette, der sprachlos erschien. Kurz blinzelte er. „Du weißt wirklich nicht, wo Dubai liegt?“
 

Erstaunt sahen die eisblauen Augen ihn an und er blinzelte noch einmal. „Ja, ähm… ja, Dubai liegt sehr weit weg. Du bist doch in Amerika gewesen, um deine Schwester abzuholen?“ Auf das folgende Nicken hin sprach er weiter. „Du bist ca. 11 Stunden mit dem Flugzeug unterwegs, kommt darauf an, wo du hin willst. Gehen wir einmal von New York aus. Wenn du vom großen Flughafen Tokio-Narita fliegst, dauert ein normaler Linienflug neun ein halb Stunden. Dubai liegt in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Arabisch und Englisch sind die meist gesprochenen Sprachen in diesem Land.“

Nun konnte er auch das sich langsam ausbreitende Entsetzen in den Augen des jungen Mannes erkennen. „Also… also liegt es weit weg… in einem ganz anderen Land…“ Stotterte er und schluckte lautlos. Wie ein ironischer Wink des Schicksals erinnerte er sich an sein Versprechen, daran, dass er sich nicht unterkriegen lassen wollte und annehmen, was da kam. Aber das war vielleicht ein klein wenig viel!

Auch die beiden anderen sahen Seto dezent entsetzt an, doch dieser zuckte nur mit den Schultern. „Ich habe bisher nicht daran gedacht. Ich hätte es ja früher gesagt, aber es fiel mir einfach nicht eher ein!“ Gab er ehrlich zu und zuckte mit den Schultern. Noch immer war der blonde Mann ihm gegenüber schockiert und schien nach und nach das volle Ausmaß dieser Mitteilung zu begreifen. „Und ja, ich bestehe darauf, dass du mitkommst.“ Meinte er nun und die honigbraunen Augen sahen zu ihm auf. Bedächtig trat da ein Schein in diesen Blick, den der Brünette nicht erwartet hatte. Es war eine Art Glanz, als begann ein kleines Feuer zu flackern, dem jedoch noch von der Angst der Sauerstoff abgeschnitten wurde. Doch mit jedem Herzschlag schien die Freude, ja, die Begeisterung in ihm größer zu werden. „Ok…“ War das erste Wort, das er hervor bringen konnte. „Ok, dann fahren wir nach Dubai!“
 

Seto hatte die Bezahlung übernommen, verließ kurz den Tisch und Serenity und Mokuba sprachen auf den neuerkorenen Sekretär ein. Doch Joey blieb realistisch. Er machte deutlich, dass er so oder so keine Wahl hatte und das Beste, was er tun konnte, war mit Ruhe in diese Situation zu gehen und so viel Englisch zu lernen, wie er konnte. Obwohl ihm siedend heiß die Wette mit dem Firmenführer einfiel, konnte er diesen Gedanken gut verbergen.

„Ach ja, das geht auch noch an dich.“ Meinte der Blauäugige mit einem kühlen Lächeln und überreicht ihm einen weißen Briefumschlag. Verwundert sahen ihn die beiden Jüngeren an. „Oh, ich hatte nur mit Joey gewettet.“ Sein Lächeln wurde etwas breiter, als er einen tadelnden Blick von der jungen Frau erhielt. „Ich weiß, du magst es nicht, wenn ich mit deinem Bruder wette. Es ging nur darum, dass ich der Meinung war, dass er es niemals schafft, dass ihr beiden heute Abend zum Essen kommt.“ Mit diesen Worten deutete er durch den Eingang auf die Straße. „Ich war so frei und habe euch ein Taxi bestellt.“
 

Als auch Mokuba seinen Mantel angezogen hatte, bemerkte Seto dessen Verlegenheit. „Du, also, ich wollte heute Abend nicht mit dir nach Hause.“ Begann er und trat durch die Tür, die ihm sein Bruder offen hielt. Für einen Moment überlegte der Brünette und fragte dann ruhig. „Unter der Woche? Du hast Morgen wieder Schule.“ Die dunkelblauen Augen sahen ihn nun noch verlegener an und ein leichter, roter Schimmer legte sich auf die Wangen. „Ja, das weiß ich, aber ich muss morgen erst zur dritten Stunde da sein und es ist auch gar nicht so weit weg von hier.“ Er wusste, dass Seto nicht einfach locker lassen würde und damit hatte er auch Recht. „Und du hast bei deinem Freund auch etwas zum Umziehen? Du kommst doch heute Nacht sicher nicht wieder.“ Fragte dieser skeptisch setzte noch nach, ob sie dann nicht ein Stück zu Fuß gehen wollten. Eine gewisse Resignation breitete sich in dem 17 Jährigen aus und er nickte. Mit einer einfachen Handbewegung deutete er die Straße entlang und setzte sich in Bewegung. Vielleicht war das jetzt aber auch die Möglichkeit, etwas anderes anzusprechen. „Hör Mal, Seto, ich finde es nicht gut, dass du Joey immer so ärgerst. Ich mag ihn wirklich und er hat mir schon oft geholfen. Wenn ihr in Dubai seid, dann… dann sei bitte nett zu ihm, ja?“ Mit einem möglichst bettelnden Blick sah er zu seinem Bruder auf, der nun neben ihm ging. Die Limousine verfolgte sie langsam, ihr Atem gefror in der kalten Luft zu kleinen Wolken. Die Straßen waren leer, hier fuhren nur noch vereinzelte Wagen, doch sonst war niemand mehr unterwegs. Verwundert hob sich die rechte Augenbraue und er nickte nach einer Weile des Schweigens. „Na gut, ich werde es versuchen. Ich habe, um ehrlich zu sein, auch mit einer anderen Reaktion gerechnet. Vor einigen Jahren wäre er völlig durchgedreht, wenn du weißt, was ich meine.“ Der junge Mann neben ihm nickte und meinte dann freundlich. „Auch er hat sich weiter entwickelt.“
 

Doch dieses kleine Ablenkungsmanöver half nicht sehr lange. „Mokuba, ich weiß, dass wir uns nicht mehr viel erzählen und ich habe den Abend heute wirklich genossen. Wo gehst du jetzt noch hin? Doch sicher nicht zu einem einfachen Freund oder?“ Er blieb stehen und sah seinen kleinen Bruder an, der den violetten Schal höher zog. Er hatte ihn bis hinauf zur Nase geschoben und starrte in das Fenster neben ihnen. Es war eine große Auslage an Hüten, die mit passenden Pelzhandschuhen und Anstecknadeln für Damen dekoriert war. Hier gab es nichts unter 20.000 Yen. „Ja,… ja… du hast Recht…“ Brummte er in seinen Schal und starrte weiter auf einen dunkelroten Hut, der mit langen Federn besetzt war. „Es ist eine Freundin.“ Die eisblauen Augen wirkten verwundert und der Brünette stellte sich einfach neben ihn, musterte auch die Auslage im Schaufenster. „Wenn du bei diesem Mädchen sogar Umziehsachen für Morgen früh hast, dann bist du nicht das erste Mal bei ihr, nicht wahr?“ Über die Spiegelung in der Scheibe konnte er den Jüngeren nicken sehen. „Weiß sie, dass du sie magst?“ Wieder kam ein Nicken und Mokuba musste sich räuspern. „Ich… ähm… also… wir sind zusammen!“ Platze er dann schnell heraus und zog den Kopf wieder zwischen die Schultern, vergrub die Hände tief in den Taschen.

Nun war der Firmenführer für einen Moment sprachlos. Es dauerte, bis er seine Fassung zurück gewann und fragte dann vorsichtig. „Jedes Mal, wenn du mir geschrieben hast, dass du bei einem Freund warst, hast du sie besucht oder?“ Schweigend nickte der Schwarzhaarige, doch selbst seine Ohren glühten rot vor Verlegenheit. Innerlich zerfraß Seto die Neugierde. Er wollte seinen kleinen Bruder so vieles fragen, doch etwas hielt ihn auf. Warum hatte Mokuba ihm nie erzählt, dass er eine Freundin hatte? „Fast ein Jahr.“ Klang es mit einem Mal leise in seinen Ohren und er blickte zu seinem Bruder hinunter. Ok, ja, das war verdammt lange! „Magst du sie mir irgendwann vorstellen, deine namenlose Freundin?“ Seine Hände zitterten ein wenig, sein ganzer Körper war angespannt. Da hatte sein kleiner Bruder eine feste Freundin mit der er wahrscheinlich auch noch… noch… ein Bett teilte! Warte, sein Bruder hatte Sex? … … Bei allen Göttern! … Oh Hilfe, ja… für alle Gespräche zu diesem Thema war es dann wohl zu spät!
 

Das Entsetzen musste auf seinem Gesicht gestanden haben, denn Mokuba zog seinen Schal herunter und haspelte. „Keine Sorge, ich weiß, wie das geht und nein, wir beide sorgen dafür, dass du kein Onkel wirst!“ Dabei bebte die junge Stimme und die Peinlichkeit stand ihm im Gesicht. Seto hob nur die Hände und sagte lieber rein gar nichts. Anscheinend waren seine Gedanken ja ablesbar. „Und… und was das andere angeht… also, ja, aber… ich… ich glaube, dass du sie nicht magst. Also, nicht wegen ihr, eher wegen ihres Vaters. Er… er weiß auch nichts davon.“ Für einen schrecklich langen Moment schauten ihn diese eisig blauen Augen nur an und das blasse Gesicht schien zu keiner Regung fähig. Dann jedoch huschte ein kleines, kaum erkennbares Lächeln über die schmalen Lippen. „Danke.“ Irritiert und perplex starrte Mokuba seinen Bruder an. „Danke, dass du so ehrlich zu mir bist.“ Dass auch Seto an seiner Fassung arbeiten musste, konnte der Kleinere sehen. „Ich halte dich auch nicht länger auf. Geh schon zu ihr! Du bist ja keine 12 Jahre mehr alt!“

Ebenso überraschend kam die nächste Reaktion. Mokuba nahm ihn einfach in den Arm, drückte sein Gesicht an die breite Schulter seines Bruders und flüsterte ebenfalls seinen Dank. „Ich weiß, dass etwas mit uns nicht stimmt, auch wenn ich nicht weiß, was es ist. Aber ich bin froh, wenn wir uns wenigstens wieder ein bisschen annähern. Ich werde dich also ab Morgen jedes Mal löchern, um heraus zu finden wer deine Freundin ist und alles dafür in Bewegung setzen und du wirst sie mir hoffentlich irgendwann vorstellen und bis dahin jedes Mal lachend nein sagen, wenn ich wieder frage. Ist das ein Deal?“ Die dunkelblauen Augen sahen über einem breiten Grinsen zu ihm auf. „Ja, aber nur, wenn du gelegentliches anschreien erträgst, weil du mir wahrscheinlich schrecklich auf die Nerven gehen wirst.“ Neckte Mokuba und setzet danach noch an. „Und ich sage dir in Zukunft auch, wenn ich zu ihr gehe.“
 

Als er die Straße entlang lief, spürte er trotz des kalten Windes noch immer den warmen Kuss auf seiner Stirn. Wann hatte Seto ihn das letzte Mal auf die Stirn geküsst? Wann hatten sie überhaupt einmal einen solchen Abend wie den heutigen verbracht? Eine innere Wärme breitete sich in ihm aus und eine ungewohnte Ruhe. Vielleicht sollten sie doch öfter mit Serenity und Joey essen gehen.
 

„Na, wie lange weißt du schon von seiner Freundin, Roland?“ Der Fahrer zuckte bei diesen Worten zusammen und räusperte sich verlegen, während der Brünette einstieg. Das war ein wirklich guter Abend! Er hatte das Photo gegen Joey in der Hand und… er kannte das kleine Geheimnis seines Bruders. Er hatte wirklich eine feste Freundin! Das war wirklich ein schöner Abend!

Verhaltensweisen

Kapitel 15

Verhaltensweisen
 

Es war seltsam, ganz gleich, wie sehr ich auch auf ihm herum hackte, er ließ sich nicht unterkriegen. Dass er keine Ahnung hatte, wie er nach dem zweiten Teil der Wette fragen sollte, war offensichtlich. Diese Frage stand am Mittwoch Morgen so deutlich in seinen braunen Augen, dass ich mir kaum das Lachen verkneifen konnte. Doch trotz meiner Rüge am Vortag kam er pünktlich um 10:30 Uhr mit einem Teller in mein Büro und blickte mich mit einem unerwartet gnadenlosem Blick an. Er stellte den Teller auf meinen Schreibtisch und sagte dabei doch kein einziges Wort. Ich war mir mittlerweile einer anderen Vermutung sicher. Der unterernährte Zustand des Blonden rührte sehr wahrscheinlich aus finanziellen Sorgen her, er ließ seiner Schwester den Vortritt und hielt sich beim Essen zurück. Einen ausgewachsenen Wheeler durchzufüttern war kostspielig und so wie ich das aus dem Gespräch mit seiner Schwester verstanden hatte, war ihre Haupteinnahmequelle das winzige Ausbildungsgehalt, dass Joey bekam. Vielleicht lag es daran, dass es für mich der beste Weg zur Verteidigung meines Stolzes war, aber ich ging mit ihm einen Deal ein. Ich aß nur, wenn er es auch tat. Die Verwirrung in seinen Augen war herrlich, doch er willigte ohne eine weitere Frage ein. Ich würde ihn so oder so nicht davon abhalten können mir ständig etwas zu essen auf den Tisch zu stellen und ich wusste, dass es für meinen Körper besser war. Dennoch blieb es ein seltsames Gefühl.

Sein unkonventionelles Denken stellte sich als humorvolle Herausforderung dar. Seine Idee, mein Smartphone mit seinem Kalender zu vernetzen, war ohne Frage eine große Hilfe, brachte aber auch Schwierigkeiten mit sich. Ich musste eine einseitig eingeschränkte Zugriffsberechtigung entwerfen, mit der mein Smartphone regelmäßig auf seinen Computer Zugriff hatte, aber dieser nicht auf mein Gerät. Es gab zu viele, kleine Geheimnisse, die ich nicht mit der Welt, nun, mit niemandem teilen wollte. Eine solche Verbindung konnte einem Hacker als Zugang dienen, also musste ich vorsorgen.
 

Auch einige andere Ideen, die er nur kleinlaut vorzutragen wagte, machten einiges leichter. Er hatte unteranderem eine gesonderte Ablage geschaffen, die extra für alle Unterlagen gedacht war, die ich im Vorbeigehen auf seinem Tisch loswurde. So sah er immer gleich, was sich dort ansammelte und meistens größte Wichtigkeit hatte. Die per Hand geschriebenen Beschriftungen waren zu komisch. „Wirklich wichtig“, „Buchhaltung“, „Termine“ und „Jonathan Smith“ wären für mich keine denkbaren Kategorien, nach denen ich sortieren könnte. Aber das musste ich ja nicht, es waren seine Probleme, die er sich damit schaffte und ich hatte etwas, womit ich ihn verhöhnen konnte.

Nach dem Ausgang der Wette traute er sich nicht zu fragen und ich wusste, dass ich ein gutes Photo in der Hinterhand hatte. So konnte ich mich auf all die kleinen, anderen Demütigungen konzentrieren, die ich ihm den lieben langen Tag in den Weg warf. Zu meiner Überraschung zuckt er zwar immer noch bei jedem scharfen Räuspern zusammen, wirkt immer noch panisch bei meinen herablassenden Blicken, aber er bleibt standhaft. Er kommt immer wieder und erfüllt die Aufgaben, die ich ihm gebe, so gut er eben kann. Obwohl ich seine Angst immer wieder sehen kann, lässt er sich nicht davon unterkriegen und stellt sich mir in den Weg. Dass er nicht wie die anderen Sekretäre ist, war mir ja klar aber… ich habe heute Vormittag wirklich schon auf dieses verfluchte „Frühstück“ gewartet! So langsam scheint sich eine Art Hunger einzustellen, als würde ich mich wirklich darüber freuen! Unglaublich, wir haben immerhin erst Freitag, wie kann es da schon zu einer Gewohnheit geworden sein?
 

Und nicht nur das! Ich kenne die unterschiedlichsten Arten von Menschen, doch so etwas ist mir bisher noch nie untergekommen. Es gibt die Menschen, die vor dir im Staub kriechen und die, die im Staub kriechen und hoffen, dir irgendwann einen Dolch in den Rücken zu stoßen! Wie lächerlich! Es gibt die Menschen, die glauben, dass sie etwas Besseres wären und dir heimlich den Dolch in den Rücken stoßen wollen oder die, die lieber offensichtlich die Kehle ihres Gegners durchschneiden. Dann gibt es noch die unverbesserlichen Guten, die einfach nur gut sind. Yugi ist die Perfektion dieser Sorte Mensch. Aber zu keiner von ihnen gehört dieser Köter. Er ist anders, gänzlich anders! Er landet immer wieder auf dem Boden, er kriecht immer wieder im Staub und steht doch wieder auf. Es scheint ihm gleich zu sein, wie viel Angst er hat, immer und immer wieder stellt er sich mir in den Weg und… und er scheint dabei nett sein zu wollen! Warum sonst sollte er sich Gedanken über mein Essen machen? Ich kenne nur eine Art, die ein solches Verhalten an den Tag legt. Nur eine Rasse kann man prügeln und sie lieben einen immer noch abgöttisch: Hunde!

Ja, vielleicht passt das am Besten! Er ist wie ein Hund, ein kleiner, schwanzwedelnder Hund, der alle mit seinen honigbraunen Augen um den Finger wickelt. Heute Vormittag wurde doch wirklich gelacht! Ich dachte schon, dass ich träume, als ich eine Frau vor meinem Büro lachen hörte. Aber nein, das war mein Büro, da saß wirklich dieser blonde Köter an seinem Platz und eine junge, schwarzhaarige Frau stand kichernd vor dem Schreibtisch. Ich musste blinzeln, rieb mir die Augen, aber sie war wirklich da! Ich wusste nicht einmal, dass sie bei mir arbeitet. Doch der Höhepunkt war die Aussage dieses Mannes. Da meint er doch ernsthaft, dass es nur eine umweltschonende, Effizienz basierte Arbeitsteilung zur Zeitersparnis wäre. Die junge Dame käme aus der Buchhaltung und hätte ihm etwas gebracht.
 

Aber sie ist nicht die einzige. Da tauchen immer mehr Menschen auf, die ich noch nie zuvor gesehen habe! Dieser Köter ist wie ein Magnet, der sie alle anzieht! Anscheinend habe ich jetzt einen extra Bringdienst aus der Kantine, denn einer der Küchenjungen flirtet so offensichtlich mit ihm, dass nicht mal Taubblinde das übersehen können.

Wirklich überrascht hat mich allerdings noch etwas anderes. Ich dachte ja, dass ihn die Nachricht mit Dubai komplett aus der Bahn werfen würde, aber offensichtlich tut es das nicht. Da stand er doch heute wirklich im Personalbereich, kochte meinen Kaffee und war in ein Buch vertieft. Ein Englischbuch! Ein Schulbuch! Der Kerl hatte nicht einmal in der Schule gelernt, kam kaum einmal pünktlich und nun murmelte er mit der Nase im Buch versunken englische Sätze? War das wirklich der Kerl, den ich vor einer Woche auf der Straße aufgelesen hatte?
 

Noch immer war er in Gedanken versunken, als Seto bemerkte, dass sein Kaffee leer war. Mit einem Seufzen drehte er sich mit samt Stuhl wieder zu seinem Schreibtisch herum und stellte den Becher ab. Wheeler, das Mysterium! Mit diesem abscheulichen Gedanken griff der Brünette nach seinem Telefon und öffnete den Kalender. Es war zu einer Angewohnheit geworden, die ihm schon gar nicht mehr auffiel. Er musste den Kalender noch ein wenig anpassen, aber sonst gefiel ihm diese Funktion unglaublich gut. Für den heutigen Abend war nur noch ein telefonischer Termin eingetragen. Er hatte noch eine gute halbe Stunde, bis dieser anlag und dann konnte er an sich auch nach Hause. Draußen war es schon dunkel und die Kälte hatte einen leichten Raureif über die Straßen gelegt. Mit dem Finger strich er über den Bildschirm und blätterte den nächsten Tag auf. Samstag. Verwundert verengten sich die eisblauen Augen und starrten auf den komplett gefüllten Tag. Von Mitternacht bis Mitternacht waren Termine eingetragen. Aber was für Termine!

In einem sanften Hellblau hinterlegt stand bis 10 Uhr „Ausschlafen“ im Kalender und wurde von einem leichten Orange bis 11 Uhr „Frühstücken“ abgelöst. Daraufhin folgte der Termin „Lesen“ mit dem Kommentar „Dracula - Bram Stoker“ als Empfehlung und wurde dann ab 13 Uhr von „Mittagessen“ abgelöst. Es folgte eine „Mittagspause, in der „Weiterlesen“, „Schlafen“ „Spazieren gehen“ im Kommentar vermerkt waren und mit einem „Gemeinschaftsspiele“ Vermerk von 15 Uhr bis 18 Uhr endete. Dazu gab es die Empfehlung lieber Spiele wie Kniffel oder Uno zu nehmen, bei denen die drei sich nicht so streiten konnten. Das Abendessen und eine Filmempfehlung ab 20:15 Uhr ließen den Abend ausklingen.
 

Gänzlich irritiert und völlig perplex strich er noch einmal über den Bildschirm, um nach dem Sonntag zu sehen. Er war ähnlich aufgebaut, nur dass nach dem Mittagessen ein Zoobesuch bis zum Abend eingetragen war.

Wie lange er dort saß und auf den kleinen Bildschirm in seiner Hand starrte, konnte er nicht sagen. Was, bei allen verfluchten Göttern hatte sich dieser Vollidiot da ausgedacht? Langsam schob Seto den Stuhl zurück, schloss kurz die Augen und atmete tief ein und aus. Gut, jetzt war es das! Wenn der Kerl keine gute, wirklich gute Erklärung dafür hatte, dann durfte er ab jetzt im Keller die Fließen mit einer Zahnbürste putzen! Bis letzte Woche hatte er noch ein geschäftliches Treffen Morgen von 14 bis 18 Uhr! Zwischen aufgebrachter Wut und völligem Entsetzen durchschritt er sein Büro, griff nach der Tür und die kräftigen Lungen füllten sich mit Luft. „Wheeler!“ Brüllte er ohne zu zögern durch das gesamte Büro und starrte totbringend auf den Mann, der dort erschrocken zusammen gezuckt war. Als sich die honigbraunen Augen zu ihm wendeten, war da wieder dieser Ausdruck von Angst und doch auch von Starrsinn. Mit allem verbliebenen Selbstvertrauen setzte sich Joey an seinem Schreibtisch wieder auf, legte den Stift aus der Hand und versuchte zu lächeln. „Um… um was geht es denn, Mr. Kaiba?“ Fragte er und die Mundwinkel zitterten ebenso wie seine Hände.

Nur schwer unterdrückte er den Drang nach dem Blondschopf zu greifen und ihn quer über den Tisch zu ziehen. „Es geht um die Termine am Wochenende!“ Zischte er mit eisiger Stimme, trat langsam näher und der junge Mann sah deutlich, wie alle Muskeln unter dem dunkelblauen Pullover angespannt waren. Die Hände hatte der Brünette zu Fäusten geballt und ein leichtes, von Zorn geschürtes Zittern hatte den sehnigen Körper ergriffen.
 

„Oh, gut dass sie mich daran erinnern. Ich wollte ihnen da noch etwas… etwas geben.“ Seine Stimme besaß nicht die Fülle, die sie sonst hatte. Die panische Angst zeichnete sie und doch schlossen sich seine Finger sicher um den Griff einer Schublade. Er zog sie so weit aus dem Schreibtisch bis er ein kleines Paket daraus hervor holen konnte. „Ich war mir nicht sicher, ob... ob sie es haben. Daher habe ich es schon einmal besorgt. Es… es soll in Englisch deutlich besser zu lesen sein.“ Die braunen Augen sahen zu Seto auf, als er ihm das kleine Päckchen entgegen reichte. Das, was der Brünette in diesem Blick erkennen konnte, verstand er nicht. Es schien eine seltsame Art von Stolz zu sein und gleichzeitig etwas Wissendes. Wütend zog er das Päckchen aus Joeys Händen und öffnete es. Unter dem hellbraunen Papier kam ein schicker, schwarzer Einband zum Vorschein, auf dem mit goldenen Buchstaben Dracula stand. „Der… der Termin Morgen ist mit Absprache der anderen Teilnehmer auf nächsten Freitag verlegt worden. Anscheinend gab es ein paar falsche Kalkulationen, die noch einmal nachbearbeitet werden müssen und… und darum passte es deutlich besser den… den Termin Morgen umzulegen!“ Er bemerkte selbst, wie er immer schneller gesprochen hatte und schnell zog er noch eine durchsichtige Mappe aus der Schublade. Er reichte sie mit zitternden Händen dem nun völlig verständnislos drein blickenden Mann. „Mokuba will schon seit zwei Jahren in den Tierpark Ueno in Tokyo. Ich habe auch alle… alle Verbindungen mit dem Shinkansen herausgesucht und ausgedruckt, alle Preise aufgeschrieben und alles andere notwendige!“ Er hielt kurz inne und spürte, wie sein Herz langsam schmerzte, weil es so stark und hart in seiner Brust schlug. „Ich weiß, dass du mich für einen Vollidioten hältst und mir dafür den Kopf abreißen möchtest! Aber du kommst jeden Morgen um 7 Uhr hier her und gehst erst spät abends wieder. Selbst am Wochenende arbeitest du, kontrollierst und telefonierst du! Irgendwann brauchst auch du einmal Pause und wenn man dich dazu nicht zwingt, dann machst du das nie!“ Er senkte die Stimme und den Blick. „Ich weiß, wie sehr du an deinem Bruder hängst und ihr zwei zankt euch nur, seht euch kaum noch. Mokuba will immer noch gerne mit dir da hin, auch wenn er es dir niemals sagen würde. Geh einfach mit ihm hin, verbring einfach wieder einmal Zeit mit ihm.“
 

In der linken Hand hielt er das Buch und in der rechten die durchsichtige Mappe, in der ganz oben ein Flyer des Zoos lag. Joey saß da wie ein geprügelter Hund, er hatte alles gegeben, seinen gesamten Mut zusammen gekratzt, gesagt, was er sagen konnte und nun wartete er auf sein Todesurteil. Etwas in ihm wollte am liebsten ausholen und dem Kerl eine scheuern! Was fiel diesem elenden Köter eigentlich ein? Was dachte sich dieser dumme Kerl? Dachte er überhaupt? Seto legte das Buch auf den Tisch und die Mappe darüber und nur einen Herzschlag später vergruben sich seine Finger im Stoff des weißen Hemdes. Er zog Joey in die Höhe und knurrte dabei grausam. „Sieh mich gefälligst an!“ Zischte er und die honigbraunen Augen waren vor Angst geweitet, während der Stuhl nach hinten überfiel. Wie schon am Mittwoch war Yuriko gegangen und sie waren allein. „Du glaubst allen Ernstes, dass du dich einfach so in mein Leben einmischen kannst?“ Doch der junge Mann biss sich nur auf die Unterlippe, sein ganzer Körper war angespannt, doch weiter tat er nichts. Noch immer hingen die Arme an seinen Seiten herab, regelrecht stoisch sah er den Firmenführer an, obwohl die Angst tief in ihm steckte. „Du bist nichts weiter als…“

Doch da fiel ihm Joey ins Wort. „Kennst du es?“ Fragte er gehetzt und mit zitternder Stimme. Das war eine Frage, die völlig unerwartet kam. „Kennst du das Buch schon?“ Der Brünette musste blinzeln, denn so etwas hatte er nicht erwartet. Diese Frage war so irreal, dass er sie nicht glauben wollte. „Was hast du gesagt?“ Fragte er völlig perplex nach und lockerte den Griff seiner Finger. War das ein schlechter Scherz? Wieder hörte er die gleichen Worte, wieder fragte der junge Mann nach dem Buch und reflexartig drehte er den Kopf zum Schreibtisch zurück.
 

„Nein,… nein, ich habe es bisher noch nicht gelesen. Ich habe keine Zeit zum Lesen!“ Noch immer war diese Situation so irreal für ihn, dass er gar nicht anders konnte, als diese Frage zu beantworten. „Aber Morgen hast du Zeit!“ Diese Aussage klang so logisch und doch so widersinnig, dass Seto den Jüngeren gänzlich los ließ. „Selbst, wenn du mich prügelst, ändert das nichts daran, dass du Morgen und Sonntag Zeit hast. Zeit, die du mit deiner Familie verbringen kannst oder… oder etwas tun, dass dir Spaß macht. Mokuba hat mir erzählt, dass du früher viel gelesen hast, aber…“ Gut, seinen Stiefvater sollte er nicht ansprechen. „Aber eben immer nur Sachbücher. Also, ich… ich will dir nicht zu nahe treten, aber… aber wann hast du das letzte Mal etwas getan, dass dir wirklich Spaß gemacht hat? Außer auf mir herum zu hacken!“ Setzet er schnell nach. „Eine Art Hobby!“ Vorsichtig blickte er wieder auf und sah in das noch immer verwirrte Gesicht des Mannes.

„Warum tust du das?“ Fragte er mit einem Mal und verschränkte die Arme vor der Brust. Alles an ihm hatte sich verändert, es war ein forschender Blick, der den Blonden durchdrang. „Was hast du davon, Wheeler?“ Diese Frage ließ nun Joey tief Luft holen und er schien genau zu wissen, was er antworten wollte. Anscheinend hatte er erwartet, dass diese Frage früher oder später käme. „Ich… ich will Mokuba als Freund helfen und… und ich bin dein Sekretär! Es ist meine Aufgabe als dein persönlicher Sekretär für dein Wohl zu sorgen, dir Arbeit abzunehmen und dir jede Hilfe zur Seite zu stellen, die du brauchst.“ Nervös rieb er die Handinnenflächen gegeneinander. „Ich bin nicht gut im Termine legen oder in Fragen zur Buchhaltung, aber ich sehe „andere Schwierigkeiten“.“ Meinte er und senkte den Blick wieder, starrte auf seine Finger, die er noch immer gegeneinander rieb.
 

„Du solltest gehen, Wheeler! Geh, bevor ich mich vergesse!“ Knurrte Seto nur und dann drehte er sich um. Mit einem gewaltigen Knallen schlug er die Tür hinter sich zu und ließ den Blonden allein zurück. Keine 10 Minuten später hatte Joey all seine Sachen gepackt, einen kleinen Zettel geschrieben und ihn ordentlich auf dem Buch platziert. Seine Tasche hielt er schon in der Hand, als er es sich anders überlegte. Die Jacke landete wieder auf dem Stuhl und seine Tasche gleich hinter her. Mit schnellen Schritten eilte er in die kleine Bistroküche und stellte das Wasser an. Er lebte noch! Ja, er lebte nach all dem Scheiß noch! Er hatte sich geschworen, diesen Job zu überleben! Er konnte ihn nicht so machen, wie es all die anderen Sekretäre machten! Er konnte ihn nur auf seine Art erledigen! Innerlich aufgewühlt zog er einen Becher aus dem Schrank und die Dose schwarzen Tees. 15 Minuten später griff er nach dem Buch und der Mappe, klemmte sie unter seinen Arm und schritt auf die große Tür zu. Kurz klopfte er an und dann trat er ein. Sein Blick war fest, seine Mine eisern, als er in das nun wirklich erstaunte Gesicht des Firmenführers blickte. Vorsichtig stellte Joey den Becher Tee ab und legte ihm das Buch und die Mappe auf den Schreibtisch. „Ich wünsche noch einen angenehmen Abend und ein erholsames Wochenende, Mr. Kaiba!“ Damit deutete er eine Verbeugung an und drehte sich um. Ohne noch etwas zu sagen, ohne zu warten, verschwand er aus dem Zimmer, griff nach seinen Sachen und eilte aus dem Büro.
 

Das war mehr, als er glauben konnte. Die „Unterhaltung“ eben hatte ihn ja schon beinahe gänzlich aus jedem Konzept geworfen, aber dass der Kerl dann noch einmal hier auftauchte und ihm das Buch und die Mappe zurück brachte, erschien ihm wie ein irrer Traum. Völlig überfordert stand er auf, umrundete den Schreibtisch und ging hinüber zur Tür. Doch im Vorraum seines Büros war niemand mehr. Es war leer. Abgedunkelt und alles ordentlich verlassen. Da war kein Joey Wheeler mehr und als er sich schweigend zurück drehte, seinen Blick auf den Schreibtisch fallen ließ, lag dieses Buch noch immer da. Nein, das hatte er also nicht geträumt. Der Kerl war wirklich hier gewesen!

Erst das Klingeln seines Telefons riss ihn aus dieser Starre und er zuckte erschrocken zusammen. Schnell beeilte er sich um hinüber zu diesem zu kommen. Wie konnte er seinen Termin nur vergessen? Gefasst und ruhig nahm er das Gespräch entgegen, es dauerte eine gute Stunde und als er es beendete, zeigte sein Computer 19:47 Uhr in der unteren Leiste an. Damit waren alle Termine für heute erledigt und Wheeler wieder viel zu lange geblieben. Er kam vor ihm und ging erst gegen 19 Uhr. Das hätte er nicht erwartet, aber das zog sich schon die ganzen letzten Tage so durch.

Nun saß der ach so großartige Seto Kaiba in seinem großen Stuhl und starrte auf das kleine, schwarze Buch, dass da noch weiterhin ungerührt lag. Noch immer konnte er nicht glauben, was da geschehen war. Joey hatte sich nach dieser Abfuhr wieder in sein Büro getraut und dann hatte wirklich er…er, Seto Kaiba, kein einziges Wort zu Stande bekommen. Selbst jetzt befand er sich noch in diesem Zustand der Trance, der ihn auf seltsame Weise gefangen hielt, ihn wie in Watte gepackt hilflos im Nichts treiben ließ.

Von all den Empfindungen so vernebelt, griff er nach dem schwarzen Einband und wendete ihn in seinen Händen. Er fühlte sich angenehm weich an, das Leder schien älter zu sein. Die goldenen Buchstarben hatten an wenigen Ecken ihren Schimmer verloren, dieser war abgeblätterte. Bram Stocker … war das nicht der berühmte, englische Autor, der diesen Vampirroman geschrieben hatte? Warum dachte dieser Köter eigentlich, dass ausgerechnet er einen Vampirroman lesen würde?

Nachdenklich schlug er das Buch auf und blickte auf die erste Seite, die er ungelesen umblätterte. Dann begann es...
 

CHAPTER 1
 

Jonathan Harker's Journal
 

3 May. Bistritz.--Left Munich at 8:35 P.M., on 1st May, arriving at Vienna early next morning; should have arrived at 6:46, but train was an hour late. Budapesth seems a wonderful place, from the glimpse which I got of it from the train and the little I could walk through the streets. I feared to go very far from the station, as we had arrived late and would start as near the correct time as possible.
 

The impression I had was that we were leaving the West and entering the East; the most western of splendid bridges over the Danube, which is here of noble width and depth, took us among the traditions of Turkish rule.
 


 


 

Erst das Klingeln seines Handys holte ihn zurück in das jetzige Jahr und er starrte überfordert auf das schwarze Gerät. Klingeln… Handy… der Name Mokuba… Bruchstücke setzten sich zu einem Ganzen zusammen und er griff nach dem Störenfried. „Was gibt es denn?“ Fragte er direkt und Mokuba stockte kurz am anderen Ende. Die Stimme des Brünetten hatte einen so warmen, sanften Ton, der so gar nicht zu der groben Frage passte. „Also,… wie du sicher erraten kannst, werde ich heute nicht Zuhause sein. Allerdings wollte ich fragen, ob wir… na ja… vielleicht Morgen zusammen frühstücken. Etwas später dann am Morgen…“ Nun war sein Bruder verwirrt und starrte vor sich auf das Buch, dass er noch in der linken Hand hielt, fast zugeschlagen, den Zeigefinger zwischen den Seiten. Hatte Joey mit Mokuba gesprochen, dass der so perfekt anrief? „Ich weiß ja, dass unser letztes Frühstück nicht so gut ausgegangen ist, aber… aber das Essen am Mittwoch… hat mir auch sehr gefallen.“ Nuschelte er schon halb in das Mikrofon und Seto brauchte einen Moment, um alles zu verarbeiten. „Ok… ja, also, ich habe Morgen nichts vor.“ Kam leicht stotternd von ihm und er konnte das erleichterte Grinsen seines kleinen Bruders hören. „Klasse, so gegen 10:30 Uhr so in dem Dreh?“ Fragte Mokuba noch einmal und als er diese Uhrzeit bestätigt bekam, verabschiedete sich der Jüngere freudig.
 

Noch immer überrumpelt legte Seto das Handy zur Seite und blickte auf die Uhr. Nach neun hatten sie es jetzt und er sollte auch langsam nach Hause gehen. Mit einem Blinzeln versuchte er diese verwirrende Trance los zu werden, doch vergeblich. Dann kniff er die Augen fest zusammen, schüttelte den Kopf und erhielt nur einen unangenehmen Schwindel als Ergebnis. Was bei allen verfluchten Göttern war mit ihm los? Warum war ihm so verdammt… anders? Er konnte es nicht genauer beschreiben, dieses Gefühl der Verlorenheit, des ziellosen Treibens, als wäre ein Teil seines Verstandes noch immer bei Jonathan Harker, der nun endlich im Schloss Dracula angekommen war und dem die ersten Unstimmigkeiten aufgefallen waren. Mit einem Ruck stand er auf, schlug das Buch gänzlich zu und beschloss für sich ganz auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Schnell verstaute er alles Wichtige in seinem Koffer, warf auch das Buch und die Mappe dazu und fuhr seinen Computer herunter.

Was hatte dieser Köter an sich, dass er ihn immer so aus der Bahn warf? Warum kam dieser Kerl immer wieder auf die Füße, egal, wie schmerzhaft er ihn zu Boden warf? Immer wieder drängte dieser Wheeler ihn in Situationen, in denen er nicht nur völlig überrumpelt, sondern regelrecht hilflos war. Eine solche Überforderung kannte der Brünette nicht, verstand sie nicht und konnte sie in keiner Weise begreifen. Wie konnte ein Mensch, nein, ein solcher Köter ihn, ihn, Seto Kaiba dermaßen überfordern?
 

Mit einem sanften Ton gab der Rechner von sich, dass er nun alle Aktivitäten eingestellt hatte und Seto schloss seinen metallenen Koffer. Was musste er noch machen, um diesen Kerl zu bremsen? Was musste er tun, damit dieser Köter nicht wieder aufstand und endlich im Staub vor ihm kroch! Es waren erst fünf Tage vergangen, fünf verfluchte Tage!

Ein Magenknurren unterbrach seine Gedanken und seufzend griff er nach dem Koffer, um das Büro zu verlassen. Anscheinend stellte Wheeler sein Leben komplett auf den Kopf. Jetzt war nur die Frage, was am geschicktesten wäre. Sollte er ihn auflaufen lassen? Konnte er das? Mit einer Handbewegung legte er den Lichtschalter um, schloss die Tür hinter sich und dann selbige ab. Vielleicht war Dubai dafür die richtige Gelegenheit. Immerhin waren Joeys Englischkenntnisse immer noch schrecklich und die würde er auch nicht bis dahin aufholen können.

Zufrieden mit diesem Gedanken, rief er Zuhause kurz an und teilte mit, dass er in einer halben Stunde dort wäre und etwas essen würde. Erst als er sein Handy verstaut hatte und in den Fahrstuhl eintrat, bemerkte er sein Handeln. Seit wann kündigte er sein Kommen an? Normalerweise tauchte er einfach nur auf und beschwerte sich dann, dass nichts vorbereitet war. Bei allen verfluchten Göttern, er musste unbedingt auf sein Verhalten aufpassen. Das konnte doch nicht angehen! Jetzt wurde er nett?

Kniffel, Zoobesuche und andere Katastrophen

Kapitel 16

Kniffel, Zoobesuche und andere Katastrophen
 

Als der Wecker um 9 Uhr klingelte, saß der Brünette schon in seinem Bett. Er hatte das schwarze Buch auf dem Schoß und war gänzlich in das Tagebuch Jonathan Harker's vertieft. Dieser hatte mittlerweile das Schloss erreicht, war dort gefangen und hatte die drei Vampirdamen kennen gelernt. Als der Graf ihnen im Gegenzug für Harkers Leben einen Sack mit einem darin wimmernden Kind vor warf, auf den sie sich hungrig stürzten, war es um den brünetten Leser geschehen. Er war fasziniert von der Grausamkeit des Grafen, mit der er den jungen Rechtsanwalt Harker dazu zwang Briefe an seine Verlobte zu schreiben.

Wie die Zeit verstrich, bemerkte er nicht. So tief war er in den Roman versunken, dass er selbst die Schritte Harkers von den Wänden hallen hörte. Der Graf verließ das Schloss und der junge Anwalt versuchte verzweifelt zu fliehen. Es war wirklich das erste Mal, dass Seto einen Roman las. Das weiche Leder unter seinen Fingerkuppen spürend, den leichten Geruch von Papier in der Nase…
 

Vorsichtig öffnete sich die Tür und ein schwarzer Wuschelkopf schaute hinein. „Oh, guten Morgen!“ Rief er und sah zu dem in sich zusammen zuckenden Mann. Seto saß da, starrte aus seinen eisblauen Augen zu Mokuba auf und schien dabei bleich vor Schock. Er blinzelte, rührte sich nicht und begriff nicht, wo er war. Mit einem Lächeln öffnete Mokuba die Tür, er hielt einen Brecher heißen Kaffees in der Hand und trat ein. „Guten Morgen.“ Versuchte er es noch einmal und nun nickte sein großer Bruder. „Mor… Morgen…“ Brummte er und schlug das Buch so zu, dass er seinen linken Zeigefinger noch zwischen den Seiten hatte. Mit der rechten Hand fuhr er sich durch die kurzen Haare und wirkte noch immer unglaublich verwirrt. „Was ist mit dir los? Was liest du denn da?“ Fragte der 17 Jährige erstaunt schmunzelnd und hielt ihm den Becher Kaffee entgegen. „Hier bitte.“ Dankend nahm ihn dieser an, sah vorher noch einmal auf die Seitenzahlen und legte das Buch geschlossen zur Seite. „Ähm… Dracula.“ Antwortete er nur und schloss die Augen, während er den Geruch des schwarzen Kaffees dankend einatmete. Die Wärme der Tasse durchströmte seine Hände und entspannte so angenehm. Sein Bruder hatte nach dem Buch gegriffen, sah es sich an und grinste dabei. „Wow, seit wann nimmst du dir Zeit zum Lesen?“

Der 22 Jährige öffnete nur eines der beiden Augen und schien über die Antwort nachdenken zu müssen. Er verzog den Mund ein wenig und nahm erst einen Schluck Kaffee. Dass er sich um eine Antwort drücken wollte, war deutlich. Das Zimmer war noch dunkel, nur die kleine Lampe am Bett erhellte es. Die schweren Vorhänge ließen kein Licht hinein und Seto trug noch seinen hellblauen Pyjama.
 

Die eisblauen Augen wirkten so sanft und warm, während die brünetten, kurzen Haare wirr und ungekämmt waren. „Da war gestern jemand so verrückt und hat mir das Buch auf den Schreibtisch gelegt. Ich habe nur einen Blick hinein werfen wollen und irgendwie… ist es doch interessanter, als ich dachte.“ Ein verlegenes Lächeln hob die schmalen Lippen und Mokuba begann zu grinsen. Er trug einen grünen Wollpullover mit einfachem Strickmuster, seine schwarzen Haare waren mit einem Band hinten zusammen genommen. „Ok, da war jemand wirklich sehr verrückt! Aber das Buch ist ein Klassiker, ich habe es auch schon gelesen. Es ist toll! Ich mag seine Verlobte Mina und bin immer unglaublich froh, wenn der Graf endlich erledigt ist.“ Er blickte in das verwunderte Gesicht seines großen Bruders. „Ich weiß, du magst den Grafen oder?“ Der Angesprochene nickte und dann wurde sein Blick ein wenig hinterhältiger.
 

„Es gibt da noch etwas, dass ich von dir wissen wollte.“ Die Augen verengten sich etwas und er beugte sich zu Mokuba vor. Trotz dem wirren Haar wirkte er wieder gefährlich, ernst und hatte dieses Undurchdringliche im Blick. „Du hast doch heute wieder bei deiner Freundin geschlafen oder?“ Sofort färbten sich die Wangen in einem verlegenen Rot und der heranwachsende Junge wendete seinen Kopf ab, blickte zu den Vorhängen. „Ja, das habe ich.“ Begann er und fragte dann noch dunkler im Gesicht. „Es kommen jetzt aber keine Aufklärungsgespräche oder dergleichen?“ Seine dunkelblauen Augen sahen zu dem Größeren und dieser schüttelte nur leicht lächelnd den Kopf. „Nein, mir ging etwas anderes durch den Kopf.“ Die Erleichterung stand Mokuba deutlich ins Gesicht geschrieben. „Du meintest am Dienstag, dass auch ihr Vater Nichts von euch weiß. Aber du übernachtest doch bei ihr. Das verstehe ich nicht ganz.“ Noch immer war der Schwarzhaarige froh über diese gänzlich andere Frage. „Na ja, ihre Mutter und ihr Vater leben getrennt und sie wohnt bei ihrer Mutter. Ich schlafe also in der Stadtwohnung ihrer Mutter.“ Berichtete er nun freudig und setzte sich bequemer auf die Bettkannte. „Es ist eine vier Zimmerwohnung, mit zwei Bädern und einem großen Balkon.“ Sprach er weiter und seine dunklen Augen begannen vor Glück zu leuchten. „Oh, und sie haben einen Kater, der ist aber schon ziemlich alt und liegt meistens nur auf einem seiner Kissen. Oh, und sie liebt Blumen. Ihr ganzes Zimmer ist voll von Blumen und der Balkon erstrahlt in einem wahren Blumenmeer im Sommer.“
 

Seto hatte sich in seinem Kissen zurückgelehnt und trank ruhig seinen Kaffee. Es war immer noch so ein irritierendes Gefühl, wenn sein kleiner Bruder über das Mädchen sprach, mit dem er zusammen war. Er beschrieb ihr sanftes Wesen, die freundliche, tierliebe Seite, ihre höffliche, elegante Art, mit der sie sich in wahrer Zurückhaltung üben konnte. Er beschrieb die weichen, glatten Haare, die sie immer zu einem Zopf zusammen genommen hatte und manchmal mit einer Spange hoch steckte. Der Firmenführer lächelte, als er so deutlich erkannte, wie verliebt sein kleiner Bruder war. Es war schön zu hören und doch kam auch der Zweifel in ihm auf. Wenn sein Bruder so vehement ihren Namen verschwieg, weil er ihren Vater nicht ausstehen konnte, wer war dieser Mann dann? Mit den Informationen, die ihm Mokuba mittlerweile gegeben hatte, würde er ihn doch sicher leicht finden können. Jemand, den er wirklich hasste…

Nachdenklich stellte er den leeren Becher auf den Nachttisch und schlug die Decke zurück. „Ich sollte jetzt duschen gehen und du hast sicher auch noch etwas zu tun. Ich mache mich fertig und wir treffen uns zum Frühstück?“ Fragte er seinen Bruder und dieser nickte freudig. „Ja, das klingt gut.“ Damit sprang er vom Bett, griff nach dem Becher, um ihn wieder mit zu nehmen. Er war schon an der Tür, als er sich noch einmal umdrehte. „Ich finde es gut, dass ich dir endlich von ihr erzählen kann.“ Gestand der 17 Jährige und lächelte glückselig.
 

Dieses Wochenende fand das Frühstück nicht in der Küche statt. Der Tisch wurde für drei Personen in einem der kleinen Zimmer gedeckt und Noah und Mokuba waren schon dort, als der Brünette dazu kam. Die beiden lachten, anscheinend waren bisherige Probleme zwischen den Brüdern geklärt. So setzte er sich zu ihnen und Noah begann ihn gleich nach dem Buch auszuquetschen, von dem Mokuba erzählt hatte. Egal, wie sehr er sich auch darum drückte, schließlich musste er doch gestehen, von wem das Buch kam und auch wie er dazu kam.

Der grünhaarige junge Mann konnte nicht aufhören zu lachen. Er hatte das Telefon zurück auf den Tisch gelegt und Mokuba grinste bis über beide Ohren. „Das ist so typisch für ihn!“ Lachte der 17 Jährige und musste sich die Termine im Kalender noch einmal ansehen. „Also, ausschlafen hat schon mal nicht geklappt, Frühstücken… ok, ja, das lassen wir gelten.“ Er sah aus seinen dunkelblauen Augen zu seinem großen Bruder auf. „Die Idee mit dem Spielen finde ich gut. Nur, was ist Kniffel?“ Er hatte das Handy vor sich auf den Tisch gelegt und hielt seinen Becher Kakao in beiden Händen. Mit großer Freude erklärte Noah ihm alle Feinheiten des Spieles und dann trat ein Funkeln in seine Augen. „Sag mal, hat Wheeler auch für Morgen etwas eingetragen?“ Fragte der Grünhaarige.
 

Bevor Seto überhaupt noch reagieren konnte, hatte Mokuba den Tag schon umgeblättert und begann laut mit den dazugehörigen Uhrzeiten vorzulesen. Mit einem Mal stockte er und hob den Kopf. Seine Augen waren weit vor Erstaunen und er sah seinen großen Bruder an. „Du… du weiß, was hier morgen Mittag drin steht?“ Fragte er vorsichtig und bemerkte die Verlegenheit auf den Wangen des Älteren. Dieser nickte nur schweigend und ignorierte die verwirrten Nachfragen seines Stiefbruders. „Und… und du würdest auch wirklich mit mir… oder mit uns dahin gehen?“ Fragte Mokuba noch einmal und beobachtete genau, wie der andere einen Schluck aus seinem Becher nahm. „Also, wenn du das gerne möchtest, ja, dann gehen wir da hin.“
 

Erst nach dem freudigen Aufspringen und stürmischen um den Hals fallen von Mokuba, erfuhr auch Noah, um was es ging. Da hatte Joey ja etwas angestellt. Aber er würde gerne mitkommen. Dass Mokuba mittlerweile selbst schon mehrfach im Tierpark Ueno gewesen war, behielt er lieber für sich.

Nach all dem Trubel zog sich Seto erst einmal zurück, ihm war das alles deutlich zu viel. Natürlich freute er sich über die scheinbare Offenheit zwischen ihm und seinem kleinen Bruder, aber er wollte auch nicht zu viel davon. Es war so ungewohnt und so konnte er sich zumindest bis zum Nachmittag zurück ziehen. Ihm gingen viele Gedanken durch den Kopf und so genoss er die Möglichkeit des Rückzugs.

Mokuba musste erst einmal mit Joey telefonieren und ihm von all dem erzählen. Der Blonde hingegen verschwieg lieber, dass der Firmenführer ihm beinahe eine gescheuert hätte. Zumindest hatte diese Situation so auf ihn gewirkt. Es freute ihn, dass er dennoch sein Ziel erreicht hatte und drückte Mokuba die Daumen für die Kniffel Partie.

Diese wurde natürlich von Noah gewonnen. Seto schmunzelte nur still und heimlich. Wer eine solche Rechnerkapazität nutzen konnte um alle passenden Wahrscheinlichkeiten auszurechnen, der war nun einmal im Vorteil. Noch immer kam ihm das alles wie ein irrealer Traum vor, von dem er sich nicht sicher war, ob er gleich aus ihm erwachen würde.
 

Als er nach dem Abendessen verschwinden wollte, hielt ihn Noah am Arm fest. „Du kannst jetzt nicht gehen.“ Brummte dieser leise und sah Mokuba nach, wie der heranwachsende Junge aus dem Zimmer sauste. „Ach ja, und warum kann ich das nicht?“ Fragte er und der Grünhaarige seufzte. Er trug ein schlichtes, schwarzes Longsleeve und dunkelblaue Jeans. „Weil du Mokuba liebst und darum auf jeden Fall die Qualen auf dich nimmst und mit ihm zusammen heute Abend fernsiehst!“ Meinte er nur und als er den fragenden Blick erkannte, seufzte er erneut. „Die Tribute von Panem? Heute Abend? 20:15 Uhr im Fernsehen? Du, er und ich?“ Fragte er noch einmal und sah seinen Stiefbruder direkt an. Doch Seto schien noch immer nicht zu verstehen. „Ok, ich versuche es anders. Die Tribute von Panem gehören zu Mokubas absoluten Lieblingsfilmen und er wird sie sich heute zum 10. Mal ansehen. Du, mein lieber Stiefbruder, wirst sie mit ihm sehen und ihm eine sehr große Freude bereiten!“ Versuchte es der 22 Jährige erneut und hatte dabei unerwartet Erfolg.
 

An diesem Abend lernte Seto einige Dinge kennen, von denen er weder den Sinn noch den Zweck verstand. Als er von Noah ins „Wohnzimmer“ geschoben wurde, fand er den niedrigen Couchtisch unter Chips, Snacks, Dips und nicht näher einzuordnenden Knabberkram begraben. Die dunkelblauen Augen seines Bruders leuchteten ihn dabei an, die Fernbedienung schon bereit in der Hand.

Trotz aller hochmodernder Technik wurde der Firmenführer mit dummen Werbesprüchen konfrontiert und versuchte den Sinn dahinter zu verstehen. Obwohl sie die Werbung vorspulen konnten, musste sie als fester Bestandteil des Free TV gesehen werden. Irritierend war auch das Herauszögern gewisser Bedürfnisse, trotz der Möglichkeit den Film einfach anzuhalten. Das alles waren ihm äußerst suspekte Dinge, die aber für Noah und Mokuba einen festen Sinn ergaben. Das nannte sich dann traditionelles Fernsehen oder so ähnlich…

Obwohl beide den Film schon dutzende Male gesehen hatten, waren Zwischenfragen nicht gestattet. Natürlich wusste Seto, um was es in dem Film an sich ging. Als Entwickler von Spielen musste er das, aber Fragen zu Einzelheiten waren tabu. Dafür war dann die Werbepause zu gebrauchen! Auch die im Anschluss folgende Diskussion, wie eine solche Gesellschaft überhaupt existieren konnte und… und… und… waren dem Brünetten verstörend unbegreiflich. Der Hinweis darauf, dass es ja nur ein ausgedachter Film wäre, wurde mit finsteren Blicken kommentiert.
 

Innerlich vollständig verwirrt und noch immer aus der Bahn geworfen, zog sich der junge Mann zurück. Ihm war das zu viel. Warum nutze man Technik nicht, die ja vorhanden war? Warum befasste man sich mit absolutem Schwachsinn, wenn man ihn beseitigen konnte? Durch einen einfachen Knopfdruck? Und warum diskutierte man über solche Filme?

Müde, verwirrt und angespannt, gönnte er sich noch eine warme Dusche und verzog sich in sein Bett. Die nächsten Seiten Draculas halfen ihm alle anderen Gedanken zu verdrängen.
 

Der nächste Morgen begann anders, als der letzte. Zwar kam Mokuba auch dieses Mal mit einem Kaffee, doch deutlich früher als gestern. Seto war über seinem Buch eingeschlafen und dieses lag nun am Boden. Sanft weckte ihn der 17 Jährige und zog die Vorhänge ein Stück auf. Draußen war es noch dunkel. Nun lernte Seto noch etwas Neues. Man konnte von Romanen träumen. Dass man von Situationen aus dem richtigen Leben Albträume oder anders geartete Träume hatte war ihm ja bekannt. Wie oft hatte er den bitteren Geschmack der Niederlage gegen Yugi des Nachts erlebt? Aber warum befand er sich auf einmal auf dem großen Schiff voller Angst dem Grauen ausgeliefert? Nun ja, er hatte es wenigstens bis zum Schluss überlebt. Er war der letzte, der noch auf dem Schiff um sein Leben kämpfte, bevor ihn Mokuba weckte.
 

Er konnte sich nicht daran erinnern, je so ein Wochenende erlebt zu haben. Mokuba und Noah waren den ganzen Morgen aufgedreht wie Aufziehpuppen und kaum nach dem Frühstück waren sie schon mit dem Wagen in die Stadt unterwegs. Sie würden doch mit dem Shinkansen fahren, darauf hatte Mokuba bestanden. Wenn Joey, Yugi und die anderen schon nicht mitkommen durften, wollte er wenigstens das!

War er überhaupt schon einmal in seinem Leben mit diesem Zug gefahren? Seine Blick schweifte durch die Halle des großen Bahnhofes in Domino. Trotz der vormittäglichen Stimmung und der kühlen Temperaturen waren hier viele Menschen unterwegs. Da er einen privaten Jet besaß, nutze er die öffentlichen Verkehrsmittel nicht. Sein Blick war an einem großen Schild hängen geblieben, an dem die einzelnen Bereiche der Japan Rail abgebildet waren. Sie zeigten die Strecken, die es schon gab, die einzelnen Haltestellen und auch die noch im Bau befindlichen Abschnitte. Sie würden die JR Central nutzen, die sie bis nach Ueno brachte. Das klang ja wenigstens so, als wären sie nahe an ihrem Ziel, wenn sie dort in Tokio ankamen.
 

Er konnte sich nicht daran erinnern überhaupt einmal mit einem Zug in Japan unterwegs gewesen zu sein. Für Noah und Mokuba schien es schon eine gewisse Gewohnheit darzustellen. Sie hatten ihn hier stehen lassen und waren davon gesaust. Sie wussten genau, wo sie hin mussten, wo sie die Tickets fanden, was zu bezahlen war und zu welchem Gleis sie gingen. Seto wurde eher mitgezogen. Kannte er den Bahnhof hier überhaupt? Während er den beiden hinter her ging, musterte er die große, modern gehaltene Halle, in der immer wieder traditionelle, japanische Motive eingearbeitet waren. Sie mussten über eine Rolltreppe hinauf zu den Gleisen und nun bemerkte der Brünette noch etwas. Alles hier hatte eine gewisse Ruhe. Sie schienen alle im gleichen Schritt zu gehen, das gleiche Tempo zu haben, als wären sie eine Masse. War das normal?

Mit einem Seufzen ergab er sich in sein Schicksal und betrat den schon bereit stehenden Zug. Mokuba schien ein bestimmtes Ziel im Auge zu haben, als er durch die Reihen blauer Sitze schritt. Schlecht sah es ja nicht aus, aber so wirklich gefiel Seto die Gestaltung des Innenraumes nicht. Drei Sitze auf der einen und zwei auf der anderen Seite des Ganges. Zum Glück hatte es nicht die Ausmaße, die er erwartete. Doch quengelnde Kinder konnte er jetzt schon hören und in der Luft vermischten sich verschiedene Parfüme Sorten. Sehnlichst wünschte er sich seine geräumige Limousine zurück.
 

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sich eine lautlose Schiebetür öffnete und sie in einen anderen Bereich kamen. Hier war es deutlich ruhiger und außer ihnen waren nur gut 7 andere in dem geräumigen Abteil. Ein Japaner in seinem schwarzen Anzug sah über seine Zeitung und nickte ihnen kurz zu. Auch die anderen Anwesenden hätte er eher in seinem Verhandlungssaal erwartet. Hier war die farbliche Gestaltung zwar etwas dürftig gehalten, ob es sich um ein Grün oder ein Grau handelte, konnte der Firmenführer nicht definieren, aber es war definitiv angenehmer. Eine freundliche Stille hieß sie willkommen und die Sitze waren deutlich breiter. Auf den ersten Blick erkannte der 22 Jährige die verstellbare Lehne und den Stromanschluss. „Das ist die Green Class oder auch die erste Klasse. Wir wollten es dir dann doch nicht antun mit dem gewöhnlichen Pöbel zu reisen.“ Neckte ihn Noah und ließ sich in einen der Sitze fallen.

„Mach es dir nicht so bequem, wir sind in 20 Minuten da.“ Gab Mokuba zu bedenken und Noah hob die Augenbrauen. „Als ob ich das nicht wüsste.“ Lachte er frech und sah zu seinem Stiefbruder hinüber. „Wann sagst du es ihm denn endlich?“ Fragte er nun direkt, während der brünette Mann seinen Schal löste. „Wem was sagen?“
 

Dass er nicht das erste Mal den Shinkansen benutzte, sollte seinem Bruder ja aufgefallen sein. Doch das er auch nicht zum ersten Mal in den Tierpark fuhr, war ein anderes Geständnis. So rückte er langsam mit der Sprache heraus und gestand, dass er sogar eine Jahreskarte für den Tierpark besaß.

Während der kurzen Fahr wurde Seto mit Informationen versorgt, die er niemals erwartet hätte. Mokuba berichtete ihm von der Entstehung der Japan Rail und der Bedeutung der einzelnen Bereiche, die zu unterschiedlichen Gesellschaften gehörten. Stolz gab er mit der Pünktlichkeit der Hochgeschwindigkeitszüge an, die bei wenigen Sekunden lag. Erst bei dem Erdbeben 2004 mit einer Stärke von 6,4 war zum ersten Mal einer der Züge entgleist, wobei es keine Toten gab. Die Bauweise machte diese Züge zum sichersten Transportmittel der Welt und dem pünktlichsten. Die Trennung vom Güterverkehrt hatte dabei einen enormen Einfluss.
 

Als sie in Ueno ausstiegen, wusste Seto auch alles über den momentanen Bau der Strecke Chūō-Shinkansen zwischen Tokio und Nagoya, die die Reise auf 40 Minuten verkürzte und den ersten führerlosen Zug, der diese Strecke benutzen würde. Sie waren in einem N700 Z gefahren, der seit 2005 in Betrieb war. Bei allen Göttern, woher wusste sein Bruder das alles?

Auch in diesem Bahnhof gab es keine Hektik, eine unglaubliche Ruhe herrschte in den Gängen und den Hallen. Irritiert ließ sich der Brünette mitziehen und bekam zu hören, dass sie innerhalb von 5 Minuten im Tierpark waren. War er sich denn sicher, noch immer in dieser Welt zu sein? War er wirklich wach oder träumte er das alles nur? Noch einmal drehte er sich um, sah den schlanken, weißen Körper des N700, der dann in der Masse unterging, während er auf der Rolltreppe in den unteren Bereich fuhr.

War es so Joey ergangen, als sie am Dienstag im „la vita“ gewesen waren? Mokuba hatte seine Hand ergriffen und zog ihn sanft mit sich, führte ihn durch den großen Vorraum und hinaus in die kühle Luft. Hier schien langsam wieder mehr Leben aufzukommen. Auch Noah schien den Weg durch die Menge zu kennen und so wurde er von den beiden halb geschoben und halb gezogen.
 

Es dauerte wirklich nur wenige Minuten, bis sie das große Haupttor erreicht hatten. Mit großen Augen betrachtete er den Eingang, der sich in alter Tradition erhob und der dennoch seine gewaltige Pracht nicht verloren hatte. Mokuba zog ihn mit zur Kasse und hatte sein Portemonnaie schon heraus geholt. „Zwei Erwachsene bitte.“ Meinte er und legte die 1.200 Yen schon in die kleine Schale.

Trotz der kühlen Jahreszeit war der Zoo gut besucht und während sich vor ihnen ein größerer Platz ausbreitete, erklärte ihm sein 17 Jähriger Bruder das wichtigste über diesen Tierpark. Er wurde 1882 gegründet und war damit der älteste Tierpark in ganz Japan. Die Schreie der Fasanen klangen in seinen Ohren und er hörte das Lachen der Kinder. War er schon jemals in einem Zoo gewesen?
 

Zuerst kamen die japanischen Tiere, vielerlei Vögel, aber auch Hirsche und kleine Pandabären waren dabei. Zu allen wusste Mokuba etwas zu erzählen, wenn auch manche Käfige leer waren. Sie hielten sich weiter links, sahen die Eichhörnchen und Präriehunde, die mit im Gehege der Bisons waren. Hier hatte sich der Weg geteilt, in der Mitte befand sich ein Affenkäfig, dennoch weitläufig und gut ausgestattet. Dahinter befanden sich Elefanten in ihrem Gehege. Sie gehörten einer kleineren Art an. Hinter den Makaken schien es den Eisbären und Pinguinen erst so richtig bei diesen Temperaturen zu gefallen. Sie gingen ein Stück zurück, nahmen die Monorail, die sie zur anderen Seite des Parks brachte. Der 17 Jährige wusste, dass sie heute eh nicht alles sehen würden und so hatte er den Morgen schon die schönsten Dinge herausgesucht. Zwischen den Biebern und den Kängurus erreichten sie ein kleines Restaurant, in dem sie zu Mittag aßen.

Die Zeit verging wie im Flug und so machten sie nur noch einen kleinen Rundgang zu den Giraffen, den Nashörnern und Flusspferden. Es folgten noch ein paar andere, afrikanische Tiere, bevor sie wieder zur Monorail Station Westgarten zurück kamen. Das sie schlussendlich über mehrere Stunden hier verbracht hatten, war dem Firmenführer gar nicht aufgefallen.
 

Müde ließ er sich in seinen Sitz sinken, Mokuba setzte sich wieder neben ihn. Sie hatten noch etwas Schnelles zu Abend gegessen und nun kannte Seto auch die kleinen Nudelsuppenstände, von denen sein Bruder immer so schwärmte. Seine Füße taten ihm weh, sein ganzer Körper schien kraftlos und unwillig, noch einmal wieder aus diesem unglaublich weichen und bequemen Sitz aufzustehen. Mokubas Kopf war kaum nach der Abfahrt gegen seine Schulter gesunken, der Schwarzhaarige war eingeschlafen. Das war ein unglaublicher Tag. Hatte er das wirklich erlebt? Noah sah zu ihm herüber und musste grinsen. „Du siehst so fertig aus, bist du etwa müde?“ Neckte er seinen Stiefbruder und stütze sein Kinn in die Handfläche, den Arm hatte er auf die Lehne gestellt.

„Müde ist gar kein Ausdruck.“ Brummte er und sah zu seinem kleinen Bruder. „Du solltest so etwas öfter machen.“ Meinte der Grünhaarige mit einem Mal und wurde ernst. „Auch wenn er aufgedrehter gewirkt hat, er war heute viel ruhiger, viel ausgeglichener als sonst. Ich weiß, ich bin hier keiner, der in solchen Sachen irgendetwas sagen darf. Aber seit Dienstag, seit ihr essen ward, ist er viel… na ja, irgendwie… ausgeglichener.“ Meinte Noah ruhig und musterte den Jungen, der so tief schlief.
 

Als Seto an diesem Tag die Tür seines Zimmers hinter sich schloss, war er verwirrter denn je. War das heute wirklich alles geschehen? War dieses Wochenende real? Hatte er wirklich mit seinem Bruder so viel Zeit verbracht ohne, dass sie sich stritten? Mokuba hatte ihn wirklich kein einziges Mal angeschnauzt, war nicht frech geworden oder hatte sich „daneben“ benommen. War das wirklich alles geschehen? Nachdenklich lehnte er an der Tür, spürte den kühlen Widerstand in seinem Rücken. Wenn er jetzt schlafen ging… wenn er morgen wieder aufwachen würde… dann hätten sie nicht erst Freitag? Dann war doch wirklich Montag?

Selbst die warme Dusche half ihm dieses Mal nicht. Er wusste nur eines, es wäre ungerecht sich für dieses Wochenende an Joey zu rächen. Aber er täte es trotzdem! Der kleine Scheißer hatte sich in sein Leben eingemischt und das tolerierte er nicht! Dafür würde dieser Köter Morgen büßen, er würde bluten! Vielleicht war es Morgen an der Zeit für eine kleine Pressekonferenz.

Er fuhr sich mit dem Handtuch noch über die feuchten Haare, als er nach dem Buch griff. Oh, bevor er sich darüber Gedanken machte, musste er noch dieses verfluchte Buch zu Ende lesen. Ja, Mina schien Mokuba wirklich zu gefallen. Wie sie aufrichtig um das Leben ihrer Freundin kämpfte. Langsam spitze sich alles zu, alle Figuren waren anwesend und es war klar, dass nun das große Finale folgte. Aber wie ging diese Geschichte aus? Müde und doch viel zu aufgedreht um jetzt schlafen zu können, setzte sich Seto in sein Bett. Den hellblauen, seidenen Pyjama hatte er schon an und begierig schlug er die Seiten auf und suchte die Stelle, an der er aufgehört hatte. Für Rache war auch noch Morgen Zeit, jetzt musste er erst einmal weiter lesen. Jetzt musste er wissen, wie sie Graf Dracula zur Strecke brachten. Dass der Gute nicht der Sieger sein würde, war ja immerhin schon klar oder?

Die Rache

Kapitel 17

Die Rache
 

An diesem Morgen war Seto erstaunlich entspannt. Er hatte gestern das Buch noch zu Ende gelesen und war nur einen Herzschlag später eingeschlafen. Nun hatte er geduscht, seinen Kaffee getrunken und war auf dem Weg in seine Firma. Woher kam diese schrecklich gute Laune, die ihn seit dem Klingeln des Weckers begleitete? Dabei war der Traum, den er in dieser Nacht hatte, mehr als sonderbar. Nur noch Bildfetzen geisterten durch seine Erinnerungen und er konnte noch immer den Geruch frischen Blutes vernehmen. ~Du weißt doch, dass Totgesagte am längsten Leben.~ Klang noch die tiefe Stimme des Grafen in seinen Ohren und der Brünette hatte nur gelächelt, dass seine langen Eckzähne sichtbar wurden. ~Hunger?~ Hatte er gefragt und dabei einen Blick in das vor Entsetzen gezeichnete Gesicht Joeys geworfen, den er mit einem festen Griff im Nacken ruhig hielt. Er konnte nicht vergessen, wie der junge Mann voller Schmerzen aufschrie, als die scharfen Zähne in seinen Hals drangen und noch immer klang das saugende Geräusch in seinen Ohren. Der Hunger nach Blut war so groß gewesen… oh, es war so ein irrsinniger Traum und doch machte ihn allein die Vorstellung wahnsinnig, wie ihn diese honigbraunen Augen anflehten, um Hilfe bettelnd und doch so verloren starrten.
 

Ob er böse war? Oh ja, das war er! Die Limousine hielt direkt vor dem Haupteingang und beim Aussteigen fiel ihm sofort der Reporter auf. Er versuchte sich unauffällig wie ein Besucher zu verhalten, blickte auf die hohen Drachenfiguren, die den Eingang säumten. „Was wollen sie hier?“ Fragte der Firmenführer ruhig und gab Roland ein Zeichen, dass dieser weiter fahren sollte. Der kleine Mann sah sich verwundert um, die Kamera um den Hals. „Oh… meinen sie mich?“ Fragte er so unschuldig er konnte. Die eisblauen Augen durchbohrten ihn regelrecht und mit einem bitterbösen Schmunzeln meinte er. „Vielleicht bin ich im Laufe des Tages so nett und gebe einen Kommentar zu den „Vorfällen“ der letzten Woche!“ Setos Worte ließen den Mann beinahe vor Freude explodieren und einen Moment später wurde ihm bewusst, dass er sich damit ja verraten hatte.

Der junge Mann hörte schon gar nicht mehr auf das, was der Reporter als Entschuldigung von sich gab und betrat den großen Eingang. Er grüßte die Empfangsdame mit einem knappen Nicken und betrat den Fahrstuhl. Dabei löste er den blauen Schal um seinen Hals und begann seinen schwarzen Mantel zu öffnen. Mal sehen, was er mit dem kleinen Köter heute so anstellte. Ob der wieder pünktlich war? Seine Gedanken schweiften automatisch zu dem heißen Kaffee, der ihn erwartete. Das Gefühl dabei war seltsam. Er hätte es im ersten Moment wie einen kleinen Hüpfer seines Herzens bezeichnet, aber ein Herz konnte nicht springen.
 

Neugierig betrat er den Raum, die beiden Schreibtische waren noch leer und Yuriko kam immer erst kurz nach sieben. Mit ruhigen Schritten durchquerte er das Büro hinüber hinter die kleine Raumteilung. Ja, da saß er!

Mit einem unsicheren Lächeln schaute Joey zu ihm auf und begrüßte ihn mit fester Stimme. Würde er es wagen? Doch nach der Begrüßung kam nichts weiter. Wollte der Köter denn gar nicht nach dem Wochenende fragen? Musste er jetzt wirklich den ersten Schritt machen? Seto blieb am Schreibtisch stehen und stellte seinen Koffer auf diesem ab. Er öffnete ihn und zog das schwarze Buch heraus, dass er nun komplett gelesen hatte. Mit einer einfachen Handbewegung warf er es auf die Arbeitsplatte und erschrocken zuckte der Blonde zusammen. „Du kannst es wieder haben.“ Meinte er nur kühl, bemerkte dabei doch das Ein- und Ausatmen, das den 19 Jährigen deutlich entspannte. „Hat es ihnen denn zugesagt, Mr. Kaiba?“ Fragte dieser nun und Seto war innerlich erstaunt. War der Kerl wirklich so gut? Klar, Mokuba hatte sicher mit ihm gestern Abend noch telefoniert, aber trotzdem…
 

„Sieht es so aus, als ob es mir gefallen hätte?“ Dabei lag viel Hohn in seiner Stimme, die eisblauen Augen funkelten. „Nun, ihr habt einen Hauch von Farbe bekommen, wirkt deutlich entspannter und ausgeruhter. Das Wochenende schien für sie sehr angenehm gewesen zu sein. Leider kann ich aus dem Herumwerfen des Buches nicht bestimmen, ob es ihnen gefallen hat. Sie werfen des Öfteren mit Dingen um sich.“

Hatte er das jetzt wirklich gehört? Meine Güte, musste er wirklich so direkt werden? Nun schloss er den Koffer und nahm ihn vom Schreibtisch herunter. „Da gebe ich dir Recht, ich werfe dir Öfter Dinge vor die Nase.“ Gab er von sich, während er um den Schreibtisch herum trat und erst dicht vor Joey stehen blieb. „Du zuckst immer so schön zusammen, wenn du den unerwarteten Knall hörst.“ Kurz flackerte die Wut in den honigbraunen Augen auf, doch sie verschwand sofort wieder. „Nun, wenn du wirklich eine Antwort haben willst, dann werde ich heute das allerletzte Mal nett zu dir sein und sie dir geben.“ Nun war der junge Mann irritiert und zwar so stark, dass er nichts gegen die sanfte Berührung der warmen Finger tat.

Seto beugte sich vor, strich mit dem Daumen vom Kinn den Unterkiefer entlang, bis sich seine Finger leicht in den Nacken seines Opfers legten. Den Daumen drückte er dabei sanft gegen das Ohr, damit er den Kopf ein Stück in seine Richtung ziehen konnte. Die schmalen Lippen befanden sich nun dicht neben Joeys linkem Ohr. „Oh ja, es hat mir sehr gut gefallen. Genauso gut, wie mir dieses Wochenende gefallen hat. Aber dir ist doch hoffentlich klar, dass ich dich trotzdem bestrafen muss? Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass du dich in mein Leben einmischt und ich dich so einfach damit davon kommen lasse? Also, stell dich auf den grausamsten, schlimmsten und demütigsten Tag ein, den du in deinem bisherigen Leben erdulden musstest, Jonathan Harker!“
 

Die honigbraunen Augen waren so entsetzte, so voller Angst und Unglaube, dass Seto ein wollüstiger Schauer über den Rücken lief. Dieser Anblick war wie ein göttliches Geschenk. Er konnte genau sehen, wie Joey diese Worte in jeder möglichen Bedeutung drehte. Er hatte ihn schon lange losgelassen, doch noch immer rührte sich der Blonde nicht. „Ich bin in meinem Büro.“ Hauchte er schon fast und drehte sich um. Das laute Schlucken konnte er noch hören, bevor die Tür hinter ihm zu fiel.

Den schlimmsten Tag in seinem Leben? Was sollte das denn bitte schön bedeuten? Mit großen Augen starrte er auf die Tür, die sich eben geschlossen hatte und seufzte langsam. Kannte der Kerl keine Dankbarkeit? Das klang immerhin so, als hätte er ihm das beste Wochenende seit Langem beschert und dafür durfte er jetzt mit Setos Rache rechnen? Das war doch nicht fair! Nein, das war gemein, fies und unglaublich… demütigend…
 

Mit einem Brummen begrüßte er Yuriko und sortierte die letzten Anfragen. Klasse, und was sollte er jetzt machen? Sein Blick wurde von dem kleinen, schwarzen Buch eingefangen, das dort auf dem Schreibtisch lag. Na gut, wenn er so oder so bestraft wurde, dann konnte er ja mit seiner eigenen Strategie weiter machen. Vielleicht war das eine dumme Logik, aber so konnte er wenigstens entscheiden, wofür er die „Tracht Prügel“ bekam, die anscheinend noch auf ihn wartete. Von dieser Entscheidung beflügelt, arbeitete er schnell das Notwendigste ab und öffnete die Suchmaschine seines Browsers. Wenn der nette Herr so schnell mit Dracula fertig geworden war, dann sollte er eben Nachschub bekommen.

Mit einem stillen Lächeln stellte die Sekretärin ihm einen heißen Becher Tee auf den Schreibtisch und ging zu ihrem eigenen hinüber. Momentan waren sie und Joey die einzigen hier und so unterstützten und halfen sie sich, wo sie konnten. Immerhin war es ein gemeinsamer Kampf gegen die Unfreundlichkeit der „Außenwelt“ und der Ungnade von Seto Kaiba.

Die Zeit verstrich und bis kurz nach zehn gab es keine nennenswerten Vorkommnisse. Dafür, dass dieser Tag der schlimmste seines bisherigen Lebens werden sollte, war er verdammt ruhig. Was also hatte dieser Mistkerl noch alles vor? Mit einem Seufzen stand er auf und machte sich auf den Weg in die Küche, um das Frühstück seines Vorgesetzten zu holen. Hayato erwartete ihn schon und reichte ihm den Teller mit einem Lächeln. Die dunklen Augen sahen ihn wie jeden Tag freudig an und eine leicht verlegene Röte lag auf seinen Wangen. Der Küchenjunge hatte kurze, schwarze Haare und drehte sich mit einem sehnsüchtigen Seufzen wieder um.
 

Gut, dann hieß es jetzt also auf in die Hölle! Schnell noch den Kaffee fertig machen und dann wäre es auch schon spät genug. Heute wollte er sich sicher keinen Fehler leisten und auch wenn er selbst die Uhrzeit fest gelegt hatte, war es ihm gerade daher so wichtig. Joey musste noch einmal tief einatmen, bevor er klopfte. Seto rief ihn herein und mit einem freundlichen Lächeln stellte Joey das Frühstück ab. Mit einem knappen Nicken kommentierte der Brünette dieses nur und war noch immer in die Dokumente vertieft, die da vor ihm auf dem Tisch ausgebreitete waren. „Ich brauche noch einmal den Finanzierungplan der Übernahme des Ima-Projektes. Ich glaube, dass nicht alle Zahlen stimmen. Mit welchem Datum ist der älteste Plan versehen?“ Die eisblauen Augen sahen zu ihm auf und es lag keine Kälte in ihnen. Der junge Firmenführer schien einfach nur tief in seine Arbeit versunken zu sein. „Ähm…“ Schnell schluckte er sein Zögern herunter. „Ich müsste es eben nachsehen, Mr. Kaiba. Geben sie mir fünf Minuten und sie haben alle vorhandenen Varianten.“ Mit einem Nicken gab er seine Zustimmung dazu. „Gut, ich meine, dass wir mittlerweile drei haben müssten.“
 

War das wirklich die Umsetzung seines schlimmsten Tages? Langsam bekam Joey Angst, während er aus dem Schrank hinter seinem Schreibtisch die passende Mappe heraussuchte und die entsprechenden Dokumente kopierte. Ja, Seto hatte Recht, es waren drei. Er tackerte die Seiten zusammen und erhielt drei kleine Stapel. Mit diesen kehrte er in das Büro zurück und überreichte sie dem Firmenführer. Dieser nahm ihm die Papiere ab und sah noch einmal zu ihm auf. „Ach ja, ich brauche dich ungefähr in einer Stunde. Ich gebe dir rechtzeitig Bescheid und lege bitte den Termin von Morgen um 10 Uhr um. Ich habe momentan keine Zeit, mir über die Forderungen dieses eingebildeten Fatzke Gedanken zu machen. Schau, dass du einen Termin nach der Dubai Reise findest.“ Kurz hielt er inne. „Ruf noch einmal diesen Kaminski an und stell ihn zu mir durch. Irgendetwas stimmt hier mit den Zahlen nicht.“

Gehorsam nickte nun Joey und verließ das Zimmer. Das waren ganz normale Aufgaben! Noch immer kam ihm Nichts wirklich beunruhigend vor. Seto hatte im Laufe der letzten Woche immer mehr Aufgaben an ihn abgegeben und der Blonde hatte das Gefühl in seinen neuen Job hinein zu wachsen.
 

Natürlich stimmten die Zahlen nicht! Warum musste er auch immer Recht behalten? Gut, dass würde also noch einiges an Arbeit mit sich bringen, doch Seto wollte sich damit nicht auseinander setzen. Jetzt lag etwas anderes an! Jetzt wollte er seine Rache genießen und so schob er die Dokumente feinsäuberlich zusammen. Mit einem bitterbösen Lächeln rief er unten am Empfang an und erfuhr, dass soweit alles vorbereitet war. Dann mal los! Auf ins letzte Gefecht! Obwohl, es wäre ja schon schade, wenn er heute seinen Sieg einfahren konnte. Immerhin wollte er den lieben, kleinen Köter ja noch etwas länger quälen!

Jetzt durfte er nur nicht zu viel Lächeln, ein ernstes Gesicht und einen ruhigen Blick. Noch einmal kurz seine Mimik fassend, öffnete er die Tür zu seinem Büro und musste erstaunt feststellen, dass Joey nicht an seinem Platz saß. „Doch, ich bin mir sicher. Irgendwo müssen wir darüber noch Aufzeichnungen habe. Kaminski war schon einmal bei einer Projektübernahme dabei. Der Name sagt mir etwas.“ Das war die Stimme seiner Sekretärin. Sprach sie mit Joey? Verwundert durchschritt der Brünette den Raum und sah, wie sich der 19 Jährige über die Schulter Yurikos beugte. „Ich war da ja definitiv noch nicht da.“ Scherzte er und dann blickte er auf. „Oh, Mr. Kaiba, wie können wir ihnen behilflich sein?“ Fragte er freundlich. „War das Gespräch erfolgreich?“
 

„Nun, wenn du gepfuschte Zahlen als Erfolg ansiehst, dann war es das.“ Meinte er nur mit einem tiefen Brummen und deutete mit einer Handbewegung an, dass Joey ihm folgen sollte. „Kommst du bitte.“ Meinte er ruhig und der Blonde nickte unwissend. „Nach was sucht ihr da?“ Fragte er wie nebenher und betrat den Fahrstuhl. „Oh, Yuriko meinte nur, dass sie den Namen Kaminski schon einmal gehört hätte und wollte das prüfen. Ich hatte ihr von den Unstimmigkeiten erzählt. Ich hoffe, dass das in Ordnung war. Immerhin arbeitet sie ja auch im selben Büro.“ Dabei lächelte er verlegen und fuhr sich mit der Hand über den Nacken. Das tat Joey immer, wenn ihm etwas unangenehm war. Dieses Verhalten war Seto schon vor langer Zeit aufgefallen. Die eisblauen Augen sahen ihn nur kühl an. „Solange es allein oben im Büro geschieht, ist es ok. Sonst klingt das eher nach Geheimnisverrat.“ Das kurze Entsetzen konnte er deutlich in Joeys Augen erkennen. „Nein… nein… das werde ich natürlich nicht…“ Bemühte er sich und bemerkte, dass sie angekommen waren. Als sich der Fahrstuhl öffnete, spürte er die warme Hand des 22 Jährigen in seinem Rücken, der ihn leicht hinaus schob.
 

Am liebsten wäre er verschwunden, zurückgerannt oder hätte sich in Luft aufgelöst. Der Empfangsbereich war von duzenden Reportern mit Mikrofonen, Kameras und Fotoapparaten gefüllt. Dieses elende Arschloch! Das hatte er doch geplant! Seine Hände begannen zu zittern und seine Knie wurden weich. Leicht senkte er den Blick, verschränkte seine Finger hinter dem Rücken ineinander und hoffte, dass er das hier heil überstehen würde. Kaum waren sie aus dem Fahrstuhl getreten, stürzte sich die Masse schon auf sie. Seto hob die Hände, er brauchte nicht einmal etwas zu sagen und die Reporter verstummten in Ehrfurcht. „Das hier ist ein Durchgang, ein Bereich, der zum Verlassen und Betreten dieses Gebäudes gebraucht wird. Also bitte, verschwinden sie hier!“ Forderte der brünette Firmenführer sie auf und verwunderte Blicke wurden zwischen den ungebetenen Gästen getauscht. „Gut… gut, wir gehen, wenn sie uns dafür ein paar Fragen beantworten, Mr. Kaiba!“ Gab ein junger Mann so überzeugt von sich, wie seine zitternde Stimme es zuließ.

Ein eisiger Blick traf ihn und die schneidende Stimme fragte scharf. „Und was sind das für Fragen?“ Der Angesprochene schnappte nach Luft, die Hand zitterte, in der er sein Mikro hielt. Seine schwarzen Haare waren leicht kraus und seine dunklen Augen vor Angst geweitet. Er war vielleicht 17 Jahre alt. Der jüngste unter ihnen. „Stimmt es… stimmt es, dass Joey Wheeler mittlerweile für sie als Sekretär arbeitet?“ Kurz sah er zu dem blonden Mann hinter dem Firmenführer. „Wie… wie kommt es dazu?“ Schob er die Frage nach, da die erste ja beinahe offensichtlich war.
 

Eine schiere Ewigkeit schien zu vergehen, kein Blitzlicht erhellte die kleine Halle, während alle an den schmalen Lippen hingen. Irgendwann musste er etwas sagen. „Joey wollte mir beweisen, dass er nicht der unfähige, trottelige Köter ist, für den ich ihn halte. Also bot ich ihm eine Wette an. Da mein persönlicher Sekretär unerwartet seine Kündigung eingereicht hat, sollte er diesen Posten für 3 Monate übernehmen!“

Was für ein Schwein! Ein unfähiger, trotteliger Köter? Musste das wirklich sein? Joey spürte den grausamen Schmerz, mit dem sich der Druck in seinem Hals verstärkte. Er konnte nicht einmal schlucken. Darum ging es Kaiba also! Er wollte ihn vor allen bloß stellen! Seine Brust war wie zugeschnürt, er bekam kaum Luft. Was sollte er tun? Er konnte jetzt nicht einfach gehen! Dieses Arschloch hatte ihn mit dem Rücken zur Wand gestellt und ihm nur eine einzige Tür gelassen. Joey wusste jetzt schon genau, worauf das alles hinaus laufen würde.

„Aber… aber… wenn sie wirklich glauben, dass er diesen Posten nicht ausreichend ausführen kann, werden sie doch mit Verlusten rechnen müssen.“ Stellte der junge Japaner seine Worte mitten in den Raum ohne zu wissen, dass er das Messer an Joey Herz setze. Und natürlich stieß Seto Kaiba zu. „5 Millionen Dollar. Das ist der Verlust, denn ich als verschmerzbar für diese Wette einkalkuliert habe. Die Villa in Monaco hatte auch ihren Reiz, aber für den unwiderlegbaren Beweis, den unabänderbaren und alles besiegelnden Sieg über die ewig nervenden Bemerkungen und störenden Herausforderungen Wheelers erscheint mir diese Investition doch rentabler.“
 

Am liebsten hätte er geschrien, Wut und Schmerz vermischten sich zu einer grausamen Folter und pressten jede Luft aus seinen Lungen. Wie lange noch? Wie lange musste er hier noch stehen? Er hasste diesen Mann! Er hasste ihn! Das war also seine „STRAFE“ dafür, dass er alles tat, um Seto und seinen Bruder wieder näher zusammen zu bringen? Das war seine „STRAFE“ dafür, dass er sich vielleicht sogar Sorgen um ihn machte?

„Also, ist Joey Wheelers Einsatz bei dieser Wette seine Aufgabe und ihre Anerkennung als eindeutig überlegener?“ Fragte der junge Reporter und Joey wusste, was jetzt kam. Er hob den Kopf, seine Finger waren so stark ineinander verschränkt, dass er sie kaum noch spürte. Sein Gesicht war wie versteinert. Er wusste nicht, ob das Lächeln auf seinen Lippen wirklich vorhanden war. Natürlich hatte Seto sich zu ihm umgedreht und sah ihn herausfordernd an. Er sollte diese Frage beantworten. „Das haben sie gut zusammen gefasst. So kann man es ausdrücken.“ War das wirklich seine Stimme? Diese Worte taten so unglaublich weh! Dieses elende Schwein! 5 Millionen Dollar? War das sein ernst?
 

Er zitterte, wusste nicht, ob es auch sein Körper tat. Seto hatte das Interview nach einigen weiteren Fragen beendet und ihnen 15 Minuten gegeben, um dieses Gebäude und das Gelände zu verlassen. Danach schob er den Blonden in den Fahrstuhl zurück. Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, drehte sich Joey um. Tränen liefen über seine Wangen und doch stoppte der Brünette die Faust gekonnt, mit der Joey zuschlug. „Du elender Scheißkerl!“ Schrie er und spürte den Schmerz nicht, der durch seinen Rücken zog, als er gegen die gegenüberliegende Wand geschmettert wurde. Dieses eiskalte Lächeln! Dieser Blick, ohne jedes Gefühl! „Ich habe dir gesagt, dass du dich nicht in mein Leben einmischen sollst! Jetzt hast du hoffentlich deine Lektion gelernt!“ Seine warmen Finger lagen um den Hals des Blonden, die andere Hand drückte die Faust gegen die kühle Wand. „Nein, Joey, ich verprügel keine kleinen Hunde! Ich habe dir gesagt, dass du deine Finger aus meinem Leben lassen sollst, also, versuch nicht ganz so erbärmlich zu sein. Das Beste, das Schönste an meiner Rache, kennst du noch gar nicht! Ich bin ein Arschloch! Durch und durch! Du wolltest dich mir in den Weg stellen, mir zeigen, was für ein starker Kerl du bist. Wie lange habe ich jetzt gebraucht, um dich zum Heulen zu bringen?“ Er schwieg einen Moment und dann ließ er den 19 Jährigen wieder los. „Frag deine neue Busenfreundin, die wird dir die letzten, kleinen Details sicher erzählen!“
 

Mit einem Pling sprang die Tür auf und Seto drehte sich um. „Ach ja, hast du den Termin noch umgelegt?“ Dabei entkam seiner Kehle ein grausames Lachen. Als er in das bleiche, voller Entsetzen geprägte Gesicht Yurikos sah, grinste er nur grausam. „Kehrst du das Häuflein Elend zusammen, das im Fahrstuhl sitzt?“ Rief er ihr noch zu und nur wenig später fiel die große Tür geräuschvoll hinter ihm zu.
 

Ja, ein Häuflein Elend war die richtige Bezeichnung. Joey lehne noch immer an der Wand, gegen die ihn Seto gestoßen hatte und Tränen liefen über seine geröteten Wangen. Der grobe Druck der schlanken Hand war nur kurz, doch stark genug, damit er ihn noch immer an seiner Kehle spürte. Langsam registrierte auch sein Gehirn den aufkommenden Schmerz seiner Schulterblätter, die den Aufschlag beinahe gänzlich abgefangen hatten und über das Rückgrat weiter gaben. „Oh Joey.“ Rief sie und ihre Hand schnellte vor, als sich die Tür des Fahrstuhles schließen wollte. Die geröteten Augen sahen zu ihr und ein leichtes Beben ergriff seine Schultern. Als wäre es der Auslöser für seine Rückkehr in diese Welt, hob er den rechten Arm und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Schon… schon ok… es geht mir gut!“ Stotterte er und versuchte sich von der Wand abzustoßen. Seine Knie waren weich, zitterten und auch seine Hände konnte er nicht still halten.

„Ja, das sehe ich. Dir geht es ganz blendend!“ Schimpfte sie mit diesem mütterlichen Ton und funkelte ihn dabei streng an. Sie griff nach seinem Arm und zog ihn aus dem Fahrstuhl heraus. Der blonde, junge Mann wehrte sich nicht dagegen und dann fragte er zögerlich nach. „Was… was hat er damit gemeint? Was hat er damit gemeint, dass du weißt, was das Beste an seiner Rache ist?“ Er konnte erkennen, dass sie nun verlegen wurde. Mit festen Schritten zog sie ihn an den Schreibtischen vorbei in den kleinen Bistrobereich. Hinter der Tür befand sich auf der rechten Seite die Garderobe, neben der sich ein Sofa stand.
 

„Das ist nicht so wichtig. Vergiss das einfach und mach dir keine Gedanken darüber.“ Brummte sie und drückte ihn in die weichen Polster. „Yuriko, was ist passiert? Was hat er getan?“ Fragte er nun direkter nach und für einen Moment schien er wieder aus sich heraus zu kommen. Ihre grauen Augen sahen ihn so mitleidig an, sie schwieg, bis er noch einmal fragte. „Als ihr unten angekommen seid, als der Fahrstuhl sich öffnete, gab es eine Übertragung… so wie ich das mitbekommen habe, wurde auf allen Bildschirmen im ganzen Bürogebäude das Bild der Überwachungskamera des Empfangsbereiches gezeigt.“ Es dauerte einige Herzschläge bis Joey die ganze Bedeutung dieser Worte verstanden hatte. Sie alle hatten gesehen, wie Seto ihn vor den Reportern gedemütigt hatte? Sie alle hatten seine Worte gehört, das Eingeständnis ihn als überlegen anzuerkennen?

Wann ihm all das klar geworden war, konnte sie sofort erkennen. Tränen rannen still über die roten Wangen und der Schmerz stand so deutlich in den großen Augen, dass sie ihn einfach in ihre Arme ziehen musste. Das war also seine Rache! Er machte ihn nicht nur vor der ganzen Welt lächerlich, demütigte ihn bis aufs Blut, nein, er sorgte dafür, dass er ab jetzt in jedem Blick seiner „Kollegen“ diese Schmach wieder erkennen konnte!
 

Wie konnte ein Mensch nur so grausam sein?
 

Und das weil er… weil er sich für ihn und Mokuba eingesetzt hatte?
 

Weil er ihm ein entspanntes, angenehmes Wochenende ermöglicht hatte?
 

Weil er… weil er… einfach nett sein wollte… weil er helfen wollte… weil er…
 

Nein, dieser Mann kannte keine Dankbarkeit! Dieser Mann kannte rein gar nichts außer Hass!

Diese Erkenntnis war wie ein Schlag in die Magengrube. Der 19 Jährige war in sich zusammengesackt und alles in ihm schien wie tot. Da war kein weiteres Gefühl als dieser unbändige, alles erfüllende Schmerz! Er nahm nichts mehr um sich herum war, weder die lautlosen Tränen, noch das stille Schluchzen. Er spürte nicht das Beben seines Körpers oder Yurikos Wärme, die ihn noch immer in den Armen hielt.

Der Gegenangriff

Kapitel 18

Der Gegenangriff
 

Wie viel Zeit vergangen war, konnte keiner der beiden sagen. Das stille Schluchzen war verstummt und auch sein Zittern hatte aufgehört. Joey lag nur noch in ihren Armen und schien völlig abwesend. Seine braunen Augen blickten starr auf den Boden.

Erst durch sein Räuspern bemerkte sie den Brünetten, der in der Tür stand. Wie lange er sie beobachtet hatte oder ob er eben erst gekommen war, konnte sie nicht sagen. Noch immer lag eine gewisse Belustigung in seinem Blick. Die eisblauen Augen waren mit einer unglaublichen Kälte gefüllt und ein scharfes Lächeln lag auf seinen Lippen. „Ich hole mir nur einen Kaffee, anscheinend gibt es hier keinen mehr.“ Am liebsten wäre Yuriko aufgesprungen und hätte ihrem Chef eine gescheuert. Was sollte das denn bitte heißen? Er war doch nur hier um herauszufinden, ob er sein Ziel erreicht hatte. Tief einatmend schloss sie kurz die Augen. „Ich bringe ihnen gleich einen Kaffee. Sie brauchen sich nicht bemühen!“ Mehr sagte sie nicht, auch er kommentierte diese Worte nur mit dem Hochziehen seiner rechten Augenbraue. Nun, wenn sie das unbedingt wollte, würde er sie nicht aufhalten.
 

Kaum war das Geräusch der zufallenden Bürotür zu hören, kam jemand anderes um die Ecke. „Er ist weg oder?“ Fragte Hayato vorsichtig und zog die weiße Kochmütze von seinem Kopf. Der 24 Jährige sah aus seinen dunklen Augen zu ihnen und dann wurde sein erleichterter Gesichtsausdruck zu einem traurigen. Vorsichtig schob er den kleinen Speisewagen durch die Tür in den Bistrobereich hinein. Joey hatte nicht einmal auf seine Stimme reagiert. Er trug seine weiße Kochkleidung und stellte den Wagen ab. Der Küchenlehrling besaß die typischen Merkmale eines Japaners, die schmalen, dunklen Augen, die schwarzen Haare und dieses eigenwillige Gesicht. Er legte die weiße Mütze auf den Wagen und ließ sich dann vor Joey in die Hocke sinken. „Hey, ich lasse mal die üblichen Fragen von wegen, wie es dir geht.“ Begann er und nun kam zumindest eine Regung in den Blick des Blonden. Die Honigbraunen Augen fixierten Hayato und dieser lächelte freundlich. Er war ein kleiner, schlaksiger junger Mann, der sehr gefühlvoll sein konnte. Er kannte Joey erst seit letzter Woche und hatte sich bis über beide Ohren in diesen verliebt. „Ok, auch auf die Gefahr hin, dass du mich jetzt für völlig bescheuert hältst, aber ich habe einen Plan!“ Begann er euphorisch und sah mit einem breiten Grinsen zu beiden auf.
 

Nun regte sich sogar der Rest des 19 Jährigen und er setzte sich langsam auf. Seine Augen waren vom Weinen gerötet und er wirkte schrecklich erschöpft und niedergeschlagen. „Ich habe den ultimativen Plan, wie du diesem Vollidioten so richtig in den Arsch treten kannst!“ Noch immer hatte seine Stimme diesen beschwingten Klang. Kurz schloss Joey die Augen und seufzte. „Ist das jetzt wirklich dein Ernst?“ Fragte er und blickte zu der älteren Dame an seiner Seite, die nur mit den Schultern zuckte. „Ich höre ihm gerne zu.“ Meinte sie nur und sah dann wieder zu Hayato.

„Ok, so wie ich die Lage einschätze, ist dieser Großkotz eben nur hier gewesen um nachzusehen, ob er Erfolg hatte. Das alles macht er nur um dich klein zu kriegen! Du, Joseph Wheeler, machst dich jetzt frisch, ich koche derweil den besten Kaffee, den dieses Arsch in seinem ganzen Leben getrunken hat und dann bringst du ihm sein Mittagessen mit einem Lächeln auf den Lippen rein und wünscht ihm noch einen guten Appetit!“ Nun war es der 19 Jährige, der ihn ungläubig anstarrte. „Ich verspreche dir, dass du das dümmste Gesicht von allen zu sehen bekommst!“ Meinte der Küchenjunge und strahlte dabei. „Das letzte, womit Kaiba jetzt rechnet ist deine Auferstehung. Der glaubt doch, dass er dich fertig gemacht hat! Das ist deine ultimative Rache! Er will eine Wette! Er bekommt eine Wette! Seit wann lassen sich denn Kerle wie du einfach so demütigen und fertig machen?“
 

Bei diesen Worten musste Joey sogar leicht lachen. „Hör mal, er hat von einer Wette gesprochen und noch ist überhaupt nichts geschehen. Was glaubst du wohl, was er macht, wenn du nach drei Monaten die Wette gewonnen hast? Stell dir mal sein Gesicht vor!“ Rief er freudig und nun kam langsam wieder Leben in den Sekretär. „Ja,… ja… ok, ich gebe zu, dass wäre schon eine echt klasse Vorstellung!“ Brummte er und fuhr sich verlegen mit der Hand über den Nacken. „Aber…“ Doch da wurde er unterbrochen. Der Schwarzhaarige war aufgesprungen und zu seinem Wagen geeilt. Er hatte eine schwarze Dose unter seiner Mütze hervor gezogen und öffnete sie. Darin lagen dunkle Kaffeebohnen. „Das hier, meine lieben Mitverschwörer, ist der Kaffee meines Chefs. Wenn er erfährt, dass ich ihm die Bohnen geklaut habe, bringt er mich um.“ Er machte eine dramatorgische Pause und fügte dann an. „Ok, ich kann ihn damit erpressen, dass er den Kaffee über die Küche kauft und damit keinen Yen dafür bezahlt. Aber das hier ist der beste Kaffee, denn Kaiba bisher getrunken hat, auf jeden Fall hier in seinem Büro. Ich habe diesen Kaffee nicht umsonst gestohlen, Joey! Und ich werde nicht zulassen, dass dich dieser Mistkerl in die Knie zwingt!“
 

Die Honigbraunen Augen leuchteten und die bleichen Wangen glühten rot. „Ist ja gut, ich mach es ja schon, aber hör auf damit! Du bist ja schrecklich.“ Lachte er, da der Küchenjunge in theatralische Posen gesprungen war um seine Worte zu unterstreichen. „Und nein, ich finde es zwar unglaublich lieb von dir, aber damit bekommst du mich auch nicht rum.“ Das breite Gesicht verzog sich zu einem trauernden Ausdruck. „Na gut… aber du hast mich lieb?“ Fragte Hayato, der nicht mit einem solchen Korb gerechnet hatte. Der kleine Stich in seinem Herzen war bei diesem Lächeln wenigstens erträglich. „Ja, ich habe dich lieb! Wirklich lieb!“ Sagte Joey, der nun aufgestanden war und zog den etwas kleineren Mann in seine Arme. „Du verrückter Spinner. Kaiba wird mich umbringen!“ Brummte er lachend, während er sich wieder von seinem neuen Freund löste. „Glaub mir, dass wird er nicht! Also, sorg du dafür, dass du etwas besser aussiehst und ich koche solange Kaffee!“ Die Wangen des 24 Jährigen glühten und er wirkte mehr als verlegen, was er mit seinem Grinsen überspielen wollte.

Daran hätte er auch gleich denken können. Der Blonde fuhr sich nun peinlich berührt mit der flachen Hand über den Nacken und senkte den Blick. Klasse, ja, vielleicht hätte er das ein wenig besser anstellen sollen. Erst diesen groben Korb verteilen und dann um den Hals fallen? Ein wenig gefühlvoller wäre da sicher ganz schön gewesen und… „Schon ok, Joey.“ Erklang mit einem Mal die Stimme des Küchenjungen und Joey sah auf. „Mach dir wegen mir keinen Kopf. Ich meine, ich bin ja derjenige, der dich so offensiv… ähm… angebaggert hat.“ Dass er dann auch mit einer offensiven Abfuhr rechen sollte, war dabei eine logische Folge.
 

Der kleine Bistrobereich war mit dem Geruch des schwarzen Kaffees erfüllt, als Joey wieder zurück kam. Die Toiletten waren hinter der kleinen Küche, abgetrennt vom Büro. Heute fiel dem jungen Mann das erste Mal auf, dass diese Küche ja nur für die drei Sekretärinnen, den Sekretär und Kaiba war. Sonst gab es niemanden mehr auf diesem Stockwerk. Dass alles hier war allein für sie gedacht.

Hayato sah ihn mit großen Augen an. „Hast du ein neues Hemd an?“ Fragte er und nun grinste Yuriko über beide Ohren. „Nun, ich habe letzte Woche für Ersatz gesorgt. Ich ahnte schon, dass wir welche gebrauchen könnten.“ Gab sie freudig von sich und Joey wurde rot. Er hatte sich das Gesicht gewaschen, die Haare gekämmt und das Hemd gewechselt. „Ok, der Kaffee ist fertig, jetzt aber los. Sonst wird das Essen noch kalt!“ Meinte der Küchenjunge und spürte die Hitze auf seinen Wangen. Er hatte den Teller mit dem Becher auf einem Tablett platziert und drückte dieses nun Joey in die Hände. „Das schaffst du schon! Denk einfach an sein dummes Gesicht!“
 

Mit klopfenden Herzen stand er dort an der Tür und sah noch einmal zu den beiden hinüber. Sie drückten ihm die Daumen, ihre großen Augen leuchteten voller Zuversicht und Freude! Ob Hayatos Plan aufging? Würde Seto sich wirklich darüber wundern, wenn er jetzt auftauchte? Seine Knie schienen zu zittern, seine Arme schienen so schwer und dann hörte er plötzlich die tiefe Stimme. „Herein!“ Oh Gott, wann hatte er denn geklopft? Doch ja, er hielt das Tablett nur noch auf der einen Hand fest, die andere lag noch geballt gegen das Holz gedrückt. Ok, er hatte wirklich schon geklopft! Seine Kehle schmerzte, so groß war der Kloß in seinem Hals. Mit zitternder Hand griff er nach dem Türgriff und drückte ihn herunter. Ok, Schritt für Schritt. Er war gleich drinnen!

Die eisblauen Augen sahen ihn an und ja er konnte die Überraschung erkennen, die in ihnen stand. Wirklich? War er wirklich überrascht? Sein Herz machte einen Hüpfer und ganz automatisch musste er lächeln. Jetzt durfte er nur nicht das Gehen vergessen. Ganz rüber zum Schreibtisch. „Ich bringe ihnen nur ihr Mittagessen!“ Hatte er das gesagt? Ja, das war seine Stimme und der Brünette vor ihm, der sich anscheinend wieder gefangen hatte, schob die Blätter zusammen, die noch auf seinem Arbeitsplatz lagen.

So konnte Joey das Tablett abstellen und verneigte sich leicht. „Ich wünsche ihnen einen guten Appetit. Mr. Kaiba.“ Sagte er und als er den Blick wieder hob, in die eisblauen Augen schaute, musste er leise schlucken. „Solltet ihr noch etwas brauchen, wisst ihr ja, wo ihr mich findet.“
 

Sein Herz klopfte so stark, dass es schmerzte. Er spürte die Anspannung seines Körpers und den Schmerz in seinem Hals. Er bekam kaum Luft, während er durch das Büro schritt. Jetzt musste er nur noch die Tür hinter sich schließen. Als er sich umdrehte, die Tür schließen wollte, sah er in diese eisblauen Augen. Ja, genau das wollte er sehen! Genau diesen entsetzen, völlig überforderten Blick! Hayato hatte Recht! Diese Reaktion hatte Seto Kaiba so überrascht, dass dieser noch immer dort saß, ihn anblickte und dabei all seine Fassung verloren hatte. Das erste Erstaunen hatte er noch fassen können, doch nach diesen Worten war ihm seine eiserne Maske gänzlich vom Gesicht gefallen.
 

Nachdem die Tür geschlossen war, drehte er sich zu seinen „Mitverschwörern“ um, die schon voller Aufregung neben der Tür standen und warteten. „JA! JA! JA!“ Flüsterte er und Hayato sprang vor Freude in die Luft. „Los, rüber in die Küche!“ Flüsterte Joey und scheuchte beide in den Bistrobereich. „Du hattest Recht!“ Meinte er grinsend und alle drei begannen zu jubeln. Ja, er hatte sich Seto Kaiba gegenüber bewiesen! Wenn auch nur für diesen Moment, aber das hatte er getan! Er hatte ihn in diesem Spiel besiegt! „Danke! Danke! Ohne euch beiden hätte ich das sicher nicht geschafft!“ Grinste der Blonde überglücklich.
 

War das jetzt wirklich geschehen? Noch immer saß er dort, blinzelte und starrte dann auf den Teller, der vor ihm stand. Ok, ja, anscheinend war das kein Traum. Das erinnerte ihn so an den Freitag Abend. Hatte der kleine Köter ihn schon wieder so aus der Fassung bringen können? Irritiert bemerkte er, dass der Geruch des Kaffes anders war. Er griff nach dem Becher und schnupperte daran. Ja, das war eine andere Sorte. Vorsichtig nahm er einen Schluck des heißen Getränkes und schloss die Augen. Bei allen verfluchten Göttern! Bei allen entehrten, verfluchten, erniedrigten Göttern! Was war das für ein Kaffee? Gut, dieser Punkt ging ohne zu zögern an Joey! Ja, das tat er! Aber wo hatte er diesen Kaffee her? Noch einmal nahm er einen Schluck und ließ sich in seinen Stuhl zurück sinken. Bekam er jedes Mal so einen guten Kaffee, wenn er Joey zum Heulen brachte?

Diese Kombination sollte er vielleicht doch nicht knüpfen. Das war eher unwahrscheinlich. Langsam öffnete er die Augen wieder und blickte auf den weißen Teller, dessen Rand mit einem leuchtenden Dunkelblau verziert war. Nun meldete sich auch sein Magen und verkündete, dass er Hunger hatte. Eine seltsame Ruhe hatte den Brünetten ergriffen, als er den heißen Becher wieder auf seinen Platz stellte. Er würde jetzt zwar eine neue Racheaktion planen müssen, aber das würde er alles später machen. Nach dem Essen!
 

Joey genoss seine Pause. Er hatte einfach auf Kosten des Hauses für Yuriko das Mittagessen mit auf die Bestellung gesetzt. Wenn sie schon für drei arbeitete, sollte sie wenigstens dass bekommen dürfen. Hayato hatte zum Dank einen Kuss auf die Wange bekommen, was ihn wie eine Aufziehpuppe um alle Tische laufen ließ. „Und er ist wirklich schon 24 Jahre alt?“ Scherzte die Sekretärin und lachte, als er mit hoch rotem Kopf wieder bei ihnen war. „Ja, wirklich!“ Rief er freudig aus. Er hatte seine Pause so gelegt, dass er sie jetzt nehmen konnte. So hatte er Zeit für Joey gehabt und als sie mit dem Essen fertig waren, räumte er alles auf seinen kleinen Wagen.

„Gut, ich mache mich dann auf den Weg zurück, sonst…“ Doch den Satz beendete er nicht. Er hatte sich zur Tür umgedreht und starrte in das helle Gesicht des Firmenführers. Es wurde schlagartig still und auch Joey und Yuriko schluckten leise. Er lehnte dort im Türrahmen, die Arme vor der Brust verschränkt. Es wirkte so, als würde er dort schon länger stehen. „Wenn ihr jetzt noch Musik anstellt, könnte man das hier glatt als Feier bezeichnen.“ Meinte er kühl und doch lag da dieses Lächeln auf seinen Lippen, dass nicht ganz von Kälte zeugte.
 

„Wir nutzen nur den Pausenraum für unsere Pause.“ Versuchte der 19 Jährige das Wort zu ergreifen und scherzte dann vorsichtig. „Wäre das eine Feier, hätten wir dich natürlich eingeladen!“ Sein Lächeln verschwand wieder, als sich die rechte Augenbraue bedrohlich fragend in die Höhe schob. „Wie können wir dir helfen?“ Fragte er so und setzte ein neues Lächeln auf. Er bekam keine direkte Antwort, der Brünette hob nur den Becher, der bisher zwischen seinen Fingern baumelte. Nach einer Weile des unverständlichen Schweigens ergriff Seto doch das Wort. „Du setzt mir so einen Kaffee vor und glaubst, dass ich nicht danach fragen werde?“

Nun trat eine verlegene Stille ein, in der die drei vielsagende Blicke miteinander tauschten. Keiner wollte diese Stille brechen, als ihre Blicke zurück zu dem Brünetten wanderten. „Gut, ich bin zu einem Deal bereit. Wenn ihr alle so in Schweigen erstarrt, kann mit dem Kaffee irgendetwas nicht stimmen. Ihr rückt mit der Sprache raus und ich belasse meine Bosheiten für heute!“ Die eisblauen Augen wanderten von einem zum anderen und als sein Blick den Küchenjungen traf, begann dieser stotternd. „Keine… keine Bosheiten für alle den ganzen Tag?“ Fragte er nach und bei dem Nicken fügte er an. „Und dafür keine Rache an irgendeinem anderen Tag?“ Wieder ein Nicken. Kurz schaute er zu Joey und Yuriko, die ebenso unsicher schienen. „Nun ja, der Kaffe ist irgendwie… geklaut.“
 

Es erschien wie eine Mischung aus Unglaube und Irritation. „Ich habe ihn meinem Chef gekl… also… ähm… entwendet. Er bestellt ihn immer über die Küche, trinkt ihn aber alleine. Er teilt ihn mit keinem!“ Hayato musste schlucken und langsam löste sich die Verschränkung der Arme. Seto stieß sich vom Türrahmen ab. Oh, Buddha, warum konnte man unter dem Blick dieser eisblauen Augen nicht einfach lügen? Eine kleine Lüge? „Du hast mir gerade gesagt, dass der Küchenchef Kaffee unterschlägt, den er auf meine Kosten bestellt?“ Die Kälte in der tiefen Stimme war grausam, sodass Hayato nur noch nicken konnte. „Becher gegen Dose!“ War seine einzige Aussage und die dunklen Augen blinzelten kurz. „Oh,… ja… natürlich… Mr. Kaiba!“ Es dauerte, bis er diese Aussage verstanden hatte. Er griff nach der Dose, die ganz unten auf dem Rollwagen stand und reichte sie dem Brünetten, während er dessen Becher abnahm. „Meister Okamura bekommt doch jetzt keine Probleme oder?“ Fragte der 24 Jährige nach und die rechte Augenbraue hob sich fragend. „Ich sprach davon, dass ich mich weder rächen werde, noch andere Bosheiten aushecken. Das hier ist ein klarer Verstoß gegen… gegen alles! Das ist Diebstahl und Unterschlagung!“ Fuhr Seto den leicht Älteren an, der kleiner als er war.
 

Hayato war dem Firmenführer in die Küche gefolgt, wo dieser alle Bücher überprüfte. Der Kaffee, den Meister Okamura bestellt hatte, war von der teuersten Sorte. Es hatte sich über die Jahre ein ordentliches Sümmchen angesammelt und dem Brünetten platze der Kragen. Natürlich war dem ganzen Küchenpersonal bewusst, wer für dieses ganze Chaos zuständig war und so trafen Hayato böse Blicke. Die große Küche, die für die weitläufige Kantine zuständig war, wurde von gut einem duzend Köche bedient. Okamura war der Ranghöchste, der für die Bestellung und die Planung zuständig war. Kochen tat er schon lange nicht mehr. Der kleine Japaner war dick geworden, starrte nun aus seinen runden Augen aus dem dicken Gesicht zu dem schlanken Firmenführer auf.

Das Mittagessen war gerade überstanden und nun begannen die Aufräumarbeiten und das Vorbereiten des Abendessens. Alle Küchenjungen und Jungköche standen starr hinter dem großen Aufbau, der Kücheninsel in der Mitte des Raumes und versuchten sich dahinter zu verstecken. Nur der 24 Jährige traute sich nicht zu ihnen, ihre Blicke sagten genug. Das Messer fuhr erstaunlich tief in die hölzerne Arbeitsplatte und Okamura zog seine Hand blitzartig weg. Er schluckte. „Muss ich jetzt wirklich jedes Buch der letzten 10 Jahre ausgraben um die gesamte Summe zu errechnen?“ Fragte Seto, der den Griff des Messers umklammert hielt.
 

Einen wütenden, um Geld betrogenen Kaiba ließ man nicht in die Nähe von Messern. Der Blick der eisigen Augen war so gnadenlos, dass der Japaner sogar mit einer sofortigen Hinrichtung rechnete. Er hatte Todesangst. „Ich will jeden Yen wieder haben! Und wenn ich dich hier noch einmal sehe, dann schlitze ich dich vom Hals bis zum Rumpf auf und wir servieren Koch zu Mittag!“ Zischte er voller kaltem Zorn und zog das Messer wieder aus der Arbeitsplatte, in die er es gestoßen hatte. Mit einer langsamen, aber eleganten Drehung wendete er sich den anderen zu. „Da hier keiner über diesen Vorfall erstaunt ist, gehe ich davon aus, dass ihr alle Bescheid gewusst habt.“ Er trat langsam auf die Insel zu. Da vom Kochen noch vieles dreckig war, verdeckten keine Pfannen die Sicht. „Ich werde ab heute jeden Yen kontrollieren, der hier bestellt wird. Wenn also auch nur annähernd noch einmal etwas dergleichen geschieht, wird keiner von euch in irgendeiner Küche je wieder kochen! Da ihr allesamt gleichermaßen die Schnauze gehalten habt, könnt ihr eurem Kollegen auf Knien danken, dass er die Suppe für euch auslöffelt!“ Damit stieß er das Messer in das runde Holzbrett vor ihm auf der Arbeitsplatte der Kochinsel und alle zuckten zusammen. „Wenn ihm also etwas passieren sollte, dann brauche ich ab diesem Zeitpunkt ein komplett neues Küchenpersonal!“ Mit diesen Worten wendete er sich Meister Okamura zu. Dabei zog sich ein kaltes Lächeln über seine Lippen. „Jeden einzelnen Yen und ich schwöre dir, dass du nicht wissen willst, was ich mit euch mache, wenn ihm etwas passiert!“
 

Diese Worte standen noch im Raum, als der Brünette ihn verließ. Zähneknirschend packte der alte Koch seine Sachen und man konnte den Hass in seinen Augen sehen. Es dauerte nur eine halbe Stunde und Okamura war verschwunden. Die Stimmung in der Küche war seltsam. Auf der einen Seite schwebte eine gewisse Erleichterung im Raum, denn der Chefkoch gehörte zu der übelsten Sorte cholerischer Männer. Doch die zusätzliche Kontrolle und die nun bestehende Gefahr waren unangenehme Zusätze. Schweigend machten sie sich an die Arbeit, um für das Abendessen alles vorzubereiten.
 

Angespannt warteten Joey und Yuriko auf die Rückkehr des Firmenführers und saßen an ihren Schreibtischen. Sie wollten sich auf keinen Fall Ärger einhandeln und doch fiel es ihnen sehr schwer sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Als sich der Fahrstuhl öffnete, zuckte die Sekretärin leicht zusammen. „Wheeler, Miyagi hier her!“ Zitierte er beide zu sich und kaum einen Herzschlag später standen sie vor ihm. Noch immer befand er sich vor dem Fahrstuhl und verschränkte sauer die Arme vor der Brust. „Habt ihr davon gewusst?“ Fragte Seto und sah in zwei schuldbewusste Gesichter.

Erstaunlicherweise war es Joey, der das Wort als erstes ergriff. „Hayato hat es uns erst kurz davor gesagt. Er hat es uns erzählt, nachdem er heute nach oben gekommen war und das Essen brachte. Er wollte dir mit dem Kaffee eine Freude bereiten und hat ihn deswegen seinem Chef geklaut… ausgeborgt!“ Erklärte der Blonde und senkte kurz den Blick. „Wie… wie geht es ihm jetzt?“ Fragte er vorsichtig und nach einem Moment der Stille erklang die tiefe Stimme. „Deinem Lover geht es gut. Okamura ist mit sofortiger Wirkung gekündigt worden.“ Seto hielt kurz inne, als er bemerkte wie sich ihm die honigbraunen Augen wieder zuwandten, Scharm und Verlegenheit spiegelte sich in ihnen.. „Was siehst du mich so an? Er flattert doch um dich herum wie der Schmetterling um eine Blume!“ Die eben noch bleichen Wangen wurden dunkelrot. „Ab mit euch beiden an die Arbeit!“ Brummte er dann und schob sich an beiden vorbei um das Büro zu durchqueren.
 

Seto hielt sich an sein Versprechen und trotz seiner schlechten Laune ließ er alle Gemeinheiten des heutigen Tages. Erst um 19:05 Uhr stand er wieder mit diesem seltsamen Ausdruck vor Joeys Schreibtisch. „Du hast Feierabend! Seit 17 Uhr!“ Knurrte er und die honigbraunen Augen leuchteten frech. „Ich bin so gut wie fertig. Nur noch… fünf Minuten!“ Seto seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich warte!“ Meinte er nur und während sich der Blonde noch ein paar handschriftliche Notizen machte, musste er grinsen. „Willst du mich etwa los werden?“ Fragte er und als er den finsteren Ausdruck erkannte, zuckte er nur mit den Schultern. „Ist ja gut, ich sage ja nichts weiter. Aber es ist schon sehr auffällig.“ Brummte er nur und legte den Stift zur Seite. Mit wenigen Mausklicken hatte er alle Programme geschlossen und ließ den Rechner herunterfahren.

Yuriko war schon wie jeden Abend gegangen und nun waren sie nur noch zu zweit hier oben. Mit einem Seufzen schob er den Stuhl zurück und stand auf. „Ich weiß ja, du erzählst mir eh nichts, aber ist die Summe so groß, dass du den ganzen Tag mit dieser schlechten Laune durch die Gegend läufst?“ Fragte er und sah zu dem brünetten Firmenführer auf. Dieser blickte ihn nur schweigend an. Doch auch Joey schien sich nicht weiter zu rühren, wartete geduldig ab. „Ja, die Summe ist sehr, sehr hoch! Dieser Kaffee gilt als Delikatesse und wenn ich dir den Preis für ein einziges Kilo Excelsa Kaffees verrate, fällst du hier wahrscheinlich noch um.“ Brummte er schließlich und sah, wie sein Gegenüber die Stirn in Falten legte. „Das Geld wirst du nie wieder sehen oder?“ Fragte Joey nun und wusste, dass er sich da auf sehr dünnes Eis begab. „Ja, wahrscheinlich.“ Damit hatte die schlechte Laune ihren Tiefpunkt erreicht. „Lebt er noch?“ Erstaunt über diese Frage zog sich die rechte Augenbraue in die Höhe. Hatte er das eben ernsthaft gefragt?
 

„Tote zahlen so schlecht.“ Knurrte Seto nur und ließ nicht erahnen, ob er nur einen Witz machte. Dafür fiel ihm auf, wie der 19 Jährige etwas in seiner Hosentasche verschwinden ließ. „Ok… damit sage ich dann wohl besser nur noch ~Ich wünsche dir einen guten Abend.~ und verschwinde schnellst möglichst!“ Gab Joey von sich und hob die Hände abwehrend in die Höhe. Er hatte seine Jacke eben schon geholt, sie hing über seinem Stuhl und so schlüpfte er schnell in diese hinein. „Ach ja, ich soll Donnerstag Morgen noch einmal bei Doktor Sakurai vorbei schauen. Ich denke, dass ich dafür genügend Überstunden angehäuft habe oder?“ Fragte er noch sicherheitshalber und bekam nur dieses schrecklich schweigende Nicken. Er streifte den Träger seiner Tasche über die Schulter. „Sonst noch etwas?“ Wieder nur ein Kopfschütteln, ebenso wortlos. Mit einem Seufzen ging Joey um seinen Schreibtisch herum und dann zeigte sich ein Lächeln auf seinen Lippen. „Es freut mich übrigens, dass dir das Wochenende so gefallen hat. Mokuba war auch sehr begeistert. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend. Bis Morgen!“

Irritiert blickte Seto auf den breiten Rücken des blonden Mannes, der vor dem Fahrstuhl stand. Hatte er das eben ernst gemeint? Nein, sicher nicht! Das machte alles keinen Sinn! Mit einem verärgerten Kopfschütteln drehte er sich um und stapfte auf sein Büro zu. Jetzt sollte er auch langsam zurück.
 

Schweigend warf er einen Blick über die Schulter, Joey war verschwunden. Hatte er das wirklich ernst gemeint? Nach all dem war er heute gemacht hatte? Und warum hatte Joey einen USB Stick eingesteckt, der eindeutig ihm gehörte? Oder eher der Kaiba Corp.? Sein Blick schweifte durch das Büro und zum ersten Mal seit langem fühlte er eine seltsame Leere. Er war alleine hier, der letzte, der noch auf diesem Stockwerk war.

Das Klingeln seines Handys holte ihn aus diesen Gedanken. „Hallo, Vik, wie geht es dir?“ Fragte er und schloss die Tür hinter sich. „Mir ist so langweilig, Seto! Leute zusammenstauchen und Firmen zermalmen macht ohne dich nur halb so viel Spaß. Wann kommst du wieder vorbei?“ Fragte die weibliche Stimme auf der anderen Seite. „Mal sehen, vielleicht dieses Wochenende. Ist es denn so schlimm ohne mich?“ Fragte er zurück und ließ sich in seinen großen Stuhl sinken. „Na ja, den wilden Pressemitteilungen nach zu urteilen bist du ja gut beschäftigt. Erzähl mir von dieser kleinen Wette. Das ist doch der kleine Trottel, der neulich deinen Kaffee vergessen hat. Der mit seinen 560 ausstehenden Arbeitsstunden oder?“

Kleine Geschenke erhalten die Feindschaft

Kapitel 19

Kleine Geschenke erhalten die Feindschaft
 

Seto hatte noch eine Weile mit Viktoria telefoniert und sich dann auf den Weg nach Hause gemacht. Es hatte sich als nützliche Angewohnheit herausgestellt bei seinem Aufbruch Zuhause anzurufen und sein Kommen anzukündigen. So stand das Essen pünktlich auf dem Tisch und er kam vor Mitternacht ins Bett. An diesem Abend hatte er sich in seinen privaten Computerraum zurück gezogen und die Protokolle des letzten Systemchecks von Noah durchgesehen. Es gab keine Fehler, alles lief normal… müde schloss er die Augen und ein tiefes Brummen entkam seiner Kehle. Er sollte in den nächsten Tagen noch einmal einen Check durchführen.

Mit diesem Gedanken schloss er alle Programme und verließ den Raum. Er sorgte immer dafür, dass er gut verschlossen war. Er bewahrte hier auf seinen externen Rechnern mit eigenem Server einige Geheimnisse auf, die niemand jemals erfahren durfte. Müde zog er sich in sein Schlafzimmer zurück und während er seine Kleider ordentlich über den Stuhl des kleinen Schreibtisches hängte, schweifen seine Gedanken ab. Er musste an die letzten Worte Joeys denken. Meinte er das wirklich ernst? Er freute sich darüber, dass ihm das Wochenende gefallen hatte?
 

Über diesen Gedanken schlief der Firmenführer ein und als er am nächsten Morgen von seinem Wecker aus dem Schlaf gerissen wurde, musste er direkt an den 19 Jährigen denken. Was für ein schrecklicher Morgen!

Allerdings ging er weiter wie alle bisherigen. Er bereitete sich auf die Arbeit vor, trank einen Kaffee und wurde von Roland zur Arbeit gefahren. Es war alles wie immer, nur… eine kleine Vorfreude machte sich in ihm breit. Er wusste, dass gleich nicht nur ein wundervoller Becher heißen Kaffees auf ihn wartete, sondern auch dieser kleine, breit grinsende Köter! Oh, er musste sich noch etwas für diesen Dummkopf überlegen, seine Gnadenfrist von gestern war immerhin abgelaufen.

Wie jeden Morgen saß er da, trug ein weißes Hemd und eine Krawatte. Die blonden Haare wirkten immer irgendwie wild und ungebändigt, genauso wie dieses breite, unbezwingbare Lächeln. „Guten Morgen, Mr. Kaiba.“ Seine warme Stimme schien den ganzen Raum zu erfüllen und Seto versuchte dieses Bild mit dem weinerlichen, in sich zusammen gesunkenen Blondschopf gestern auf dem Sofa überein zu bringen.
 

„Die Post ist bisher noch nicht gekommen. Ich werde gegen 10 Uhr noch einmal nachschauen.“ Gab Joey von sich und bemerkte, dass der Brünette ihm nicht ganz zuhörte. Als sich die eisblauen Augen wieder auf ihn richteten, wirkten sie kühl, herausfordernd. „Gut, dann gibt mir Bescheid, wenn sie angekommen ist.“ Meinte er ruhig und machte sich auf den Weg in sein Büro. Als er die große Flügeltür öffnete, konnte er schon den starken Kaffee riechen. Vielleicht, ja, vielleicht freute er sich wirklich über diesen Becher am Morgen und vielleicht, aber auch nur vielleicht hatte Joey eine Spur außergewöhnlicher Qualitäten, die ihn einzigartig machten. Er stellte seinen silbernen Koffer ab, warf den Mantel über den Harken neben der Tür und ging dann hinüber zu seinem großen Stuhl. Da stand er, der dunkelblaue Becher, auf dem die weißen Initialen der Firma aufgedruckt waren.

Er ließ sich in den weichen Stuhl sinken und griff nach dem Becher. Oh, er musste Wheeler ja noch wegen dem gestohlenen USB Stick zur Rechenschaft ziehen. Er lehnte sich entspannt zurück und hielt den warmen Becher mit beiden Händen fest. Er war schon dabei genießend die Augen zu schließen, als ihm etwas auffiel. Sein Blick blieb an einem Bild hängen, dass auf seinem Schreibtisch stand. Seit wann stand ein Bild hier? Er beugte sich vor, griff nach dem Rahmen und zog es zu sich heran. Es war eines der Bilder aus dem Tierpark. Mokuba und Noah wollten unbedingt welche machen, doch es gab nur zwei, auf denen sie alle drei waren.
 

Konnte das Mokuba gewesen sein? Nein, der war gestern nicht hier gewesen und außer Joey hatte sonst momentan keiner Zugang zu seinem Büro und außer den beiden wusste niemand, dass es dieses Photo gab. Noah würde niemals freiwillig hier einen Fuß hin setzten und gestern Abend war es noch nicht hier. Es kam also nur einer in Frage, der für dieses Bild zuständig sein konnte. Es war ein schönes Bild und kurz schweiften seine Gedanken an diesen Tag ab. Es war kalt gewesen, aber die Erinnerung daran ließ ein wohliges Gefühl in ihm entstehen. Dennoch, dass konnte ja nicht angehen, dass dieser Köter ihm seinen Triumpf damit auch noch unter die Nase rieb. Sollte der Kerl sich nicht endlich aus seinem Leben heraushalten?

Hin und her gerissen, ob er nun den Kaffe zu Ende trinken sollte oder Wheeler doch gleich den Kopf abreißen, blickte er auf den Becher in seinen Händen. Ok, der Kaffee war ein gutes Argument um noch hier zu bleiben und so ließ er sich wieder zurück sinken. So viel Zeit hatte er jawohl noch, Wheeler rannte ja nicht davon!
 

Deutlich entspannter las er die Mitteilungen, die über seinen Bildschirm flimmerten. Er schrieb nebenher im Chat mit Patrick, der alle Einzelheiten wegen den großen Pressemitteilungen wissen wollte. Nachdenklich betrachtete er das Bild auf seinem Schreibtisch und musste dabei lächeln. Die Erinnerungen tauchten vor seinem inneren Auge wieder auf, das breite Lächeln seines Bruders während dieser von der Entstehung des Uneo Parks 1882 erzählte oder wie er die unterschiedlichsten, japanischen Vögel unterscheiden konnte. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es mittlerweile schon nach halb acht war. Wenn er Joey dafür noch zur Rechenschaft ziehen wollte, sollte er sich nicht allzu viel Zeit lassen.

Bilder, er war nie ein großartiger Freund davon gewesen, sie standen für ihn immer nur für Eitelkeit und Egoismus. Sein Stiefvater hatte immer dieses gewaltige Gemälde von sich selbst im Treppenhaus der Villa aufhängen müssen und auch hier in der Firma waren seine „Kunstwerke“ verteilt. Dabei konnte einem nur übel werden!

Allerdings besaß er noch immer den alten Anhänger, den er von Mokuba geschenkt bekommen hatte. Mittlerweile war er abgenutzt und alt, aber wenn er ihn nicht in der Hosentasche trug, war er in seinem silbernen Koffer, der auch fast überall dabei war. Nachdenklich griff er nach dem Bild, ließ sich wieder zurück in den Stuhl sinken und betrachtete das Photo in seinen Händen. Es war ein schlichter, schwarzer Rahmen aus Holz, der das auf Hochglanz gedruckte Bild einfasste. Mokuba hatte viele Bilder, auch wenn er sie momentan wohl nicht in dem ganzen Chaos in seinem Zimmer wiederfand. Er wusste noch immer nicht, dass Joey und sein kleiner Bruder dem katastrophalen Zustand dieses Raumes ein Ende bereitet hatten.
 

Ein seltsames Gefühl schlich sich mit einem Mal in seinen Verstand und die Überlegung kam auf, ob er Joey dafür wirklich büßen lassen sollte. Das Bild gefiel ihm und es kamen sogar angenehme Empfindungen dabei zustande. Aber er hatte Wheeler auch ganz klar gesagt, dass er genau solch einen Scheiß lassen sollte. War der Zusammenbruch gestern etwa nicht genug? Das brachte ihn zu seinem nächsten Punkt. Wenn er ihm die Aktion hier durchgehen ließ, stand er auch nicht zu seinem eigenen Wort.

Während er das Bild in seinen Händen drehte, wurde ihm noch etwas anderes bewusst. Er mochte es. Es war nicht so, dass er seinen Willen unbedingt durchsetzten musste, es machte ihm Spaß! Es gefiel ihm einfach Wheeler so erledigt und fertig mit der Welt zu sehen. Der Moment, in dem ihm klar geworden war, in welcher Situation er sich befand. Das starre Lächeln, als er vor den Kameras sprach. All das jagte ihm diesen angenehmen, zufriedenen Schauer über den Rücken. Nun gut, er hatte damals Gozaburo dazu gezwungen sie zu adoptieren und ihn schließlich aus seiner eigenen Firma gedrängt. Jetzt gehörte ihm mit 22 Jahren eine Firma, die auf der ganzen Welt bekannt war und sich langsam an die Weltspitze kämpfte. Dazu kam seine inoffizielle Verlobung mit einer Frau, die das Aufkaufen und Zerlegen von Firmen als Hobby ansah und die so skrupellos war, dass sie während Verhandlungen Vater und Sohn verführte, um sie gegeneinander auszuspielen. Er würde sogar sagen, dass sie eine Soziopathin erster Güte war. Wie konnte es ihm da als ungewöhnlich auffallen, dass er am Quälen anderer Menschen Freude hatte?
 

Er hielt das Bild wieder fest und blickte darauf. Nun, nicht an allen, er gab Joey Recht. Er liebte seinen Bruder und er würde alles für ihn tun. Aber er genoss die Tatsache, dass sein dummer, erster Sekretär so viel Angst vor ihm hatte, dass er völlig von der Bildfläche verschwundenwar. Außerdem hatte er noch die Freude vor sich, seinen Sekretärinnen das Leben zur Hölle zu machen. Immerhin hatten sie ihn betrogen und belogen.

Mit einem zufriedenen Schmunzeln stand er auf. Dieses angenehme Gefühl der völligen Klarheit durchdrang ihn. Ein beinahe erregter Schauer breitete sich in ihm aus, als er sich seine nächsten Worte zurecht legte. Er würde keine drei Monate brauchen, bis Wheeler vor ihm im Staub kroch und nie wieder aufstand!
 

Hätte der Blonde gewusst, was dieses Bild auslösen würde, er hätte es niemals auf diesen Schreibtisch gestellt. Doch nun klopfte er unwissend an die Tür, hinter der nur wenige Meter entfernt der Firmenführer auf dem Weg zu ihm war. Die tiefe Stimme rief herein und mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen trat der 19 Jährige ein. Er hielt die Post in der Hand, da die Empfangsdame ihm Bescheid gegeben hatte. Sein Blick fiel sofort auf den Brünetten, der nun vor ihm stand und das Bild in Händen hielt. Bevor er noch irgendetwas sagen konnte, hörte er schon die anklagende Frage. „Was bitte hat das hier auf meinem Schreibtisch zu suchen und wo kommt es her?“ Der Blonde zuckte leicht zusammen und starrte auf die hintere Seite des Bilderrahmens. Er wusste sofort, was Seto da in der Hand hielt. „Ich… ich habe es dahin gestellt. Es…“ Doch mehr wollte er nicht sagen, denn der Blick der eisblauen Augen war so grausam und kalt, dass ihm die Stimme versagte. Gefährlich zogen sich die Augenbrauen zusammen und der Brünette trat noch einen Schritt weiter auf ihn zu, hob den Bilderrahmen an. „Und warum bitte kommst du auf die Idee mir so etwas hinzustellen?“ Fragte er mit eisiger Stimme.

Die honigbraunen Augen wirkten so unsicher, als verstand er die Frage nicht. „Du solltest dich eben immer daran erinnern.“ Versuchte er einen unsicheren Anfang, der dann grob abgebrochen wurde. „Willst du mir damit jetzt etwa sagen, dass ich so vergesslich bin, dass ich eine Erinnerung daran bräuchte?“ Er drängte dabei den jungen Mann weiter zurück. Nur zwei Schritte, aber sie reichten aus um ihn mit dem Rücken gegen die Wand stoßen zu lassen.
 

In diesem Moment verstand Joey die tiefgehende, brutale Wahrheit hinter diesen Worten. Das hier war der eine Moment, in dem es vollkommen egal wurde, was er entgegnete. Seto Kaiba wollte ihn damit nur in die Enge treiben, ihn demütigen, ihn fertig machen und nun stand er wortwörtlich mit dem Rücken zur Wand. Er blickte auf, sah in diese Eisaugen und spürte die Angst tief in seiner Seele. Seto hatte sich mit der rechten Hand neben seinem Kopf abgestützt, zur Linken kam gleich die Tür, die noch halb offen stand.

Ungehört, lautlos drehten sich in diesem Herzschlag die Räder des Schicksals weiter, denn Joey hatte eine Entscheidung getroffen. Wenn es egal war, wofür er jetzt „bestraft“ wurde, dann würde er es sich wenigstens verdienen! „Ja, genau das will ich dir damit sagen! Bei deinem Konsum an Kaffee und Cognac gehe ich nicht davon aus, dass du dich lange daran erinnerst! Du weißt doch noch, wann und wo dieses Photo gemacht wurde oder?“ Dabei starrte er so selbstsicher und provokant in die eisig blauen Augen, wie er nur konnte.
 

Wie in jedem Duel Monsters Spiel setzte Joey alles auf eine Karte. Er spielte aggressiv, ging in den Angriff über und bangte, hoffte, flehte, dass die verdeckte Karte auf der anderen Seite keine Falle war, die sein mächtiges Rotauge in Stücke riss und ihn damit in die absolute Niederlage trieb.

Allerdings gab es auch nur eine einzige Karte, die Seto Kaiba jetzt spielen konnte. Bei all seiner Grausamkeit, seiner Bosheit und seiner Überlegenheit war er durch seinen Stolz doch nur zu einem Zug in der Lage! Drache gegen Drache!

Es kostete ihn all seine Fassung in diesem Augenblick nicht voreilig zu werden, dem plötzlich aufkommenden Gefühl der Wut nachzugeben. Joey hatte gespielt und nun war er mit seinem Zug an der Reihe. Karte um Karte. Mit diesem Gedanken drückte er das eingerahmte Photo in Joeys Hände und ein grausames Lächeln legte sich über die schmalen Lippen. „Ja, das weiß ich noch, sehr gut sogar.“ Die tiefe Stimme war deutlich leiser geworden, hatte einen gefährlichen Klang. Sanft strichen die warmen Finger der linken Hand über Joeys Hals. „Ich sollte dich wohl besser an die Leine legen, du vergisst anscheinend, wo dein Platz ist.“ Noch immer trug er dieses Lächeln und es fiel dem 19 Jährigen immer schwerer die Angst zurückzudrängen. „Dir würde ein Halsband viel besser stehen als mir!“ Versuchte er sich zu verteidigen und behielt das herausfordernde Grinsen aufrecht.
 

Er wusste, dass der Zug noch nicht zu Ende gespielt war. Er wusste, dass er gleich erst den mächtigen Konter zu erwarten hatte. In diesem schicksalshaften Moment hatte sich alles verändert, die Regeln dieses Spieles waren neu definiert worden und nun waren die Chancen gleich ausgelegt. Karte um Karte und Joey wusste, dass der nächste Angriff ihn in die Knie zwingen sollte. Seto war so nah, die warmen Finger lagen sanft an seinem Hals, doch der leichte Druck erschien dem Blonden wie eine unüberwindbare Fessel. Die schmalen Lippen befanden sich dicht neben Joeys rechtem Ohr, auf der anderen Seite war noch immer die Hand gegen die Wand gestützt. Rau, tief und seltsam erregt klang das Flüstern in seinem Ohr, ein kalter Schauer lief über seinen Rücken. „Ich habe das perfekte Geschenk für dich, Joey. Du wirst es hassen!“ Damit zog sich der 22 Jährige wieder von ihm zurück, stieß sich leicht von der Wand ab und die eisblauen Augen sahen ihn mit diesem unergründlichen Blick an.

„Oh, ich verzichte dankend!“ Ein Stein fiel von seinem Herzen, als endlich wieder Luft zwischen ihm und Seto war. Noch immer spürte er die Berührung der warmen Finger, wobei die Stellen sich schrecklich kalt anfühlten. Er atmete tief ein und aus. Anscheinend hatte er noch eine Gnadenfrist bekommen. Doch er wusste, dass damit seine Niederlage nur grausamer werden würde. „Ich… ich wollte dir nur deine Post bringen. Bitte, und jetzt muss ich mich noch um andere Dinge kümmern. Es… es sind noch ein paar Telefonate offen!“ Damit drückte er ihm alles wieder in die Hand, drehte sich um und ergriff die Flucht. Als er den Raum verließ, schien es ihm als stände er im Schatten des weißen Drachen, dessen eiskalter Blick auf seinen Nacken gerichtet war. Ein einziger Biss, präzise und tödlich.
 

Von Angst und Erleichterung getrieben sortierte er noch einmal alles auf seinem Schreibtisch, bevor er nach dem Hörer griff. Keiner rief den weißen Drachen so einfach, nein, sein Erscheinen war gut geplant, voller kalter Grausamkeit würde er das Spielfeld betreten. Mit einem Seufzen wählte er die Nummer. Jetzt kannte auch er endlich die Regeln dieses Spieles, wie ein Duell, nur ohne ihre Karten. Zug um Zug, bis einer von ihnen nicht mehr aufstehen würde. Das war ein erschreckender Gedanken!

Verwundert stellte ihm Yuriko einen Becher Tee auf den Tisch, während er sich mit Rechtfertigungen und Ausflüchten herum schlagen musste. „Es reicht mir jetzt! Seit letzten Mittwoch erzählen sie mir, dass sie das nicht finden können, jenes nicht wissen, sich hier noch erkundigen müssen! Der Vertragsabschluss soll Mitte nächsten Monats stattfinden und momentan steht rein gar nichts fest! Das hier ist doch kein Kindergarten, in dem ihre Mutter ihnen eine Entschuldigung schreibt! Ich brauche diese Zahlen bis Morgen um 16 Uhr und wenn ich sie bis dahin nicht habe, werde ich Mr. Kaiba sagen, dass sie offensichtlich kein Interesse an diesem Vertrag haben!“ Damit legte er einfach auf, griff nach der Tastatur. „Sally, leg bitte für Morgen um 16 Uhr einen Termin in meinen Kalender. Ich könnte diesen Kerl erschlagen!“ Der gelbe Smiley rollte über den Bildschirm und öffnete den Kalender. Sie blätterte den nächsten Tag auf und öffnete einen neuen Eintrag für 16 Uhr. Schnell tippte Joey die wenigen Worte, die er dazu brauchte und Sally speicherte den Termin.
 

Mit einem grimmigen Blick griff er nach seinem Teebecher und nahm einen großen Schluck, bevor er den nächsten Anruf in Angriff nahm. Mr. Yamamoto, der von ihm am meisten gehassteste Mann Japans! Kaum hatte er sich am Telefon gemeldet, bekam er die charmanten Worte zu hören. „Ach, Mr. Wheeler, sie trauen es sich noch hier anzurufen?“ Ruhig bleiben! „Ja, ich muss es leider, da sie ja nicht auf meine E-Mail reagieren!“ Versuchte er so freundlich wie Möglich zu bleiben. „Oh, sie haben mir geschrieben? War das dieser von Fehlern wimmelnde Text, den ich in meinem Spamordner gefunden habe? Ich dachte, das wäre nur eine Junk Mail!“

Der Blick der honigbraunen Augen wurde kühl, das Reißen des Geduldsfadens konnte man regelrecht hören. Seto beobachtete schweigend die Szene, da er gerade aus seinem Büro getreten war. Tief atmete der Blonde ein und aus und dann brannte seine Stimme beinahe vor Wut. „Das hier ist mein allerletzter Anruf und damit ihre allerletzte Chance, Mr. Yamamoto!“ Doch es erklang nur ein Lachen aus dem Hörer. „Sonst was?“ Kurz schlossen sich die Augen des 19 Jährigen und mit einem Ruck stand er aus seinem Stuhl auf, stützte sich mit der freien, linken Hand ab. „Sonst erklären sie ihrem Chef, warum sie zu dämlich dazu waren eine einfache Mail zu verschicken und wenn ich die passenden Unterlagen bis heute Abend um Punkt 19 Uhr nicht in meinem Postfach habe, bekommen sie einen rosaroten Liebensbrief von mir für ihren Chef mit folgendem Inhalt. „Sehr geehrter Herr Harukaze, da ihr Sekretär leider nach mehrfacher Aufforderung die fehlenden Unterlagen nicht übermitteln konnte, gehen wir von einem aufgetretenen Dessinteresse an den besprochenen Vereinbarungen aus. Da die zur Verfügung gestellte Investition den Rahmen eines freundschaftlichen Gefallens überschreitet, ziehen wir hiermit das Angebot zurück. Mit Bedauern teilen wir ihnen des Weitern mit, dass wir auf zuverlässige Partner angewiesen sind und diesbezüglich von einer zukünftigen Zusammenarbeit absehen. Mit freundlichen Grüßen!“
 

Es war still geworden und mit einem Knurren sagte Joey. „Sally, Brief drucken!“ Einen Moment später sprang der Drucker hinter ihm mit einem sanften Piepen an und begann zu drucken. „Ja, ich weiß, dass das nicht mit Mr. Kaiba abgesprochen ist und dass dieser Vertrag trotzdem erfüllt wird. Aber was wird es Herr Harukaze zusätzlich kosten? Allein die Tatsache, dass er persönlich hier anrufen und sich bei mir dafür persönlich entschuldigen muss, wird deinen Kopf kosten! Oder wird dein Chef dir glauben, dass du versehentlich die drei E-Mails übersehen hast, die in meinem Protokoll nachweißlich an die RICHTIGE Adresse geschickt worden sind? Wird er dir glauben, dass die über mehrere Minuten geführten, nachweißbaren Telefonate über Backen und Stricken geführt wurden? Nein, das wird er nicht!“ Damit griff er nach hinten, zog den Brief aus dem Drucker und schlug ihn mit der flachen Hand auf den Tisch. „Heute Abend um 19 Uhr sind alle Unterlagen hier oder ich bringe Morgen diesen Brief persönlich zu Herrn Harukaze!“

Nun legte der andere einfach schweigend auf. Es gab keinen bösen Kommentar mehr, keine Erwiderung, einfach nur ein schweigendes Klick am anderen Ende der Leitung. Wütend knallte Joey den Hörer auf das Telefon und ließ sich in seinen Stuhl zurück fallen. Er starrte zu Sally, die ihn mit großen Augen anblickte. „Glaubt dieses Arschloch wirklich, dass er mich verarschen kann?“
 

Erst jetzt bemerkte er den Schatten, der aus dem Augenwinkel immer näher kam. Erschrocken zuckte er wie so oft zuvor zusammen und bemerkte das Lächeln auf den schmalen Lippen. „Du bringst mich in Schwierigkeiten, Wheeler.“ Meinte er mit einem viel zu ruhigen Ton, beobachtete dabei den jungen Mann, der immer bleicher wurde. Anscheinend hatte Seto genügend mitgehört. „Wenn ich dich vor aller Welt demütige, dich zum Heulen bringe, dann bekomme ich den besten Kaffee, denn ich bisher hier in meinem Büro getrunken habe. Wenn ich dich in die Ecke treibe und dir ungehörige Gedanken in den Kopf setzte, wenn ich dir erzähle, dass ich dir ein Halsband umlegen will, dann telefonierst du als hättest du nie etwas anderes gemacht. Ich könnte auf die Idee kommen, dass ich nur wirklich böse zu dir sein muss, damit du gute Arbeit leistest!“

War das gerade ein Kompliment? Ein kleines Kompliment versteckt unter einer großen Beleidigung? Oder eher einer Drohung! „Nein, ähm, nein, ganz sicher nicht. Ich… ich war einfach nur wütend und sauer. Es kann ja nicht angehen, dass dieser Kerl mir wegen drei Tippfehlern die Unterlagen nicht zuschickt!“ Brummte er nur und griff schutzsuchend nach seinem Tee, in den er einen Moment blickte.

„Ich habe ein Geschenk für dich!“ Erklang mit einem mal die tiefe Stimme und verunsichert hob Joey den Blick. „Darf ich es jetzt schon ablehnen?“ Fragte er und starrte auf die schlichte, kleine Box, die nun vor ihm auf den Tisch gestellt wurde. Sie war dunkelblau und trug am unteren Ende des Deckels das Logo der Kaiba Corporation. Die kleine Box war ca. 6 Zentimeter hoch und über 15 Zentimeter lang. Passte da ein Halsband hinein?
 

Die Seiten des Deckels waren bis zum Boden herunter gezogen und lagen eng an. Nur langsam glitt der Deckel in die Höhe und mit einem fast unhörbaren Plop löste er sich vom unteren Teil. Es war kein Halsband. Ein schlichtes, schwarzes Gerät lag in dem kleinen Kästchen, sein spiegelnder Display verlieh ihm eine elegante Wirkung. „Du bist mein Sekretär und ich kann dich nicht mit diesem alten Totschläger durch die Gegend laufen lassen. Also, bekommst du dank meiner unendlichen Güte dieses Handy für die drei Monate deiner Arbeit geschenkt.“ Joey sah auf und war irritiert. Er wusste, dass da ein Harken an der Sache war, aber welcher? „Du schenkst mir dieses Telefon einfach so? Für drei Monate?“ Fragte er vorsichtig und einen Moment später bekam er einen großen, bräunlichen Briefumschlag unter die Nase gehalten. „Ja, das tue ich und ich habe dir sogar die Bedienungsanleitung ausgedruckt und mich wahrhaft 10 Minuten hingesetzt und dir alles Wichtige markiert, damit es eine Überlebenschance in deinen Händen hat.“ Meinte er mit einem breiten Grinsen und Joey nahm ihm den Umschlag ab. „Ok, und wo ist der Harken?“ Fragte er vorsichtig und zog den fein zusammen getackerten Papierschwung aus dem Umschlag.

„Dass du damit nicht umgehen kannst! Ich hätte dir dieses Gerät, nennen wir es einfach Handy, erst am Montag zur Reise gegeben, aber es ist deutlich besser, wenn du erst einmal damit übst. Vielleicht kannst du dann ja zumindest damit telefonieren.“ Dabei trug er ein selbstgefälliges Lächeln auf den Lippen. „Bevor du jetzt noch andere Geschäfte gefährlich ins Wanken bringst, solltest du dich lieber erst einmal damit auseinander setzen und dann weiter arbeiten.“ Nun wurde Joey rot vor Verlegenheit und fuhr sich peinlich berührt mit der flachen Hand über den Nacken. „Ist vielleicht eine gute Idee.“ Brummte er leise.
 

„Bevor ich es vergesse, da du bei deinem alten Totschläger sicher keinen vernünftigen Tarif hast, habe ich eine kleine Besonderheit eingebaut. Du hast eine zweite, digitale Sim Karte in diesem Gerät, über das alle Anrufe und sonstige Aktivitäten geleitet werden. Anders ausgedrückt: Du telefonierst und surfst in den nächsten drei Monaten umsonst, die kompletten Kosten werden von der Kaiba Corporation übernommen. Einzige Bedingung: Nicht kaputt machen und nicht verlieren!“ Dabei hatte der Brünette den Zeigefinger gehoben und sprach mit ihm in einem Tonfall, als wäre Joey ein kleiner Junge. Dieser nickte nur schweigend und starrte dann auf das Gerät, das noch vor ihm in der Verpackung lag und glänzte. „Ach ja, ich habe ein paar Voreinstellungen für dich eingerichtet, damit es nicht ganz so kompliziert ist.“

Ein freudiges Quietschen zog seine Aufmerksamkeit auf den Bildschirm neben sich und Sally hüpfte auf und ab. „E-Mail! E-Mail!“ Rief sie laut und dann wurden ihre kleinen, schwarzen Augen groß. „E-Mail von Mr. Yamamoto!“ Gab sie nun mit ihrer fröhlichen Stimme bekannt. Joeys Augen begannen zu leuchten und er gab ihr den Befehl die E-Mail zu öffnen. „Was hat er geschrieben?“ Fragte Seto und beugte sich ein Stück über den Schreibtisch. „Sehr geehrter Mr. Wheeler, wie telefonisch besprochen übersende ich ihnen die notwendigen Unterlagen, Mit freundlichen Grüßen Mr. Yamamoto.“ Las er vor und öffnete die entsprechend angefügte Datei.

Nun war es Seto der erstaunt die Augenbrauen hob und sich aufrichtete. „Ich sage es nur sehr ungern und ich werde es sicher nicht wiederholen, aber ich bin beeindruckt. Du bist in all der Zeit der erste, der diesen Mistkerl bezwungen hat. Normalerweise muss ich mich immer um diese Anrufe kümmern.“ Diese Worte verklangen ohne Reaktion in der Luft. Joey starrte ihn einfach nur mit offenem Mund an und großen, runden Augen. Hatte Seto das wirklich gesagt? Er hörte den Drucker hinter sich mit dem Druck beginnen und doch konnte er sich nicht rühren.
 

„Ich bin in meinem Büro, falls du dich wieder bewegen kannst.“ Schmunzelte der Brünette und wollte sich schon umdrehen, als Joey aufsprang. „Ähm, warte, ich hab da noch etwas…“ Rief er und griff nach dem Schwung Papier, der gerade frisch ausgedruckt war. Er hatte noch eine Büroklammer von seinem Schreibtisch genommen und mit einer schnellen Handbewegung klemmte er die Blätter zusammen. „Hier, die Unterlagen, die er eben geschickt hat.“ Er schenkte Seto ein breites Lächeln, während er ihm diese entgegen hielt.

Für einen kurzen Moment war da dieses sanfte, zufriedene Lächeln auf den schmalen Lippen und ein warmer Ausdruck in den eisblauen Augen. Für diesen einen Herzschlag schien die kalte Maske von seinem Gesicht gefallen zu sein und Joey allein galt dieser sanfte Ausdruck. „Danke.“ Kam so reflexartig von ihm, als er nach dem Papier griff, dass es ihm nicht einmal auffiel.
 

Joey lächelte in seinen Teebecher hinein und spürte das wohlige Gefühl der Freude. Er hatte nicht nur Kaibas Bewunderung, nein, für einen kleinen Moment hatte er dieses unglaubliche Lächeln sehen dürfen und er hatte danke gesagt! Er hatte sich bedankt! Es war ein kleiner Rausch aus Glück, dem er beim Lesen der Bedienungsanleitung erlag. Das war ein so schönes Gefühl! Er würde nicht aufgeben, er würde weiter machen, auch wenn Kaiba manchmal echt mies sein konnte.

Nachdem er die Bedienungsanleitung soweit gelesen hatte, zog er sein Handy aus der Tasche. Er öffnete beide Geräte tauschte die Sim Karte und startete das schwarze Smartphone. Klasse, damit wollte er sich eigentlich nicht auseinandersetzen. Er liebte sein einfaches, schlichtes Handy. Er gab die Pin ein und einen Moment später starrte er wie versteinert auf den Bildschirm. Das Bild, dass dort erschien, war anscheinend am Dienstag beim Essen aufgenommen worden und Seto hatte es mit zwei Hundeohren verfeinert.

Neue Blickwinkel

Kapitel 20

Neue Blickwinkel
 

Noch immer saß er da und starrte auf das Bild, das sich da vor ihm auf dem Bildschirm zeigte. Mit einem Mal wurde dieser dunkler und dann wurde er gänzlich schwarz. Joey schluckte und griff schweigend nach der Bedienungsanleitung. Irgendwo musste doch stehen, wie man dieses Bild wieder ändern konnte! Langsam blätterte er die großen Seiten um, las Zeile für Zeile noch einmal und dann fand er es. Ok, er musste noch ein paar Einstellungen vornehmen und dann konnte er auch das Bild ändern. Mühsam arbeitete er sich Punkt für Punkt durch. Ein zusätzliches Betriebskonto hatte Seto schon für ihn eingerichtet und die notwendigen Notizen fein und ordentlich in die Anleitung geschrieben. Wie konnte ein Mann eigentlich so eine Handschrift haben? Dann endlich kam er zu der Stelle, an der alles abgeschlossen war. Nun musst er unter „Einstellungen“ den Punkt „Anzeige“ wählen und fand dann auch die Funktion für das Hintergrundbild.
 

Joey ließ die Schultern hängen. Ja, natürlich, wieso sollte das auch so einfach sein? Natürlich waren alle anderen Alternativen gegen ein und das selbe Bild ersetzt worden. Er hatte also keine andere Wahl oder? Er griff nach der Anleitung und blätterte sie noch einmal durch. Hm, er konnte doch aber auch andere Bilder nutzen oder? Wenn er selbst ein Photo machte, dann sollte das doch gehen?

Joey bemerkte nicht, dass Hayato mittlerweile vor ihm stand und ihn fragend anblickte. „Alles ok bei dir?“ Fragte er und musste schmunzeln als der Blonde zusammen zuckte. „Meine Güte, hast du mich erschreckt!“ Beschwerte sich der 19 Jährige und musste dann doch grinsen. „Oh, danke.“ Sagte er, als ihm die Teller auffielen, die der schwarzhaarige Mann in Händen hielt. „Und?“ Fragte er noch einmal und bemerkte, wie Joey das schwarze Handy umgekehrt auf den Tisch legte. „Oh, mir geht es sehr gut soweit. Ich bin nur dezent überfordert mit diesen komischen Telefonen.“ Lachte er und schritt um den Schreibtisch herum. „Kommst du heute wieder zum Mittagessen?“ Fragte er und seine honigbraunen Augen leuchteten, als er ein ja bekam. „War gestern noch alles soweit ok? Ich meine, Seto hat eine ganz schöne Welle gemacht.“ Sie gingen hinüber in die Küche und Joey holte aus dem Schrank einen blauen Kaffeebecher. „Ja, es war erstaunlich ruhig. Wir hatten ja schon alles geplant und so konnten wir auch ohne unseren Chef weiter machen. Jetzt müssen wir nur schauen, wie es in der nächsten Woche wird. Donnerstag müssen wir die nächste Bestellung fertig machen und wer dafür zuständig ist, steht noch nicht fest. Eventuell machen wir es einfach alle zusammen. Seit Okamura weg ist, macht die Arbeit in der Küche wieder richtig Spaß. Es ist jetzt keiner mehr da, der immer auf uns herum hackt und nichts tut!“ Lachte er und begrüßte Yuriko, die nun auch zu ihnen gekommen war.
 

Mit einem Seufzen stand er vor der Tür und kurz flohen seine Gedanken wieder zum Tag vorher. Bisher war es gefühlt eher schlechte Erinnerungen, die er mit dem Klopfen an dieser Tür verband. Flüchtig schaute er hinüber zum Schreibtisch und das Bild kam ihm wieder in den Sinn. Klasse, Seto schaffte es wirklich einem ein schlechtes Gefühl einzutrichtern. Ein wenig wütend über sich selbst klopfte er an die Tür und trat dann ein. Er wusste noch nicht, was er erwarten konnte. Seto liebte seine kleinen Spielchen und trotz alle dem war da vorhin so ein kurzer, wundervoller Moment gewesen.

Der Brünette saß noch immer an den Unterlagen, die er vorhin von Joey bekommen hatte und schaute nur kurz zu ihm auf. „Warte noch eben.“ Gab er von sich und griff nach dem eleganten, schwarzen Füllfederhalter, um sich auf einer der Seiten eine kleine Notiz zu machen. Dann schob er die Blätter wieder zusammen, sortierte noch ein letztes entsprechend ein und legte alle auf die Seite. Schweigend stellte Joey den Becher Kaffee und den Teller mit den zwei Broten auf den Tisch. „Sind die Unterlagen vollständig oder fehlt noch etwas?“ Fragte er vorsichtig und der Brünette schüttelte den Kopf. „Es ist alles da. So wie es bisher aussieht, passen alle Angeben. Ich habe zwar noch ein paar Fragen, aber die werde ich dann direkt mit Mr. Harukaze besprechen.“ Gab er nur nebenher von sich und war schon wieder in die Unterlagen vertieft, die er eben zur Seite geräumt hatte. Wahrscheinlich war das so das Beste! Joey wollte sich schon abwenden, als er unter all der geöffneten Post das Bild sah, welches er ihm heute Morgen auf den Tisch gestellt hatte.
 

Seine Gedanken schweiften um das Photo auf dem schwarzen Telefon und dann entschied er sich für einen vielleicht wahnsinnigen Entschluss. Er zog den Rahmen vorsichtig unter der Post hervor und stellte es dorthin zurück auf den Schreibtisch, wo er es heute Morgen schon einmal platziert hatte.

Nur kurz hob der 19 Jährige den Blick und sah in die eisblauen Augen, die ihn fragend musterten. Joeys Herz schlug bis zum Halse, als sich die rechte Augenbraue in den Höhe schob. Was auch immer Seto dachte, er sagte nichts. Gar nichts! Für einen kurzen Moment überlegte sich der Blonde, ob er dafür eine Rechtfertigung von sich geben sollte, doch er schwieg ebenso beharrlich. Wenn Seto nichts sagte, dann würde er das eben auch nicht tun. Warum sollte er sich rechtfertigen, wenn er nicht angeklagt wurde?

All diese Gedanken verhinderten nicht, dass Joey erst nach dem Schließen der großen Tür wieder atmen konnte. Er hatte die Luft angehalten, sein ganzer Körper war so angespannt gewesen, dass ihm jetzt alles weh tat. Ok, ein Bild gegen ein Bild! Wenn er schon mit seinem leben musste, dann sollte es der Mistkerl auch. Noch immer hielt er den Türgriff fest und ließ ihn nur langsam nachdenklich los. Hatte diese Szene eben etwas zu bedeuten? Er hatte nichts gesagt, gar nichts! Er hatte es so hingenommen, genauso wie er es hinnahm, dass Joey ihm um 10:30 Uhr etwas zu essen auf den Tisch stellte. Er nahm es einfach so hin. War das ein gutes Zeichen?
 

Noch immer war er so nachdenklich, als er in die Küche zurück kam. Yuriko hatte ihren Teller mit zu ihrem Platz genommen und so machte sich Joey einen heißen Tee. Wenn er nun also nur weiter mit dem machen musste, was er bisher tat? Klar, Kaiba war ein mieses Arschloch, aber er hatte das Photo gesehen. Mokuba und Noah schienen so glücklich und auch er hatte irgendwie einen seltsam zufriedenen Ausdruck. Wenn er also nur beharrlich weiter kämpfen musste und sich gegen die fiesen Attacken des Firmenführers bewies? Wenn er sich von nichts unterkriegen ließ, ob er noch einmal dieses Lächeln sehen durfte?

Nebenher begann er seine Frühstück zu vertilgen und starrte aus der großen Fensterfront des Bistrobereiches. Was konnte Kaiba ihm denn jetzt noch antun? Was gab es denn bitte, was er ihm jetzt noch vorwerfen konnte? Er hatte ihn bis aufs Blut gedemütigt und das vor der ganzen Welt. Na ja, er durfte noch einmal vor ihm auf die Knie fallen. Konnte er das nicht auch zu seinem Vorteil nutzen? Mit einem Seufzen starrte er auf den leeren Teller und stellte ihn hinüber ins Spülbecken. Seinen Tee nahm er mit zum Schreibtisch zurück und griff nach dem Telefon. Na ja, damit würde er sich später beschäftigen. Er hatte noch ein paar Anrufe abzuarbeiten. „Sally, was steht denn noch alles an?“ Fragte er und der runde Smiley bekam leuchtende Augen.
 

Die Zeit verging schnell bis zum Mittagessen. Seto hatte ihn noch um eine Aufgabe gebeten und dann am Nachmittag lag eine Besprechung an. Hayato kam wie immer pünktlich und so konnte Joey wie in den vergangenen Tagen das Essen in das große Büro bringen. Das Bild stand noch immer da, die Post war abgearbeitet und verschwunden. „Warum grinst du so? Du hast doch sicher das andere Bild gefunden oder?“ Nun gefror das freudige Lächeln auf seinem Gesicht und Joey wurde rot auf den Wangen. „Ja,… ähm, das habe ich gefunden.“ Gab er an und sah zu dem 22 Jährigen, der gemütlich in seinem Stuhl saß. „Und willst du dir wirklich die Mühe eines verzweifelten Abwehrversuches machen oder gibst du gleich zu, dass ich die Wette gewonnen habe?“ Seine kühle Stimme war von einer fiesen Freude durchtränkt. Ok, das hatte er jetzt nicht erwartet, aber klar, dass er es ansprechen würde. Er musste sich einen Moment sammeln, bevor er sein Grinsen wieder aufsetzt. „Du hast es also doch nicht vergessen. Mal sehen, ich überlege es mir noch!“ Niemals zugeben, dass die Karten auf der Hand keine Lösung boten. Niemals zugeben, dass man den kommenden Angriff nicht überstehen konnte, dass dieses Duell ein Ablaufdatum hatte. „Lass dir dein Essen schmecken.“ Meinte er nur und drehte sich damit zur Tür.
 

Sicher würde er ihn noch rufen. Sicher kam irgendeine Beleidigung, ein boshafter Rüffel. Joey ertappte sich wirklich dabei, dass er an der Tür stehen blieb und sich umdrehte. Seto Kaiba saß dort mit diesem seltsam grausamen Lächeln und dann schwieg er schon wieder. „Was willst du, Wheeler? Soll ich laut aussprechen, was du dir eben selbst an den Kopf geworfen hast? Du weiß eh, dass ich mir dafür noch etwas Nettes ausdenken werde und du weiß, dass du vor mir auf die Knie fallen wirst. Soll ich es dir noch einmal sagen?“ Nur einen Herzschlag später war er dunkelrot vor Scham und Wut. Na klasse, da hatte er ja Mal wieder so etwas von Recht! „Ich bin essen!“ Brummte er nur sauer und schloss die Tür ein wenig lauter hinter sich.

Dass er damit wirklich gut davon gekommen war, wusste er nicht. Die ersten, kleinen Veränderungen begannen sich langsam ans Tageslicht zu kämpfen und die Räder des Schicksals drehten sich langsam, aber beharrlich weiter. Wie stark sich der Brünette schon in einigen Punkten von Joey beeinflussen ließ, war keinem der beiden klar. Normalerweise wäre seine Antwort keine kleine Stichelei gewesen. Er hätte eine bitterböse Antwort gefunden, einen regelrechten, grausamen Schlag. Heute aber blieb er schweigsam, ließ Joey seine eigenen Gedanken nutzen. Was sollte er sich auch Mühe geben, wenn sein Opfer schon selbst alle Arbeit vollbrachte? Immerhin hatte das Innehalten, das Umdrehen deutlich gezeigt, womit Joey in diesem Moment gerechnet hatte.
 

Yuriko und Hayato waren schon in der Küche, hatten mit ihrem Essen begonnen. Vor den großen Fenstern standen drei kleine Tische zum Sitzen, während die meisten nur Bistrotische waren. „Was ist denn? Du wirkst wütend.“ Meinte die Sekretärin und griff nach ihrem Glas Wasser. Ihre mütterlichen Augen musterten ihn eindringlich, als er sich zu ihnen setzte. „Ach, nichts Unerwartetes. Seine üblichen, dummen Bemerkungen!“ Brummte er nur und machte sich über seine Reispfanne her. „Oh, ich wollte dich noch fragen, was das für ein Handy war, das du da vorhin hattest.“ Fragte der Küchenjunge interessiert nach und schob sich eine Gabel Reis in den Mund. „Der gütige Seto Kaiba war der Meinung, dass er mich ja nicht mit so einem alten „Totschläger“ durch die Gegend laufen lassen kann, wenn ich sein Sekretär bin.“ Gab er leicht patzig zur Antwort und aß weiter. Er wollte heute nicht über so etwas sprechen und dann fiel ihm dieses Lächeln wieder ein. „Oh, wusstest ihr, dass der Kerl lächeln kann?“ Platze es auf einmal aus ihm heraus und er begann von seinen Telefonaten zu erzählen. Die Geschichte mit dem Bild auf Kaibas Schreibtisch musste er ja nicht erwähnen.

Lachend stellte Hayato den Nachtisch vor sie und setzte sich wieder. „Die habe ich aus der Küche mitgehen lassen. Und er hat wirklich gelächelt? Also, so ein freundliches, nettes Lächeln und nicht dieses fiese?“ Fragte er noch einmal und sah den jungen Mann mit großen Augen an. Dieser nickte nur, griff nach dem kleinen Gläschen Schokoladenpudding. „Das hätte ich ja zu gern gesehen.“ Kommentierte die Sekretärin und schob ihren leeren Teller von sich. „Oh, das war lecker!“
 

„Gibt es bei diesem Handy nicht noch einen Harken? Ich vertraue diesem Kerl nun einmal nicht.“ Fragte der 24 Jährige mit einem Mal nach und runzelte die Stirn, als er den finsteren Blick Joeys erkannte. „Oh ja, den gibt es.“ Brummte dieser und zog das Telefon aus seiner Tasche. Er gab die Pin zum Entsperren ein und reichte es wortlos dem Schwarzhaarigen. „Ist das sein Ernst?“ Erstaunen und Entsetzen mischten sich auf seinem Gesicht und er gab es an die verwunderte Yuriko weiter. Auch diese betrachtete das Bild mit eindeutigen Gesichtszügen. „Kommt das etwa dabei heraus, wenn Seto Kaiba langweilig ist?“ Fragte sie verächtlich und Joey ließ sich resigniert zurücksinken. „Nein, das ist nur das Ende eines ausgeklügelten Planes. Er hat mich letzte Woche zu einer Wette überredet und meinte, dass ich vor ihm auf die Knie fallen soll, wenn ein solches Bild zustande kommt.“ Eine entsetze Stille breitete sich aus, bevor beide aufgeregt zu reden begannen. „Dass kann doch nicht dein Ernst sein, Joey?“ Schimpfte die Dame an seiner linken Seite und Hayato beugte sich über den Tisch. „Du lässt dich auf eine Wette ein bei der du vor ihm auf die Knie fallen muss?“

Die honigbraunen Augen sahen ihn finster an und er versuchte deutlich zu machen, dass er nicht weiter darüber reden wollte. „Was wäre denn sein Einsatz gewesen? Ich meine, wenn kein Bild zustande gekommen wäre, was hätte er dann getan?“ Fragte der 24 Jährige und Joey sah ihn plötzlich überrascht an. Ja, Hayato hatte Recht, es gab keinen Einsatz für Seto. Na ja, vielleicht doch. „Er hat das Essen bezahlt.“ Brummte er und versuchte die Ereignisse zusammenzufassen. „Er meinte, dass ich wie ein Hund aussehen würde und ich habe das natürlich geleugnet. Kaiba machte den Vorschlag, dass er es mir bei einem Essen beweisen wollte, denn der Anblick eines großen Tellers Nudeln mit Käse Sahne Soße würden das sicher beweisen. Ich meinte zu ihm, dass ich allerhöchstens mit Mokuba und meiner Schwester essen gehen würde, wenn er dabei ist und so bestellte er einen Tisch für vier im „la vita“. Keine Ahnung, wann er das Bild gemacht hat, ich habe es wirklich nicht mitbekommen.“
 

Die grauen Augen der Sekretärin sahen ihn skeptisch an. „Der zahlt doch einen Tisch für vier aus der Portokasse! Das würde ich keinen Einsatz nennen.“ Sie seufzte. „Jetzt musst du also noch vor ihm auf die Knie fallen?“ Wollte sie wissen und Joey nickte. Er wollte gerade etwas erwidern, als er Hayatos Entsetzen bemerkte. Der Blick des Schwarzhaarigen war zur Tür gerichtet und langsam drehten sich auch die beiden anderen um.

„Dann brauche ich also kein Geheimnis mehr daraus zu machen?“ Kam von dem Brünetten, der mit einem kalten Lächeln in der Tür stand. Er hielt einige Papiere in der Hand und hatte anscheinend jedes Wort gehört. „Ich habe eben mit Herrn Kamimura telefoniert und du musst ihm das hier noch schicken, Wheeler.“ Meinte er und kam auf den Tisch zu.

Hatte dieser Mann es so sehr darauf angelegt ihn zu foltern? Musste er ihm das Leben wirklich so schwer machen? Die resignierte Leere, die er in diesem Moment empfand, konnte er nicht in Worte fassen. Er nahm einfach nur die Blätter entgegen und starrte auf die gedruckten Ziffern. Kaiba hatte sich schon umgedreht und schritt durch den Bistrobereich zur Tür. Jetzt hatte Seto also seine Karten gespielt. Aber einen Angriff konnte man auch in einen Gegenangriff verwandeln und mit einem Mal ging ein Ruck durch den jungen Mann. Er würde sich nicht so einfach unterkriegen lassen. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen und dann stand er auf. „Warte doch noch einmal kurz.“ Meinte er und ließ die ausgedruckten Seiten auf dem Tisch neben seinem Teller liegen. Das hier war ein Duell, das hier war ein Spiel, dass Joey genauso gut konnte wie Seto Kaiba!
 

„Du hast Recht! Auf dem Bild sehe ich dank deiner netten Nachbearbeitung wirklich wie ein Hund aus. Aber ich will ja nicht so kleinlich sein und erkenne diese Wette als verloren an.“ Er ließ einen Moment verstreichen, als er vor dem Brünetten stand und wartete. Die Verwunderung war so deutlich in seinen Augen zu sehen, dass Joeys Grinsen immer größer wurde. Beinahe elegant ließ er sich auf die Knie nieder und saß nun vor dem 1,89 Meter großen Mann auf dem Boden. Dabei hatte er diesen schrecklich überheblichen Ausdruck in den Augen und er wirkte unglaublich selbstsicher. „Ja, ich gebe zu, dass du „wie immer Recht“ hattest und ich sehe ein, dass du hier im ganzen Gebäude, nein, in ganz Domino, vielleicht sogar in ganz Japan der größte, einzigartigste, egoistischste, wahnwitzigste, dreisteste, familiär unfähigste, wahrscheinlich verhassteste Mistkerl von allen bist!“ Das sagte Joey mit einer solchen freudigen Überzeugung, dass er zusehen konnte, wie das helle Gesicht zu Stein erstarrte. „Lass mich das Ganze noch einmal überprüfen. Ich bin vor dir auf die Knie gefallen, habe dir Recht gegeben und dir gesagt, dass du der größte bist. Damit hätte ich meine Wettschulden bezahlt!“ Noch einen Moment ließ er sich Zeit, bevor er wieder aufstand.
 

Ein kurzer Schmerz zuckte durch seinen Brustkorb und er griff mit der Hand an die Stelle, an der er noch immer den Verband trug. Das war jetzt natürlich verdammt unpassend und so versuchte er mit aller Macht sein Lächeln zu erhalten und richtete sich zu voller Größe vor dem Firmenführer auf. Dieser hatte sich ebenso gefangen und mit einem kühlen Lächeln raunte er schlicht. „Vergiss die Dokumente für Kamimura nicht. Es ist dringend!“ Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und verließ den Bistro Bereich.

Warte, warum hatte er nach dieser unglaublich grandiosen Vorlage trotzdem das Gefühl, das er der Verlierer war? Mit einem Seufzen ließ er die Schultern hängen und kam zum Tisch zurück. Die beiden anderen schienen jedoch deutlich angetaner von dieser Vorstellung zu sein und so jubelten sie leise, falls Kaiba noch nicht in seinem Büro war. „Wow, das war wirklich klasse! Hast du sein Gesicht gesehen?“ Lachte Hayato und auch Yuriko freute sich. „Zwischenzeitlich schien er zu Stein erstarrt zu sein, als wäre er eine Salzsäule!“ Bestätigte sie und der Küchenjunge schlug Joey freudig auf die Schulter. „Das war der beste Kniefall, den ich bisher in meinem Leben gesehen habe!“
 

Nun breitete sich auch ein zurückhaltendes Lächeln auf Joeys Lippen aus. „Ja, da hast du wohl Recht.“ Meinte er nur und griff nach den Blättern, die noch neben dem Teller lagen. Er aß den Rest nicht mehr auf, machte sich gleich an die Arbeit und scannte die einzelnen Blätter ein. Mit einem Seufzen schickte er sie an den entsprechenden Herrn und erledigte die noch anstehenden Aufgaben. Einige E-Mails und Anrufe mussten noch erledigt werden und drei Briefe machte er für die Post fertig. Der Tag zog sich in die Länge und auch der warme Kakao mit extra Schlagsahne von Hayato machte es nicht besser. Heute wollte er wirklich einfach nur nach Hause.

Sein Blick war auf die Uhr am unteren Ende seines Bildschirms gerichtet und er seufzte erneut. Noch war es nicht soweit. „Was hast du denn?“ Fragte Sally mit einem Mal und ihre schwarzen Knopfaugen wurden zu großen Kugeln. „Du seufzt heute so viel.“ Begründete sie ihre Frage und Joey ließ sich in den großen Stuhl sinken. „Ach nichts, ich will heute einfach nur nach Hause.“ Brummte er und dachte an den versteinerten Gesichtsausdruck von Kaiba. Nun, dass hatte schon etwas, auch wenn er seit dem Mittagessen nichts von ihm gehört hatte. Nachdenklich fiel ihm das Bild auf dem Schreibtisch des Firmenführers auf, eigentlich war das doch ein guter Tag, warum konnte er sich also nicht darüber freuen? Dabei zog er das Handy wieder aus der Tasche und fragte sich selbst, ob es vielleicht einfach nur daran lag. Es war ganz gleich, wie sehr er sich auch anstrengte, Seto würde ihm doch immer wieder zeigen, dass er keine Chance hatte.
 

Mit einem Ruck setzte er sich auf und griff nach den frankierten Briefen. Er würde doch jetzt nicht den Kopf in den Sand stecken! Auch wenn er wirklich nach Hause wollte. So brachte er die Briefe hinunter zum Empfang, die Dame kümmerte sich gleichzeitig auch um den Posteingang und Ausgang. Vielleicht verbrachte er heute etwas mehr Zeit dort unten und auch der Umweg über die Kantine machte es nicht besser. Yuriko verabschiedete sich für heute und auch er blickte wieder auf die Uhr. „Wir sehen uns Morgen.“ Rief sie zu ihm hinüber und er hob noch einmal lächelnd die Hand zum Gruß. Na ja, offiziell hatte er um 17 Uhr Feierabend und jetzt war es kurz vor sechs. Er konnte an sich einfach gehen… Mit diesem Gedanken drehte er sich um und klopfte an die große Tür. Er hatte ja alles soweit erledigt und es gab keinen weiteren Grund hier zu bleiben.

Als er hinein gerufen wurde, trat er nur zur Hälfte ein. „Ich wollte nur Bescheid geben, dass ich heute früher gehe. Ich habe soweit alles erledigt und bin Morgen früh auch wieder da.“ Die eisblauen Augen sahen ihn kurz verwundert an und dann nickte er. „Ja, mach das.“ Gab er nur knapp von sich und wollte sich schon wieder seinem Rechner zuwenden. „Mach nicht mehr so lange.“ Diese Worte ließen ihn noch einmal aufsehen und die schmale Augenbraue schob sich in die Höhe. „Ich sag es ja nur. Es ist und bleibt deine Entscheidung...“ Sagte Joey und wollte die Tür schon wieder schließen, als ihm noch etwas anderes auf der Zunge lag.
 

„Na komm, was willst du mich fragen?“ Erklang mit einem Mal die ruhige Stimme und Joey blickte über die Schulter zurück. Doch noch immer traute er sich nicht die Frage auszusprechen. „Geht es um das Bild?“ Fragte der Firmenführer noch einmal nach und schweigend nickte der Blonde. Langsam kam er näher, die Unsicherheit konnte ihm Seto ansehen. „Du hattest deinen Spaß und dieses blöde Bild geht einfach nicht weg.“ Er zog bei diesen Worten das schlanke Handy aus der Hosentasche und sah aus seinen honigbraunen Augen bittend zu dem Brünetten.

„Gib schon her.“ Da war es wieder! So unerwartet und plötzlich breitete sich dieser sanfte Ausdruck auf den feinen Gesichtszügen aus und ein freundliches Lächeln lag auf den schmalen Lippen. Joey entsperrte das Gerät und reichte es über den Schreibtisch. „Du bist dir sicher, dass du es nicht behalten willst?“ Fragte er noch einmal und sein Schmunzeln hatte dieses Mal keine Spur von Feindseligkeit. „Ja, ich bin mir sehr sicher. Ich kann sehr gut darauf verziehen. Meinetwegen brauche ich es auch nie wieder sehen! Es können gerne alle Beweise davon vernichtet werden.“

Dass er so leicht nicht davon kommen würde, war ihm klar. Sein aufmerksamer Blick folgte jeder Bewegung des Brünetten und so kam er langsam um den Schreibtisch herum. Auf der linken Seite war der große Standrechner untergebracht und auf ihm befand sich ein runder, leicht erhobener Bereich. Seto legte das Telefon darauf und der Bildschirm blinkte kurz auf. Dann erschien auf dem großen Bildschirm unten rechts eine kleine Nachricht und die Schlanken Finger flogen über die Tastatur. Ein schwarzes Fenster war aufgegangen und weiße Zahlen und Buchstaben reihten sich aneinander. Es dauerte nur einen kleinen Moment und das Fenster schloss sich wieder. Seto griff nach dem Gerät und reichte es an Joey zurück, der nun neben ihm stand. Als er den verwirrten Blick erkannte, musste er leise lachen. „Ich habe mich über eine drahtlose Verbindung in das Handy eingehackt und habe die Codierung geändert. Du hast jetzt wieder alle Bilder zur Verfügung.“ Die Verwirrung verwandelte sich in Skepsis, als er das schlanke Gerät erneut an sich nahm. Der Bildschirm war schwarz geworden und so drückte er auf die Taste unten in der Mitte. Hell leuchtete nun der dunkelblaue Hintergrund auf, der mit den Initialen der Firma verstehen war.
 

Die braunen Augen sahen wieder zurück zu dem Firmenführer. „Es ist zumindest besser.“ Brummte er und konnte beobachten, wie die schlanke Augenbraue in die Höhe wanderte. „Willst du lieber das andere Photo zurück haben?“ Fragte er nun provozierend und Joey schüttelte lachend den Kopf. „Nein, schon ok, ich bin zufrieden und wer würde schon gegen eine so schöne Kombination aus Blau und Weiß etwas sagen?“ Versuchte er sich zu retten und freute sich ganz insgeheim darüber, dass dieser freundliche Ausdruck noch immer auf den feinen Gesichtszügen lag. Schade, dass er jetzt gehen wollte. In diesem Moment wirkte der Brünette so zufrieden, so ausgeglichen, am liebsten würde er diesen Ausdruck noch eine Weile beobachten.

„Hast du sonst noch Fragen oder kommst du mit dem Smartphone zurecht?“ Irritiert blinzelte Joey, als er diese Frage hörte. „Ähm, nein,… nein,… soweit erst einmal nicht. Ich denke, es ist alles klar. Sollte doch noch etwas nicht stimmen, frag ich einfach.“ Oh, was für ein Lächeln! Bevor der 22 Jährige antwortete, zogen sich die feinen Mundwinkel in die Höhe. „Also, rufst du noch an, bevor ich hier Feierabend mache?“ Scherzte er und verlegen rieb sich Joey mit der Hand über den Nacken. „Sicher nicht! Bis nach Hause schaffe ich es sicher und du wolltest ja auch nicht mehr lange bleiben. Außerdem hätte ich deine Nummer gar nicht.“
 

Die Antwort, die er bekam, war verwirrend. „Das letzte Mal, dass du „sicher nicht“ gesagt hast, ist dein „Lieblingsbild“ entstanden. Außerdem solltest du einen Blick in dein Adressbuch werfen.“ Warte, meinte er damit etwa, dass… Er strich über den Bildschirm und suchte das passende Zeichen. Fragend starrte er auf das kleine Bild mit den Initialen der Firma, neben der der Name Seto Kaiba stand. Allerdings war keine Nummer angegeben, nur der kleine Telefonhörer, der kleine Brief und noch ein anderes Zeichen. „Die Nummer ist im System gespeichert, du kannst sie nur nicht einsehen. Allerdings gebe ich dir doch nicht so ein wertvolles Gerät ohne eine Notrufnummer. Ich wollte es möglichst unbeschadet zurück bekommen.“

Mit einem Mal summte das schwarze Handy, das auf dem Schreibtisch lag und der Firmenführer griff reflexartig danach. Es war nur eine Nummer angegeben und gerade, als er den Anruf entgegen nehmen wollte, fiel ihm das breite Grinsen seines Gegenübers auf. „Das ist wirklich deine Nummer!“ Die blauen Augen verengten sich leicht. „Ich glaube, ich bereue es jetzt schon!“
 

„Keine Sorge, ich verrate es niemanden!“ Lachte er und machte sich dann doch endlich auf den Weg. Es war schon halb sieben, als er zurück an seinen Schreibtisch kam und seine Sachen packte. Er brachte schnell noch den Becher in die Küche und machte sich auf den Weg zum Fahrstuhl. Kaum hatte er das Gebäude verlassen und schlug die Richtung zur Straßenbahn ein, als das Telefon in seiner Manteltasche summte. Er hatte eine Nachricht bekommen und das Bild mit den weißen Buchstarben war eingeblendet. „Ach ja, ich bleibe immer noch so lange in meinem Büro, wie es mir passt!“ Stand dort und irgendwie breitete sich in der Brust des jungen Mannes ein angenehm warmes Gefühl aus. „Heute Abend wird Moki zuhause sein, er muss noch für eine Arbeit lernen. Ich würde auf dem Heimweg noch ein Stück Mandel-Krokant-Schokotorte bei „Peaches“ mitnehmen. Gruß J.“
 

Mit einem Kopfschütteln legte der Brünette das Smartphone zur Seite und lehnte sich in seinem großen Stuhl zurück. Mandel-Krokant-Schokotorte? Gab es so etwas überhaupt? Nur einen Moment zögerte er und dann zog er die Tastatur näher. Er öffnete die Seite seiner Suchmaschine und gab Peaches Domino ein. Gleich der erste Eintrag zeigte das Bild einer Konditorei, vor der ein junges Mädchen mit dem typischen schwarzweisen Kleidchen, Schürzte und Häubchen stand. Öffnungszeiten Dienstag bis Freitag von 7 bis 19 Uhr.

Mandel-Schoko-Krokant? Konnte das überhaupt schmecken? Mit einem resignierten Seufzen griff er nach dem schlanken Handy. „Roland, du musst noch etwas für mich erledigen!“

Intrigante Pläne

Kapitel 21

Intrigante Pläne
 

Was bei allen verfluchten Göttern machte er hier eigentlich? Sein Blick fiel auf den kleinen, feinsäuberlich gefalteten Karton in seiner Hand und er seufzte. Mandel-Krokant-Schokoladentorte… er konnte noch immer nicht fassen, dass es so etwas gab. Noch weniger konnte er fassen, dass er Roland wirklich losgeschickt hatte, um ein letztes Stück dieser Torte zu besorgen und nun hier vor dieser Tür zu stehen. Das alles erschien ihm noch immer so abwegig und irritierend, dass er sich fragte, ob er vielleicht in seinem Büro eingeschlafen war.

Ein Gedanke blitze so unerwartet in seinem Geist auf, dass er zuerst blinzeln und staunen musste, bevor er sich in Gänze damit beschäftigen konnte. Neben der kleinen Erkenntnis, dass er Joey gerne leiden sah, war ihm eine weitere Tatsache bewusst geworden. Er liebte seinen kleinen Bruder und trotz all seiner Unfähigkeit, die er an den Tag legte, würde er noch immer Himmel und Hölle für ihn in Bewegung setzen. Es war allein ein Unverständnis, das ihn immer wieder überforderte. Viele Handlungen seines Bruders konnte er nicht mehr nachvollziehen, besonders seine impulsive, aufbrausende Art und Weise und so strafte er Mokuba vielleicht zu Unrecht viel zu oft mit seinen kalten Worten und gnadenloser Ignoranz.
 

Schlussendlich war es egal, wem er diese Chance zu verdanken hatte. Wenn er jetzt die Möglichkeit bekam seinem Bruder näher zu kommen, so würde er sie nutzen. Dennoch blieb ein seltsames Gefühl zurück, als er kräftig an die Tür klopfte. Den verwunderten Ton in Mokubas Stimme konnte er deutlich heraus hören, als dieser herein rief. Der 17 Jährige saß an seinem Schreibtisch, ein elegant silbernes Bluetooth Heatset im Ohr. Das weiße Handy lag neben dem aufgeschlagenen Schulbuch auf der Arbeitsfläche und Mokuba hielt einen Bleistift in der Hand. Das Zimmer war sehr ordentlich aufgeräumt, die Decke auf dem Bett hinten links an der Wand säuberlich gefaltet, die Regale abgestaubt und der Käfig stand auf einem kleinen Tisch vor dem großen Fenster. Die dunkelblauen Vorhänge waren zugezogen und das Licht der Deckenleuchte brannte hell. Allein der Boden um den Schreibtisch war mit aufgeschlagenen Büchern verziert, ein großer Ordner lehnte auf dem Schreibtisch an der Wand.

„Oh, das ist mein Bruder. Ich rufe dich nachher noch einmal an, danke für deine Hilfe.“ Beeilte er sich mit einem Mal das Telefonat zu beenden. Er griff nach dem weißen Gerät und kontrollierte, ob der Anruf wirklich zu Ende war und blickte zurück zu dem großgewachsenen Mann. „N’Abend! Was treibt dich zu mir?“ Fragte Mokuba lächelnd und doch auch irritiert. Er sah sich möglichst unauffällig in seinem Zimmer um, ob er nicht noch irgendwo etwas liegen hatte, was dort nicht hingehörte. Mit einem Lächeln erkannte er die Verwunderung im Gesicht seines Bruders, die mit einer guten Portion Zufriedenheit durchzogen war. „Ich habe vorletztes Wochenende aufgeräumt.“ Meinte er leicht verlegen, nicht ohne sich auch über die Reaktion Setos zu freuen.
 

„Es sieht auf jeden Fall deutlich besser aus.“ Begann er und trat bedächtig in den Raum hinein. „Mir wurde zugetragen, dass du tief in deinen Büchern vergraben bist und eventuell eine kleine Pause bräuchtest.“ Er stellte das kleine Päckchen auf den Schreibtisch und der Schwarzhaarige bekam große Augen. „Wenn da jetzt auch noch ein Stück meiner Lieblingstorte drin ist, dann brauche ich dringend eine Pause!“ Sagte er und als er kurz zu Seto aufsah, konnte dieser die überschäumende Freunde in den dunkelblauen Augen erkennen. Mokuba trug einen großen Pullover und eine weiche Jogginghose, beides in grau.

Vorsichtig öffnete er die kleine, gefaltete Schachtel und sein Grinsen wurde so breit, das es bis zu den Ohren zu reichen schien. „Ok, von wem weißt du, dass ich Mandel-Krokant- Schokoladentorte liebe?“ Fragte er und schob einen kleinen Stapel Bücher auf der linken Seite ein Stück nach vorne und griff nach der Gabel, die dort neben einem Messer auf einem leeren Teller lag. Ein vorsichtiges Lächeln legte sich auf die schmalen Lippen. „Ist es in Ordnung, wenn ich einfach nur sage, dass ich es aus sicherer Quelle erfahren habe?“ Die Augenbrauen wurden wissend in die Höhe geschoben, doch Mokuba gab sich damit zufrieden. Kurz überlegte er, fragte dann aber doch, ob sein Bruder noch einen Moment bleiben wollte.

Nur wenig später saßen sie auf dem Bett des 17 Jährigen und dieser verspeiste sein kleines Tortenstück. „Liege ich richtig damit, dass du eben mit deiner Freundin telefoniert hast?“ Fragte der Brünette vorsichtig und Mokuba wurde leicht verlegen. „Ja, da hast du Recht. Wir hatten noch einmal darüber gesprochen, was Morgen wahrscheinlich dran kommt.“ Erklärte er und sein großer Bruder fragte nach, um was es denn genau ging. Das Angebot, dass Mokuba ihm das Thema vorstellen konnte, um so noch einmal zu üben, nahm dieser gerne an. Noch während er den Rest seines Tortenstückes aß, begann er einen Überblick über die verschiedenen Autoren zu geben, mit denen sie sich im Japanisch Unterricht beschäftigten. Er stellte ihm grob die einzelnen Geschichten vor und die Epochen, in denen sie aufgetreten waren.
 

Sie saßen sicher noch eine gute Stunde da und als gegen 22 Uhr die Nachricht von Aiko kam, dass sie langsam ins Bett wollte, verabschiedetet sich der Brünette. „Seto, also…“ Die dunklen Augen sahen groß zu ihm auf. „Sollte deine sichere Quelle noch ein paar solcher „Tipps“ haben, kannst du sie gerne in die Tat umsetzen. Ich würde mich sehr darüber freuen!“ Gab er mit einem schüchternen Lächeln an. „Dann achte ich mal darauf, was meine sichere Quelle so alles verrät. Gute Nacht, Mokuba!“

Freudig sah er auf das weiße Handy und schrieb zuerst jemand anderem. ‚DANKE JOEY!!!!!! <3‘ verschickte er an den Blonden und ließ sich glücklich auf sein Bett zurückfallen, während er Aiko anrief. Momentan war er sehr dankbar darüber, dass Joey diese dumme Wette eingegangen war. Von wem sollte Seto denn sonst wissen, dass er Mandel-Krokant-Schokotorte liebte? „Du hast dich ja gar nicht mehr gemeldet.“ Es war beinahe eine Frage, so wie sie Aiko stellte und Mokuba begann wie ein Wasserfall zu erzählen.
 

Seto war in sein Zimmer gegangen und überlegte, ob er schon schlafen gehen sollte. Es war noch nicht so spät, aber er hatte alles wichtige erledigt und jetzt nichts mehr zu tun. Sicher würde sein Bruder jetzt mit seiner Freundin telefonieren und während er am großen Fenster neben seinem Bett stand, drehte er sein eigenes Telefon zwischen den Fingern. Mokuba wirkte so glücklich, so anders und das Lernen hatte ihm wirklich Spaß gemacht. Seine Gedanken schweiften zu Viktoria ab und er fragte sich, wann er sie das letzte Mal gesehen hatte. Vermisste er sie? Immerhin war sie seine Verlobte, sollte er nicht ein sehnsuchtsvolles Gefühl ihr gegenüber hegen? Mit einem Seufzen warf er das schwarze Telefon auf das ordentliche Bett und entschied sich noch einmal zu duschen. Eine kühle Dusche tat sicher gut und er würde seinen Kopf wieder frei bekommen.
 

Mit einem breiten Grinsen zeigte er Yugi die Sms, die eben eingetroffen war. Sein kleiner Freund hatte extra eine Stunde bei Serenity gewartet um mit dem Blonden zu sprechen. Yugi machte sich genauso Sorgen um Joey, wie es seine kleine Schwester tat. „Von wem ist sie?“ Fragte er und überlegte, ob er dieses Handy bei ihm schon einmal gesehen hatte. „Mokuba. Ich habe Kaiba vorhin geschrieben, dass Mokuba noch am Lernen ist und Mandel-Krokant-Schokoladentorte liebt. Offensichtlich hat er meinen Rat befolgt.“ Die beiden jungen Männer saßen am niedrigen Tisch im kleinen Wohnzimmer der Wheelers und Serenity kam gerade mit einer frisch aufgebrühten Kanne Tee zu ihnen. „Er hat wirklich deinen Rat befolgt?“ Fragte sie skeptisch und der Blonde schüttelte den Kopf. „Nein, als würde ich ihm einen Rat geben. Ich habe ihm einfach nur geschrieben, dass Mokuba noch lernt und diese Torte liebt. Ich bin ja nicht der intelligenteste, aber wenn ich einen Rat daraus mache, dann bin ich eher einen Kopf kürzer.“ Lachte er und schob den grünen Teebescher zu seiner Schwester hinüber. „Du meinst so wie am Montag?“ Fragte sein kleiner Freund und Joeys Lächeln wurde klein. Ja, so wie am Montag, als er so eindeutig eingeflößt bekam, dass er sich ja nicht in das Leben des 22 Jährigen einmischen sollte. Das nun folgende Gespräch war ihm mehr als unangenehm und er versuchte all seine Sorgen abzustreiten. Irgendwann war es seine Schwester, die nach dem schwarzen Handy fragte und Joey nutze die willkommende Ablenkung.
 

Die Nacht verging schnell, Joey schlief nach diesem Abend schwer, träumte in der kurzen Nacht einen seltsamen Traum. Er befand sich im Palast eines Pharaos, es war kalt, mitten in der Nacht und der freie, schwarze Himmel war mit vielen Sternen übersät. Er wanderte durch die menschenleeren Räume, die ewig langen Gänge und hatte doch immer das Gefühl beobachtet zu werden. Als er den großen Hof vor dem gewaltigen Eingang erreichte, schien dieses Gefühl einer grausamen Wirklichkeit entsprungen zu sein. Als er sich umdrehte, um nach dem über dem Palast stehenden Mond zu sehen, erkannte er den weißen Drachen mit seinen weit ausgebreiteten Flügeln. Die eisigen Augen waren von einem klaren, hellen Blau und das Wesen fokussierte ihn. Der schlanke Hals beugte sich langsam, der große, elegante Kopf kam ihm näher und über dem weißen Drachen schien der helle, runde Mond, der alles in ein schreckliches Grau tauchte.

Mit diesem Bild erwachte der Blondschopf und fiel vor Schreck aus dem Bett. Er lag einen Moment regungslos am Boden, bevor das Klingeln seines Weckers einsetze. Müde, verwirrt und überfordert stand er auf, duschte sich und schenkte seiner Schwester ein Lächeln, die ihn mit einem heißen Tee in der Küche erwartete.
 

An diesem Morgen fühlte er sich seltsam. Während er auf dem Weg zur Arbeit war, ließ ihn dieses Gefühl der Nacht nicht los. Noch immer erinnerte er sich an Bildfetzen, doch der Blick des Drachens war wie in seinen Verstand gebrannt. Er fühlte sich müde und abgespannt als er im Büro ankam und seinen täglichen Aufgaben nachging.

Dennoch saß er wie jeden Morgen um kurz vor 7 Uhr an seinem Platz, der Kaffee stand schon auf dem großen Schreibtisch und er war in Gedanken versunken. Joey hatte gestern anscheinend noch die E-Mail bekommen, die er erst heute gegen 16 Uhr erwartet hatte und überflog alles, während der Drucker hinter ihm arbeitete. Er fühlte sich innerlich immer noch so erschöpft, doch das wollte er sich nicht anmerken lassen. So zog der junge Mann die zweite Schublade von oben auf, nahm eine hellblaue Pappmappe heraus und legte sie auf den Schreibtisch. Er würde die ganzen Blätter dieses Mal nicht tackern, es waren dafür ein wenig zu viele. Nachdenklich stand er auf, holte den kleinen Stapel Papier und drehte sich gerade zu dem großen Arbeitsplatz um, als er den schlanken, jungen Mann erkannte. „Oh… guten Morgen!“ Entkam ihm verlegen und er lächelte ertappt. „Die Unterlagen von Herrn Mizuno sind endlich da.“ Meinte er und kam zu seinem Schreibtisch zurück, schob die Blätter in die hellblaue Mappe und reichte sie dem Brünetten.

Dieser schien sich einen Moment nicht zu rühren, die eisigen Augen lagen nur mit kühlem Blick auf dem jungen Mann und schien ihn zu durchbohren. „Guten Morgen.“ Kamm dann recht schlicht und Seto nahm die Mappe entgegen. „Erkundige dich bitte, ob das Treffen heute um 14 Uhr noch stattfindet.“ Kam dann von dem 22 Jährigen und mit einem Nicken nahm Joey den Auftrag entgegen. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich seinem Büro zu und verschwand hinter der großen Tür. Mit einem Seufzen ließ sich Joey auf seinen Stuhl sinken und griff nach dem schwarzen Handy, das dort lag. Mokuba hatte ihm seine Frage beantwortet, er würde in der dritten Stunde die Arbeit schreiben.
 

Es war zu einer Gewohnheit geworden den Becher in den Händen haltend in Ruhe die ersten Aufgaben des Tages zu erledigen. Seit er einige Änderungen durch Joeys Anwesenheit akzeptiert hatte, war er deutlich entspannter. Diese Tatsache war sogar Seto selbst aufgefallen. Langsam wanderte sein Blick von dem Bildschirm hinüber zu dem Photo, welches Joey gestern hier aufgestellt hatte. Heute schien der Blonde so müde, es war auch der erste Tag, an dem er das Pflaster nicht mehr auf der Wange trug. Nun konnte man gut erkennen, dass die Schnittwunde mit wenigen Stichen genäht worden war. Hatte er nicht gesagt, dass er Morgen noch einen Arzttermin hatte und darum später käme? Heute war eigentlich ein perfekter Tag um ihn wieder einmal zu ärgern. Er war in den letzten Tagen so freundlich zu dem Köter gewesen, da musste dieser doch einen kleinen Dämpfer bekommen. Entspannt lehnte er sich zurück und schloss kurz die Augen. Es würde ihm sicher etwas Gutes einfallen.

Patrik wartete schon begierig auf die nächsten Informationen und im unteren Teil seines Bildschirms blinkte ein Smiley auf, der Setos Aufmerksamkeit einfordern wollte. Mit einer langsamen Bewegung zog er die Tastatur an sich heran und begann mit dem Tippen. Seine schlanken Finger glitten schnell über die Tasten und sein Blick war auf die schwarzen Zeilen gerichtet. Der dunkelblaue Becher stand nun wieder auf dem Schreibtisch, während Patrik ihm einen interessanten Vorschlag machte. Er würde seinem Freund doch immer helfen, wenn es um Boshaftigkeiten ging.
 

So verstrich die Zeit ungesehen, Joey brachte um 10:30 Uhr das Frühstück herein. „Ich sollte doch noch einmal dem Termin bestätigen lassen. Er wird stattfinden und voraussichtlich werden alle pünktlich sein.“ Gab er noch an, bevor er wieder ging. Ruhig arbeitete der junge Mann vor sich hin, telefoniert wieder deutlich zurückhaltender und brachte Yuriko später einen heißen Tee vorbei. „Du siehst heute sehr müde aus.“ Stellte sie fest und ein schwaches Lächeln legte sich auf die vollen Lippen. „Ja, ich habe wirklich mies geschlafen. Ich hoffe, dass ich heute etwas früher wegkomme. Bis 19 Uhr wäre wirklich hart.“ Meinte er leicht resigniert und nahm einen Schluck seines eigenen Tees. „Tut die Wunde auf der Wange noch weh?“ Fragte sie mit diesem mütterlichen Ton und der Blonde schüttelte den Kopf. „Nein, so gut wie gar nicht mehr. Manchmal nach dem Duschen, aber sonst habe ich damit keine Probleme mehr. Ich bin ja Morgen bei Dr. Sakuai und hoffe, dass dann die Fäden gezogen werden.“ Kurz schien sie zu überlegen. „Du wolltest Morgen später kommen, nicht wahr?“ Nun nickte Joey und sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Die Wunde scheint gut zu verheilen.“ Stellte sie fest und er nickte nur schweigend. „Ach, ich wollte dich doch noch fragen, ob wir noch etwas für das Treffen heute vorbereiten müssen. Sonst sagt er ja immer Bescheid.“

Doch auch Yuriko konnte diese Frage nicht beantworten und so gingen beide mit ihrem Becher Tee in der Hand in die untere Etage und kontrollierten den großläufigen, dennoch schlicht gehaltenen Konferenzraum, der mit modernster Technik ausgerüstet war. Hier hatte sich schon jemand um all die kleinen Details gekümmert, Schilder aufgestellt, Zettel verteilt und Stifte ausgelegt. Der Wagen für Kaffee und andere Getränke war aufgerüstet und ausgestattet worden und stand bereit im kleinen Zimmer nebenan. Dort fehlte nur noch der Kaffee und die anderen essbaren Kleinigkeiten.
 

Zurück in ihrem Stockwerk war auch schon der junge Hilfskoch mit dem Mittagessen dort und begrüßte sie leicht nervös. „Ich muss euch etwas sagen!“ Begann er mit fahriger Stimme und seine Augen waren rund geweitet. Er stand in der kleinen Bistroküche und hielt seine Kochmütze mit beiden Händen fest. Er drehte und bog den Stoff, wirkte unruhig und doch auch euphorisch. Hinter dem schwarzhaarigen Japaner stand der Wagen mit dem Essen. „Was ist denn los?“ Fragten beide erstaunt und dann platze es aus ihm heraus. „Die anderen wollen, dass ich die Küche mitleiten soll!“

Das Erstaunen war eindeutig und kam schlagartig. „Wie jetzt?“ Fragte Joey überfordert nach und dabei breitete sich ein Grinsen auf seinen Wangen aus. „Na ja, wir wollen die Leitung jetzt auf zwei Köche aufteilen und ich soll als Hilfskoch die Planung und Organisation als dritte Position mitübernehmen. Das bedeutet, dass ich den beiden zuarbeite und alles vorbereite.“ Nun zog ihn Yuriko an sich und drückte den 24 Jährigen herzhaft an ihre Brust. „Das ist doch eine wunderbare Nachricht! Ich freue mich für dich!“ Auch Joey schlug ihm auf die Schulter und grinste dabei von einem bis zum anderen Ohr. „Ja… ja, ich mich auch. Nun muss nur noch Kaiba diese Idee absegnen und dann kann es praktisch schon ab Morgen los gehen. Er weiß noch nichts von der Idee. Wir wollen einfach keinen anderen Küchenchef vor die Nase gesetzt bekommen und alles unter uns regeln.“ Erklärte er aufgeregt und löste sich langsam wieder von der Sekretärin. „Wir sagen es ihm aber lieber später. Ich soll euch einmal fragen, wann denn die beste Zeit dafür wäre.“

Nun tauschten die zwei Sekretäre einen kurzen Blick und die ältere Dame zog die Stirn kraus. „Ich würde bis heute Nachmittag warten. Er hat noch einen wichtigen Termin um 14 Uhr, ein Meeting und wenn das schief geht, braucht ihr ihn heute nicht fragen.“ Nun nickte der Blonde. „Oh ja, da hast du Recht. Was hältst du davon, wenn ich dir einfach Bescheid gebe?“
 

Diese Idee fand großen Anklang bei Hayato und so entschieden sie sich, dass Joey ihm einfach eine Nachricht schreiben sollte. Der 19 Jährige zog das schwarze Handy aus seiner Tasche und beide blickten erstaunt auf den Bildschirm. „War da jemand freundlicher, als er zugeben will?“ Fragte der Hilfskoch und grinste dabei schief. „Oh ja, das war er. Ich brauche mir dieses dumme Photo nicht mehr ansehen!“ Die Freude war deutlich in seiner Stimme zu hören und so halfen ihm beide die neue Nummer einzuprogrammieren. Dann brachte der Blonde das Essen zu Seto hinein und bemerkte wieder dessen kühle Art. „Hast… haben sie sich schon Gedanken über die Situation in der Küche gemacht?“ Irgendwie wollte er ihn gerade lieber siezen und als ihn die kalten Augen anblickten, wusste er auch warum. Heute schienen sie so abwertend und herablassend zu sein. Was war in dieser Nacht geschehen, dass Kaiba ihn so behandelte? War das der Dank für den Tipp mit der Torte? Mokuba hatte sich bei ihm bedankt und heute Morgen kurz geschrieben, dass ihm die Torte sehr gut geschmeckt hatte und nachdem er nun die Arbeit hinter sich gebracht hatte, kam die kurze Nachricht, dass Seto ihm eine gute Hilfe beim Lernen gewesen war. Vielleicht aber war das hier auch die Strafe dafür, dass er sich wieder einmal in sein Leben eingemischt hatte. Immerhin war die Aussage im Fahrstuhl ja mehr als deutlich gewesen. Er sollte sich aus dem Leben des Brünetten heraus halten.

„Was für Gedanken soll ich mir bitte über die Situation in der Küche machen?“ Knurrte der 22 Jährige beinahe und Joey verschränkte verlegen seine Finger. „Nun, also…“ Doch so recht wusste er nicht, was er antworten sollte. „Hat dich dein Lover hergeschickt?“ Erstaunt schoss ihm das Blut in die Wangen und er musste kurz nach Luft schnappen. „Er ist nicht mein Lover! Das habe ich dir schon einmal gesagt! In der Küche fehlt nur ein Koch und da du einen gefeuert hast, musst du auch einen einstellen!“ Aus dem Erstaunen wurde Wut und diese zeigte sich allzu deutlich in der erhobenen Stimme und dem finsteren Blick.
 

Doch wieder schwieg der Brünette und blickte ihn nur aus seinen blauen Augen herablassend an. Es verstrich eine gefühlte Ewigkeit, bis Joey eine Antwort bekam. „Wenn ich es für angebracht halte, werde ich mich mit der Küche befassen. Sie werden doch sicher alleine kochen können oder?“ Die schlanke Augenbraue zog sich in die Höhe und kurz schweifte der Blick zu dem Reisgericht, dass auf dem Teller lag. „Oder ist das Essen hier versalzen?“ Zwischen Scham und Wut wechselten die Empfindungen des 19 Jährigen und er schüttelte den Kopf. „Nein, schon gut, ich habe nicht gefragt! Und ja, sie können auch so gut kochen! Guten Appetit.“ Gab Joey noch von sich, bevor er sich umdrehte und mit schnellen Schritten das Büro verließ.

Diese Art brachte ihn doch immer wieder auf die Palme! Erst ewig schweigen, einen vorwurfsvoll ansehen, als ob man etwas verbrochen hätte und dann kam so eine Antwort! Ob sie das Essen alleine nicht genügend salzen könnten. Das war doch lächerlich! Das sich jemand gerade über sein Verhalten lustig machte, wusste er nicht.

Seto saß mit einem zufriedenen Schmunzeln an seinem Schreibtisch und blickte zur geschlossenen Tür. Das klappte ja mal wieder besser als gedacht! Es war so einfach den jungen Mann wütend zu machen und es machte ihm immer wieder Spaß. Der Wechsel zwischen dem Siezen und dem Duzen war ihm natürlich aufgefallen. Beinahe schon süß! Ob Joeys heutige Reizbarkeit mit seinem scheußlichen Aussehen zu tun hatte? Dass der junge Mann müde und erschöpft war, konnte er nicht verbergen. Das war sicher der richtige Tag für die nette Idee, die Patrik heute Morgen vorgeschlagen hatte!
 

Zwanzig Minuten noch! Langsam erhob er sich und schob den Stuhl an den Schreibtisch heran. Die Idee gefiel ihm so gut! Patrik hatte wirklich die Fähigkeit gerissene Pläne auszuarbeiten. Er nahm die Mappe, die Joey ihm in der Früh gegeben hatte und machte sich gemütlich auf den Weg durch sein Büro, öffnete entspannt die Tür und sein Blick fiel auf den Blonden, der dort mit einem zerknirschten Ausdruck auf dem Gesicht seinen Bildschirm beobachtete. Auf dem zweiten Monitor war wie immer der Smiley zu sehen, der das Interface von Sally darstellte.

Mit einem Räuspern machte er sich bemerkbar und Joey drehte den Kopf langsam zu ihm hinüber. Er sah noch immer verärgert aus, doch es schien sich etwas anderes ergeben zu haben. Mit einer eleganten Bewegung ließ Seto die blaue Mappe in die Ablage fallen, die am äußeren Rand der Arbeitsplatte aufgestellt war. „Du kannst die Daten einsortieren.“ Gab er knapp von sich und musterte Joey eingehend. „Ach ja, Mr. Winston meldet sich gleich kurz nach zwei bei dir. Er gab mir nur kurz Bescheid, das er sich melden wollte. Bitte kläre mit ihm ab, was er möchte.“ Der blonde junge Mann nickte und wusste nicht, dass er damit direkt in die für ihn ausgelegte Falle tappen würde. Mit seinem schlanken Laptop unter dem Arm machte sich der Brünette auf den Weg und hielt nur kurz noch bei Yuriko an, der er ebenso eine Aufgabe zuteilte. Er wollte sie nicht hier haben, wenn der Anruf kam. Mit einem stummen Lächeln betrat er den Fahrstuhl und musste nur noch abwarten. Das war sein nächster Zug. Mal sehen, wie dem Köter das gefiel.
 

„Ich bin noch einmal unten bei Lin. Ich soll noch für einen Auftrag ein paar alte Unterlage heraus suchen.“ Meinte Yuriko und seufzt. Darauf hatte sie jetzt wirklich keine Lust. „Je eher du los gehst, desto schneller bist du wieder hier.“ Schlug er mit einem Lächeln vor und sie schüttelte den Kopf. „Früher, nicht schneller.“ Verbesserte sie ihn und er schmunzelte. „Nun geh schon.“ Verscheuchte Joey die Sekretärin, die ihm zur guten Freundin geworden war. „Ja, ja, ich bin schon weg.“ Rief sie noch lachend und schritt wie immer mit diesem eleganten Schwung durch den Raum. Er konnte kurze Zeit später des Geräusch der sich öffnenden Fahrstuhltüren hören. Mit einem Seufzen machte er sich an die Arbeit, die noch vor ihm lag. Es war auch irgendwie schön, dass er endlich seine Ruhe hatte.

Doch die würde er nicht lange haben. Das Telefon klingelte wie angegeben kurz nach zwei Uhr und eine tiefe Männerstimme meldete sich. „Hallo, Mr. Wheeler. I am William Winston and I want to talk to Mr. Kaiba.“ Begrüßte ihn der Herr auf der anderen Seite in einer Sprache, die Joey nicht sonderlich gut lag. „Oh, yes, Mr. Winston. Mr. Kaiba visit a meeting and call me too talk with you.“ Es wurde still und er konnte hören, wie der Mann ein Schlucken unterdrückte. „He ‘visit’ a meeting?” Frage er kurz und schien den Punkt dann doch übergehen zu wollen. „Ok, I will try it.“ Brummte er und nun stand Joey der Schweiß auf der Stirn. Er hatte zwar geübt, aber so jetzt auf gleich in ein Gespräch verwickelt zu werden, war doch etwas anderes. Sein momentan müder und erschöpfter Zustand machte es nicht einfacher. „I want to talk with Mr. Kaiba about the VianX project. It is more than 5 Years ago, but the idea to combine the wizard circle and the chronicles of fan is brilliant.”
 

Zwar sprach der Mann ruhig und deutlich, doch im Laufe des Gespräches nutze er immer öfter Worte, die Joey nicht kannte. Er versuchte so gut es ging mitzuschreiben, musste immer wieder nachfragen und die Stimme des Mannes wurde deutlich ungehaltener. Die einsetzenden Kopfschmerzen ließen die Übersetzung immer schwerer werden und dann schien es dem Mann auf der anderen Seite des Telephons zu viel zu werden. Mit einem herablassend wütendem Ton meinte er schließlich. „Stop it! Mr. Kaiba must be crasy, if he really wants you as his secretarial.“ Mit diesen Worten legte er auf und Joey hörte nur noch das leise Tuten aus dem Hörer, dass ihm nun wie das Donnern eines Gewitters erschien. Langsam legte er auf, schloss die Augen und ließ sich zurück sinken. Sein Kopf tat weh und er schien am Ende aller Kräfte zu sein. Klasse, das Telefonat hatte er wirklich versaut. „Geht es dir gut?“ Fragte Sally mit einem Mal leise und der Blonde öffnete eines der Augen. „Nein, ich habe Kopfschmerzen!“ Meinte er nur und versuchte nicht das besorgte Gesicht zu beachten, dass sie nun machte. Anscheinend war sie darin sehr gut!

Mit einem Blick auf die Uhr stellte er fest, dass dieses Telefonat nicht einmal eine halbe Stunde gedauert hatte. Was würde er eigentlich Yuriko gleich sagen? Doch sie schien länger zu brauchen, so war es zuerst Seto, der wieder zurück kam.
 

Der Blick des Brünetten lag fragend auf Joey, der ihn zuerst gar nicht bemerkte. Noch immer dröhnte sein Kopf und innerlich fraß ihn die Sorge auf, wie er seinem Chef das Desaster erklären sollte. Er hatte die Hände in den Schoß gelegt, die Schultern tief herab gezogen und die Augen auf den Bildschirm gerichtet. Was dort stand, begriff er jedoch nicht. Es war wie immer ein Räuspern, das ihn aus seiner Trance holte und erschrocken zuckte sein Kopf in die Höhe. Die Honigbraunen Augen blickten ihn an und als er den 22 Jährigen erkannte, kam eine gewisse Panik zu allem Überfluss dazu.

„Deinem Gesicht nach zu urteilen, habe ich einen Fehler begangen.“ War der erste Kommentar Setos und nun zog der Angesprochene den Kopf leicht zwischen die Schultern. „Also… ich…“ Begann dieser nun, brach jedoch wieder ab. „Mr. Winston war nicht sehr von meinen Englischkenntnissen überzeugt. Er wollte mit dir über ein Projekt namens VianX sprechen, das ihr vor 5 Jahren geplant hattet.“ Langsam zog er den Zettel näher zu sich heran, auf dem er das Wichtigste notiert hatte. „So wie ich das verstanden habe, bietet der Mark aktuell eine deutlich bessere… ähm… na ja, es würde sich wohl jetzt besser verkaufen. Außerdem hat er gerad einige… Zeit, um sich damit noch einmal zu beschäftigen.“
 

Der Schatten des schlanken Mannes fiel auf den Schreibtisch und er griff nach dem Zettel, der mit vielen, sehr vielen durchgestrichenen Worten versehen war. Schweigend verengten sich die Augen und die Brauen zogen sich tiefer. Das auflaufende Gewitter war so sicher wie das Amen in der Kirche. „Sag mir bitte, dass dieses Gespräch nicht damit endete, das er aus Verzweiflung einfach aufgelegt hat.“ Als sich die eisblauen Augen von dem unleserlichen Stück Papier hoben, konnte er einen in sich zusammen gesunkenen jungen Mann erblicken. „Nicht… nicht ganz… er... er meinte, dass du verrückt sein müsstest und hat dann aufgelegt.“ Als keinerlei Reaktion darauf kam, musste er doch zu Seto auf sehen und blickte nun direkt in die blauen Augen, die ihn ungläubig anstarrten. Die rechte Hand, in der er noch immer die Notizen hielt, legte sich in die Hüfte des Mannes, die andere drückte er in einer Geste des puren Entsetzens vor seinen Mund.

Die Schuldgefühle, die Joey nun überfielen, schienen den Boden unter seinem Stuhl in Treibsand zu verwandeln, in dem er nach und nach versank. Normalerweise wäre das der Augenblick, in dem ihn Seto anschrie. Aber nein, er wirkte entsetzt und… fassungslos! Geräuschvoll atmete der 22 Jährige ein und schien sich ein wenig zu fangen. „Das hast du eben nicht wirklich gesagt oder? Du hast eben nicht wirklich gesagt, was ich gehört habe!“ Kam leise, fast nicht hörbar über seine Lippen. Der Ausdruck auf dem Gesicht des 19 Jährigen machte jede Antwort überflüssig. Schuld konnte er in den honigbraunen Augen lesen und eine Art Verzweiflung.
 

Er hatte es also wirklich nicht begriffen. Er musste ein lautes Lachen unterdrücken, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Bei allen verdorbenen Göttern, was für ein herrlicher Anblick. Joey schien wirklich davon ausgegangen zu sein, dass er ein ernsthaftes Gespräch führen würde. Mit einem breiten Grinsen zog er sein schwarzes Handy aus der Tasche und rief seinen besten Freund an. „Dein Plan hat wirklich gut funktioniert, Paddy.“ Meinte Seto, während er sich in seinen großen Stuhl fallen ließ. „Ach nein, Winston, Mr. Winston!“ Die Freude, die ihn in diesem Moment durchfuhr, tat so unendlich gut. Er hatte seine Bosheit ja schon in dem Verhandlungsgespräch eben ausführlich zur Schau tragen können und nun auch noch das. Was für ein angenehmer Tag! „Es ist mein Plan! Seit wann funktionieren meine Pläne nicht eben genau so, wie ich es sage?“ Lachte der junge Engländer auf der anderen Seite und griff zu seinem Glas. „Los, erzähl, ich will mir sein Gesicht in allen Einzelheiten vorstellen können!“ Forderte er seinen Freund auf und lehnte sich genüsslich zurück, um den Erzählungen Seto Kaibas zu lauschen.

Herzliche Überraschungen

Kapitel 22

Herzliche Überraschungen
 

Dass es nur ein Trick war, konnte er nicht ahnen. Noch immer niedergeschlagen fand ihn Yuriko, als sie mit einem Stapel alter Akten balancierend zurück kam. Erstaunt blieb sie stehen und blickte den jungen Mann an, der dort mit dem Kopf auf dem Tisch ruhte. Er hatte die Arme verschränkt und seine schmerzende Stirn darauf gebettet. „Kopfschmerzen.“ Hörte sie Sally sagen, als sie Joey ansprach. „Warte Kurz.“ Sagte sie und brachte die Akten nun doch zu ihrem Schreibtisch und nicht hinüber in die Küche, wo sie mehr Platz zum Sortieren gehabt hätte. Aus ihrem Schreibtisch zog sie noch etwas und sauste dann in die Küche. Die über 40. Jährige holte ein Glas Wasser, in das sie eine Schmerztablette aufgelöst hatte. „Hier, das hilf wirklich gut gegen Kopfschmerzen.“ Meinte sie und stellte es vor Joey ab. Als dieser den Kopf hob, wirkte er mehr als erschöpft. „Danke, aber gegen Dummheit helfen sie trotzdem nicht.“ Brummte der Blonde leise und griff nach dem Getränk. Mit wenigen Zügen hatte er es geleert und verzog das Gesicht auf Grund des schlechten Geschmackes.

„Ok, was ist denn geschehen?“ Wollte sie nun wissen, als das Telefon klingelte. Schweigend starrte er auf das moderne Gerät, dessen Licht den Anrufer als Seto Kaiba auswies. Mit einem Seufzen griff er nach dem Hörer und gab nur ein mattes „Ja?“ von sich. Es dauerte wirklich einen Moment, bis der Brünette das Erstaunen überwunden hatte und antworten konnte. „Komm rein.“ Meinte er mit einem Mal und wieder kam nur dieses kraftlose ja. Langsam stand er auf, sah noch einmal mit einem schwachen Lächeln zu Yuriko. „Danke, ich erklär dir später alles.“ Verschob er jedes weitere Gespräch und schob den Stuhl an den Schreibtisch heran. Es schien wie eine Geste um Zeit zu schienden. Tief einatmend straffte er seine Schultern, bevor er die Tür zum großen Büro öffnete.
 

Seto hatte eine Weile gebraucht, um seine überschwängliche Schadenfreude in einen ernsten Ausdruck zu zwingen und den zweiten Teil ihres Planes umzusetzen. Als Joey nun eintrat, hatte er diesen ernsten Gesichtsausdruck. Die eisblauen Augen sahen den jungen Mann an und für den Bruchteil einer Sekunde war er überrascht. Der 19 Jährige wirkte so müde und erschöpft, wie in den letzten Wochen nicht. Nun, am Freitag Abend, an dem Abend, an dem er ihn gefunden hatte, da schien er ebenso neben der Spur zu sein. „Ich habe gute Nachrichten für dich.“ Begann er in ruhigem Ton und bemerkte nicht, dass er ganz anders anfing, als er es sich vorgenommen hatte. Bei diesen Worten schien ein Ruck durch den jungen Mann zu gehen und mit einem Mal begannen die eben noch matten Augen zu leuchten. „Wirklich?“ Fragte er nach und trat näher an den großen Schreibtisch heran.

Es war eine so unerwartete Reaktion, dass sich ein leichtes Lächeln auf die schmalen Lippen schlich. „Ja, ich habe mit William gesprochen und er wusste anscheinend nichts von unserer Wette. Ich konnte ihn davon überzeugen, dass wir alle weiteren Besprechungen im Februar nächsten Jahres führen, wenn deine Zeit hier um ist.“ Die Erleichterung war überdeutlich im Gesicht des Blonden zu sehen. „Also ist alles wieder in Ordnung?“ Nun war die überschwängliche Freude so groß, dass sie jedes Zeichen der Erschöpfung davon wischte. Als er dann die bestätigenden Worte des Brünetten hörte, schien nicht viel zu fehlen und er hätte einen Sprung in die Luft gemacht. „Es gibt nur einen kleinen Harken an der ganzen Sache.“ Setos Stimme war deutlich ruhiger, als er geplant hatte. Sie schien dabei diesen beruhigenden Klang zu haben, der Joeys Überschwang am Leben hielt und ihn nicht allzu besorgt werden ließ. „Du sollst dich bei ihm entschuldigen.“
 

Die honigbraunen Augen sahen den 22 Jährigen an und dann verschränkte er die Arme. „Also soll ich mich bei diesem Kerl dafür entschuldigen, dass ich so ein Trottel bin und ihn nicht verstanden habe?“ Fragte er etwas erbost und fand das Schmunzeln nicht sehr angenehm, welches er nun zu sehen bekam. „Ich hätte eher gesagt, dass du dich dafür entschuldigen sollst, dass du mich so in Verlegenheit gebracht hast. Aber deine Interpretation ist auch passend.“ Gab er leicht amüsiert von sich.

Mit einem kräftigen Durchatmen straffte Joey die Schultern und meinte dann überzeugt. „Gut, wenn es weiter nichts ist. Es ist mies und er hat es in keiner Weise verdient, aber wenn ich dir dafür das Geschäft rette, dann werde ich mich eben bei dem Idioten entschuldigen.“ Dass es ihm nicht gefiel, zeigte er in jeder Geste, die er dafür fand. Er machte dabei so einen trotzigen und sturen Eindruck, dass der Firmenführer nur den Kopf schütteln konnte. „Und du denkst daran, dass er kein Japanisch spricht?“ Fragte dieser nun nach und bemerkten den Wandel in dem sonnengebräunten Gesicht. Da hatte jemand anscheinend etwas vergessen.

„Ich mache dir einen Vorschlag, momentan liegt nichts weiter Wichtiges an. Da es sich ja auch um mein Geschäft handelt, bespreche ich mit dir bei einer Tasse Kaffee das Notwendigste. Ist das ein Angebot?“ Fragte er und die Reaktion darauf hätte er nicht erahnen können. „Du verarscht mich jetzt auch nicht?“ Wollte der Blonde wissen, während Seto sich erhob. „Nein, noch einmal will ich ihm nicht erklären, warum du hier arbeitest.“ Es war ein freches Schmunzeln auf den schmalen Lippen und die Kälte stand nicht mehr in den sonst so eisigen Augen des Brünetten.
 

Noch einmal blickte ihn Joey skeptisch an und dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus und seine Haltung veränderte sich. „Ok,.. ok, ich bin dabei. Sehr gerne, gib… gib mir nur… sagen wir 5 bis 10 Minuten. Ich bin gleich wieder da!“ Rief er mit einem Mal und war schon halb aus dem Büro hinaus. „Ich bin auch gleich wieder da. Du kannst ja schon Mal den Kaffe machen!“ Rief er durch die Tür und war auch schon verschwunden. Verwundert und sehr irritiert blieb Seto neben seinem Schreibtisch stehen und starrte auf die Tür, die noch immer offen stand. War der Kerl gerade aus dem Büro gestürmt und hatte sein überhaupt nicht geplantes Angebot mehr oder weniger auf später verschoben? Und was hatte der Kerl vor? Er wollte in 5 bis 10 Minuten wieder da sein? Langsam ging er auf die Tür zu und warf einen Blick hinaus, doch der Schreibtisch war leer. Wo war er hin?

Nun, Kaffee war eine gute Idee und wenn Joey gleich wieder da sein wollte, dann würde er ja sicher nicht allzu lange warten. Allerdings wurmte es ihn ungemein, dass er keine Vorstellung davon hatte, was dem Kerl nun durch den Kopf ging. Mit einem skeptischen Blick machte er sich auf den Weg in die kleine Bistroküche neben seinem Büro, während seine Gedanken weiter um den jungen Mann kreisten. Der kleine, unerwartete Leerlauf machte ihm langsam klar, dass er von seinem Plan immer weiter abwich. Er hatte nicht vorgehabt Joey zu helfen, aber irgendwie hatte ihn dessen seltsame Art dazu gebracht.

Dass dessen Reaktion noch lange nicht ihre eigentlichen Ausmaße preisgegeben hatte, ahnte der Brünette nicht. Er lehnte nachdenklich an der kleinen Küchenzeile, hielt den Becher mit dem heißen Kaffee in Händen. „Tut mir leid, es hat doch etwas länger gedauert, als ich zuerst dachte. Es war ziemlich voll da unten.“ Erklang mit einem Mal Joeys Stimme, der junge Mann stand mit zwei Teller im Eingang.
 

Die blauen Augen starrten einen Moment auf das, was der Blonde dort auf den beiden Tellern hatte. „Ist das Kuchen?“ Fragte er zögernd und sah das Kopfschütteln des jungen Mannes. „Oh nein, das ist ein „Entschuldigungstörtchen“!“ Gab er mit einem Honigkuchenmännchen gleichen Grinsen von sich und trat auf die Tische weiter hinten im Raum zu, an denen man gemütlich sitzen konnte. Hier aß er gerne mit Yuriko und Hayato zu Mittag. Er hörte, wie ihm Seto folgte und ahnte schon, was er gleich zu Gesicht bekommen würde. Als er den Teller mit der zierlichen Kuchengabel auf die eine Seite stellte, wagte er den Blick in das helle Gesicht. Die ungläubige Skepsis war deutlich. „Was ist das?“ Fragte Seto, der sich dennoch unerwartet auf den ihm zugewiesenen Platz setzte. „Es ist ein Entschuldigungstörtchen.“ Wiederholte der 19 Jährige und nahm ebenfalls am Tisch Seto gegenüber platz. „Ok, ich erkläre es dir.“ Dabei klang seine Stimme freudig und leicht aufmüpfig. „Ich habe das Gespräch vorhin mit diesem Winston ganz schön vermasselt. Allerdings kennst du diesen Mann schon länger und du kennst mich und meine Englisch Kenntnisse ebenso gut. Es war dir also von Anfang an klar, dass ich dieses Gespräch versauen werde!“ Dabei beugte er sich leicht vor, den rechten Ellenbogen auf den Tisch abgestützt. „Ein Entschuldigungstörtchen bedeutet, dass ich akzeptiere, dass ich Schuld an der Situation bin, aber dass du genauso eine Mitschuld daran trägst!“
 

Für einen Moment dachte Seto schon, dass der junge Mann ihren Plan durchschaut hatte. Die honigbraunen Augen sahen ihn bei diesen Worten mit einer unglaublichen Tiefe an und er wirkte so überzeugt von dem, was er sagte. Es hatte einen kurzen Moment gedauert, bis dem Brünetten klar geworden war, um was es Joey ging. Dieser ahnte noch immer nichts von ihrem Plan. „Ein… ein Entschul… Entschuldigungstörtchen?“ Ein Kichern unterbrach seine Worte, das sich zu einem ausgewachsenen Lachen entwickelte. Die sonst so hellen Wangen färbten sich rot und die schlanke Hand presste sich gegen die Lippen, doch er konnte das Lachen nicht unterdrücken.

Die blonden Augenbrauen schoben sich in die Höhe, hatte er Seto je so lachen hören? Es war nicht dieses typische Lachen, dieses kalte, boshafte, das sonst über die schmalen Lippen kam. Langsam beugte sich Joey zurück und wartete ab, bis sich sein Gegenüber wieder gefangen hatte. Es war ein schönes Lachen, befand er und so zeichnete sich auch auf seinen Lippen ein Schmunzeln ab. Ein angenehmes Gefühl begann ihn zu durchströmen und er beobachtete zufrieden, wie sich der Brünette über die Augen wischte. Es waren noch keine Tränen, aber das dieser kraftvolle Akt des Lachens den Blick wässrig werden ließen, konnte er gut erkennen. „Ich hoffe, dass dir die Moccatorte schmeckt. Ich habe extra um sie kämpfen müssen. Ich weiß ja, dass du sonst kaum Süßigkeiten isst, aber vielleicht schmeckt sie dir ja trotzdem.“

Noch immer leicht glucksend zog Seto den Teller näher an sich und musste dann tief ein und ausatmen. „Dann sehe ich dein Lachen als Zustimmung für deine Mitschuld?“ Fragte der Blonde nun und stieß die Gabel in sein eigenes Stück Torte, welches er dann in seinem Mund verschwinden ließ. „Ok, gut, ja, ich gestehe ein, ich hätte die Situation vorhersehen können. Da gebe ich dir Recht.“ Langsam hatte er sich wieder gefasst und schüttelte leicht den Kopf über den Irrsinn dieses Moments.
 

Es tat sehr gut, diese Worte zu hören. Obwohl er sich noch immer müde fühlte, beflügelte dieses Gespräch sein Wohlbefinden enorm. „Nun probier schon!“ Forderte der 19 Jährge ihn auf und wartete gespannt auf die Einschätzung des Brünetten. Dieser sah noch einmal mit einem Grinsen zu ihm auf und blickte dann herausfordernd auf die Torte. Er griff nach der Gabel und ließ sie gemächlich über dem Stück kreisen, bevor er die Spitze mit einem gezielten Stich abtrennte. Vorsichtig hob er die Gabel an und zögerte noch einmal, bevor er die Lippen öffnete. Joey hatte schon den nächsten Happen in seinen Mund geschoben und zog frech die Mundwinkel in die Höhe. „Man, stellst du dich an. Ich habe sie schon nicht vergiftet!“
 

Die Torte schmeckte wirklich gut. Das hätte er nicht erwartet. Sie war ihm zwar ein wenig zu süß, aber sie schmeckte dafür erstaunlich angenehm. Noch während er die Reste des Tortenstücks aß, sprach er mit dem jungen Mann über das folgende Telefonat. Seto hätte nicht erwartet, dass sich in ihm ein angenehmes Gefühl ausbereiten würde. Joey erschien ihm zwar wie ein hoffungsloser Fall, aber es sollte gehen. Sie saßen sicher eine halbe Stunde dort, bis er wieder auf die Uhr blickte. „Du solltest ihn anrufen. In Großbritannien sollte es jetzt zwar erst nach 9 Uhr sein, aber mehr kann ich dir auch nicht erklären.“

Nun war es der Angesprochene, der ihn verwundert anblickte. „Aber… ich habe doch vor drei Stunden mit ihm telefoniert.“ Meinte er erstaunt und überlegte, wie spät es dann dort gewesen sein müsste. Seto stand auf und nickte. „Ja, wenn man auf dem Weltmarkt arbeitet, dann sind Arbeitszeiten ein sehr dehnbarer Begriff.“ Mit diesen Worten stellte er seinen Becher und den leeren Teller in das Spülbecken und auch Joey tat es ihm gleich. „Ok, dann… dann werde ich ihn jetzt anrufen!“ Gab er mit so selbstsicherer Stimme von sich, wie er nur konnte. Kurz sah er zu Yuriko, die sie zwischenzeitlich beobachtet hatte. Seto zog sein schwarzes Telefon aus der Tasche und während sich Joey bereit machte, schrieb er Patrick. »Sei nett zu ihm.«

Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die verwunderte Frage kam, ob er das wirklich sollte. »Ja, wir waren heute gemein genug zu ihm. Er hat es sich verdient.« Tippte er und sah zu dem jungen Mann, der aufgeregt und nervös nach dem Telefon griff. »Wir müssen nachher telefonieren!!!!« Kam als Antwort und schweigend lausche der Firmenführern dem Gespräch. Joey stellte sich noch immer ziemlich ungeschickt an, aber die kleine Nachhilfestunde schien etwas gebracht zu haben. Es war sehr amüsant, wie er zwischenzeitlich von dem Zettel ablas, den sie angefertigt hatten.

Ein Schmunzeln zog sich über seine Lippen, während er Joey weiterhin beobachtete. Mit einem Mal stutzte er, denn der junge Mann sah zu ihm herüber. Er machte eine Handbewegungen und mit den nächsten Worten an den englischen Kunden wurde klar, was Joey von ihm wollte. Mit einem lautlosen Lachen machte sich Seto auf den Weg in sein Büro und hörte schon das Klingeln seines Telefons. „Ja?“ Fragte er noch immer belustigt und hörte nun die erschöpfte Stimme des 19 Jährigen. „Er will unbedingt noch einmal mit dir sprechen!“ Gab dieser von sich und stellte den Anruf durch.
 

Er telefonierte nicht lange mit Paddy, er hatte gerade keine Lust dazu. So umriss er nur kurz das Geschehen und wehrte die Sticheleinen des Engländers ab. „Ach was, wenn ich das Spiel noch länger spielen will, muss ich ihm auch seine Siege schenken, Paddy. Es ist eben nur ein Spiel, ein schönes, für mich allein vorteilhaftes Spiel!“ Im Gegensatz zu ihm erkannte der junge Engländer etwas, das ihn vorsichtig werden ließ. Ja, die Begründung war gut. Wenn er lange mit Joey spielen wollte, musste er ihn auch gewinnen lassen. Doch Patrick hatte nicht das Gefühl, dass dieses auch der Grund für Seto war. Es schien beinahe so, als bahnte sich etwas anderes an. „Komm, du solltest Mal wieder her kommen. Deine Verlobte vermisst dich! Was hältst du davon, komm am WE zu ihr und ich schneie auch vorbei!“ Schlug er vor, wurde aber mit einem „Mal sehen, ich über leg es mir.“ abgespeist.

Mit einem Blick auf die Uhr sah er, dass es schon halb sechs war. Mit einem zufriedenen Gefühl stand der Brünette auf und wollte noch einmal nach Joey sehen. Nein, der junge Mann hatte nicht begriffen, dass alles nur ein Spiel war. Dieses Gespräch war nur erfunden, nur gestellt und es hatte nur ein Ziel gehabt. Patrick ahnte jedoch, dass es einen tiefgehenderen Grund gab, aus dem sich der Brünette von ihrem gut ausgeklügelten Plan abgewandt hatte und Joey zu dieser Hilfestellung verhalf. Er hatte so etwas schon einmal miterlebt und er hatte nicht vor seinen besten Freund zu verlieren.
 

Die eisblauen Augen musterten Joey, der mit geschlossenen Augen in seinem großen Stuhl saß. Er wirkte wirklich müde. Oh, ob er eingeschlafen war? Sein Schmunzeln bekam einen bösen Zug und lautlos trat er an den Stuhl heran. Erst griff er nach der Rückenlehne und mit einem Ruck dreht er den Stuhl in seine Richtung. Der blonde, junge Mann zuckte zusammen und starrte aus großen Augen zu ihm auf. „Oh, ich… also…“ Stotterte er und dann kamen die kühlen, beschwingten Worte. „Los, verschwinde schon!“ Seto hätte fast wieder gelacht, als er das verständnislose Gesicht erkannte. „Aber… ich… ich dachte, es wäre… aber…“ Stotterte er nun und die Müdigkeit in Verbindung mit einer gewissen Erschöpfung ließen ihn die Situation nicht verstehen. Noch immer saß er dort in dem großen Stuhl leicht zusammen gesunken, völlig überfordert mit dem Moment. Die schlanken Finger griffen nach Joeys Kinn und Seto beugte sich tief zu ihm herunter. „Du bist ein elender Dummkopf. Du sollst nach Hause gehen und schlafen! Das nennt man heutzutage Feierabend!“ Ein Blinzeln war die Antwort und der Brünette konnte gut beobachten wie Stück für Stück die Bedeutung seiner Worte in all ihren Auslegungen im Bewusstsein des jungen Mannes erkannt wurden.

„Oh… so… so meinst du das!“ Platze er mit einem Mal verlegen heraus und rutschte ein Stück mit dem Stuhl nach hinten, sodass die schlanken Finger sich von seinem Kinn lösten. Dunkelrot wurden die gut gebräunten Wangen und schnell griff er nach der Tatstatur. Er schien in diesem Moment nicht im Stande noch einmal in die eisblauen Augen zu sehen, die ihn so musternd beobachteten. „Ich bin gleich weg. Ich muss nur noch schnell ein, zwei Sachen erledigen.“
 

Das Kopfschütteln bemerkte er nicht und den ungewohnt sanften Blick hatte der 19 Jährige ebenso verpasst. Seto zog sich in sein Büro zurück und wollte schon die Tür schließen, als er Yurikos Stimme hörte. „Habe ich das richtig gehört? Du hast Feierabend?“ Fragte sie leise lachend, Joeys Antwort konnte er nicht verstehen. Schweigend ließ er die Tür diesen winzigen Spalt offen und lauschte weiter. „Das ist ja mal was. Ich habe eben noch die Küche aufgeräumt. Soll ich noch auf dich warten?“ Die warme Stimme schien mit einem Mal so laut. „Das wäre klasse. Ich bin hier jetzt auch fertig.“ Die Bedeutung der nächsten Worte erwischte Seto wie ein Schwall kalten Wassers. „Ich sage ihm nur kurz Bescheid, dass ich Morgen später komme. Falls er es vergessen hat.“ Der Zug an der Tür sorgte dafür, dass Seto den Türgriff losließ und sich umdrehte.

Wie müde Joey auch immer sein mochte, es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde bis er die Situation durchschaut hatte. Die Honigbraunen Augen blickten ihn an, vielsagend und doch schwieg er. Als sich die schmalen Lippen bewegten, war er es, der ihm das Wort abschnitt. „Dann muss ich dir also nicht mehr sagen, dass ich Morgen später komme.“ Er hielt kurz an, holte tief Luft. „Mir fallen jetzt genau vier blöde, dreiste Kommentare ein, die ich dir jetzt gerne um die Ohren hauen würde. Aber ich bin müde und ich werde meinen Feierabend garantiert nicht riskieren. Also, ich wünsche dir noch einen wunderschönen Abend, bleib nicht mehr so lange und wir zwei sind jetzt weg!“ Das Grinsen war so breit, das es bis zu den Ohren zu reichen schien.

Yuriko kicherte leise, versuchte es jedoch zu verbergen. Der Blondschopf sah das anscheinend deutlich gelassener. „Mach dir keine Mühe, ich kann mir schon selbst denken, was du mir jetzt sagen willst.“ Damit drehte er sich amüsiert um. „Ich klopfe das nächste Mal, bringt dir trotzdem nichts, wenn du hinter der Tür stehst. Ach ja, das Chef Argument zählt auch nicht, ich bin Sekretär. Das ist wie ein Joker!“ Stichelte er und als er bei der älteren Dame angekommen war, blickte er noch einmal zufrieden über die Schulter. „Seto, denk an deinen letzten Termin. Hast nur noch drei Minuten!“ Sein Arm legte sich um Yurikos Hüfte und er zog sie mit sich. Diese konnte das Lachen nun wirklich nicht mehr verbergen, hatte die Hand auf den Mund gepresst. „Verschwinden wir, bevor er aus der Starrte erwacht!“ Raunte Joey noch kichernd.
 

„Da hast du es ihm aber gegeben! Der letzte Satz war mehr als klasse! Das ist doch sonst seiner, der große Seto, der einem zum Schluss immer die Arbeit noch einmal unter die Nase reibt!“ Die beiden waren bester Laune, als sie den Fahrstuhl verließen. Sie verabschiedeten sich noch von der Empfangsdame und machten sich noch den ganzen Weg bis zur U-Bahn über den Firmenführer lustig.

Dieser hatte die innerliche Starrte nur schwer überwinden können und brummte etwas Unverständliches. Kaum war man lieb zu diesem Köter, bekam der gleich Oberwasser. Aber was war er auch so dumm und ließ sich beim Lauschen erwischen? Das war ja genauso schlimm! Wer den Schaden hat, braucht eben nicht für den Spott sorgen. Mit diesem Gedanken erledigte er auch das letzte Telefonat und soweit zufrieden griff er nach seinem schwarzen Handy. Es war vielleicht eine seltsame Idee, aber warum nicht. Er rief seinen kleinen Bruder an, der etwas verwundert das Gespräch eröffnete. „Wie ist deine Arbeit gelaufen?“ Fragte nun Seto und Mokuba begann zögerlich zu erzählen. „Heute Abend bist du aber Zuhause oder?“ Folgte dann die Frage und so erfuhr er, dass der 17 Jährige schon lange im Wohnzimmer saß und sich über das Fernsehprogramm beschwerte. Kurz zögerte er noch, doch dann entschied er sich doch dafür. „Ich habe ziemlich Hunger. Was hältst du davon, wenn ich heute früher nach Hause komme und wir gemeinsam essen?“
 

Die Antwort kam so prompt und so direkt, dass er überrascht war. „Nur, wenn wir Sushi bestellen können!“ Das Schweigen danach schien Mokuba nun doch zu verunsichern. „Ist doch ok oder?“ Irritiert blickte er zu seinem großen Bruder, der im Sessel neben dem Sofa saß, die Beine gemütlich über die Armlehne hängend. Noah zog fragend die Augenbrauen in die Höhe. Telefonierte Mokuba da wirklich mit Seto?

„Ja... ja... klar. Ist zwar nicht mein Lieblingsessen aber ich wüsste nicht, was dagegen spricht.“ Meinte nun der 22 Jährige leicht verwundert. Ok, diese Telefonate waren immer noch sehr kompliziert und irgendwie wirkten sie befremdlich! „Ich bin in ca. einer halben Stunde da. Wartest du mit dem Bestellen?“ Anscheinend freute sich der schwarzhaarige Wuschelkopf wirklich darüber.

Als er das Telefonat beendete, fühlte sich Seto sonderbar. Er konnte nicht sagen, woran es lag. Er freute sich auf das Essen, wenn es ihm auch irgendwie… Angst machte? Ja, vielleicht war das wirklich das richtige Wort. Seit dem Essen mit Joey und seiner Schwester gab es keinen Streit zwischen ihnen. Jetzt aber erschien es dem Brünetten wie ein Tanz auf sehr dünnem Eis. Er wusste nicht genau, was er tun konnte, sollte, was das richtige war. Wie er es auch drehte, aber allein Mokuba konnte er die Schuld für die vergangenen Jahre nicht geben. Sein Verhalten war offensichtlich auch mit dafür verantwortlich und Noahs Bemerkung im Zug war nicht falsch.
 

Wie wenig er seinen Bruder mittlerweile kannte, musste er diesen Abend wieder einmal begreifen. Sushi bestellen hieß mehr als das, was man sich darunter vorstellen konnte. Zum Glück hatte Noah ihn vor dem Kompliziertesten bewahrt und der Lieferservice war ausgesucht und der erste Teil der Bestellung fertig. Es gab anscheinend eine Art Ritual, dem der junge Mann jedes Mal in huldvoller Genauigkeit folgte. Wirklich verstanden hatte Seto es nicht und so war er froh, dass er nur mit einem kleinen Teil davon konfrontiert wurde. Sie hatten es sich im Wohnzimmer gemütlich gemacht und dort wurde dann auch das Sushi verspeist, das den eigentlich großen Sofatisch begrub. Was hatten die beiden alles bestellt? Der Film ließ auch zu wünschen übrig, aber Mokuba war mittlerweile völlig auf die Filme von Pixar und Walt Disney fixiert, liebte aber auch die von Illumination Entertainment bearbeiteten Animationsfilme. Einer von ihnen war „Ich - einfach unverbesserlich“.
 

„Seto…“ Hörte er seinen Namen und müde schlug er die Augen auf. Mokuba lächelte ihn an. Warte! Wo war er? Was tat er hier? Wenigstens stellte er sich nicht die Frage, wer er war. Müde musste er erneut gähnen. „Du hast den besten Teil verpasst. Den ganzen zweiten Film!“ Neckte ihn der 17 Jährige und langsam kam Seto wieder zu sich. „Hab ich das? Hab ich denn das Ende vom ersten Teil gesehen?“ Der Schwarzhaarige kicherte und schüttelte den Kopf. „Nein, hast du nicht. Du bist eingeschlafen, als sie festgestellt haben, dass der Schrumpfstrahl nicht für alle Zeit schrumpft und der Mond, da er so unglaublich groß ist, sehr schnell wieder wachsen wird.“ Die eisblauen Augen blickten den jungen Mann nur müde an. „Na, kein Wunder, dass ich bei Schrumpfstrahlen nicht aufmerksam genug bin und einschlafe. Ich frage mich immer noch, wer sich das alles ausdenkt.“ Brummte er nur und dabei bemerkte er die Decke, die von seinen Schultern rutschte. Offensichtlich hatte Mokuba ihn, nachdem er eingeschlafen war, zugedeckt.

„Vielleicht sollten wir dann doch lieber andere Filme in die Auswahl aufnehmen, wenn er uns schon die Ehre zuteilwerden lässt und sich dazu gesellt.“ Scherzte Noah und streckte sich ausgiebig. Sein jüngerer Stiefbruder kicherte nur und nickte. „Ja, da hast du Recht. Ich gehe jetzt auf mein Zimmer und werde noch einmal mit Ai…“ Der Schwarzhaarige biss sich auf die Lippe und bemerkte gleich den fragenden und vor allem viel zu wachen Blick seines Bruders. „Was wolltest du sagen?“ Fragte Seto gleich, versuchte es lässig und nur halbherzig interessiert klingen zu lassen, beobachtete aber genau die Blicke, die zwischen Noah und Mokuba getauscht wurden.
 

Nach einer schieren Unendlichkeit entschied sich der 17 Jährige nun doch dafür und schluckte noch einmal kräftig. „Ich will noch einmal mit Aiko telefonieren. Meiner Freundin!“ In den eisblauen Augen blitzte es kurz auf, so hieß sie also! Aber er versuchte es herunter zu spielen, erhob sich langsam, denn erst jetzt bemerkte er, wie schwer sich seine Beine anfühlten. „Wie spät ist es denn?“ Fragte er so nur und der Jüngere behielt ihn im Auge. Er vertraute ihm in diesem Punkt doch nicht so ganz. „Fast 23 Uhr. Zeit zum Schlafen gehen, zumindest für alle, die Morgen früh raus wollen.“ Ging Noah gleich auf die Ablenkung ein und mit beiden Händen begann Seto seinen Nacken zu massieren. „Das ist spät.“ Brummte er und hielt mitten in seiner kleinen Massage inne, als er die beiden Männer sah, die mit verschränkten Armen einen tiefen Blick auf ihn warfen. „Habe ich etwas nicht mitbekommen?“

Schweigen. Langsam ließ er die Arme wieder sinken und zog die Augenbrauen zusammen. „Was denn?“ Fragte er nun, doch keiner schien sich regen zu wollen. „Wir warten.“ Kam dann von Noah kühl und herausfordernd, doch sonst schwiegen sie. „Worauf wartet ihr?“ Fragte nun der Brünette, der immer noch nicht wusste, was die beiden von ihm wollten. Dann war es Mokuba, der das Schweigen brach und seinen Bruder leicht anfuhr. „Wir sollen dir ernsthaft glauben, dass keinerlei Reaktion darauf kommt, dass du jetzt den Namen meiner Freundin kennst?“ Die dunkelblauen Augen des jungen Mannes funkelten, erzeugten mit den wirren, schwarzen Haaren einen wilden Eindruck.

Darum ging es dem Kleinen also! Für einen Moment verzogen sich die eben noch ungewohnt sanften Gesichtszüge zu einem wütenden Ausdruck und Seto spürte den genervten Zorn, der in ihm aufstieg. Halt! War das nicht genau das dünne Eis, über das er auf dem Weg hier her nachgedacht hatte? Tief atmete er ein und aus, schloss kurz die Augen und versuchte sich zu beruhigen. Er hatte wirklich keine Ahnung, wie er in dieser Situation reagieren sollte und hatte sie daher übergehen wollen, um schlimmeres zu verhindern. Seine Gedanken schweiften um das Gespräch mit Mokuba, welches sie nach dem Essen draußen vor dem Schaufenster geführt hatten. Vielleicht sollte er einfach ehrlich sein?
 

Dass er damit die beiden anderen extrem verunsicherte, wusste er nicht. Noah und Mokuba sahen sich kurz an, rechneten mit allem. „Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll, ohne dass wir uns gleich wieder anschreien!“ Diese Worte klangen unsicher, aber ehrlich. Sie klangen so ehrlich, dass die beiden Angesprochenen die Augen rund aufrissen und ihre Münder leicht offen standen. Hatten sie das wirklich gehört?

Noah war es, der sich zuerst wieder fing und ein Lächeln versuchte. „Ok, es ist schon recht spät und das Thema fällt glaube ich keinem leicht.“ Begann er und beobachtete das flüchtige Zucken der Mundwinkel Setos. „Ich weiß nicht, was Mokuba dir von ihr erzählt hat, ich kenne sie ja auch nicht persönlich. Aber Aiko ist nach dem, was ich über sie gehört habe, ein wirklich nettes Mädchen.“ Das tiefe Ein- und Ausatmen ließ Noah schon das Schlimmste befürchten, doch nichts dergleichen kam. „Ich hatte bisher auch keinen anderen Eindruck von ihr. Und bei dem Leuchten, das immer in seinen Augen funkelt, wenn er von ihr spricht, ist Mokuba bis über beide Ohren verliebt!“ Dass sein kleiner Bruder dabei knall rot wurde, war ihm von vorne herein klar. „Gut, ich bin müde und mache mich auf den Weg ins Bett.“ Mit dieser Aussage straffte er noch einmal seine Schultern und die beiden anderen begannen breit zu grinsen. „Ok, das klingt nach einem guten Plan. Wie gesagt, ich telefoniere noch einmal kurz mit Aiko und dann knipse ich auch das Licht aus.“ Bei dem strengen Blick seines großen Bruders lachte Mokuba leicht, immer noch etwas unsicher. „Wirklich nur kurz. Aber ich vermisse sie und will ihr gute Nacht sagen!“ Dieses wünschte nun auch Seto und verließ als erstes das Zimmer.

Die beiden anderen sahen sich erst schweigend an und dann wurde das breite Grinsen noch ein bisschen breiter. „Was auch immer Joey da macht, er muss es weiter machen! Frag ihn mal, was er für das Wochenende für Seto geplant hat. Samstag läuft der zweite Panem.“ Meinte Noah dann leicht aufgeregt. Er freute sich so ungemein für Mokuba, dass es offensichtlich zwischen den beiden Brüdern wieder besser lief.

Kühle Freundlichkeit

Kapitel 23

Kühle Freundlichkeit
 

An diesem Morgen wachte der brünette Firmenführer erstaunlich ausgeruht auf. Er fühlte sich auf diese seltsame Weise beschwingt, ja beinahe freudig. Als der Wecker klingelte, sah er auf diesen und sogleich wurde ihm die Andersartigkeit dieses Tages bewusst. Es schien beinahe wie ein kleines Versprechen, eine Aussicht auf etwas Außergewöhnliches, welches sich in den kommenden Stunden verbarg. Selbst das kühle Wasser, das in klaren Perlen über seinen schlanken Körper rann, ließ ihn freudig erregt zittern.

Die eisblauen Augen beobachteten wach, wie seine schlanken Finger die kleinen Knöpfe seines anthrazitfarbenen Hemdes schlossen. Der seidenleichte Stoff strich bei jeder Bewegung streichelnd über die helle Haut. Seine Gedanken überflogen den letzten Tag, an dem er so von Joey überrascht worden war. Kurz hielt er inne, als er an den Blick dieser honigbraunen Augen dachte, dieser unendlich glückliche, erleichterte Ausdruck, in dem sie voller Freude strahlten. Einen Zweifel hatte er mittlerweile nicht mehr daran, es war ein echtes Gefühl, obwohl sie ihn dabei so hintergangen hatten. Die eisblauen Augen verengten sich ein wenig, als er nun den letzten Knopf schloss und sich danach auf den Weg in die Küche begab.
 

Warum ging ihm dieser Blick nicht mehr aus dem Kopf? Er hatte am Abend zuvor auch noch einmal an diesen gedacht und als er nach dem seitlichen Geländer der großen Treppe im Eingangsbereich griff, kam ihm das „Entschuldigungstörchen“ wieder in den Sinn. Langsam nahm er Stufe für Stufe und konnte ein schweigendes Lächeln nicht verhindern. Ja, doch, so sehr er es auch leugnen wollte, aber Moccatorte war etwas, dass ihm vielleicht von Zeit zu Zeit gefallen konnte.

In der Küche war bis auf Magarete niemand. Sie hatte ihn schlicht gegrüßt, sich dann wieder an das Frühstück für die beiden anderen im Hause gemacht. Der schwarze Kaffee stand schon in einem dunklen Becher bereit und heute setzte sich der Firmenführer schweigend an den Tisch. Nur einen flüchtigen Blick hatte die alte Köchin zu ihm geworfen, dieses war ein äußerst unnatürliches Verhalten, doch sie sagte nichts. Kaum fünf Minuten später öffnete ein schwarzer Wuschelkopf die Tür und kam mit einem freudigen Lächeln in den Raum hinein. Erstaunt blieb der 17. Jährige stehen und blickte zu seinem Bruder, der ebenso verwundert schien. „Oh, guten Morgen.“ Meinte der Jüngere und hob die Mundwinkel wieder zu einem Lächeln, das kurzzeitig verschwunden war. „Was machst du den noch hier?“ Fragte er nun und die Antwort darauf, die mit einem Hochziehen der feinen, braunen Augenbaue begleitet wurde, war direkt. „Ich sollte lieber fragen, was du schon hier machst?“
 

Verlegen begrüßte er erst einmal die alte Köchin und setzte sich dann an den großen Esstisch seinem Bruder gegenüber. „Na ja, ich… ich wollte etwas früher heute los.“ Begann er und bemerkte den durchdringenden Blick Setos. Nach einem kurzen, aber sichtlich schweren Kampf entschied sich der junge Mann doch zu weiteren Ausführungen. „Ich will Aiko vorher noch abholen. Ich weiß, es ist ja kindisch, immerhin sehen wir uns gleich eh in der Schule. Aber dann wird wenigstens nicht über uns getuschelt.“ Meinte er noch immer verlegen. Jedoch kam nichts von den zu erwartenden Reaktionen, keine der Bemerkungen, die so typisch für seinen Bruder waren. Seto nahm nur schweigend einen Schluck seines Kaffees und schmunzelte leicht. Erst als er den verwunderten Ausdruck auf dem Gesicht Mokubas erkannte, meinte er gelassen. „Ich finde es einfach gut, dass du rechtzeitig in der Schule bist. Wenn du dafür früher aufstehst und vorher noch einmal einen großem Umweg machst, dann soll mir das Recht sein.“ Die dunkelblauen Augen wurden leicht rund, kurz stand dem jungen Mann der Mund einen kleinen Spalt offen. Schnell fasste er sich jedoch und mit einem Nicken begann sich wieder ein Grinsen auf seinen Lippen auszubreiten. „Dann ist es dir also egal, ob es kindisch ist?“ Fragte er noch einmal nach und bekam einen langen, stummen Blick von seinem großen Bruder, den er als Zustimmung deutete.

Mit neuem Mut wagte er nun noch eine andere Frage. „Was… was machst du denn am Wochenende? Ich… nun also,… Noah und ich… wir haben gehofft, dass du… also, vielleicht willst du ja den zweiten Teil der Tribute von Panem am Samstag Abend mit uns sehen?“ In die eisblauen Augen zu blicken, wagte er dann doch nicht. Zu groß war die Angst vor einem nein. Erstaunlicherweise ging es Mokuba nicht anders als seinem Bruder. Auch er hatte das Gefühl auf dünnem Eis zu stehen und er wollte es nicht durch eine unbedachte Äußerung oder eine dumme Bitte zerschlagen.

Kurz hielt der 22 Jährige inne und schien zu überlegen. „Ich werde dieses Wochenende nicht hier sein. Ich wollte zu Patrik und Viktoria nach Großbritannien.“ Begann er und dann hob der Schwarzhaarige den Kopf. Der Blick aus den dunkelblauen Augen schien so traurig, so enttäuscht und kurz schien ein kleiner Schmerz das sonst so unbewegte Herz des Brünetten zu durchstoßen.
 

Es war ein unbekanntes, aber sehr starkes Gefühl, dass sich in ihm ausbreitete. Nein, es war ihm nicht unbekannt, er hatte es nur sehr lange nicht mehr empfunden. So überflog er kurz seine Reisepläne, da er seinen eigenen Jet besaß, musste er sich nicht an bestimmte Flugzeiten halten. „Nun, du kannst es ja aufnehmen und wenn ich es am Sonntagabend noch rechtzeitig schaffe, sehen wir ihn uns dort gemeinsam an. Sonst finden wir sicher noch einen passenden Abend in der kommenden Woche. Ich liege wahrscheinlich richtig damit, dass den Samstag danach der dritte Teil im Fernsehen gezeigt wird oder?“

Seine Worte brachten die eben noch so traurigen Augen zum Leuchten. Mokuba begann wieder zu strahlen und nickte eifrig. „Klar, aufnehmen ist kein Ding. Allerdings können wir den dann auch am nächsten Samstag sehen. Der dritte Teil kommt erst am 20. November in die Kinos. Sie haben ihn in zwei Filme aufgeteilt. Erst im November 2015 kommt dann der letzte Teil raus.“ 20. November? Das Datum lag doch gar nicht so fern. Vielleicht sollte er das… warte, gab es dann jetzt noch Karten dafür? Das war immerhin in 14 Tagen, da wurden die Karten doch schon seit Wochen verkauft.

„Dann halten wir einfach einmal den nächsten Samstag fest und wenn wir vorher Zeit für den Film finden, dann wird dir sicher ein anderer guter Film einfallen, den wir am Samstag als Ersatz dafür sehen können.“ Mit diesen Worten stand er auf, der Becher war nun leer. Er stellte ihn noch einmal unter die Kaffeemaschine und füllte ihn auf. Der Jüngere war noch immer überrascht, doch er war glücklich über diese Antwort. Mit einem wortlosen Lächeln griff Seto nach dem dunklen Becher und schritt noch einmal kurz auf den Tisch zu. Er griff nach einem Apfel, der dort in einer Schale mit einigen anderen lag. „Dein breites Grinsen nehme ich mal als Ja an. Wir sehen uns dann heute Abend.“
 

Während er wieder hinauf in sein Zimmer ging, biss er in den Apfel hinein. Vielleicht sollte er heute doch nicht wie üblich zur Arbeit fahren. Es dauerte nur 20 Minuten bis der Brünette seine Sachen umgepackt hatte und aus den Tiefen seines Kleiderschrankes den alten Motorradhelm und die entsprechende Jacke gesucht hatte. Wie lange war das nun schon her? Der Kaffeebecher war leer und das Kerngehäuse des Apfels in diesen geworfen. Er hatte sich schnellen Schrittes auf den Weg in die Garage gemacht und stand nun vor der schwarzen Kawasaki Z750. Sie war eine von nur wenigen, nein, sie war die einzige ihrer Art. Sie gehörte zur limitierten Auflage, die auf seinen Wunsch hin eine zusätzliche Ausgestaltung bekam. Wie lange war es nun schon her, dass er sie hier abgestellt und kläglich mit Ignoranz gestraft hatte? Seine Hand legte sich auf den Sitz, eine leichte Staubschicht überzog die Maschine. Es wurde dringend wieder Zeit!

Der Motor schnurrte wie eine wilde Raubkatze, als er den Schlüssel drehte. Beinahe hatte er das Gefühl, als läge ein drohender, warnender Ton darin, sie nie wieder so lange hier stehen zu lassen. Der ganze Leib der Kawasaki vibrierte leicht und mit einem hungrigen Lächeln schloss Seto das Visier seines Helmes.
 

An diesem Morgen fuhr er nicht direkt zur Arbeit. Er spürte die Kraft der Maschine unter sich, er hörte das Schnurren des Motors und der Wind zerrte an der ledernen Jacke. Wie lange war es her, dass er diese Maschine gekauft hatte? Das Gefühl von Freiheit durchströmte ihn und er wollte diese Fahrt nie enden lassen. Die Landschaft brauste an ihm vorbei, er war nun weit außerhalb der Stadt und noch immer spürte er das innere Zittern, dieses Beben, das ihn so tief berührte.

Es dauerte lange, bis Seto die Maschine wieder zurück zur Stadt lenkte. Nun die Geschwindigkeit wieder zu drosseln fiel ihm schwer und nur bedächtig wurde er langsamer. Bevor er jedoch seine Maschine beschädigte, entschied er sich doch lieber für die Regeln der Straßenverkehrsordnung. Die Innenstadt kam näher, noch immer war es dunkel, doch die aufgehende Sonne war schon zu sehen. Sie warf die ersten warmen Strahlen auf die Spitze des Kaiba Towers und tauchte ihn in ein rotes Farbenspiel. Natürlich hatte auch dieser eine unterirdische Garage, die jedoch etwas abseits lag und einen eigenen Zugang besaß. Wann war er das letzte Mal hier gewesen? Er fuhr langsam in die von Lampen erhellte Zufahrt und musste überlegen, wo er eigentlich seinen eigenen Stellplatz hatte. Sonst fuhr Roland den großen Wagen immer hinein und… er bremste so stark, dass die Kawasaki mit einem heftigen Ruck zum Stehen kam. Langsam richtete er sich auf und klappte das Visier seines Helmes hoch. Ok, so arrogant hatte er ihn nicht in Erinnerung! Über dem sich nahe des Eingangs befindlichen Parkplatzes prangte ein gewaltiges dunkelblaues Schild auf dem in silbernen Buchstaben sein Name und seine Position eingraviert war. Gut, es waren wohl eher drei Plätze, die er hier belegte und vor allem waren sie mit einem roten Samtband abgesperrt. Was das wirklich seine eigene Idee?
 

Noch immer irritiert stieg er ab und schob die schwarze Kawasaki auf ihren neuen Platz und zog den Schlüssel. Doch auch ohne seinen Helm auf dem Kopf wirkte dieser Platz einfach nur protzig! Zumindest dieses lächerlichen roten Bänder mussten verschwinden!

Kopfschüttelnd machte er sich auf den Weg, der unterirdisch hinüber zum großen Turm führte und über zwei eigene Tore gesichert war. Von dort aus konnte er den Fahrstuhl direkt in die oberste Ebene nehmen. Dass er damit eine wichtige Information verpasste, konnte er nicht ahnen. Die Empfangsdame wartete schon seit einer Stunde angespannt auf sein Erscheinen um ihm die wichtige Nachricht mitzuteilen. Noch immer innerlich aufgeregt zog er die Handschuhe aus und stopfte sie in den Helm. Er hatte einen kleinen schwarzen Rucksack über der Schulter und öffnete den Reisverschluss seiner Jacke. Jetzt wurde ihm doch wirklich warm. Mit einem leisen Pling öffneten sich die Türen des Fahrstuhls und völlige Dunkelheit erwartete ihn. Wie angewurzelt blieb er stehen und sah in das finstere Büro. Es war leer? Erst das Schließen der Türen ließ ihn wieder zu sich kommen und mit einem Schritt hechtete er in das große Zimmer. Das Licht sprang an und Seto kniff die Augen zusammen. Wheeler wollte heute später kommen, aber was war mit seiner Sekretärin? Noch immer perplex löste er den Schal um seinen Hals und trat auf den ersten Schreibtisch zu, der noch benutzt wurde. Die anderen beiden waren nun leergeräumt. Er griff nach dem Telephon und rief unten am Empfang an.
 

Sie war in einen Autounfall verwickelt worden und nun im Krankenhaus. Wann sie wieder auf der Arbeit sein konnte, wusste sie nicht. Es war halb neun und das Büro so leer, wie er es noch nie erlebt hatte. Langsam durchquerte er den Raum und stellte fest, dass sogar sein Büro noch verschlossen war. Es war ein elektronisches Schloss, für das nur Mokuba, er selbst und auch Joey einen Zugang hatten. Jeder Raum war noch dunkel, erst mit seinem Eintreffen registrierten die Sensoren ihn und das Licht ging an. So musste er sich den Kaffee selbst kochen, doch selbst der dampfende Becher in seinen Händen konnte das Gefühl einer Leere nicht verbergen. Wie oft hatte der Brünette schon in diesem völlig leeren Büro gesessen und schweigend vor sich hin gearbeitet, die Stille regelrecht genossen? Doch heute tat sie beinahe weh. Er drehte die Temperatur der Heizung auf, ihm war schrecklich kalt. Wenn das die Überraschung des Tages war, konnte er auf sie verzichten! Verärgert über sich selbst und diese dummen Gefühle stürzte er sich in seine Arbeit.
 

Warum musste alles immer nur so schief gehen? Das Fäden Ziehen war ja ganz ok gewesen und alles andere passte auch. Doch dann kam meine Bahn nicht und ich durfte von der Haltestelle zur Arbeit sprinten. Ich wollte um spätestens 10 Uhr wieder zurück sein und nun war es schon viertel nach! Natürlich wusste ich von Yuriko. Ich hatte vorhin mit ihr telephoniert und ungeduldig drückte ich dutzende Male auf den Knopf des Fahrstuhls. Mit einem kleinen Zwischenstopp in der Cafeteria hechtete ich gerade noch in den Fahrstuhl zurück und oben hinein ins Büro. Oh… noch fünf Minuten! Meine Jacke flog über den Stuhl, der Teller stand auf meinen Notizen, die Post hatte ich mir zwischen die Zähne geklemmt und halb über dem Schreibtisch liegend drückte ich den Power Knopf des Rechners. Schnell! Schnell! Die Briefe nahm ich mit, während ich hinüber in unsere kleine Küche rannte. Noch immer die Post zwischen den Zähnen griff ich mit der einen Hand nach dem Schrank, um einem sauberen Becher herauszuholen, während ich mit der anderen das Kaffeepulver heran zog. Bei allem, was mir heilig war, warum musste es nur so spät sein? Dazu kam wahrscheinlich auch noch die Rache für gestern Abend!

Und wie lange konnte so eine Kaffeemaschine brauchen? Die Briefe waren sortiert, einen Teil für mich und fünf Briefe für Kaiba. Ah, heiß! Jetzt habe ich mich auch noch fast an der Maschine verbrannt, so ein Scheiß. Noch ein Blick auf die Uhr und da war sie auch schon, die so lange überfällige Nachricht. Das Pling, mit dem sie in meinem Handybildschirm erschien, wirkte wie ein drohender Donner. ~Wo bleibst du???~ Drei Fragezeichen? Bei allen Göttern, war er so wütend? Und ich wirkte wahrscheinlich völlig abgehetzt.
 

Oh nein, diesen Erfolg wollte ich ihm nicht gönnen. Noch einmal atmete ich tief durch, richtete mein Hemd und griff nach dem Tablett. Ein Lächeln! Nur kurz klopfte ich an und öffnete die Tür. „Guten Morgen! Hier bin ich auch schon!“ Gab ich hoffentlich mit einem unglaublich freundlichen Strahlen von mir. So balancierte ich das Tablett hinüber und hoffte, dass mein Lächeln keinen steifen Eindruck erweckte, denn sein Blick war ziemlich finster. „Wolltest du nicht früher hier sein?“ Fragte er mit kalter Stimme und doch hatte ich das Gefühl, das da noch etwas war. „Ich bin ja auch schon früher hier gewesen. Ich habe noch kurz mit Yuriko wichtige Details wegen ihrer Arbeit besprochen, die Post geholt, dein Essen mitgebracht. Nur weil du mich nicht siehst, heißt das ja nicht, dass ich auch nicht da bin.“ Wahrscheinlich hatte er mich draußen rennen gehört, aber das war mir egal. „Und natürlich konnte ich ja nicht ohne deinen geliebten Kaffee hier her kommen.“ Damit griff ich nach dem leeren Becher und als ich wieder zu ihm aufsah, war da ein Ausdruck in seinem Gesicht, den ich nicht beschreiben konnte. Er wirkte erleichtert, zufrieden, vielleicht sogar auf gewisse Weise glücklich! Es war eine seltsame Mischung, denn er schien sich alle Mühe geben zu wollen und mich weiter finster anzustarren. Doch da war es! Es war so kurz! Aber es war da! Bei allen Göttern! Wie kann man nur so herrlich lächeln? So sanft, dass es schon zerbrechlich wirkt! „Dann kümmere ich mich mal um die restliche Post.“ Ich schenkte ihm voller Überschwang noch eine Verbeugung und beeilte mich wieder aufzusehen. Und noch einmal! Treffer versenkt! Oh, in dieses Lächeln könnte ich mich verlieben!
 

Joey war schon fast zur Tür hinaus, als er den Motorradhelm unter der seltsamen Jacke sah. Mit zusammengezogenen Augenbrauen drehte er sich wieder um und fragte direkt. „Du hast ein Motorrad?“ Er sah zu dem Brünetten hinüber, der einen Schluck Kaffee genommen hatte. „Ja, ich habe eines und ja, ich kann es auch fahren und ja, ich habe selbiges heute getan.“ Dieser verwirrte Gesichtsausdruck schien ihn offensichtlich zu belustigen und so zog Joey nur die Nase kraus. „Da ist man einmal nicht da und es geschehen noch Zeichen und Wunder!“ Brummte er scherzhaft und verließ das Büro. Er hielt einen Moment inne und dachte über das nach, was da eben geschehen war. Sein Herzklopfen ließ nicht nach. Vielleicht war es dumm sich etwas darauf einzubilden, aber dieses Lächeln war etwas Besonderes und Kaiba hatte es ihm geschenkt. Zwei Mal!

Der Rest des Vormittags verlief wie alle anderen Tage auch, nur ohne seine Freundin. Noch immer wartete er auf gewisse Weise auf die Antwort von gestern Abend. Er hatte Kaiba immerhin ziemlich bloßgestellt und er konnte sich nicht vorstellen, dass es dafür keine Rache geben würde. Erst nach der Mittagspause, in der er Hayato alles ganz genau berichtet hatte, tauchte Yuriko wieder auf. Sie kochte erst einmal Tee und berichtete dann von dem, was ihr geschehen war. Zum Glück war sie nur mit Zerrungen und leichten Prellungen davongekommen.

Sie saßen in der kleinen Küche, als sie von einem Räuspern unterbrochen wurden. Seto stand mit diesem fragend finsteren Blick in der Tür und Joey wurde dunkelrot im Gesicht. „Was… was kann ich denn schönes für dich tun?“ Fragte er und rutschte schnell von seinem Stuhl herunter. „Arbeiten?“ Fragte sein Chef direkt und Joey rieb sich verlegen über den Nacken. „Gute Idee! Dann mache ich mich gleich auf den Weg dorthin!“
 

Dass er damit nicht durchkommen würde, war ihm sofort klar, aber probieren wollte er es trotzdem! Bestimmend griff Seto nach seinem Oberarm und hielt ihn im Vorbeilaufen fest. „Ich tue jetzt einmal so, als würdest du derjenige von euch beiden sein, der noch wegen des Unfalls unter Schock steht und gebe dir nur einen einfachen Auftrag. Ich werde heute Abend nach Dublin fliegen und du musst die Termine für Morgen umlegen. Bekommst du das hin?“ Verwundert blinzelte Joey ihn an und nickte dann zuerst schweigend. „Wann bist du denn dann wieder da?“ Kam von ihm die Frage und der Brünette ließ ihn los. „Wahrscheinlich am Sonntag Abend. Keine Sorge, ich werde rechtzeitig zu unserem Abflug zurück sein. Du kannst dich also um die Reise nicht drücken.“ Brummte er und sah die Mischung aus Besorgnis und Freude im Gesicht des Jüngeren. Nun war es Seto, der ihn stehen ließ und zurück in sein Büro schritt. Noch in der Tür drehte er sich mit diesem seltsam finsteren Blick um. „Und versau dir nicht gleich wieder das Bisschen Respekt, das du dir verdient hast! Also, ARBEITE!“

Diese Worte waren wie der Schlag einer Tür, die Joey unerwartet mitten ins Gesicht traf. Er hatte sich Respekt verdient? Erarbeitet? Seto Kaiba respektierte ihn? Warte? War das irgendein seltsamer Streich, weil er sich gestern so dreist verhalten hatte? Genau, immerhin wartete er ja schon den ganzen Tag auf den Konter. Kaiba hatte mit keinem Wort dazu reagiert und ihn auch in keiner Weise dafür bestraft. Dann… dann musste jetzt ja noch etwas kommen oder? Auch Yuriko war völlig verwirrt und trat langsam näher. Es war ihr zwar peinlich, dass sie beim „um die Arbeit drücken“ erwischt wurden, aber das war etwas, womit sie niemals gerechnet hatte. Selbst wenn sie sich das vorstellen konnte, dann sicher nicht nach dem Abend gestern. „Ja, das hast du wirklich gehört. Auch wenn ich selbst daran zweifle.“
 

Die beiden sahen sich an und dann schüttelte er zweifelnd den Kopf. „Ich denke nicht, dass ich mir dabei etwas Denken sollte. Wahrscheinlich ist es klüger sich auf eine böse Abreibung wegen gestern Abend vorzubereiten. Wer weiß, nachher darf ich alle Termine wieder zurück legen und er tut so, als hätte er mir nie etwas gesagt.“ Brummte er und machte sich auf den Weg in das große Büro. Vielleicht sollte er ihn einfach darauf ansprechen? Nachdenklich starrte er die große Tür an und dann zuckte er mit den Schultern. Einfacher Auftrag: Termine umlegen. Also setzte sich der Blonde und telephonierte die nun offene Liste ab. Es war nicht unbedingt einfach die aufgebrachten Sekretäre und Interessenten, Verhandlungspartner und mit wem da sonst noch Termine waren, zu beruhigen und ihnen möglichst glaubhaft zu vermitteln, dass Seto nicht aus einer reinen Laune heraus kurzfristig das Treffen verlegte.

So zog sich der Nachmittag in die Länge und kurz vor dem Ende von Yurikos Schicht rief sie der brünette Firmenführer zu sich ins Büro. Er erklärte ihnen, welche Aufgaben am nächsten Tag erledigt werden mussten und dass sie Morgen nicht länger als 17 Uhr bleiben sollten. Noch immer wirkte er kühl und abweisend, nicht so, als wollte er sich großartig mit ihnen abgeben. Als sie die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte, sah ihn die Sekretärin an. „Kommst du gleich mit oder hast du noch viel zu tun?“ Fragte sie und sah das Kopfschütteln. „Ich habe noch einiges vor. Ich habe nur die Hälfte von denen erreicht, die ich erreichen muss.“ Brummte Joey und so verabschiedete er sich von ihr. Sie hinterließ ihm noch einen heißen Becher Tee auf seinem Schreibtisch, als sie ging.
 

Es war schon fast 20 Uhr, als er endlich seinen Computer herunter fuhr und eine Schublade öffnete. Er zog ein Buch heraus und überlegte, ob er es ihm wirklich geben sollte. Schlimmer konnte es ja kaum werden! So griff er nach dem schwarzen Einband und erhob sich mit einem Ruck. Er ging auf die Tür zu, klopfte und wartete, bis er hinein gerufen wurde. Anscheinend war der Brünette noch tief in seine Arbeit versunken und fragend sah er nun zu dem Blonden auf. „Was möchtest du?“ Seine Stimme klang kühl, aber auch erschöpft. „Ich wollte dich fragen, ob noch irgendetwas für deine Reise nach Dublin oder für unsere nach Dubai erledigt werden muss.“ Joey spürte eine gewisse Sorge, das war Kaibas letzte Chance ihm noch eins reinzuwürgen. Doch noch immer wirkte es nicht so. Der 22 Jährige lehnte sich nach hinten, überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. „Wenn du alle informiert hast, dass Morgen keine Termine wahrgenommen werden, dann liegt nichts mehr an.“ Doch Joey schüttelte vorsichtig den Kopf. „Nein, nicht alle. Zwei habe ich nicht erreicht und per E-Mail und Fax informiert.“ Erklärte er und wartete auf die garstige Reaktion, dass er sich nur nicht genügend Mühe gegeben hätte. „Alles Wichtige zu den Terminen steht in deinem Kalender. Ich habe auch die neuen Daten dort eingetragen.“ Versuchte er so vorzugreifen und musterte das blasse Gesicht. „Das ist gut.“ War die schlichte Antwort und der Brünette wollte sich wieder auf seine Arbeit konzentrieren.

„Ich… ich hätte da noch etwas…“ Nahm er den Faden wieder auf und trat ein Stück näher an den Schreibtisch heran. Er hielt Kaiba ein schwarzes Buch entgegen, der dieses sehr skeptisch musterte. „Für den Flug. Damit du etwas zu lesen hast. Eigentlich wollte ich es dir erst Morgen geben, aber wenn du nicht da bist, geht das ja schlecht.“ Versuchte er ein wenig zu scherzen, doch die Mundwinkel des Brünetten hoben sich nicht ansatzweise. Dennoch griff er nach dem Buch und blickte auf den Titel. "Das erste Buch des Blutes?" Fragte er mit einer unglaublichen Skepsis in der Stimme. "Na ja, da ich nicht weiß, was für Bücher du gerne liest, habe ich mich an Dracula orientiert und bin darauf gestoßen. Es sind kurze Geschichten, die einen recht makabren Charakter haben und ich dachte mir dass dir das gefallen könnte." Erklärte er seine Entscheidung und Kaiba lehnte sich in seinem Sessel zurück, das Buch noch immer in der rechten Hand, lehnte dieses nun auf die Kannte des Schreibtisches. "Ich... ich wollte dich da noch etwas fragen." Begann der junge Mann und rieb sich wieder auffällig mit der flachen Hand über den Nacken.
 

Noch immer war da dieser kühle Blick in den Augen des Brünetten, doch es war nicht dieser sonst so abwertend kalte Ausdruck. „Es ist spät und ich will heute noch in Dublin ankommen. Sag einfach, was du noch von mir willst.“ Seine Stimme hatte einen ruhigen Ton und so fasste Joey den Mut zusammen, den er noch finden konnte. „Es geht um gestern Abend. Ich meine, ich war wirklich nicht nett zu dir und bisher hast du dich dafür immer an mir gerecht.“ Mehr bekam er nicht zusammen und sein Schlucken schien die Stille im Raum zu durchbrechen. „Ja?“ Verwirrt starrte der Blonde Seto an, als dieser nur ein Wort als Frage äußerte und so fühlte sich dieser dazu gezwungen, dieses noch einmal deutlicher auszudrücken. „Was genau willst du jetzt von mir?“

Verlegen und mit roten Ohren senkte er leicht den Blick. „Na ja, ich… ich wollte nur wissen, ob du deswegen sauer bist?“ Fragte er nun und kam seinem ursprünglichem Gedanken näher. Es war noch immer nicht ganz das, was ihm auf dem Herzen lag. Die kühlen Augen sahen ihn einen Moment durchdringend an und dann legte sich unerwartet ein leichtes Schmunzeln auf die schmalen Lippen. „Du willst wissen, ob du noch einmal Ärger dafür bekommst.“ Stellte er fest und die sonnengebräunten Wangen wurden nun auch rot. „So kannst du das natürlich auch ausdrücken.“ Meinte er verlegen und grinste breit. Joey wollte nicht so nervös wirken, wie er sich fühlte, aber das schaffte er kaum. Wieder trat diese Stille ein, nur blieb dieses kühle, zurückhaltende Lächeln. „Meinst du denn, dass du es verdient hättest?“ Fragte der Brünette und verwundert starrte ihn Joey an. Er widerstand dem ersten Drang einfach nein zu sagen, doch das blieb die Antwort, die er für richtig erachtete. „Du hast dich schließlich beim Lauschen erwischen lassen, warum sollte ich also eine Strafe verdienen?“ Gab er nun deutlich bewusster zurück und sah einen bewunderten Zug im Blick seines Gegenübers flackern. „Dann werde ich wohl das nächste Mal vorsichtiger sein müssen.“ Das Joey diese Aussage noch mehr verwirren würde, war ihm klar. Die blonden Augenbrauen zogen sich zusammen und der 19 Jährige musterte ihn fragend. „Dann darf ich das also als ein „Nein“ werten?“ Seiner Stimme fehlte die Verlegenheit und sie zeugte von der charakterlichen Stärkte, die Seto schon das eine oder andere Mal hatte sehen können.

Dieses Nicken kam überraschend, bei der kühlen Distanz hätte Joey eher noch eine ausweichende Gegenfrage erwartet, doch da war es. Kurz, deutlich, nur das leichte Lächeln war verschwunden. „Jetzt geh endlich und mach, dass du nach Hause kommst. Es ist schon wieder viel zu spät.“
 

Es war ein seltsames Gefühl, mit dem der junge Mann das Büro verließ. Etwas schien hier geschehen zu sein, mit dem er nicht gerechnet hatte. Es war absolut keine zu erwartende Reaktion und so wirklich viel schlauer fühlte er sich auch nicht. Musste er jetzt noch mit einer Rache rechnen oder nicht? Mit einem Stirnrunzeln sah er zu dem Turm hinauf, dort, wo ganz oben noch das Licht schien.

In der U-Bahn zog er das schwarze Handy hervor und drehte es in den Händen. Sollte er ihn anschreiben? »Ich wünsche dir einen schönen Flug. Gruß J.« Tippte er ein und ließ seinen Daumen über den Pfeil kreisen, der die Nachricht abschicken würde. Ja, doch, er wollte es! Nur einen Moment später hörte er das leise Ploppen, mit dem das Absenden und Erhalten der Nachricht signalisiert wurde. Ob sie jedoch gelesen wurde oder ob Seto online war, konnte er nicht sehen. Bei seiner Schwester ging es, der er nun schrieb, dass er auf dem Nachhauseweg war. So, wie er den Kerl kannte, waren das wieder seine besonderen Einstellungen. Oh, wo er gerade daran dachte, er hatte doch gestern Abend noch ein Photo mit seiner Schwester gemacht, ob er das nutzen konnte? So versuchte er sich an die Einstellungen zu erinnern und schaffte es schließlich auf der folgenden Busfahrt dieses Bild als Sperrbildschirm einzurichten. So sah er immer zuerst Serenity und sich, bevor das dunkle Blau mit den Initialen der Firma kam.
 

»Ich habe ja etwas zu lesen für den Flug.« Kam unerwartet zurück, als Joey nach dem Schlüssel in seiner Jackentasche suchte. »Dann muss ich mich wohl wieder auf die Suche nach einem neuen Buch machen!« Antwortete er schmunzelnd und wurde schon von seiner Schwester begrüßt.

Sie hatte mit dem Essenkochen schon begonnen und als Joey sich umgezogen hatte, war sie fertig. Noch lange unterhielten sie sich, sprachen über den Tag und die Geschehnisse. Der junge Mann berichtete von Setos plötzlichen Urlaubsplänen und seinen angenehmen Arbeitszeiten am nächsten Tag. Sie berichtete von den anstehenden Prüfungen und von den Ohrringen, die ihr Miko leihen wollte. Noch immer war Joey sehr skeptisch, aber die kleinen, silbernen Ohrstecker sahen hübsch bei ihr aus und ließen sie noch etwas erwachsener wirken. Vielleicht zu erwachsen, er musste sich damit abfinden, dass sich auch seine Schwester für Männer interessierte und vielleicht… er musste an Mokuba denken und hoffte, dass er nie so wie Seto würde! „Wie lange musst du die Stecker denn noch behalten?“ Fragte er, um auf andere Gedanken zu kommen und sie erklärte es ihm noch einmal.
 

Er hatte Yuriko an der Haltestelle getroffen und so gingen sie gemeinsam hinüber zum großen Tower. Es war ein angenehmer Tag, heute waren die Zeiten so schön klar definiert und da eh keiner dort war, verschoben sie die Dekoration und das Regal, damit sie sich gegenseitig sehen konnten. Die Arbeit machte, von den ungnädigen Anrufern einmal abgesehen, sehr viel Spaß und die Mittagspause wurde ausgedehnt genossen. Natürlich war Hayato wieder bei ihnen und nachdem sie ausführlich recherchiert hatten, stellten sie fest, dass Dublin 8 Stunden zurück lag. Hier war es 14 Uhr, drüben gerade einmal 6 Uhr früh. So wartete Joey noch bis 16 Uhr und tippte neugierig in sein Handy. »Bist du gut angekommen? Gruß J.«
 

Nachdenklich blickte Seto auf diese Nachricht und ärgerte sich ein wenig, dass der Blonde unter die meisten Nachrichten „Gruß J.“ schrieb. Nun kamen sie ihm lästig vor und er fragte sich, ob es eine gute Idee war, dem jungen Mann dieses Telefon zu geben. Seine Gedanken wurden abgelenkt, er lag noch immer im Bett, Viktoria war schon aufgestanden. Doch nun stand die rothaarige Irin in der Tür, sie trug nur ein Handtuch um die Hüften und die feuchten Haare lagen über ihren runden Brüsten. Was für ein göttlicher Anblick! Ihre Haut war beinahe schneeweiß und völlig makellos. Elegant bewegte sie sich zum Bett und ihre tiefgrünen Augen funkelten erregt. „Du bist wach, das ist gut!“ Und wie gut das war, dachte der Brünette noch, bevor er sich blitzartig aufsetzte und nach ihrem Handgelenk griff. Auf seinem Rücken waren rote Striemen zu sehen, Fingernägel hatten darüber gekratzt. Dafür war ihre sonst so makellose Haut am ihrem schlanken Hals dunkel gefärbt, dort wo seine kräftigen, schlanken Finger gestern gnadenlos zugedrückt hatten. Viktoria ließ sich von ihm auf das Bett ziehen, ihr Handtuch war zu Boden gefallen und sie nutze den Schwung, um ihn seinerseits herunterzudrücken.
 

Um 18 Uhr meldete sich Mokuba bei dem jungen Mann und fragte, ob sich nicht er und seine Schwester Morgen mit ihnen in der Stadt treffen und sie für die Reise am Montag ein paar wichtige Einkäufe erledigen wollten. Immerhin war das eine Geschäftsreise und da musste dann eben auch die Firmenkreditkarte herhalten. Serinity gefiel die Idee, immerhin war Joeys Kleiderschrank nicht auf eine solche Auslandsreise vorbereitet. Es freute sie vor allem, dass auch Aiko dabei sein würde und so konnten die beiden endlich die junge Frau kennenlernen. Joey würde vor Seto Kaiba erfahren, wer die Freundin von Mokuba war! Welch ein Triumph!

Ja, ich mag dich... manchmal

Kapitel 24

Ja, ich mag dich... manchmal
 

So weit weg… sie alle waren so unendlich weit weg. In einem anderen Land, in einer anderen Zeit… doch heute konnte er nicht aufhören an sie zu denken. Er fragte sich, ob Mokuba wieder bei seiner Freundin war und noch immer kreisten seine Gedanken um die Nachricht von Joey. Am Morgen hatte er sich noch darüber geärgert, doch nun, nun wollte er verstehen, warum der junge Mann sie geschrieben hatte. Der Tag war aufregend gewesen, wieder einmal die Zeit mit Viki zu verbringen hatte seinen Kopf geklärt und eine gewisse Sehnsucht gestillt. Dennoch konnte er nicht sagen, dass ersteres immer noch der Fall war. Seine Gedanken drehten sich um diese einfachen Worte und innerlich begann er sich darüber zu ärgern. Warum schenkte er diesem Kerl eigentlich so viel Beachtung? Was hatte diese einfache Frage an sich, dass er sie nicht vergessen konnte. »Ja.« Schrieb er zurück und ließ das Telefon auf die Lehne des Sessels fallen. AH!!!

»Ich bin gut angekommen.« Warum hatte er das jetzt doch noch hinzufügen müssen? Es war überhaupt das erste Mal, dass sich irgendjemand dafür interessierte, ob er an seinem Ziel angekommen war oder mit dem Flieger irgendwo im Meer versunken. Nicht einmal seine eigene Verlobte schrieb ihm das! Allerhöchstens wollte sie wissen, wann er endlich bei ihr war und wollte ihn möglichst lange bei sich behalten. Aber ob er dann wieder gut Zuhause ankam, wurde von ihr noch nie in all der Zeit gefragt, in der sie sich kannten. Mokuba galt als Ausnahme bei diesem Thema, obwohl er das auch schon länger nicht mehr machte.
 

Müde wollte er gerade wieder unter die Decke krabbeln, als er das Licht auf seinem Handy blinken sah. Woher kam das denn? Ok, erst unter die Decke krabbeln und dann nachsehen, seine nackten Füße wurden kalt. Es war halb fünf und das Licht des Bildschirms blendete. War das Kaiba? Ja, das war er. Mit einem Gähnen kniff er die Augen zusammen und blinzelte dann noch einmal auf den Text. »Das freut mich! Wir haben dich auch kein Bisschen im Büro vermisst. Es war so warm und ruhig und gemütlich!« Schrieb er grinsend zurück. Er hatte das Gerät wieder zurück gelegt und die Augen geschlossen, als er eine Antwort bekam. Es war ein leises Brummen, welches ihm diese Mitteilung überbrachte und so griff er wieder nach dem Telefon. Brummte es immer, wenn er eine Nachricht erhielt? Darauf würde er Morgen einmal achten. »Bevor ich darauf antworte, habe ich noch eine Frage: Bist du betrunken?« Mit einem breiten Grinsen tippte der junge Mann die nächsten Worte ein. »SCHLAFtrunken vielleicht. Es ist mitten in der Nacht!«

»Und warum schläfst du dann nicht?« Die Antwort kam so schnell, dass Joey das Gefühl hatte, der Brünette würde nur darauf warten. Die nächsten Worte schickte er nicht gleich ab. Wollte er das wirklich schreiben? Müde gähnte er und entschied sich dafür. »Weil ich nur auf deine Antwort gewartet habe!« Oh, wie gerne würde er jetzt das Gesicht des anderen sehen, der wahrscheinlich ziemlich dumm drein schaute. Nach zwei Minuten unerträglichen Wartens kam immer noch nichts und so schrieb Joey aus seinem Bett und schickte eine Nachricht auf die andere Seite der Welt. » Bei diesem Schweigen muss dein Gesicht Gold wert gewesen sein.« Wieder dauerte es einen Moment, dann erschien oben unter dem Namen die Information, das Seto nun doch einen Text eingab.

»Ich bereue es, dir dieses Telefon gegeben zu haben!« Joey zog die Stirn in Falten und schickte einen Smiley, der in etwa dieses ausdrückte. »ist das alles?« Fragte er nach und als immer noch keine Reaktion kam, setzte er dazu. »Komm, sonst bist du deutlich schlagkräftiger. Ich bin derjenige, der hier im Halbschlaf antwortet.« Noch immer schwieg der Brünette beharrlich und so entschied sich Joey dazu, das Telefon wieder auf den kleinen Nachttisch zu legen.
 

Doch kaum ruhte es dort und der Blonde hatte sich unter seiner Decke verkrochen, als das Summen ihn wieder einen Blick über die Schulter werfen ließ. So neugierig, wie er war, musste er nachsehen. »Du bettelst heute wirklich um Schläge. Aber wenn du so gerne von mir gequält werden willst, dann sag das doch gleich! Den Wunsch kann ich dir gerne am Montag ausführlich erfüllen!«

Ja, das entsprach schon eher der Reaktion, die er erwartet hatte. Also schickte er zuerst einen breit grinsenden Smiley. »Ist es wirklich so schlimm, dass ich mir Gedanken gemacht habe, ob du gut angekommen bist? Nach der Geschichte mit dem Entschuldigungstörtchen habe ich immerhin festgestellt, dass du auch nette Seiten hast. Ich könnte beinahe auf die Idee kommen dich zu mögen. Du warst hilfsbereit, nett, freundlich und dein Lachen klang endlich mal ehrlich. Wirklich, ich dachte, du wärest ein richtiger Mensch!«
 

Völlig verwirrt starrte der Brünette auf den langen Text, den er da soeben zugeschickt bekommen hatte. Von dem letzten Satz abgesehen… klang das aufrichtig! Das klang so, als hätte sich Joey wirklich Gedanken gemacht! Aber warum sollte er das? Er blinzelte und bevor er noch antworten konnte, hörte er Vikis Stimme. „Was sagst du dazu?“ Fragte sie ihn und er sah zu ihr auf. Sie saßen in ihrem großen Wohnzimmer, Paddy blickte ihn verwundert an und dann zuckte Seto mit den Schultern. „Ich habe euch nicht zugehört. War das Gespräch auch für mich gedacht?“ Skepsis lag in ihrem Blick und sie nickte. „Du hast es angefangen.“ Meinte sie trocken und starrte nun mit kaltem Blick auf das Telephon. So abgelenkt war er sonst nie. War etwas geschehen, das sie vergessen hatte? Irritiert musterte sie das Gerät und Paddy fragte. „Mit wem schreibst du denn da die ganze Zeit?“ Auch er schien davon irritiert, sonst hatte der Brünette sein Handy nie zur Hand, wenn sie hier gemütlich saßen. „Nur mit einem Freund, denn ich am Montag in Dubai treffe. Er schlug mir eine wundervolle Abendgestaltung vor.“ Als er ihre fragenden Blicke sah, meinte er provozierend. „Viel Alkohol, viele hübsche Damen und viel Sex.“

Was auch immer er vielleicht heimlich erwartet hatte, aber Viktoria reagierte nicht so. Sie grinste nur und meinte dann mit einem rauchenden Unterton. „Da wäre ich aber auch abgelenkt. Wenn es auch attraktive Männer gibt, komme ich mit!“ Er schüttelte den Kopf, innerlich verwirrt. Was hatte er denn erwartet? Sie beide wechselten die Partner im Bett schneller, als die Presse sie zählen konnte. „Nein, nur er und ich!“ Seine Gedanken schweiften zurück zu dem jungen Mann, der jetzt in Domino im Bett lag und vielleicht auf seine Antwort wartete. »Geh schlafen! Noch ein solcher Satz und ich degradiere dich von meinem Sekretär zu meinem privaten Sklaven!« Das auf diese Aussage noch etwas kam, hätte er nicht erwartet. Doch nur kurz darauf erschien ein breit grinsender Smiley und darunter die Worte. »Ich wünsche dir noch eine gute Nacht!«
 

Serenity wurde von einem Schrei und einem dumpfen Aufschlag in Joeys Zimmer gerufen. Sie stand in der Tür und blickte ihren Bruder an, der aus dem Bett gefallen war und die Decke zum Teil mitgerissen hatte. Er lag auf dem Rücken, ein Bein noch auf der Matratze und das Handy in der Luft haltend. Er hatte vor einer Stunde eine Nachricht bekommen, die er nicht glauben konnte. „Ist alles ok bei dir?“ Fragte seine Schwester und er schüttelte den Kopf. „Nur, wenn du mir bestätigst, dass ich mich nicht verlesen habe.“ Meinte er dann und hielt ihr das Handy entgegen. Verwirrt griff die 17 Jährige danach und begann zu lesen, was dort im Verlauf stand. Joey rappelte sich wieder auf und versuchte dabei seine Schwester im Blick zu behalten. Er wollte ihre Reaktion nicht verpassen. Sie zog jedoch die Augenbrauen zusammen und legte die Stirn in Falten. „Was bitte ging dir durch den Kopf, als du diesen Kerl auch noch provoziert hast?“ Fragte sie entgeistert und gab ihm das Handy zurück. „Ich an deiner Stelle wäre sehr, sehr vorsichtig.“ Mahnte sie ihren großen Bruder, der nun wieder auf den Bildschirm sah. „Ja, das sollte ich vielleicht, aber mal ehrlich, mit so einer Antwort habe ich nicht gerechnet.“

Selbst beim Frühstück strahlte er noch wie ein Honigkuchenpferd. Immer wieder musste er an diesem Morgen nachsehen, ob er wirklich nicht träumte. Doch, da stand es. Ohne Zweifel konnte er die Worte lesen. Es gab keinen doppelten Boden, keinen Trick, keine Zweideutigkeit. Da stand wirklich. »Halt die Klappe und schlaf gut!« Schlaf gut! Bei allen Göttern, wie kam der denn bitte dazu, ihm eine gute Nacht zu wünschen? Doch nun versuchte er dem Drang zu widerstehen und keine weiteren dummen Nachrichten zu verschicken. Immerhin wollte er sein Glück nicht provozieren und noch wusste er nicht, was der Brünette von dem nächtlichen Gespräch hielt. Vielleicht würde er sich am Montag noch einmal dafür rächen und dann war es gut, wenn er so wenig Dummes wie möglich anstellte.
 

Sie waren mit Mokuba und seiner Freundin um 11 Uhr in der Stadt verabredet und aufgeregt saß Serenity neben ihrem Bruder ihm Bus. Sie fuhr nicht so oft in die Stadt, was sollte sie dort schon? Ihr Geld reichte nur für das Notwendigste und die seltenen Besuche mit ihren Freundinnen in der Stadt gaben immer nur ein Eis her. Mit neugierigen Blicken musterte sie die Menschen, die mit ihnen ausstiegen und hinunter zur U-Bahn gingen. Alles war so ungewohnt und Joey konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er war jeden Tag in den letzten zwei Wochen hier unterwegs gewesen und so erschien es ihm schon wie eine eingefleischte Gewohnheit. Er dirigierte seine kleine Schwester sanft zur richtigen Stelle hinüber.

Alles an diesem Tag schien ihm perfekt und innerlich fragte sich der Blonde, wann und ob er heute überhaupt noch einmal mit Seto schreiben würde. Sie fuhren dieses Mal zwei Stationen weiter, sonst stieg er etwas früher aus. Nachdenklich und auch fasziniert von Serenitys Aufregung drehten sich seine Gedanken um das „gestrige“ Gespräch mit dem Brünetten. Musste er sich da nun Sorgen machen, dass er doch noch Ärger bekam? Aber Kaiba würde ihm doch keine gute Nacht wünschen, wenn er sich noch an ihm rächen wollte? Oder war das extra sein Plan, wollte der Kerl ihn in dem Glauben lassen, dass alles in Ordnung wäre und ihn dann heimlich in eine weitere Falle locken?
 

Er war so in seine Gedanken versunken, dass ihn erst seine kleine Schwester auf die beiden aufmerksam machte. Sie standen dort vor Mokubas Lieblingscafé und der Schwarzhaarige hatte winkend die Arme in die Luft gerissen. Da stand sie neben ihm, eine Mädchen, dessen Lächeln so zurückhaltend und Herzerwärmend war, dass er es kaum in Worte fassen konnte. Sie hatte ihre schwarzen Haare ordentlich zusammen genommen und hinten zu einer Art Dutt gedreht. Dennoch bauschten sie sich locker um ihre Gesicht herum und umrahmten es lieblich. Ihre Wangen leuchteten etwas Rot, die weichen Lippen trugen dieses wundervolle Lächeln. Sie hatte die Hände übereinander gelegt, die in weißen Handschuhen steckten. Sie trug einen dunkelblauen Mantel, der bis über die Knie reichte und darunter kam eine weiße Wollstumpfhose zum Vorschein. Sie verschwand in den Halbstiefeln mit eleganter Schnürung. Aiko wirkte einfach nur perfekt. Sie schien alle Vorstellungen und Anforderungen einer perfekten japanischen Frau zu vereinen und als sie sich gegenüberstanden verbeugte sich Joey tief vor ihr.

Mokuba musste schmunzeln, als er dieses ungewohnte Bild bemerkte. Er wurde von seinem guten Freund einfach in den Arm genommen und mit Freunden stellte er nun Aiko den anderen beiden vor. Das auch die junge Frau aufgeregt war, endlich einmal Freunde des jungen Kaibas kennenzulernen, versteckte sie wunderbar. Sie folgten gerne Mokubas Einladung und plauderten bei einer heißen Schokolade im Peaches, lernten sich näher kennen und stellten dann einen Plan für den Einkaufsbummel auf. Die Damen entschieden sich zu einem ausschweifenden Spaziergang durch die Abteilungen der Abendgarderobe und der Schuhregale, während Mokuba und Joey ganz in Ruhe nach passenden Hemden und Hosen suchen konnten.
 

Aiko und Serenity verstanden sich auf Anhieb sehr gut. Es erschien ihnen beinahe so, als wären sie schon immer gute Freundinnen gewesen und nur die Zeit hatte sie so lange voneinander getrennt. Mit ungenierter Freude machten sie sich auf den Weg in die Abteilungen der Damen, Joey musste noch verarbeiten, dass sie in einem Kaufhaus waren, das weit ab jeder seiner Preisvorstellungen lag. Mokuba musste ihn freundschaftlich dirigieren und führte ihn so zu den Herren.

Die zwei jungen Damen verstanden sich so gut, dass Aiko einen Entschluss fasste. Sie zog eine kleine Karte aus ihrem Portmonee und meinte mit einem verschwörerischen Lächeln. „Mein Vater wirft mir seit zwei Jahren vor, dass ich nicht einmal davon Gebrauch gemacht habe. Heute bringen wir zwei sie zum Glühen!“ Serenity war erstaunt. Sie wollte nicht, doch Aiko war gut darin, ihr all die schönen Vorzüge dazulegen und so probierten sie bald ein Kleid nach dem anderen an. Doch nicht nur die sonst so taffe Halbamerikanerin kam auf ihre Kosten. Aiko lernte ganz neue Seiten an einem gemeinsamen Einkauf mit einer guten Freundin kennen, als diese sie eiskalt in die Dessous Abteilung zog und sie hemmungslos die Spitzenbesetzten Büstenhalter heraussuchte, die Aikos verruchte Seite betonen, aber sie nicht zu lasterhaft wirken lassen würden. „Als ich noch bei meiner Mutter in Amerika gewohnt habe, haben wir ständig Ärger von den Verkäuferinnen bekommen, weil wir am liebsten zu fünft in der Kabine gewesen wären. Es war so herrlich! Aber wie kann man auch etwas ohne die Zustimmung seiner besten Freundinnen kaufen?“ Erklärte sie der verlegenen Gleichaltrigen und zupfte den Träger ihres Büstenhalters zu Recht. Dann drehte sie die hübsche Japanerin herum und deutete auf den Spiegel. „Wenn du damit Mokuba nicht um den Verstand bringst, steht er eindeutig auf Männer!“ Es war diese direkte Art, die keine Scheu und keine Halten kannte, die Aiko auf Anhieb gefallen hatte. Dass Serenity die Schwester von Joey war, konnten sie nicht verleugnen. Dennoch wusste die 17 Jährige intuitiv, wo höfliche Freundlichkeit angebracht war und wann sie sich in Zurückhaltung üben musste.
 

Mit duzenden Taschen beladen kamen die beiden zurück und Mokuba und Joey blickten nur verwundert auf das neue Gespann. „Mein Vater wollte immer, dass ich das Limit einmal ausschöpfe, weil mein Kleiderschrank viel zu grau aufgestellt ist. Jetzt ist er das nicht mehr.“ Sie zwinkerte und die braunhaarige Schülerin neben ihr kicherte. „Oh ja, da ist jetzt wirklich Farbe drin.“ Bestätigte sie und bei einem kurzen Austausch über die Einkäufe der männlichen Seite, die in zwei große Taschen passten, stellte Aiko klar, dass Joey auf jeden Fall noch einen passenden Koffer und eine vernünftige Tasche brauchte. Auch dieses wurde unter den wachsamen Augen der Damen ausgesucht und dann mit knurrendem Magen mit allen anderen Einkäufen in der schwarzen Limousine verstaut. Roland staunte nicht schlecht, so hatte er Mokuba noch nie erlebt.

Es war der blonde Wirrkopf, der ihnen einen sehr guten Ort zum Mittagessen vorschlug. Sie mussten zwar eine Weile laufen, aber das würde sich lohnen. Neugierig und auch etwas besorgt beobachteten alle drei, wie Joey sie von den bekannten, breiten Straßen in eine Viertel führte, welches seinen Niedergang auf jedes Fenster und jedes Gemäuer geschrieben hatte. Häuser waren übereinander gebaut, ineinander und wo die einen aufhörten und die anderen begannen, konnte man kaum sagen. Leben herrschte auf den kalten Straßen und überall wurden Waren angeboten. Es kam ihnen beinahe wie auf einem Markt vor, der sich über alle Straßen erstreckte. Sogar Hühner konnten sie hin und wieder hören oder sie kreuzten sogar ihren Weg. Erschrocken zuckte Mokuba zusammen, als eine alte Frau ihr Fenster aufriss und heißen Tee feilbot. Hinter einem Vorhang aus alten Leinentüchern kaum das Ende einer Gasse zum Vorschein, an dem ein kleiner, heruntergekommener Laden stand. Die Fenster waren mit Brettern vernagelt, die Tür schien leicht auszuhängen und die Farbe blätterte ab. „Wo hast du uns hingeführt, Joey?“ Fragte Mokuba zuerst, die beiden anderen trauten sich noch nicht, sie wichen den tiefen Pfützen in den aufgerissenen Straßen aus.
 

„Das hier, kleiner Kaiba, ist der beste Nudelladen in ganz Domino!“ Mit einem breiten Grinsen öffnete er die Tür und ein Murmeln und ein Tosen kam ihnen entgegen. Der kleine Laden war voll, die meisten hatten schon gegessen und wärmten sich noch auf, bevor sie wieder in die Kälte gehen würden. Die Tische waren abgewetzt, hohe, manchmal wacklige Hocker standen an ihnen und waren besetzt. Joey drängte sich durch die kleine Gasse, die zwischen den Tischen übrig war, das fahle Licht kam von alten Neonröhren und der Geruch starken Essens schlug ihnen entgegen. Das hier war ein Ort, den niemand der drei bisher kannte und auch nichts Vergleichbares!

„Hey, Moko, alter Ochse, bist du da?“ Brüllte der Blonde mit einem Mal und es wurde totenstill im Raum. In der Küche, die hinter einem alten, hohen Tresen von fettigen Leinentüchern abgetrennt war, ertönte ein dumpfes Donnern. Ein Mann, der anscheinend mongolisches Blut in den Adern fließen hatte, schob die Tücher beiseite. Allein seine Hand schien so groß wie Joesy Kopf zu sein und sein gelbliches Gesicht wirkte wütend verzerrt. Er trug einen schwarzen Schnurrbart, der am Ende leicht geringelt war. Die Augen waren mandelförmig und seine Nase breit. Der mächtige Mann musste sich leicht bücken, um unter der Trennung hindurchzukommen und die Muskelbepackten Arme spannten sich unter einem weißen T-Shirt. Er blinzelte den 19 Jährigen an und warf dann einen Blick über die drei befremdlich wirkenden Mitreisenden, die nicht in dieses Bild passen wollten. Aus seiner Schürzte zog er einen Lappen und wischte mit einem Grinsen über den alten Tresen, der anscheinend schon den einen oder anderen Schlag mit einem Messer oder einem Beil ertragen musste. „Der kleine Frosch ist wieder da! Na, hast du endlich das Hüpfen gelernt, Wheeler?“ Fragte er mit donnernder Stimme und lachte ausgiebig. „Aber klar doch! Deinen Plattfüßen bin ich ja schon immer ausgewichen!“ Joey beugte sich über den Tresen und der kräftige Mann tat es ihm gleich. Mit einer ausladenden Geste schlug er ihm auf die Schulter und hätte den deutlich Kleineren beinahe über den Tresen gezogen.
 

„Ihr wollt also die besten Nudeln in ganz Domino essen?“ Fragte der Mann und Serenity, Aiko und Mokuba sahen sich bleich und entgeistert an. „Ja?“ Fragte der kleine Schwarzhaarige vorsichtig und Moko lachte. „Dann nehmt mal an meinen besten Plätzen Platz und ich kümmere mich persönlich darum!“ Als er wieder verschwand und das Tuch hob, staunte der 17 Jährige. Die Küche war in keiner Weise mit dem Rest des engen Ladens zu vergleichen. Sie wirkte alt, traditionell, aber makellos und sauber. Alles in ihr glänzte, war gepflegt und ein junger Koch stand an einem Wok und schwenkte diesen mit einer gekonnten Bewegung aus dem Handgelenk. „Wo… woher kennst du diesen Laden?“ Fragte Serenity mit einem Mal, als sie auf den wackligen Hockern Platz genommen hatten. „Na ja, ich habe hier gearbeitet. Das war zu einer Zeit, in der ich noch gar nicht arbeiten durfte. Moko war der einzige, der mich bezahlen wollte und so habe ich die Bestellungen angenommen und die Teller wieder blank geputzt.“ Erzählte er verlegen und sah mit leuchtenden Augen über den Tresen, hinter dem er damals gestanden hatte. „Ich kam damals noch nicht einmal über die Theke hinweg, Moko hatte mit extra einen Hocker darunter gestellt.“

Es dauerte kaum 10 Minuten und vier dampfende Schüsseln mit Nudeln standen vor ihnen. Verwundert blickte Aiko die Kreation an, die Nudeln waren anscheinend in einer Art Soße aus Butter oder ähnlichem geschwenkt worden, dann aufgedreht und ordentlich in der Schale drapiert worden. Darüber gab es eine Zugabe von Gemüse und Meeresfrüchten. So hatte sie das noch nie gesehen. Joey hingegen war schon dabei sein Essen zu genießen und bevor die drei anderen begonnen hatten, war er schon halb fertig. Das Geschmackerlebnis, das sie nun erwartete, ließ sie alle erstaunen. Das Essen war herrlich, jedes Gewürz schien sich zum richtigen Zeitpunkt auf der Zunge auszubreiten und seinen vollen Geschmack zu entwickeln. Es war eine süßwürzige Richtung, die in jedem neuen Bissen in der Kombination mit dem unterschiedlichen Gemüse und den Meerestieren neue Überraschungen zeigte.
 

„DAS sind die besten Nudeln in ganz Domino!“ Sagte Mokuba bestimmt und hielt wie Joey seine Schüssel in die Richtung des breitschultrigen Mannes, der nur lachte. „Das sieht nach einem Nachschlag aus!“ Meinte er lachend und sammelte die Schüsseln wieder ein. Die kommenden waren mit Bratnudeln versehen, die einen feurigscharfen Ton unter dem samtweichen Honig entwickelten und mit kräftigem Fleisch versehen waren. Als sie schon das Gefühl hatten, dass kaum noch etwas passte, landeten vier kleine Schalen mit einem musigen Inhalt vor ihnen, der sie in den Himmel der süßen Verführungen brachte.

Der Preis dafür war lächerlich und nachdem Moko ihnen ein Glas Sake zur Verdauung gegeben hatte, wankten sie gestopft wieder aus dem kleinen Laden. Langsam und beschwerlich wirkte der Weg zurück in die Zivilisation und glücklich konnte ihnen die Kälte nichts mehr anhaben. „Meine Güte, wie kann ein so guter Koch nur in einem solche Laden arbeiten?“ Fragte Aiko und wusste, dass sie den Weg nicht wiederfinden würde. „Hier hast du also gearbeitet?“ Meinte Joeys Schwester neckend und der Blondschopf nickte. „Darum habe ich ja auch den Spitznamen Frosch bekommen. Ich bin immer vom Hocker herunter gesprungen, dass Moko lachen musste. Er meinte, ich sähe aus wie ein kleiner Frosch.“ Erzählte Joey und sah sich um. Sie hatten die engen Gassen hinter sich gelassen und kamen nun wieder auf die bereiten Einkaufsstraßen. „Oh, ein alters Antiquariad!“ Rief Aiko mit einem Mal aus und deutete auf die andere Straßenseite.
 


 

Das Frühstück war schon lange zu Ende und der erste, sportlich aktive Teil war von ihnen mit größter Leidenschaft ausgelebt worden. Meine Güte, manchmal forderten die beiden ihn aber auch weit über seine Grenzen zu gehen. Mit einem Schmunzeln blickte er auf die Bissspur auf seiner Brust, er stand in dem geräumigen Bad, wusste, dass die beiden noch mit ihren kleinen Machtspielen beschäftigt waren. Der Spiegel war nur sehr leicht beschlagen, es war eine kühle, kurze Dusche gewesen, die sich der Brünette gegönnt hatte. Er sah böse aus, aber seine Freude bestand in dem Wissen, dass es den beiden anderen nicht anders erging. Plötzlich hörte er sein Handy vibrieren und wunderte sich, dass es zwischen seinen Sachen lag. Neugierig zog er es aus den Stoffen heraus, das Handtuch noch in der Hand, mit dem er die leicht feuchten Haare trocknen wollte. Es war eine Nachricht von Joey. »Guten Morgen! Was hältst du von dem Buchvorschlag?« Im nächsten Moment traute er seinen Augen nicht. Ein Photo plopte auf dem Display auf und irritiert starrten die blauen Augen dieses an. Es war ein Kinderbuch, „Ojin der kleine Vampir“ stand dort auf dem Titel und eine kleine Figur mit braunen Haaren, weißer Haut und roten Augen war darauf zu sehen. Offenkundig sollte er das sein, zumindest sollte die Assoziation dazu entstehen. »Kommt auf den Inhalt an. Nur wenn es einen Wheeler zum Nachtisch gibt!« Er wusste nicht, wie er auf diese Aussage reagieren sollte und so hatte er seinem ersten Instinkt vertraut und ließ das Telephon auf die kleine Bank fallen, auf der seine frischen Kleider lagen. Er hatte das Handtuch grade wieder über seinen Kopf gelegt und mit dem Trocknen seiner Haare begonnen, als ein neues Vibrieren eine Nachricht verkündete. Es war ein Bild des Inhaltsverzeichnisses und noch immer stellte er sich die Frage, ob er das wirklich las.

Der blaue Hintergrund des Buches, auf dem in weiß die Kapitel und ihre Namen standen, wurde von weißen Zettel unterbrochen. Jedes Mal war der Name Ojin mit einem Fetzten Papier abgedeckt worden, auf dem in krakeliger Schrift Seto stand und die beiden letzten Kapitel waren mit einem großen Stück Papier abgedeckt worden. „Kapitel 5. Seto und ein Wheeler zum Nachtisch“ und dazu kam „Kapitel 6 Seto hat einen neuen Freund“.
 

Noch immer war er verwirrt, las er das oder lag er schlafend auf dem Bett, die beiden anderen links und rechts neben sich? War es realistisch, dass er so etwas träumen konnte? Nun, sicher realistischer, als es wirklich zu erleben! »Und soll ich es kaufen?« Mit einem leichten Zucken starrte er auf das Telefon und versuchte zu verstehen, was dort stand. Er befand sich in Dublin oder? Er befand sich im Bad seiner Verlobten Viktoria Morison oder? Er stand Splitterfaser nackt mit einem Handtuch über dem Kopf und dem Telephon in der Hand in dieser Welt… oder? Es war eine Art unerschöpflichen Unglaubens, den er in diesem Moment empfand und so zu keiner weiteren Reaktion fähig war. Was sollte er antworten? Konnte er seiner Wahrnehmung trauen? War es keine kalte Dusche gewesen und er war darunter mit einem Kreislaufzusammenbruch ohnmächtig geworden?

Schweigend legte er das Handy wieder auf die Bank, trocknete sich weiter ab und zog sich langsam an. Das konnte nur eine Sinnestäuschung sein und er würde gleich aufwachen oder nachher auf das Handy sehen und feststellen, dass nichts von dem wirklich geschehen war! Ganz sicher! Ganz sicher!
 

Schweigend saß er am Tisch, blickte auf den Inhalt der gesendeten Nachrichten und drehte sein Glas Scotch in der anderen Hand. Das stand da wirklich! Wie lange konnte man träumen? Wie lange konnte man sich in einem Traum befinden und woher wusste man, dass es nur ein Traum war? Da stand es, Schwarz auf Weiß. »Nein, du träumst nicht! Ach, wie gerne würde ich dieses dumme Gesicht jetzt sehen. Ich wünsche dir noch angenehme Träume XD Gruß J.« Fassungslos schob der diese Zeilen tiefer, starrte auf die Bilder, die darüber kamen. Hatte er das wirklich getan? Und wenn er es wirklich getan hatte, warum hatte er es getan? Und warum wünschte er ihm noch eine gute Nacht? Und was sollte er jetzt antworten? Oder ignorierte er es einfach? Konnte man kindliche Dummheit ignorieren oder wirkte es dann so, als wäre er dem nicht gewachsen? Musste er denn dem gewachsen sein? War es nicht eher ein Zeichen von „über den Dingen stehen“, wenn er es ignorierte? Oder unterstützte er damit nur solche Dummheit? Würde es Joseph dazu animieren noch mehr solchen Unfugs zu treiben? Also musste er ja darauf reagieren! Oder? Konnte er es damit noch schlimmer machen? Hatte er das nicht schon längst? Immerhin hatte er den Kerl vor der gesamten Welt gedemütigt! Selbst in der irischen Presse geisterte das Photo des Blonden mit bösen Worten darunter herum und doch passierte das hier! Was musste er machen, um diesem Hund seinen Platz zu zeigen?
 

Noch immer saß die Fassungslosigkeit so tief, dass er nicht wusste, wie er reagieren sollte. Mit einem Zug leerte er sein Glas Scotch und seufzte. Er saß alleine in einem der kleineren Speisesäle und hatte eine Kerze vor sich angezündet. Mürrisch griff er nach der Flasche und wusste, dass Joey schon längst im Bett liegen würde. Es war sicher mitten in der Nacht dort. Morgen würde er wieder zurückfliegen, Morgen musste er sich diesem Problem stellen. JA, Joey war ein Problem! Ein gewaltiges! In seinem jetzigen Zustand begriff er nicht, dass sie nicht zu Mittag gegessen hatten und das Abendessen auch irgendwie an ihren vorbei gezogen war und der Alkohol noch schneller wirkte. Da war kein Wheeler, der ihn zum Frühstück und zum Mittagessen zwang. Da war nur eine verdammt heiße Frau, die jeden Moment ihres Lebens Aufmerksamkeit wollte! Verdammt, aber sie war so… heiß? Ja, ihm war heiß, der Alkohol setzte ihm zu, das war sein viertes… oder fünftes Glas? Warum war er so verwirrt? Warum verstand er jeden, jeden verdammten Gegner… nur Joey nicht? Er konnte die Schritte seiner Konkurrenz bis auf’s Genauste nachvollziehen und vorhersagen, er konnte Menschen in der Luft zerreißen, bevor sie ihren Mund öffneten und er zerfleischte Richter und Anwälte, bevor sie wussten, was sie entgegnen sollten. Aber dieser kleine Trottel tat einfach, was er wollte! Er leerte das nächste Glas und als er es mit einem dumpfen Schlag aufsetzte, griff er wieder zu dem Telephon. »Ich denke, ich sollte dir doch dieses schöne, schwarze Lederhalsband schenken, an das ich neulich dachte. Dann kann ich dich im Keller bei den Akten anketten und lasse dich den Boden putzen, bis ich mich darin spiegeln kann!«
 

»Hört sich ja aufregend an. Ich wusste nicht, dass dich das so anmacht!«
 

»Dich vor mir auf den Knien im Staub und Dreck? Immer!«
 

»Da tun sich ja Abgründe auf!«
 

»Angst Wheeler?«
 

»Dass du mir zeigst, wovon du nachts heimlich träumst? Niemals!«
 

»Du scheinst ja nicht zu träumen, immerhin dürfte es bei euch wieder mitten in der Nacht sein!«
 

»Tja, ich hatte eben einen wirklich erschreckenden Traum. Du und ich, an einem Sonntag am Frühstückstisch… Ruhe, Frieden… du hast Bitte und Danke gesagt… und gegessen! Um 8 Uhr morgens! Ich dachte schon, du wärest ein Mensch und nicht dieser egoistische Eisklotz, den du sonst immer gibst! XD «
 

»So sehr vermisst du mich? Ich wusste ja gar nicht, dass du nachts von mir träumst! Ich dachte immer, dass dich das Alphabet und Mathe in deinen Albträumen heimsuchen!«
 

»Was weißt du schon von meinen Albträumen! Ich frage mich ja, wovor du Angst hast?«
 

»Tja, der letzte Traum, an den ich mich erinnere, war dein zitternder Körper in meinen Armen, während sich meine Reißzähne in deinen Hals gestoßen haben. Dein Blut war lecker.«
 

»Echt?«
 

»Ja.«
 

»…«
 

»Angst?«
 

»Ein bisschen…«

»Ich hätte dir doch nicht Dracula zu lesen geben sollen. Vielleicht geb ich das andere Buch auch wieder zurück.«
 

»Du hast es echt gekauft?«
 

»Ja?«
 

»Du bist verrückt!«
 

»Ich mag dich, natürlich bin ich verrückt!«
 

In dieser Nacht hatte Seto die gesamte Flasche geleert und trotz aller Bemühungen seiner Freunde, sich nicht wieder blicken lassen. Seto saß dort am Tisch, blickte auf das Telephon und rieb sich mit dem Handrücken über die Augen. Er musste viel getrunken haben! »Du magst mich?« Fragte er nach einer schieren Unendlichkeit und doch schien Joey auf diese Antwort gewartet zu haben. Es war eine halbe Stunde vergangen, Joey musste seit Stunden wach liegen und doch antwortete er direkt. »Manchmal. Wenn du dich nicht so großkotzig verhältst… dann mag ich dich.«

Müde und überfordert lehnte sich der Brünette zurück und versuchte zu verstehen, was er da las. Das die Räder des Schicksal mit einem leisen Krachen weiter arbeiteten, sie weiter auf das zutrieben, dass in weniger als 48 Stunden alles verändern würde, wussten sie nicht. Er spürte nicht den Hauch des Schicksals, der diesem Augenblick anlag und er begriff nicht, dass seine Antwort. „Ich mag dich auch.“ hieß. »Halt die Klappe und schlaf gut!« Schrieb er stattdessen und spürte dieses seltsame Gefühl, das er auf den Alkohol zurück führte. Jemand mochte ihn! Trotz allem, was zwischen ihnen geschehen war, schrieb Joseph Wheeler, dass er ihn manchmal mochte? Er sorgte sich um ihn? Er beließ die Kerze aus, griff nach seinem halbleeren Glas und wankte zur Tür. Da war er wieder, der Schatten, den er immer verdrängen wollte. Er hörte die Worte seinen „Ziehvaters“ der ihm deutlich machte, dass niemand ihn jemals mögen würde. Es ging nicht darum Freunde zu finden, eine Firma baute man nicht mit Freundschaft auf. Wie sehr er sich auch dagegen zu wehren versuchte, es ging nicht. Er spürte den Hass, der langsam in seiner Seele aufstieg und wie ein Monster verfolgte es ihn in seine Träume.
 

Erst in den frühen Morgenstunden konnte er Ruhe finden. Es war ein seltsamer Traum. Erschöpft und mit schmerzenden Gliedern hatte er sich auf den großen Berg retten können. Die weißen Schuppen glänzten, der Flügel jedoch war mit rotem Blut befleckt. Er würde sterben… er war ein Drache und ohne fliegen zu können, musste er sterben. Es dauerte Stunden, die er dort verbrachte, bis er sich müde niederlegte und resignierte. Er würde sterben, verhungern oder die Jäger fanden ihn doch noch. Dann war das Ende schneller.

„Was machst du da? Schläfst du?“ Es war eine helle, warme Stimme. Verwundert hatte er aufgesehen und da saß ein schwarzer Drache, die roten Augen voller Leben und Lebensfreude. Er hielt ein Bison zwischen den Klauen, anscheinend hatte er hier in Ruhe seine Beute fressen wollen. „Ich sterbe.“ Antwortete er trocken und wollte den Kopf gerade wieder auf den Boden niederlegen, als der Kleinere verständnislos fragte. „Warum?“ Er kam näher, ließ das tote Tier vor ihn fallen und betrachtete den Flügel. „Der heilt doch wieder.“ Meinte er gelassen und die eisblauen Augen musterten ihn. Seine schwarzen Schuppen glänzten matt. „Und was esse ich bis dahin?“ Der Kleinere deutete auf das tote Bison. „Das da? Ich kann ja noch eines fangen.“ Er schlug mit den Flügeln und einen Moment später war er in der Luft. „Und wenn es nicht reicht, fange ich eben noch eines.“

Er hatte noch keinen Hunger, er war nur unruhig, ob der Schwarze wieder kommen würde. Es dauerte nicht lange und er konnte die Flügelschläge hören. Erst jetzt wurde er sich seines knurrenden Magens bewusst. Als die Nacht hereinbrach, kamen die schwarzen Schuppen immer näher und bevor er etwas sagen konnte, hatte sich das Rotauge schon an ihn geschmiegt. Es war ein scheuerndes Geräusch, als die Schuppen übereinander rieben. „Ich wünsche dir noch eine gute Nacht!“ Woher kannte er die Stimme nur? Ruhig schief er ein. Er wusste, dass jetzt nichts mehr passieren konnte!
 


 

Ihre kalten Augen betrachteten die Zeilen, die dort getauscht worden waren. Anscheinend schrieb Seto schon das ganze Wochenende mit diesem Kerl, Joey Wheeler… wer auch immer das war. Aber ganz offensichtlich war dieser Kerl ihm wichtiger als sie, wichtiger als Paddy. Warte, war das nicht der Name von Setos neuem Hündchen? Mürrisch legte sie das Handy wieder auf den Nachtisch und warf noch einen Blick über den schlafenden Mann. Seto hatte sich nicht einmal ausgezogen, das leere Glas stand neben ihm und offensichtlich hatte er nicht nur dieses getrunken. Er verhielt sich anders als sonst, gänzlich anders. Sie schien schon mit ihm schlafen zu müssen, damit er ihr Aufmerksamkeit schenkte. Das war nicht nur eine einfache Schwärmerei. Offensichtlich gab es auch keine unglaubliche Feier Montag Abend. Auch dort hatte er nur mit diesem Wheeler geschrieben. Was hatte das zu bedeuten? Wütend verließ sie das Zimmer, sollte Seto seinen Rausch ausschlafen! 3 Monate und dann wäre das alles erledigt. Er würde Weihnachten hier bei ihr verbringen und dann nie wieder an diesen kleinen, dummen Mistkäfer denken! Dafür würde sie schon sorgen!

Der Schmerz einer Seele

Kapitel 25

Der Schmerz einer Seele
 

Müde lag er dort und starrte auf den kleinen Bildschirm. Jetzt war das Gespräch zu ende. Er würde keine Antwort mehr bekommen. Nachdenklich setzte er sich auf und sah sich in dem dunklen Zimmer um. Er war viel zu alt für so etwas, dachte er im nächsten Moment und leise stand er auf. Das Sofa war nach hinten geschoben worden, der Tisch an die Wand. Die beiden Mädchen schliefen noch fest, Mokuba lag auf dem Rücken und schnarchte leise. Sie hatten es sich hier gemütlich gemacht und Horrorfilme bis spät in die Nacht gesehen. Wie viel hatte er eigentlich geschlafen? Um 2 waren sie ins Bett und gegen 6 hatte ihn Seto geweckt. Jetzt war es 7 aber die drei würden sicher noch lange schlafen. Erschöpft entschied er sich für eine Dusche und schmunzelte, als er die Zettel im Flur fand. „Küche“ war mit einem Pfeil nach rechts und „Bad“ mit einem nach links ausgezeichnet.

Das warme Wasser tat ihm gut und wieder schweiften seine Gedanken an die Nacht ab. Er hatte ihm gesagt, dass er ihn mochte. Warum kam ihm das wie ein Fehler vor? Wieso hatte er das Gefühl etwas falsch gemacht zu haben? Seufzend schüttelte er den Kopf und damit seine Gedanken davon. Nach dem Duschen holte er sich etwas zu essen aus der Küche, Margerite hatte natürlich schon alles vorbereitet und mit einem zusätzlichen Brötchen verzog er sich in das rotschwarze Zimmer, das ihm ein wenig wie seines erschien. Schon gestern hatte er von Mokuba Stifte und andere wichtige Utensilien bekommen und so legte er diese neben das Buch, das er gestern gekauft hatte. Er blickte auf den kleinen Vampir, der da mit großen roten Augen in seinem dunkelblauen Umhang stand und grinste. Ja, irgendwie mochte er den Mann mit den eisblauen Augen. Seto konnte nett sein, freundlich und dieses Lächeln… oh, wie er das liebte. Dieses scheue und zerbrechliche Lächeln…
 


 

Hass fraß sich in seine Seele, auch wenn seine Träume sich beruhigten. Die Anwesenheit dieses fremden, quirligen Drachen hatte ihm Ruhe gegeben. Er hatte ihm die Angst vor dem Ende genommen, ihm klar gemacht, dass es nicht zu Ende sein würde.

Verschwommene Bilder blieben das einzige, an das er sich noch unter der Dusche erinnern konnte. Sein Kopf schmerzte, sein Körper schrie, gierte nach etwas Essbarem, welches er so lange schon verwehrte. Die Kälte des Wassers beruhigte ihn heute nicht, sie machte es nur noch schlimmer. Sie ließ einen tauben Schmerz auf der hellen Haut entstehen und er spürte die unangenehme Kühle bis in die Knochen. Da war es wieder, dieses Lachen, dieses Grinsen und der Brünette hörte die Worte, die so unglaublich klangen. „Das ist ein Entschuldigungstörtchen!“ Was dachte er sich dabei? Wieder kamen ihm die Worte des letzten Abends in Erinnerung. Er mochte ihn also manchmal? Tat er das?
 

Schweigend trank er seinen Kaffee, sein Blick war so kalt, dass er alles um sich herum hätte gefrieren lassen. Er bemerkte Viktorias schlechte Laune, doch seine war um eine deutliche Spur kälter. Der dumpfe Schmerz seines Kopfs dröhnte über das Pochen seines Herzens und dieser alten, immer schwelenden Wunde, die vor so vielen Jahren gerissen worden war. Die Taten seines Stiefvaters holten ihn wieder ein, sie waren wie eine niemals heilende Wunde, die tief in seiner Seele jedes Gefühl der Zuneigung und Freundlichkeit vergiftete. „Ich bleibe nicht mehr lange.“ Meinte er trocken und sie starrte ihn voller stummer Gier an. „Warum?“ Fragte sie kurz und ihre Blicke trafen sich. Sie beide waren unerschütterlich in ihrer Sturheit, keiner würde dem anderen nachgeben. Wie ein zäher Storm verging die Zeit, in der sich beide nur anstarrten, den anderen zu ergründen versuchten, um eine Schwäche zu finden. „Weil ich Morgen nach Dubai fliege.“ Sie alle wussten, dass er log. Noch immer starrte Viktoria ihn an und verzog den Mund. Ihre roten Haare rahmten ihr feingeschnittenes Gesicht sanft ein, doch ihr Ausdruck war noch immer hart und unnachgiebig. Sie schätzte ab, ob sie ihn zur Wahrheit zwingen konnte, doch heute war etwas an ihm, dass die junge Frau bisher nur einmal gesehen hatte. Da war eine Dunkelheit, die älter schien als die Zeit.

Mit einer kräftigen Bewegung stellte Seto den Becher ab und erhob sich. Obwohl nun er den Blickkontakt gebrochen hatte, wirkte es in keiner Weise nach einer Aufgabe, eher nach einem neuen Angriff. Mit einem kalten Ausdruck in den Augen schob er den Stuhl an den Tisch, zog noch einmal kurz sein Handy aus der Hosentasche und warf einen Blick darauf. Nun schien er gehen zu wollen, schritt am Tisch vorbei und hielt noch einmal neben der rothaarigen Irin an. Nur für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie an eine sanfte Handlung, einen Abschied, so blickte sie mit ihren tiefgrünen Augen zu ihm auf. Sie irrte sich! Mit einem festen, schnellen Griff packte er ihre Haare und zog sie kräftig zurück. „Wenn du noch einmal an mein Handy gehst, dann brenne ich dir mein Zeichen auf deine Schulter! Es hat dich bisher nicht interessiert, mit wem ich was tue, und das wird es auch in Zukunft nicht!“ Viktoria verbat sich jeden Schrei, auch wenn sie offensichtlich erschrocken war. Eine Grausamkeit lag in seinen blauen Augen, die sie nicht kannte. Er war angespannt, hielt sie weiterhin fest und hatte ihren Kopf so weit nach hinten gezogen, dass sie ihn ansehen musste. „Du sagst, dass du meine dunkle Seite liebst! Ich lasse zu, dass du dich an meinem Fleisch vergehst, aber wenn du diese Grenze überschreitest, wirst du zu dem, was dir am besten steht! Hure!“
 

Das letzte Wort verklang in dem gewaltigen Raum und schien doch ewig nachzuhallen. Viktoria kannte Seto wütend, sie kannte ihn hassend, sie kannte ihn betrunken und sie kannte ihn fern ab aller Sinne, aber das… sie starrte zur Tür, versuchte zu begreifen, was geschehen war. Dass in diesem Moment das Schicksal all den Schmerz der letzten Jahrhunderte, der letzten Jahrtausende vereinte und in diesen Augenblick zusammenpresste, konnte sie nicht ahnen. Patrick saß noch immer dort und starrte mit dem Becher Kaffee in der Hand auf die Tür. War das eben wirklich geschehen? Er wusste, dass Seto ein launenhafter, grausamer Mann sein konnte, aber meistens hatte das, was er tat, einen Sinn! Sein Blick wanderte langsam zu seiner Freundin, die noch immer ungläubig zur Tür starrte. „Du warst wirklich an seinem Handy?“ Fragte er entsetzt und wusste, dass niemand, wirklich niemand jemals an dieses Gerät gehen sollte, wenn er den nächsten Atemzug noch überleben wollte. Dieses Telephon war so etwas wie ein Heiligtum und sich daran zu vergreifen wurde wie ein direkter Angriff auf ihn selbst angesehen. „Ja…“ Antwortete sie leise und Patrick konnte hören, wie die Wut in der 23 Jährigen langsam zu kochen begann. Das konnte ja heiter werden. Er war wütend, sie war wütend, das bedeutete normalerweise absolut nichts Gutes. Die beiden waren wie Götter, wenn sie ihrer Wut freien Lauf ließen, litt die ganze Welt darunter!
 


 

»Wann bist du denn hier? Gruß J« Mürrisch starrte er auf diese Nachricht und überlegte. Sollte er antworten? Ein ermüdetes Seufzen entkam seinen schmalen Lippen. Wie oft wollte sich der Brünette auf dieser Reise eigentlich noch fragen, ob er Joseph antwortete oder nicht? »Es wird noch dauern. Bin erst heute Abend da.« Seto ließ sein Handy sinken und starrte aus dem Fenster. Der Flieger war unterwegs, aber er hatte noch einige Stunden vor sich. Wenn er darüber nachdachte, dass die schnellste Verbindung mit einem Linienflugzeug 14 Stunden dauerte, liebte er seinen Privatjet. Er verkürzte diese Strecke doch um einige Stunden und er war deutlich bequemer. Er saß in einem der großen Sessel, hatte die Lehne zurückgestellt die Beine hochgelegt.

Seto hatte sich etwas entspannt und gerade die Augen geschlossen, um noch ein wenig zu dösen, als das schwarze Telephon wieder vibrierte. Müde griff er danach und erst, als die schlanken Finger sich um das Gerät schlangen, öffnete er die blauen Augen. »Alles ok bei dir?« Und da war sie wieder, diese seltsame Sorge dieses seltsamen jungen Mannes. Es schien ihm beinahe so, als hätte der Blonde seine Erschöpfung durch die wenigen Worte erspürt. Dennoch antwortete er mit einer Gegenfrage, wollte wissen, was denn bitte hätte sein können. Joey schrieb nur zurück, dass er einfach so ein Gefühl hatte und ein kleines Geschenk auf ihn warten würde. Müde ließ er das Gerät auf die breite Armlehne fallen und schloss die eisblauen Augen erneut. Joseph war seltsam und vielleicht musste er akzeptieren, dass er diesen nicht verstehen konnte. Dennoch… irgendwie schien sich das gleiche Gefühl einzuschleichen, welches er heute Nacht in seinen Träumen bemerkt hatte. Es war dieses Gefühl, das all seine Sorgen lächerlich waren, dass er so viel übersah und in Wirklichkeit keine Grundlage für seine dunklen Gedanken bestand. Es erschien ihm beinahe so, als wäre er nicht mehr allein. Mit diesem Gedanken schlief er ein.
 

In Domino hatten sich die vier den ganzen Tag amüsiert. Das Frühstück begann erst um 11 Uhr mit allem Drum und Dran und danach wurden einige neue Gesellschaftsspiele ausprobiert, die sie gestern noch auf dem Rückweg gekauft hatten. Noah gesellte sich zu ihnen und die Zeit verstrich wie im Flug. Das Mittagessen verschob sich auf 16 Uhr und danach entschied sich Aiko zu gehen. Es wäre vielleicht besser, wenn sie nicht hier wäre, wenn Seto wiederkäme. Joey brachte seine Schwester noch einmal nach Hause, packte ein paar wichtige Dinge zusammen und machte sich abends auf den Rückweg. Mokuba und er hatten sich dazu entschieden, dass es doch besser wäre, wenn er gleich hier übernachtete. So konnten Seto und er gemeinsam fahren und Joey nicht verschlafen. Die neuen Sachen waren schon allesamt gewaschen und gebügelt worden und zusammen mit dem kleinen Kaiba packte er seinen neuen Koffer. Langsam wurde auch er nervös, die Zeit mit den anderen hatte ihn abgelenkt, doch nun, wo alles vorbereitet war und nichts weiter zu tun, konnte er seine Gedanken nicht vom morgigen Tag lösen. Was würde Kaiba dazu sagen, wenn er heute Nacht hier blieb und wie wäre es morgen früh?

Aufgeregt und doch auch müde saß er mit Mokuba und Noah im Wohnzimmer, er wusste nicht einmal welcher Film dort lief, aber das war auch egal. Seine Gedanken kreisten um die nächste Begegnung mit dem brünetten Firmenführer und er konnte die innerliche Anspannung nicht abstreifen. Mokuba war ebenfalls sehr aufgeregt, immerhin hatten sie gestern den nächsten Teil von „Die Tribute von Panem“ aufgenommen und Seto wollte ihn heute Abend ansehen. Zumindest hatte er gesagt, dass er es vielleicht machen wollte. Ein grausamer Gedanke blieb jedoch, ein Zweifel, der ihn nicht los ließ. Jedes Mal, wenn sein großer Bruder in Großbritannien war, kam er mit einer schrecklichen Laune zurück und er schien innerlich erfroren zu sein. Hoffentlich war es dieses Mal nicht so!
 

Doch Mokuba sollte nicht Recht behalten. Es war kurz vor 22 Uhr, als der Brünette endlich Zuhause war und er schien wie immer von dieser enormen Kälte umgeben. Mokuba war aufgesprungen, als sein Bruder in der Tür stand und seine eisblauen Augen den 19 Jährigen Gast musterten. „Vielleicht sollte ich doch einen Hundekorp kaufen, so oft, wie du dich hier herumtreibst.“ Meinte Seto schlicht, dennoch herablassend und Mokuba blieb stehen. Er hatte auf ihn zugehen wollen, doch diese Stimme, diese Wortwahl, alles an seinem großen Bruder signalisierte ihm, das es wie bei jedem anderen Besuch in Großbritannien war. Eine unglaubliche Enttäuschung machte sich in ihm breit und er hörte die ruhigen Worte, die Joey von sich gab. „Kommt immer darauf an, wo du ihn hinstellst. Ich danke auf jeden Fall schon einmal dafür, dass du keinen Zwinger bauen lassen willst.“ Die innerliche Anspannung war noch immer da, doch heute blieb ein sturer Gedanke zurück, der ihm Ruhe schenkte. Er hatte diesem Mann gestanden, dass er ihn auf gewisse Weise mochte. Ganz gleich, wie Seto dieses Geständnis aufgefasst hatte, heute würde er sich nicht von dem Brünetten provozieren lassen.

Es war gerade diese gelassene Art zu kontern, die Seto nicht von ihm gewohnt war und ihn leicht verwundert innehalten ließ. Auch Noah sah erstaunt zu dem Blonden und dann klangen die kühlen Worte Setos durch den Raum. „Im Verließ artigen Keller wäre noch ein Platz für dich frei. Das sollte auch nicht viel besser sein.“ Er schien sich gefasst zu haben, schien das Gespräch damit beenden zu wollen und der breite Rücken drehte sich den dreien schon zu. Doch heute war es der Blonde, der das Gespräch weiter führen wollte. Er ließ ihn nicht gehen, erhob sich im gleichen Augenblick, in dem sich Seto von ihnen abwandte.
 

„Warte.“ Meinte er fordernd und schritt mit gleichmäßigen Bewegungen am Tisch vorbei durch den Raum. „Was willst du noch?“ Fragte der 22 Jährige mürrisch, blieb aber stehen, den Blick nur über die Schulter werfend. „Anscheinend war dein Flug anstrengender, als ich erwartet habe. Ich bin über deine Frage doch etwas verwundert.“ Begann nun Joey und war an der Tür zum Flur angekommen. Er lehnte sich locker in den Rahmen und verschränkte die Arme ebenso gelassen. Seine braunen Augen blicken in dieses unglaubliche Eis, unter dem es zu pulsieren schien. Was auch immer ihn bewegte, er verbannte es tief in seine Seele. Während Joey den Ausdruck in den feinen Gesichtszügen musterte, begriff er, dass der Brünette nicht zu wenig Gefühle besaß, sondern deutlich zu viele, um sie nun zu kontrollieren. Es brodelte unter der Oberfläche, pulsierte und allein die dicke Schichte aus emotionslosem Eis ließ ihn seine Fassung behalten.

Es gab keine Antwort, Seto starrte ihn nur an, wartete. „Ich wollte nur wissen, wann wir morgen los fahren. Ich hatte nicht vor zu spät zu kommen, immerhin bin ich deswegen heute Nacht extra hier.“ Ihre Blicken schienen wie versteinert, als könnten sie sich nicht voneinander lösen und so verstrich die Zeit, die Worte waren lange verklungen. „Es sollte reichen, wenn du um 7 Uhr beim Frühstück bist. Hast du schon alles gepackt?“ Diese Worte klangen besonnener, nicht mehr ganz so streng, nicht so distanziert, wie das Eis in seinem Blick. Joey nickte und als er sich von der Wand löste, griff er nach Setos Schulter. „Ich wünsche dir noch eine gute Nacht. Bis Morgen!“ Seine Worte waren leise, die beiden im Raum hatten sie nicht hören können. Schnell lösten sich die Finger vom Stoff des schwarzen Pullovers, den der 22 Jährige trug. Auch diese Geste war von Joeys breitem Rücken verdeckt worden und dennoch spürte er die plötzliche Anspannung in seinem Gegenüber.
 

„Morgen um 7 Uhr? Habe ich das richtig verstanden?“ Fragte Mokuba leise und Joeys setzte wieder sein breites Grinsen auf. „Ja, aber schon beim Frühstück. Dann muss ich wirklich um halb sieben aufstehen. Meine Güte, was für ein Luxus!“ Lachte er nun lauter, warf keinen Blick mehr zurück zu dem Mann, der nun schnell davon eilte, als ergriffe er die Flucht. Da war es wieder, dieses seltsame Verhalten dieses seltsamen jungen Mannes. Jetzt, da er es gehört hatte, da Joey es ihm direkt ins Gesicht gesagt hatte, klang es noch ernsthafter als vorher schon. Warum? Warum wünschte er ihm wirklich eine gute Nacht? Sollte er das ernst meinen, sollte er ihn wirklich ein wenig mögen?

Doch seine Gedanken blieben stehen, als er oben an der Treppe einen weißen Zettel fand. „Wohnzimmer“, „Küche“, „Mokuba“, „Noha“ und „der Ort, an den du niemals gehen solltest“ stand dort und alles war mit Pfeilen versehen. Anscheinend war das eine Orientierungshilfe für den Köter. Na klasse, befanden sich noch mehr dieser Zettel in seinem Haus? Obwohl, wenn er dafür morgens nie wieder über einen verdreckten, verschlafenen Köter stolpern würde, war das vielleicht eine Investition, die er tätigen sollte. Kurz hielt er inne, was dachte er da? Der Kerl würde eh nicht mehr oft hier übernachten!
 

„Ich wollte noch mal eben in die Küche. Schaut ihr ruhig weiter, ich mache mich gleich wahrscheinlich auf den Weg ins Bett.“ Natürlich machte Mokuba ein gespieltes Drama daraus und es dauerte, bis sie sich verabschiedet hatten. Kurz fragte er noch, ob sie die Schilder bis morgen hängen ließen und alle waren damit einverstanden. So würde Joey die Küche deutlich einfacher finden.

Schnell machte er sich auf den Weg, immerhin hatte er ja noch etwas vor. Ob das eine gute Idee war? Er schloss die Wohnzimmertür und folgte den Schildern in entgegengesetzte Richtung bis hoch zur Treppe. Dort wandte er sich den Gästezimmern zu und fand schnell den rotschwarzen Raum, an dem nun der Zettel Joey hing. Dort angekommen setzte er sich an den Schreibtisch und zog einen Bogen gemusterten Papieres hervor. Ein kleines Paket lag dort und mit einem Blick zu diesem, griff Joey nach einem Stift. Ob das eine gute Idee war? Na ja, er würde es herausfinden!
 


 

Das richtige Zimmer zu finden war nicht ganz leicht. Er wusste noch, dass es ein Stockwerk über seinem Bereich war und den richtigen Flur meinte er auch bald gefunden zu haben. Aber welches der Zimmer war es? Zum Glück schien Seto noch einmal mit jemandem zu telefonieren und seine wütende Stimme war gedämpft aus einem der Räume zu hören, als Joey sein Ohr daran legte. Vorsichtig stellte er alles neben der Tür ab und machte sich zügig auf den Weg zurück. Wenn der Kerl ihn hier erwischte, würde er ihn wahrscheinlich umbringen. Als er sich weit genug entfernt fühlte, als er sich in Sicherheit wägte, zog er das Telephon aus seiner Hosentasche. »Schau vor deine Zimmertür!« Schrieb er ihm und blickte noch eine Weile auf diese Nachricht. Als der Bildschirm dunkel wurde, steckte er das Gerät mit einem Seufzen wieder ein. Müde machte er sich auf den Weg zurück in sein Zimmer, unwissend, ob er morgen noch leben würde.
 

Erschöpft legte er einfach auf. Warum musste er jetzt mit ihr streiten? Warum musste sie jetzt so wütend sein und ihm vorwerfen, dass er sie belogen hatte? Natürlich hatte er das! Aber warum ging sie ohne zu fragen an seine Sachen? Warum zählten jetzt all die Male nicht, in denen sie ihn belogen hatte? Ehrlichkeit war nie das, was diese Beziehung prägte. Wie oft hatte sie schon behauptet irgendwo zu sein und dann konnte er zwei Tage später lesen, dass sie mit dem Sohn eines reichen Schnösels irgendwo gevögelt hatte! Müde setzte er sich auf sein Bett und fragte sich, warum er eigentlich die automatische Suchfunktion eingerichtet hatte, die ihm immer die Artikel mit ihrem Namen suchte und anzeigte. War es Eifersucht? War es ein gewisses Gefühl des Besitzens, dass er sich dieses Martyrium immer wieder antat? Gut, er konnte ihr ja nichts vorwerfen, immerhin hatte er in den letzten Monaten wie viele Frauen beglückt und wie viele Männer dem Paradies näher gebracht? Er war ein wenig privater, was sein ausschweifendes Leben anging. Es musste ja nicht jeder wissen, mit wem er sich durch die Betten trieb.

Beinahe hätte er es nicht gehört. Sein schwarzes Telephon vibrierte und da es auf der Decke lang, ging das Geräusch darin beinahe unter. Wenn SIE es war, würde er dieses Ding gegen die Wand werfen! Jetzt noch irgend so ein dummer Spruch und sie… Wheeler? Irritiert starrte er auf die Nachricht und vermutete, dass er auf dem Bett augenblicklich eingeschlafen sein musste. Innerlich angespannt, aufgewühlt und doch auch unendlich müde stand er auf. Seine Beine schienen schwer und jeder Schritt benötigte eine gewisse Konzentration. Ob der Kerl draußen stand?

Nein, und im ersten Moment sah er niemanden, nichts, der Flur war leer. Er sah von einer Seite zur anderen, wieder zurück und wollte die Tür schon wieder schließen, als er etwas neben seiner Zimmertür an der Wand entdeckte. Langsam ließ er sich in die Hocke sinken, starrte auf den feingearbeiteten Becher, um den sich eine Schlange zog. Auf ihm war ein Deckel, der mit einer runden, mit sauberen Mustern verzierten Kugel bestückt war. Vorsichtig griff er nach dem Becher und spürte, dass er noch heißt war. Kaffee? War sein Gedanke und als er den Deckel etwas anhob, kam ihm der Duft von schwarzem Tee in die Nase. Ohne es verhindern zu können breitete sich ein Lächeln auf seinen Lippen aus. Unter dem Becher war noch ein Briefumschlag und darunter ein kleines, in braunes Papier eingeschlagenes Packet. Vorsichtig griff er nach allem und trug es konzentriert in sein Zimmer. Was hatte sich dieser Dummkopf nun wieder ausgedacht? Er stellte alles auf den kleinen Schreibtisch und schloss die Tür.
 

Er saß dort, hielt den Becher in Händen und genoss das Kribbeln, welches sich mit der Wärme in ihm ausbreitete. Es begann in seinen Fingern, zog sich über seine Hände die Arme entlang und als er den ersten Schluck nahm, strömte diese Wärme mit der heißen Flüssigkeit seine Kehle herunter und erfüllte nun auch seinen Oberkörper, seinen Bauch und die Ruhe schien ebenso Einzug zu halten. Zum ersten Mal an diesem Tag schien die Anspannung von ihm zu weichen und er atmete leicht ein und aus.

Als er die Augen wieder öffnete, sah er den kleinen Ring, der durch die Wärme und die leichte Feuchtigkeit auf dem Briefumschlag entstanden war. Von diesem seltsamen Gefühl der Ruhe getragen, stellte er den Becher ab, griff nach dem Umschlag und drehte ihn. Er war nicht zugeklebt, die Ecke war nur unter den Umschlag gesteckt worden. Dabei fiel sein Blick auf das Paket, von dem er den weißen Brief genommen hatte. Dort war nun in schwarzen, kritzligen Buchstaben zu lesen „die Überraschung“. Aus seinem Schmunzeln wurde ein leichtes, sehr leises Lachen. Dieser Dummkopf! Noch immer schmunzelnd zog er den gemusterten Bogen heraus und entfaltete ihn. Erstaunt starrte er auf den Text und überflog die ersten Zeilen ein weiteres Mal. Das war offensichtlich Wheelers grauenhafte Handschrift, obwohl er sich Mühe gegeben hatte. Ordentlich war etwas anderes. Der Text jedoch ließ ihn an seinem Verstand zweifeln.
 

An den Weißen Drachen mit eiskaltem Blick!
 

Da Eure schuppige Eisigkeit unter den Anstrengungen des heutigen Fluges ermatte zu sein scheint und des Weiteren deutlich verstimmt, bieten wir Euch in aller Demut diese Tribute als Opferung dar. Da es in der heutigen Zeit schwer ist an Diamanten, Gold und Geschmeide zu kommen, haben wir uns für einen traditionellen, sicher einige Jahrhunderte alten Becher entschieden! Zu achten ist hier auf die Kunstfertigkeit, mit der die Gravierungen per Hand eingearbeitet wurden!

Der Tee, den wir Eurer unterkühlten Grausamkeit kredenzt haben stammt aus einem uralten Rezept, welches wir in den Tiefen einer verschütteten Burg fanden. Es soll damals ein Geschenk der Königin der Feen an einen der ältesten Drachen gewesen sein! Bis heute ist es kaum jemandem bekannt und Ihr seid der erste, der es seit Jahrtausenden verköstigen darf.

Um Euren Glanz noch weiter zu huldigen, haben wir euch natürlich auch noch ein altes Schriftstück aus den Schatzkammern Eurer Feinde hinzugefügt und hoffen, dass dieses die majestätische Unausgeglichenheit Eurer schuppigen Frostigkeit zu dämpfen vermag.
 

Mit untertänigsten Wünschen verbleibend
 

Der rotäugige schwarze Drache
 

Er konnte einfach nicht glauben, was er dort las und doch war sein Schmunzeln so breit, dass man es beinahe als Grinsen hätte bezeichnen können. Joey war so ein verdammt verrückter und durchgedrehter Dummkopf! Er nahm noch einen Schluck von dem langsam kühler werdenden Tee. Ja, es war offensichtlich nicht nur schwarzer Tee, eine feine Kräutermischung war diesem noch untergerührt. Er war köstlich, kräftig und in keiner Weise süß. Schade, dass es nur dieser eine Becher war, er hätte davon sicher noch mehr trinken können. Mit diesem seltsamen Lächeln legte er den Brief zur Seite und griff nach dem kleinen Päckchen. So klein war es gar nicht, fiel ihm nun auf und es war auch gar nicht so leicht. Und es war warm? Es war unten warm! Nun war er noch irritierter und schnell stellte er den Becher wieder auf den Schreibtisch, an dem er nun schon eine Weile saß. Was hatte sich dieser Verrückte nun noch ausgedacht?

Vorsichtig löste er das Papier, nur um darunter noch einmal ein verpacktes Paket zu finden. Dieses schob er vorsichtig zur Seite, anscheinend war es ein Buch. Darunter kam eine schwarze Bentobox zum Vorschein. Das war nicht wirklich… nein, das hatte er nicht getan! Auf dieser war ein kleiner Zettel geklebt und Seto drehte die Box so, dass er ihn lesen konnte. „Das ist leider alles, was ich kochen kann“ Hatte er wirklich für ihn gekocht? Nein! Niemals! Das war… warum sollte er so etwas tun? Verwirrt öffnete er die kleine, schwarze Schachtel und sah auf einige warme Reisbällchen und gedämpftes Gemüse.
 

Seto lehnte sich zurück und starrte auf das, was dort in der kleinen Schachtel lag. Nein, so etwas hatte bisher noch nie jemand für ihn gemacht. Was sollte er denn jetzt bitte machen? Verwirrung war alles, das er zwischen der Überforderung empfinden konnte. Eine neue Art der Anspannung ergriff ihn und mit einem kräftigen Ein- und Ausatmen versuchte er seine Gedanken zu ordnen. Er spürte dieses seltsame Gefühl in der Brust, wie ein warmer Druck, der ihn verwirrte, ihn aus dem Konzept brachte und sein Denken einfach anhielt. Es war das Knurren seines Magens, welches ihm die Entscheidung abnahm und so zog er die kleine Schale näher an sich heran. Dahinter kamen auch die zwei schwarzen Essstäbchen zum Vorschein. Verlegen griff er danach, er hatte mittlerweile all seinen Ärger über das, was den gesamten Tag geschehen war, vergessen, jetzt war nur der Hunger da, der in seinem Bauch brannte. Er konnte spüren, wie sich der Speichel in seinem Mund sammelte und er musste schlucken. Die kleinen Bällchen sahen so lecker aus und das Gemüse duftete sanft. Vorsichtig probierte er dieses zuerst. Es war gerade noch bissfest, hatte den vollen Geschmack und zerging doch auf gewisse Weise auf der Zunge. Anscheinend hatte der „Koch“ kaum Gewürze verwendet, ließ die einzelnen Sorten für sich selbst sprechen. Der Reis hingegen schmeckte seltsam, anders als er ihn kannte. Anscheinend war in diesen ein Gewürz gemischt worden, dass er nicht gleich einordnen konnte. Es war ungewöhnlich für Reis und er musste noch ein zweites der kleinen Bällchen essen, um daran Gefallen zu finden. Er wusste, dass er heute irgendwie gefrühstückt hatte, mehr oder weniger Zwangsweise, weil sein Körper nach dem Alkohol des letzten Abends danach verlangte. Den Flug hatte er über viel geschlafen und unter normalen Umständen wäre er heute Abend ohne etwas zu essen ins Bett gegangen.
 

Als er alles geleert und er auch mit einer gewissen Trauer den letzten Schluck Tee heruntergeschluckt hatte, griff er zu dem letzten Paket, welches dort noch lag und öffnete das Papier vorsichtig. Er konnte sich ja schon denken, was darin war. Als er das bläuliche Kinderbuch in Händen hielt, stutzte er. Auf dem Cover lächelte ihn der kleine Vampir mit blauen Augen an. Verwundert holte er sein Handy heraus und öffnete das erste Bild, dass Joey ihm zugeschickt hatte. Warte, da war noch etwas anders! Seine eisblauen Augen wanderten zurück zu dem Buch und darüber prangte in weißen Buchstaben „Seto der kleine Vampir“!

Er brauchte einen Moment, bis er das alles verstanden hatte und starrte auf den Buchdeckel. Beinahe andächtig legte er das Telephon zur Seite und zog das Buch näher heran. Er nahm es in beide Hände langsam schlug er den Einband auf. Neugierig wanderte sein Blick über die Musterungen, die Sterne, der ersten Seite. Es kam noch eine, auf der die kleine Figur mit blauen Augen zu erkennen war. Hier sah man deutlicher, dass der Name überklebt wurde. Danach kam das Inhaltsverzeichnis, welches von dem blonden Wahnsinnigen ebenso überarbeitet worden war. Überall stand feinsäuberlich Seto und nicht Ojin, wie der kleine Vampir eigentlich hieß.
 

In dieser Nacht lehnte sich der brünette Firmenführer zurück, das Buch vorsichtig, beinahe andächtig auf seinem Schoß und bewunderte heimlich die schönen Seiten. Die Geschichten waren alle umgeschrieben worden, teilweise den Bildern angepasst, teilweise waren diese ebenso überarbeitet worden. Er las jede Zeile langsam, aufrichtig interessiert und sein Herz klopfte so schwer, dieser seltsame Druck war wieder da, wurde mächtiger und es war eine warme Freude, die sich in seiner Brust ausbreitete. Der kleine Vampir Seto begegnete dem weißen Drachen, dem Zauberer, nahm am Rat der Vampire Teil und wollte noch bis nach Sonnenaufgang wach bleiben. Dann kam das fünfte Kapitel und da stand es wieder. „Seto und ein Wheeler zum Nachtisch“! Der kleine Vampir wollte ganz alleine auf die Jagd gehen und traf plötzlich einen großen, struppig blonden Hund. Zuerst knurrte dieser den Kleinen an, der ihm eröffnete, dass er ihn aussaugen und fressen wollte. Wütend kam es zu einem Kampf, in dem sie beide feststellten, dass sie einander ebenbürtig waren. Der kleine Vampir war schneller und entkam den Bissen des Hundes, doch dem machten dafür die Angriffe des Blutsaugers nichts aus. Sie einigten sich auf ein Unentschieden und der Hund stellte sich als „Wheeler“ vor

In Kapitel 6 saßen die beiden nebeneinander und der Magen des kleinen Vampirs knurrte so laut, dass der Hund Mitleid mit ihm hatte. Also suchten sie nach einer Möglichkeit, wie Seto satt werden konnte. Sie sahen bei den Tomaten nach, doch die schmeckten nicht. Sie probierten andere Gemüsesorten, Milch, Honig und Tee… nichts konnte seinen Hunger stillen. Dann kam der Hund auf eine Idee und führte ihn tief in den Wald. Dort stand eine Pflanze, die Drachenfrucht genannt wurde und ganz besondere, blutige Früchte trug. Endlich konnte der kleine Vampir sich sattessen und mit glänzenden, blauen Augen meinte er, dass „Wheeler“ nun sein Freund wäre!

Mit einem sanften Ausdruck fuhren die eisblauen Augen über die schönen Bilder, die den wenigen Text untermalten, der eingeklebt war. Auf der letzten Seite saßen die beiden, der große Hund und der kleine Vampir, nebeneinander an einem See auf dem Steg und „Wheeler“ beobachtete hungrig den Fisch, der da aus dem Wasser sprang. Seto hingegen hatte seine Drachenfrucht in Händen und sein Mund war ganz rot verschmiert. Wie kam man nur auf so eine verrückte Idee? Vorsichtig schloss er das Buch, als wäre es ein besonderer Schatz.
 

Keiner der beiden wusste, dass ein uralter Zorn erwachte. Sie taten alles, um das Eis zwischen ihnen zu brechen und die Distanz zu verkleinern. Doch das war nicht das, was das Schicksal für sie wollte. Das war nicht das, was jemand bestimmtes für sie wollte. Sie durften nicht glücklich werden. So herrlich gefror diese grausame Frau sein Herz und seine Seele und nun schaffte es dieser verrückte Mann wieder alles zu verändern! Dass ihr nächster Abend all die schönen Gefühle vernichten sollte, wussten sie nicht. Seto legte das Buch vorsichtig in eine Schublade seines Schreibtisches, den seltsamen Brief dazu und huschte nun müde in sein Bett. Er hatte sich dafür entschieden, dass er Joey dieses Mal nicht bestrafen würde. Er hatte sich so viel Mühe gegeben und dies wollte er dieses eine Mal, nur dieses eine Mal danken.

Mit diesem Gedanken begann er zu träumen und blickte auf das Chaos. Mit einem Seufzen überlegte Seth, ob er den Kauf dieses Mal bereute. „Es… es tut mir wirklich leid. Es sollte eigentlich eine schöne Überraschung werden!“ Meinte der blonde junge Mann, der das Zeichen eines Sklaven trug. „Und was ist dann geschehen?“ Wollte Seth wissen und verschränkte genervt die Arme. Doch die Geschichte, die er nun zu hören bekam, und die Art, wie der junge Mann sie erzählte, ließen all seinen Ärger verrauchen. „Und so konnte ich Bakura gerade noch in die Flucht schlagen und eure Schriftrollen beschützen!“ Endete er nun mit diesem stolzen, glänzenden Blick in den braunen Augen und Seth musste lachen. „Dann werde ich heute gnädig sein und dich nur dazu verdonnern, dass du das alles hier wieder in Ordnung bringst!“ Meinte er mit einem Kopfschütteln und ließ den jungen Mann zurück. Ob er die 8 Goldstücke bereute? Oh ja, der Kerl hatte ihn jetzt schon deutlich mehr gekostet, aber er schaffte es immer wieder ihn zum Lachen zu bringen. Ehrlicherweise war er der einzige Mensch auf dieser Welt, der ihn je zum Lachen gebracht hatte.

Einsamkeit

Kapitel 26

Einsamkeit
 

Mokuba sprang auf, als sich die Tür öffnete und Joey endlich beim Frühstück erschien. Es war schon fünf nach sieben und der 17 Jährige wartete seit einer gefühlten Ewigkeit auf seinen Freund. Lachend und laut „Guten Morgen!“ rufend lief er auf Joey zu, um sich dann um dessen Hals zu werfen. Der Blonde war leicht in die Knie gegangen, fing ihn auf und musste kurz die Zähne zusammenbeißen. Seine Rippe schmerzte und so schluckte er leicht. „Du siehst verwegen aus mit der Wunde auf der Wange.“ Meinte Mokuba nun und musterte die Wunde, die langsam verheilt war. „Ja, ich vermute schon, dass ich diese Verwegenheit nicht mehr los werde. Wahrscheinlich behalte ich davon eine Narbe.“ Schmunzelte er und richtete sich vorsichtig wieder auf. Ein leichter Stich zog sich durch seine Brust.

„Warum fragst du mich danach, wann du hier sein sollst, wenn du nicht pünktlich bist?“ Erklang eine kühle Stimme und Joey blickte hinüber zum Tisch. „Dir auch einen schönen guten Morgen! Ich bin nicht davon ausgegangen, dass ich dich hier finde und war drüben im Speisezimmer.“ Konterte der 19 Jährige gelassen und kam nun auf den Tisch zu. Er trug ein weißes, ordentlich gebügeltes Hemd, die dunkelgrüne Krawatte war passend gebunden und der schwarze Gürtel wirkte neu. Misstrauisch musterte Seto seinen Sekretär, der heute so anders wirkte. Er war sich sicher, dass er weder diesen Gürtel noch diese Hose je bei ihm gesehen hatte. Sonst trug der junge Mann immer nur schwarze Jeanshosen, aber diese hier war aus Stoff und von verdammt guter Qualität.
 

„Außerdem wollte ich dir noch einmal die Möglichkeit geben, dass du an mir herum nörgeln kannst.“ Grinste Joey nun, dessen blonde Haare immer noch wirr und wild wirkten. Es war das erste Mal, das Seto über die Wunden seines Gegenübers nachdachte. Die Handinnenflächen und die Knie hatte sich Joey in dieser einen Nacht aufgescheuert und die Schnittwunde war noch immer deutlich zu sehen. Seinen Händen schien es wieder gut zu gehen und bisher waren ihm nur sehr wenige Situationen aufgefallen, in denen die angebrochene Rippe Probleme zu machen schien.

„Ich muss los, ich wünsche euch beiden noch einen guten Flug und stellt mir beide nichts an!“ Meinte Mokuba, der seine Schuluniform schon trug. Seine wilden Haare hatte er mit einem dunkelroten Band leicht zusammengenommen, damit sie ihm nicht ständig ins Gesicht fielen. Er stellte sich etwas auf die Zehenspitzen, obwohl er noch deutlich gewachsen war, kam der 17 Jährige nicht annähernd an die Größe seines Bruders heran. Joey zog den Jüngeren noch einmal in die Arme und drückte ihn sanft. „Ich geb mein Bestes. Aber ich kann nicht dafür garantieren, dass er wieder mit zurückkommt. Wenn er wieder so einen Scheiß wie mit der Pressekonferenz abzieht, setzte ich ihn einfach in Dubai an der Straße aus. Oder ich hänge ihm ein Schild um den Hals auf dem „zu verschenken“ steht und lasse ihn am Flughafen zurück!“ Neckte er Mokuba und dieser kicherte freudig. „Klar, logisch Joey, pass lieber auf, dass du nicht so endest!“ Verteidigte er nun seinen großen Bruder und hörte Joey lachen. „Keine Sorge, er würde mich nicht verschenken, er würde dafür noch Geld verlangen.“ Mit einem Grinsen sah er zu dem Brünetten, der mit überschlagenen Beinen am Esstisch saß. Er hielt seinen Becher in Händen und hatte seine rechte Augenbraue in die Höhe gehoben.
 

Zuerst begriff es Mokuba nicht, als Joey ihn leicht in die Richtung schob und erst bei einem Blick in die braunen Augen wurde ihm diese Geste bewusst. „Keine Sorge, wir haben dich lieb!“ Meinte er nun zu seinem großen Bruder und ging um den Tisch herum. Es war ein seltsames Gefühl, als er seinen Bruder in den Arm nahm, alte Erinnerungen von Vertrautheit und Geborgenheit kehrten zurück, die Mokuba nicht als seine empfand. Es wirkte beinahe so, als würde dieses Gefühl einer anderen Person gehören. Dennoch drückte Seto ihn leicht an sich, schloss für einen kurzen Moment die Augen und Mokuba wusste, dass es richtig war. „Mach du mir lieber keine Schande, mein Kleiner. Du wirst der einzige Kaiba in Japan sein und diese ganze Villa wird dir allein gehören!“

Mit einem schiefen Grinsen sah er zu dem Brünetten und gab frech von sich. „Na, dann muss ich ja aufpassen, dass die Presse nicht bemerkt, dass wir Kaibas auch nett sein können.“ Schmunzelte er und löste sich ganz von seinem Bruder, er griff nach seiner Schultasche, die über einem Stuhl hing, und machte sich auf den Weg. An der Tür drehte er sich noch einmal um und lächelte den beiden zu, dann verließ er die Küche, in der Seto und Joey nun alleine waren.
 

„Du weißt, dass er und Aiko die nächsten Tage hier wild feiern werden?“ Fragte Joey mit ernstem Gesichtsausdruck, den er bei dem auftauchenden Entsetzen in Setos Gesicht nicht lange halten konnte. „Oh Himmel, trink lieber deinen Kaffee zu Ende, du glaubst den Mist doch nicht etwa oder?“ Er setzte sich an den freien Platz, an dem die Schüssel noch unbenutzt war. Sein Blick fiel über die vielen kleinen Schalen und sein Herz ging auf. Es war ein traditionelles japanisches Frühstück und der Duft der Miso Suppe drang nun in seine Nase. Er hatte es eben gar nicht bemerkt, als Mokuba seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. „Greif ruhig zu, du verhungernder Hund.“ Schmunzelte Seto, als er den Blick des 19 Jährigen erkannte. Kurz sah dieser auf und wollte schon etwas sagen, griff dann aber einfach nach der Schale und füllte diese mit Suppe.

„Mhhhmmm… die ist richtig frisch zubereitet…“ Gab er mit geschlossenen Augen von sich, als er den ersten Löffel probiert hatte. „Wie ich dich beneide, dass kannst du jeden Morgen essen?“ Fragte er und wartete erst gar nicht auf die Antwort. „Du solltest wirklich anfangen morgens etwas zu essen!“ Gab er zwischen zwei weiteren Löffeln Suppe von sich und sah kurz zu dem Brünetten, der weiter seinen Kaffee trank.
 

Die Zeit verstrich und nachdem Joey auch noch Reis und den Rest des vorhandenen Fisches verdrückt hatte, die Schälchen mit dem Gemüse geleert, bemerkte er den erstaunten Gesichtsausdruck des Kaffeetrinkers neben sich. „Du wirkst wirklich, als wärest du verhungert.“ Meinte er ruhig, seiner Stimme fehlte der übliche Hohn. Ein „Ähm…“ war alles, was der Blonde von sich gab und Seto konnte die Rötung der sonnengebräunten Wangen beobachten. „Ach ja… ich wollte noch wissen… also… weil wir gerade beim Essen sind…“ Er blickte auf seine leere Reisschale und ließ die Essstäbchen sinken. „Gestern… also…“

„Ja, es hat mir geschmeckt.“ Diese Antwort kam so unerwartet, dass die braunen Augen erstaunt zu ihm aufsahen und ein leises Schmunzeln legte sich auf die schmalen Lippen des brünetten Mannes. „Ich verstehe nur nicht so ganz, wie jemand auf solch eine verrückte Idee kommen kann.“ Meinte Seto mit einem fragenden und wirklich verwunderten Blick.

Da war es wieder! Dachte Joey, als er die sanfte Beugung der schmalen Lippen erkannte. Es war nicht ganz das Lächeln, nachdem es ihn sehnte, aber auch dieses hier war so ehrlich, so ungetrübt und so wunderschön. Mut, Wärme und Hoffnung durchflossen Joey mit einem Mal und er musste breit grinsen, während er mit sicherer Stimme sprach. „Du wirktest so, als ob du einen Freund gebrauchen kannst. Außerdem dachte ich mir, dass du wahrscheinlich wieder nichts gegessen hast und da dein Deal lautete, dass du nur dann etwas isst, wenn ich etwas esse und ich mich schon das Wochenende hier durchgefuttert hatte, sah ich es nur als gerecht an, dass du auch etwas isst.“ Diese Erklärung wirkte so wahnsinnig und unlogisch, dass Seto Kopfschüttelnd die Augen schloss, nicht ohne aus seinem kleinen Lächeln ein breites werden zu lassen. Er entschloss sich lieber dazu, nicht weiter über die Tatsache nachzudenken, dass Joey ernsthaft gesagt hatte, er würde einen Freund brauchen.
 

Irgendwie wirkte der 22 Jährige heute nicht so finster, böse und offensichtlich schien er keine Rachepläne gegen ihn zu hegen. Joey hatte schon mit einer Predigt, einem bösen, sehr bösen Kommentar oder einer anderen Anfuhr gerechnet. Spätestens bei der Aussage, dass er der Meinung war, dass Seto gestern einen Freund gebraucht hätte, wäre eine Gegenwehr zu erwarten gewesen. Ob die noch kam? Ob er sich heimlich einen Plan zurechtlegte um ihn in Dubai so richtig vorzuführen?

Nachdenklich griff er nach einem Apfel, der mit einigen anderen in einer großen Holzschale lag. Daneben befand sich ein sauberes, scharfes Messer, welches er zum Schneiden nutzte. Vielleicht hatte er aber auch einfach Recht damit und Seto brauchte einen Freund, der eben genau solche verrückten Sachen machte. Musternd fiel sein Blick zu dem Brünetten, der aus dem Fester sah den Becher in den Händen. „Was war denn gestern los? Als ich dir das alles vor die Tür gestellt habe, hast du dich mit irgendwem so laut gestritten, dass ich es durch die Tür hören konnte.“ Fragte Joey nun und steckte sich eines der geschnittenen Apfelstückchen in den Mund. Langsam, verwundert wanderten die blauen Augen vom dunklen Himmel draußen vor dem Fenster hinüber zu dem sonnengebräunten Gesicht, doch eine Antwort gab er nicht. „Komm, ich werde es sicher nicht weitererzählen und davon abgesehen, wer würde mir schon glauben?“ Das schien ein Argument zu sein, kurz regte sich etwas in den eisblauen Augen, die Lippen öffneten sich leicht, doch dann hob Seto nur den Becher, um etwas zu trinken. In dem Becher musste doch jetzt kaum noch etwas drin sein, das war doch nur ein Ablenkungsmanöver! „Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass es eine Frau war!“ Meinte Joey nun provozierend.
 

Die blauen Augen starrten ihn einen Moment an und dann seufzte er. Dieser unglaublich seltsame und verdammt verrückte Kerl! Als ob es ihn wirklich interessieren würde, warum er sich gestern gestritten hatte. „Ja, es war eine Frau!“ Knurrte er nun leicht verstimmt und erhob sich mürrisch. „Um genauer zu sein, es war die Frau, bei der ich dieses Wochenende war.“ Meinte er und schritt hinüber zur Kaffeemaschine, unter die er seinen Becher stellte. Seine Gedanken schweiften zu dem vorletzten Abend, er dachte an die seltsamen Nachrichten, die er mit Joey getauscht hatte. Kurz warf er einen musternden Blick zu dem Blonden, der ihn weiterhin auffordernd ansah.

Seto wartete, bis er das Geräusch des fließenden Kaffees hören konnte und begann von neuem. „Die kürzeste Variante lautet, dass sie eifersüchtig auf dich ist, weil ich ihr nicht meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte und stattdessen mit dir gechattet habe. Ich habe sie diesbezüglich belogen und sie hat deswegen mein Handy durchsucht und den Nachrichtenverlauf gelesen.“ Joey ließ entsetzt das Messer sinken und sein Mund blieb etwas offen stehen. Er wusste noch nicht, ob er Aufgrund der Ehrlichkeit des Brünetten so reagierte oder wegen dem Inhalt der Geschichte. Sie war auf ihn, auf Joey Wheeler, eifersüchtig? So viel hatten sie doch gar nicht geschrieben… oder gechattet, wie es wohl genannt wurde. „Und warum hast du ihr nicht einfach gesagt, dass du mit deinem Sekretär schreibst? Warum sollte sie das nicht wissen?“
 

Der Brünette griff nach dem vollen Becher, kam zu seinem Platz zurück und fragte nun seinerseits. „Warum muss sie es wissen?“ Die eisblauen Augen beobachteten, wie sich der Mund des Blonden öffnete und sich wieder schloss. „Du bist immerhin das Wochenende zu ihr geflogen oder?“ Versuchte er einen Anfang und bemerkte, wie sich die Augenbraue des 22 Jährigen in die Höhe schob. „Na ja, was wolltest du denn bei ihr? Ich bin jetzt mal ehrlich und gehe davon aus, dass du nicht wegen eines Vertrages dorthin geflogen bist. Du streitest dich nicht mitten in der Nacht mit Vertragspartnern. Also wolltest ihr zwei doch ganz offensichtlich die Zeit zusammen verbringen und euer privates Vergnügen daraus machen.“ Die Augenbraue wanderte weiter in die Höhe. „Sprich ruhig weiter!“ Forderte ihn Seto auf und der Blonde schluckte. Warum hatte er das Gefühl in einem dunklen, tiefen Wald zu stehen und gleich von einer Horde Wölfe gefressen zu werden?

„Ich meine ja nur, du… also… warum hast du eigentlich mit mir geschrieben?“ Fragte er als Ablenkungsmanöver und bemerkte, wie Seto den Becher sinken ließ, den er gerade zum Trinken gehoben hatte. Langsam beugte er sich vor und die eisblauen Augen hatten einen so seltsam überheblich grausamen Ton. „Du warst es, der mich angeschrieben hat! Erinnerst du dich noch?“ Blut schoss erneut in die sonnengebräunten Wangen und Joey versuchte sich so weit zurückzulehnen, wie es ging. „Willst du mir jetzt sagen, dass ich nicht hätte antworten müssen?“ Fragte Seto provozierend und hörte das deutliche Schlucken des 19 Jährigen, sein Lächeln bekam einen fiesen Zug.
 

Wie kam er denn jetzt bitte in diese Situation? Irgendwie hatte er sich das anders vorgestellt. Nicht zurückweichen, dachte er sich noch und versuchte einen ernsten Gesichtsausdruck aufzusetzen. „Aber wir haben ja nicht so viel geschrieben, dass sie eifersüchtig sein könnte oder?“ Fragte er hoffungsvoll und ein anderer Gedanke kam ihm in den Sinn. Nachdenklich griff er nach einem neuen Apfel und begann diesen zu teilen. „Wie ist sie so?“ Fragte er mit einem Mal und sah dann wieder aus seinen braunen Augen zu dem 22 jährigen Firmenführer auf. „Ich meine, sie streitet sich mit dir, sie ist offensichtlich eine Frau, die du als so lohnenswert ansiehst, dass du extra das Wochenende um die halbe Welt fliegst, um sie zu besuchen. Sie muss ja schon etwas Besonderes sein oder?“

Diese Frage warf den Brünetten aus seinem Konzept und er dachte wirklich darüber nach. Schweigend lehnte er sich wieder zurück, nahm einen Schluck seines Kaffes und in dem Moment griff Joey nach einigen Apfelstücken, die er in die saubere Schüssel vor Seto fallen ließ, ohne dass dieser es bemerkte. „Geboren ist sie in Irland vor 23 Jahren. Sie ist temperamentvoll, wild, sie hat feuerrote Haare, einen verdammt starken Charakter und einen unglaublichen Dickkopf. Sie kann es auf den Tod nicht leiden, wenn sie nicht bekommt, was sie will. Sie ist besitzergreifend und hat einen sehr ausgefallenen Geschmack. Sie lieb ihre Arbeit…“ Seto überlegte, ob ihm noch etwas einfiel. „… sie ist sehr eigen im Bett.“
 

Er konnte spüren, wie der letzte Satz seine Wangen dunkelrot färbte und so konzentrierte sich Joey lieber wieder auf das Entkernen des Apfels. „Das klingt ja so, als ob du sie magst. Und sie scheint zu dir zu passen.“ Antwortete er so verlegen und Seto blickte ihn schweigend an. „Vielleicht passt sie zu gut zu dir.“ Diese Worte kamen nach einer geschätzten Ewigkeit und der Brünette wirkte ehrlich überrascht. „Das wirst du mir erklären müssen.“ Meinte er fordernd und ließ seinen Becher wieder sinken, um nun seine ungeteilte Aufmerksamkeit dem Blonden widmen zu können. „Du wirst dich nicht bei ihr entschuldigen oder?“ Begann Joey seine Erklärung und sah nur kurz zu Seto, um dessen eisigen Blick zu erhaschen. „Warum sollte ich? Sie hat meine Sachen durchsucht!“
 

„Weil sie genauso denkt wie du! Ich versuche dir zu helfen, ich versuche die eisige Tiefkühlschicht zwischen dir und Mokuba endlich abzutauen, verhelfe dir zu einem wirklich guten Wochenende mit deinem Bruder, von dem er mir die letzten Tage immer noch vorgeschwärmt hat und als Dank dafür demütigst du mich vor der ganzen Welt.“ Er sah auf, hielt im Schneiden der entkernten Apfelstücke inne. „Das ist die gleiche, dumme Logik, die hinter ihrer Aktion steckt. Weil du ihr nicht all deine Aufmerksamkeit geschenkt hast, durchsucht sie dein Handy. Wenn ich raten müsste, wird sie sich nicht bei dir entschuldigen und ihr beide werdet euren Dickkopf darin ausleben, dass sie dich provoziert und sich den nächstbesten Kerl schnappt, den sie finden kann. Auch auf die Gefahr hin, dass du mich gleich einen Kopf kürzer machst, aber der Kerl wird garantiert nicht mehr glücklich werden. Wahrscheinlich sogst du dafür, dass er wegen einer Lappalie die nächsten fünf Jahre im Knast landet oder du nimmst ihm sein Geld, sein Vermögen, seinen Ruf… sein gesamtes Leben! Aber du würdest ihr niemals sagen, dass du eifersüchtig bist. Also willst du sie ärgern und dazu bewegen, dass sie wieder zu dir kommt. Du suchst dir jemanden, dem dann… oh wie unerwartet, das gleiche passiert, wie dem armen Kerl, der sich mit ihr eingelassen hat. Wegen falsch Parkens drei Jahre Gefängnis?“ Joey sah den Brünetten direkt an und führte seine Überlegungen weiter. „Das wird bei euch immer weiter gehen bis ihr euch wieder gegenübersteht und nach dem dann auftretenden Massaker wird aus eurem Zorn Leidenschaft und… du kannst dir sicher vorstellen, was dann passiert!“ Er war nun dunkelrot angelaufen und konnte den Blick nicht mehr heben.
 

Das war passend! Für einen Moment konnte Seto nichts sagen, nicht einmal denken. Joey hatte sehr treffend beschrieben, wie es zwischen ihm und Viktoria weiter gehen würde. So war es immer! Hatte sich je einer bei dem anderen entschuldigt? „Und was schlägst du vor?“ Diese Worte waren die einzige Reaktion, die ihm jetzt einfiel. Es lag so viel Wahrheit in Joeys Aussage, dass sein Herz innerlich gefror. Er liebte diese Frau doch! Oder? Er wollte sie heiraten und mit ihr den Rest seines Lebens verbringen! Immerhin hatte er immer das Gefühl gehabt, dass sie die einzige war, die er als gleichgesinnt, als gleichwertig ansehen konnte.

„Du solltest sie nie wieder sehen!“ Diese Worte brachen nach einer Ewigkeit in den Raum ein, der sich mit kalter Stille gefüllt hatte. Joey sah ihn nicht an, er hatte die Hände sinken lassen, in denen er das Messer und einen viertel Apfel hielt. Seto starrte ihn schweigend an und versuchte den Schmerz zu verstehen, der da eben in seinem Herz explodiert war. „Ich meine, wenn du sie nicht liebst. Außerdem bin ich gar nicht dazu fähig, eine wirkliche Meinung abzugeben. Ich kenne sie ja nicht und vielleicht schätze ich sie ganz falsch ein. Ich hatte ja auch nicht erwartet, dass du so… nette Seiten hast! Nur… wenn ich recht habe,… dann tut sie dir nicht gut. Wenn man jemanden mag, dann sollte man ein angenehmes Gefühl haben, wenn man an denjenigen denkt. Es sollte schön sein, freudig und warm und man sollte sie vermissen, wenn man die Person lange nicht gesehen hat. Ich habe Mai wirklich geliebt, aber keiner von uns war bereit auf den anderen zuzugehen, wir haben es nicht geschafft Kompromisse zu akzeptieren und uns war unser eigener Dickkopf immer wichtiger als der andere. Irgendwann hat sie ihre Sachen gepackt und war einfach weg. Sie ging ohne sich zu verabschieden, ohne eine Nachricht und ich Trottel habe sogar noch auf sie gewartet.“ Ein trauriges Lächeln lag auf den Lippen des Blonden.
 

„Tea hat mich damals gefragt, wie ich mir die Frau meiner Träume vorstelle.“ Meinte er plötzlich und lächelte schüchtern. „Ich glaube, mir ist es einfach nur wichtig, dass ich ihr vertrauen kann. Ich will mir sicher sein, dass es gleich ist, was auch immer passiert, sie wird bleiben. Ich will, dass sie weiß, dass ich für sie bis ans andere Ende der Welt reisen würde, um sie wieder zu finden. Ich will an sie denken und mein Herz soll wild schlagen vor Freude und jede Sekunde, die ich nicht bei ihr bin, kann nicht die schönste meines Lebens sein.“ Die braunen Augen leuchteten und Seto nahm noch einen Schluck Kaffee. Vertrauen? Vertraute er ihr? Weder Ehrlichkeit noch Vertrauen waren in dieser Beziehung bisher interessant gewesen. Sie existierten eigentlich nicht. „Wenn du endlich zu Ende gefrühstückt hast, hol deine Sachen!“ Das war der einzige Kommentar und Joey spürte, dass dieses Gespräch beendet war. Seto schien ihm den Kopf für seine Worte nicht abreißen zu wollen und was auch immer er dachte, er würde es dem Blonden nicht sagen, da war sich Joey sicher. Kurz blickte er den 22 Jährigen an und dann nickte er. „Gut, ich… wir treffen uns dann gleich unten am Eingang?“ Fragte er noch und erhob sich. Sein Blick fiel auf den nur teils geschnittenen Apfel. Egal, das machte jetzt eh keinen Sinn, er hatte ihn ja nicht für sich selbst gemacht.
 

Als Joey die Küche verlassen hatte, blieb ein Mann mit unendlichen Zweifeln zurück. Hatte Joey Recht? Sollte er sie nie wieder sehen? Die Frau, mit der er sein Leben teilen wollte? Nein, der Kerl hatte sie perfekt beschrieben, genauso würde es ablaufen und wahrscheinlich hatte sie gestern Abend schon überlegt, wie sie ihn am besten demütigen und bestrafen konnte. Unsicher kaute er auf seiner Unterlippe herum und sein Blick bemerkte die kleinen Apfelstücke in seiner Schale. Joey musste sie dort hingelegt haben. Bei allen verfluchten Göttern, er war ja nicht besser. Die boshafte Freude, die sich bei der Vorstellung ihres entsetzten Gesichtes einstellte, konnte er doch jetzt schon spüren. Er wäre in einigen Stunden in Dubai und natürlich würde er die Nacht nicht alleine verbringen. Natürlich hatte er nichts dagegen, das so offensichtlich zu gestalten, dass es am nächsten Morgen in der Zeitung stand! Sie waren wie Wölfe, die umeinander herumstrichen und nach der Schwäche des anderen suchten. Sie liebten es, sich gegenseitig zu quälen und plötzlich fragte sich der Brünette, ob das wirklich Liebe war. Nachdenklich griff er nach einem kleinen Apfelstück und saß es.

Joey hatte ja schon Recht, wenn er an seinen Bruder dachte, dann war das meistens ein schönes Gefühl. Besonders in den letzten Tagen, die leuchtenden Augen seines kleinen Bruders, seine aufgedrehte Art… ja, er war sich sicher, dass war eine Art der Liebe, die er auch empfand. Aber konnte man die Liebe zwischen Geschwistern mit „der Liebe“ vergleichen? Während er auch das letzte Stück der geschnittenen Äpfel aß, fragte er sich bedrückt, ob er je wirklich über dieses Thema nachgedacht hatte. Klar, als er sich entschied ihr einen Antrag zu machen, da hatte er sich darüber Gedanken gemacht. Aber früher… als Kind? Als heranwachsender junger Mann? Es gab die Schule, die Firma, seinen Bruder und… Duell Monster, das war alles. Er begann irgendwann mit Frauen zu schlafen, fand Interesse an Intimitäten mit Männern, aber eine Beziehung, Liebe… darüber hatte er nie nachgedacht, es war immer nur Sex gewesen.
 

Verwirrt und ein wenig sauer zog er die anderen Apfelstücke heran, die bei Joey lagen. Er hatte Hunger! Er brauchte jetzt Zucker! Warum schaffte es dieser Köter plötzlich alles in Frage zu stellen, was ihm bisher so sicher erschien? Das war doch nicht fair! Entschied er wütend und erhob sich. Jetzt machte er sich über so etwas Überflüssiges wie Liebe Gedanken! Das war ja schrecklich! Vertrauen! Wer benötigte schon Liebe und Vertrauen? Damit griff er nach dem letzten Viertel Apfel und nahm seinen Becher Kaffee. Er würde jetzt seine Sachen holen und dieses Thema lassen. Joey hatte Recht, er kannte Viktoria nicht und er kannte ihn ebenso wenig! Woher wollte er schon wissen, ob er diese Frau wieder sehen sollte oder nicht? Er hatte es ja nicht einmal lang genug mit Mai ausgehalten! Joey war sicher niemand, den er nach Beziehungstipps fragen sollte.

Ein kalter Schauer lief über seinen Rücken und er blieb in der Küchentür stehen. Mit bleichem Gesicht drehte er sich um, starrte auf den leeren Tisch und eine Erkenntnis traf ihn, die ihm an diesem Morgen den Boden unter den Füßen weg ziehen wollte. Er hatte niemanden! Es gab niemandem in seinem Leben, den er danach fragen konnte. Es gab niemanden, denn er wegen der Probleme mit seinem Bruder fragen konnte… es gab eigentlich kein privates Problem, mit dem er bei irgendjemandem in seinem Leben nach Rat fragen konnte. Das grausame Gefühl der Einsamkeit schwappte über ihn, umspülte ihn und raubte ihm für einen Moment den Atmen. Aber sollte die Frau, die er liebte, die er für den Rest seines Lebens an seiner Seite wollte, nicht genau diese Hilfe geben? Sollte sie nicht an seiner Seite stehen und ihm helfen, so wie er ihr helfen sollte? Selbst sein bester Freund Patrick war nicht besser. Im Grunde gab es nichts Privates, das sie verband. Wenn ihre gemeinsame Grausamkeit nicht wäre und der verdammt gute Sex, gab es keine Gemeinsamkeiten zwischen ihnen!
 

Er war allein! Er war völlig allein! Selbst Mokuba hatte er beinahe verloren! Diese Erkenntnis traf ihn im zweiten Zuge wie ein Schlag. Wankend hielt er sich an der Wand fest, machte sich langsam auf den Weg in sein Zimmer. Alles, das bis eben noch Bestand hatte, löste sich vor seinen Augen auf. Verzweifelt versuchte er sich zu sagen, dass er all das nicht brauchte. Er brauchte niemanden, den er um Rat fragen musste! Er war Seto Kaiba! Ein Kaiba fragte nicht um Rat! Er wusste, was er zu tun hatte und wenn er es nicht wusste, dann…

Verzweifelt zog er die Tür hinter sich zu, lehnte sich mit dem Rücken an diese. Genau das war der Grund, warum er Mokuba beinahe verloren hatte! Noch immer war er sich unsicher, wie er mit seinem eigenen Bruder umgehen sollte. Er drehte den Kopf, starrte aus leeren Augen zu dem weißen Drachen mit eiskaltem Blick. Er dachte an die geschriebenen Worte von Pegasus, die er ihm zu diesem Bild geschickt hatte. Er war wie der Drache; starsinnig, einsam und viel zu stolz, um sich das einzugestehen. Nein… nein! Was sollte das werden? Nur weil dieser Dummkopf von Vertrauen und Wärme sprach, hieß das noch lange nicht, dass seine eigene Welt in Zweifel geraten musste. Er hatte sich entschieden, er liebte diese Frau, er wollte sie heiraten! Wer außer ihr sollte ihm je gewachsen sein? Erschöpft und innerlich zerfressen setzte er schwer einen Fuß vor den anderen, ließ sich auf das Bettende sinken und umklammerte den Becher mit beiden Händen.

Wann würde dieses Gefühl wieder gehen? Er dachte an Guzaburus Worte, seine Stimme hallte in der Luft wider und sein Lachen erfüllte jeden Gedanken. ‚Freunde, Liebe, Vertrauen? Was denkst du, wer du bist? Du hast mich dazu gezwungen, dich und deinen erbärmlichen Bruder zu adoptieren, nun lebe mit den Konsequenzen deiner Tat. Oder willst du mir sagen, dass du aus Liebe und Güte gehandelt hast, als du mich zum Schachspiel herausgefordert hast? Dir ging es doch nur um mein Geld, um die Möglichkeiten, die dir mit dem Namen Kaiba offen stehen! Du bist genauso wie ich, nichts weiter als ein kaltblütiges Monster! Du nimmst dir, was du als dein ansiehst, also wage es nie wieder mir so einen Schwachsinn zu erzählen! Und wehe, deine nächsten Noten sind schlechter geworden!‘
 


 

Das Klopfen an der Tür ließ ihn zusammenfahren. „WAS?“ Donnerte seine gereizte Stimme durch den Raum und dennoch öffnete sich die Tür. Joey stand dort, den schwarzen Mantel geöffnet und den Schal in der Hand. „Na ja, ich warte da unten jetzt seit 20 Minuten auf dich und normalerweise ist das andersherum. Ich wollte nur sicher gehen, dass ich nicht träume.“ Die honigbraunen Augen musterten den 22 Jährigen, der noch immer auf dem Bett saß und erwartete nun keine Antwort mehr. Da war es wieder, da war wieder dieser Ausdruck in den blauen Augen, den er schon gestern gesehen hatte. Nur dieses Mal schien die Schicht Eis nicht so stark, nicht so dick zu sein wie am Abend zuvor.

Ob das, was er nun tat, gut war, bezweifelte er ehrlich, aber etwas Besseres fiel ihm nicht ein. Mit einer Bewegung zog er die Tür hinter sich zu, den Mantel aus und legte diesen über den Stuhl des Schreibtisches. Ohne zu zögern ging er auf Seto zu, ließ sich vor ihm in die Hocke sinken und als der Brünette die Arme zurück zog, lehnte sich Joey mit den Ellbogen auf dessen Knie. Die honigbraunen Augen sahen direkt zu dem 22 jährigen Firmenführer auf und er grinste verdammt breit. „Ich kenne diesen Blick, auch wenn ich ihn bei dir nicht erwartet habe. Normalerweise sind eher solche Kindsköpfe wie Yugi dafür anfällig. Also, wir haben jetzt drei Möglichkeiten. 1. Du erzählst mir, was los ist und ich erkläre dir, warum das völliger Schwachsinn ist. Zumindest kann ich das bei Yugi immer, der sich völlig umsonst Sorgen macht. Ich gehe mal nicht davon aus, dass es auch nur ein einziges Universum gibt, in dem du mir jemals erzählen würdest, was los ist. Kommen wir also gleich zu Variante zwei! 2. Du freust dich darüber, dass du mich drei Tage lang ärgern, demütigen und quälen kannst, schnappst deinen Koffer und wir machen uns auf den Weg oder 3. Du sagst mir, wen ich anrufen muss, um ihnen mit meinem grauenhaft schrecklichem Englisch zu erklären, dass du mit einer schweren Grippe im Bett liegst, Fieber hast und wir den Termin leider verschieben müssen!“ Die braunen Augen leuchteten ihn an, das Grinsen blieb und Joey versuchte krampfhaft keinen Gedanken zu haben, denn alles in ihm schrie panisch, dass das hier das Dümmste war, dass er je getan hatte.
 

Seto schien das ebenso zu sehen. Er starrte den Blonden einfach nur an, unfähig zu reagieren. Da hockte wirklich Joseph Wheeler vor ihm, die Arme auf seine Knie gestützt und grinste ihn bei solchen Worten an? Er drehte sich um, starrte kurz auf das Bett, dann wieder zu Joey. „Also, wenn das ein Traum ist, träumen wir beide den gleichen!“ Joeys Stimme klang noch immer verdammt selbstsicher und der Druck auf Setos Knien schien mit einem Mal wie ein Anker, der ihn im Hier und Jetzt festhalten wollte. „Was ist mit der vierten Möglichkeit, dass ich dich einfach quäle, demütige und foltere ohne daran Freude zu haben?“ Dass er diese Worte wirklich sagte, konnte er erst fassen, als seine eigene Stimme in seinen Ohren widerklang. „Nö!“ Entgegnete der Blonde. „Warum?“ Fragte Seto, noch immer nichts denkend. „Ich lasse mich nur von dir demütigen, wenn du Spaß daran hast!“

Ein Blinzeln, Seto versuchte diese Worte zu verstehen. „Das macht keinen Sinn!“ Entgegnete er mit einer unerwarteten Entrüstung und Leben schien wieder mit einem Schlag in seinen Körper und seinen Verstand zurückgekehrt zu sein. „Ich weiß!“ Grinste ihn der Blonde noch immer an und nun noch breiter. Der Brünette wollte etwas sagen, öffnete den Mund und schloss ihn wieder. „Du redest Schwachsinn!“ Schimpfte Seto nun und in die blauen Eisaugen trat ein Gefühl, das zwischen Entrüstung und Wut lag. „Ich weiß!“ Antwortete Joey wieder und Seto war noch immer wie vor den Kopf gestoßen. „Warum?“ Fragte er nun direkt und versuchte seine aufgewühlten Gedanken zu verstehen.
 

Doch Joey lachte nur, ließ sich auf seinen Hinter fallen und setzte sich im Schneidersitzt auf den Boden. „Tja, kannst du dir aussuchen. Entweder, weil ich ein Wheeler bin oder weil ich in deinen Augen ein dummer Straßenköter bin oder weil ich vor habe, dich gleich niederzuschlagen, raus zu gehen und so zu tun, als hättest du das alles nur geträumt!“

Es waren die letzten Worte, die das erste Schmunzeln auf die schmalen Lippen zauberten. Joey konnte sehen, wie der Brünette zuerst darüber nachdachte, die Augenbrauen zusammenzog und dann, nach einer schieren Unendlichkeit ein leichtes Lächeln auf die schmalen Lippen trat. „Du willst mich niederschlagen und so tun, als wäre nichts geschehen?“ Seto schwankte zwischen Belustigung und Erstaunen, begriff nur nebenher, dass das Grinsen auf Joeys Gesicht noch breiter wurde. „Klar, Schlafmittel konnte ich ja nicht mehr in deinen Kaffee rühren. Also MUSS ich dich niederschlagen!“ Das Schmunzeln wurde breiter, Seto schloss die Augen, als konnte er damit das Gesagt ungeschehen machen. Doch dabei entkam ihm dieses leise, ehrliche Lachen, welches nur langsam deutlicher, lauter wurde.
 

Dieses Lachen war so schön! Offensichtlich hatte er endlich erreicht, was er wollte. Seto hatte wirklich begonnen zu lachen. Es war wieder dieses ehrliche, offene Lachen, nur dieses Mal etwas zurückhaltender und deutlich leiser. Siegessicher hob Joey die Faust in die Luft und meinte freudig. „Mission erfüllt!“ Nach einem Räuspern tat er so, als hielte er etwas in der Hand, seine Stimme hatte einen gekünstelten, hohen Ton. „Memo an mich selbst: Gemeinsamkeit zwischen Yugi Moto und Seto Kaiba gefunden. Übermäßiges quatschen von völligem Schwachsinn bringt sie zum Lachen! Memo an mich selbst 2: Niemals irgendjemandem davon erzählen!“ Er schielte zu dem Brünetten, der nun verwirrt schien. „Was? Du kennst nicht die Zeichentrickserie zu „101 Dalmatiner“?“ Fragte er entsetzt und Seto schüttelte den Kopf. „Ah, das war Cruella De Vil mit ihrer berühmten „Memo an mich selbst“, die sie immer in ihr kleines Diktiergerät spricht.“ Ein Kopfschütteln. „Echt? Du enttäuscht mich! Aber den Film von Disney kennst du oder?“ Ein Kopfnicken. „Die Serie spielt danach, die beiden haben sich eine Farm gekauft, auf der sie mit ihren 101 Dalmatinern leben und Cruella will immer noch die Hunde kaufen und die Farm, die zufällig direkt neben ihrer Villa liegt. Oder sie versucht die Farm bankrott zu machen, damit sie die Hunde verkaufen müssen! Das gelingt ihr natürlich nie, weil die kleinen Hunde das verhindern und sie steht dann immer mit ihrem Diktiergerät da und meint. Memo an mich selbst: Neuen Pelz kaufen, weil ich den Schlamm nie wieder aus diesem Mantel bekomme! Oder so etwas in der Art.“ Erklärte Joey und konnte beobachten, wie sich die Augenbrauen des anderen zusammen zogen und er wirklich verwundert wirkte.
 

„Eine der wenigen Serien, die mir gefallen haben. Ich musste dank meiner kleinen Schwester alle, wirklich alle Disney Filme sehen. Angefangen von Ariel, die Meerjungfrau, über Schneewittchen, die Schöne und das Biest, Dornröschen, bis hin zu den neuartigen „Küss den Frosch“ Filmen. Bei „Verzaubert“ bin ich zum Glück eingeschlafen und allen lieben Göttern sei gedankt, Fluch der Karibik gehört auch mit zu Walt Disney!“ Erzählte Joey ausschweifend, untermalte dieses mit wilden Gesten.

Nachdenklich beobachtete der Brünette ihn und schwieg. Er wusste nicht, was Joey da tat und schon gar nicht, warum er es tat! Seine Nähe war angenehm, er verscheuchte das brennende Gefühl der Einsamkeit, welches ihm vorhin den Atem geraubt hatte. Seine freudigen Erzählungen übertöten die Stimme seines Adoptivvaters und der Blödsinn, den er von sich gab, ließ irgendwie all die Sorgen verklingen. Es schien wie ein Zauber, der das ganze Zimmer erfüllte und all die schlimmen Gefühle verbannte. Aus diesem Gedanken heraus kam es zu der Kurzschlussreaktion, die eine weitere Mauer zwischen ihnen einreißen sollte. „Meinst du, dass ich das mit Mokuba wieder hinbekomme?“ Es war das erste Mal, das eine offensichtliche Unsicherheit in seiner Stimme mitklang und inständig hoffte der Brünette, dass Joey sich nicht allzu viel Zeit mit einer Antwort ließ. Schon jetzt hasste er sich für diese Frage, warum musste er sie ausgerechnet Joey stellen?
 

Doch die braunen Augen sahen ihn nur an und nun waren es die blonden Augenbrauen des 19 Jährigen, die sich zusammenzogen. Er öffnete kurz den Mund, wollte etwas sagen, schwieg aber schlussendlich doch. „Darüber machst du dir Gedanken?“ Eine Antwort konnte er nur in den blauen Augen lesen, sie wirkten so aufgewühlt und Joey hatte das Gefühl in einen wilden Ozean zu blicken. Nun lehnte sich der Blonde vor, stützte sich mit den Ellenbogen auf seinen eigenen Knien ab und sah den 22 jährigen Mann ernst an. „Es gibt nichts, dass du wieder hinbekommen musst, du Dummkopf!“

Er hätte Seto wahrscheinlich auch mit einem Stück Holz vor den Kopf schlagen können, der Ausdruck in den blauen Augen wäre nicht anders gewesen. Allein sein Gesicht versuchte regungslos zu bleiben und angespannt pressten sich die schmalen Lippen aufeinander. „Du liebst ihn und er liebt dich! Das ist das einzige, dass ihr zwei wissen müsst. Er ist dein kleiner Bruder, nur ist er keine 12 Jähre mehr alt. Mokuba hat sich weiterentwickelt, er hat neue Interessen, er hat ein eigenes Leben, er interessiert sich mittlerweile für Frauen! Natürlich klebt ihr zwei nicht mehr aneinander wie Kaugummi und eure Streitereien entstehen, weil er den gleichen dummen Sturkopf hat wie du und weil er gerade mitten in der Pubertät steckt. Ihr zwei müsst einfach nur wieder mehr Zeit miteinander verbringen, ihr müsst euch einfach wieder aufmerksamer gegenüber sein.“
 

Natürlich bemerkte er die Erleichterung, die sich in die blauen Augen schlich, sah, wie sich die schmalen Lippen entspannten und sich nicht mehr gewaltvoll aufeinander pressten. „Bei meiner Schwester und mir war es auch nicht gleich so perfekt. Wir haben uns gestritten, sie war plötzlich wieder hier in Japan, weg von ihren Freundinnen in Amerika und ihre Mutter war tot. Ich habe versucht sie zu verstehen, aber diese Frau ist mit meiner kleinen Schwester vor Jahren verschwunden und hat mich bei einem Vater zurückgelassen, mit dem ich mich nie verstanden habe. Ich war wütend auf sie, irgendwie auch froh, dass sie nicht mehr da war, aber für Serenity war es ihre geliebte Mutter, bei der sie aufgewachsen ist. Sie ist ein Mädchen, sie mag Mädchen Sachen, von denen ich keine Ahnung habe und teilweise auch nicht will! Ich muss mich mit „Mädchenabenden“, „Kosmetiktreffen“, Ohrlöchern und Antibabypillen auseinandersetzen. Ich wusste nicht einmal, dass Frauen zwei Mal im Jahr zum Frauenarzt gehen und ich kann weiß Gott darauf verzichten! Sieh mich nicht so an!“
 

Die Wangen des Blonden hatten ordentlich an Farbe zugelegt und er hob abwehrend die Hände. „Das sind alles Dinge, mit denen du dich niemals herumschlagen musst.“ Kurz hielt Joey inne. „Außer du heiratest und bekommst eine Tochter! Obwohl, dann hast du eine Frau, die sich darum kümmern kann!“ Er seufzte und ließ die Schultern und die Arme hängen. „Wir beiden haben uns gestritten, angeschrien und ich habe feststellen dürfen, dass Frauen klasse darin sind Fehler zu machen und dafür zu sorgen, dass du dich schuldig fühlst. Die Kunst ist dabei einfach nur den anderen zu verstehen, zu kennen. Wenn du wieder mehr Zeit mit Mokuba verbringst, werden dir die ganzen Kleinigkeiten von alleine auffallen. Was er mag, was er nicht mag, womit du ihm eine Freude machen kannst. Wenn du ein wenig aufmerksam bist, musst du schon eher aufpassen, dass du ihn wieder los wirst. Ihr zwei habt so viel gemeinsam durchgestanden, da ist nichts kaputt zwischen euch, ihr müsst nur wieder miteinander reden.“ Er lächelte aufmunternd und stellte fest, dass auch Seto leicht die Mundwinkel hob. „Schau mit ihm den nächsten Teil von „Die Tribute von Panem“ darauf freut er sich das ganze Wochenende schon.“
 

Er wartete noch einen Moment und nachdem der Brünette nichts mehr dazu sage, löste er die Verschränkung seiner Beine und stand mit einer kräftigen Bewegung wieder auf. „Na komm, trink deinen Kaffee aus und schnapp dir deinen Koffer damit wir los kommen. So bequem dein Fußboden auch ist, diese Klamotten sind es nicht. Meine Güte, wie ich meine ausgefransten Jeans und meine alten Pullover vermisse. Und den Geruch von gehobelten Spänen, das Geräusch von Hammerschlägen, ja, ich vermisse sogar die dummen Bemerkungen unseres Gesellen.“ Joey hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und blickte zum Fenster hinaus.
 

Sein Herz hatte in diesem Moment etwas verstanden, dass sein Bewusstsein noch leugnete. Joeys Worte von gestern stimmten, er brauchte einfach nur einen Freund. Der Gedanke, dass Mokuba gar nicht mehr so weit von ihm entfernt war, dass ihre wacklige Beziehung bald wieder auf festem Boden fußen konnte, erfüllte ihn mit Hoffnung und Wärme. „Das ist gar kein Problem. Ein Wort von dir und du kannst Morgen wieder in deiner alten Jeans herumlaufen. Ich bin sogar so großzügig und bezahle dich bis zum Ende des Monats. Nur eine Frage, bist du derjenige, der deine Aufgabe bekannt gibt oder überlässt du mir diese Freude?“ Fragte Seto nun, während er sich erhob. In die blauen Augen war wieder die übliche Stärke getreten und seine Haltung sprach von Provokanz und Selbstsicherheit.

Da war er wieder, der Seto Kaiba, der für alles einen dummen Spruch parat hatte. Joey war sich nicht sicher, ob die Sache mit Mokuba allein der Grund für dieses unerwartete Stimmungstief war. Wenn etwas Seto Kaiba aus der Bahn warf, musste es verdammt mächtig sein. Ob seine Worte vorhin in der Küche dafür verantwortlich waren? „Vergiss es! Als ob ich mir entgehen lasse, dass du mich in aller Öffentlichkeit loben und beglückwünschen musst! Da verzichte ich sehr gerne auf meine Jeans. Warte… gibt es eigentlich eine Kleiderordnung im Büro?“ Fragte er nun, griff nach seinem Mantel, den er überwarf. „Nein, niemand, der bei der Kaiba Corporation arbeitet, käme auf die Idee unangebracht gekleidet zur Arbeit zu erscheinen!“ Meinte Seto streng und ein wenig fassungslos, weil er ahnte, was nun kommen würde. Er musste nur noch nach seinem Koffer greifen und als er sich zu Joey umdrehte, seufzte er.
 

Der Blonde stand schon draußen im Flur und grinste bis über beide Ohren. „Es gibt also keine offizielle Kleiderordnung? Was würde denn mit einem Mitarbeiter geschehen, der sich falsch kleidet?“ Auf dem gesamten Weg versuchte Joey eine Lösung für sein Problem zu finden. Er machte immer wieder Vorschläge, die der Brünette jedoch in der Luft zerriss. Sie fuhren mit der schwarzen Limousine direkt von der Villa zum Flughafen in Domino.

„Ach komm, ich…“ Wollte Joey sagen, der gerade seine Tasche aus dem Kofferraum nahm und dabei Roland einfach ignorierte, der sich um das Gepäck kümmern wollte. Sie waren mit der großen Limousine auf das Rollfeld gefahren und vor ihnen stand der lange, silberfarbene Privatjet Seto Kaibas. „Ich dulde ja schon, dass du deine unpassenden, hässlichen und mit keiner Kleiderordnung vereinbaren Turnschuhe und die Jeans trägst! Also nein! Aus, Wheeler!“ Fuhr der Brünette ihn nun an und mit einem mürrischen, aber sehr leisen Brummen streifte er sich den Riemen seiner großen Tasche über. Er betrachtete den großen Jet, der an den Flügeln mit filigranen, blauen Streifen versehen war. „Wie, da steht nicht groß dein Name drauf?“ Fragte er provozierend und bemerkte den kalten, aber überheblichen Ausdruck in den blauen Augen. „Wenn diese Maschine irgendwo auf der Welt landet, weiß jeder, der es wissen muss, wem sie gehört!“ Seine Stimme hatte einen süffisanten Ton. „Und jetzt beweg deinen Hintern da rein oder muss ich dich wirklich noch anleinen und hochzerren?“ Joey zog noch eine Grimasse, natürlich hinter dem Rücken des anderen und machte sich auf den Weg. Klasse, nun war er wirklich nervös. Er mochte fliegen nicht!

Herzklopfen über den Wolken

Kapitel 27

Herzklopfen über den Wolken
 

Nein, Joey mochte diese ganze Fliegerei wirklich nicht und nun sollte er auch noch die nächsten Stunden auf dem Weg in ein Land, dessen Sprache er nicht sprach, mit diesem Eisklotz verbringen. Obwohl heute irgendwie alles anders schien. Nachdenklich ließ der Blonde ihre letzten Begegnungen noch einmal an seinem inneren Auge vorbei ziehen, während er die Stufen hinauf in den Bauch dieses metallenen Vogels hinter sich brachte.

Schon gestern war die Konfrontation mit ihm und Kaiba seltsam gewesen, dieser Blick in die aufgewühlten Augen, diese unbändigen Gefühle, die unter einer dicken Schicht aus Eis gefangen lagen. Ein seltsamer Gedanke kam ihm plötzlich in den Sinn, vielleicht kannte er Seto Kaiba ja gar nicht, also den ganzen, die gesamte Persönlichkeit dieses Mannes. Vielleicht kannte er ja nur einen Bruchteil dieses Menschen, einen Teil, den er der Öffentlichkeit zeigte, den er der Welt zeigte und alles andere verbarg er tief in seinem Herzen. Mokuba schien diese unbekannten Stücke seiner Seele zu kennen, sonst würde er ihn sicher nicht so sehr lieben.
 

Bevor seine Überlegungen den Sprung zum nächsten Morgen, also diesem, schafften, hörte er die kühle, herablassende Stimme, dass er seinen Hintern endlich bewegen sollte. Erst jetzt bemerkte Joey, dass er auf halber Strecke stehen geblieben war. Mit einem Seufzen meinte er nur leicht angefahren. „Ich habe eben nachgedacht.“ Eine Aussage, die er wahrscheinlich bereuen würde, zumindest erwartete er dieses direkt, nachdem ihm seine eigenen Worte bewusst wurden.

Noch immer konnte man nur das erste Dämmerlicht erahnen, die Rollbahn lag im Flutlicht getränkt weit hinter dem Flugzeug und auch hier erhellten grelle Lampen die Szenerie. Der Himmel war mit Wolken verhangen und wirkte schwarz, bedrohlich und finster. Nicht so wie jemand anderes, dessen Antwort deutlich abweichend aller Erwartungen war. „Wheeler, der Pilot muss sich an sein Zeitfenster halten. Nur weil sie den gesamten Flugverkehr für mich umschmeißen, können wir sie nicht ewig warten lassen. Was also ist so wichtig, dass du beim seltenen Versuch des Nachdenkens stehen bleiben musst?“
 

Der Blonde hatte sich beeilt und war die letzten Stufen hinauf gehastet. „DU!“ Entgegnete er direkt und hatte rein intuitiv geantwortet. Der Anblick, der ihm nun vergönnt war, lohnte jede folgende Beleidigung, jede herabwürdigende Demütigung, die er von dem Brünetten erwarten konnte. Der 22 Jährige war so verwundert, dass er wenige Sekunden einfach nur da stand, ihn aus seinen blauen Augen anstarrte und keine Regung von sich gab. „Oder gibt es etwas wichtigeres als dich?“ Neckte Joey nun noch provokanter und trat in den kleinen Vorraum des Fliegers ein. Die Stewardess, eine kleine Japanerin, griff hinter ihm nur nach der Tür und zog sie mit erstaunlicher Kraft und gleichzeitiger Eleganz zu, ob sie dem Gespräch folgte, war ihr nicht anzusehen.

Diese Worte hatten jedoch wieder Leben in die frostige Eisigkeit gebracht und mit einem gefährlichen Schmunzeln meinte Seto. „Dass du diese Erkenntnis noch einmal verinnerlichst, hätte ich wirklich nicht erwartet! Braves Hündchen!“ Nun war der Eisklotz offenkundig wieder zu sich gekommen und mit einem Verdrehen der Augen schwieg er lieber. Was sollte er auch sagen? Sicher würde der Kerl jedes Argument, jede Erwiderung in der Luft zerreißen und ihm im Mund herum drehen.

Als er seine Aufmerksamkeit wieder dem Inneren des Flugzeuges zuwendete, blieb der Blonde ruckartig stehen. Mit einem Reflex griff er nach dem von seiner Schulter rutschenden Riemen, die Tasche wäre beinahe zu Boden gefallen. Er starrte auf die Inneneinrichtung, die eher einer Wohnung glich, als dem Innenraum eines Flugzeuges. Alles war in einem sanften braun gehalten, welches mit schwarzen Elementen verziert wurde. Gleich hinter dem Eingang zur linken Seite befand sich ein kleines Sofa und ihm gegenüber tummelte sich ein Esstisch in Nussbaumholz und je vier breiten, angenehmen Sitzen. Dahinter kam noch einer, der anscheinend beweglich war. Er gehörte zu einer ganzen Sitzkombination dazu, die in jedes gute Wohnzimmer gepasst hätte. Ein dreisitziges Sofa folgte, dann noch ein deutlich breiterer Sessel. Diesen gegenüber auf den linken Seite waren ebenso zwei gemütliche Sessel, welche elektronisch nach hinten gelegt werden konnten und dabei eine Fußstützte anhoben, um perfekte Gemütlichkeit zu gewehrleisten. Zwischen den beiden Sesseln und dem Sofa links fand sich auch noch eine kleine Bar aus Nussbaumholz und beim Eintreten fand er zwei niedrige Tische vor dem langen Sofa im hinteren Teil.
 

„Du willst mich verarschen oder?“ Fragte Joey völlig entgeistert und stand nun mitten im Innenraum des Jets. Er hatte sich zu Seto umgedreht und die braunen Augen waren groß, rund und von Entsetzen gezeichnet. Die vollen Lippen standen etwas offen, die Tasche hielt er leicht verkrampft an ihrem Riemen fest, der erneut von seiner Schulter rutschen wollte.

Mit einem seltsamen Lächeln schüttelte Seto den Kopf, jemand hatte seinen Koffer schon auf den Esstisch gestellt und mit einer Handbewegung forderte ihn der Brünette auf sich ebenfalls dort zu platzieren. Doch Joey ignorierte diese Geste und blickte sich ein weiteres Mal um, er konnte noch immer nicht glauben, dass er sich in einem Flugzeug befand. Es wirkte beinahe so, als würde er seine Wohnung hier unterbringen können. Gut, vielleicht bedurfte es dafür zwei dieser Jets, aber mal ehrlich, wie winzig war sein kleines Heim und wie groß dieses Monster hier?

„Klar, Alkohol, aber nichts zu essen. Dass passt wirklich zu dir.“ Brummte Joey, dem plötzlich irgendwie seltsam wurde. Er befand sich nicht mehr in seiner Welt und so sehr er sich das auch in den letzten Tagen gegenüber verleugnet hatte, nun war es soweit. Er verließ all das Vertraute und so kurz der Besuch auch im Restaurant war, jetzt musste er sich für Tage auf dieses Terrain begeben. Er atmete tief ein und aus, lange hatte er ja nicht Zeit und sie würden sicher gleich auf dem Weg auf das Rollfeld sein.
 

Schweigend, wenn auch innerlich sehr aufgewühlt, setzte sich der junge Mann auf dem ihm zugewiesenen Platz und nachdem auch der Brünette ihm gegenüber seine Position gefunden hatte, erklärte ihnen die Flugbegleiterin, was in den nächsten Minuten zu beachten sei. So aufmerksam er auch war, irgendwie klappte nichts so, wie es sollte. Sein Gurt wollte nicht einrasten und als sich der metallene Vogel in Bewegung setzte, klopfte Joeys Herz schrecklich. Seine leicht feuchten Hände klammerten sich beinahe schmerzhaft in seine Tasche, die er nicht hergeben wollte. Mit einem Schlucken starrte er hinaus und versuchte sich zu entspannen. Er musste atmen, tief einatmen, tief ausatmen…

Der Jet nahm langsam Fahrt auf, die Umgebung wurde schwammig und doch hörte er das Geräusch der großen Schubdüsen nicht. Kurz schlossen sich die Augen, als er dieses seltsame Gefühl im Bauch spürte, der Boden hatte sie verloren. Innerlich konnte er das Chaos nicht einordnen, ihm war schlecht, er wollte schreien, wollte zurück, sein Kopf schmerzte, alles in ihm war bis zum Zerreißen angespannt. War es hilfreich aus dem Fenster zu sehen oder nicht? Unschlüssig warf er einen Blick hinaus und erkannte die Lichter der Stadt, die sich in der noch immer bestehenden Dunkelheit erhoben. Das Flugzeugt legte sich in eine leichte Kurve, sie waren höher, als von ihm erwartete. Schmerzhaft sog er die Luft zwischen seinen leicht geöffneten Lippen ein, er hatte das Atmen vergessen.

„Ist das wirklich… das ist er!“ Mit einem Schmunzeln beugte er sich weiter vor und schüttelte erstaunt den Kopf. „Das ist wirklich dein Büro, der Turm der Kaiba Corp.!“ Entfuhr dem Blonden und ein wenig seiner Anspannung verschwand. Offenbar hatten die blauen Augen ihn keinen Herzschlag unbeobachtete gelassen und nur langsam folgten sie dem Blick. „Ja, der Flughafen in Domino liegt so, dass einfliegende und ausfliegende Flugzeuge in diese von der Startbahn ausgehend linke Kurve lenken müssen, so wird jedes Mal dieser unauffällige Turm in seiner ganzen Pracht gezeigt.“
 

Die braunen Augen wichen nur kurz von dieser Aussicht fort, um flüchtig einen Eindruck des hellen Gesichtes zu erhaschen. Dann wurde doch der Ausblick wichtiger, der sich langsam in die Dunkelheit zurückzog und in immer weitere Entfernung rückte. „Wow, ich wusste nicht, dass Domino so schön sein kann.“ Murmelte Joey und überging einfach den Kommentar, dass der Turm unauffällig wäre. Noch immer bestand diese Sorge, diese Anspannung und es gab vieles, über das er mit dem Mann reden musste, der nun am Tisch ihm gegenüber saß.

Noch eine Weile beobachtete er die Landschaft in der Dunkelheit und nutze diese Zeit, um seine eigenen Gedanken zu ordnen. Natürlich kam die junge Japanerin noch einmal zu ihnen und erklärte, dass sie sich nun frei bewegen konnten und fragte, ob noch gewisse Wünsche beständen. Seto bat um ein Glas Wasser, während Joey nur den Kopf schüttelte.

Mit einem leisen Räuspern versuchte er seine Stimme zu fassen und ihr einen selbstsicheren Ton zu verleihen. Seine braunen Augen fixierten die eisblauen, die ihn nun erstaunt musterten. Doch zuerst stellte Joey seine Tasche neben sich ab, ordentlich und fein, löste den Gurt und strich noch einmal über die Krawatte. Er hatte sich für diese Reise etwas vorgenommen und das wollte er einhalten. Innerlich sehr aufgeregt konzertierte er sich doch enorm auf seine Worte. „Ich weiß, dass die gesamte Planung dieser Reise eigentlich meine Aufgabe wäre und nicht deine. Ich weiß nicht einmal, ob ich noch etwas vorbereiten muss oder wie ich mich dort verhalten soll. Kann ich dir also noch bei irgendetwas helfen?“
 

Von dieser Aussage war Seto erstaunt und mit einem kurzen Kopfschütteln lehnte er sich gemütlich zurück. Er hatte gerade seinen Laptop aufgestellt und seinen Koffer neben sich auf die Bank gelegt. Nun ließ er seinen elektronischen Helfer unbeobachtete und musterte die Anspannung in dem sonnengebräunten Gesicht. „Nein. Ich denke nicht, dass du mir in irgendeiner Weise in Dubai helfen kannst. Du hast keinerlei Qualifikationen, keine passenden Fähigkeiten, du sprichst nicht einmal die Sprache, die dafür notwendig wäre.“ Joey spürte, wie mit jedem weiteren Wort die Last auf seinen Schultern schwerer wurde und er das Bedürfnis verspürte, sich eng zusammen zu kauern. Jetzt die Fassung zu bewahren und aufrecht zu sitzen erschien unendlich kräftezehrend.

„Allerdings habe ich Mokuba versprochen, dass ich „versuche“ nett zu dir zu sein. Davon abgesehen, dass dein Versagen in diesen Tagen auch mir zugerechnet wird.“ Seine Stimme hatte keinen kalten Ton, dennoch wirkte er in seiner Art autoritär und einschüchternd. Leicht nickte Joey, der sich in Gedanken ein großes Dankeschön für Mokuba notierte, obwohl der „Versuch“ nett zu sein noch lange keine Früchte tragen musste. „Warum bin ich dann dabei?“ Fragte er schlicht, so sicher wie irgend möglich.

„Verträgst du die Wahrheit?“ Mit einem scharfen Einziehen der Luft hob er kurz die Schultern und sein Blick schweifte schnell aus dem Fenster. Nein, nicht! Blickkontakt halten! Ermahnte er sich selbst und starrte nun beinahe in die eisblauen Augen. „Dein Ziel ist mein Untergang! Hier ist es fast unmöglich für dich, mich nicht bis auf die Knochen zu blamieren.“ Schlussfolgerte er bitter und war erstaunt, dass sie offenbar so ehrlich zueinander sein konnten.
 

Schweigend brachte die Flugbegleiterin das Glas Wasser, verschwand dann wieder im Raum, nebenher hatte Joey die Tür auf der anderen Seite bemerkt. „Ja, dass du mich nicht bis auf die Knochen blamierst, wird ein ganz schönes Stück Arbeit für mich werden. Daher habe ich die Aufgaben so einfach und gering wie möglich gesteckt. Sei pünktlich, habe die Unterlagen dabei, die ich dir auftrage und erledige die Aufgaben, die ich dir gebe ohne Theater. Sonst sprich mit keinem und versuche so auszusehen, als ob du nicht ganz so unpassend für diesen Job wärest, wie du bist.“ Ein belustigter Zug klang in diesen Worten mit und Joey spürte einen dumpfen Schmerz in seiner Brust. Diese Worte taten irgendwie besonders nach dem heutigen Morgen weh. Da hatte er alles getan, um Seto zu helfen, und nun sprach dieser so über ihn. Tja, offenbar war der alte Seto wieder da.

„Wheeler!“ Erstaunt stellte Joey fest, dass er den Blick doch wieder gesenkt hatte und schweigend sahen die braunen Augen nun erneut zu dem Firmenführer hinüber. „Ich habe meinem Bruder etwas versprochen und obwohl ich diese Wette gewinnen will, will ich den Sieg nicht geschenkt haben. Wenn ich unfair sein will, sollten die Gegebenheiten mir mehr als genug Möglichkeiten präsentieren, die schlussendlich wirklich unschön für dich ausgingen. Aber so will ich es nicht. Wenn das hier endet, wenn du vor mir auf die Knie fällst, dann richtig. Dann, weil du es wirklich nicht geschafft hast!“
 

Seltsamerweise waren diese Worte irgendwie aufmunternd. Mit einem flüchtigen Lächeln atmete er tief durch und nickte dann. „Danke! Ich werde mein Bestes geben, um dich nicht zu blamieren. Muss ich auf irgendwelche Bräuche achten? Dazu habe ich nur unbestimmte Aussagen gefunden. Nicht, dass ich da noch einen Scheich oder so beleidige, weil ich nicht ihn zuerst begrüßt habe.“ Ob er wollte oder nicht, dieses Lächeln stahl sich auch auf Setos Lippen. Er war beeindruckt, denn weder nahm der Blonde ein Blatt vor den Mund, noch schien er so unbedacht zu sein, wie von Seto erwartet.

„Das klingt fast, als würdest das hier auf einen zweiten Deal hinaus laufen.“ Meinte er mit einem leichten Schmunzeln und Joey grinste plötzlich. Er zuckte mit den Schultern und lehnte sich selbst zurück, die Arme vor der Brust verschränkt. Sie beide hatten ihre Mäntel abgelegt und es sah schon lustig aus, wie Joey in dem weißen Hemd mit der grünen Krawatte vor ihm saß. „Wenn du mir hilfst, helfe ich dir. Das klingt doch nach einem Deal, ja!“

Seto stellte mit einem unerwarteten Ausdruck leichter Bewunderung den Laptop zur Seite und nickte. „Dann haben wir einen Deal!“ Er streckte die Hand aus und mit einem Blinzeln musterte Joey diese. „Haben wir!“ Kommentierte er, als auch seine Finger sich um die des Brünetten legten und sie ihre Vereinbarung mit einem Handschlag bekräftigten. Es war seltsam, doch die ersten zwei Stunden des Fluges verflogen förmlich. Aufmerksam und interessiert lauschte Joey all dem, was der Firmenführer ihm erklärte. Es war beinahe wie an dem Mittwoch vor einer Woche. Seto schien sich zwar wieder gefangen zu haben, doch seine sanfte Seite kam nun unerwartet zum Vorschein.
 

Nachdem sie noch eine Kleinigkeit auf Joeys Wunsch hin zu sich genommen hatten, griff der Brünette wieder nach seinem Laptop und wollte sich auf seine eigenen Arbeiten konzentrieren. „Du brauchst mich jetzt gerade nicht mehr oder?“ Fragte der Blondschopf und bekam nur ein Nicken, wobei der Mann ihm nicht wirklich zugehört zu haben schien. Mit einem leichten Schulterzucken griff Joey nach seiner Tasche, aus der er schon einen Block geholt hatte, um sich all die wichtigen Informationen zu notieren. Nach dem Essen, einem wunderbaren Buttermichbrötchen und einem französischen Croissant, fiel ihm das Konzentrieren auf die Arbeit schwer. Er wollte noch lernen, immerhin stand im Juni die Abschlussprüfung an und er war nicht sonderlich gut in der Theorie. Seine Gabe lag eher in der Intuition. Wenn er ein Stück Holz in der Hand hielt, wusste er genau, was er damit machen konnte und was nicht. Da musste er keine Winkel berechnen, keine Skizzen aufstellen, er hatte alles im Kopf.

Mit einem Seufzen schlug er die Seiten seines Lehrbuches auf und blätterte müde darin. Absichtlich lange brauchte er um die richtige Seite aufzuschlagen und mit einem weiteren missgelaunten Ausstoßen der Luft zog er nun auch noch sein großes Zeichenbuch heraus. Wenn er schon arbeiten musste, dann wenigstens halbwegs spaßig. Mit diesem Gedanken fischte er nach seiner Bleistiftmappe und musterte noch einmal kurz, ob alles vorhanden war, was er brauchte.

Mürrisch fing er an, las leise vor sich hin den Text über die richtige Gestaltung und den passenden Aufbau einer dekorativen Zierleiste, welche aufgesetzt werden konnte oder auch direkt aus dem Möbelstück geschnitzt wurde. Lustlos begann er auf der weißen, aufgeschlagenen Seite mit einem Geodreieck die äußeren Linien zu legen, zuerst eine kleine Probe, von der aus dann die einzelnen Teilstücke abgemessen wurden.
 

Seine Lust steigerte sich in keiner Weise, als er die Linien und Blumen wieder und wieder zeichnen musste, immer in den vorgegebenen, selbst angelegten Kästen und mit einem Brummen fielen seine Augenlieder das erste Mal zu. Er verspürte so viel Unlust, dass er es kaum beschreiben konnte. Ok, wenn er hier noch lange saß und sich an diesem Schwachsinn versuchte, würde er wohl einschlafen. Mit diesem Gedanken schlug er das Buch wieder zu und bemerkte nicht das leichte Zusammenzucken des anderen Mannes, der vor ihm hinter seinem Laptop vergraben war. Erstaunt schob sich der brünette Kopf zur Seite und die eisblauen Augen verengten sich misstrauisch. Kein Laut kam über seine Lippen, als er das große Lehrbuch musterte, welches schon einige Knicke und Flecken aufwies. Offenbar schien sich der Kerl wirklich Mühe zu geben. Dachte Seto stumm bei sich und wollte seine Aufmerksamkeit schon wieder seinem Bildschirm zuwenden, als er die leichten Bewegungen aus dem Handgelenk erkannte. Der Bleistift floh über das Papier und hinterließ Kreise und eindeutige Muster, die ihm unverkennbar bekannt waren. Der Kerl zeichnete?

Nun wirklich erstaunt und vor allem fasziniert beobachtete der Brünette, wie auf dem weißen Grund ein kleines Kuriboh entstand. Die großen Augen, das Fell, es sah wirklich nach dieser schrecklichen Plüschkugel aus, die eigentlich aus nicht viel mehr als diesem bestand. Dabei wirkte es nicht einmal nach einem Glücksgriff, als hätte der Blonde dieses Motiv gewählt, weil alle anderen nicht so perfekt geworden wären. War das wirklich mehr als Glück? Bot sich hier etwa ein neues Geheimnis an, einfach so?

Was auch immer ihn in diesem Moment ergriff, was auch immer ihn packte und innerlich so schüttelte, dass er sich zu dieser unglaublichen Tat bereit erklärte, würde er nie bestimmen können. Vorsichtig schob er seinen Rechner zur Seite und seine rechte Hand wanderte möglichst unbemerkt hinüber zu der kleinen Rolle, in der sich die Bleistifte befanden. Noch immer in der Konzentration versunken, starrten die braunen Augen nur auf das Papier, Joey zog nun die einzelnen Strähnen des puscheligen Felles nach und lautlos angelte sich Seto einen Bleistift aus dem Etui. Mit einem kurzen Blick in das sonnengebräunte Gesicht vergewisserte er sich, dass der Blonde nichts von seiner Tat mitbekommen hatte. Leicht spöttisch schlich sich ein Grinsen auf seine Lippen und er setze den Bleistift auf. Vorsichtig zog er einen kleinen Kreis ganz in der Nähe des Kuriboh und nun fixierten die braunen Augen den Bleistift.
 

Schweigen. Joey entgegnete nichts, hielt seinen Stift bereit und musterte die folgenden Linien, die langsam den groben Umriss eines Drachen erkennen ließen. Das kleine Monster saß nicht mittig auf dem Blatt, sondern nach oben links in die Ecke verrückt. Der Drache hatte sich der Länge nach oben auf dem Papier ausgebreitet, den Schwanz leicht eingerollt, die Flügel so gespreizt, dass sie nur knapp vor dem Rand endeten. Doch am auffälligsten an dem „Weißen Drachen mit eiskaltem Blick“ war sein weit geöffnetes Maul, mit dem er das kleine Monster verspeisen wollte. Seto benötigte nur wenige Minuten, um die Skizze so weit auszuarbeiten, dass man deutlich erkennen konnte, um was es sich dabei handelte.

Die blonden Augenbrauen zogen sich zusammen und die Augen verengten sich. Plötzlich zog Joey seine Hände zurück und steckte den Bleistift hinter das rechte Ohr. Neugierig und erstaunt sah der Firmenführer zu ihm auf und musterte das sonnengebräunte Gesicht um herauszufinden, ob sein Gegner aufgeben wollte. Doch das schien nicht der Fall zu sein, die Ärmel wurden aufgeknöpft und nach oben geschlagen. „Nichts da!“ Brummte der Lehrling und griff nach dem helleren Bleistift mit der Stärke F, Seto hatte den 2H, der noch heller und härter war. „Was kommt jetzt?“ Neckte ihn die kühle Stimme herablassend und Joey maß mit einem kurzen Blick den Platz ab, bevor er seinen Stift ansetzte.
 

Innerlich verspürte der Brünette eine unerwartete Aufregung. So etwas hatte er noch nie gemacht. Nun, mit Mokuba hatte er natürlich gemeinsam an Bilder gearbeitet, aber dieses hier schien ein Wettkampf zu werden. Neugierig versuchte er aus den ersten einfachen Kreisen und Linien etwas zu deuten. Das hinter dem Schwanz des Weißen schien der Kopf zu werden, Flügel glaubte er auch zu erahnen, also auch ein Drache? Könnte das Wheelers geliebtes Rotauge werden?

Er stieß ein lachendes Schnauben aus, als er die Situation erkannte. Der Weiße wollte das arme Kuriboh fressen und wurde dabei rücklings von dem schwarzen Rotaugendrachen angegriffen! „Kannst du über Kopf zeichnen?“ Kam nun die Frage des sonst so unterkühlten Mannes und er grinste dabei so diabolisch. Doch nun bekam er ein spöttisches Lachen und mit einer schnellen Handbewegung drehte der Schreinerlehrling das gesamte Zeichenbuch um. Nun musste er den Schwarzen etwas umständlicher zu Ende zeichnen, obwohl es eh bei einer guten Skizze bleiben würde. Was hatte den Kühlschrank heute eigentlich aufgetaut? Ehrliche Worte am Morgen, ein beinahe intimes Gespräch über unerwartete Sorgen des Brünetten, eine klare Ansage vorhin in Verbindung mit einer freundlichen Hilfestellung und jetzt das???
 

„Seit wann zeichnest du?“ Fragte diese wirklich irre Variante des brünetten Firmenführers. Kurz sahen die warmen Augen zu ihm hinüber. „Nur zwangsweise. Ich muss für meine Ausbildung zeichnen können und als mein Sensai heraus fand, dass ich eine unglaubliche Niete darin bin, hat er mich Stunden, Tage, Wochen lang damit gequält. Ich musste sogar Zuhause zeichnen. Na ja, und da ich mit unseren Monstern am ehesten etwas anfangen konnte, habe ich eben mit ihnen geübt.“ Erklärte Joey und verzog dann erbost das Gesicht. „Was wird das denn?“ Beschwerte er sich und dann drehte er ungefragt den Block erneut um. Nun wurde das arme Kuriboh von einem weißen Drachen angegriffen, der wiederum von Joeys Rotauge, welcher sich einem zweiten Weißen stellen musste. Der Drache hatte seine Krallen in Position gebracht und erinnerte leicht an eine Katze, die zum Sprung auf den Rücken des anderen ansetzte.

Aufgebracht begann nun Joey darauf zu antworten und überließ Seto die Fertigstellung seines Bildes über Kopf. „Dafür bist du gar nicht schlecht. An den Proportionen musste du noch arbeiten, aber die Details und das Grundprinzip der Perspektive hast du drauf!“ Mitten in seinem Strich hielt er inne und erstarrte. Nein! Diese Worte hatte er jetzt nicht gehört! Mit einem Kopfschütteln konzentrierte er sich wieder auf das Bild, verdrängte das schnaubende Lachen des anderen. Nein, es war unrealistisch, dass er so etwas sagte. Was auch immer es gewesen war, er musste sich verhört haben.

Seto wiederholte diese Aussage auch nicht, er schwieg und zog die letzten Linien noch einmal deutlich nach und gab der Skizze seinen letzten Schliff. Es machte ihm unerwartet Spaß! Er wusste nicht, was sein kleines Hündchen als nächstes zeichnen würde und es ging gar nicht direkt darum, ob es besser war. Das Bild, welches nun entstand, hatte seinen ganz eigenen Reiz, einen mit einem leichten Wettkampfgefühl, dennoch blieb die Neugierde an erster Stelle.
 

Wann war er eigentlich das letzte Mal so neugierig gewesen? Wann hatte er mit dieser kindlichen Begeisterung auf ein Ergebnis gewartet, welches im Grunde keine, absolut keine Bedeutung hatte? Es war egal, wie das Bild endete, irgendwann würden sie an den Rand des Papieres stoßen. Sie hatten schon die Doppelseite in Beschlag genommen. Die feinen Augenbrauen verzogen sich fragend und eine wanderte elegant in die Höhe. „Ist das wirklich der Dunkle Magier?“ Fragte die kühle Stimme nun, die einen sanften Ton inne wohnen hatte.

Wieder hob sich der Blick der honigbraunen Augen und kurz schien Joey zu überlegen. „Na ja, es ist ja auch Yugis Kuriboh, wer also würde ihn eher beschützen, als der Magier?“ Es war kein direkter Angriff, aber etwas klang in diesen Worten mit, welches eine kleine Spitze an den Brünetten richtete. Mit nur wenigen Linien veränderte er das Bild auf gravierende Weise. Bisher hatte er den Stab des Magers ausgelassen.

Ein leichtes Zucken fuhr durch die feinen Muskeln des blassen Gesichtes. „Hast du das jetzt wirklich gemacht?“ Fragte Seto nun doch etwas pikiert, da der Dunkle Magier ernsthaft mit dem Ende seines Stabes auf die empfindsame Schwanzspitze des weißen Drachen schlug. Mit einem sehr breiten Grinsen zog Joey noch zwei Linien an der Robe nach und drehte das Buch dann um. „Was denn?“
 

Ohne zu antworten setzte nun der Brünette den Stift an, nutze das letzte Bisschen Platz auf dem Papier, um den letzten seiner Drachen zu zeichnen. Der Magier würde unterliegen. Der Drache sprang ihn förmlich an, schien wütender, aufgebrachter und grausamer, als einer seiner Brüder zuvor. Die Blutgier stand diesem Tier regelrecht ins Gesicht geschrieben und würde diese Szene wie bei einem Film weiterlaufen, wäre der Magier wahrscheinlich zerfleischt unter dem Drachen begraben geworden.

Triumphierend drehte nun der Firmenführer das große Zeichenbuch um, legte den Bleistift beiseite, immerhin war kein Platz mehr vorhanden. Er hatte gewonnen! Joey konnte nichts mehr machen. Der letzte weiße Drache war in Sicherheit, niemand konnte ihn angreifen!

Nachdenklich musterte Joey das Bild. Links oben das Kuriboh, daneben der erste weiße Drache, darunter sein Schwarzer, der teils unter Kuriboh teils schon in der nächsten Zeile von einem weißen Drachen verfolgt wurde. Dann kam der Dunkle Magier gefolgt von einem weiteren Weißen.

Dieses Grinsen gefiel ihm nicht! Warum grinste Wheeler so dämlich, als hätte er auf dem völlig überfüllten Papier doch noch eine Möglichkeit gefunden? Misstrauisch beugte sich Seto nach vorne, beobachtete genau jede Bewegung der rauen Hand und versuchte herauszufinden, was da auf dem winzigen Platz über dem Ende des letzten, weißen Drachen entstand.
 

Nun war er wirklich entsetzt! Die schmalen Lippen standen leicht offen und die blauen Augen wurden von einer unendlichen Fassungslosigkeit gezeichnet. Schnell ließ der Blonde um den großen Ambos noch ein Seil entstehen, welches nach oben zu einer Winde verlief, um darüber hinweg zu gleiten und dann aus dem Rand zu fliehen. Nur einen Herzschlag später zog er das Zeichenbuch näher an sich heran und beschäftigte sich wieder mit der kleinen Knutschkugel oben auf der linken Seite, die nun das Ende des Seiles in Händen hielt. Wenn Kuriboh das Seil los ließ, würde der Ambos auf den Hintern des weißen Drachen fallen!

Mit einem dreisten Grinsen drehte Joey nun das Buch um und schob es triumphierend dem Brünetten vor. Schweigend atmete dieser aus und versuchte sich wieder zu fassen. Die blauen Augen, die noch immer diese Bestürzung in sich trugen, wanderten suchend über das Bild. Es gab keinen Platz mehr! Ihm fiel einfach keine Finte mehr ein, keine Idee kam, wie er dieses Spiel noch einmal wenden konnte. Mit einem Seufzen, welches erst nach einer wahren Unendlichkeit erklang, schoben die schlanken Finger die aufgeschlagenen Seiten wieder zurück. „Verdammt guter Zug, Wheeler!“ In diesen Worten lag so viel offene Frustration, dass Joeys Grinsen kaum zu stoppen war. Es schien weit über die Wangen, ja, beinahe bis zu den Ohren zu reichen.

„Das ist der glorreichste Tag, den ich in meiner bisherigen Zeichnerkarriere gehabt habe!“ Verkündete der Blonde nun und bemerkte, wie ein eisiger Zug in die blauen Augen trat. Ah, jetzt gefror der Kerl also wieder, dieser Tiefkühlschrank!
 

Eigentlich hatte er noch einen Seitenhieb erwartet, immerhin musste Kaiba ja nur auf die bevorstehenden Tage zu sprechen kommen, damit konnte er ihm definitiv den Wind aus den Segeln nehmen, aber nichts kam. Seine Verwunderung versuchte er zu verbergen und schlug das Buch leise zu. „Das hat wirklich Spaß gemacht.“ Meinte der Schreinerlehrling versöhnlich und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf entspannt. „Hast du so etwas schon mal gemacht? Wirkte so.“ Versuchte er sich nun an einem Gespräch, wobei sich der leise Gedanke einschlich, dass sie so etwas noch nie geführt hatten. Einfach so ein zielloses Geplänkel, welches sich um unnütze oder private Themen rankte, kam bisher nicht vor. Wahrscheinlich würde der Brünette auch nicht darauf eingehen, zumindest erwartete das Joey nicht.

„Ich kann nicht einmal sagen, wann ich das letzte Mal gezeichnet habe. Es kommt zwar immer Mal wieder vor, dass ich im Grafikbereich den Bleistift zücke, aber viel ist das nie.“ Gestand die unerwartet warme Stimme und ein seltsam entspannter Ausdruck lag auf dem hellen Gesicht. „Zeichnest du gerne?“ Fragte nun der Blonde begeistert, in einem kleinen Rausch der Neugierde gefangen. Wenn der Kühlschrank schon einmal bereit zum Erzählen war, wollte er so viel wie möglich erfahren. „Nein, Wheeler, wie kommst du nur auf diese Idee? Niemand zeichnet gerne, der mal eben so einen Bleistift klaut und sich an einem fremden Blatt Papier vergreift.“

Zuerst wollte Joey etwas entgegnen, als ihm dann das Lächel bewusst wurde, welches sich auf den schmalen Lippen ausgebreitet hatte. „Blödmann!“ Kommentierte er und beobachtete, wie sich die feine Augenbraue fragend in die Höhe zog. „Mokuba hat nie erzählt, dass du so gut darin bist. Ich meine, dann hast du ja schon zwei Hobbys. Lesen und Zeichnen! Meine Güte, du bekommst ja bald eine eigene Freizeitgestaltung hin!“ Er konnte einfach nicht anders, auch wenn er wusste, dass dieses der falsche Weg war. Doch Seto schien sich darauf einzulassen.

„Oh, du hast etwas vergessen. Lesen, zeichnen und Joseph Wheeler ärgern. Es sind sogar drei Hobbys.“ Der Ausdruck in den blauen Augen war nicht genau zu deuten. Er wusste nicht, ob er darin wirklich so viel Vergnügen an ihrer Unterhaltung sah oder ob er jetzt lieber vorsichtig sein sollte.
 

„Man, man, man, gleich drei Hobbys, anscheinend habe ich doch einen guten Einfluss auf dich!“ Frotzelte der Blonde und musterte den nun doch langsam bedrohlichen Blick des anderen. „Wann hast du mit dem Zeichnen angefangen?“ Lenkte Joey nun vom Thema ab und versuchte das Gespräch wieder zurück auf unbefangenere Bereiche zu führen. Ein tiefes Schweigen war die Antwort, wobei in den blauen Augen nach und nach ein fragender Ausdruck Einzug hielt.

„Genau kann ich es dir nicht sagen. Ich habe früh damit angefangen. So konnte ich meine Ideen für andere sichtbar machen. Ich konnte sie festhalten, um nicht jedes Detail im Kopf haben zu müssen. Wahrscheinlich hat das alles kurz vor Mokubas Geburt angefangen.“ Erzählte er nachdenklich und Joey grinste kurz. „Dann… oh, ne, falsch gedacht.“ Brummte er und sein Grinsen verschwand wieder. Als der Blonde den fragenden Blick auf der anderen Seite sah, meinte er verlegen. „Ich habe mich verrechnet.“ Näher wollte er lieber nicht darauf eingehen, sonst würde er sicher wieder ein Fettnäpfchen mitnehmen. Kurz kam ihm eine Frage in den Sinn, die er einen Moment auf der Zunge behielt. Doch, er wollte es wissen, also fragte er auch. „Sag mal, kannst du dich noch daran erinnern, wie Mokuba zur Welt kam?“ Neugierig blickten die honigbraunen Augen den jungen Mann auf der anderen Seite an. Vielleicht war dieses hier die einzige Chance danach zu fragen.

„Kannst du dich noch an die Geburt deiner Schwester erinnern?“ Diese Gegenfrage kam ohne Zögern und doch war da ein leichtes Schmunzeln, welches um die Mundwinkel spielte. Seto wirkte entspannt, während er dort zurückgelehnt auf der ledernen Sitzbank saß und die Gedanken anscheinend von ganz alleine all die Jahre zurückgereist waren. „Natürlich! Ich werde den Tag niemals vergessen. Ok, also, zumindest dass, was ich denke, dass damals geschehen ist. Ich war gerade 3 Jahre alt. Aber ich kann mich noch erinnern.“ Entgegnete nun Joey seinerseits.
 

Dieses seltsame Strahlen in den Augen, in seinem ganzen Wesen hatte etwas Erwärmendes. Schweigend beobachtete Seto den jungen Mann, den er vor sich auf der anderen Seite sitzen hatte. Für einen Moment schwieg er und erinnerte sich an den Tag zurück, an den er von der Schwangerschaft erfahren hatte. „Ich weiß nur noch, dass mein Dad ganz aufgeregt war und mich mit ins Krankenhaus nehmen wollte. Das einzige, an das ich mich noch erinnere, ist der Geruch im Krankenhaus und das Gesicht meiner kleinen Schwester. Sie war so winzig und ihr Gesicht war so rot. Meine Mutter sagte mir, dass sie Serenity heißt. Ich war so glücklich, so aufgeregt.“ Seine Stimme klang so unerwartet sanft und warm, dass Seto sicher war, sie so noch nie gehört zu haben. „Damals war noch alles gut. Kein Streit, keine Sorgen… es war gut…“

Die blauen Augen sahen ihn musternd an. Sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Er war nun melancholisch und hatte etwas offenkundig Trauriges. Selbst Seto konnte nun die wandelnden Gefühle erkennen, die der Blonde so offen zur Schau trug. Kurz atmete er ein, überlegte seine nächsten Worte gut. „Ich war fünf Jahre alt, als Mokuba zur Welt kam. Für mich war es etwas Besonderes, da ich mir nicht vorstellen konnte, wie es mit einem Bruder sein würde. Meine Eltern hatten mir erzählt, wie wunderbar es wäre einen kleinen Bruder zu haben. Ich kann mich noch genau an alles erinnern, jede Sekunde dieses Tages. Mein Vater war schon dort und unser Chauffeur brachte mich in die Klinik.“ Kurz hielt er inne, die Freude war mit einer gewaltigen Neugierde wieder in das Gesicht des anderen zurückgekehrt und er lauschte gespannt den Erzählungen des Firmenführers. „Er war wirklich winzig! Ich hatte mir niemals Gedanken darüber gemacht, wie klein so ein neugeborenes Kind war. Und doch…“ Es war ein warmes Lächeln auf seinen Lippen, als er sich erinnerte. „Trotz all der Differenzen in den letzten Monaten ist er mir wichtig.“
 

„Ach komm, sag es! Du liebst ihn!“ Stieß Joey hervor und grinste dabei über das ganze Gesicht. „Sag es ein einziges Mal!“ Stichelte er und die honigbraunen Augen funkelten wie Sterne am Himmel. Er schien hibbelig und aufgeregt, während er sich leicht nach vorne beugte, die Arme schob er verschränkt auf den Tisch.

Es war ein Lachen, nur kurz, ehrlich und offen. „Na gut, ja, ich denke, ein einziges Mal ist es in Ordnung!“ Scherzte nun der Firmenführer und neigte sich ebenfalls etwas vor, blickte dem 19. Jährigen in die Augen. „Ich habe Mokuba vom ersten Tag an geliebt und ich liebe ihn noch immer.“ Das Leuchten in den blauen Augen war unglaublich. Sie schienen von Gefühlen nur so angefüllt zu sein, all das, was er schon gestern und erst vor wenigen Stunden in diesem Blick erkannt hatte, war nun von ruhiger, energetischer Wärme getränkt und entfesselt. Die hellen Wangen mit diesem kleinen, leichten Flaum von Röte überzogen, die Lippen von diesem herrlichen, überragenden Lächeln geziert, während der Blick so allumfassend war. Das war ein Ausdruck, in den sich Joey auf der Stelle verlieben könnte. So etwas hatte er noch nie gesehen. „Und ich verrate dir noch ein Geheimnis, ich werde ihn immer lieben! Bis ich eines Tages tot und begraben unter der Erde liege!“ Diese Stimme hatte einen warmen, sanften Anschlag, der schien, als wäre er von einem Versprächen getränkt.

„Dann… dann haben wir eine Gemeinsamkeit! Ich liebe meine Schwester auch, was auch immer kommen mag!“ Erklang nun die freudige Stimme des Blonden und er rechnete schon mit einem Kommentar, der ihn wieder in seine Schranken weisen sollte. Doch nichts kam, dieser sanfte Ausdruck blieb und noch immer waren sie sich so unglaublich nah. „Wer hätte das gedacht, Wheeler, wir haben wirklich etwas gemeinsam.“ Bestätigte die tiefe, ruhige Stimme und plötzlich war es da. Ein Herzklopfen, wild und stark, das Blut begann in Joeys Ohren zu rauschen und er spürte, wie die Hitze in seine Wangen stieg. Er musste nur wenige Augenblicke später tief rot im Gesicht angelaufen sein.
 

„Was ist los?“ Fragte der Firmenführer mit einem spöttischen Ton, frech hob er die Hand und schob die blonden Strähnen von der Stirn. „Entweder hast du dich gerade auf der Stelle in mich verliebt oder das war der schnellste Fieberausbruch, dem ich beiwohnen durfte.“ Eine gewisse Dreistigkeit lag in seinen Worten, Setos Gesichtsausdruck fehlte jedoch jegliche Bosheit. Mit einem ungnädigen Ton schloss Joey die Augen, sein Herz setze aus, als die kühlen Finger seine Haut berührten. Er wusste, dass der Firmenführer noch immer nur wenige Zentimeter von ihm entfernt war. Die Arme hatte Joey auf dem Tisch überkreuzt liegen, er war bis zur Hälfte über den Tisch gebeugt. „Na, wenn ich auf Männer stehen würde, dann hätte ich das auch sicher.“ Gab er verlegen von sich und bemerkte, dass der Handrücken des anderen auf seiner Stirn zum Ruhen gekommen war. Konnte der Kerl nicht endlich seine Hand da weg ziehen? Sie selbst von dort zu entfernen, wagte sich Joey nicht. Warum, konnte er nicht sagen. Er mochte diese Berührung, die zum ersten Mal nichts Hinterhältiges an sich hatte. Schweigen. Eines der honigbraunen Augen öffnete sich verstohlen und er suchte den Blick des anderen. Der Konter, der nicht ausgeteilt wurde, verunsicherte ihn erst recht.

Ein freches Grinsen lag auf den schmalen Lippen Setos und die eisblauen Augen waren auf ihn gerichtet. „Du wirkst so entspannt, so kenne ich dich nicht. Ich weiß nicht, ob ich je ein solches Lächeln bei dir gesehen habe.“ Begann Joey vorsichtig, denn noch immer sagte der andere nichts. „Es ist eben ein sehr schönes Lächeln. Viel schöner, als deine fiese Seite.“ Erklärte er sich nun und musste daran denken, wie oft der Brünette ihm gegenüber schon handgreiflich geworden war. Er hatte ich bedroht, ihm eine Ohrfeige verpasst, mehrfach, ihn angeschrien und sogar einfach gegen seinen Willen geküsst. Wenn er an die Situation in der Küche zurückdachte, zog sich etwas in ihm zusammen. Dieses Lächeln, welches noch immer auf den schmalen Lippen ruhte, stand im krassen Gegensatz zu der übergriffigen Art, mit der Seto in der Küche beinahe über ihn her gefallen war. Dieser Mann schien zwei gänzlich andere Seiten zu haben.
 

Plötzlich veränderte sich diese feine Berührung und die kühlen Finger strichen nun über seine Wange, das Kinn entlang. Noch immer lag so viel Zärtlichkeit in dieser Geste und der Daumen zog sich sanft über die vollen Lippen des Blonden. „Du solltest sehr vorsichtig sein, Wheeler. Ich meinte meine Worte den Sonntag ernst. Im Gegensatz zu dir mache ich da keine Unterschiede. Allerdings liegt mein Interesse eher daran, dir diesen hübschen Gesichtsausdruck zu rauben.“ Während er sprach, veränderte sich der Blick der blauen Augen und eine gewisse Härte zog in seinen Ausdruck. Nun war das freundliche, warme Lächeln von Bosheit erfüllt und die braunen Augen Joeys starrten ihn entsetzt an. Er war nicht fähig, sich zu rühren, er konnte nicht zurückweichen. Sie waren keine Armlänge voneinander entfernt. Er spüre den Druck auf seinen Lippen, die Hitze seiner Wangen wich einer unerwarteten Kälte. Angst erfüllte ihn und sein Atem wurde flach und hecktisch, während er die Worte begriff, die ihm da eben so zugeraunt wurden.

Wie in Zeitlupe schien sich der Brünette zu bewegen, kam immer näher und das boshafte Lächeln ließ das Blut in seinen Adern gefrieren. Was hatte der Kerl vor? Sein Verstand setzte aus, als er die tiefe Stimme hörte, die raunend klang. „Genau das! Ich stehe unglaublich darauf, wenn ich der Grund dafür bin, dass all die Euphorie aus deinem Gesicht weicht und nur noch die nackte Angst übrig bleibt!“ Zu spät begriff Joey, was der andere im Sinn hatte. Die schlanken Finger hielten mit festem Griff sein Kinn gefangen und die schmalen Lippen legten sich auf die seinen. Völlig unfähig gegen diesen Angriff vorzugehen, schaffte es Seto ein weiteres Mal, dem Blonden einen Kuss zu rauben. Doch dieses Mal wagte er sich nicht so weit vor, die aufbrausende Wut über dieses Handeln stieg sofort in die warmen, braunen Augen. Wahrscheinlich hätte Joey ihm kräftig auf die Zunge gebissen.

„Es hackt ja wohl bei dir!“ Fand die gesamte Empörung nun endlich Ausdruck und mit einer kräftigen Geste packte der 19 Jährige nach dem Handgelenk, um dieses schmerzhaft fest zu greifen. Mit einer einzigen Bewegung hatte er den Arm des anderen auf den Tisch geschlagen und seinen eigenen Oberkörper aus der Reichweite des Brünetten gezogen. Die erst roten Wangen hatten nur kurzzeitig jegliche Farbe verloren und wurden nun wieder tief dunkel. Hitze lang auf dem hübschen Gesicht, welches von Entsetzen gezeichnet war. „Du kannst mich nicht immer küssen, wenn dir danach ist! Nur weil du auf Kerle stehst, kannst du nicht einfach übergriffig werden! Behalte deine elenden Griffel bei dir!“ Schimpfte der Blonde nun mit hoch rotem Kopf und fügte noch hinzu. „Ich bin dein Sekretär, nicht deine Affäre!“

Kurz hoben sich die schmalen Augenbrauen Setos und er zog seine Hand wieder zurück, als der Griff des anderen leichter wurde. „Hm, dann habe ich wohl im Kleingedruckten die „Untertischarbeit“ vergessen.“ Frotzelte er nun frech und schenkte dem Blonden ein dreisten Grinsen. Er konnte genau sehen, wie lange diese Worte brauchten, um in ihrer Gänze von dem Blonden verstanden zu werden. Der eben noch wütende Ausdruck erhielt etwas Verlegenes und er schluckte laut. „Untertisch…“ Er wollte gar nicht weiter aussprechen, an was der Firmenführer dachte. Mit einer neuen Bewegung griff er nach seinem Schulbauch und schlug zu. Mit voller Wucht trat er die Schulter Setos und holte erneut aus. „Das ist doch nicht dein elender Ernst!“ Rief er empört, verlegen und aufgebracht. Mit einem lauten Klatschen schlug das Buch ein weiteres Mal gegen den Oberkörper des Mannes, der nur lachend die Arme hob und dem Angriff halbherzig auswich. Joey sprang auf und bemerkte selbst nicht, wie er bei dem losgelösten Lachen des Brünetten zu grinsen begann. Ein weiterer Angriff mit dem Buch folgte und Seto konnte diesem nicht ausweichen. „Denk nicht einmal an so einen Schweinkram!“ Schimpfte Joey nun auch lachend und als er ein letztes Mal das Buch erhob, griffen die schlanken Finger danach, um es abzufangen. „Jetzt ist aber gut! Wehe, wenn das blaue Flecken werden.“ Gab der Brünette noch immer mit diesem belustigten Ausdruck von sich und Joey beugte sich vor. „Die hättest du auf jeden Fall verdient.“ Sie hielten beide je ein Ende des Buches fest. „Und wehe, wenn du mich noch einmal küsst!“

Die eisblauen Augen funkelten, eine gewisse Dreistigkeit lang in diesen und er fragte frech. „Was dann?“ Er wusste, dass es keine direkte Antwort gab und die Stirn seines Gegenübers zog sich in Falten. Er musste erst überlegen, wie seine Drohung denn nun lauten sollte. Dieser Gedanke war gar nicht ausschweifend überlegt worden und nun starrte er in diesen wartende, höhnische Gesicht. „Dann beiße ich dich so sehr, dass du es dein Lebtag nicht vergessen wirst.“

Bettgeflüster und Götterkult

Kapitel 28

Bettgeflüster und Götterkult
 

Sein Lachen klang noch lange in meinen Ohren und mein breites Grinsen blieb. Ein schlichtes „Na dann…“ war seine Antwort und er ließ das Buch los. Ohne noch weiter darauf einzugehen, wanderte seine Aufmerksamkeit zurück zu seinem Laptop. Die Unterhaltung war damit beendet, doch dieses Lächeln verweilte stoisch auf seinen schmalen Lippen, während die feinen Finger über die Tasten fuhren. Noch kurz blickte ich ihn an und schüttelte den Kopf. Ich selbst sollte mich wieder auf die Theorie der Verarbeitung von Leim konzentrieren. Juni, so lange war der Abschlusstermin nicht mehr hin und mit diesem Gedanken ließ ich mich wieder auf das weiche Polster fallen. Noch kurz sah ich zu ihm und schlug dabei schon mein Buch auf. Vielleicht war Kaiba doch nicht so ein Mistkerl. Er hatte anscheinend nette Seiten. Na ja, von dem frechen Kuss mal angesehen, ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Der erste hatte mich schon überfordert und dieser? Er war ebenso dreist und auch ebenso unerwartet, aber doch irgendwie… Nachdenklich betrachtete ich die Zeilen vor mir. Mit Mai war es anders, leidenschaftlicher, irgendwie gewollter. Das hier tat Kaiba nur, um mich zu verunsichern, um mir zu zeigen, dass er sich nehmen konnte, was er wollte. Meine persönlichen Grenzen zu überschreiten war seine Art seine Dominanz durchzusetzen und mir meine Handlungsunfähigkeit klar zu machen. Dennoch… hatte ich mehr Widerstand von meiner Seite erwartet. Es ärgerte mich, ich war sauer, irgendwie angefahren, aber nicht so entsetzt, wie ich es erwarten würde, wenn mich ein anderer Mann einfach so küsste. Ja, irgendwie hätte ich mehr aus der Haut fahren müssen, ihn anschreien, ihm vielleicht deutlicher sagen sollen, dass er so etwas nie wieder machen sollte.

Schweigend starrte ich erneut auf die gleichen Zeilen dieser Seite und blätterte um. Ich musste noch ein gutes Stück im Buch weiter nach hinten und so stieß ich nachdenklich die Luft aus, während meine Hände jedes Blatt einzeln wendeten. So würde ich noch ewig brauchen, um mein Ziel zu erreichen. Vielleicht war das auch gar nicht so schlimm. Immerhin drehten sich meine Gedanken weiterhin um diesen Kuss und meine Reaktion. Irgendwie fühlte ich mich immer sicher, da war nie ein Zweifel, auf welches Geschlecht ich nun stand. Kaiba hingegen sah das alles so locker, ihm war es schlichtweg egal! Meine Freunde sähen das anders und auch ihre Reaktion über den Kuss wäre sicher schockierter. Schockierter als meine eigene. Wahrscheinlich lag es nur daran, dass ich mich langsam an all diese Berührungen gewöhnte. Ständig war dieser komische Kerl mir so nahe. Seine Finger strichen über meine Haut, meine Wangen, sie fuhren durch meine blonden Haare und oft war er nur wenige Zentimeter von mir entfernt. Vielleicht gewöhnte man sich einfach an so etwas. Tristan und ich… ja… irgendwie waren wir uns nicht so nahe. Auch mit Yugi, den ich oft brüderlich in den Arm nahm, war nie so eine vertraute Nähe entstanden. Irgendwie erschien es mir, als wäre die Arbeit mit ihm immer von einem solch intimen Kontakt geprägt. Nur konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie er mit Yuriko arbeiten würde. Er käme ihr sicher nicht so nahe! Niemals! Sie würde garantiert nicht zulassen, dass er ihr dermaßen auf die Pelle rückte! Wahrscheinlich säße sie in ihrem Stuhl und würde ihn nur aus den grauen Augen anklagend anblicken, wenn er jemals bei ihr auf die Idee käme, sich so direkt neben ihr über den Schreibtisch zu beugen.

Ich seufzte. All diese Gedanken machten mich wahnsinnig. Bisher hatte ich mir niemals über die Sexualität dieses Mannes Gedanken gemacht. Selbst nach seinem fragwürdigen Geständnis in der Küche hatte ich keinerlei Zeit in diese Tatsache investiert. Jetzt stand aber plötzlich eine Frage im Raum, die mich verwirrte. Wie war das bei mir? Klar, wenn eine tolle Frau vor mir stand, wurde mir schon anders. Ich wurde rot, meine dummen Sprüche wurden noch etwas dümmer und dieses schreckliche Schwitzen setzte ein. Aber mein Körper an sich… er reagierte nicht so, wie er es tun sollte oder? Sex, ein ewiges Mysterium und etwas, dass in meinem momentanen Leben keinen Platz hatte. Wenn ich mir über Sex Gedanken machte, dann eher in Bezug auf all die Kerle, die ich nicht vermöbeln wollte, weil sie meiner kleinen Schwester an die Wäsche wollten. Für mich war sie immer noch süße 5 Jahre alt und mein Hirn war nicht bereit, die langsam junge Frau in ihr zu sehen. Aber genau das würde zwangsweise geschehen, denn mit ihren 17 Jahren war sie sicher schon lange an Männern interessiert. Vielleicht war sie sogar deutlich aktiver in diesem Bereich, als ich es war. Dieser Gedanke jagte mir einen Schauer über den Rücken. Sie war in meinen Augen das kleine Mädchen, welches ich beschützen würde, komme da, was wolle!

Verstohlen huschte mein Blick zu Kaiba hinüber und ich schluckte. Meine Wangen brannten, dass konnte ich genau spüren. Es war dieses Gefühl der Hitze, welches mir sehr bewusst war. Doch er arbeitete nur, tief konzentriert und nicht abzulenken. Ganz im Gegensatz zu mir, ich hatte es nicht einmal auf die richtige Seite meines Buches geschafft. Dafür machte ich mir über Sex Gedanken, den ich nicht hatte. Wann auch? Mein Alltag sah grauenhaft aus. Ich stand viel zu früh auf, verbrachte dann Stunden in der Schreinerei, kaufte auf dem Weg nach Hause eventuell noch etwas ein und sprang dann unter die Dusche, um den ganzen Staub los zu werden. Dann half ich meiner Schwester beim Kochen und wir aßen gemeinsam zu Abend. Hin und wieder sahen wir einen Film oder ich paukte mich durch meine Arbeitsbücher für die Ausbildung. Am Wochenende arbeitete ich Freitagabend und Samstagabend als Barkeeper, denn mein Gehalt reichte vorne und hinten nicht aus, um uns zu finanzieren. Also schlief ich den Samstag meistens durch und den Sontag gleich mit. Die wenigen Stunden Freizeit verbrachte ich mit meiner Schwester oder Tristan, Tea und Yugi, nur um auf dem Heimweg regelmäßig in Auseinandersetzungen mit Tala zu geraten. Wo sollte ich denn dann bitte noch Zeit finden, meinen eigenen Bedürfnissen nachzugehen oder hübsche Frauen abzuschleppen? Bei Kaiba sah das unter Garantie anders aus. Der hatte wahrscheinlich in den drei Monaten, in denen wir zusammen arbeiteten, mehr Sex, als ich in diesem gesamten Jahr. Gut, da ich beinahe wie ein asketischer Mönch lebte, hatte wahrscheinlich jeder meiner Freunde mehr Vergnügen in diesem Thema.
 

„Wheeler, was ist los?“ Erschrocken zuckte ich zusammen und starrte ihn mit großen Augen an. „Was?“ Entkam mir und ich spürte, wie die Hitze auf meinen Wangen noch einmal zulegte. Hatte ich etwa laut gesprochen? Woher sollte er sonst wissen, dass ich mir irgendwie Gedanken über ihn machte? Die eisblauen Augen starrten mich an und auf seinen schmalen Lippen lag ein seltsam sanftes Lächeln. „Du denkst so laut, dass es mich ablenkt. Damit hast du zwei Möglichkeiten: hör auf damit oder spuck es aus.“ Schweigend stierte ich weiter, denn die Bilder, die in meinem Kopf aufplatzten, waren entsetzlich. Ich dachte an das große Bett in seinem Schlafzimmer und an zwei nackte Körper, die… Wie konnte ich diese Gedanken los werden? Mein Herz hatte wild zu schlagen begonnen, schmerzhaft schnell und ich bekam kaum Luft, so flach war meine Atmung geworden. Die Röte meines Gesichtes musste dafür umso heftiger sein.

„Denkst du noch immer über diesen Kuss nach?“ Seine tiefe Stimme hatte etwas Provokantes und ich konnte meinen Blick nicht halten. Verlegen biss ich mir auf die Unterlippe und starrte wieder in das Buch vor mir. Antworten konnte ich nicht, dazu versuchte ich noch immer zu sehr die Vorstellung zu verdrängen, wie Kaiba mit einem anderen Mann… Sex hatte. Warum mussten ausgerechnet jetzt diese Bilder in meinem Verstand herumgeistern? Wahrscheinlich beobachtete er mich noch immer. Ich hörte, wie er den Laptop auf dem Tisch ein Stück verschob und sich zurücklehnte. „Offenbar ist es mehr, als nur der Kuss. So rot, wie du angelaufen bist, scheint es dir richtig unangenehm zu sein. Worüber denkst du nach, dein Sexleben?“ Tief atmete ich ein und aus, ich versuchte mich zusammen zu reißen. Wirklich half es mir nicht. Den Blick zu heben, wagte ich nicht. Meine Brust schmerzte, das Blut rauschte so laut in meinen Ohren, dass ich meine eigene Stimme kaum hörte. „N… nein, es…“ Ich schluckte hörbar und versuchte die Buchstarben in meinem Buch zu fixieren, um in dem Gewirr von Gedanken wenigstens einen Anflug von Ordnung zu finden. Mein Kopf dröhnte und ich wusste nicht, wie ich anfangen sollte. „Wenn ich das, also, wenn ich dich richtig verstanden habe, dann…“ Wieder schluckte ich und versuchte einen neuen Ansatz zu finden. „Du meintest eben, dass es dir egal ist. Also, ich… das heißt, dass du auch mit…“ Ich stotterte mir einen ab, das wusste ich. Aber dieses Thema war eines, über das ich sonst Stillschweigen bewahrte und es war mir schrecklich unangenehm. Kaiba schien mir jedoch nicht entgegenkommen zu wollen. Er schwieg und wartete darauf, dass ich einen halbwegs verständlichen Satz Zustande bekam.
 

„Hast du dir je die Frage gestellt, ob du anders bist? Ich meine nicht im guten Sinne. Ich meine eher im Sinne, dass du nicht normal bist?“ Mein Herz setzte aus und ich wagte es nicht mehr zu atmen. Inständig hoffte ich, dass er mein Gestotter richtig verstanden hatte. Wenn er jetzt nachfragen würde, bekäme ich sicher gar keinen Ton heraus. Angespannt hielt ich die Luft an und wartete. Stille. Er schien sich nicht zu regen und da mein Blick noch immer stoisch auf mein Buch gerichtet war, konnte ich auch seine Gesichtszüge nicht sehen. „Du meinst, weil ich mit Männern das Bett teile?“ Eine ja oder nein Frage ging. Nicken. Das war vergleichsweise einfach. Angespannt lauschte ich und meinte, ein Schmunzeln zu hören. Sicher war ich mir nicht. „Hm, du machst dir also über mein Sexleben Gedanken und nicht über dein eigenes.“ Seine Stimme klang belustigt, aber sanft. Er schien sich zu amüsieren, jedoch nicht boshaft. Vielleicht zögerte er die Situation absichtlich etwas heraus, bevor er weiter sprach. „Nein, das glaube ich nicht. Für mich ist es etwas gänzlich normales. Ich mache mir keine Gedanken darüber, was andere davon halten, es geht sie immerhin nichts an. Davon abgesehen, dass ich weder für Monogamie noch für Heterosexualität etwas übrig habe. Sie beide sind Druckmittel der Obrigkeit.“

Diese Worte irritierten mich so sehr, dass ich aufblickte und in sein lächelndes Gesicht sah. Diese eisblauen Augen waren direkt auf mich gerichtet und ich schnappte nach Luft. Meine Lungen brannten ebenso, wie meine Wangen. „Was?“ Entkam mir und ich bemerkte, wie ich einen Moment länger brauchte, um meinen Mund wieder zu schließen. „Wieso das?“ Setzte ich nach und versuchte zu verstehen, was mir der charmant lächelnde Kerl da eben gesagt hatte. Kaiba lehnte entspannt an der breiten Rückenlehne der Sitzbank und den linken Arm locker auf diese gelegt. Seine eisblauen Augen leuchteten und er hatte etwas unendlich Selbstsicheres in seiner Haltung. „Alles im Leben basiert auf ein und dem selben Prinzip: Drohung und Verheißung. Die aufgezwungene Monogamie und die vorgeschriebene Heterosexualität gehören in den Bereich Drohung.“ Offenbar war mein Gesichtsausdruck ausreichend überfordert, damit er weiter sprach. „Jedes Lebewesen auf dieser Welt wird von zwei Urinstinkten getrieben. Das ist das eigene Überleben und es ist das Überleben der eigenen Rasse. Ersteres bedeutet, dass wir Essen und Schlafen wollen. Alle anderen Bedürfnisse wie Selbstentfaltung oder Sicherheit sind uninteressant, wenn wir nicht Essen und Schlafen können. Der zweite Urinstinkt, das Überleben der eigenen Rasse bedeutet einfach nur die Fortpflanzung, sprich Sex. Das Verlangen mit einer anderen Person zu schlafen ist also genetisch bedingt. Warum sollte ich mich schämen, wenn ich diesem Trieb nachgehe?“ Seine Stimme hatte etwas Ruhiges und ich bemerkte, wie diese Ruhe mich selbst entspannte.
 

„Ja, aber mit einem Mann zu schlafen, bringt ja nichts. Ich bin nicht sonderlich bewandert in diesem Bereich, aber bei zwei Männern kommen keine Kinder dabei heraus.“ Erklärte ich meine Überlegung und spürte die Hitze in meinem Kopf. Wie war ich in die Situation gekommen, dass ich mich ausgerechnet mit diesem Kerl darüber unterhielt? Kaiba hingegen lächelte etwas Selbstgefällig. „Das ist der Unterschied zwischen Menschen und Tieren. Ich kann selbst bestimmen, mit wem ich Sex habe.“

Das war eine einfache und schlichte Antwort und ich verzog das Gesicht. Sie gefiel mir nicht. Dennoch konnte ich nichts dagegen sagen. Kaiba hingegen setzte zu seinem zweiten Teil an. „Die Welt funktioniert schon seit Jahrtausenden mit den beiden Prinzipien von Drohung und Verheißung. Sie haben sich bis heute gehalten, weil sie so schlicht und effektiv sind. Dein Ausbildungsverhältnis funktioniert ebenso: Du leistest gute Arbeit, denn du weißt, dass dir sonst die Kündigung droht. Leistest du gute Abreit, wirst du im Betrieb übernommen und erhältst Sicherheit und Geld als Gegenleistung. Im großen Stil einer Dynastie funktioniert es nur, wenn eine weitere Komponente dazu kommt. Die Religion.“ Er machte eine kurze Pause und ich versuchte seine Worte zu verstehen. Wie hatten wir es von dem Thema „gleichgeschlechtlicher Sex“ über meiner Ausbildung zu den Göttern geschafft?
 

„Die Religion ermöglicht gleich zwei Dinge. Erstens erklärt sie unerklärliches oder das, was einst einmal unerklärlich war. Das waren Naturkatastrophen, Krankheiten oder schlicht der Wechsel von Sonne und Mond am Himmel. Zweitens bieten sie oft eine Erklärung für das, was nach den Tod passiert. Auch hier bietet sich das typische Spiel, wer ein gutes, redliches Leben geführt hat, wird belohnt, wer sich schlecht Verhalten hat, wird bestraft. Jetzt wird es interessant: Was ist ein redliches Leben und wer bestimmt diese Definition? Es ist die Obrigkeit.“ Wieder ließ er mir eine Pause und ich grübelte. Es war logisch, was Kaiba da vortrug, doch was hatte nun das Leben nach dem Tode mit Sex zu tun?

„Mit der Religion schafft sich die Obrigkeit ihre Legitimation. Der Kaiser, der Pharao, der König, sie alle sind von den Göttern bestimmt, auserwählt oder sogar deren Kinder auf Erden. Demzufolge diktieren sie, wie ein redliches Leben auszusehen hat, welches natürlich mit einschließt, dass sich niemand gegen die Götter stellt. Die Obrigkeit steht in klarer Verbindung zu diesen. Wer sie angreift, greift die Götter an und wird damit bestraft. Es ist ein sich selbst legitimierendes System, aus dem es kein Entkommen gibt.“ Eine vielsagende Pause trat ein und ich wartete gespannt. Jetzt sollte sich der Bogen zum ursprünglichen Thema ergeben. So hoffte ich zumindest. „Außer du stellst die Religion in Frage. Stürzt du die Götter, stürzt du die Obrigkeit. Menschen wie ich tun das. Menschen mit Geld, Zeit und Sicherheit. Ich habe keine Angst, dass morgen kein Essen auf dem Tisch steht, ich kann über die Götter und das System philosophieren. Darum will die Obrigkeit Menschen wie dich, Wheeler. Sag mir, bist du zufrieden mit deinem Leben?“

Eine böse Vorahnung traf mich, doch noch wusste ich nicht, worauf all das hinaus lief. Ehrlich antwortete ich ihm. „Ja, es ist vielleicht nicht einfach, aber ich bin weitestgehend zufrieden.“ Mein Blick lag verwundert auf seinem Gesicht und sein Lächeln wurde noch gefährlicher. „Wann hast du das letzte Mal satt und zufrieden auf deinem Sofa gelegen und dir über die aktuellen Missstände unseres Systems und die damit einhergehende Politik Gedanken gemacht?“ Erstaunt blinzelte ich. Das war weit von Sex entfernt! Verwirrt überlegte ich, zog meine Stirn in Falten. „Davon abgesehen, dass wir kein Sofa haben, noch nie! Ich habe gar keine Zeit, um mich damit auseinander zu…“ Meine Worte brachen ab. Die Yen Münze fiel. „Ich komme nicht auf die Idee, dass System zu stürzen.“ Fasste ich den Gedanken zusammen, der sich mir nun erschloss. Ich war ein ergebener Diener des Systems und auch mein neu gewonnenes Wissen würde nichts daran ändern. Ich hatte zu viel mit der Arbeit, meiner kleinen Schwester und dem winzigen Bisschen Freizeit zu tun, um in den nächsten Jahren eingehend darüber zu philosophieren. Selbst, wenn sich unsere finanzielle Situation verbessern würde, fraß eine größere Wohnung dieses wieder auf.
 

„Die entscheidende Frage für die Obrigkeit ist also, wie sie einen möglichst großen Anteil der Bevölkerung in deiner Situation fest hält. Du besitzt ausreichend, um nicht zu rebellieren und wenig genug, um beschäftigt zu sein. Religionen mit ihren verheißenden Versprechungen bieten diese Möglichkeit. Die Obrigkeit diktiert dem Volk, wie ein religiöses, redliches Leben auszusehen hat und nutzt natürlich nur diese Regeln, die den gewünschten Zustand erhalten; der überwiegende Teil der Bevölkerung ist hörig, arm und beschäftigt damit, ein redliches Leben zu führen. Am effektivsten ist ein Druckmittel, eine Regel, die die gesamte Bevölkerung betrifft. Solltest du dich nach dem verbindenden Element fragen, wir kommen jetzt zum Anfang unserer Unterhaltung zurück. Wie zu Beginn festgestellt, ist Sex ein Bestandteil jedes Lebens, also der gesamten Bevölkerung. Die Regularien beziehen sich also unteranderem auf das Sexleben.“ Er ließ mir wieder eine Pause und ich begriff, wie mein Mund ein Stück weit offen stand.

„Ein redliches Leben führt nur derjenige, der monogam und heterosexuell ist. Alle anderen werden als Sünder bezeichnet. Der Umgang mit ihnen wird ebenfalls zum Sündenfall. Angenommen du wärest ein schwuler Mann, dann wärest du damit beschäftigt, dass niemand dein Geheimnis erfährt. Wüsste dein Sensei, dass du schwul bist, müsste er dich sofort raus schmeißen, um seinen Ruf zu schützen. Dein Ansehen wäre dahin und keiner würde dich wieder einstellen. Damit verlierst du deine finanzielle Sicherheit und wahrscheinlich deine Wohnung. Deine Schwester bekäme keinen anständigen Mann, denn wer heiratet schon die Schwester eines Schwulen.“ Kurz lachte er gehässig auf, während mein Herz schwer wurde.

„Die ganze Stadt würde euch als Sünder meiden. Gleichzeitig bliebe euch nichts anderes mehr übrig, als wirklich zu Sündern zu werden. Ohne finanzielles Einkommen müsstest du die Arbeiten übernehmen, die sonst keiner machen will oder die strafbar sind. Ihr würdet stehlen, erpressen, plündern. Wer weiß, vielleicht würde deine kleine, süße Schwester das einzige verkaufen, was sie noch besitzt.“
 

Übelkeit stieg in mir auf und ich wusste, was er damit meinte. Jetzt waren die schrecklichen Bilder weg, die Kaiba mit einem anderen Mann zeigten. Dafür sah ich stattdessen Serenity, die sich für Geld zu dem Mistkerl legte. Wie ich meine Hand auf den Mund presste, um die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken, bemerkte ich nicht. Dafür hörte ich seine Worte, die immer noch von diesem herzlosen Ton gezeichnet waren. „Religionen geben Sicherheit und helfen in den Momenten der Schwäche. Sie erlauben uns eine logische Erklärung für Unerklärliches zu finden. Sie sind aber auch ein Mittel, um die Bevölkerung zu erpressen und die Obrigkeit zu legitimieren. Ein Eingriff in unser privates Sexleben war damals ein extrem effektiver Zug und die Macht der Gewohnheit hat diesen Überzeugungen erhalten. Obwohl wir heute an viele Dinge nicht mehr glauben, bestimmen sie doch unseren Alltag. Selbst ich gehe zu Neujahr in den Tempel und tue für Mokuba so, als würde ich beten. Sollte es die Götter wirklich geben, hassen sie mich eh. Da kann ich meine Seele auch mit ein paar falschen Gebeten besudeln.“ Er lachte kurz, als ich ein würgendes Geräusch von mir gab.

„Du hast auf jeden Fall zu viel Geld, Zeit und Sicherheit.“ Brachte ich hervor und zuckte zusammen, als die Stewardess mir plötzlich ein Glas Wasser auf den Tisch stellte. Ich hatte sie nicht bemerkt, noch wusste ich, woher ihre Weitsicht kam. Vielleicht hatte ich das auch Kaiba zu verdanken. Mit einem Nicken griff ich nach dem Glas und stürzte gierig das kühle Nass meine trockene Kehle herunter. Langsam setzte ich das gläserne Gefäß ab und blickte es einen Moment an, bevor ich zurück zu Kaiba sah, der noch immer dreist grinste. „Für mich hatte Sex bisher immer eher etwas mit zwei Menschen zu tun und weniger mit der Legitimierung politischer Systeme.“ Gab ich leicht krächzend von mir und spürte die Hitze auf meinen Wangen brennen. „Fällt es dir darum so leicht, über all das zu sprechen?“ Ich schluckte und senkte den Blick wieder auf das Glas, welches ich noch mit der linken umgriffen hielt. „Das war wahrscheinlich das längste Gespräch über Sex, das ich jemals in meinem Leben geführt habe.“ Kurz musste ich lachen und meine braunen Augen sahen in sein freches Gesicht. „Oder eher, der längste Vortrag. Viel habe ich ja nicht dazu beigetragen.“
 

„Der Trick ist ganz einfach, Wheeler. Sex ist ebenso natürlich und notwendig, wie dein tägliches Essen. Wenn du diesen Gedanken verinnerlicht hast, dann ist es dir auch nicht mehr peinlich.“ Mein Schlucken musste hörbar gewesen sein und ich schlug mit der rechten Hand mein Buch zu. Irgendwie musste ich mich bewegen, sonst kam ich aus meinem gedanklichen Karussell nicht mehr heraus. Das Arbeitsbuch schob ich auf die Mitte des Tisches und straffte meine Schultern. „Mag wohl stimmen, aber die Vorstellung ist trotzdem komisch. Wer fragt denn seine Freunde: ‚Und wann hattest du das letzte Mal Sex?‘“ Gab ich von mir und verschränkte die Arme vor der Brust. Das Polster der Rückenlehne fühlte sich weich an, als ich mich dagegen drückte. „Warum nicht?“ Kam die direkte Frage und mit einem Hochziehen der Augenbraue fügte er an. „Gestern!“

Irritiert zog ich die Stirn in Falten, bis mir die Bedeutung des Wortes „gestern“ bewusst wurde. „Gut, wenn du meinst.“ Ich atmete kräftig ein und gab mir große Mühe, dieses Mal den Blickkontakt zuhalten. Zwar schrie alles in mir auf, ein schmerzhaftes Brennen erfüllte jede Faser meines Körpers, aber ich zwang mich weiter dazu. „Mit einer Frau oder einem Mann?“ Ich hatte mir immerhin ein Versprechen gegeben, dass ich hier beweisen konnte. Nicht aufgeben, keine Angst haben! „Beides.“ War die schlichte Erwiderung und ich leckte über meine Lippen, um Zeit zu gewinnen. Meine Wangen glühten, das Blut rauschte in meinen Ohren und mir musste sehr deutlich die Verlegenheit abzulesen sein. „Die Freundin, mit der du dich gestritten hast?“ Ein Zittern lag in meiner Stimme, sein Grinsen war überragend dreist. Kaiba hatte an diesem Gespräch mehr Spaß, als an all den Demütigungen zuvor. Selbst der gestohlene Kuss von vorhin schien nicht mit dieser Unterhaltung vergleichbar zu sein. Das lag wahrscheinlich daran, dass ich mich selbst geißelte und vielleicht ahnte er auch, dass mein aufgekratzter Verstand ihn mit meiner Schwester und einem anderen Mann im Bett als Hauptmotiv auserkoren hatte. Ein Dreier… ließ der Kerl denn gar keine Perversion aus?

„Ja, sie heißt übrigens Viktoria. Das sollte zukünftige Gespräche leichter machen.“ Kurz schien etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und ich hörte gedämpfte Schritte. Die Stewardess kam mit einem großen Becher Kaffee und stellte diesen mit einem schlichten Lächeln auf den schmalen Tisch zwischen uns. Dann fiel ihr Blick auf mich und ich kam ihr zuvor. „Haben sie einen Jasmintee?“ Ihr Nicken reichte aus und sie verbeugte sich leicht, bevor sie ging. Nun war ich also wieder am Zug und ich stellte meine nächste Frage. „Und der Mann? Ein Bekannter oder eine zufällige Eroberung?“ Erst nachdem ich meine eigenen Worte hörte, begriff ich etwas Erschreckendes. Ich wurde neugierig! Ja, so peinlich mir dieses Gespräch auch war, es entwickelte sich in eine interessante Richtung. Warum auch immer das Sexleben Seto Kaibas etwas Interessantes war! „Keins von beiden. Ein Freund, Patrik. Ich kenne ihn und Viktoria schon einige Jahre und er ist recht häufig bei ihr, wenn ich sie besuche. Da er und ich beide bisexuell sind, ist es meines Wissens noch nie dazu gekommen, dass wir nicht gemeinsam im Bett gelandet sind.“

Es war eher eine feste Bettgeschichte. Nachdenklich ließ ich diese Überlegung in meinem Verstand reifen und erfreute mich an der Feststellung, dass meine überschäumende Phantasie wenigstens Serenity aus dieser Sexgeschichte geschmissen hatte. Es war äußerst beruhigend, nicht meine Schwester in seinem Bett zu sehen. Selbst wenn dieses Bild nur einer als abartig zu bezeichnenden Phantasie meinerseits entsprungen war. „War diese… sexuelle Komponente schon immer Teil dieser Freundschaft?“ Nur kurz hatte ich gestockt, mit jeder weiteren Frage fiel es mir leichter. Seltsam. Sein Grinsen blieb dafür und zeugte noch immer von überschwänglicher Freude. „Ja, ich weiß zwar nicht mehr genau, wie wir es zu dritt in ein und das selbe Bett geschafft haben, aber das ging damals recht schnell. Ich habe Patrik und Viktoria unabhängig von einander kennengelernt und irgendwann fanden wir heraus, dass sich die beiden ebenfalls kannten.“

Der Kerl war unerwartet gesprächig. Noch immer hatte ich meine Arme verschränkt und wusste, dass mir die Fragen ausgehen würden. Zumindest diese, die ich ihm stellen wollte. Nicht alles, was ich fragen konnte, sollte ich fragen und auf Einzelheiten des Bettgeflüsters konnte ich dankend verzichten. „Ich stelle mir das irgendwie ziemlich kompliziert vor.“ Gab ich von mir und hob dann doch gleich abwehrend die Hände. „Nein, bitte, lass diese Aussage einfach so stehen, ja!“ Das Funkeln in den eisblauen Augen erkannte ich sofort und er schien beinahe so, als hätte er nur auf solch einen Moment gewartet.
 

„Na gut, wie du willst.“ Er schien wieder abgelenkt und nur einen Moment später erkannte ich den Grund. Die nette Dame mit den schwarzen, kurzen Haaren und dem adretten, knappen Rock kam wieder zurück. Auf einem kleinen Tablett befand sich mein Becher, etwas Zucker, eine kleine Schale und ein Löffel. Ich beobachtete sie mit einem angenehmen Gefühl im Bauch, während sie eine kleine Decke ausrollte und alles hübsch vor mir abstellte. „Danke.“ Meinte ich und sah die Sanduhr, die schon von ihr umgedreht wurde. Sie hatte für jede Minute einen kleinen schwarzen Strich und ich konnte ablesen, dass die meisten den Tee jetzt herausnehmen würden. Zwei Minuten reichten völlig aus. Ich war da anders, bei vier bis sechs Minuten mochte ich ihn lieber. Sie verbeugte sich schlicht und verschwand.

Meine Gedanken wanderten derweil zu einer unerwarteten Frage. Die Dame mochte vielleicht Ende zwanzig sein, von kleiner Körpergröße, doch sonst sehr ansehnlich. Ich beugte mich leicht vor, um ihr über die Schultet hinweg nachzusehen. Nein, sie sprach mich so gar nicht an. Nicht mein Typ. Dummerweise war ich dabei zu auffällig und die nächste Frage ereilte mich mit einem erneuten Ansturm verlegener Röte. „Diesen Blick kann ich nicht ignorieren, Wheeler. Wann war dein letztes Mal? Wann hattest du das letzte Mal Sex?“ Das Rauchen des eigenen Blutes reichte nicht aus, um sein gehässiges Lachen zu überhören. Es war nicht laut, doch die Hitze auf meinen Wangen hatte ihm wohl mehr verraten, als ich wollte. „Mein… also mein letztes Mal?“ Stotterte ich. War ja klar, dass mich dieses Schicksal auch ereilte. Was sollte ich darauf antworten? Die Wahrheit war mir ein wenig zu heikel und nach all dem schämte ich mich doch ganz schön vor ihm. Kaiba war umtriebig, erfahren und ziemlich offen bei dem Thema Sex, wogegen ich…. Ich hörte mich selbst Schlucken und suchte hektisch den Tee. Ihn könnte ich nicht ansehen. Zu unangenehm. Verbittert stellte ich fest, dass meine rechte Hand zitterte, mit der ich das kleine Sieb mit den Teeblättern aus meinem Becher zog. „Bei deinem Grad an Verlegenheit muss es ja ewig her sein.“ Höhnte der Brünette von der anderen Seite und ich spürte, wie meine Wangen noch einmal an Hitze zulegten. Wenn er wüsste! Aber das würde ich ihm sicher nicht sagen. Mit einem neuen tiefen Einatmen hob ich den Blick und wagte es. Sein dreistes Grinsen war nicht breiter, als ich es erwartete. Die blauen Augen leuchteten mich mit diesem höhnischen Funkeln an, die beobachtend auf mich gerichtet waren. „Na ja, seit ich mit meiner Schwester in eine Wohnung gezogen bin, habe ich gar keine Zeit für dieses Thema. Der einzige Gedanke, den ich an Sex verschwende, ist die Sorge, dass irgendwann ein Kerl an unserer Tür klingelt und Serenity zu einem Date abholen will. Wahrscheinlich werde ich mich dann sehr zusammen reißen müssen, damit ich den Kerl nicht vermöbel.“ Erklärte ich und stellte fest, dass ich dafür einen mitleidigen Ausdruck kassierte. „Was denn? Es hat auch Vorteile. Wenn ich plötzlich als Mönch in ein Kloster müsste, fiele mir das sehr leicht. Ich lebe extrem asketisch.“ Nun war es an mir, ein fieses Lächeln aufzusetzen und ich stichelte provozierend. „So ein sexloses Klosterleben wäre sicher für dich ein absoluter Albtraum oder?“ Ich sah das kurze Entsetzen über sein Gesicht huschen und wusste, dass ich ein klein wenig Oberwasser gewonnen hatte. Zumindest für diesen winzigen Moment.
 

„Oh ja, das ist der Stoff, aus dem meine Albträume gewebt werden.“ Gab er an und ich sah unter dem wieder auftretenden Lächeln noch immer eine gewisse Angst in seinen eisblauen Augen. „Ich kann mir definitiv kein Leben vorstellen, in dem ich nie wieder Sex hätte.“ Er schüttelte den Kopf und nun kam mir eine nette Idee. Mein breites Grinsen schien mich zu verraten, denn er hielt inne, musterte mich genau. Ich griff derweil nach meinem Teebecher und hielt ihn wärmend umklammert. Es tat gut, die Hitze auf meiner Haut zu spüren. „Wir hatten es doch vorhin mit den Göttern, die du ja sicher schon mehrfach verärgert hast. Gehen wir mal spaßhaft davon aus, dass du plötzlich vor einem solchen Gott stehst und er dich bestrafen will.“ Ich ließ diese Worte im Raum stehen und stützte mich mit den Ellenbogen auf den Tisch. Kaiba blickte mich aufmerksam an und wartete. „Er würde dich vor die Wahl stellen, eine Sache nimmt er dir, eine darfst du behalten. Entweder kannst du weiterhin der Firmenführer der Kaiba Corp. bleiben, dafür darfst du nie wieder Sex haben oder du darfst weiter umtriebig sein, verlierst aber deine Firma. Für was entscheidest du dich?“

Wenn ich dachte, dass sein Gesicht bei der Vorstellung des Klosterlebens schon entsetzt gewesen war, zeigte es nun einen Ausdruck völliger Überforderung. Die eisblauen Augen waren weit aufgerissen und ich registrierte, dass selbst sein Mund ein kleines Stück geöffnet war. Seto Kaiba war so entsetzt, dass er nicht in der Lage war, eine Antwort in seinem Gehirn zu formulieren. Mein Grinsen wurde derweil noch breiter und ich meinte leicht süffisant. „Also, was gibst du auf, dein Sexleben oder deine Firma?“ Es dauerte noch einige Atemzüge, bis sich die schmalen Lippen wieder schlossen und eine Regung über das helle Gesicht fuhr. Er schien sich noch immer zu sammeln und nur schwer sog er die Luft ein. Ich konnte sehen, wie er sich dazu zwang, seinen Blick wieder von meinem Gesicht auf den Teebescher in meinen Händen zu lenken und noch einmal hörte ich ihn tief Atmen.

„Das ist eine unerwartet schwere Frage. Schließt der Verlaust meines Unternehmens auch mit ein, dass ich nie wieder ein neues gründen darf oder eines kaufen?“ Ein Lachen entkam mir und ich ahnte, worauf er hinaus wollte. Mit einem Kopfschütteln schloss ich die Augen und nahm noch einen Schluck von meinem Tee. „Schon gut, deine Reaktion reicht mir. Du bist sicher auf der Suche nach einem Weg, wie du beides behalten kannst, nicht wahr?“ Er nickte, schwieg dennoch unerwartet. „Hör zu, es ist nur eine Frage und ich muss ganz ehrlich sagen, dass es mich schockiert, dass dir Sex so wichtig ist, dass du dich nicht direkt für deine Firma entscheiden kannst. Ich lebe jetzt gefühlt seit Jahren enthaltsam und beklage mich auch nicht. Wenn deine Welt so schnell ins Wanken gerät, mache ich mir ein wenig Sorgen um dich. Nicht, dass deine Entscheidungen demnächst von deinem kleinen Kaiba getroffen werden und nicht mehr von deinem rationalen Verstand.“ Meine Augen leuchteten und zwar stieg mir bei diesen Worten gleich wieder ein Schwall Hitze in die Wangen, doch ich schaffte es, dass sich der Eisklotz wieder entspannte. Ein Lächeln huschte über seine Lippen und er lehnte sich zurück. Er hatte sich bei all dem Horror, in den ich ihn gedanklich stürzte, zu mir vorgebeugt.
 

„Jetzt kann ich dich beruhigen, dass wird niemals passieren! Ich trenne diese beiden Dinge sehr strikt voneinander. Wen ich in mein Bett lasse, lasse ich nicht in mein Büro.“ Er hielt kurz inne. „Viktoria einmal außen vor gelassen, aber sie lässt mich immerhin auch in ihr Büro, also ist das recht ausgeglichen.“ Spielerisch zog ich meine Augenbrauen in die Höhe und verzog den Mund. „Eine Frau, die es in dein Bett und dein Büro geschafft hat? Jetzt habe ich fast ein schlechtes Gewissen.“ Gab ich leicht verlegen von mir, denn ich bereute meine Worte in der Früh. Ich kannte diese Viktoria nicht und doch hatte ich ihm geraten, sich von der Frau zu trennen. Wer war ich schon, dass ich jemandem wie Kaiba Beziehungstipps geben konnte? Meine einzige Beziehung hatte ich erfolgreich vor die Wand gefahren. Sonst hatte ich nicht einmal Sex mit einer Frau und heute stellte ich mir zum ersten Mal ernsthaft die Frage, ob ich mir meiner eigenen Sexualität so sicher war, wenn ich nicht wie ein Irrer wegen den Kuss eines anderen Mannes ausrastete.

„Was meinst du?“ Fragte er kurz verwundert und schien nicht mehr ganz den Werdegang unseres Gespräches im Kopf zu haben. Vielleicht war es dumm, dieses nun wieder aufzufrischen. Mit unsicherer Stimme begann ich und meinte zurückhaltend. „Du hattest mir doch von dieser Viktoria heute Morgen erzählt und wir haben festgehalten, dass ihr beiden eine sehr böse Mischung seid. Immerhin hast du doch noch eine Rechnung mit ihr offen oder?“ Für einen Moment war ich mir nicht sicher, ob er noch etwas sagen wollte. Er sah mich nur still an und aus seinem Gesicht war für diese Zeit alle Freude verschwunden. Kurz wich sogar der Blick der eisblauen Augen den meinen aus und er starrte aus dem Fenster. „Du hast das nicht wirklich vor oder? Ich meine, heute Abend noch eine Frau so… medienträchtig ins Bett zu bekommen?“ Fragte ich vorsichtig und hielt ein wenig den Atem an, als die eisblauen Augen wieder zu mir fanden. Sie wirkten plötzlich so verschlossen, ernst und… verletzt? Ich blinzelte und war mir nicht sicher, ob ich den Ausdruck so verstehen konnte. Dennoch wirkte er wie angeschlagen, verwundet und diese Schicht aus dickem Eis war wieder über seine Gefühle gelegt. Es war der gleiche Ausdruck, den ich auch schon am letzten Abend gesehen hatte, als er aus Großbritannien zurück gekehrt war.

„Dafür ist es etwas zu spät, Wheeler.“ Selbst seine Stimme hatte wieder diesen schneidenden, kalten Ton und ich zuckte leicht zusammen. Was hatte denn diese Frau für einen schlechten Einfluss auf ihn, dass alles so unerwartet schnell kippte? „Ich habe vorhin mit Kamli geschrieben. Er ist ein Freund, den wir in Dubai treffen. Er schlug mir vor, dass wir heute Abend ausgiebig feiern gehen. Ich habe ihm zugesagt. Musik, Drinks und Frauen, so ist der Plan für heute Abend.“ Ich wusste, dass ich nur der dumme Sekretär, nur der dumme Hund war, mit dem er aktuell spielte, aber ich war mir in diesem Moment sicher, dass er das nicht wollte. Er würde es tun, ja, auf jeden Fall. Sich betrinken, feiern, flirten, aber es war nicht das, wonach er sich wirklich sehnte. Wäre es anders, hätte er dabei nicht so verloren geklungen. Sein Blick schien weit entrückt und ohne noch etwas zu sagen, zog er den Laptop wieder zu sich heran. Ich wurde ignoriert. Vielleicht war das besser so. Für einen flüchtigen Moment hatte ich das Gefühl, dass mich ein Schauer der Vorahnung packte und erzittern ließ. Der Abend würde böse werden. Vielleicht war es nur Einbildung, aber hier geschah etwas mit Kaiba, dass ihm nicht gut tat. Viktoria… wer war sie, dass sie diesen Mann so beeinflussen konnte, ihn so aus dem Gleichgewicht brachte?

Auf fremdem Boden

Kapitel 29

Auf fremdem Boden
 

Noch lange machte ich mir über diese Situation Gedanken. Kaiba hatte sich zurückgezogen und wieder auf seinen Laptop konzentriert. Was auch immer geschehen war, es hatte ihn verändert. Ich spürte diese seltsame Aura in der Luft und irgendwie hatte sich mir der Blick dieser Augen eingebrannt. Hinter der dicken Schicht aus Eis schien so viel Schmerz zu liegen. Nur warum? Welche Bedeutung hatte diese Frau im Leben Seto Kaibas? Verwirrt ließ ich es endlich bleiben und konzentrierte mich ein weiteres Mal auf diesem Flug auf meinen Lernstoff. Es brachte mir immerhin nichts, wenn ich mir weiter über diesen Kerl Gedanken machte, ohne dabei ein Ergebnis erreichen zu können.

Noch verwirrter wurde ich jedoch, als die Flugbegleiterin uns mitteilte, dass wir zum ersten Zwischenstopp ansetzten und wir uns anschnallen sollten. Ich tat, wie mir geheißen und blickte aus dem Fenster. Ich konnte unter uns wieder die Häuser erkennen, noch klein und winzig, aber sie kamen immer näher. Erstaunt beobachtete ich das Bild, welches sich hinter dem Fenster ergab. „Im Gegensatz zu einem Linienflugzeug kann der Jet die Gesamtstecke nicht nonstop fliegen. Er schafft ungefähr 2.700 Kilometer. Wir benötigen für eine Strecke von knapp 8.000 km daher zwei Zwischenlandungen, in denen wir nichts anderes tun, als zu tanken. Je nachdem, wie schnell wir wieder eine freie Startbahn bekommen, sparen wir in der Gesamtzeit nur 1,5 Stunden ein.“ Erstaunt begriff ich, dass dieser Kühlschrank wieder mit mir sprach und ich nickte leise. „Nein, es rechnet sich im Grunde nicht. Es wäre deutlich günstiger gewesen, wenn wir einen Linienflug genommen hätten. Finanziell ist diese Reise eher ein Desaster.“ Ein leichtes Lächeln lag auf Setos Lippen und ich kratzte mich verlegen am Hinterkopf. „Oh, ich bin wirklich leicht zu durchschauen oder?“ Meinte ich mit einem schiefen Grinsen und spürte, wie sich diese unangenehme Wärme auf meine Wangen legte. „Schon gut, es gibt dramatischere Nachteile ihm Leben, Wheeler. Du solltest nur niemals Poker spielen. Dich würde sogar Yugi bis aufs letzte Hemd ausnehmen.“

Diese seltsame Distanz war noch immer in seiner Stimme zu hören und so lachte ich nur knapp. Mein Blick fiel wieder aus dem Flugzeug und ich begann begeistert zu beobachten, was sich mir vor dem kleinen Fenster bot. Es war ein anderes Land, eine andere Welt und begierig suchte ich jedes kleine Detail. Viel zu kurz erschien mir die Zeit, als sich das Flugzeug wieder in Bewegung setzte und wir die richtige Position auf dem Rollfeld einnahmen. Angst erfasste mich, ich hasste diesen Moment, wenn wir den Boden unter den Füßen verloren oder besser, unter den Rädern.
 

Als wir zur zweiten Landung ansetzten, wurde ich sanft von der Flugbegleiterin geweckt. Offensichtlich war ich eingeschlafen und bei dem Versuch den Kopf zu heben, klebte die Buchseite an meiner Wange fest. „Lachen sie ruhig. Ich würde es sicher an ihrer Stelle tun.“ Meinte ich versöhnlich, als ich ihr unterdrücktes Lächeln sah. Kaiba hatte sich anscheinen zurück gezogen und saß auf einem der Sessel. Sollte er doch. Müde rieb ich mir über meinen steifen Nacken und beobachtete ein weiteres Mal die Welt da draußen, die nun langsam wieder ihre richtige Größe anzunehmen begann. Irgendwie schien ich mich ein klein wenig an dieses Spiel zu gewöhnen und ich freute mich schon darauf, all die Unterschiede zu finden, die es zu unserem ersten Stopp gab.
 

Die letzten Stunden verbrachte ich mit dem kläglichen Versuch zu lesen, doch ich ließ mich zu gerne von meiner Schwester ablenken. Offenbar hatte ich hier oben Internet und so schrieben wir fleißig über Gott und die Welt. Ich schaffte es sogar, ihr ein Photo von der Wolkendecke zu schicken, über die wir flogen. Dennoch blieb dieses komische Gefühl, dass ich irgendetwas falsch gemacht hatte. Ich verstand nicht, warum Kaiba nun so wütend auf mich war und irgendwie all die Freude und der Spaß, den wir hatten, nur noch eine leere Erinnerung schien. Vielleicht hätte ich nicht von ihr beginnen sollen, diese Frau hatte ihn irgendwie im Griff, aber nicht auf die gute Weise. Selbst bei der Überlegung, dass er seinen Plan heute Abend umsetzen würde, schrie mein Bauchgefühl auf. Es war nicht gut, gar nicht gut. Sich betrinken und dann in aller Öffentlichkeit Frauen abschleppen, nur um sich zu rächen? Vielleicht konnte ich ihn davon überzeugen, dass es einen nachhaltig schlechten Eindruck auf die Verhandlungen hatte. Das wäre vielleicht eine Idee.
 

Die Ankunft in Dubai war eines der größten Erlebnisse meines Lebens. Schon die Landung in Amerika, hatte mir die Winzigkeit meiner eigenen Welt gezeigt, doch hier schien alles noch ein wenig eigener zu sein. Niemand schien sich darüber zu wundern, dass der Jet landete und mit großen Augen verfolgte ich, wie wir vor dem gewaltigen, leicht bläulichen Gebäude standen. Wäre Kaiba nicht, hätte ich keinerlei Ahnung, was ich tun müsste. Zum Glück war mein Reisepass noch immer aktuell und mit möglichst graden Schultern und großen Augen folgte ich dem Mann, der offenbar nicht das erste Mal hier war. Irgendwie schafften wir es in diesem seltsamen Gebäude an allen Normalsterblichen vorbei zu kommen. Der Flughafen wirkte wie ein riesiges, rundes Rohr, welches hübsch weiß mit blauen Akzenten auf den Platz gelegt wurde. Aus allen Wolken fiel ich als der Kerl plötzlich nicht englisch, sondern arabisch mit der Dame hinter dem Schalter sprach und ihr den Reisepass vorlegte. Als beide mich ansahen, beeilte ich mich dieses ebenfalls zu tun und kaum später saßen wir in einer großen, gemütlichen Limousine, die uns vom Flughafen weg führte.

Vielleicht war es diese kindliche Begeisterung, die den Kühlschrank wieder erwärmte, denn plötzlich tauchte ein Lächeln auf seinen Lippen auf. Ich hatte es nicht erwartet und schweigend erwiderte ich es mit einem breiten Grinsen. Ich konnte mich kaum satt sehen, an den vielen Gebäuden, die sich neben der Straße erstreckten und hatte das Gefühl, dass einige von ihnen weit aus größer waren, als der gewaltige Turm, der den Firmensitz dieses brünetten Eisschrankes darstellte. Hier in der Innenstadt schienen sich die Gebäude in Form und Gestaltung überbieten zu wollen und an jeder Ecke konnte ich eine neue, interessante Konstellation sehen. Ich war mir sicher, dass ich hier tagelang entlangwandern konnte und doch noch immer nicht alles gesehen hatte. Ja, Dubai war eine erstaunliche Stadt.
 

Ebenso erstaunlich war das, was sie nun an Ende ihrer Fahrt erwartete. Er konnte den großen Turm sehen oder eher das Hotel. Seine honigbraunen Augen sahen rund zu dem Gebäude auf, welches auf einer kleinen Insel im Meer vorgelagert war. Eine Brücke mit schneeweißem Geländer verband dieses unglaubliche Bauwerk mit der Küste. Der Blonde schluckte und doch kam ihm spöttisch in den Sinn, dass dieses Hotel wirkte, als hätte jemand eine weiße Banane in den Boden gesteckt und sie in kleine Stücke geschnitten. Die elegante Form, die nach vorne hin auslegend rundlich war hatte eine grade, schlichte Rückwand zum Meer hin. „Burj Al Arab.“ Murmelte Joey vor sich hin. So oder so ähnlich hieß das Hotel und er konnte sich erinnern, dass er es schon in einigen Videos über Dubei gesehen hatte. Ganz untätig war der Blonde nicht gewesen und als sie vor dem großen, gläsernen Eingang zum Stehen kamen, trat ein Mann mit dunkler Haut an die Tür, um diese zu öffnen. Er begrüßte sie auf Arabisch und Seto antwortete etwas. Es war so seltsam, den Brünetten in einer solchen Sprach zu hören und aufgeregt kletterte Joey aus dem großen Wagen. Das hier war eine Welt, die ihm so fremd und seltsam vorkam, dass er nicht einmal Angst empfinden konnte. Es erschien ihm wie ein wilder Traum und dann betrat er das Gebäude. Er blieb einfach stehen und konnte seinen Mund nicht schließen. Gewaltig, groß und mit viel Gold begrüßte ihn die Eingangshalle und er starrte überfordert in diese glamouröse Schönheit.

„Kommst du endlich?“ Fragte Seto mir kühler Stimme und verwirrt blickten die honigbraunen Augen zu Kaiba. Keine Reaktion folgte. „Wheeler?“ Doch der 19 Jährige stand einfach da, konnte den Mund nicht schließen und blinzelte. Er hatte noch immer den Riemen seiner Tasche über der Schulter und bemerkte, wie jemand hinter ihm die Tür geöffnet hatte. Ein warmer, angenehmer Wind zog durch die Öffnung und mischte sich mit der kühlen Luft des Eingangsbereiches. „Wheeler, bei Fuß!“ Schockartig ging ein Ruck durch den jungen Mann und er verzog sein Gesicht. „Ach, da reagierst du wieder?“ Kam nun spöttisch und nur langsam fand Joey zurück aus seiner Starre. „Halt doch die Klappe, Kaiba.“ Brummte er und schulterte den Riemen noch einmal, damit er ein wenig höher lag. Er setzte sich endlich in Bewegung und als er neben dem Firmenführer ankam, kommentierte er das Ganze nur schlicht. „Ich habe nur noch nie in meinem Leben so etwas gesehen. Ich meine, hast du dir diese gewaltige Eingangshalle einmal angesehen? Da passt das gesamte Stockwerk meines Hauses hinein.“ Er sah ihn groß an, den Zustand seiner Gefühle nicht ganz fassend. „Wenn ich dich an die Hand nehmen soll, sag Bescheid!“ Frotzelte der 22 Jährige mit seinen kühlen, blauen Augen, um dann noch einmal ernst anzufügen. „Ich mag dieses gesamte Hotel nicht. Ist mir viel zu protzig. Ich habe nur ja zu diesem Vorschlag gesagt.“
 

Mit einem Schlucken versuchte sich Joey nun anständiger zu benehmen und folgte dem brünetten Mann. Neugierig blickte er sich um und musterte die anderen Gäste. Sie schienen allgemein etwas besser betucht zu sein und wirkten, als kämen sie aus allen Ecken der Welt. Es war hier Hochsaison, wie er sich erinnerte. Viele Gäste, die Kaiba auf die Nerven gehen konnten. Das gefiel ihm gar nicht. Schweigend ließ er diesem den Vortritt, der an der Rezeption alles klärte. Aufmerksam beobachtete er die Gesichtszüge des Mannes, der dort hinter dem Tresen stand und dann zwei Karten in feinsäuberlichen, blauen Umschlägen hinüber schob. Plötzlich drehte sich Kaiba zu ihm um und hielt eine dieser Karten in der Hand. „Für mich?“ Fragte Joey und nahm sie zögerlich entgegen. Doch die feine Augenbraue hob sich nur in die Höhe, bevor er kommentierte. „Hast du gedacht, dass ich ein Bett mit dir teile? Bei deiner Enthaltsamkeit erwarte ich nicht, dass du heute Abend gleich mit einem Dreier weiter machen willst.“ Joey wurde auf der Stelle bis unter die Haarspitzen rot und konnte nichts weiter dazu sagen. Er schwieg und senkte den Blick. „Das Gepäck wird auf unsere Zimmer gebracht und ich hätte jetzt Hunger. Ich denke, du willst auch etwas zu Mittag essen?“

Die braunen Augen sahen ihn verwirrt an. Mittag? Er hatte die Zeitzonen vergessen und nickte dann schweigend. Nach dieser dummen Aktion wollte er sich lieber zurückhalten. Es reichte ja schon, dass er wie ein Hammel in der Tür stand und sich sicher sein konnte, dass Kaiba das nicht vergaß. Mit einem flauen Gefühl folgte er durch die großen Gänge und an den lichten Fenstern vorbei. Es ging in den hinteren Teil des Hotels und bewundernd sah er auf die blaue, glitzernde Fläche vor den Fenstern. Das Meer. Er hatte es bisher nur zwei oder drei Mal gesehen. Domino lag im Landesinneren und mit seinen bescheidenen Mittel hatte er nur über die Schulausflüge den weiten Ozean erblicken können. So sah also das Meer aus, wenn es wie eine Decke aus funkelnden Steinen unendliche Weiten bedeckte. Irgendwie stimmte ihn dieser Anblick froh und ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. Seine Aufmerksamkeit war auf die Frau am Eingang des großen Speisesaales gerichtet, die hinter einem kleinen Pult stand. Kurz sprach Kaiba mit ihr und sie nickte. Ihre Antwort war unverständlich und sie schien überrascht, dass der junge Mann, der so gar nicht arabisch wirkte, so fließend zu sprechen schien. Sie deutete in den Raum und erklärte etwas. Dankend deutete Kaiba eine Verbeugung an und sie erwiderte diese. Schweigend folgte Joey dem schlanken, hübschen Rücken, der sich durch das Gedränge in den großen Raum bewegte. Es wurde voll hier und überall hörte er fremde Sprachen. Englisch war ebenfalls dabei und Joey freute sich, als er erkannte, wie ein Mann seiner Frau sagte, dass er unbedingt nach dem Essen an den Strand wollte.
 

Der Speisesaal schien sich auf der Rückseite des großen Gebäudes entlang zu ziehen und wartete mit gewaltigen Glaswänden auf, die einen Blick über den Außenbereich und dann über das große, weite Meer erlaubten. “Gosh, what are you doing, little rat?” Erstaunt sah Joey, wie der Brünette einen kleinen Jungen am Kragen packte, der gerade mit voller Wucht gegen ihn gerannt war. Der Kleine war vielleicht vier Jahre alt und sah aus braunen Augen zu ihm auf. Angst lag in seinem kindlichen Gesicht, welches eine gute Bräunung besaß. Vielleicht war er Europäer, Südländer. „Ayúdame mamá!“ Rief er und strampelte mit den Armen und den Beinen. Abfällig ließ der Firmenführer das Kind wieder fallen und brummte. “What a little bugger!“ Der Kleine war auf seinen Hintern gefallen und Tränen sammelten sich in seinen Augen, bevor er sich weinend aufrappelte und davon rannte. Erstaunt beobachtete Joey diese Szene und wusste nicht, wie er regieren sollte. Hier war es voll, Kinder waren unterwegs und er verstand eines. Das war nicht die Welt, die Kaiba bevorzugte. Schwer sog er die Luft ein und entschied sich dazu, dass er lieber schwieg. Es half ja eh nicht.

Eine fremde Stimme rief plötzlich einen Namen, der ihm sehr bekannt war, doch die Sprache verstand er nicht. Verwundert sah er sich um und dann erblickte er ihn. Es wusste nicht warum, aber es war klar, dass dieser Mann auf Kaiba wartete. Er hatte diesen leicht karamellfarbenen Hautton und braune, klare Augen. Sein schwarzer Bart war typisch gestutzt, so dass er sich unter dem Kinn entlang zog und in zwei sanften Bögen an den vollen Lippen abwärts fiel. Die kurzen Haare waren unter einem dunkelroten Turban versteckt, der neckische Zierbänder besaß, die den Blick einfingen. Um den Hals trug er eine schwarze Kette, die aus festen, großen Perlen bestand. Da er sein rotes Seidenhemd oben offen trug, war diese gut zu sehen. Der Stoff war an der Taille enger geschnitten und reichte dann bis zur Mitte der Oberschenkel. Darunter kam eine schwarze Flanellhose zum Vorschein. Wirklich faszinieren taten ihn die Augen dieses Mannes. Sie waren wie Edelsteine, klar, leuchtend und doch eiskalt. Die ebenmäßigen Gesichtszüge wirkten wie von Meisterhand geschaffen.
 

Zum ersten Mal in seinem Leben starrte er einen Mann an und spürte, wie ihm anders wurde. Dieser Mann schien aus purer Erotik geschaffen worden zu sein und das in einem von Perfektion strotzenden, makellosen Körper. Alles an ihm schien verführerisch, als wäre er nur dazu geboren worden, die Sünde selbst zu sein. Noch nie in seinem Leben war er einem solchen Mann begegnet. Hitze stieg in seine Wangen und er konnte keinen weiteren Schritt gehen. Kaiba war dies nicht aufgefallen und mit einem freudigen Ausdruck hob er seine Hand zum Gruß. “There are you, Kamil! Who are you?“ Antwortete ihm der Brünette und trat neben den Tisch, die Arme leicht erhoben. Der Araber grinste und tat es ihm gleich, zog den schlanken Man an sich und klopfte ihm auf die Schulter. “Fine, thank’s! You’r playing with little buggers, are you?“ Ein kaltes Lachen erklang und der Brünette löste sich von ihm. “Yes, I’m playing the big feast with this bloody cockroach! Oh, I really hate children. Hope, never have some by myself.” Er fuhr sich mit der Hand durch die brünetten Strähnen und dann war er fort. Dieser Zauber der Gewohnheit, der sonst über dem Brünetten lag. Joey hatte ihn immer als den reichen Geldsack angesehen, mit dem er schon zu Schulzeiten gestritten hatte. Da war nichts Interessantes oder Attraktives an ihm. Er kannte den Kerl ja, wusste, wie er war.

Aber jetzt, hier im einfallenden Licht der Sonne Dubais, mitten in diesem vollen, chaotischen Speisesaal, schienen diese braunen Haare seidig weich. Ein unerwartetes Verlangen erfasste ihn, ein Bedürfnis, dass er nicht verstand. Es kribbelte in seinen Fingerspitzen und er wollte so gerne durch diese weichen Haare fahren. Diese perfekte helle Haut, diese wunderschönen blauen Augen, diese schmalen, ebenen Lippen. Ja, er wollte sie berühren, spüren, wie die Wärme dieses fremden Körpers unter dieser Berührung wuchs. Bilder platzten in seinem Kopf auf, er dachte an ihr Gespräch auf dem Flug und an das große Bett des Brünetten. Zwei in völliger Perfektion geformte Körper schmiegten sich aneinander, kein Fetzen Stoff verbarg etwas und eine Sehnsucht wurde in Joey wach. Das war nicht fair! Warum nur Kamil und Seto? Warum waren sie allein? Warum….

Erschrocken zuckte er zusammen, als er die Handbewegung sah. Der gutaussehende, heiße Kerl blickte ihn aus diesen wundervollen braunen Augen an, die linke Hand leicht erhoben. Er schien ihn zu rufen. WARTE? DER WAS? Ihm stand der Mund offen, die Hitze seiner Wangen war in nur einem Herzschlag so gewaltig, dass er bis unter die Haarspitzen rot wurde. Der Riemen seiner Tasche rutschte von der Schulter und sie schlug laut und dumpf auf dem Boden auf. Er musste schlucken und beeilte sich, nach dieser zu greifen. Seine Hände zitterten. Was war nur los mit ihm? Noch nie, noch nie in seinem Leben hatte er so etwas erlebt. Nicht einmal bei May, die ebenfalls einen göttergleichen Körper hatte. Da war er sich sicher, denn er kannte ihn. Nicht so ausgiebig, wie erwartet, aber ausreichend genug, um dies bestätigen zu können. Nein, er hatte noch nie einen Menschen angesehen und dabei das Bedürfnis gehabt… ja, was genau war das für ein Gefühl? Ihn berühren zu wollen? Nein, nicht ganz. Es war mehr.

“Sorry, Kamil, he’s doing that, since we are here. Standing around like a stupid idiot, doing nothing!” Ein kaltes Lachen erklang und Kamil stimmte mit ein. “Yeah, looks like he is a little boy lost in the big world!” Für einen Moment wusste Joey nicht, was er sagen sollte, doch diese Beleidigungen holten ihn zumindest zurück ins hier und jetzt. So griff er noch einmal fester nach seiner Tasche und schüttelte nur den Kopf, während er näher trat. “Sorry, I was shocked, not more. You exist. I thought, Kaiba was making a joke, but there you are.” Nun war es an den beiden Männern ihn skeptisch anzublicken und Joey ließ seine Tasche auf den freien Stuhl neben ihm gleiten. Als er die Verwunderung sah, zuckte er mit den Schultern und erklärte lässig. “You told me, we will meet a friend of yours. I didn’t expect that you have really existing friends. I’m shocked. Whatever, my name is Wheeler Joey!” Für einen Moment konnte sich Seto einen leicht bewundernden Blick nicht verkneifen. Der junge Mann war gut und auch Kamil war erstaunt. Er hatte nach den Beschreibungen seines Freundes nicht so jemanden erwartet. Doch in einem Punkt musste der Araber dem Blondschopf zustimmen. Als Freund dieses leicht herzlosen Egoisten war er nicht minder herzlos und egoistisch. Er setzte ein sanftes Lächeln auf und meinte dann in einem verführerisch tiefen Ton und klarem Englisch. “Nice to meet you, Joey. My name is Kamil Hadad bin Hadisch Malek Hadad bin Hadisch Amar Nejem Al-Saud.” Dabei legte er die Hände leicht übereinander und deutete eine Verbeugung an. Als er aus seinen braunen Augen wieder auf sah, konnte er in ein völlig entsetztes Gesicht blickten und mit einem unschuldigen Blick stellte er die Frage. “Is everything ok?” Natürlich hatte er erwartet, dass der junge Mann ihn verwirrt anblickte und genau dieses gewünschte Ergebnis erzielte er.

Zufrieden musste Seto feststellen, dass Kamil seine charmante Art nicht verloren hatte und unschuldig lächelte der Araber den gerade etwas überforderten Sekretär an. Doch dieser überraschte ihn ein weiteres Mal, als er sich fing und aus seinen honigbraunen Augen direkt in die leuchtenden Edelsteine des Fremden sah. “Well, that’s a long name and I’m sure, you expected, I can’t remember it. You’re right, I cannot. So, you can write your name down or tell me the short one.” Nun war das Erstaunen auf der Seite der beiden jungen Männer zu finden, die sich verwirrt ansahen. Mit einem tiefen Einatmen hob Seto die Hände und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er war selbst über diese Aussage erstaunt, ihn hatte Kamil damals mit diesem Namen dezent in den Wahnsinn getrieben. Dieser Punkt ging anscheinend an den Blonden, der recht gelassen neben seinem Stuhl stand und eine gewisse Belustigung der Situation gegenüber nicht leugnen konnte. “Come on guys, I’m in hell and you are the devil themselves. I expect every evil joke, which you can find. You won’t let me forget, that I only the secretary.” Ein leichtes Lachen entkam dem dunkelgebräunten Mann und er nickte anerkennend. “You’re right, that was the plan. Ok, you can call me Kamil. Is that short enough?” Fragte er und deutete den beiden anderen an, sich zu setzen. Er hatte Hunger und jetzt erwartete ihr neuer Spielgefährte ja den nächsten Angriff. Anscheinend würde er sie mit einer gewissen Leichtigkeit an der Nase herum führen und daran hatte keiner der beiden Interesse.
 

Dass sich dieser Tag noch so entwickeln würde, hätte Seto nicht gedacht. Lachend drückte er sich den Handrücken gegen die Lippen, doch er konnte einfach nicht aufhören. Auch Kamil erging es nicht besser. Es wirkte beinahe so, als würde sein Turban gleich den Halt verlieren, als er laut lachend mit der Hand auf den Tisch schlug. Sie hatten ausschweifend gegessen und nun war eine gewisse Trägheit eingetreten. Sie hatten noch einen Moment, bis das Treffen begann und nachdem auch ein Nachtisch verspeist wurde und der Tee seinen Weg zu ihnen fand, hatten die beiden wieder ein größeres Interesse an dem Blonden entwickelt. Joey war schon aufgefallen, dass die Gespräche zwischen den beiden Männern in einem anderen Ton, einer anderen Art geführt wurden. Es war noch immer Englisch, aber viel komplizierter und er verstand kaum etwas, schnell und mit einem seltsamen Anschlag.

Als der Tee serviert wurde, änderte sich dieses, als wollten sie Joey wieder miteinbeziehen. Seto hatte seinem Freund mit einem höhnischen Ton mitgeteilt, dass die große Klappe des Blonden ihre Grenze in der englischen Sprache fand und Kamil zog in Erwägung, doch endlich Japanisch zu lernen. Es hatte für ihn hier nur leider keine Vorteile. Diese Aussage brachte Joey dazu von einem unterhaltsamen Vorfall zu erzählen, der ihm im Unterricht der Berufsschule passiert war. Mitten im Lehrjahr hatte sich ihr Lehrer das Bein gebrochen und sie brauchten Ersatz. Wie immer kam Joey mit einer saftigen Verspätung in den Unterricht gestolpert, Seto merkte hier an, dass dieses schon zu gemeinsamen Schulzeiten eine Tradition des Blonden war. Dieses Wissen hegten leider auch seine Klassenkammeraden und so hatte jemand den Putzeimer vor die Tür geschoben, dass Joey gegen ihn stieß und nach einem Schrei mit den Armen rudernd mitten auf dem Boden landete. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die beiden sich noch recht gut im Griff, jedoch… “I looked up and everything I saw was legs, wonderful, naked legs of a young woman with a really, really short dress. She was standing in front of me and in the first moment I said. ‘Yeah, what a nice morning!’” Das war der Moment, an dem die beiden ihr Lachen nicht mehr zurückhalten konnten. “She went a few steps back, looked at me like she was in the middle of a nightmare. And yes,… I was a stupid idiot, laying there on the ground, grinned at her and said. ‘How many times goes a men on his niece for you?’ She didn’t answered my question, she only shouted “Go out!” and I gone.” Joey erzählte es mit einer gewissen Freude. Es gab zwar keinen peinlicheren Moment in seiner bisherigen Schulzeit, aber dafür hatte er sich den Respekt seiner Mitschüler gesichert. Die junge Lehrerin hatte ihn jedoch nach dem Unterricht zum Direktor zitiert und sein Meister hatte ihm im Nachhinein ganz schön die Leviten gelesen. Wie konnte er es wagen, einer Frau so unhöflich und respektlos gegenüber zu sein? Da kannte der alte Mann keine Gnade. “It wasn’t that funny after all, I had to clean the whole shop the next month… alone!”

Langsam beruhigte sich der Brünette wieder und musste noch immer glucksen. “Sorry, but…“ Er brach wieder ab und sah Joey etwas entschuldigend an. “That was so typical of you.“ Meinte er und griff nach seinem kleinen, bauchigen Teeglas, um einen Schluck zu trinken. Er musste sich konzentrieren, um nicht erneut zu lachen. Joey hingegen musste nur breit grinsen.
 

Er beobachtete den Mann, mit dem er die nächsten Tage verbringen würde und es fiel ihm erneut auf. Er hatte ein schönes Lachen, wenn es frei aus dem Herzen kam. Ja, eigentlich gefiel ihm dieses Gespräch sehr gut. Er konnte nicht erklären warum, aber hier im Sonnenschein, das Rauschen des Meeres erinnernd, welches unter den Gesprächen der anderen Tische unterging, ja, hier gefiel es ihm gut mit diesen seltsamen, attraktiven Männern, die ihm irgendwie das Gefühl gaben, dazuzugehören. Als sich Kamil endlich gefangen hatte, wollte er gerne mehr über die beiden wissen. Anscheinend kannten sich Joey und Seto schon eine Weile und so erzählte der Firmenführer, wie er damals nach Gozaburos Ableben die Domino High besuchte und über den blonden Chaoten stolperte. Auch Joey war daran interessiert, wie es dazu kam, dass der Firmenführer so weit von Zuhause entfernt einen echten Freund zu haben schien. Nun war es Kamil, der von ihrem Kennenlernen berichtete, bei welchem beide noch Kinder gewesen waren. Ihre Väter hatten sich gekannt und waren wohl geschäftlich miteinander verbunden. Kamil wollte Englisch lernen und Seto damals Arabisch. Er ging davon aus, dass die weltgeschichtliche Entwicklung diese Sprache irgendwann ebenso wichtig werden ließ, wie die englische. Zuerst begannen die beiden nur mit Briefen, die sie über die Welt schickten. Seto schrieb arabisch, Kamil antwortete auf Englisch. Als dann die moderne Welt das Telefon und WhatsApp entdeckte, verlagerte sich die Unterhaltung von der alten, langsamen Papierform in ein schnelles, direktes Gespräch von einer zur andern Seite des Planeten. Sie telefonierten hin und wieder und wenn sich die Möglichkeit ergab, dann trafen sie sich. Letzteres kam leider nicht so oft vor, wie beiden lieb wäre.
 

Mit einem Blick auf die Uhr seines Telephons stellte Seto fest, dass es langsam Zeit für sie wurde. Er wollte sich noch einmal frisch machen und dann hieß es den Nachmittag mit Geplänkel und Tee zu verbringen, um darin die harten Fakten der heutigen Verhandlung unterzubringen. Zusätzlich rechnete er eine gewaltige Zeitspanne ein, in der sich sein Sekretär über die Unterkunft der nächsten Tage freuen würde. Während der Blonde unter dieser wahrheitsgemäßen Aussage errötete, erhob sich der Firmenführer und nahm seinen Freund kurz in den Arm. “We will see us for dinner?“ Fragte der Araber und Seto nickte. “Yes, we will see. I will write to you afterwards contact you for the exact time.“ Antwortete er und Joey musterte die beiden Männer, die sich so nahe waren. Kamil hatte noch immer seine caramelfarbenen Hände auf den Unterarmen Kaibas liegen und plötzlich stellte er sich die Frage, ob sie jemals das Bett miteinander geteilt hatten. Es war seltsam, solche Fragen gehörten nicht zu seinen üblichen Gedanken und mit einem flauen Gefühl im Magen stand er ebenfalls auf. Er konnte nicht leugnen, dass Kamil gut aussah. Es war das erste Mal, dass er ein solches Gefühl empfand, welches ihm ein Kribbeln unter die Haut jagte, wenn er sich die Berührung dieser Hände vorstellte. Toll, warum hatte er auch so ein Gespräch mit dem Eisklotz führen müssen? Jetzt drehte sein Verstand ganz durch. Konnte er diese Gefühle wieder abschalten? Woher kamen sie eigentlich? Er stand doch auf Frauen. Warum kribbelte es dann an Stellen, an denen es auf gar keinen Fall kribbeln sollte?

Joey zuckte zusammen, als ihn jemand an der Schulter berührte und mit großen Augen starrte er in Kamils ebenmäßiges Gesicht. Direkt fielen ihm die Gedanken ein, die er eben noch zu diesem Mann gehegt hatte. Ebenso schlagartig schoss die Hitze in seine Wangen und er begriff, dass sein Mund offen stand. “Calm down, everything is fine. I just want to say goodbye.“ Die tiefe Stimme hatte einen sanften, schmeichelnden Ton und er spürte die Wärme der Hand auf seiner Schulter. Sein Gehirn setzte aus. Seine braunen Augen starrten den jungen Mann an und er war nicht in der Lage zu reagieren. Dafür zierte nun ein vielsagendes Grinsen die makellosen Lippen und die brauen Augen Kamils zeigen einen Ausdruck, der Joey eine Gänsehaut über den Rücken jagen ließ. “Unfortunately I have to break your heart. I'm only into women. But I am glad that you like me so much.” Joey war völlig überfordert und starrte ihn weiterhin an. Erst jetzt schien auch Kaiba zu bemerken, was da vor sich ging und musste sich ein Lachen verkneifen. Seine eisblauen Augen musterten das rote Gesicht, welches so offensichtlich Verlegenheit und Überforderung zeigte.
 

“What? NO! NO, NOT THAT!” Joey war lauter, als er hätte sein müssen, immerhin standen beide Männer recht nah beim ihm. In einer fließenden Bewegung hob er die Hände und trat zurück. Die Augen vor Panik und Entsetzen weit und rund, schaffte der 19 Jährige wirklich den Akt, noch eine Spur dunkler im Gesicht zu werden. “No it’s not… it’s not like this! I… I…” Doch er kam nicht weiter. Das Grinsen der beiden war schlicht als dreckig zu beschreiben und er wusste, dass sie diese Situation ausschlachten würden, wie man es höchstens mit seinen schlimmsten Feinden tat. Er hatte sich ausgeliefert und er ahnte, dass er nun endlich erfahren würde, warum Kaiba und Kamil so gut miteinander befreundet waren. “You are blushing like a schoolgirl. It’s exactly, how it looks!” Sagte der brünette Firmenführer und stützte sich dabei mit dem Arm locker auf der Schulter des ebenso großen Arabers ab. Joey konnte den herablassenden Ton so klar hören, als hätte ihn jemand mit einem Verstärker extra deutlich hervorgehoben. Er schluckte, Schweiß stand auf seiner Stirn und er fühlte sich so elend. Sein Magen wurde flau und sein Herz schlug so hart und wild gegen den Brustkorb, dass es jeden Moment heraus brechen musste. “Yeah, but he isn’t a schoolgirl. And… it's obvious that you like me.” Meinte Kamil und der Blick der braunen Augen wanderte so offensiv von Joeys Gesicht weiter abwärts über dessen Brust, bis hin zu der Stelle, die eine unerwartete Reaktion ausgelöst hatte, dass jeder der beiden anderen verstand, um was es ging. Auch der Blick des Firmenführers folgte seinem und wenn Joey erwartet hatte, dass er jeden hämisch dreckigen Gesichtsausdruck des Mannes kannte, hatte er sich geirrt. Dieses Lächeln löste in ihm ein unendliches Gefühl der Erniedrigung aus und es schien ihm beinahe, als hätten die beiden ihn vor aller Welt bloßgestellt. Er wusste, auf was sie starrten und das machte es nicht besser.

Ohne noch etwas zu sagen griff er nach seiner Tasche und riss sie vom Stuhl. Er drehte sich um und rannte. Lachend sah ihm Kamil nach, während die Lehne neben ihm gefährlich nach hinten kippte und schlussendlich der Erdanziehungskraft nachgab. Mit einem Scheppern schlug der Stuhl auf dem Boden auf und auch Kaiba konnte nicht anders. Es wurde still im Raum, die anderen Gespräche verstummten und alle Augen blickten die beiden Männer an, die ungezügelt lachten. Es war kein schönes Lachen, keines von der Sorte, der man gerne zuhörte. Es war eines jener grausamen Töne, die einem das Blut in den Adern gefrieren ließen. “It was completely unexpected, but funny.” Gab Kaiba von sich und deutete zum Ausgang. “Ok see you later. I have to find the guy again first.” Er klang dabei seltsam beschwingt und amüsiert. Ein Blick in das erfreute Gesicht seines langwierigen Freundes zeigte den gleichen Ausdruck. Mit einem Funkeln in den Augen meinte dieser dann begeistert. “If you only knew how much I'm looking forward to tonight.”

Der erste Verhandlungstag

Kapitel 30

Der erste Verhandlungstag
 

Es dauerte eine Weile, bis Seto den jungen Mann wieder fand. Es gab nicht viele Orte, an denen er suchen konnte, dennoch hatte sich der Blondschopf unerwartet gut versteckt. Er fand ihn schließlich auf einer der Toiletten, die ein Stück abseits vom Restaurant lagen. Hier war es ruhiger und weniger Besucher kamen vorbei. Der Schulterriemen der schwarzen Umhängetasche lag auf dem Boden und schaute ein Stück unter der Tür hindurch. Nachdenklich betrachtete der 22 Jährige diesen und wartete, bis ein vielleicht 13 jähriger Junge seine Hände gewaschen und die Waschräume verlassen hatte. Erst dann klopfte er an die Tür und meinte ruhig. „Ich weiß, dass du da drin bist. Ich hoffe, dass du dich nicht die restlichen drei Tage da verkriechst.“ Doch anstelle einer Antwort schien es noch stiller im Raum zu werden. Kaiba überlegte, ob Joey gerade die Luft anhielt, um so zu tun, als wäre er nicht da. Die Tür zu den Toiletten öffnete sich und ein Mann Mitte 40 trat ein. Er wirkte mit seinen schwarzen Haaren südländisch, sie hatten schon erste graue Strähnen. Verwundert sah er zu dem schlanken, großgewachsenen Mann und warf einen Blick auf die Tür, vor der er stand. Nur einen Moment später drehte er sich um und verließ die Räumlichkeiten wieder.

„Ok, das war fies von uns.“ Begann er erneut und setzte hinzu. „Aber das muss dir wirklich nicht peinlich sein. Es ist unerwartet gewesen, besonders, da du so vehement behauptest, nur auf Frauen zu stehen, aber darum musst du dich nicht gleich hier verkriechen.“ Wieder trat ein erdrückendes Schweigen ein und Seto musterte die schwarzen Marmorwände, die weißen Waschbecken mit den goldenen Wasserhähnen und die großen Spiegel darüber. „Wheeler…“ Weiter kam er nicht, wieder trat jemand in den Toilettenbereich und schien dieses Mal nicht zu bemerken, dass er fehl am Platz war. Der Mann um die 60 öffnete eine der Kabinen und verschwand dahinter. Schweigend hörte der Brünette, wie ein schwerer Gürtel geöffnet wurde und ein Reisverschluss folgte. Er konnte nicht verhindern, dass er sich selbst unwohl fühlte, regelrecht deplatziert, als die Geräuschkulisse angab, warum der Mann es so eilig hatte. Langsam trat er zurück und lehnte sich mit verschränkten Armen an die Wand gegenüber der Kabinen. Zwar spielte eine leise Musik im Hintergrund, doch sie war nicht in der Lage die Stille auszufüllen, die hier herrschte. Mit einem Schlucken dankte Seto dafür, dass sein Gehirn diese Szene nicht farbenfroh ausmalte und als der Gürtel wieder geschlossen wurde, ein Ende dieser Qual in Sicht kam.

Der Mann trug einen Anzug, er schien ebenfalls geschäftlich hier zu sein und die schwarzen Haare waren streng nach hinten gekämmt. Dafür hatte er einen leichten Bauch, der unter dem weißen Hemd zum Vorschein kam. Verwirrt sah er zu dem Brünetten, als er die Kabinentür hinter sich schloss. Dieser deutete nur auf die ihm gegenüberliegende Toilette und meinte dann schlicht. “Sorry, I'm just waiting for someone.” Der Blick wanderte kurz erstaunt zu der Tür, auf die der Firmenführer zeigte und mit einem Nicken trat er an ihm vorbei zu den Waschbecken. “Is everything fine? It’s not the best place to wait.” Erstaunt darüber, dass der andere in ansprach, nickte Seto und überlegte kurz, was er antworten sollte. Der Mann hatte einen angenehmen Ton und eine tiefe Stimme. “It’s nothing important. It's not as bad as he thinks. Thank you!” Es traf die Wahrheit und er hoffte, dass er Joey damit nicht noch mehr in Verlegenheit brachte. Es war schon schlimm genug, dass er sich ausgerechnet hier her verkriechen musste. Der Fremde trocknete die Hände ab und nickte. “You’re welcome.” Antwortete dieser und hob kurz die Hand, als er an dem Fremden vorbei eilte. “Bye.” Kam von beiden Seiten schlicht und Seto wartete auf das Geräusch der ins Schloss fallenden Tür.
 

„Ok, ich werde hier jetzt nicht ewig warten und duzende dummer Gespräche führen, weil du dich darin verkriechst. Entweder kommst du freiwillig da raus oder ich sage dem Hotelpersonal, dass es sich um einen medizinischen Notfall handelt und sie werden die Tür öffnen.“ Gab er in einem herrischen Ton an und nun war seine Geduld ein wenig strapaziert. Dafür schien das erste Mal ein Geräusch auf der anderen Seite zu hören zu sein und plötzlich wurde der Riemen der Tasche hineingezogen. „Ich will aber nicht.“ Kaiba stutzte. Diese Stimme hörte sich so brüchig und zitternd an, dass er ein schlechtes Gewissen bekam. Vorsichtig löste er die Verschränkung der Arme und stieß sich von der Wand ab. „Es ist wirklich nichts Dramatisches, Wheeler. Komm, mach die Tür auf.“ Er trat vor diese und wartete. Seine Stimme hatte einen deutlich sanfteren Klang angenommen und dieser schien erfolgreicher zu sein. Er konnte hören, wie der Blonde auf der anderen Seite ausatmete und dann wurde der Riegel umgedreht. Noch blieb die Tür zu, doch ein erneutes schweres Atmen machte deutlich, dass dieses nicht so bleiben sollte.

Auf alles war Seto vorbereitet, aber nicht auf diesen Anblick. Als sich die Tür langsam öffnete, blickte er in ein gerötetes Gesicht. Die Wangen waren mit Tränenspuren versehen, die großen Augen wässrig und von einem tiefen, dunklen Braun. Die blonden Haare wirkten noch ungebändigter als sonst und alles an dem jungen Mann wirkte zerbrechlich und empfindsam. Er schluckte und hatte den Blick gesenkt. Was auch immer in diesem Moment geschah, es war wie ein Schlag, der mit voller Wucht gegen den Brünetten geführt wurde. All die Gedanken, all die Gehässigkeiten, all der Unmut wurden zerschlagen und nichts weiter blieb als ein einziger Wunsch: Er wollte ihn trösten!

Mit einem Seufzen legte er Joey eine Hand auf die Schulter und meinte mit sanfter Stimme. „Hey, mach dir keinen Kopf darüber. So etwas passiert und glaub mir, du bist nicht der einzige Mann auf der Welt, der sich wünscht, dass einige Körperteile mehr vom Gehirn abhängig wären.“ Leicht zuckte Joey zusammen, als er die Berührung spürte und drehte den Kopf zur Seite. Er schwieg einen Moment und meinte dann leise. „Erzähl keinen Scheiß, als wäre dir das je passiert.“ Das Lachen, welches er dann zu hören bekam, ließ ihn flüchtig aufsehen. „Mir?“ Fragte Seto und unerwartet strich er durch die blonden Haare, während er schmunzelnd erzählte. „Mir ist das mehr als einmal passiert. Ich habe es bisher immer nur besser verstecken können.“ Unweigerlich mussten die braunen Augen noch einmal zu ihm sehen und Joey verzog den Mund. „Ach, und wann?“ Forderte er einen Beweis und war erstaunt, dass der junge Mann so nett wirkte. Er hatte etwas anderes erwartet.

„Vor ca. einem Jahr habe ich eine Verhandlung einmal absichtlich um 20 Minuten in die Länge gezogen, weil die Sekretärin des anderen Unternehmens mir die Unterlangen so auf den Tisch legte, dass ich ihr gesamtes Dekolleté sehen konnte. Sie hatte so hübsche Brüste, dass mein Blut augenblicklich von oben nach unten wanderte. Wäre die Verhandlung direkt zu Ende gewesen, hätte beim Aufstehen jeder die Beule in meiner Hose gesehen. Also habe ich noch ein paar Fragen gestellt, noch ein wenig Smalltalk gehalten und versucht, wieder runter zu kommen.“ Seto sah direkt in die wässrig braunen Augen und lächelte. „Komm, Kamil sieht nun mal umwerfend aus. Das sah er schon als Kind. Wenn der auf Männer stünde, hätte ich ihn schon lange flach gelegt. Der verdreht jedem den Kopf.“ Er strich noch einmal durch die blonden Haare und verlegen sah Joey zur Seite. „So etwas ist mir echt noch nie passiert.“ Murmelte er und atmete tief ein und aus. Die nächste Antwort, die er zu hören bekam, ließ ihn schief grinsen. „Na, dann wurde es ja mal Zeit! Willkommen im Club der ganz normalen Männer. Meine Güte, ich würde wahrscheinlich bei jeder hübschen Frau oder jedem halbwegs attraktiven Mann einen Ständer bekommen, wenn ich so lange keinen Sex mehr gehabt hätte wie du.“ Meinte er ehrlich und trat zur Seite, damit Joey endlich aus der Kanine treten konnte. „Komm, wasch dir dein Gesicht und lass uns endlich auf die Zimmer gehen. Ich will nicht zu spät sein.“ Gab er an und der Blonde nickte. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Wangen und konterte. „Wenn ich es so nötig hätte, wie du, wäre ich sicher schon wahnsinnig geworden. Wie lange war deine längste Zeit, in der du enthaltsam warst?“
 

Dass er noch immer angeschlagen war, sah man ihm an. Doch Joey gab sich Mühe, die Verlegenheit zu überspielen und trat an das Waschbecken mit dem großen Spiegel. Er sah scheiße aus, besser konnte man es nicht ausdrücken und nach der eigentlich netten Geste des 22 Jährigen waren die blonden Haare auch noch frech nach hinten gekämmt und standen in alle Richtungen ab. Er drehte das Wasser auf und sah über den Spiegel in das helle Gesicht des anderen. „Das ist eine schwere Frage. Ich würde sagen… drei oder vier Wochen. Allerdings bin ich mir da nicht sicher. Mein Nachteil besteht darin, dass ich dank meines umwerfend guten Aussehens eine ständig große Auswahl an Partnern habe, die willig und breit sind. Da muss ich nicht einmal lange suchen.“ Mit einem breiten Grinsen schüttelte er den Kopf und beugte sich über das Becken, um das Gesicht zu waschen.

Mit den nassen Händen fuhr er sich durch die Haare und versuchte sie so etwas zu richten. „Welches umwerfend gute Aussehen? Neben Kamil wirkst du eher wie der Trostpreis.“ Neckte er nun und sah das Erstaunen in den hellen Gesichtszügen. „Wirklich?“ Kam von Kaiba vorwurfsvoll und theatralisch legte der 22 Jährige die Hand auf die Brust. „Wheeler, ich nur der Trostpreis?“ Seine Stimme hatte einen gespielten Schauer. „Das verletzt mich aber. Immerhin gelte ich als der begehrenswerteste Junggeselle Japans und dann siehst du in mir nur den Trostpreis? Deine Enthaltsamkeit muss dich blind und dumm gemacht haben.“ Und dann kam es. Ein Lachen. Joey trocknete sich die Hände ab und lachte. Es war dieses schöne, offene Lachen, dass Seto auf Anhieb gefallen hatte. Es wirkte beinahe so, als wäre der Blondschopf dabei von einem Leuchten umgeben und Setos Herz begann ein wenig schneller zu schlagen. Oh ja, er mochte dieses Lachen, sehr sogar. „Wir sollten heute Abend wirklich dafür sorgen, dass du endlich wieder eine hübsche Frau in dein Bett bekommst.“ Meinte er ein wenig frech und sah in den Spiegel hinter Joey, als sich die Tür zu den Toiletten erneut öffnete. Vier Männer unterschiedlichen Alters betraten den Raum hintereinander. Sie schienen sich nicht zu kennen und ihrer Kleidung nach waren sie Gäste des Hotels. „Darüber reden wir später.“ Meinte Joey leise und griff nach der Tasche, die nun auf dem geschlossenen Toilettensitzt stand. „Das hier ist kein Ort für eine solche Unterhaltung.“ Kam kurz angebunden von ihm und er legte wie selbstverständlich seine Hand auf den Rücken des Brünetten, um ihn Richtung Ausgang zu schieben. Er spürte, wie die Röte wieder stärker auf seinen Wangen wurde. Er und eine hübsche Frau im Bett? Irgendwann sollte er Seto mal die Wahrheit sagen, was die Erfahrungsspannweite seines Liebeslebens anging. Obwohl, vielleicht war das genau der richtige Ort, um über diesen Schatten zu springen. Niemand würde je erfahren, was hier in Dubai geschehen war und es wäre vielleicht die beste Möglichkeit, die ihm sein aktuelles Leben bot. Vielleicht war es aber auch einfach eine wirklich, wirklich dumme Idee!
 

Noch immer mit diesem Gedanken beschäftigt ließ er sich nun von Kaiba führen, der anscheinend schon wusste, wo sie hin mussten. Er fragte nicht, warum sich der Mann in diesem Hotel so gut auskannte und vermutete einfach, dass es wie bei allem war. Kannte man ausreichend Gebäude dieser Art, überraschte einen nicht mehr viel. Außerdem stand ja die Zimmernummer auf ihren Karten. Er zog seine nachdenklich aus seiner Gesäßtasche, während sie im Fahrstuhl nach oben fuhren. Ihm wurde bewusst, dass er all das niemals erleben würde, wenn der komische Kerl neben ihm nicht dafür bezahlen würde. Eigentlich hatte er durch diese verdammte Wette auch einige schöne Dinge erlebt, die vielleicht niemals in seinem Leben eingetroffen wären. Er in Dubai? Niemals! Er wäre nicht einmal in einem Privatjet geflogen! Vielleicht hätte er sogar nie wieder den japanischen Boden unter seinen Füßen verlassen. Ja, was für ein Leben führte er eigentlich? Er war ein absolut typischer Japaner. Er arbeitete hart und viel, war mit wenig zufrieden und würde diesen Status wohl für alle Zeiten aufrecht erhalten. Keine großartigen Reisen, keine großartigen Feiern, keine großartigen Besuche und wenn er mit den Kindern und seiner Frau einmal im Jahr für eine Woche an die Küste fahren konnte, wären sie alle unendlich glücklich. Eine Stelle, bei der er so viel verdiente, wie er es jetzt bei Kaiba tat, wäre wohl nie drin.

Er hob den Blick und starrte auf die sich öffnenden Türen. Das Gespräch aus dem Flieger lag ihm noch immer schwer im Magen. Ja, er war einer der Dummen, die nicht einmal etwas an ihrem Schicksal ändern konnten, wenn sie ihre Rolle kannten. Er würde ein so durchschnittliches Leben führen, dass er irgendwann mit Stolz die immer gleiche Gesichte von seinen Turniersiegen bei Duell Monster berichten würde. Ein alter Mann, der seinen Enkeln… seinen Enkeln? Die Gedanken wanderten augenblicklich wieder zu Kamil und diesem komischen Gefühl in seinen unteren Regionen. Dabei war es ja nicht nur Kamil, auch dieser schrecklich miese Kerl an seiner Seite hatte für einen Augenblick gewirkt, als wäre er die Versuchung in Person. Was hatte das zu bedeuten? War das nur eine seltsame Reaktion durch angestaute Bedürfnisse und hatte rein gar nichts zu bedeuten oder war es eher ein verzweifelter Versuch verdrängter Wahrheiten, die ihm endlich die Erkenntnis ins Hirn prügeln wollten? So unerfolgreich, wie er bei Frauen war, gab es da die unwahrscheinliche, völlig abwegige Möglichkeit, dass er vielleicht auf Männer stand?

Joey schüttelte den Kopf. Was für ein dummer Gedanke! Er stand nicht auf Männer und das mit Kamil war nur ein Ausrutscher. Wie Kaiba sagte, Kamil verdrehte jedem den Kopf. Er sollte sich da einfach nichts einbilden! Mit diesem Entschluss schob er die Gedanken beiseite und entschied sich, dass er nicht weiter der abstrusen Idee nachgehen würde, dass er auch nur ansatzweise Interesse an Männern hätte. Es war wichtiger, sich auf das zu konzentrieren, was nun kam. Immerhin würde es ihm schon schwer genug fallen.
 

Nur kurz hatte er die Gelegenheit, sein neues Zimmer zu betrachten. Er war fassungslos, denn neben dem großen Schafzimmer, gab es ein Wohnzimmer, ein Badezimmer mit einer extravaganten Dusche und ein kleines Arbeitszimmer. Es war beinahe schade, dass er kaum Zeit haben würde, dieses Glück auszukosten. Sein Blick fiel aus dem Fenster, als er sich ein frisches Hemd anzog. Das Meer lag glänzend und glitzernd vor ihm und er musterte die vielen Schiffe, die darauf unterwegs waren. Wie gerne würde er das seiner Schwester zeigen. Ja, vielleicht, vielleicht war er diesem eiskalten Eisklotz dankbar, dass er ihn mitgenommen hatte. Das Meer war einfach unglaublich schön.

„Kommst du endlich?“ Rief ihn plötzlich eine Stimme und er zuckte zusammen. Erschrocken drehte er sich um und sah den Brünetten an, der da in der Tür stand. In der Tür zu seinem Schlafzimmer! „Wie?“ Kam nur von ihm und Kaiba lächelte etwas herablassend. „Da ich davon ausgehe, dass du deine Karte verlieren wirst, habe ich eine zweite für dieses Zimmer.“ Erklärte er und Joey warf ihm einen vielsagenden Blick zu. „Du bist ein Arsch, habe ich dir das heute schon gesagt?“ Warf er ihm nun schnippisch vor und der Brünette kam näher. Er hatte dieses wissende Lächeln auf seinen schmalen Lippen, welches immer auch einen bösen Zug enthielt. Er trat vor den Blonden und betrachtete dessen Hemd. Die Knöpfte waren um ein Loch versetzt und die feine, rechte Augenbrauen zog sich in die Höhe. Kurz öffneten sich die Lippen, doch der Kommentar schien es nicht hinaus in die Freiheit zu schaffen. Ohne etwas zu sagen griff er nach dem Hemd und begann es wieder zu öffnen. Joey zog die Hände zurück und wich der Berührung mit denen des anderen aus. Schweigend, mit vor Verlegenheit geröteten Wangen stand Joey da und musste dann doch schlucken. Es war ihm unangenehm, doch er war dankbar, dass Kaiba diese Aktion still durchzog. Heute war er seltsam empfindlich und eine Aussage über seine Unfähigkeit ein Hemd anzuziehen, wäre in seinem inneren Chaos wohl der Funken, der einen Großbrand auslösen würde. Er beobachtete die schlanken Finger und kam nicht darum herum, an diese seltsame Situation am Esstisch zu denken. Wenn er sich überlegte, wie ansehnlich, nein, für wie attraktive er diesen Mann gehalten hatte.

Vorsichtig hob er den Blick und wagte es. Die feinen Gesichtszüge wirkten so vertraut und doch irgendwie anders. Als wäre der Mann vor ihm für lange Zeit fort gewesen und nun als eine bessere, sanftere Version von sich selbst wieder zurück gekommen. Die eisblauen Augen hatten einen seltsam anziehenden Ausdruck und die schmalen Lippen wirkten feiner, detaillierter. Nachdenklich wanderte sein Blick zu den brünetten Haaren und Joey hatte erneut das Gefühl, dass sie so unendlich seidig und weich wirkten. Er konnte jede einzelne Strähne sehen und so nah, wie Kaiba ihm nun gegenüber stand, würde er wohl den leichten Duft seines Shampoos riechen. Nach all den Stunden war davon jedoch nichts übrig geblieben.
 

Langsam drang eine andere Frage in seinen Verstand. Wie lange starrte er jetzt auf diese Haare? Vielleicht etwas zu lange? Er musste schlucken und sein Blick wanderte von diesen haselnussbraunen Haaren zurück zu den feinen, anmutigen Gesichtszügen und den eisblauen Augen, die ihn fragend anblickten. Joey wurde tief rot im Gesicht und wusste nicht, wie er reagieren sollte. Es war kaum Platz zwischen ihnen, zumindest fühlte es sich genauso an. Er musste sich über die Lippen lecken und schluckte zum zweiten Mal. „Sollte ich fragen, was los ist oder einigen wir uns darauf, dass sich dein Verhalten einfach nicht erklären lässt?“ Die tiefe Stimme hatte etwas Sanftes, aber auch etwas Spottendes. „Nein… nein, schon ok, frag einfach nicht.“ Gab Joey in einem verlegenen, schnellen Gehaspel von sich und versuchte dem Blick der eisblauen Augen zu entkommen. Er wusste nicht, was über ihn gekommen war und irgendwie hatte er das Gefühl, so ganz und gar neben sich zu stehen.

Kaiba ließ das Hemd los, er war nun schon seit einer Weile ganz unten am letzten Knopf angekommen und hielt noch immer den Saum des Kleidungsstückes in der Hand. „Ok, übergehen wir das einfach und ich frage dich schlicht, wo deine Krawatte ist.“ Entschied sich der Brünette und Joey atmete erleichtert aus. „Da drüben auf dem Bett.“ Meinte er und zeigte auf die Tagesdecke, auf der nun drei unterschiedliche lagen. Eine samtschwarze, eine dunkelrote und eine in einem tiefen grün. Der 22 Jährige musterte alle drei kurz und trat an das Bett heran. Zielsicher griff er nach der grünen und drehte sich wieder zu Joey um. Er selbst wirkte entspannter, konzentrierter und ein leichtes Lächeln lag auf seinen schmalen Lippen.

Dieser Ausdruck gefiel Joey. Er war eigentlich nichts besonderes, eher ein Zeichen völliger Normalität und wahrscheinlich mochte er ihn deswegen so. Kaiba wirkte wie ein Mensch, nicht wie ein Idiot oder ein kaltherziger Mistkerl. Ohne noch etwas zu sagen, schlug der Firmenführer den Kragen des weißen Hemdes auf und griff sanft um den Hals des Blonden. Joeys Herz machte einen Sprung und er spürte, wie er wieder an Farbe auf den Wangen zulegte. Das Geräusch, wie Stoff über Stoff gezogen wurde, hallte hundertfach in seinen Ohren wieder und er musste ein weiteres Mal heute schlucken. Was war nur los mit ihm? Aber diese Nähe, die Berührung der feinen Hände, der Zug in seinem Nacken, weil sein Gegenüber den Krawattenknoten band, all das machte ihn auf gewisse Weise wahnsinnig. Verlegen versuchte Joey dieses Gesicht nicht anzustarren und sah hinaus zum Meer. Ja, das Meer war beruhigend und als der Zug sich verstärkte, der schlanke Mann die Krawatte richtig zog, ging es ihm schon etwas besser. Dennoch zuckte er zusammen, als die kühlen Finger die warme Haut am Unterkiefer berührten, weil er den Kragen wieder richtete.
 

„So, jetzt siehst du wieder vernünftig aus.“ Kam erst nach einem weiteren musternden Blick und Joey entgegnete. „Na, ich hoffe doch. Immerhin hast du persönlich Hand angelegt. Obwohl, wer weiß, vielleicht hast du mehr Erfahrung im Ausziehen, als im Anziehen.“ Dabei hatte er ein breites Grinsen im Gesicht und ignorierte die verstärkte Röte in seinem eigenen. „Wheeler, so langsam hast du den Bogen raus.“ Der Brünette wirkte beinahe zufrieden, als er den Jüngeren betrachtete und lächelte anerkennend. Er ließ seinen Blick noch einmal über den Blonden fahren und nickte mit einer gewissen Genugtuung. „Wenn ich auch nur 24 Stunden mit dir und Kamil überleben will, muss ich das auch! Sonst bin ich Fischfutter.“ Neckte er zurück und deutete zur Tür. „Lass uns gehen, bevor wir wirklich zu spät sind.“

Er war Kaiba dankbar, dass er sich zurückhielt und nicht fragte, warum er eben so bei der Berührung zusammen gefahren war. Er hätte es nicht erklären können und er verstand es selbst nicht. Warum war sein Verhalten hier in Dubai so anders? Nur weil sie in einer anderen Stadt waren, in einem anderen Land, war er doch nicht gleich eine neue Person? Er hatte doch nicht seine Persönlichkeit an der Landesgrenze getauscht. Vor allem nicht seine Vorlieben! Wenn er nicht auf Männer stand, dann tat er das weder in Domino noch in Dubai. Doch was war, wenn er sich irrte? Während sie den Weg hinunter zu den Konferenzräumen nahmen, hing der Blonde seinen Gedanken nach. Er hatte im Fahrstuhl zwar beschlossen, dass er nie wieder darüber nachdenken wollte, aber diese Zeichen waren ja doch eindeutig oder? Eindeutig? War das wirklich das richtige Wort?

Schweigend trat Joey in den Flur vor den großen Türen und starret diese an. Wann hatte je eine Frau aus dem Nichts heraus, ja, einfach durch ihre Existenz eine solch starke Reaktion hervorgerufen? Selbst bei Mai war es schwer gefallen, dass sein Blut dort hin kam, wo es hin sollte. Wahrscheinlich war das auch einer der Gründe, warum sie nun kein Paar mehr waren. Aber all das brachte ihn auch nicht weiter. Selbst unter der Prämisse, dass er wirklich auf Männer stand, war es doch seltsam, dass ausgerechnet Kaiba derjenige war der ihn so um den Finger wickelte. Was war denn an dem Kerl so attraktiv, dass er das große Flattern bei ihm bekam?
 

Dass er Zeit haben würde, dieser Frage nachzugehen, hatte er nicht erwartet. Noch weniger hatte er erwartet, wem er nun gegenüber saß. Es waren drei junge Männer, vielleicht um die dreißig, die so wenig Arabisch gekleidet waren, dass er sich seltsam vorkam. Sie trugen alle schwarze Anzughosen und farbige Hemden mit Krawatten. Auf das Jackett hatten sie verzichtet und nicht einmal eine Kopfbedeckung trugen sie. Irgendwie hatte Joey drei dicke, alte Männer in weißen Roben mit Turban erwartet. Kaiba trat auf die Herren zu und sie reichten sich die Hand. Ob er es beabsichtig hatte oder nicht, der Firmenführer wechselte reflexartig in die arabische Sprache und nur kurz wurden Joey und zwei andere junge Männer im Raum vorgestellt. Da ihm niemand die Hand reichte und nur ein intensiver Blick folgte, nickte Joey als Begrüßung zurück. Er war nur der Sekretär, das Personal und das wurde sowieso nicht begrüßt. Die beiden anderen schienen ebenfalls dieses Schicksal zu teilen und so setzten sich alle nach Aufforderung des offenbar tongebenden Arabers.

Das Spiel konnte beginnen. Wie zu erwarten bot der Mann Getränke an und Kaiba schlug diese freundlich aus. Sie wechselten einige Worte und erneut bot der Mann etwas zu Trinken an, nur damit es der Firmenführer ein weiteres Mal ausschlug. Erst nach einer Weile, als ein drittes Angebot folgte, willigte er ein und ihnen wurde Tee serviert. Joey versuchte sich an all das zu erinnern, was er über die arabischen Gebräuche gelesen hatte und was ihm Kaiba im Flugzeigt erzählt hatte. Dennoch gab es kaum etwas zu tun. Er saß artig dort, schwieg und trank seinen Tee, während die gesamte Konversation auf Arabisch verlief. Er konnte eh nichts tun.
 

So zu einer Unfähigkeit verdammt, konnte er seine Gedanken schweifen lassen. Unauffällig musterte er den großgewachsenen Mann und fragte sich, warum ausgerechnet er so eine Anziehung auf ihn ausübte. Die anderen Anwesenden waren wie Kamil dunkler im Hautton und hatten schwarze Haare, so wie einen Bart. Jeder von ihnen hatte ihn auf andere Weise gestutzt und doch war da nichts. Absolut nichts. Nachdenklich blickte er auf die Papiere, die Kaiba den drei Männern über den Tisch reichte und sie begannen zu diskutieren. Der Araber mit dem dunkelblauen Hemd lehnte sich vor und sprach eindringlich mit dem Firmenführer, der sich ebenfalls über den Tisch beugte und in kühlem Ton erwiderte.

Um was es ging, wusste Joey nicht und er betrachtete das Profil seines aktuellen Arbeitgebers. Was auch immer er sich dachte, es war sinnlos. Er konnte keinen Grund finden und die Idee, dass er auf Männer stand, schien ihm, nun, da sie eine Weile her war, vollkommen idiotisch. Es war sicher nur ein Ausrutscher, ein dummer, seltsamer Streich seiner überlasteten Phantasie, sein Hirn war nach all dem Matsch, da gab es nichts zu interpretieren. Was erwartete er denn? Dass er sich hier und jetzt unsterblich in diesen Mann verliebte? Dass er aus Dubai zurückkam und endlich wusste, dass sein Liebesleben deswegen so tragisch langweilig war, weil er sein Leben lang nach dem falschen Geschlecht Ausschau gehalten hatte. Das war doch dumm! So etwas kam doch nicht von heute auf Morgen. So etwas war doch Veranlagung oder? Man entschied sich doch nicht einfach, jetzt auf Männer zu stehen? Oder?
 

Es war eine gedankliche Schleife, die sich über Stunden hin zog und dennoch schaffte es Joey, in all der Zeit aufmerksam zu wirken und die wenigen, kurzen Einsätze, die er hatte, sprach Kaiba ihn einfach auf Japanisch an. Damit war alles recht leicht geklärt und die Verträge wurden zur Seite gelegt. Ein redliches Essen wurde aufgetragen und auch hier musste Joey sich an das erinnern, was er gelernt hatte. Immer schön mit rechts essen. Links galt hier als unrein.

Es wurde gelacht, getratscht und nach dem Essen kam es zu einer Art Mischmasch zwischen Verhandlung und Alltäglichem. Joey bemerkte es daher, als einer der Männer sich über den Tisch beugte und ihnen ein Bild von seinen beiden Söhnen auf dem Smartphone zeigte. Er schien viel und ausführlich darüber zu erzählen und der Firmenführer ging darauf ein. Plötzlich bemerkte Joey noch etwas anderes. Seto wirkte entspannter. Alles an ihm hatte einen sanfteren Eindruck erhalten und dann erhob sich die Runde. Sie setzen sich von dem großen Konferenztisch in den Vorraum in die gemütlichen Sessel und auch der Ton der Sprechenden wurde anders. Es schien eher ein Gespräch zwischen Freunden zu sein. Er hatte in einem Video erfahren, dass hier der Verkauf auch etwas Persönliches war. Es wurde nicht nur die Ware verkauft, sondern auch der Mensch. Es war nicht Kaibas erster Besuch hier, sie hatten sich nun schon drei Mal getroffen und daher konnten sie so schnell zu dem entscheidenden Punkt kommen, der anscheinend dennoch schon wieder unwichtig war.

Allein die Art, wie der Brünette dort saß, gestikulierte und ein Lachen der drei Männer erhielt, wirkte… ja, wie wirkte es? Locker, charmant, frei? Es erschien ihm nicht, wie bei einer Verhandlung. Nicht einmal in seinem Büro war er so offen und dann wurden Süßwaren gebracht. Haufenweise Süßwaren und der Araber mit seinem dunkelblauen Hemd lehnte sich vor, griff nach Kaibas Oberarm und erzählte etwas mit einem breiten Grinsen. Es war das erste Mal, dass er so eine Nähe zwischen ihnen sah und das Gespräch schien noch lockerer zu werden.
 

Es dauerte eine Weile, um genau zu sein, drei überflüssige Tassen Tee, bis sich Joey daran erinnerte, wie er diesen wieder los werden konnte. Er schwenkte die Tasse drei Mal mit der rechten Hand und stellte sie dann ab. Innerlich angespannt wartete er und dankbar begriff er, dass nicht noch einmal nachgeschenkt wurde. Diese Traditionen waren aber auch verzwickt und sie alle zu lernen hatte er aufgegeben. Er hoffte, dass er die wichtigsten im Kopf hatte. Aber sicher war er sich nicht. Er lehnte sich entspannt zurück und hoffte, dass der Rest des Abends ebenfalls so einfach werden würde.

Bis geschah, was nicht geschehen sollte. Ein lautes Brummen unterbrach das Gespräch und Joey lief rot an. Das war sein Handy! Alle blickten ihn erstaunt an und mit zitternden Händen zog er das Gerät aus der Tasche. Er sah auf den Bildschirm und erkannte das Gesicht seiner Schwester. Wie war das? Familie galt als etwas sehr wichtiges? “Excuse me! It’s my little sister. I am her legal guardian and…” Doch der Mann mit dem dunkelblauen Hemd unterbrach ihn und meinte. “It’s our family. Don’t excuse yourself. Take the call and clear it up with her.” Joey lächelte erleichtert und legte ganz reflexartig die Hände gegeneinander und verbeugte sich. “Thank you!” Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand aus der Tür während er den Anruf schon annahm.
 


 

Er versuchte das Gespräch möglichst kurz zu halten, doch das gelang ihm kaum. Seine Schwester rief ihn mitten in der Nacht an, weil es ihr nicht gut ging. Sie schwärmte für einen Jungen in ihrer Schule, nicht viel, nicht nennenswert, aber sie mochte ihn. Bis irgendjemand ihm davon erzählte und er sich über sie lustig machte. Er war heute in ihre Klasse gekommen und hatte sie direkt darauf angesprochen, um ihr ins Gesicht zusagen, dass er sich niemals auf ein so armes und hässliches Mädchen wie sie einlassen würde. Sie sah ihn aus ihren grünen Augen an und meinte dann locker. „Danke, dass du mir sie Wahl so leicht machst. Ich mag es, wenn sich dumme Idioten gleich vorstellen. Dann kann ich mir die Arbeit sparen, sie erst zu prüfen.“ Doch innerlich hatte sie diese Aussage verletzt und so sehr sie es auch versuchte, als die Uhr Mitternacht schlug und sie noch immer weinte, rief sie ihren Bruder an.

Es dauerte eine Weile und als Joey sich endlich verabschiedet hatte sah er auf seiner digitalen Uhr, dass es schon beinahe 20 Uhr war. So beeilte er sich zurück zu kommen und verlegen bemerkte er die Blicke, die neugierig auf ihn gerichtet waren. Er schluckte und fuhr sich mit der Hand über den Nacken. “Is everything fine again?” Wurde er direkt gefragt und Joey schüttelte den Kopf. “Apparently a classmate had made fun of her. She tries to be strong, but…” Er wusste nicht, wie er es genauer erklären sollte, doch die Männer schienen unerwartet verständnisvoll zu sein. “A bad word can be more cruel than some stabbing with a dagger.” Joey vertand nicht ganz, doch er nickte und lächelte. Wahrscheinlich hieß es so etwas, wie die Aussage, dass Worte grausam sein konnten.

Sie deuteten ihm an, sich wieder zu setzen und das Gespräch ging zum ersten Mal in der englischen Sprache weiter und Joey versuchte sich so gut es ging daran zu beteiligen. Er hatte gar nicht erwartet, dass er plötzlich Teil dieser Gruppe werden würde. So war er innerlich doch recht erleichtert, als die Unterhaltung beendet wurde und sie sich alle verabschiedeten. Dieses Mal geschah etwas Seltsames. Kaiba und der Fremde nahmen sich in den Arm und sie wirkten beinahe wie alte Freunde. Auch die anderen beiden verabschiedeten ihn so und Joey hatte es zumindest schon einmal zu einem Händeschütteln geschafft.
 

Erleichtert und doch verlegen sah er zu seinem aktuellen Arbeitgeber und entdeckte ein Lächeln auf den schmalen Lippen. „Ok, dann habe ich es nicht ganz versaut?“ Sagte er und sah den fünf Männern nach, die den Raum verließen. „Nein, hast du offenbar nicht und es hat unerwartet Eindruck hinterlassen, als ich ihnen erzählte, dass du dich seit dem Tod eurer Mutter um sie kümmerst.“ Joey merkte, dass er wieder etwas verlegener wurde und versuchte den Drang zu verhindern, mit der Hand über seinen Nacken zu fahren. „Das ist doch gut und jetzt?“ Wollte er wissen und sah, wie Kaiba sein schwarzes Handy aus der Hosentasche zog. „Jetzt treffen wir uns zum Abendessen mit Kamil.“

Eine unerwartete Freude

Kapitel 31

Eine unerwartete Freude
 

Ein Abendessen mit dem Mann, der ihn dazu gebracht hatte, sich vor aller Augen lächerlich zu machen, war nicht gerade das, was er jetzt gebrauchen konnte. Kamil war ja ganz nett, ebenso wie Kaiba, wenn er sich nicht gerade wie ein Idiot verhielt. Dummerweise konnte er nicht genau sagen, wann sich der Zustand von freundlich zu mies veränderte und wie er sich dem gegenüber verhalten sollte. Dass er keine Chance zu Entkommen hatte, wurde ihm schnell klar. Er versuchte noch Einspruch zu erheben, indem er sich zuerst umziehen und frisch machen wollte, doch das ließ Kaiba nicht zu. Als wüsste er, dass er danach so tun wollte, als hätte er sich verlaufen. Von der Tatsache einmal abgesehen, dass es gar nicht so unwahrscheinlich wäre.

So einigte sich Joey mit sich selbst darauf, dass er nur kurz bleiben würde und nach dem Essen als Entschuldigung nähme, dass ihn ein Jetlag eingeholt hatte. Mit dieser Ausrede konnte er sich hoffentlich auf sein Zimmer stehlen und musste nicht mit feiern. Er hatte von Diskotheken und Musik genug. Er sah jedes Wochenende die betrunkenen jungen Leute singen und grölen, während er dann mitten in der Nacht damit beschäftigt war, Schmuck, Handys, Jacken und hin und wieder ganze Handtaschen einzusammeln, die unter Tischen, zwischen den Stühlen oder in den Ecken vergessen wurden. Er sah, wie sie die Kontrolle verloren und die ein oder andere Ohrfeige ausgeteilt wurde, wenn ein junger Mann die falsche Frau küsste. Was sollte er daran also besonders finden? Wenn er die Wahl hatte, dann machte er einen Bogen um all das. Außerdem war er als Barkeeper sowieso viel zu kritisch, um irgendwo anders etwas zu trinken. Er hasste zwar den Genuss von Alkohol, doch in seinem Beruf war er unerwartet gut. Vielleicht lag es daran, dass er Alkohol nicht mochte. Für ihn war es wie ein Spiel, er war wie der zuckersüß lächelnde Teufel hinter der Bar, der sie in ihr Verderben schickte. Drink um Drink!
 

„Wo steckt du jetzt wieder mit deinen Gedanken?“ Erstaunt sahen die braunen Augen auf und er begriff, dass Kaiba nur wenige Zentimeter vor ihm stand und ihn fragend anstarrte. Er hatte den Kopf gesenkt, um dem Blonden möglichst nah zu kommen und nun spürte Joey den Atem des anderen auf seinen Wangen. Ohne noch eine Chance zu haben, schoss die Hitze in diese und er spürte, wie er wieder rot im Gesicht anlief. „Du hängst heute aber auch nur mit dem Kopf in den Wolken.“ Beschwerte sich der Firmenführer und Joey lächelte verlegen. „Ach weißt du, in Wahrheit träume ich doch nur von Kamil! Wer gibt sich schon mit dem Trostpreis zufrieden?“ Er legte einen spöttischen Ton in diese Worte und sah, wie die feine Augenbraue in die Höhe geschoben wurde. Für einen Moment schien der Brünette zu überlegen, wie er darauf reagieren sollte, doch er fand einen fiesen Weg. „Aber nicht, dass du für ihn wieder mit dem Schwanz wedelst!“

Diese Breitseite saß und nun wurden die kräftigen Wangen noch etwas dunkler. Kaiba konnte aber auch kontern. Immer, wenn er das Gefühl hatte, endlich mal einen Lauf zu haben, kam eine solche Aussage und Joey wusste nicht, wie er reagieren sollte. Der 22 Jährige richtete sich wieder ganz auf, die Hände in den Hosentaschen vergraben. „Ach, Wheeler, du musst noch viel lernen. Jetzt wäre eine gute Antwort, ob ich denn eifersüchtig wäre. Irgendwann, wenn du alt und grau bist, bekommst du das vielleicht hin. Du schaffst echt immer nur den ersten Ansatz und dann versagst du kläglich.“ Er hatte sich schon von ihm weggedreht, als er noch fragte. „Ist das im Bett mit dir auch immer so? Gibt es nur eine Runde und dann ist Schluss?“ Stichelte er und Joey musste schlucken. „Im Be…Bett?“ Fragte er und sein Herz schlug hektisch schnell.
 

Mit einem Lachen drehte der großgewachsene Mann den Kopf zu ihm und meinte dann. „Ja, im Bett oder wo immer du deinen Sex pflegst. Auf dem Küchentisch, dem Sofa, dem Boden….“ Er zwinkerte ihm zu und wollte schon weiter gehen, als er dennoch inne hielt. Joey stand dort, als wäre er ein kaputtes Gerät, dass einfach jemand vergessen hatte wegzuräumen. Die braunen Augen sahen groß aus und er wirkte überfordert. Was auch immer in seinem Kopf vor sich ging, es schien ihn so zu schocken, so in Verlegenheit zu bringen, dass er kaum noch reagierte.

Währenddessen geisterten in dem blonden Schädel die Bilder herum, die er seit einer Weile zu ignorieren versuchte. Er wusste, dass Chanwoo die Lagerräume der Diskothek regelmäßig nutze, um Dinge zu tun, für die er nicht bezahlt wurde. Der kleine Koreaner war ein begnadeter Barkeeper und hatte das Lächeln eines Engels. Er legte mehr Frauen an einem Abend flach, als Joey zählen konnte. Als er dem 27 Jährigen das erste Mal dort erwischt hatte, war er im Boden versunken. Mittlerweile wusste er, wann er diese Räumlichkeiten meiden musste und kam so gut hinter der Bar zurecht, dass er die Schicht auch alleine schaffte. Zumindest für die Zeiten, in der sich der freche Chanwoo anderweitig beschäftigte. Doch jetzt war da nicht das Bild in seinem Kopf, welches den kleinen Lüstling zeigte. Jetzt sah er dort den jungen Mann vor sich, der ihn so dreist anlächelte. Sah Kamil dort, das Gesicht rot vor Erregung, die Augen geschlossen. Er sah, wie Kaiba diesen Mann gegen die Wand drückte, hörte die tiefen Stimmen lustvoll stöhnen.
 

Der Brünette kam näher, er zog eine Hand aus der Hosentasche und griff sanft nach dem Kinn des jungen Mannes, der noch immer völlig entgeistert dort stand. Kühl schmiegten sich diese an die warme Haut und die honigbraunen Augen zeigten doch keine Reaktion. Langsam beugte sich Kaiba vor, das dunkelrote Gesicht musternd. Er spürte die Hitze, die von diesem Mann ausging. Als wäre er gefangen, konnte er dem Blick nicht entsagen, der ihn nicht einmal registrierte. Immer weiter beugte er sich vor, bis nur noch eine Handbreit zwischen ihre Lippen passte. Woran auch immer Joey dachte, es schien beinahe so, als läge etwas in der Luft. Was auch immer in diesem Moment geschah, er konnte dem Versuch, ihn zu küssen, nicht wiederstehen. Nur noch ein paar Zentimeter, nur noch ein paar Herzschläge. Seto spürte, wie sein Blut in den Ohren rauschte. Er spürte, wie sein eigener Körper reagierte. Wie von einem Bann ergriffen, war er unfähig etwas anderes zu denken, zu verlangen. Er musste diesem Ruf folgen und diese weichen, großen Lippen wirkten so anziehend, so verführerisch. Er musste sie einfach küssen.
 

Laut erklang das Klatschen. Ohne zu begreifen, was hier geschah, hatte Joey ausgeholt. Mit voller Wucht hatte er zugeschlagen und getroffen. Beinahe hätte der Brünette das Gleichgewicht verloren, doch er konnte sich gerade noch fangen. Stille trat ein. Eine so gewaltige Stille, dass das Geräusch seines Schlages beinahe wie ein Echo schien, welches den Raum erfüllte. Entsetzt starrte Joey den Mann an, den er so eben geschlagen hatte. Schon jetzt konnte er sehen, wie sich die helle Wange rot färbte. „Es… es… tut mir… es tut mir leid…“ Stammelte er und bemerkte Kamil, der hinter dem Firmenführer zum Vorschein kam. “Ok, I seem to have missed something!” Gab er trocken von sich und sah von dem blonden, völlig verlegenen jungen Mann zu seinem Freund, der sich die geschlagene Wange hielt und dezent überfordert wirkte. So etwas war dem Firmenführer dann doch noch nie passiert.

“Holy shit, that hurts!” Gab er in einem Ton von sich, der deutlich machte, was er empfand. Joey zuckte zusammen und trat einen Schritt zurück. Er hob die Hände, als wollte er sich verteidigen, als erwartete er einen Gegenangriff. “I’m sorry! I’m really sorry!” Kam von ihm und er wechselte wieder in die japanische Sprache. „Das… das war ein Reflex. Ich… ich habe das nicht absichtlich getan.“ Versuchte er einen neuen Ansatz und langsam richtete sich Kaiba wieder zur vollen Größe auf. Als er seine Hand sinken ließ, wurde das feuerrot seiner Wange sichtbar. Der Schlag hatte gesessen. “You hit pretty hard for not doing it on purpose.” Gab er nun etwas gelassener von sich, doch sein Gesicht verriet, dass er innerlich immer noch um seine Fassung rang.
 

Sie standen im Vorraum zu einem der Restaurants und um sie herum hatten sich einig Gäste versammelt. Es war schon spät, daher waren es vergleichsweise wenig. Eine Dame mit dunkler Hautfarbe und klaren Augen trat an sie heran. Sie trug ein schickes, wahrscheinlich sehr teures Abendkleid und fragte in einem ruhigen, leicht distanzierten Ton, der etwas Professionelles hatte. “Are you alright? Have the disagreements been cleared up or do you need a mediator?” Sie hatte ihre schwarzen Haare nach oben gesteckt und ihre Ohren zierten lange goldene Ohrringe. Sie hatte graue Augen und ihre Lippen waren mit einem dunklen Rotton geschminkt. Während ihr dunkelgrünes Kleid einen auffälligen, aber schlichten Schnitt aufwies. “No, everything is fine. I just wanted to play a prank on him, but that was probably a lousy idea. He had already warned me in advance. Sometimes you should keep your hands off some ideas.” Gab er an und hatte dabei einen lockeren, leicht lachenden Ton. Alles an ihm wirkte plötzlich so… Joey konnte es nicht genau beschreiben. Der Mann vor ihm, dessen Wange leuchtend rot glühte, schaffte den Spagat zwischen einem professionellen, seriösen Auftreten und dieser leichten, flatterhaft charmanten Art eines Gigolos. Ja, genau das war es. Er sah diese Frau mit einem Blick an, als wäre jeder Gedanke, den er hegte, jede Geste, die er tat, jedes Wort, das er sprach, nur für sie gedacht.

Und es wirkte. Ihre distanzeierte Art bracht sofort und sie schenkte ihm ein sanftes Lächeln. Sie legte ihre Hand auf seinen Unterarm und meinte in seinem einfühlsamen Ton. “Some ideas are doomed to fail. If you want to avoid further inconvenience, I am always available for a conversation and a good cocktail.” Joey verstand nicht alles, aber er verstand eines. Der Kerl hatte gerade in weniger als einer Minute ein Date klar gemacht! “Thank you very much! What an exceptionally good offer. Maybe I'll come back to that later. Now I have a dinner date with a good old friend.”
 

Er legte wie nebenher seine Hand auf die ihre und schenkte ihr ein Lächeln, dass einfach jeden umhauen konnte. Joey stand da, als hätte ihm jemand einen Spaten über den Hinterkopf gezogen. Eben stotterte er sich noch einen ab, weil er dem Kerl reflexartig welche gescheuert hatte und nun machte er die vielleicht 35 jährige Frau so offensichtlich an, dass es doch jeder bemerken musste oder? Erschrocken zuckte er zusammen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte und er drehte den Kopf ruckartig in diese Richtung. Kamil lächelte und sah ihn frech an. Leise flüster er ihm zu. “A gift. It’s an incredible gift. Seto has the ability to be so miserably charming from now on that everyone falls for him.” Joey blickte verwirrt in dieses ebenmäßige Gesicht und blinzelte. Er schien für einen Augenblick überfordert. “Why? I mean, it's so damn obvious.” Kam plötzlich von ihm und er versuchte dabei leise zu bleiben. Kurz floh sein Blick zurück zu den beiden, die beinahe wie alte Freunde miteinander sprachen. Sie hatte ihre Hand noch immer auf seinen Arm liegen und er seine auf der ihren. Sie hob die andere Hand und fuhr sanft über die gerötete Wange.

“Look at him! As if he was Prince Charming himself! She must notice that!” Beschwerte er sich und deutete unauffällig auf die beiden. Selbst die Hand auf seiner Schulter ignorierte er. Selbst das Kamil ihm so unendlich nah war, schien ihm nicht aufzufallen. “I find it interesting that you notice. Very few can see it. He's so perfect at it that even most viewers don't notice the trick. Congratulations.” Raunte ihm Kamil zu und Joey verengte die Augen. Er starrte die beiden an, sah dieses falsche Lächeln, diese gespielte Art und doch lief ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Kaiba wirkte wie ein großer Tiger, der vorgab ein kleines Kätzchen zu sein, nur um im richtigen Moment grausam zuzuschlagen und seine Beute zu verschlingen. Das war doch so was von offensichtlich! “Don't fool me, everyone has to see it!” Gab er nun etwas ungehaltener von sich und die Dame verabschiedete sich von dem Brünetten.
 

“I'm really not kidding you. In this way he gets every woman and every man. I've never seen him fail with this. Not to mention that someone slapped him in the face.” Erklärte der Araber und Joey sah ihn anklagend an. Dass er jetzt verlegen sein müsste, überging er einfach. Ein gewisser Zorn hatte sich sogar in ihm angestaut und er meinte in einem barschen Ton. “1. It was his own fault. I warned him not to give me that shit. 2. I don't think so! It can't be that he gets everyone with it!” Er wirkte aufbrausend und sah dann aus seinen braunen Augen zu Kaiba, der zu ihnen getreten war und diese kleine Ansprache gehört hatte. Er lächelte mit diesem unglaublich himmlischen, sanften Lächeln, dass jeder Frau die Knie weich werden mussten. Für Joey hingegen erschien es noch schrecklicher, als dieser grausam gemeine Ausdruck, den er eher von dem Kerl kannte. “I agree with the first point. What is the second about?” Selbst seine Stimme hatte diesen sanften Ton und ein Schauer des Ekels lief über den Rücken des 19 Jährigen. “Stop it!” Fuhr dieser ihn nun an und in einem Moment der Verwunderung blickte Kaiba zu seinem alten Freund, um die Verbindung zu verstehen. Was war denn nun in den Blonden gefahren?

“He sees through your game, Seto. He said it had to be obvious and he can't understand why you just made a date in less than three sentences. Nor does he believe that this trick will always work.” Erklärte der Araber mit einem breiten Grinsen und nun sah der Firmenführer den Jüngsten im Bunde mit einem süffisanten Grinsen an. Er hatte wieder diesen Ausdruck, den Joey nicht mochte. In einem solchen Moment wirkte der Mann vor ihm mit den eisblauen Augen und den brünetten Haaren wie ein Raubtier, das hungrig seiner Beute lauerte, um im richtigen Moment gnadenlos zuzuschlagen. “Oh, but it works every time. I'll prove it to you later when we go out for a drink. And yes, you come with us! After this slap, you owe it to me!” Er hatte einen kalten Ton in der Stimme und Joey musste schlucken. Er wusste, dass Kaiba diesen Schlag gegen ihn ausspielen würde, wenn er sich jetzt noch gegen den Abend stellen würde. Doch seine Lust, sich dieses Spektakel anzusehen, war noch geringer. Er hatte kein Interesse an solchen Aktionen. Außerdem wollte er sich da raus halten. Er hatte Kaiba gesagt, dass er die Idee für eine dumme hielt. Wenn der Kerl dennoch mit einer anderen Frau schlafen wollte, musste er das alleine mit sich klären… und mit Viktoria!
 

Doch so leicht kam er aus der Aktion nicht raus. Er entkam ihr nicht einmal beim Essen, obwohl er sich Mühe gab. Es war ein überragendes Restaurant, dessen Eingang wie eine große, goldene Röhre wirkte, von welcher immer wieder Sitzgelegenheiten abzweigten. Folgte man dem Weg bis zum Schluss, kam man zum Herzstück des Raumes. Ein großes Aquarium stand in der Mitte, welches bis zur Decke reichte. Es wirkte wie eine gewaltige, große Säule, die sich in die Höhe zog. Drum herum waren die Tische verteilt und der Raum selbst war in einem dunklen Blau gehalten. Begeistert und abgelenkt musste Joey jedes Detail dieses unglaublichen Restaurants finden. Er konnte sich gar nicht sattsehen, an all den Kleinigkeiten und auch während des Essens waren seine honigbraunen Augen auf das große Glas gerichtet, hinter dem die Fische schwammen. Über was sich Seto und Kamil unterhielten, bekam er nur am Rande mit. Es ging um den heutigen Abend und dass sie trinken wollten. “So, I'm out. I don't drink alcohol anyway.” Kam plötzlich ganz unerwartet von Joey und er musterte einen großen Fisch, der in seinem blauen Schuppenkleid gelbe, leuchtende Punkte verbarg. Er achtete nicht auf die entsetzten Gesichter und erst, als ihm die Stille am Tisch auffiel, schaute er zu den beiden jungen Männern.

Seto starrte ihn mit großen Augen an und Kamil stand der Mund ein Stück weit offen. “You don't drink alcohol?” Fragte der Araber mit seinen braunen Augen und konnte es nicht fassen. Seine Stimme hatte einen entsetzten Ton und Joey konnte es kaum glauben. Es wirkte, als hätte er ihnen erzählt, dass er gerade eben jemanden umgebracht hätte, weil der Nachtisch zu wenig Schokolade besaß. Nun, wahrscheinlich wäre diese Aussage an diesem Tisch nicht mit so viel Entsetzen betrachtet worden. “You mean that you just don't drink certain alcohol?“ Fragte nun der brünette Firmenführer und hoffte, dass er eine andere Antwort bekam, als die, die er voller Furcht erwartete. “No, I really don't drink alcohol. No cocktails, no drinks, nothing like that.” Gab Joey nun an und die beiden Männer ließen ihren Blick von ihm zu dem jeweils anderen wandern, als wollten sie in dem vertrauten Gesicht lesen, dass sie sich nur verhört hatten. Mit einem seltsamen Grinsen meinte Joey dann noch einmal frech. “Not even a beer or a glass of sake.” Er wusste, dass er die beiden damit provozierte und mit einem Kopfschütteln, ignorierte er die plötzlich aufkommenden Fragen und Argumente, warum seine Entscheidung eine dumme wäre. Viel interessanter war das kleine Schokoladentörchen vor ihm, welches mit einem grünen Minzeblatt verziert war und als zusätzliche Dekoration eine platte dunkle, in warben gegossene Schokolade vorzeigen konnte.
 

Alles Klagen half ihm nicht. Er versuchte sich zwar aus der Sache heraus zu winden, doch schlussendlich bezahlte Kamil das Essen und beide Männer packten je nach einem Arm. “Oh no stop it!” Rief er noch und wurde von ihnen doch erbarmungslos mitgezogen. Die Argumente, dass es ihm sicher Spaß machen würde und dass er ja keine alkoholhaltigen Cocktails trinken musste, fanden bei ihm keinen Anklang. Schlussendlich ergab er sich den beiden und meinte, dass sie ihn los lassen könnten, er würde schon mitkommen. Doch auch da gaben sie ihn nicht frei und mit aller Mühe versuchte Joey nicht darüber nachzudenken, dass jetzt wohl jede Frau neidisch auf ihn wäre. Zwei solche Männer, die ihn fest an sich drückten und für die er zumindest in diesem Moment der Mittelpunkt ihrer Welt war. So ein Mist aber auch!
 

Obwohl er wirklich seine Meinung ändern musste. Hatte er erwartet, dass es in diesem gewaltigen Käfig an Attraktionen überirdischer Machtspielchen nichts weiter zu entdecken gab, so hatte er sich geirrt. Er starrte auf einen großen, von Licht hinterlegten Kreis, an dessen Rand „Gold on 27“ stand. Das sah nicht nach etwas aus, das er jemals in seinem Leben gesehen hätte. Das sah nicht einmal so aus, als wenn er sich vorstellen könnte, was es dahinter gab. Er fühlte sich wie ein kleines Kind, dass am Weihnachtsmorgen vorsichtig die ersten Schritte in den Raum der Träume setzte.

Gold! Es war überall. Sein Blick schweifte über den vergoldeten Boden und er fragte sich, ob es wirklich Marmor mit Gold gab, aber es war an den Wänden verarbeitet worden. Vorhänge aus glitzernden Fänden teilten die kleinen Sitzgruppen von einander ab und auch die Decke war von einem durchzogenen, gleichmäßigen Goldton. Seine Augen waren groß und rund. Er war so eingenommen von diesem Anblick, dass er nicht einmal den fragenden Blick der Frau am Eingang des Bar bemerkte, geschweige denn ihre gesamte Existenz. Er trat vorsichtig ein, hörte nicht, wie sie ihn ansprach und es war Kamil, der den blonden Mann rettete, indem er charmant erklärte, wer sie waren und was sie hier her geführt hatte.

Die Musik spielte gerade so laut, dass man sie gut hören konnte, aber nicht über sie hinweg schreien musste. Es war weniger zum Tanzen ausgelegt, als eher zum Trinken. Und wie man hier trinken konnte! Joey blieb einfach vor der Bar stehen und starrte mit offenem Mund auf die goldenen Regale. Hier im 27. Stockwerk des teuersten Gebäudes der Welt fand er Spirituosen, von denen er wusste, wie teuer sie waren. Doch weder die vergoldeten Stühle, noch die vielen kleinen, niedlichen Details auf dem Tresen konnten ihn so fangen. Er starrte den jungen Araber an, der in einer Leichtigkeit den goldenen Cocktailshakter durch die Luft tanzen ließ. Seine braunen Augen folgten dem Gefäß und er zuckte mit der rechten Hand.
 

Kamil und Kaiba waren abgeschrieben. Sie versuchten den Mann noch aufzuhalten, doch Joey war nicht mehr zu bremsen. Er setzte sich in Bewegung, bevor der Brünette nach seiner Schulter greifen konnte. Ohne zu fragen, ohne Rücksicht quetschte er sich zwischen zwei Damen, die in der vollen Reihe an der Bar saßen. Er hörte nicht, wie sie schimpfend zu ihm sahen. Sein Blick galt nur den Bewegungen und wie hypnotisiert folgte er jedem einzelnen Handgriff. Der junge Mann sah ihn verwundert und leicht fragend an, schwieg aber dennoch. Die Frau an Joeys Seite tat es nicht. Sie beschwerte sich und er hob einfach nur die rechte Hand, sah sie nicht einmal an. Sein Mund stand ein Stück offen und die linke zuckte, als der Barkeeper den Shaker mit der selben wieder auffing. Sie war offenbar eine Latina, schwarze, leicht gewellte Haare, die über ihren nackten Rücken fielen und dunkel, seidige Haut. Als ei ihn erneut ansprach, reagierte Joey gar nicht mehr. Er betrachtete auch nicht das hübsche Glas, welches mit einem Goldrand und einem kleinen Schirmchen den Weg zu der aufbrausenden Dame fand. Sein Blick ruhte nur auf den Händen des Mannes, der schon wieder nach dem nächten Glas griff und in die nächste Flasche heran zog. Die dunkelbraunen Augen beobachteten nun seinerseits Joeys Hände, die immer wieder zuckten, als reagierten sie auf einen Gedanken, eine Intuition.

“You're a bartender too, right?” Fragte er plötzlich mit einem vielsagenden Lächeln, als er den Shaker wieder durch die Luft tanzen ließ und mit einer solchen Sanftheit auffing, als wäre er niemals der Berührung dieser Finger entkommen. “Yes… yes… I am a bartender too…” Gab er nur halb anwesend von sich und dann verengten sich die Augen Joeys und er bekam einen konzentrierten Ausdruck. Er hatte die Phase des Schocks und der Überraschung überwunden und war nun an dem Punkt angekommen, an dem er jede Bewegung analysierte, um sie zu kopieren. Er beugte sich leicht vor und brachte damit den Araber zum Schmunzeln. Neben ihm standen noch zwei weitere Barkeeper hinter dem Tresen, die nicht ganz so begeistert davon waren. Sie bekamen nicht ganz mit, was da geschah, aber die zwei Frauen neben Joey waren nicht sonderlich zufrieden.
 

“How long have you been one?” Fragte er nun und trat einen Schritt zurück, um mehr Platz zu haben. “Ladies!” Wandte sich der junge Araber nun an die beiden etwas verstimmten Damen bot ihnen als Entschädigung eine ganz besonders atemberaubende Leistung. Sein Lächeln war sanft und verführerisch, seine Ausstrahlung beinahe göttlich. Die schwarzen Haare glänzten wie dunkle Seide, die Augen leuchteten und das schwarze Hemd welches er trug, schmiegte sich perfekt an seinen Körper, um freche Falten zu werfen, wenn er sich bewegte. All das bemerkte Joey nicht. Er beobachtete nur die Handgriffe, die wie ein Zauber wirkten. Für ihn gab es in diesem Moment nichts anderes mehr. Nur die sich in stetem Rhythmus bewegenden, nie stillstehenden Hände, die Zutaten mischten, Flaschen verschoben und Eiswürfel tanzen ließen. “Just under two years.” Antwortete er irgendwann, als er registrierte, dass er angesprochen wurde. “Are you good?” Fragte der vielleicht 35 Jahre alte Mann hinter dem Tresen und zum ersten Mal sah der blonde Zuschauer in das hübsche Gesicht. In einem so trockenen und ernsten Ton gab Joey von sich. “Compared to you, I'm a loser!“ Er erhielt dafür ein einfühlsames Lächeln und der Barkeeper schob der Frau links neben Joey einen Drink zu. “I've been doing this for over 15 years now.” Erklärte er und warf einen kurzen Blick auf den Zettel, welchen er vor sich liegen hatte. Eine neue Bestellung. Nun schien der Mann Joey erst recht beeindrucken zu wollen, den mit einem Mal kreiste auch die Flasche durch die Luft und voller begeistertem Respekt beobachtete, wie der Mann diese mit der anderen Hand wieder auffing und so sanft auf dem Tresen aufstellte, dass er ihr noch einen Schubs geben konnte, damit sie wieder auf die andere Seite hinüber glitt.
 

Wenn jemand das Wort „Maulaffenfeil“ beschreiben sollte, hätte in diesem Fall einfach ein Bild von Joseph Wheeler ausgereicht. Er starrte den Mann auf der anderen Seite einfach nur mit großen Augen und einem offenen Mund an. Er konnte nicht anders. Wie sollte man bei einem solch begnadeten Einsatz nicht wie der letzte Idiot gaffen und die Welt um sich herum vergessen? Die anderen um ihn herum begannen zu applaudieren, selbst Kamil und Seto hinter ihm waren nicht zu knickrig, was ihren Applaus anging. Nur Joey saß da und rührte sich nicht. Er blickte ihn einfach nur an und brauchte einen Moment, um sich wieder zu fassen. Mit einer Flasche hatte er das noch nie gemacht. Er hatte davon gehört, aber es noch nie so gesehen. Er war bisher immer davon ausgegangen, dass es ein reiner Mythos wäre.

Plötzlich sah ihn der Mann an, als wollte er etwas von ihm. Er hatte das Glas schon gefüllt und weiter gereicht. Nun musterten die dunklen Augen Joey und er fragte mit einer verheißungsvollen Stimme. “Can you dance?” Er brauchte einen Moment und dann musste er grinsen. “Not as good as you, but yeah I can dance.” Sein Grinsen wurde immer breiter, als wüsste er ganz genau, was dieser Mann meinte. Der Barkeeper griff derweil erneut nach einem Glas und dem Shaker. Es dauerte nur wenige Herzschläge und der goldene Mischbescher war wieder gefüllt. Der 35 Jährige ließ den Shaker in den bekannten, leichten Bewegungen vor sich in der Luft kreisen, während er sein Blick den von Joey gefangen hielt. Es war still geworden, die beiden sahen sich einfach nur an und die Luft schien zwischen ihnen zu brennen. Es war eine einfache Drehung seiner Hand. Der goldene Mischbecher flog so unerwartet über den Tresen, dass die beiden anderen Barkeeper erstaunt zusammen fuhren. Auch die Damen links und rechts neben Joey waren erschrocken. Nur der blonde junge Mann zuckte nicht einmal mit einer Augenbraue. Er trat in einer fliesenden Bewegung zurück und fing den Becher mit der linken Hand. Er folgte der Flugbahn und gab ihr einen kleinen anderen Winkel. Seine Hand wanderte elegant zurück hinter seinen Rücken und Kamil starrte ihn groß an. Das goldene Stück glänzte und flog in einem steilen Bogen hinter dem Rücken des Mannes in die Höhe und über die Schulter zurück. Mit der rechten Hand fing er diesen wieder und nur kurz waren die honigbraunen Augen zu dem wertvollen Objekt gewandert. Der Araber stellte ein langstieliges Glas auf den Tisch, in dem sich schon drei Eiswürfel befanden. Joey drehte den Shaker noch einmal und ließ ihn dann wieder in die linke Hand wandern, um ihn mit rechts aufzudrehen. Er ließ den Inhalt des Bechers sanft in das Glas fließen und stellte dann in einer einzigen, bestimmten, aber sanften Bewegung beide Teile neben das Glas auf den Tresen.

“It's nothing special. Just the usual stuff.” Erklärte er mit einer leichten angedeuteten Verbeugung und der Barkeeper tat es ihm gleich. Er hatte ein wissendes Lächeln und griff wieder nach den beiden Teilen des Shakers. “You should stay tuned. You have potential. Such a clean process without knowing the weight is really good.” Mit diesen Worten nahm er auch das Glas von Tresen und stellte es auf das Tablett, welches der Kellner schon ungeduldig bereit hielt. Joey wurde rot und musste sich verlegen mit der Hand über den Nacken fahren. “Thank you very much.” Murmelte er und kam so langsam wieder zu sich. Er hatte nicht erwartet, dass er so von dem anderen vereinnahmt, ja, regelrecht gefangen genommen wurde. Auch die Damen, die sich bis eben noch über ihn geärgert hatten, sahen ihn nun deutlich bewundernder an. “Keep training and come back in three years. We could use someone like you here. Handsome, kind and talented. That fits.” Nun war der Punkt erreicht, an dem Joey ihm nicht mehr in die Augen sehen konnte. Er lief noch etwas dunkler im Gesicht an und nuschelte vor sich hin.
 

Als er wieder aufsah, bemerkte er, wie sein Sichtfeld deutlich geringer geworden war. Zu beiden Seiten standen Kaiba und Kamil, die ihn mit einem fragenden und interessierten Blick musterten. “Do you know that you have to explain this to us?” Kam direkt von dem Araber und auch der Fremdenführer wirkte nicht weniger interessiert. Joey hingegen schluckte und wurde noch verlegener. Die Überlegenheit, die er eben bewiesen hatte, schien sich in einem absoluten Nichts aufzulösen. “Well, it's my job. I work as a bartender.” Gab er kleinlaut an und wusste, dass er dazu noch weit mehr Fragen beantworten musste. “Let's sit down first?” Fragte er und sah die beiden hoffungsvoll an. Zumindest entkam er so für einen Moment dieser Situation. Die beiden waren mit diesem Vorschlag einverstanden und Kamil schlug vor, den hinteren Bereich aufzusuchen. Es war voll und die Bar im 27. Stockwerk nicht überragend groß. Doch von hier aus war die Aussicht atemberaubend. Der Blick fiel durch die schrägen Fenster direkt ins Dunkel der Nacht und zeigte ein eindrucksvolles Bild der leuchtenden Stadt. Vorsichtig trat Joey an die Scheiben heran und ließ seinen Blick schweifen. So weit oben waren sie, dass die Lichter der Häuser wie kleine, funkelnde Steine wirkten. Es kam ihm beinahe so vor, als hätte jemand einen Eimer voll glitzernder Lichter umgeworfen und sie sie zu Füßen dieses Hotels ausgeschüttet. Es war ein wunderschöner Anblick.

Ein vergeblicher Versuch

Kapitel 32

Ein vergeblicher Versuch
 

Sein Blick lag noch immer auf der leuchtenden Stadt, als Kaiba zu ihm trat. “Is everything ok?” Fragte er beinahe einfühlsam und bemerkte den abwesenden Blick des Blonden. “Yes… yes I think… everything is ok….” Stammelte er und schien den Mann nicht wirklich wahrzunehmen. Er konnte den Blick nicht von der Stadt nehmen, die unter ihnen lag. Von hier aus waren die Lichter in all ihren Farben und Formen zu erkennen, die aus einem schwarzen Meer zu ihnen hinauf funkelten. “Do you see the lights?” Fragte er mit einem Mal und schien die Antwort ebenso wenig zu hören, wie die Frage Kamils, ob es ihm gut ginge. „Erinnerst du dich noch an das Gespräch im Flugzeug? Genau darum geht es. Dieses Meer aus Lichtern ist das beste Sinnbild, welches ich in meinem gesamten Leben gesehen habe. Das einzige, was von hier oben zu sehen ist, sind die Lichter, die funkelnden, strahlenden Lichter. Keine Menschen, kein Leben, nur die ewig leuchtenden Lichter. Der Blick von hier oben verrät nicht, wie viel Arbeit hinter all dem steckt. Da unten wimmelt es an Menschen, die alles tun, damit hier oben die Dinge so sind, wie sie sind. Sie schuften, rennen, hetzen, Tag für Tag. Sie beginnen in der Früh und hören erst spät in der Nacht damit auf. Sie geben alles, nur in dem Wunsch, dass sie Morgen wieder eine Arbeit haben werden. Nur in der Hoffnung, dass dieses System sie weiter trägt. Es geht nicht darum, dass sie etwas Großes erreichen könnten, das ist nur ein flüchtiger Traum, wenn sie den Blick Richtung Himmel heben. Denn alles, alles was sie hier sehen können sind die Lichter der Türme. Wie die Sterne unter dem Himmel, sind es nur Lichter. Ebenso sind es keine Menschen. Wie auch? Sie sehen ja nur das strahlende Licht, sie sind viel zu weit weg von dem hier, um etwas anderes zu sehen. Also bleibt ihnen nur ihre Vorstellung. Wie mögen die Menschen sein, die sich hier hinter verbergen? Vermutungen, die sich aus Wut, Angst und Sehnsucht zusammenschustern und am Ende ein Zerrbild der Wirklichkeit darstellen. Sie werden vielleicht niemals einen Fuß in ein solches Leben setzen und so bleibt ihnen nur der Ärger und die Verzweiflung, wenn sie den Blick heben.“ Er machte eine kurze Pause und legte dann den Kopf etwas schief.

„Doch was bleibt von hier oben? Am Ende ist es das gleiche Spiel. Niemand sieht die Menschen dort unten und es wird vergessen, was alles geschehen muss, damit dieser Luxus hier oben existieren kann. Am Ende bleiben nur die Lichter und die Menschlichkeit geht verloren. Keiner sieht mehr den anderen und niemand glaubt, dass der Unterschied zwischen ihnen vielleicht gar nicht so groß ist. Wir haben nur noch unsere eigenen Vorstellungen vom dem, was sich hinter dem Licht verbirgt. Wie soll also die Gesellschaft eins sein, wenn wir sie so trennen? Wie soll denn der Wert einer Arbeit geschätzt werden, wenn sie selbst hinter dem Licht verschwindet? Ich verstehe nicht ganz, warum all das hier nötig ist. Wenn ich einen Ort wie diesen betrete, dann denke ich über all die Arbeit nach, die es für die Erschaffung bedurfte: die Materialien, die Schwierigkeit, all das Gold aufzutragen, all die kleinen Stränge der Vorhänge auseinander zu halten, all die Stunden Arbeit, Training, die es kostet, so ein guter Barkeeper zu sein. Ich weiß, wie es ist, die Tablette zu tragen, die Tische im gleichen Zug abzuwischen und auch noch die Bestellung dabei aufzunehmen. Alles in einer Balance zu halten und dann auch noch freundlich zu lächeln, obwohl der eigene Körper eigentlich schon längst um Ruhe fleht. Ich glaube, dass es kein grausameres Bild gibt, als dieses hier. Diese tausend Lichter, die verräterisch funkeln und so tun, als wären sie unschuldig, obwohl sie die Sünde einer ganzen Gesellschaft darstellen.“
 

Für einen Moment war Seto überfordert. Er starrte den blonden Mann mit seinen eisblauen Augen an und versuchte zu verstehen, wie tiefgreifend die Worte waren, die Joey von sich gab. Sein Blick fiel aus dem Fenster hinunter in das leuchtende Meer und ihm wurde bewusst, wie sehr dieser Mann recht hatte. Für ihn waren es alles Gegebenheiten. Er erwartete diese Dinge. Er sah nicht den Menschen hinter der Arbeit. Für ihn war es entscheidend, dass diese Arbeit erledigt wurde und wenn sich dabei ein Fehler ergab, dann war das nicht tolerierbar. Es war Kamil, der ihn sanft am Oberarm berührte und fragend anblickte. Er hatte kein Wort verstanden und so beugte sich der Brünette zu ihm hinüber, um die Aussage so gut es ging zu übersetzen. Er nutze dabei die arabische Sprache und noch während er sprach, sah der dunkelhäutige Mann zum Fenster zurück. Er schien erstaunt und verwirrt zugleich zu sein. Es waren Aspekte, über die er noch nie in seinem Leben nachgedacht hatte. Mit großen Augen starrte er auf den Rücken des Blonden und begriff, dass er ihm nie eine solche philosophische Tiefe zugetraut hatte.
 

“Shit!” Fluchte dieser mit einem Mal und verwirrt sahen die beiden Männer ihn an. “I am such an Idiot!” Ertönte plötzlich und mit einem etwas verwirrten Ausdruck trat Seto näher. “What happened? Is everything ok?” Fragte er ruhig und die honigbraunen Augen sahen ihn plötzlich groß an. “No, look at this!” Er deutete auf die Fensterscheibe, auf der ein sichtbarer Abdruck seiner Hand zu erkennen war. “I hate people, how need to touch everything, especially glass! Why I have to touch it? Look at this fingerprint!” Gab er mürrisch von sich und Kaiba betrachtete ihn verwirrt. Dann sah er zu der Fensterscheibe und musste dem jungen Mann Recht geben. Es war sein Fingerabdruck, nein, sein gesamter Handabdruck dort zu erkennen. Der Firmenführer schüttelte mit einem schiefen Grinsen den Kopf und Kamil reichte dem Blonden ein seidenes Taschentuch mit einem hübsch gestickten Ornament. “If you want to clean up this mess...” Meinte er ruhig und für einen Moment blickten ihn die honigbraunen Augen an. Er konnte dem Gesicht deutlich ansehen, wie Joey am Überlegen war. Er schien die Situation abzuwägen, ob das Taschentuch so eine Behandlung verdient hatte. “No, thank you very much, but no...” Joey schüttelte den Kopf und drehte sich vom Fester weg. Er wollte sich keine weiteren Gedanken darüber machen.

“Ok, you two wanted to drink something!” Begann er und deutete auf einen der kleinen Tische am Fenster, der gerade leer geworden war. “We should sit, before someone else will take our place!” Schlug er vor und setzte sich auch schon in Bewegung. Einer der Kellner räumte gerade den Tisch frei und wischte ihn ab, bis sie den Platz erreichten. Von hier aus hatte man eine gute Sicht über die große Fensterfront und Joey ließ sich schon auf einen der runden Sessel fallen.

“I am really impressed with him. However, what I find most fascinating is that from now on he looks like a completely different person.” Meinte Kamil leise zu seinem Freund und sah dem jungen Mann nach. Er musste lächeln, als er den Blick der großen, braunen Augen bemerkte. “Yes you are right. I've seen him do something like this before, but never like this ....“ Antwortete Kaiba und dachte an die ein oder andere Aktion, die Joey schon einmal gebracht hatte. “This guy always manages to surprise me.”
 

Die beiden Männer bestellten und Joey hielt sich zurück. Er bemerkte, wie er langsam müde wurde und der Tag seine Spuren hinterließ. Seine Aufmerksamkeit dem Gespräch gegenüber wurde immer geringer und er lehnte in seinem Sessel, den Blick hinaus gerichtet. Er hielt einen alkoholfreien Cocktail in seinen Händen und atmete tief ein und aus. Er hatte kein Interesse an dem, was die beiden da erzählten, besonders, weil immer wieder ein Haufen Frauen Bestandteil ihrer Gespräche war. Ob nun nur in der Diskussion, welche von den anwesenden Damen attraktiv wäre und warum oder aber ihre Anwesenheit war ganz explizit Teil der Gesellschaft. Er war müde, zu müde um dem aufgeblasenen Geturtel der angeheiterten Meute zu folgen. Wenn Kaiba der Meinung war, sich an diesem Abend mit irgendeiner dahergelaufenen Frau zu vergnügen, dann sollte er das tun. Er hatte ihm gesagt, was er davon hielt und für den Rest war er nicht verantwortlich. Er würde diesem Mann nicht nachlaufen und so tun, als müsste er ihn bemuttern. Wenn die beiden sich nicht an normale Konventionen halten konnten, sollten sie doch ihren unglückseligen Krieg führen und am Ende… ja, am Ende würden sie beide traurig und verletzt darüber sein, dass sie einen Haufen Schaden angerichtet hatten.

Sein Blick wanderte zu der jungen Frau, die neben dem Firmenführer saß und sich an diesen schmiegte. Es fehlte nur noch, dass sie auf seinen Schoß kletterte und meinte, sich an ihn zu drückte, wie es eine willige Katze tat, wenn sie um etwas zu Essen bettelte. Sie sah hübsch aus, ja, aber nicht so überragend, wie die Männer hier alle fanden. Er hatte die musternden Blicke der anderen gesehen, die voller Neid zu dieser Gruppe sahen. Auch neben Kamil hatte es sich eine Frau sehr gemütlich gemacht und mit einem leicht genervten Ton stand Joey schließlich auf. “I'm out of this. I'm going to sleep.” Gab er an und sah in die verwunderten Gesichter der anderen. Es war Kamil, der als erstes etwas sagte und seine braunen Augen musterten den Blonden. “It's a shame, the evening is still young.“ Kurz schwieg Joey und sah dann von dem jungen Araber zu der hübschen Schwarzhaarigen an seiner Seite. Er ließ seinen Blick weiter zu Kaiba wandern und verharrte schlussendlich bei der Brünetten, die sich an den Firmenführer schmiegte. “No, I don't want to be part of this whole lousy game. It's up to you, you know, what I think of it.” Es war etwas Trockenes in seiner Stimme, welches die Dame zu ihm aufsehen ließ. Sie schien nicht zu verstehen und doch konnte er in dem Gesicht des Firmenführers erkennen, dass dieser gleich verstanden hatte.
 

“Did he tell you, that he has a girlfriend?“ Fragte er mit einem Mal und sie zuckte zusammen. Erstaunt sah sie von dem Blonden zu Kaiba und richtete sich auf, als wollte sie Platz zwischen sich und den Mann bringen. Er konnte erkennen, wie Kaiba in seiner ganzen Art versteinerte und ihn mit einem kalten, finsteren Blick anstarrte. “He quarreled with her and now he wants to sleep with so many women tonight, that she has to read it in the newspaper.” Erklärte er müde und ein wenig angefahren. Er konnte genau beobachten, wie sich die schmalen Lippen zu einem Ausdruck der unterdrückten Wut zusammen pressten und auch Kamil schien von dieser direkten Aussage getroffen zu sein. Die junge Frau öffnete nur den Mund und schien überfordert. Es herrschte ein absolutes Schweigen und sie sah vorsichtig und anklagend zugleich zu dem Firmenführer, an den sie sich eben noch so heran geworfen hatte. “You should know that I hate lying. Besides, I hate it even more, when someone gets a pretty woman like these two ladies into trouble.” Erklärte er und hob zum Abschied sein leeres Cocktailglas. “If it happens now, it's her fault.” Mit diesen Worten verabschiedete er sich von ihnen und ließ sie dort sitzen. Es interessierte ihn nicht weiter. Er hatte für einen ausgeglichenen Kampf gesorgt und wenn die Frauen bereit waren, sich unter diesen Umständen auf die beiden einzulassen, dann hatte er dafür keine Verantwortung mehr.

Müde machte er noch einen Umweg zur Bar und bat den Mann, mit dem er eben schon so ein kleines Geplänkel hatte, um ein einfaches Glas Wasser. Er war müde und es würde schon schwer genug werden, sein eigenes Zimmer in diesem großen Hotel zu finden. Es war ein unglaubliches Abenteuer, aber auch ermüdend und irgendwie zehrend. Bei Kaiba hatte er immer das Gefühl, dass er zwischen gut und böse wandelte und nie wusste, wann er etwas sagen sollte oder nicht. Kurz sah er noch, wie die Dame, die er eben angesprochen hatte, mit einem wütenden Schnauben hinaus zum Ausgang stapfte und er konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. Natürlich fiel das dem aufmerksamen Mann auf der anderen Seite des Tresens auf und sie zwei tauschten einen stummen, langen Blick aus. Seltsamerweise fühlte er sich direkt mit ihm verbunden. Sie waren beide Barkeeper und diese Tatsache schien sie zu vereinen. Er schien in dem Blick so viel zu erkennen, zu lesen und plötzlich meinte er lächelnd. “My friend wants to take revenge on his girlfriend and therefore sleep with as many women as possible. He's kind of famous and his girlfriend lives in England. So it has to be in the newspaper for her to know.” Erklärte er und der Araber sah ihn mit einem wissenden Blick an. “And did you tell her the truth?” Es war ein breites Grinsen in seinem Gesicht als er ihm antwortete. “That's why she just ran out.”
 

Sie unterhielten sich noch lange nebenher. Irgendwie hatten sie einen Draht zueinander und Joey genoss es, endlich einmal mit jemandem zu sprechen, der nicht an Geld und Gewinn dachte. Sie lachten, fachsimpelten über Cocktails, zumindest so gut es ging. Joey fehlten dann doch einige Worte und er war froh, dass Google auch problemlos von Japanisch in Englisch übersetzen konnte. Plötzlich lehnte sich der Araber über den Tresen und fragte leise. “Sorry, but can it be that you are more interested in men?” Völlig irritiert starrte Joey ihn an und fragte prompt. “Why?” Der Mann leckte sich über die Lippen und wirkte unsicher. Er deutete vorsichtig auf eine Frau die Joey seltsam bekannt vor kam. War sie nicht eben hier am Tresen gewesen und hatte ihn angesprochen. “You have now been approached by four women, who would certainly have taken you to their room. But you ignored them very directly. So, either you are very difficult to understand or you have no interest in women.” Völlig entgeistert starrte Joey der attraktiven Frau hinter her, die nun eingeschnappt mit ihrem Cocktail davon geschritten war. “What? NO! NO WAY!” Gab er von sich und konnte es noch immer nicht glauben. “You are kidding me!” Fassungslos wanderte sein entsetzter Blick nun hinüber zu dem dunklen Gesicht des Barkeepers und dieser grinste verlegen. “I've seen many here and you, my pretty angel, with your brown eyes and blonde hair, are like honey for these bees.” Gab er nun frohlockend an und lehnte sich wieder zurück. Noch immer konnte Joe es nicht glauben und sah in die Richtung, in die die fremde Frau verschwunden war. “You are kidding me!” Stieß er erneut hervor und mit einem angestrengten Ausatmen sah er den Araber verwirrt an. Dieser schob ihm ohne noch etwas zu sagen, dafür aber mit einem vielsagenden Blick, einen Cocktail hinüber und unterdrückte ein Grinsen.

Schweigend trank Joey von diesem und dachte nach. Ja, er war angesprochen worden, aber er hatte da jetzt nichts bemerkt, von dem er sagen würde, dass es besonders war. Sie fragten ihn, wie es ihm ging, wo er her kam, ob er alleine war. Er hatte sich schon gewundert, was sie eigentlich von ihm wollten? War er wirklich so dumm, dass er nicht mitbekommen hatte, was diese Frauen von ihm wollten. “Fuck that is frustrating!” Schimpfte er plötzlich und sah mit einem resignierten Ausdruck zu dem jungen Mann, der leicht lachte. “Come back tomorrow, then your bed won't stay empty!” Schlug er ihm vor und nun musste auch Joey lachen. Ach, wahrscheinlich wüsste er gar nicht, was er machen sollte, wenn ihn eine so hübsche Frau ansprach. “Glad you said it, is time. I'll check out the idiots one more time and then I'll really go to bed.” Gab er von sich und schob das leere Gals wieder über den Tresen. Beide nickten sich vielsagend zu und mit einem seltsamen Gefühl im Bauch machte er sich wieder auf den Weg zu den Plätzen am Fenstern.
 

Natürlich hatten die beiden die Zeit gut genutzt und mit großen Augen erkannte er, dass rittlings auf dem Schoß des Brünetten eine Frau saß und ihn leidenschaftlich küsste. Gleichzeitig waren da jedoch all die anderen Signale, die er direkt notierte. Rote Wangen, dieser besondere Ton, der nicht von Erregung, sondern von Alkohol herrührte. Die Augen hatten diesen glasigen Schein und als der Mann ihr etwas zuraunte, konnte er den leicht lallenden Ton vernehmen. Auch Kamil, der „beschäftigt“ war, zeigte deutlich diese Anzeichen und mit einem Seufzen ergab er sich in sein Schicksal. Er klatschte laut in die Hände und meinte dann mit voluminöser Stimme. “Come on guys, it's time to go to bed!”

Erschrocken sahen die beiden Männer zu ihm und keiner schien so Recht mit ihm gerechnet zu haben. Erstaunt starrten sie ihn an und dann meinte Kaiba. “Are you still here?” Und da war es so deutlich heraus zu hören. Der Mann war betrunken, ganz ordentlich betrunken. “Yes, and you two are going to bed now. You have drunk enough. There's nothing going on tonight anyway.” Gab er in einem bestimmenden Ton von sich und alle vier sahen ihn mit großen Augen an. “No, not yet. A little more, please!” Lallte die Dame und kicherte dann. Sie war anscheinend ebenso betrunken, wie die anderen und mit einem weiteren Seufzen griff Joey nach einem der leeren Stamper auf dem Tisch. “Ok, I'll leave you alone, if you can take my glass off. Otherwise it's off to bed.” Er wusste nicht, was er damit auslösen würde. Die Damen kicherten und mit einem Wanken kletterte die erste von Kaibas Schoß. Sie war bei weitem nicht mehr so sicher auf den Beinen und funkelte ihn mit ihren betrunkenen Augen groß an. Sie biss sich auf die Lippe, als sie das Glas fixierte, welches Joey ihr entgegen hielt. Sie machte einen Schritt nach vorne, holte aus und als der Blonde das Glas zur Seite zog, stolperte sie ohne Hoffnung auf einen Halt direkt in seine Arme. Sie schrie und lachte dann, während sie sich an ihm fest hielt. “Oh, that was mean.” Schimpfte sie und sah ihn dann mit großen Augen an. Einer der Kellner kam näher und der 19 Jährige schüttelte den Kopf. “Good night! Who wants next?” Fragte er und die nächste Dame versuchte ihr Glück. Mit einem gewissen Entsetzen starrten Kamil und Kaiba ihn an, als er nun zwei Frauen im Arm hielt, die wenig später kichernd an einem Kellner hingen, der die wankenden Schönheiten zu ihren Zimmern brachte, denn sie konnten definitiv nicht mehr alleine stehen.

Nun erhob sich schwerfällig der Brünette, nicht ohne eine gewisse Wut. Jetzt ruinierte der Kerl ihm zum zweiten Mal seinen Abend. Doch auch er hatte mehr getrunken, als er sollte und als Joey ihm das Glas entgegen hielt, musste er blinzeln. Zu viele Betrunkene hatte er schon in seinem kurzen Leben gesehen und Kaiba war betrunken. Er war wirklich betrunken. Allerdings war es auch nicht sonderlich schwer, einen betrunkenen auszutricksen und so musste er nur warten. Kaiba machte einen Schritt auf ihn zu, schien damit zu rechnen, dass Joey das Glas wieder wegziehen wollte, doch sein Köper reagierte nicht. Er spürte, wie er zur Seite wegkippte und Joey nach ihm griff. Er packte dessen Ärmel und mit einem Ruck wurde er in die andere Richtung gezerrt. „Lass es, du hast echt zu viel für heute Nacht.“ Meinte Joey, als er leicht lachend den größeren in seinen Armen wieder fand. „Was? Ich…“ Doch weiter kam er nicht. Der schnelle Richtungswechsel hatte einen heftigen Schwindel ausgelöst und so klammerte er sich mit geschlossenen Augen an den Blonden. „Hat Kamil hier auch ein Zimmer?“ Fragte er und nach einer Weile kam ein leises. „Ja, hat er. Neben meinem, 765…“
 

Es war ein lustiges Bild und auch irgendwie beeindruckend, wie leicht dem jungen Mann der Trick gefallen war. Nachdem auch Kamil nur wankend auf die Beine kam, brauchte es nicht mehr viel und er kam freiwillig mit. Der Kleinste unter ihnen hatte nun links und rechts je ein betrunkenes Gewicht hängen, welches lallend und schimpfend kommentierte, dass das hier unwürdige Zustände wären. Dabei wurden japanisch, arabisch und englisch in einen Satz geworfen und gemischt. Als sie an der Bar vorbei kamen, löste sich Kamil von ihnen und wollte schon drauf los stapfen, als ihn Joey am Kragen packte. “No, stop it! You stay here!” Und mit diesen Worten bugsierte er den Mann wieder von der Bar weiter. Als er das Gesicht des jungen Arabers sah, der gerade nach einer Flasche griff, rief er nur. “Don‘t say anything!!!”

Er wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Diese beiden machten es ihm wirklich nicht leicht und doch schaffte es Kaiba, einen Vortrag über den Aufbau dieses Hotels zu halten und Kamil stimmte mit fachlichen Kommentaren mit ein. Mit einem Kopfschütteln hoffte er nur, dass hier alles gut gehen würde und ignorierte die Anspielungen, die der Araber ihm gegenüber machte. Bis sie endlich im richtigen Stockwerk angekommen waren, dauerte es. Dafür schien besonders Kaiba wieder etwas klarer zu sein, zumindest wankte er nicht mehr und konnte gut alleine gehen. Er war es auch, der dafür sorgte, dass sie das richtige Zimmer fanden, in welches sie Kamil verfrachten konnten. „Warum hat er noch gleich ein Zimmer hier? Lebt er nicht in Dubai?“ Fragte er und schaltete das Licht aus. Sie konnten schon jetzt ein ruhiges Schnarchen hören und Joey trat in den Flur. „Wir sehen uns so selten, dass wir möglichst viel Zeit mit einander verbringen wollten. Außerdem ist es einfacher von der Bar hier her zu kommen, als ans andere Ende der Stadt.“ Erklärte Kaiba in einem ruhigen Ton und musterte den Blonden. „So schnell steht der nicht wieder auf.“ Scherzte Joey und da es dem 22 Jährigen soweit wieder gut ging, setzte er sich in Bewegung, um zu seinem eigenen Zimmer zu kommen. Er zog schon die Karte heraus, während er sich noch einmal zu seinem Chef um drehte.
 

Erschrocken stellte er fest, dass nur noch eine Armlänge zwischen ihnen lag und der Blick in den eisblauen Augen verriet ihm nichts Gutes. „Ähm… gute.. gute Nacht…“ Murmelte er und der Brünette schien noch näher zu kommen. „Das wird etwas schwierig, Wheeler.“ Begann die tiefe, vom Alkohol rauchig gewordene Stimme. „Weißt du, ich wollte eines heute Nacht und das habe ich nicht bekommen. Sagen wir so, es hat sich ein gewisser Druck aufgebaut und eine gewisse Wut.“ Joey wich zurück. Er kannte diese Art. Er kannte diesen Ausdruck. Das war nichts Gutes. Das war etwas verdammt Gefährliches und wenn er nicht schleunigst hier weg kam, hatte er ein verdammt großes Problem. Er schluckte und murmelte. „Du bist betrunken, Kaiba. Geh schlafen und alles wird wieder gut. Du.. also…“ Er leckte sich über die Lippen und konnte dem Blick nicht standhalten. „… ganz ehrlich, das was du willst, hättest du doch eh nicht bekommen. Ihr wäret doch eh nur betrunken auf dem Bett eingeschlafen.“ Murmelte er nun noch leiser und spürte, wie er Angst bekam. Es war wie ein bedrohliches Flimmern in der Luft und er konnte nicht sagen warum.
 

Plötzlich spürte er den Griff des Mannes. Es ging so schnell, dass er sich nicht wehren konnte. Der 22 Jährige packte sein Handgelenk mit der linken und griff mit der rechten nach seiner Schulter. Die Bewegung, in die er Joey zwang, sorgte dafür, dass er ihm den Arm auf den Rücken drehte und einen Moment später drückte er ihn mit Gewalt gegen die Wand. Joey unterdrückte nur knapp einen Schrei und zischte überfordert und wütend. „Lass mich los! Was soll das werden?“ Er hatte Angst. Große Angst! Der Kerl war betrunken und wurde übergriffig. Fieberhaft versuchte er nach einer Lösung zu suchen, doch in seinem Gehirn befand sich nur eine unglaubliche Leere. Der Schmerz raste durch seine Schulter und dann hörte er das grausame Wispern an seinem Ohr, spürte den schweren Körper, der sich gegen den seinen drückte. „Was das werden soll? Du hast eine Behauptung in den Raum gestellt und du hast mir den Abend verdorben. Ich denke, es wird Zeit, dass ich dir noch einmal deinen Platz deutlich mache. Was habe ich dir gesagt? Was verdammt noch mal, habe ich dir gesagt?“ Er wusste nicht genau, ob er Freude in der kalten Stimme hörte, aber sein Herz schlug panisch. „Du solltest dich nicht in mein Leben einmischen! Das ist die einzige Regel, die es gibt und du musst sie immer und immer wieder brechen! Also, wenn du dafür gesorgt hast, dass ich heute Nacht unbefriedigt bleibe, wirst du das auch ausbaden!“
 

In seinem von Angst geschwängerten Gehirn war nichts mehr zu finden. Was genau meinte der Kerl damit? Er wehrte sich nicht, als Kaiba ihm die Karte aus der Hand nahm und die Zimmertür öffnete. Es blieb nur Panik und Schmerz, als der Größere ihn am Krage packte, den Arm noch immer auf den Rücken gedreht und ihn mit einer kräftigen Bewegung von der Wand riss, um ihn in das Hotelzimmer zu stoßen. Das Geräusch der zufallenden Tür hallte tausendfach in seinen Ohren wieder und dann kam er, der Impuls sich zu wehren. „Lass mich los!“ Rief er, seine Stimme zitterte und er versuchte sich aus dem Griff des anderen zu lösen. „Lass mich los!“ Brüllte er und schrie schmerzhaft auf, als er gegen die nächste Wand geschmettert wurde. Seine Schulter wurde von einem grausamen Stich durchzogen und seine Brust pochte dumpf. „Vergiss es, Wheeler, du gehörst mir!“ Knurrte er und es klang wie der kehlige Ton eines großen Monsters. Gefräßig und grausam. Nur wenige Herzschläge später zog ihn Kaiba erneut von der Wand und trieb ihn weiter, bis er ihm einen Schubs gab. Schreiend stolperte er nach vorne, riss die Arme in diese Richtung und stürzte auf das Bett. Ein seltsames Geräusch erklang und dann spürte er den Mann erneut hinter sich. Er packte nach den Handgelenken Joeys und bevor der Blonde noch wusste, was der andere geplant hatte, zog sich der Gürtel fest. Entsetzt starrte er im Halbdunkeln des Zimmers auf diese Fessel und die Frage platzte in seinem Verstand auf, was genau der Mistkerl vor hatte. Er wollte doch nicht etwas…?

Eine unverzeihliche Tat

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Halt mich fest und lass mich allein!

Kapitel 34

Halt mich fest und lass mich allein!
 

Es war ein widersinniger Anblick, den er nicht genau beschreiben konnte. Der Mann neben ihm schien so erschöpft, so schwach, so kraftlos zu sein. Für einen Moment schienen all die Erinnerungen eine Lüge, die ihn voller Überheblichkeit und Stärke zeigten. Joey schluckte und spürte selbst, wie sein Körper um Ruhe flehte, während seine Lust noch immer in schauerlichen Wellen schwächer wurde. Die honigbraunen Augen glänzten matt und ebenso verlegen, wie überfordert betrachtete er den Mann neben sich, der mit geschlossenen Augen dort lag und um Luft rang. Kleine Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn und der Brust gesammelt und schienen nun darauf zu warten, dass sie einen Weg abwärts finden konnten. Winzige Lichtpunkte spiegelten sich in diesen Perlen, so dass sie wie keine Diamanten erschienen. Die Haut war gerötet, die Wangen hatten einen dunklen, roten Ton angenommen. Es war das erste Mal in dieser Nacht, dass Joey diesen Fremden so eingehend betrachtete. Ja, dieser Fremde, denn er hatte das Gefühl, diesem Mann noch nie begegnet zu sein. Dieser Mann, der so voller Schwäche und Schönheit war. Die braunen Strähnen klebten zum Teil auf der nassen Stirn, einige andere fielen neckisch abwärts über sein Ohr.

Ein seltsamer Gedanke kam ihm so unerwartet, dass er ihn nicht richtig fassen konnte. Dieser Fremde dort hatte für einen Moment nur ihn gesehen. Es ging nicht um Kaibas Gefühle, nicht um seine Lust, sondern nur um Joey. Alles, was er getan hatte, so demütigend es auch erschien, war doch einem einzigen Ziel nach ausgerichtet und das war der blonde, junge Mann gewesen. Mit großen Augen starrte er zu dem Firmenführer, blickte auf die schmalen, feinen Lippen, die nun einen Spalt offen standen, um besser die Luft einzusaugen. Er konnte sich genau an das kühle Gefühl erinnern, als sie seine Haut berührten, den Kontrast zu der warmen Zunge. Sein Herz schlug wild, doch nun wanderte sein Blut wieder abwärts, allein der Gedanke daran, wie heiß dieser Mund gewesen war, allein die Vorstellung, wie die Lippen ihn umschlossen hatten…
 

Aber all das hätte nicht sein dürfen. Nichts von alle dem hätte stattfinden sollen! Er hatte nicht vorgehabt, dass es zu so etwas kommt! Er hatte nein gesagt! Er hatte immer und immer wieder nein gesagt und der nun pochende Schmerz in seinen Handgelenken, der Druck in seinen geschundenen Mundwinkeln machte ihm klar, dass dieser Mann über alle Grenzen gegangen war. Ohne es verhindern zu können, stiegen Tränen in die honigbraunen Augen und das Gefühl der abschwellenden Lust wurde von einem kalten, grausamen Schmerz durchzogen, einer Angst, die seine Seele packte und sein Herz schwer werden ließ. Jahre lang hatte er mit einem Vater zusammengelebt, der betrunken zu gerne die Hand gegen ihn erhoben hatte. Doch all das, all diese Schmerzen, diese Schläge waren nicht mit diesem Gefühl zu vergleichen. So weit war er niemals gegangen. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so schutzlos, so schwach gefühlt. Er hatte nichts tun können. Absolut nichts! Er war ihm hilflos ausgeliefert gewesen und wenn sich der Brünette dazu entschieden hätte, dass ihm die Gefühle des anderen egal gewesen wären, hätte er ohne Rücksicht seine eigene Befriedigung gesucht. Er musste nach Luft schnappen, als er den Klos in seinem Hals spürte, ein Druck, als hätten sich zwei kalte Hände um diesen gelegt und drückten nun mit immer stärkerer Kraft zu. Die Tränen begannen über seine Wangen zu laufen, ohne, dass er es verhindern konnte. Er hatte nein gesagt! Er hatte verdammt noch mal NEIN gesagt!

Erfolglos? Es hatte ihm nichts gebracht. Es war völlig sinnlos gewesen! Er hätte auch nichts sagen können und das Ergebnis wäre sicher das gleiche gewesen. Er musste an die eiskalten, blauen Augen denken, mit denen ihn dieser Mann in der Küche angefunkelt hatte. Er musste an ihren ersten Kuss denken, an dieses Gefühl der Überwältigung, der Hilflosigkeit und der Unverständnis. Dieser Mann nahm sich einfach, was er für sich beanspruchte. Ganz gleich, was auch immer es war. Die tiefe Stimme klang in seinen Ohren wieder, dieser Ton, mit dem Kaiba ihm im Flugzeug gesagt hatte, wie sehr er den Wechsel der Emotionen in seinem Gesicht liebte. Dieser Moment, wenn aus Euphorie Angst und Schmerz wurde. Wie konnte er auch nur so dumm sein und sich diesem Mann nähern? Er hätte es doch wissen müssen! Er hätte es doch wissen müssen! Wie dumm konnte er eigentlich sein? Schluchzend drehte er den Kopf zur Seite und vergrub sein Gesicht hinter den Händen. Die Tränen liefen dick über seine geröteten Wangen, doch das konnte er nicht verhindern. Hass und Wut stiegen in ihm auf und er spürte dieses überwältigende Gefühl der Schuld. Er war doch selbst schuld! Er war doch an dem, was geschehen war selbst schuld!
 

Für einen Moment hatte sich die Welt gedreht. Er musste die Augen schließen und dröhnend pochte jeder Herzschlag in seinem Kopf wieder. Schnell, kräftig und viel zu oft schlug dieses Organ und er spürte die warme Luft des Zimmers, die sanft, aber schnell über seine leicht geöffneten Lippen zog. Neben ihm ging der Atem schneller. Der Blonde schien erschöpfter zu sein. Er konnte hören, wie dieser den Kopf gedreht hatte und ihn nun anstarren musste. Er konnte die Blicke regelrecht auf seiner Haut spüren. Doch das war ihm egal. Sein Kopf teilte ihm unmissverständlich mit, dass er mehr Schlaf brauchte und weniger Alkohol. Unerwartet klang plötzlich die Stimme des Blonden in seinen Ohren, der ihm damals in seinem eigenen Schlafzimmer danach fragte, ob er wirklich auf leeren Magen am Morgen Alkohol trank. Er musste daran denken, wie er ihm im Büro gesagt hatte, dass er morgens nichts herunter bekam und dieser ihm dreist geantwortet hatte, dass dieses eine Lüge wäre, immerhin würde Alkohol ja gehen.

Alkohol… ganz langsam dämmerte ihm, dass er vielleicht wirklich weniger trinken sollte. Was bitte hatte er eben gemacht? Hatte er gerade wirklich Sex mit Wheeler gehabt? Dieser Gedanke bezog sich jedoch eher auf die Art und Weise, weniger auf die Tatsache selbst. Was bitte hatte er sich gedacht, als er den Kerl fesselte und ihm einen runter holte? Schlimmer noch, er hatte ihn ja auch noch geknebelt! Fuck! Was bitte hatte er sich bei dieser Aktion gedacht? Gar nichts, war wahrscheinlich die beste Antwort und dann hörte er dieses grausame Geräusch, welches seine Gedanken so wunderbar unterstrich. Ein Schluchzen drang von der anderen Bettseite zu ihm und erschöpft drehte er den Kopf zur Seite.
 

Im Halbdunkeln des Raumes konnte er erkennen, wie der Mann sein Gesicht mit den Händen verbarg und sich sein Brustkorb zitternd und unkontrolliert hob und senkte. Doch das war nicht das Schlimmste an diesem Bild. Selbst bei diesem Licht wurde schon deutlich, dass die Handgelenke gewaltige Blutergüsse davon getragen hatten. Sie begannen sich bereits blau zu färben. Ein Zittern ging durch den geschundenen Körper und der Brünette bemerkte, dass dieser noch immer das weiße Hemd trug und die Krawatten, die nun um seinen Hals hingen, in diesem fahlen Licht wie ein Brandmal wirkten. Wie eine Zeichen, dass aller Welt sagen sollte: Sieh dir diesen Mann an, er ist nichts weiter als ein Sklave!

Irritation machte sich in seinen Gedanken für wenige Herzschläge breit, denn er konnte nicht sagen, woher dieser Ausdruck kam. Doch eines konnte er sagen. Dieses Schluchzen erfüllte ihn mit einem solch niederschmetternden Gefühl, dass er für einen Moment zu ersticken glaubte. Ihm wurde klar, welche Bedeutung dieses Geräusch hatte und dass allein er der Auslöser dafür war. Er hatte etwas getan, das er im Nachhinein nicht verstehen konnte. Er begriff nicht, warum er eine solche Wut empfunden hatte, eine solche Lust und für einen kurzen, winzigen Moment hatte er das Gefühl, dass diese Idee nicht seine gewesen war. Dennoch, selbst wenn die Götter sie ihm eingepflanzt hätten, er hatte sie umgesetzt.
 

Nichts von all dem, was nun geschah, war geplant. Weder diese Gedanken, noch die sich daraus ergebene Handlung. Ein wütender Schrei erfüllte die Hallen des Schicksals, als ein gewaltiges Donnern einen neuen Wandel bekundete und die Räder sich in eine neue Richtung bewegten. Ganz gleich, wie sehr das Schicksal ihn auch zu knechten versuchte, so fand dieser Mann doch eine neu Möglichkeit, einen neuen Weg und wenn er ihn aus dem Nichts der Vorbestimmung erschaffen musste. Er war Joey mit einer unerwarteten Sanftheit begegnet, als er hätte gewaltsam nehmen sollen. Er hatte sich zum Bleiben entschieden, obwohl er hätte gehen sollen und nun entschied er sich erneut gegen die vorbestimmten Wege. Nach all diesem, nach all dem, was er getan hatte, blieb doch nur eine logische Folge. Dieser seelische Zusammenbruch musste ihn vertreiben. Er musste ihn davon stoßen, musste ihn zu bösen Worten verleiten. Einem letzten, zerschmetternden Kommentar, einer bitterbösen Behauptung, die den Blonden für alle Zeiten von ihm trennen würde!

„Es tut mir leid!“ Raunte es an Joeys Ohr und einen Herzschlag später spürte er den Griff des anderen Mannes. Der Brünette hatte ihn behutsam in seine Arme gezogen und hielt ihn nun fest. Sanft und einfühlsam sprach die raue Stimme. „Ich weiß, wie bedeutungslos das klingen muss. Es macht rein gar nichts wieder gut. Es ändert nicht die Tatsache, dass ich deine klares nein übergangen habe, dass ich jede Grenze überschritten habe. Trotzdem will ich, dass du es weißt. Es tut mir leid!“ Sanft fuhr er mit den Fingern durch die blonden Haare und für einen Moment hatte das Schluchzen aufgehört. „Egal, was du jetzt über mich denkst, meinetwegen hasse mich, aber bitte komm nicht auf die Idee, dass es deine Schuld ist. Nichts von alledem war deine Schuld!“ Kaum war ausreichend Zeit verstrichen, damit diese Gedanken in den blonden Kopf sickern konnten, als das Schluchzen erneut einsetze und dieses Mal war es angefüllt von einem Ton, der fähig war, die ganze Welt zum Bersten zu bringen, so verzweifelt war er.
 

Jede Entscheidung verändert den Lauf der Geschichte, den Lauf des Schicksals oder sie bestärkt diesen. Wie lange die beiden dort im Bett lagen, wusste Seto nicht. Vielleicht waren es nur 15 Minuten, vielleicht eine Stunde. Es hatte lange gedauert, bis aus dem lauten, verzweifelten Schluchzen ein Wimmern wurde und dieses blieb. Er hatte nichts weiter gesagt. Es gab nichts, was er in diesem Moment noch hätte von sich geben können. So hielt er den 19 Jährigen einfach fest, stich beruhigen über seinen Rücken und wartete. Sein eigener Körper kühlte langsam aus und die Kälte erfasste ihn. Ein Schauer überfiel ihn, ein Zittern packte ihn nur für einen kurzen Augenblick. Dennoch war er so spürbar, dass das Wimmern des Blonden einen Atemzug lang aussetzte. Ein Schniefen folgte. Doch dann setzte das Wimmern wieder ein. Dieses Mal Intervallweise, nicht mehr durchgängig.

Vorsichtig strich der durch die blonden Haare. „Wir sollten duschen gehen.“ Raunte er leise, als hätte er Angst, ein zu lauter Ton könnte den Blonden wieder verschrecken. „Eine heiße Dusche, frische Kleider… ein heißer Tee, wenn du magst.“ Ein Schniefen kam, doch sonst keine Reaktion. Er wartete wieder eine Weile, dieses Mal war es eine seltsame Stille, die hin und wieder von einem Schniefen unterbrochen wurde. Vorsichtig löste sich Seto von dem Bündel und versuchte einen Blick in das Gesicht des Mannes zu werfen. Dieses war gerötet, nass, die Augen geschlossen. Die Hände hatte er vor die Brust gezogen, die Arme wie ein Schutzschild aufgebaut und doch hatte er sich in die Umarmung geschmiegt, als suchte er Hilfe und Schutz bei ihm. Die gemischten Gefühle, die er in dieser Situation empfand, waren dem Blonden deutlich anzusehen.

„Wenn du willst, dass ich gehe, dann mache ich das. Aber ich will dich nicht einfach so hier zurücklassen.“ Erklärte der Brünette nun und wartete erneut auf eine Reaktion. Plötzlich öffneten sich die honigbraunen Augen, er leckte sich über die Unterlippe. Eine weitere Ewigkeit schien zu vergehen, als leise kam. „Ich weiß nicht, was ich will.“
 

Schwiegen herrschte und Joey biss sich auf die leicht zitternde Lippe. Er wollte den Scheißkerl nicht hier haben, nicht in seiner Nähe sein, aber er wollte auch nicht alleine bleiben. Er wollte sich nicht bewegen, aber die heiße Dusche klang verlockend. Er hatte Angst, Angst vor dem Spiegel im Badezimmer, Angst vor den Schmerzen seines Körpers, wenn er sich bewegte, Angst vor dem Gesicht des anderen. Aber gleichzeitig konnte er auch den jetzigen Zustand nicht mehr ertragen. Er wollte ihn verändern, ihn brechen, ihn verbessern. Besonders, nachdem nun eine Lücke zwischen ihnen entstanden war und die kalte Zimmerluft ihn erfasste, begann er unglaublich zu frieren. „Dann entscheide ich jetzt, dass du dringend eine Dusche brauchst und ich auch.“ Flüchtig sahen die braunen Augen zu ihm hoch und erstaunt stellte Joey fest, dass ein sanfter Ausdruck in dem hellen Gesicht lag. Ebenso wie ein Lächeln. „Ganz ehrlich, mir ist saukalt und der Gänsehaut auf deinen Armen nach zu urteilen, geht es dir genauso.“ Joey musste schlucken und dann folgte ein Nicken. Unsicher verfolgte er, wie sich der Brünette gänzlich von ihm löste und sich zur Bettkannte hin drehte. Dabei fiel sein Blick auf den Rücken des Mannes und er konnte tiefe Kratzspuren erkennen, die noch nicht sehr alt sein konnten. Auf der Brust waren ihm eben einige Bissspuren aufgefallen. Stammten die alle nur von einer Person? Von dieser Viktoria?
 

Er wusste schon jetzt, dass es eine Sache gab, mit der er völlig überfordert war. Dieser Mann konnte auf der einen Seite so grausam und herzlos sein, auf der anderen aber so einfühlsam und sanft. Die sonst so kalte, schneidende Stimme hatte einen angenehmen Ton, während er ihm ruhig erklärte, was er tat. Vorsichtig hatte sich Joey aufgesetzt und spürte die Schmerzen in jeder Faser seines Körpers. Es waren Schmerzen aus Erschöpfung, Müdigkeit und zum Teil auch durch die Verletzungen, die sein geschundener Körper trug.

Er ließ sich ohne Gegenwehr aus dem Rest der Kleidung helfen und kurz blickte er auf die Krawatten, die noch immer zu einem Knoten gebunden waren. Er würde wohl nie wieder dieses Modestück auf die gleiche Weise sehen, wie er es bisher getan hatte. Nun, das selbe galt für Gürtel. Vorsichtig hatte Kaiba ihm aus dem Hemd und schließlich auf die Beine geholfen. Er fühlte sich schwach und doch aufgewühlt zugleich. Seine Gedanken waren ein Sturm aus Vorwürfen, Zuspruch und dem wahnsinnigen Versuch, diese Situation zu verstehen. Sein Gehirn schien noch immer in einer Art apathischer Starrte zu verharren, in welcher es den aufkommenden Emotionen schutzlos ausgeliefert war. Bilder dieses Abends, dieser Nacht überschlugen sich fetzenartig und er konnte nicht sagen, was er schlussendlich empfand, denn zwischen blanker Angst und packender Erregung fand sich jedes Gefühl aus diesem Spektrum.
 

So ließ er sich von Kaiba in die Dusche führen, spürte, wie seine weichen Knie nachgeben wollten. Ein dumpfer Schmerz pochte in seinen Beinen, seinem Hintern, seiner Brust und seinen Armen. Er konnte nicht sagen, ob es eine Stelle an seinem Körper gab, die nicht schmerzte. Erschöpft und dankbar für die Hilfe musste er sich an dem Brünetten festhalten. Es war ihm unangenehm, aber das Zittern seiner Beine zeigte ihm deutlich, dass er diese Hilfe benötigte. Schweigend ließ er seinen Blick nur flüchtig über die Einrichtung des Bades gleiten und spürte die Kälte, die sie schon die ganze Zeit umgab.

Endlich erreichten sie ihr Ziel und er schloss die Augen. Er wollte eigentlich nicht hier sein, aber die Vorstellung von heißem Wasser war zu verlockend. Er hörte, wie Kaiba den Wasserhahn aufdrehte und wartete auf den Moment, als die warmen Tropfen zum ersten Mal auf seinen Rücken trafen. Ein angenehmer Schauer lief durch seinen Körper. Es war ein unglaublicher Moment, als die kalte Haut vom warmen Wasser umspielt wurde und er atmete langsam aus. Vorsichtig wanderte das Wasser von einer Schulter zur anderen und Joey versuchte sich zu entspannen. Die Schmerzen schienen etwas gedämpfter zu sein. Er bemerkte nur nebenher, wie sein Kopf gegen die Schulter des Brünetten fiel und er die Stirn gegen ihn lehnte.
 

Schweigend beobachtete Seto den Blonden und hielt den Duschkopf fest. Er hatte darauf geachtete, dass die Wassertemperatur nicht zu kalt und nicht zu heiß war. Nun ließ er die Tropfenflut über den Rücken des 19 Jährigen fallen und bemerkte, wie sich dieser langsam zu entspannen begann. Er hielt ihn noch immer fest, der Kopf des jungen Mannes lag gegen seine Schulter gestützt. Er wusste nicht, wie lange sie dort standen, bis er zum ersten Mal wieder die Stimme des anderen hörte. „Das war mein erstes Mal…“ Murmelte es gerade so laut, dass es gegen die tosenden Wassertropfen ankommen konnte. Seto konnte das Gesicht des Mannes nicht sehen und wusste nicht genau, wie er reagieren sollte. Er entschied sich, den Duschkopf in die Halterung zu hängen, die sich hinter Joey befand und achtete darauf, dass das Wasser noch immer über den Rücken des 19 Jährigen lief. „Du hast bisher immer behauptet, dass du kein Interesse an Männern hast. Es ist logisch, dass es dein erstes Mal war.“ Sagte er ruhig und hörte ein Schniefen unter dem Tosen des Wassers hervordringen. „Nein,…“ Begann die zitternde Stimme und Seto war sich nicht sicher, worauf diese Aussage abzielte. „Es war mein aller erstes erstes Mal…“ Kam kaum hörbar von ihm, die Stirn noch immer gegen die Schulter des anderen gedrückt.
 

Er versuchte den Sinn dieser Worte zu verstehen und blickte auf die blonden Haare, die sein Sichtfeld begrenzten. Sein erstes erstes Mal? Hieß das etwa, dass Wheeler noch nie in seinem Leben Sex gehabt hätte? Nein, dass war völlig unmöglich. „Du warst doch mit Valentine zusammen oder?“ Kam endlich von dem Brünetten und er hörte ein seltsames Geräusch, beinahe wie ein verzweifeltes Grollen. „Was glaubst du, warum ich das nicht mehr bin?“ Die Verlegenheit hatte seiner Stimme eine ungeahnte Kraft gegeben und so klang sie laut über das Rauschen der Dusche hinweg. Der Blonde hatte ruckartig den Kopf gehoben und sah ihn aus großen Augen an. Das Wasser lief nun über seine Schultern und die Brust hinweg.

„Nun, es gibt eine Menge Gründe, aus denen eine Beziehung brechen kann. Bei deinen bisherigen Aussagen hatte ich nicht erwartet, dass du noch Jungfrau bist.“ Verteidigte sich der Brünette und konnte doch das Schmunzeln bei dem Wort Jungfrau nicht lassen. Joey hingegen schien seinen unbeugsamen Kampfeswillen wiedergefunden zu haben, denn er verzog verärgert das Gesicht und schimpfte. „Wie hätte ich dir das denn sagen sollen? Erstens, weiß das niemand über mich. Zweitens, dich geht es überhaupt nicht an, was ich im Bett mache und was nicht und drittens, du hättest dich doch nur darüber lustig gemacht und es mir ewig vorgehalten.“ Von dem eben noch verstörend verängstigten jungen Mann war nicht mehr viel übrig. Dieser Wechsel war Seto schon früher aufgefallen.

„Gut, ja, damit magst du Recht haben. Trotzdem wundert es mich, wie du so lange unge... jungfräulich bleiben konntest.“ Das Wort „ungefickt“ würde ihn jetzt wohl in Schwierigkeiten bringen. Dafür sah er die Verlegenheit zwischen all der Wut erneut aufbrechen. „Es wird einfach jedes Jahr schwerer.“ Murmelte der Blonde und bemerkte die Verwirrung in dem anderen Gesicht. „Eigentlich spricht niemand über dieses Thema, keiner aus meinem Freundeskreis und doch ist schon irgendwie klar, wer mit wem… du weißt schon. Irgendwann kam bei mir die Frage auf, weswegen ich noch nie hatte und ja, es wird zwischen all dem, worüber man nicht spricht auch klar, dass man ab einem bestimmten Alter hätte haben sollen. Aber wie erklärt man dann, dass man zu diesen Losern gehört? Irgendwann kommt der Punkt, an dem es nur noch darum geht, dass es niemand erfährt. Sowas ist eben auch da, wenn dann doch mal die Chance kommt und…“ Er wich dem Blick der blauen Augen aus, seine Hände ruhten auf der Brust des Brünetten, vor Anspannung geballt. „Du hast jedes Mal versagt, wenn dich ein Mädchen angemacht hat?“ Klang die ruhige, tiefe Stimme über das Rauschen der Dusche hinweg.
 

„Ja, und dann war da Mai, wunderschön und selbstbewusst und erfahren und das versetzte mich noch mehr in Panik.“ Joey konnte ihn noch immer nicht ansehen und starrte intensiv die Fliesen an, auf denen sich die Wassertropfen in wilden Bahnen abwärts stürzten. „Es ist nicht so, dass gar nichts zwischen uns lief. Es kam eben nur nie zum Sex. Entweder störte jemand oder… ich fand irgendeinen Grund, warum es jetzt nicht ging.“ Schwer atmete er aus und obwohl im dieses Thema unangenehm war, spürte er doch die unglaubliche Erleichterung, endlich mit jemandem darüber zu sprechen.

„Ok, in der Theorie verstehe ich das.“ Begann Seto und musterte das Gesicht, von dem er nur ungefähr dreiviertel sehen konnte. „Aber sie wäre deine Lösung gewesen. Hättest du mit ihr geschlafen, dann wärst du keine Jungfrau mehr.“ Eine plötzliche Stille trat ein und ein lautes Schlucken war zu hören. Es dauerte eine Weile, in der Joey die Fliesen noch eingehender anstarrte. „Ich wollte aber nicht. Weißt du…“ Er brach ab und das aufgewühlte Gesicht wurde dunkelrot. „Jedes Mal… also… wenn sie… es hat… ähm… ich meine… es… es hat sich nie…“ Er räusperte sich, suchte nach den richtigen Worten. „Es hat sich nie so gut angefühlt, wie bei dir!“ Platzte es dann aus ihm heraus und er kniff die Augen zusammen.

Nun war Seto verwirrt und doch versuchte er sich auf die Unsicherheit des Blonden einzulassen. „Was genau meinst du? Ich kann dir nicht ganz folgen.“ Hitze brannte auf den Wangen des 19 Jährigen feuerrot. Noch immer mochte er ihn nicht ansehen. „Echt jetzt? Du hast mich gefesselt, geknebelt und trotzdem hast du nicht wirklich lange gebraucht, damit ich komme! Ich meine, du hast nicht wirklich viel anders gemacht, als Mai und trotzdem hat es sich tausend Mal besser angefühlt.“
 

Seto hatte schon dutzende Male begriffen, dass dieser junge Mann ihn in Situationen brachte, bei denen er sprachlos wurde. Er konnte seine Gegner meistens so präzise durchschauen, dass er ihren nächsten Schritt schon kannte, bevor sie sich dafür entschieden hatten. Aber Wheeler… der brachte ihn immer und immer wieder aus dem Konzept. Ein Räuspern war alles, was er zu Stande brachte und plötzlich waren da wieder diese intensiven, honigbraunen Augen, die ihn voller Gefühl betrachteten. „Bilde dir nichts darauf ein. Du bist mein erster, also kann ich dich nicht großartig vergleichen. Davon abgesehen, dass die Umstände immer noch miserabel waren. Was für mich bedeutet, dass ich nicht weiß, ob ich dich hochkant aus dieser Dusche werfen will oder nicht. Du kannst nicht erst so etwas abziehen und dann nett sein, in dem Glauben, dass ich dir verzeihen würde!“ Diese Worte waren direkt und ohne Umschweife gesprochen worden. Einer inneren Überzeugung folgend, die ihn zu beflügeln schien.

„Wie ich bereits sagte, ist mir das klar. Ich kann hier lediglich eine Schadensbegrenzung durchführen. Was ich getan habe, war nicht korrekt und es tut mir leid.“ Erwiderte er ruhig und versuchte sich zu fassen. Dieser Mann war wie ein Rätsel und jedes Mal, wenn er eine neue Seite vom ihm kennenlernte, schien das Rätsel noch komplizierter zu werden. Er hatte ihn immer als einen schlichten Geist angesehen, als dumm, einfältig und auf gewisse Weise als Trottel. Aber je mehr er über ihn erfuhr, desto vielschichtiger und tiefgründiger wurde er. Joseph Wheeler besaß eine interessante Persönlichkeit. „Schadensbegrenzung?“ Kam nun entsetzt von dem Blonden und Seto hob abwehren die Hände, während dieser die Arme verärgert vor der Brust verschränkte. Das Wasser lief nun über die Schultern und sammelte sich kurz in den entstandenen Kuhlen, bevor es in großen Wasserfällen über die Unterarme stürzte. „Es klingt schlimmer, als ich es meine. Ich hätte ja auch einfach gehen und dir noch den einen oder anderen bösen Kommentar zu werfen können. Ich denke nicht, dass es die Sache besser gemacht hätte.“ Er konnte beobachten, wie sich das Gesicht des jungen Mannes zu einem entsetzten Protest verzog, doch dann schloss sich der Lippen wieder, ohne etwas gesagt zu haben.
 

„Na gut, vielleicht hast du Recht. Aber es klingt dennoch mies. Schadensbegrenzung, als wäre ich ein Unfall.“ Brummte er und musterte die Brust des Brünetten. Sein Blick ruhte auf den Bissspuren und er meine nach einer Weile, in der Kaiba nichts weiter gesagt hatte. „Fühlt es sich immer so gut an?“ Verwirrt versuchte der Angesprochene zu verstehen, was genau gemeint war und fragte so. „Was meinst du mit „es“?“

Die honigbraunen Augen sahen ihn nicht an und sein Blick war starr auf die Brust des Brünetten gerichtet. „Es… also… der… der Sex… ist er immer so gut?“ Stotterte der 19 Jährige nun leise vor sich hin und legte auf den Wangen noch einmal an Farbe zu. Es war ihm unangenehm und doch war da so viel zwischen ihnen geschehen, dass er eine Antwort wollte. Kaiba sah ihn einen Moment lang schweigend an und gab dann von sich. „Nun, das sollte er. Die Wahrheit ist, dass es immer ganz von der Situation abhängig ist, ebenso wie von deinem Partner oder der Partnerin. Ich habe in meinem Leben schon das eine oder andere Mal sehr schlechten Sex gehabt.“ Er blieb ruhig, obwohl ihn die Verlegenheit des anderen erheiterte. Er konnte ihm ansehen, dass er noch dunkler wurde und dann kam die heisere Stimme kaum noch gegen das Rauschen des Wassers an. „Und… und unser… ich meine… wie… also… was…“ Er schluckte laut und versuchte sich noch einmal zu fassen. „War der Sex gut?“
 

Er konnte nicht glauben, dass Wheeler wirklich eine solche Frage stellte. Manchmal wusste er wirklich nicht, was er von dem jungen Mann erwarten konnte. Verwirrt fuhr sich Seto mit der Hand durch die feuchten Haare und sah den Jüngeren nachdenklich an. Ein Teil von ihm schämte sich dafür, wie es zu diesem Akt kam und die dunkelblauen Handgelenke zeigten deutlich die Spuren seiner Tat. Das, was sie miteinander hatten, war anders, als die Art von Sex, die er sonst hatte. „Ja, doch, dass nenne ich guten Sex. Es war sogar extrem guter Sex.“ Nur kurz hob Joey den Kopf und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Dabei brannten seine Wangen noch immer dunkelrot vor Scham. Er konnte sehen, wie der 19 Jährige sich auf die Lippen biss und ihm noch etwas auf der Zunge lag. „Was geht dir durch den Kopf, Wheeler?“ Fragte der Firmenführer so und der Angesprochene senkte den Blick sofort wieder. Es schien zu dauern, bis er den Mut fand, seine Überlegungen zu formulieren. „Ich… also… weißt du, ich frage mich, wie es ist, wenn… also, wenn du mich nicht gefesselt hättest. Ich meine, es ist so, es war ja immerhin mein erstes Mal und ja, es hat mir unglaublich gut gefallen. Aber gleichzeitig habe ich auch schreckliche Angst, wenn ich daran denke. Ich habe mich noch nie in meinem Leben so gedemütigt gefühlt und dass ist etwas, dass ich vielleicht nie wieder los werde.“ Er sprach immer schneller, als triebe ihn der Gedanke, seine Worte vielleicht nicht mehr aussprechen zu können. „Was ich damit meine ist, dass ich mir die Frage stelle, ob ich je wieder Sex in meinem Leben haben werde, weil ich immer und immer wieder an die Angst denken muss und nicht an dieses unglaublich erregende Gefühl. Was wäre also, wenn ich… also, wenn wir… nur so, um diese ganze Sache… also, es wäre… wenn… wenn… wir…“ Seine Brust hob und senkte sich immer schneller. Er schluckte und eine gewisse Unruhe hatte ihn ergriffen. „Ich will noch einmal…“ Brachte er hervor und konnte den Brünetten nicht ansehen. „… mit dir… jetzt… wenn du… also…“
 

Hätte ihm jemand einen Spaten über den Hinterkopf gezogen, er hätte sich nicht überforderter fühlen können. Er wusste nicht, was er von all dem halten sollte. Er wusste nicht einmal, ob er wirklich verstanden hatte, was der andere da von ihm wollte. Die eisblauen Augen sahen Joey nur mit einem Unglauben an, den er nicht beschreiben konnte. Das war nicht sein Ernst oder? „Du willst… du willst jetzt noch einmal Sex mit mir haben?“ Platze es nun aus dem 22 Jährigen heraus und er wusste nicht, wie er reagieren sollte. „Ist das dein Ernst?“ Fragte er noch einmal und nun verbarg Joey das Gesicht hinter seinen Händen. „JA!“ Kam gedämpft aber deutlich hinter diesen hervor und reflexartig griff Seto nach den dunklen Handgelenken, um diese nach unten zu ziehen.

Joey schrie kurz auf, denn diese Berührung reichte aus, um einen schmerzhaften Druck auszulösen. Die honigbraunen Augen sahen zu ihm auf und die Wangen waren tiefrot. „Sag mir das noch einmal!“ Forderte der Firmenführer ihn auf und Joey wirkte überfordert. „Ich… wenn ich darüber nachdenke, dann ist es garantiert eine absolut dumme Idee. Wahrscheinlich die dümmste, die ich jemals hatte, aber… aber ich weiß einfach nicht, welcher Kaiba du bist. Der betrunkene, der grausam und mies ist oder der nette, der auf mich eingeht und solche Sachen mit mir macht, die mich um den Verstand bringen. Aber eines weiß ich, ich will mehr von dem zweiten haben.“ Hektisch und schnell hatte er gesprochen und die beiden Männer standen dort, die Blicke gebannt aufeinander gerichtet.
 

Ohne noch einmal darüber nachzudenken griff der Brünette nach dem Hebel für die Dusche und drückte diesen zurück. Das Wasser erstarb sofort und nur noch kleine Tropfen fielen wie fluchtartig aus der großen Brause. Er trat aus der flachen Wanne mit der gläsernen Wand und angelte eines der Handtücher, um es dem Blonden um die Schultern zu legen.

Nur wenige Herzschläge später schob er diesen aus dem Badezimmer und es lag eine Anspannung in der Luft, die nicht zu beschreiben war. Seto wusste, dass sein Körper beinahe am Limit angekommen war und auch der Blonde erweckte nicht den Eindruck, als würde er noch lange durchhalten. Der Tag war lang, viel zu lang und viel zu ereignisreich. Doch diesen Moment, diesen aberwitzigen Moment konnte er sich nicht entgehen lassen. Vielleicht war dies das einzige Mal, in dem es zu dieser Situation kommen würde.
 

Er spürte, wie er rücklings stürzte. Sein erstaunter Blick galt den honigbraunen Augen, welche von einem unerwarteten Leuchten glänzten. Nur einen hektischen Herzschlag später landete er auf dem Bett und der Blonde saß auf ihm. Schweigen. Anspannung. Unsicherheit. Ein Schlucken in der Stille und dann beugte er sich vor. Tiefer, bis die weichen, breiten Lippen die helle Haut berührten. Wassertropfen fielen aus den blonden Haaren und zerplatzen auf der Brust des Brünetten. Die sanfte, zärtliche Berührung jagte Seto einen Schauer über den Rücken und die Anspannung stieg. Er wusste, dass der Schmerz kommen musste, er kam immer. Doch die weichen Lippen, die seinen Hals so flüchtig liebkosten, führten ihren Weg ungerührt fort. Kuss um Kuss, begonnen knapp unter dem Ohr, bis hinunter zum Schlüsselbein.

Keiner von ihnen dachte, hinterfragt diese Situation. Jeder wäre sonst zu dem gleichen Schluss gekommen: es war dumm! Nach dem, was eben geschehen war, konnten sie doch nicht erneut miteinander schlafen. Sie sollten nicht einmal gemeinsam in einem Raum sein. Nichts von alle dem sollte sein! Trotzdem hörte er seine Stimme heißer stöhnen, als die heiße Zunge über seine durch die Kälte der Nacktheit empfindsam gewordenen Brustwarzen leckte. Längst begriff er nicht mehr, dass es genau diese Reaktion war, nach der der Blonde verlangte. Dieser tiefe, inbrünstige Ton von Erregung und Verlangen, welcher seinen ganz eigenen Klang besaß.

Die Lust hatte sie längst gepackt und trotz der Erschöpfung trieb ihr Körper das Blut in die Leibesmitte. Seto nahm nur am Rande seines Bewusstseins wahr, wie sich die unverkennbaren Zeichen anschwellender Lust gegeneinander rieben. Nur bedächtig drang in seinen Verstand vor, dass der Schmerz, den er erwartete, nicht kam. Die fremden, rauen Hände begannen ihn zu erkunden, streichelten seine geschundene Haut und die weichen Lippen setzten zärtliche Liebkosungen. Woher der Blonde dies alles wusste, konnte, den Mut dafür nahm, hinterfragt er nicht. Weder die Absurdität dieses Momentes, noch die Wichtigkeit. Dieses Spiel aus Zuwendung bot auch einen Aspekt der Macht. Das einzige, was noch durch den Nebel der Erregung platzte, war das plötzliche Zögern des anderen. Verklärt suchte er das Gesicht des Blonden und als sich ihre Blicke trafen, erfüllte ihn ein Verlangen ganz unbekannter Art. Der Klang seiner eigenen Stimme war so fremd und doch so vertraut in seinen Ohren. „Ich verspreche so gut wie nie etwas, weil ich alles in meiner Macht tue, um meine Versprechen zu halten. Joseph Jay Wheeler ich verspreche dir, nie wieder ein „nein“ von dir zu übergehen. Nie wieder!“
 

BLACKOUT
 

Verwirrt starrte er auf die Wasserflasche, die er in Händen hielt. Wo war er? Was war geschehen? Hatte er ein Handtuch über dem Kopf? Seto blinzelte in das Licht des Raumes und versuchte zu begreifen, was geschehen war. Er saß auf dem Bett, das Fenster weit geöffnet und die kühle Nachtluft drang ein. Vor ihm auf dem Boden lagen noch die zerstreuten Kleidungsstücke und die große Tagesdecke hatte jemand grob über das Bettende gezogen und hinunter geworfen. In dem ganzen Chaos gab es etwas, dass seinen Blick gefangen hielt. Dort lagen zwei aufgerissenen Kondomverpackungen. Zwei? Er saß auf der Bettkannte, die zusammengeknoteten Krawatten starrten anklagen zu ihm auf. Was war hier los?

Das Geräusch einer zufallenden Tür ließ ihn zusammenzucken und die eisblauen Augen suchten panisch den Grund dafür. Nur wenige, schmerzhaft schnelle Herzschläge später tauchte der Blonde in der Schlafzimmertür auf, nur mit einer schwarzen Boxershorts bekleidet. Auch er hatte ein typisch weißes Handtuch über den Schultern, die Haare noch feucht. Er wirkte müde und ein leichtes Zittern begleitete jeden Schritt. „Ist alles ok bei dir, Seto?“ Kam die Frage so unpassend, dass der Angesprochene den Kopf schüttelte. „Was… was ist passiert?“ Brachte er nur zögerlich hervor und beobachtete verwirrt, wie der 19 Jährige zum Fester ging. „Wie meinst du das? Erinnerst du dich nicht?“ Ein erneutes, vorsichtiges Kopfschütteln löste die Frage aus. „An was erinnerst du dich noch?“
 

Ein Räuspern, bevor der Firmenführer auf das Bett deutete. „Wir beide waren… Du auf mir…“ So Recht wollte da kein Satz Zustande kommen und er drehte fahrig die Wasserflasche auf. Seine Kehle brannte. „Erinnerst du dich noch an dein Versprechen?“ Kam direkt nach dem Geräusch des Fensterschließens. Er musste zuerst einen Schluck Wasser trinken. „Ja, das ich nie wieder ein nein von dir übergehe und ich weiß noch, wie du mich danach geküsst hast. Aber dann… ist alles weg.“ Erklärte Seto verwirrt und kaum später hielt ihm der junge Mann sein Telephon entgegen. „Wir haben miteinander geschlafen und du meintest, dass wir definitiv duschen sollten. Danach warst du so erschöpft, dass ich dir etwas von mir zum anziehen geliehen habe und du wolltest deinen Wecker ausstellen.“

Sie hatten also wirklich? Sein Kopf schmerzte und er drehte den Deckel wieder auf die Flasche, bevor er nach dem Telefon griff. Überfordert und noch immer verwirrt, entsperrt er das Gerät und bemerkte, wie Joey das große Licht löschte. Die Vorhänge waren schon zu gezogen worden. „Hör zu, Seto, es ist zwei Uhr nachts. Meinetwegen geh in dein Zimmer oder schlaf hier. Hauptsache ich kann gleich endlich pennen. Ich fühle mich, als hätte mich eine Walze mitgenommen und wir haben morgen um 10 Uhr den Termin. Ich will wenigstens noch sieben Stunden schlafen.“ Brummte er und krabbelte schwerfällig auf das Bett von der andere Seite. „Außerdem bin ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch und will eingeschlafen sein, bevor ich mir über all das Gedanken gemacht habe. Gedanken über diesen verdammten Abend.“ Er saß müde im Bett und blickte ihn an. „Weder über die Tatsache, dass du betrunken bist und mich gefesselt hast. Noch über die Tatsache, dass du mich entjungfert hast, sofern man das so sagt, oder darüber, dass du es gegen meinen Willen gemacht hast. Genauso wenig will ich darüber nachdenken, dass wir danach noch einmal Sex hatten. Also, geh oder komm ins Bett, aber beeil dich!“
 

Mit einem schweigsam Nicken wandte sich der Brünette dem leuchtenden Bildschirm seines Telephons zu und öffnete die Einstellungen des Weckers. Er schob das digitale Rad auf der Oberfläche weiter, bis erst die sechs die fünf ablöste, dann die sieben die sechs, die acht die sieben und schlussendlich die neun den Platz einnahm. Er drückte auf Speichern und die Nachricht wurde eingeblendet: „Noch 7:06 Stunden bis zum Alarm“. Irgendwie registrierte er auch den Akkustand von 36%, doch das war ihm egal. Er beugte sich zur Seite und legte das Telephon auf den kleinen Tisch neben dem Bett. Das Handtuch rutschte von seinen Schultern und er ließ es einfach fallen. In diesem Moment fühlte er sich so müde, wie schon lange nicht mehr. Ohne noch weiter darüber nachzudenken, tat er es dem Blonden gleich und bewegte sich schwerfällig ins Bett. Unsicher griff er nach der Decke und war froh, dass diese Betten als Doppelbetten ausgelegt waren. Als er seinen geschundenen Körper endlich in die Waagerechte gebracht hatte ereilte ihn ein bleiernes Gefühl der Erleichterung. Noch währen das Licht der kleinen Nachttischlampe ausging und Joey auf seiner Seite des Bettes eine gemütliche Position zu finden versuchte, kam ihm ein Gedanke. Er konnte nicht schlafen, wenn jemand neben ihm lag. Selbst bei Viki und Paddy hatte er Schwierigkeiten. Doch kaum war dieser Gedanke gekommen, als die Müdigkeit sein Bewusstsein verschlang.

Die Spuren der vergangenen Nacht

Kapitel 35

Die Spuren der vergangenen Nacht
 

Ein unangenehmes Geräusch weckte ihn und nur mit Mühe wollte sein träger Verstand arbeiten. Das musste sein Handy sein. Der Wecker. Alles fühlte sich schwer an und auch das Atmen war nur unter Anstrengungen möglich. Müde kämpfte er darum, den Arm zu heben und sich durch das Gesicht zu fahren. Wo war er eigentlich? Tag? Ort? Bett? Sein Kopf schmerzte grausam und er wusste noch, dass zu viel Alkohol daran schuld war. Vorsichtig öffnete er die Augen und blinzelte in die Dunkelheit. Sein Handy erleuchtete das Zimmer ausreichend, um schon einmal grob zu erkennen, wo er war. Oder vielleicht eher, was da auf ihm lag. Helle Haare? Blonde Haare? Bilder der letzten Nacht kamen zurück und eine Woge der Verzweiflung erfasste ihn. „Scheiße!“ Murmelte Seto und schloss die Augen erneut. In seinen Ohren donnerte noch immer das Piepen des Weckers, welches nun ein unangenehmes Stechen in seinen Gehörgängen auslöste. „Joseph! Lass mich mal aufstehen.“ Kam nur mit brüchiger Stimme von dem Brünetten und er stieß ihn vorsichtig an. Der Kopf des 19-Jährigen lag auf seiner Brust und dieser hatte einen Arm um ihn gelegt, unwillig das quälende Geräusch wahrzunehmen. Es dauerte noch drei weitere Versuche, bis der junge Mann sich mit einem Stöhnen von ihm rollte und einen Fluch murmelte.

Sein Körper schmerzte, als er sich auf die Seite wälzte und mit der linken Hand auf dem Nachttisch nach seinem Handy suchte. Seto schickte ein Stoßgebet gen Himmel, welcher Gott ihm auch immer gnädig war, als seine schlanken Finger das schmale Gerät ertasteten. Er zog es an sich und nur kurz zögerte er, dann stellte er die Schlummerfunktion ein. In spätestens 10 Minuten würde es wieder klingeln. 29% Akku… er musste das Ding unbedingt aufladen. Neben ihm brummte es und der Blonde schien langsam wach zu werden.
 

„Ist es schon so weit?“ Kam nur leise gemurmelt und mit aller Mühe zwang sich Seto dazu, den Kampf gegen die Bettdecke zu beginnen, um in die Höhe zu kommen. „Ja, leider…“ Antwortete der Firmenführer und sein Blick fiel auf den jungen Mann, der ihn aus trüben Augen anblinzelte. Zumindest glaubte er das, denn im Dunkeln war das schwer zu sagen. Mit einem erneuten inneren Kampf entschied er sich zu der Quälerei, die Lampe anzuschalten. Sein Arm schmerzte, die Augen kniff er zusammen, als das Licht grell den Raum flutete. Dieser Morgen war alles andere alles schön. Den Alkohol, den er gestern getrunken hatte, bereute er nun sehr. Nur kurz versuchte er zu blinzeln, doch das helle Licht brannte noch immer in seinen Augen. „Verdammt, diese Nacht war viel zu kurz!“

Ein Brummen kam von der anderen Bettseite. „Ich gebe dir ja selten Recht, aber heute morgen würde ich gerne noch länger schlafen.“ Der Stimme des Blonden konnte man deutlich anhören, dass er ebenso müde und erschöpft war. Sie hatte diesen unverkennbaren Ton, der immer nur dann auftrat, wenn die Nacht zu kurz und zu wenig erholsam war. Müde fuhr sich der 19-Jährige mit der Hand über die Augen. Auch er versuchte in das helle Licht zu blinzeln. „Ich habe jetzt echt Hunger.“

Diese Aussage überraschte Seto, daher blickte er zur Seite. Langsam gewöhnte er sich an das helle Licht der kleinen Lampe. So erkannte er, dass der junge Mann neben ihm ebenso schrecklich aussah, wie er klang. Die blonden Haare waren verwuschelt, unter den Augen hatte er dunkle Ringe und er wirkte unglaublich erschöpft. Die Handgelenke stachen dunkel hervor und ihn überkam direkt ein Anflug einer unerwartet tiefen Schuld. Es war nicht das erste Mal, dass er übergriffig gewesen war. Allerdings immer in einer deutlich bewussteren Art und vor allem war es eher eine Vorliebe derer, die er unterwarf. Eine gewisse Scharm traf ihn und er blickte wieder zu seinem Telefon. „Wenn wir uns beeilen, können wir noch eine Kleinigkeit essen. Schaffst du es, in einer viertel Stunde fertig zu sein?“
 

Eine kurze Weile herrschte schweigen und dann hörte er, wie sich der andere schwer auf die Seite rollte. Ein Klicken kündigte die zusätzliche Lichtquelle an und die Decke wurde zurückgeschlagen. „Ja, ich denke schon. Spätestens in zwanzig Minuten bin ich fertig. Und du?“ Kam müde und kurz musterten die blauen Augen den Rücken des 19-Jährigen. „Ja, ich denke, dass schaffe ich auch.“ Er schwieg und entschied sich nach einem inneren Ruck, ebenfalls aufzustehen. „Willst du… noch einmal über gestern Abend sprechen?“ Fragte er mit belegter Stimme. Wie er sich nun dem anderen gegenüber verhalten sollte, wusste er nicht.

„Nein!“ Kam prompt. „Ich meine, schon… irgendwann… heute… morgen… keine Ahnung. Aber nicht jetzt. Jetzt versuche ich zu verdrängen, was gestern Nacht gewesen ist und mich auf unseren Job zu konzentrieren. Eigentlich will ich wieder zurück ins Bett. Das war‘s. Mehr nicht. Aber darum sind wir nicht hier.“ Sie hatten sich nicht angesehen und Seto griff nach seiner Hose. Er zog diese flüchtig an, so wie auch sein Hemd. Schnell hatte er alles eingesammelt und stand nun bereit neben dem Bett, um wenigstens ins andere Zimmer zu huschen. Unerwartet stand dort Joey. Die braunen Augen hatten einen seltsamen Glanz und dann kam plötzlich eine Aussage, die beinahe widersinnig wirkte. „Seto, eines will ich dir aber echt sagen. Versuche nie wieder nett zu mir zu sein. Du bist echt scheiße darin!“
 

Dieser Satz kam so direkt und trocken, dass der Firmenführer ihn nicht einzuordnen wusste. „Ähm….“ War alles, was er schaffte und so musste Joey lachen. „Du hast Mokuba versprochen, dass du versuchst, zu mir netter zu sein. Das war eine scheiß Idee, weil du wirklich, wirklich grauenhaft mies darin bist, nett zu einem zu sein. Da ist mein Arabisch besser, als deine Fähigkeiten.“ Vielleicht lag es am Irrwitz dieses Augenblickes, aber er musste direkt antworten. „Du kannst Arabisch?“

Spott lag in dem müden Gesicht und die weichen, breiten Lippen, die so gut zu verwöhnen wussten, zogen sich frech zu einem Grinsen. „Nein, kein einziges Wort. Also, so gut ist deine Gabe im „Ich versuche nett zu sein.““ Stichelte der Blonde nun und die Yen Münze fiel nicht. Joey wartete und beobachtete den Mann, bis er erkennen konnte, wie die Worte in den noch immer verkaterten Verstand sickerten. „Oh….“ Kam als erstes und dann wurde der 22-Jährige wirklich rot. „Ja… also… ich… nein…. Ich werde es ganz sicher nicht noch einmal versuchen.“ Stotterte er und Joey war nicht sicher, ob er ihn jemals zuvor hatte stottern hören. „Sehr gut, dann aber raus mit dir. Ich will duschen. ALLEIN!“ Er musste ein wenig lachen, als er das sagte, doch die Angst steckte in seinem Herzen.

Mit ihm Seite an Seite aufzuwachen war komisch. Er hatte sich an diesen Mann… angekuschelt? Nach all dem? Na ja, er hatte geschlafen. Vielleicht hätte er sich an jeden angeschmiegt, der dort gelegen hätte. Trotzdem… dieser Morgen… die letzte Nacht… das war… kompliziert. Das war etwas, dass er nicht beschreiben konnte. Nun, dafür war er jetzt offiziell keine Jungfrau mehr oder? Zählte das?
 

Sie beide waren erledigt. Erledigt in jeglicher Hinsicht. Selbst Seto, der jede Schwäche kaschieren konnte, wirkte erschöpft und übernächtigt. Natürlich war dieses auch den Arabern aufgefallen und das gestern noch offene Geplänkel wurde nun zu einem eher distanzierteren Beobachten. Beiden Männern war klar, dass diese Situation mehr als ungünstig war. Man konnte sie sogar als extrem miserabel beschreiben. Wenn sie die Wahrheit sagten, waren sie geliefert, eine Lüge würde es aber auch nicht glaubhafter machen. Was bitte sollte denn geschehen sein, dass sie so aussahen? Joey versuchte die blauen Handgelenke zu verbergen, doch sicher war er sich nicht. Wahrscheinlich hatten sie auch diese bemerkt. Es dauerte eine Stunde, bis die alles entscheidende Frage gestellt wurde. “It's obvious that last night left its mark. You both look more like you're here less for a contract and more for enjoyment.”

Seto schloss die Augen und atmete hörbar ein. “I am very sorry, if we give that impression. There were unexpected complications yesterday.” Begann er und die Blicke der drei Männer wanderten von ihm zu seinem blonden Sekretär, der reflexartig die Arme unter den Tisch zog. “Unexpected complications?” Fragte der anscheinend Tongebende unter den Geschäftsmännern und die beiden Japaner sahen sich an. Es war ein Moment des Schweigens, der sie auf seltsame Weise miteinander verband, als lägen sie einen Schwur ab, diese Sache gemeinsam durchzustehen. “Unexpected complications like an angry girlfriend?” Begann der Firmenführer, denn genau so hatte es ja begonnen. Doch das brachte die drei Araber mit ihren feinen Anzügen und den schwarzen, wuschigen Bärten nicht dazu, verständnisvoller zu wirken.
 

Dann war es Joey, der tief durchatmete. “I know that anything we can tell you, will likely result in this deal not going through. We've been acting childish and stupid and I understand that you wouldn't want to do business with someone like that. I think that you at least deserve truth.” Schweigen herrschte und Seto blickte ihn aus diesen eisblauen Augen fragend und erstaunt an. Was hatte der Kerl vor? “As a company leader, Kaiba shouldn't make decisions based on hurt feelings, and yet he's human too. He got into a fight with his girlfriend and ended up getting angry and hurt over the odd cocktail or two last night. I knew this couldn't end well and a man like him never sits alone for long. Of course there were a lot of pretty women who wanted to make him forget his anger.” Er machte eine Pause und musste tief durchatmen. ”I may just be his secretary, but he badly needed a friend. One who ignores his comments and nonsense and takes him to his room as soon as possible. It's not so easy with a drunk Kaiba though. We argued, he was mad, I was mad and we were both bleary-eyed. We both ended up short of sleep and we look like we've been drinking all night.” Joey war ehrlich. Erschreckend ehrlich und doch hatte er nicht die Wahrheit gesagt. Der junge Mann gab gerade so viel von der Wahrheit preis, dass sich jeder selbst ein Bild machen konnte. Diese Worte kaschierten die Wahrheit und ließen einiges aus, doch es traf den Kern der letzten Nacht perfekt.

Innerlich unruhig beobachtete Seto die Gesichter der Männer ihnen gegenüber und sah Verwunderung und Zweifel. “Why did you decide to do this? It might be true that he needed a friend like you, but that didn't mean you had to be one.“ Fragte nun der Araber, der links saß. Das war jedoch auch eine Frage, die Seto durch den Kopf ging. “Well, how should I explain that? I've known this man for so long now. I know he has bad sides, but I also know his good sides. I work for him now, but that's what made me realize that he's so much more than the childish image I used to have of him.” Joey zuckte mit den Schultern, denn er konnte es nicht besser erklären. Seto hingegen war erstaunt. Joey hatte gute Seiten an ihm gefunden?

Die drei Männer sahen den Blonden an und tauschten vielsagende Blicke. Sie schienen zu überlegen und dann sprach der dunkelgebrannte Araber, den Joey irgendwie als den Anführer der drei in Verdacht hatte. Leider verstand er kein Wort, denn der Mann hatte sich für die Arabische Sprache entschieden und richtete seine Worte direkt an den brünetten Firmenführer. Diese tauschten einige Worte und es klang sehr, sehr ernst. Joey spürte, wie sein Herz bis zum Halse schlug und dann nickte Kaiba.

Als der 22-Jährige aufstand, konnte er spüren, wie ihm der Atem stockte. Er hielt die Luft an. Wartete. „Was… was ist los?“ Fragte er leise und bekam nur einen strengen Blick. Schnell beeilte er sich und deutete noch eine Verbeugung an. Er war überfordert und Angst hatten ihn ergriffen, dass er diese Verhandlungen zum Scheitern verurteilt hatte.

Mit großen Augen schloss er die Tür hinter sich und sah Seto an. „Was ist denn jetzt los?“ Fragte er erneut und konnte es nicht glauben. Hatte er jetzt alles versaut und die ganze Reise war umsonst? Das durfte nicht sein! Seine Gedanken kreisten um diese verdammte Pressekonferenz und an die Aussage, dass Seto extra einen Betrag eingerechnet hatte, für genau solche Fälle. Aber das hier würde das doch sicher übersteigen oder?
 

„Beruhige dich wieder, Joseph!“ Kam etwas angespannt endlich von dem Älteren und er sah in die weiten, braunen Augen. „Ich weiß nicht, ob der Vertrag jetzt platzt oder nicht. Sie wollten sich noch einmal in Ruhe besprechen, denn diese Aktion hat sehr deutlich gemacht, das ich die Kontrolle verloren habe und ohne dich wahrscheinlich ziemlich dumme Dinge angestellt hätte.“ Er ließ aus, das dies genau der Fall war. Er hatte dumme Dinge angestellt. Sehr dumme Dinge!

„Also ist es eher wie eine Pause?“ Fragte er und schluckte laut. „Ja, nennen wir es so. Eine Pause.“ Brummte der Brünette und fuhr sich unterbewusst mit der Hand durch die Haare, die noch immer wirkten, als wäre ein Hauch von Feuchtigkeit in ihnen. „Ich glaube, ich hätte jetzt gerne einen Tee.“ Kam plötzlich von ihm und er blicke zu Joey hinüber. „Willst du auch einen?“ Fragte er halb abwesend und erhielt ein Nicken.

„Wie wahrscheinlich ist es, dass der Deal jetzt geplatzt ist?“ Diese Frage war leise und beinahe kleinlaut gestellt. Er wusste, dass es seine Schuld wäre. Immerhin war er es, der die Wahrheit oder eher, etwas der Wahrheit entsprechendes gesagt hatte. Hätte er seinen Mund gehalten und einfach nur gesagt, dass sie kaum geschlafen hatten, wäre es anders ausgegangen. „Ich habe wirklich keine Ahnung.“ Es fiel dem Brünetten schwer, diese Worte zu sagen und doch sah er dabei Joey direkt an. „Ich muss gestehen, dass ich noch nie in solch einer Situation war. Wenn ich bisher Mist gebaut habe, konnte ich das immer von meinen Geschäften fern halten. Doch dieses Mal habe ich es wohl endgültig übertrieben.“ Seine Stimme klang eher einem tiefen Brummen gleich und er wirkte noch angeschlagener, als es die letzte Nacht geschafft hatte.
 

„Es tut mir leid.“ Kam leise von Joey, der den Kopf gesenkt hatte. Erstaunt musterte der Firmenführer dieses Verhalten und folge einem seltsamen Impuls. Er hob die Hand und wuschelte durch die blonden Haare. „Schon gut, dass habe ich mir selbst eingebrockt. Dafür muss ich gerade stehen und es hat mich ja niemand dazu gezwungen. Du hast ja schon gestern Morgen sehr treffen festgehalten, wie es zwischen mir und Viktoria weiter gehen würde. Du hattest Recht. Ich sage es nicht gerne, aber dir war von Anfang an klar, dass der Abend schlecht laufen wird. Hätte ich gleich auf dich gehört, wäre mir die ganze Situation überhaupt nicht passiert.“ Etwas Sanftes lag in dem Gesicht des 22-Jährigen und er lächelte schwach. „War das ein Kompliment ohne Demütigung?“ Joey grinste breit, die schlanken Finger lagen noch immer auf den blonden Haaren. Ein schwaches Lachen erklang. „Ja, dass war es.“
 


 

Völlig irritiert kam Kamil näher. Er konnte sich die Nachricht von Seto nicht erklären. Die beiden jetzt hier sitzen zu sehen, erschöpft, müde und irgendwie nur mit einem halben Ohr anwesend, ließ ihn das Schlimmste ahnen. War der Vertrag geplatzt? Er trat mit einem besorgten Blick näher und begrüßte die beiden ruhig. “Hello you two, what happened?” Erschrocken sahen die zwei Männer zu ihm auf. Sie hatten nicht mitbekommen, dass sich Kamil ihrem Tisch näherte. Auch dieses Mal hatten sie das Restaurant mit dem großen Aquarium gewählt und sich in die möglichst hinterste Ecke verzogen. Der Araber hatte daher einen Moment gebraucht, um sie zu finden. “You really look awful. Are you doing good?” Fragte er besorgt, nun in einem noch offensichtlicheren Ton.

Es war Seto, der nickte. Er wirkte nun wirklich erschöpft, die Nacht und der Tag hatten deutliche Spuren an ihnen hinterlassen. “Yes, basically we are fine. The deal is done, so far on good terms, but we're pretty tired.” Gab er an und Kamil setzte sich. “Now? I thought the contract wasn't supposed to be finalized until tomorrow.” Wieder ein Nicken von Seto und der Blonde erhob sich. „Ich bin gleich wieder da. Muss nur auf die Toilette.“ Murmelte er auf Japanisch und Kamil sah ihm fragend nach. Der Blonde wirkte angeschlagen und steckte die Hände in die Hosentaschen, als er davon schlich. Der Kopf eingezogen zwischen den hängenden Schultern, leicht nach vorne gebeugt. “Maybe I need a few more details.” Gab der Dunkelhäutige von sich und blickte seinen Freund wieder an. Er trug einen ähnlich roten Turban, wie am Tag zuvor. Nur hatte dieser andere, silberne Elemente eingearbeitet und das weite, typische Hemd war aus einem samtenen, weichen Braun.
 

Nun wechselte Kaiba die Sprache und begann auf Arabisch zu erzählen, was gestern vorgefallen war. Der Araber sah ihn fragend an und blickte noch einmal über die Schulter dem Blonden nach. Er kommentierte nichts, sondern hörte nur schweigend zu. Dann berichtete Seto von dem Morgen, davon, wie er aufgewacht war und der 19-Jährige auf seiner Brust schlief. Er berichtete von dem Geschäftstreffen und davon, wie schlussendlich die Frage gestellt wurde, warum sie so erschöpft waren. Kamil hob die Augenbrauen, als ihm die Antwort Joeys zugetragen wurde und er fragte, ob sich der Brünette darüber im Klaren war, dass er diesen Deal nur bekommen hatte, weil Joey so ehrlich war. Ein stilles Nicken, bis sich Seto dazu durchrang. Mit schwerer Stimme, aber einen schmalen Lächeln bestätigte er diese Aussage. Das war der unerwartete, einmalige Wheeler-Cham. Es war schwer, ihm zu widerstehen und ein Mann, der für seine kleine Schwester alles tat und gleichzeitig für seinen Chef in die Bresche sprang, wenn er dabei war, die Kontrolle zu verlieren, war in einem Land, in dem die Familie und die Treue essenzielle Glaubensbestandteile warne, offenbar Gold wert. Ohne Joey hätte er den gestrigen Abend wahrscheinlich mit drei Frauen geschlafen, wäre völlig verkatert gewesen und im schlimmsten Fall hätten seine Geschäftspartner von dem Fall gehört. Ganz dumm, denn aus der Nummer wäre er nicht wieder heraus gekommen. Frauen respektlos behandeln und maßlos trinken? Dafür gab es keine Erklärung!

Aus einer Art Liebeskummer einen zu viel getrunken zu haben und von einem guten Freund gerettet zu werden, stand jedoch für einen menschlichen Charakter und eine gute Bindung zu den Menschen, die er bezahlte. Denn es wurde aus Joeys Worten deutlich, dass er es nicht tat, weil Seto sein Chef war, sondern weil er ihn für diesen Moment als Freund betrachtete.
 

Dennoch gab es einen Punkt, den Kamil nicht einfach übergehen konnte. Ganz offensichtlich gab es gestern einen unerwarteten Übergriff. Zwar hatte sich der Araber schon gedacht, dass sein Freund einer gemeinsamen Nacht nicht widerstehen konnte, aber dass es so ablaufen würde, überraschte ihn dann doch. Er kannte diesen Mann schon viele Jahre und sie hatten sich über Themen ausgetauscht, die nur in einer wirklich engen Freundschaft angesprochen wurden. So wusste Kamil, das immer eine gewisse Brutalität in den Intimitäten des anderen lag. Normalerweise war dem oder der anderen dabei allerdings klar, worauf sie sich einließen, dass Joey nun weder wusste, was ihn erwartete, noch überhaupt einmal in seinem Leben Sex gehabt hatte, ließ ihn einen vorwurfsvollen Blick aufsetzten. Der Brünette seufzte und wusste, wie Recht Kamil damit hatte. Er fühlte sich schon den gesamten Tag diesbezüglich schuldig.

Als Joey wieder zu ihnen zurück kehrte, bestellten sie ihr Essen und es herrschte eine unangenehme Stille. Sie hatte etwas Drückendes, das nicht nur von der Erschöpfung kam. Schnell war dem Blonden klar, worüber die beiden in seiner Abwesenheit gesprochen hatten und er warf Kamil einen Blick zu, der schlicht weg sagte: Halt die Klappe! Noch immer versuchte er nicht darüber nachzudenken, denn sonst würde er sicher schreiend vom Tisch aufspringen und sich in die nächste Ecke verdrücken, die er finden konnte. Der gestrige Abend erschien ihm eher wie ein Traum. Vielleicht war das auch gut so, denn wenn er seine dunklen Handgelenke betrachtete, hatte er das Gefühl, über einem großen Abgrund zu sehen, der ihn einfach verschlang, wenn seine Gedanken den letzten Abend genauer auseinander nahmen.
 

Sie entschieden sich, die Koffer zu packen und das Hotel zu verlassen. Der Vertrag war unterschrieben und es gab keinen Grund mehr, länger hier zu bleiben. Da sie jedoch erst morgen Abend fliegen wollten, hatten sie noch den restlichen Tag und den morgigen, den sie hier verbringen konnten. Kamil lud sie zu sich ein und Seto nahm dieses Angebot gerne an. Auch Joey gefiel der Gedanke, nicht noch einmal in diesem Zimmer schlafen zu müssen. Als er packte, stellte er noch etwas fest. Er hatte am Morgen nur die flüchtigsten Handgriffe durchgeführt, die dreckigen Kleidungsstücke in den Schrank geworfen und die Spuren der letzten Nacht entsorgt. Nun hatte jemand das Zimmer durchgelüftet, das Bett frisch gemacht und die Handtücher ausgetauscht. Alles sah wieder wie neu aus und es lag sogar ein kleines Stück Schokolade auf dem Kopfkissen.

Alles zusammen zu packen, dauerte nicht lange und er lenkte sich damit ab, dass er Mokubas Tipps folgte, wie er den kleinen Koffer gut füllen konnte, damit alles ordentlich aus sah. Der kleine Kaiba hatte anscheinend viel Erfahrung in solchen Dingen. Na ja, wenn er immer seine Sachen für spontane Übernachtungen bei Aiko-chan packte, dann war das kein Wunder. Allerdings brachte ihn das zu einem neuen Thema. Wann wollte der Kleine Seto eigentlich seine Freundin vorstellen? Bisher hatten sie sich darauf geeinigt, das Ganze nicht zu überstürzen. Keiner von ihnen erwartete, dass er ausgewachsene Stinkstiefel Seto dabei nett reagierte. Doch irgendwann mussten sie es tun.
 

Noch im Auto dachte er darüber nach und sah dem Treiben draußen auf der Straße zu. Irgendwie kam ihm der Gedanke, dass nichts von dem echt war. All das, war wie ein Spiel. Für die Gäste, die Touristen, für die Reichen. Niemand hier war wirklich… oder eher, niemand zeigte sein wahres Gesicht. Weder die Gebäude, noch die Arbeitenden. Alles trug ein strahlendes Lächeln, denn nur das war akzeptabel. Keine Schwächen, keine Fehler, nichts war erlaubt, das Menschlichkeit ausdrückte.

Doch die Müdigkeit ließ diese Gedanken immer langsamer werden, bis sie schließlich zum Stillstand kamen und der Blonde einschlief. Er hatte nicht darauf geachtet, wo sie entlang fuhren und so ließ er sich von dem sanften Hin und Her des Wagens weit fort schicken. Er träumte von den Wellen des Meeres, die ihn warm umfassten. Seine Hände und seine Füße waren im Wasser und verwundert blickte er an sich herab. Schwarze Schuppen? Was genau war das? Erschrocken wich er zurück, als er die gewaltigen Klauen erkannte und mit einem Ruck öffneten sich die schwarzen Schwingen auf seinem Rücken.
 


 

„Joseph!“ Überfordert zuckte der junge Mann zusammen und sah aus großen honigbraunen Augen zu dem Brünetten auf. Er verstand nicht, was er sah. Waren da nicht eben noch Wellen, warmes Wasser und Schuppen? Ergab das Sinn? Nein, oder? Er sah in die blauen Augen, die ihn anblickten und auf den Grund seiner Seele schauen wollten. „Du hast geschlafen, Joseph. Ist alles ok?“ Fragte er erneut und ein Blinzeln folgte. Er musste ins hier und jetzt zurück finden. Das war nur ein Traum. Sie waren wieder hier in Dubai…

Verwirrt sah sich der junge Mann um, während er aus dem Auto kletterte. Seto hatte ihm Platz gemacht und so war er nun aus der hinteren Ecke der Limousine heraus gekrochen. Draußen war es warm. Sehr warm. Zu warm für das, was er anhatte. Sein Blick fiel auf das große, helle Haus, vor dem sie nun parkten. Es wirkte im ersten Moment wie ein großes Wohnhaus, gar nicht sonderlich besonders. Etwas, dass Joey nicht erwartet hatte. Ein leichter Wind wehte durch seine blonden Haare und er konnte die See richten. War das Meer noch immer ganz in der Nähe? Er hatte nicht mitbekommen, in welche Richtung sie gefahren waren. Das Haus war schlicht, wirkte auf gewisse Weise so, wie er sich ein arabisches Haus vorstellte. Obwohl es deutlich größer war, als das, was er sich für eine Person dachte. „Sag mal, lebt Kamil hier allein?“ Fragte er und versuchte die Abmessung einzuschätzen. Er war sich nicht sicher, aber es wirkte unglaublich breit und hatte sicher drei Etagen.
 

„Nun ja, vom Personal abgesehen, ja, lebt er allein.“ Beantwortete Seto die Frage und der Blick des Blonden wanderte die Straße entlang. Einige große Villen reihten sich hier aneinander. Sie parkten vor der Garage und ein schlichter Vorgarten erstreckte sich vor dem Gebäude. Er war verwundert. Es wirkte eher so, als wäre es ein gestelltes Bild. Nicht wirklich dafür gedacht, dass er genutzt wurde. Es war eher so, als wäre er im besten Fall noch ein Durchgang in das Haus hinein. Zwei junge, arabische Männer waren schon dabei, das Gepäck aus dem Kofferraum zu nehmen und Kamil stand vor der großen Flügeltür des Hauses. Eine Flügeltür? Noch einmal musterte er die Villa, die wie ein großer, eckiger, nach oben gezogener Würfel wirkte. Die Fenster waren der heißen Temperatur nach klein und nach innen liegend. Überall befanden sich schlichte Fresken, die aus einfachen geometrischen Formen bestanden, dem Ganzen aber einen schönen, passenden Touch gaben. Dennoch wirkte die Front geschlossen und nur die große Überdachung, welche auf vier Säulen stand und die Eingangstür überschattete, schien etwas einladender.

Schweigend folgte Joey den beiden Männern, denn auch Seto war schon auf dem kleinen, hübsch angelegten Plattenweg, der direkt vom Stellplatz hinüber zum Hauseingang führte. Dieser befand sich mittig und interessiert wagte er den ersten Schritt. Vielleicht gab es ja noch eine Überraschung für ihn, wenn er schon das Gefühl hatte, dass hier alles irgendwie anders wirkte, als es sollte. Die Müdigkeit und die Erschöpfung noch immer im Nacken, rieb er sich über die schmerzenden Augen, während er hörte, wie sich die beiden Freunde auf Arabisch unterhielten.

Neugierig trat er neben seinen jetzigen Chef und warf einen Blick hinein in den großen Innenhof. Für einen Moment war er überfordert. Die braunen Augen wurden rund und er trat ohne weitere Worte einfach ein. Sein Blick wanderte über das kleine, grüne Paradies, mit dem er hier nicht gerechnet hatte. Das dreistöckige Gebäude besaß einen großen Innenhof, in dessen Mitte ein Brunnen stand. Sitzkissen waren auf dicken, weichen Teppichen verteilt und luden zum Verweilen in dem schattigen, kühlen Hof ein. Überall standen große Töpfe mit Farnähnlichen Pflanzen, die ihre großen, Blätter beinahe dekorativ in den Raum hielten. Überall konnte er Lampen sehen, die am Abend einen unglaubliches Lichtspiel veranstalten mussten. Sein Blick ging aufwärts. Säulen trugen die beiden oberen Rundgänge und auch hier waren überall Pflanzen versteckt. Das Geländer, welches sich jeweils einmal um den ganzen Innenhof zog, war mit kleinblättrigem Efeu zu einer hübschen, grünen Wand geworden, hinter der er die dunklen Holztüren nur zu einem Stück sehen konnte.
 

Doch dann fiel sein Blick weiter auf die andere Seite, der große Rundbogen hatte es ihm angetan und die dazu gehörige Tür. Noch eine Flügeltür, der ersten genau gegenüber. Als sollte man einmal über den Platz… bevor Joey wirklich verstand, was er da tat, waren seine Füße schon in Bewegung. Die erste Tür war eine absolute Augenweide. Feinste, kleine Holzstreben hielten streifenfreie Glasplatten, zeigten Bogen und Kreise, bildeten feine Muster, doch das interessierte ihn nicht. Schnell hatte er seinen Weg über den Platz gefunden und bemerkte nicht, wie erstaunt ihm die beiden Männer nach sahen.

Die dahinter liegende Tür war ähnlich, wie die erste, durch die er hindurch war, mächtig und beschützend. Sie war das Außenportal und gerade trat eine junge Frau ein. Sie trug ein elegantes, dunkelrotes Kleid, auf dem sich geschwungene Muster in schwarz verspielt zeigten. Ihr Hijab war passend ebenso schwarz, wie diese Verzierungen. Ihr Gesicht perfekt eingefasst von dem Stoff, kein Härchen war zu erkennen. Ihren feinen Gesichtszügen war ihre unglaubliche Schönheit dennoch anzusehen. Sie blickte überrascht zu Joey auf und wollte ihn gerade begrüßen, als er einfach an ihr vorbei durch die große Flügeltür schritt.
 

Jetzt verstand er. Jetzt begriff er, warum der Eindruck am Eingang so seltsam war. Der Wind wehte ihm direkt ins Gesicht und trug das Geräusch der Wellen mit sich. Vor ihm lag eine großzügige Terrasse, die von Mauern abgeschirmt war. Ein Sonnensegel spannte sich darüber und bot so Schatten und eine gewisse Privatsphäre. Ohne auf ihre Worte zu hören, trugen ihn seine Füße weiter. Er konnte gar nicht inne halten und schon war er am Ende der Treppe angekommen, die abwärts führte. Das Erstaunliche an diesem Haus war nicht der Eingang zur Straße, sondern der „Garten“! Vielleicht war es die Müdigkeit, vielleicht war es der Traum, doch nur einen Moment später hatte er seine Schuhe und seine Socken abgestreift und trat hinaus in den beinahe heißen Sand.

Die Dame war verwirrt und entschuldigend sah sie zu ihrem Herrn auf, der nun mit seinem guten Freund ebenfalls auf der kühlen Terrasse stand. Seto lachte hingegen und erklärte auf Arabisch, dass man bei dem jungen Mann nie wüsste, was als nächstes passierte. Verlegen nickte die 23-Jährige und sah aus ihren bernsteinfarbenen Augen dem jungen Mann nach.

Der Wind wehte hier deutlich kräftiger und zerrte etwas an seinem weißen, feinen Hemd. Die Sonne brannte beinahe erbarmungslos auf ihn und den Strand herunter. Er konnte Stimmen hören, die sich unterhielten, doch am Strand selbst war kaum einer. Joey ging immer weiter, direkt auf das Wasser zu und dann war es soweit. Die erste neckende Welle erreichte seine Füße und der Ausdruck völliger Begeisterung erhielt noch einen Hauch Überschwang. Schnell zog er die Hosenbeine hoch und lachte, als das Wasser erneut warm über seine Füße schwappte. Das Meer! Wie sehr er es liebte!
 

Er wusste nicht, wie lange er schon mit den Füßen im Wasser stand als ihn endlich eine Stimme erreichte. „Kommst du da auch wieder raus?“ Fragte Seto, der nun gezwungenermaßen ebenfalls die Schuhe ausgezogen hatte und noch an dem Fleckchen Strand stand, der trocken war. „Nein, ich denke nicht!“ Rief er und drehte sich um. Im nächsten Moment ging er in die Hocke und schöpfte mit beiden Händen Wasser.

Der Schwall traf den Brünetten mitten auf der Brust. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er solch einen Angriff erleben würde. Völlig überfordert stand er da, das weiße Hemd nass und der 19-Jährige grinste ihn breit an. „Was denn? Es ist das Meer!“ Rief er und nur knapp wich Seto einem neuen Angriff Wasser aus. Das war doch nicht sein Ernst oder?

Kamil lachte und stand nun auch ohne Schuhe und mit hochgekrempelter Hose neben seinem Freund. “What's that supposed to be?“ Fragte nun der Araber und auch die hübsche Frau stand in einer gewissen Distanz zu ihnen. “I know you see this every day, but it's the sea! The sun! The beach!” Argumentierte der Blonde und schien abzuschätzen, ob er auch Kamil mit dem Wasser treffen würde. Die beiden Männer am Strand sahen sich an und schüttelten nur den Kopf. “And what's so special about it?” Wollte nun der Araber wissen und Joey sah zu der jungen Frau, die hinter vorgehaltener Hand kicherte. “You understand me right? I don't have to explain this to you.” Fragte er sie direkt und mit einem schüchternen Blick zu den beiden anderen meinte sie mit einer Stimme, die einem das Herz aufgehen ließ. “It's the sea! The sun! The beach!”
 

Was dann geschah, würden Seto und Kamil lange nicht vergessen. Djamila, deren Namen Joey noch nicht kannte, sah über die Distanz hin in seine Augen, ein Blick so tief und verstehend, als kannten sich die beiden schon ein Leben lang. Schweigen herrschte und verwirrt sahen die beiden anderen Männer zwischen ihnen hin und her. Doch bevor noch jemand etwas sagen konnte, blitzte ein Schalk in den bernsteinfarbenen Augen auf, den Kamil noch nie bei Djamila gesehen hatte. Nur einen Herzschlag später rannte diese los und schupste den Araber vor sich her Richtung Meer. Joey hingegen war aus dem Wasser gekommen und hatte nach Setos Handgelenk gegriffen, um diesen hinein zu ziehen.

Seto schrie, als er das Gleichgewicht verlor und vornüber stürzte. Auch Kamil ging es nicht besser und er landete im Wasser. Djamila lachte. Sie lachte aus vollem Herzen und freudig schlug sie mit Joey ein. Ihr Lachen erfüllte den ganzen Strand und während sich die beiden Männer wieder aus dem Wasser rappelten, traten die zwei Chaoten die Flucht an. “You will pay for that, Joseph!“ Rief Seto, der nun endlich aus dem Wasser gekommen war und keine trockene Stelle mehr am Leib hatte. Doch er bekam nur ein Lachen. “Try it! Try it!” Rief er und ein herrliches Spiel begann.
 

Kamil war für einen Moment nicht im Stande, irgendetwas zu tun. Er stand dort, bis zu den Knien im Wasser und sah zu Djamila. Er kannte sie seit Kindestagen. Sie war sein Besitz, sein Spielzeug, sein Eigentum, aber er hatte sie noch nie so lachen hören. Ihr Kleid war mittlerweile zur Hälfte nass und auch ihr Hijab, denn beim Toben griff sie immer wieder mit den Händen danach, damit er ja nicht verrutschte. Sein Herz klopfte wild und er beobachtete ihre leuchtenden Augen ihre roten Wangen. Zum ersten Mal in seinem Leben sah er ihre wahre Persönlichkeit.

Wer war dieser Joey, das ihm wie viele Sekunden gereicht hatten, um diese Frau völlig zu verändern? Er hatte mit einem einzigen Blick der sonst so unterwürfigen Frau ein ganzes Leben geschenkt. Wildheit, die er nie erwartet hatte. Schönheit, die er nicht an ihr kannte. Völlig fasziniert und überfordert betrachtete er sie und dann bekam er einen Schwall Wasser ab. Ein Lachen. War er das? Was tat er hier? Er setzte sich von ganz allein in Bewegung und jagte ihr nach. Sie hatte das Kleid gerafft und lachte auf eine so ehrliche und klare weise, dass er diesen Ton wohl nie wieder in seinem Leben vergessen konnte.
 


 

Ein spitzer, von Entsetzen geprägter Schrei zog über das Wasser. Der schwarze Stoff hatte nun zu viel Wasser abbekommen und rutschte von ihrem Kopf. Schwarze, wunderschöne Haare, die streng nach hinten gezogen waren, kamen darunter zum Vorschein. Nur einen Moment, dann hatte sie ein nasses, weißes Hemd darüber. Ein zweiter Schrei erklang, denn sie wusste nicht genau, woher der nasse Stoff kam. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie die nackte Brust eines Mannes. “I didn't see anything, absolutely nothing!” Erklang eine ihr bekannte Stimme und als sie aufblickte, sah sie in Joeys Gesicht. Er hatte die Augen zusammengekniffen und stand nun halb nackt vor ihr. Djamila lief tief rot an. So nahe war sie einem fremden Mann noch nie gekommen. Dieser hier war auch noch halb nackt.

In diesem Moment geschah noch etwas Unerwartetes. Das Lachen der vier hatte auch andere zu dem Spiel dazu geholt und als diese erkannten, in welch misslicher Lage Djamila war, umringten sie nur kurze Zeit später einige Männer und positionierten sich so mit dem Rücken zu ihr, dass niemand ihre Haare sehen konnte. Erleichtert und verlegen griff die junge Frau nach dem schwarzen Stoff und schob ihn wieder richtig. Ganz sicher war sie sich nicht, immerhin hatte sie keinen Spiegel. “I think it's ok. I... I'd better go back inside. That's enough.” Murmelte sie und zog das weiße Hemd fest über ihren Kopf. “Ok, maybe we should all go inside. I think I got too much sun.” Gab er verlegen von sich und sie musste leise lachen, als sie seine Verlegenheit hörte.
 

Kamil war es, der näher kam und Joey sanft zur Seite schob. Er griff nach dem weißen Hemd und warf einen Blick in das hübsche Gesicht, in dem die Röte auf den Wangen lag. Für einen Moment war er nicht fähig, etwas zu sagen. Sein Blick war wie gebannt auf die hübsche Frau gerichtet und er hatte das Gefühl, sie so zum aller ersten Mal zu sehen. So lebendig, voller Leben und Freude. Sein Herz klopfte so schnell, dass es weh tat und er hielt die Luft an. Es dauerte eine Weile, bis er sich räusperte und dann in diesen fremden Worten zu ihr sprach. Ein Lächeln zeigte auf ihrem Gesicht und sie nickte. Die Männer, die sich um sie gescharrt hatten, drehten sich nun um und es wurde lachend diskutiert. Joey wusste nicht, worum es ging, doch die Aufbruchsstimmung war deutlich zu erkennen.

Sie alle zog es zurück an den Strand, raus aus dem Wasser und mit einem breiten Grinsen schubste Djamila etwas Wasser in die Richtung des Blonden, der neben ihr ging. Dieser kicherte und tat es ihr gleich. Nachdenklich sah Kamil den beiden nach, er stand noch immer im Wasser, hatte ein paar Worte mit den Menschen gewechselt, die er nicht wirklich kannte. Sie lebten nun schon seit ein paar Jahren an diesem Strand, Haus an Haus und doch ging es immer nur darum, wer den teureren Wagen fuhr, das bessere Haus hatte, die hübscheren Frauen sein nannte. Doch einmal außerhalb dieses Kreises waren sie sich nie begegnet. “How does he do that?” Fragte der Araber plötzlich und setzte sich langsam in Bewegung. Er stand noch bis zur Hüfte im Wasser, der nasse, rote Turban rutschte ihm fast vom Kopf und sah zu seinem Freund. Der Brünette war ebenfalls völlig durchnässt und das weiße Hemd klebte an seinem Oberkörper. Er zuckte mit den Schultern und meinte leicht belustigt. “That's the magic of Joseph Jay Wheeler! He manages to touch people's hearts and makes them do things that are completely irrational. You never get used to that! “

Freiheit zum Betrügen

Kapitel 36

Freiheit zum Betrügen

 

Seine Füße waren sandig, seine Hose durchweicht und seinem halb nackten Körper sah man an, dass er viel erlebt hatte. Der weiße Verband war durchnässt und die Handgelenke noch immer dunkelblau. Die Wunde an seiner Wange war zu einer Narbe geworden und auch an anderen Stellen konnte man erkennen, dass er so manchen Kampf hinter sich hatte. Djamila musterte ihn verstohlen und lachte mit ihm, als er am Strand stehen blieb und zum Himmel hinauf schaute. “I think I got too much sun.” Murmelte er vor sich hin und dann schenkte er ihr ein Lächeln. Es war seltsam, doch zwischen den beiden war eine Verbindung entstanden, die keiner so recht beschreiben konnte. Sie war einfach so da und es schien fast, als müssten sie sich nicht unterhalten, nicht aussprechen, was sie dachten, damit der andere es verstand.

Kamil hingegen beobachtete die beiden mit einem gewissen Argwohn. Ein bisher unbekanntes Gefühl machte sich in ihm breit. Eifersucht. Unter all den Männern, die seiner Djamila bisher eine Gefahr hätten sein können, war er… anders. Es gab etwas, das er einfach nicht an diesem Mann verstand. Auf der einen Seite war er der unbeholfene Trottel, der mitten im Speisesaal so durcheinander war, dass er einen Ständer bekam und kopflos davon lief, auf der anderen Seite war er der überragend schlichte Gegner, der einen grandiosen Schachzug schlicht erkannte und vereitelte. Diese Seelenruhe, mit der er Kamil ins Gesicht gesagt hatte, dass dieser doch genau wusste, dass der Blonde sich einen so langen Namen nicht merken konnte. Noch immer wusste er nicht genau, wie der Kerl ihn dazu gebracht hatte, sein Bett aufzusuchen. Er wusste noch, dass dieser plötzlich in der Bar auftauchte, obwohl er schon lange gehen wollte. Doch wie es von da aus weiter ging, konnte er nicht mehr sagen. Wer war nun Joseph Jay Wheeler? Ein absoluter Trottel oder ein genialer Gentleman?

 

Eine Frage, die Kamil so schnell nicht beantworten konnte und vorerst ging es darum, dass sie aus den nassen Sachen wieder heraus kamen. Der Araber ließ auch für seine Gäste frische Kleider zurechtlegen und Joey schlug vor, dass sie eine andere Art von „anständig“ im Büro definieren sollten. Er fühlte sich in den weit geschnittenen, luftigen Hosen und dem langen Hemd unglaublich wohl. Sie machten es sich im Innenhof gemütlich und unterhielten sich noch lange, bis Joey schlussendlich einschlief. Erst zum Abend wurde er wieder wach, als der Duft des Essens ihn einholte und sein knurrender Magen ihm sagte, dass es dringend Zeit wurde. Es gab ein wahres Festmahl und er wurde auch bei diesem Essen in die Traditionen der arabischen Küche eingeführt. Aufmerksam ließ er sich gerne alles von Djamila erklären, die zum ersten Mal Kamil völlig ignorierte. Sie hatte nur Augen für den Blonden, der ein herzerwärmendes Lächeln hatte. Ein Mann, der sie ansah und ihr das Gefühl gab, sie auch zu sehen.

Mit einem gewissen Unbehagen bemerkte Seto diese Entwicklung. Er wusste, dass Kamil einen Anspruch auf sie erhob. Es war eher wie ein Besitz, doch diesen machte Joey ihm gerade streitig. Es würde nicht gut ausgehen, wenn die beiden sich zu nahe kamen. Davon einmal abgesehen, dass er bis jetzt noch immer nicht wusste, auf was der Blonde denn nun stand. War er für Frauen oder für Männer empfänglich? Oder fischte er eher in beiden Gewässern? Und käme der Kerl noch einmal auf die Idee, sich mit ihm über all das zu unterhalten oder sollte es etwas Unausgesprochenes bleiben?

 

Der Abend verging und die Nacht bracht ein. Joey war froh, dass er ein eigenes Zimmer hatte und das Bett nicht noch einmal mit dem Lustmolch teilen musste. Obwohl… wenn er über diese Nacht nachdachte, dann war da noch immer ein seltsames Gefühl der Aufregung. Der Sex war, und es schmerzte dies zu sagen, wirklich gut gewesen. Nur, blieben dennoch die Angst und die Hilflosigkeit, wenn er genauer über diese Situation nachdachte. Es half ein wenig, dass sich Seto noch immer an sein Versprechen erinnern konnte, doch viel war es nicht. Was sollte er schon tun, wenn der Mann das nächste Mal über ihn her fiel? Seine Gedanken wanderten zu Tala Ivanow, der ihn aus ihm nicht näher bekannten Gründen nur zu gerne als Prügelknaben nutzte. Er konnte einfach den Anblick nicht vergessen, wie dieser auf ihm saß, mit den Knien seine Oberarme auf dem Boden presste, mit der linken Hand in die blonden Haare griff und mit der rechten das Messer in der Hand hielt. Das nächste Mal würde er ihm die Zunge heraus schneiden. Nachdenklich saß Joey auf dem Fensterbrett und blickte hinaus auf das Meer. Sein eigener Vater hatte ihn regelmäßig verprügelt, nun tat es Tala und Seto schien diese Gewaltspirale weiter anzuheizen. Er hatte sich mit der Ausbildung und der eigenen Wohnung mehr Ruhe erhofft. Mehr Freiheiten. Doch nun war er für seine Schwester verantwortlich und dankbar für das Geld, welches er von Seto erhielt.

 

Mit einem Zittern zog er die Decke enger um seine Schultern, die er sich umgelegt hatte. Er kam sich vor wie… ja, wie jemand sehr erbärmliches. Das Gehalt, welches er von dem Brünetten bekam, war wirklich stattlich und aus der letzten Wette war er auch sehr gut heraus gegangen. Wie würde es jetzt mit ihnen weiter gehen? Würde er noch immer in dieser finanziellen Abhängigkeit bleiben? Oder anders, würde sie Seto weiter ausnutzen? Und eine noch ganz andere, viel wichtigere Frage kam ihm in den Sinn. Würde er noch einmal mit dem Mann Sex haben? Er war sich nicht sicher, wie er dazu stehen sollte. Diese Mischung aus Angst und Geilheit machte ihm schwer zu schaffen und hier in seinem Zimmer mitten in der Nacht hatte er zum ersten Mal wirklich Zeit und Ruhe, um darüber nachzudenken, was das alles bedeutete. Stand er nun auf Männer? So wie er bei Kamil reagiert hatte, so wie er Frauen ignorierte… hatte doch sicher seinen Grund, warum der Barkeeper ihn gefragte hatte, ob er schwul war. Darüber hatte er sich nie Gedanken gemacht. Ob es bei allen Frauen so schwer war, wie mit Mai? Ob es immer so leicht war, wie mit Seto? Allein die Erinnerung daran reichte schon aus, um das Blut in die andere Richtung zu verschieben und ihm einen heißen Schauer über den Rücken zu jagen. Wenn er an diese Hände dachte, die ihn so sanft verwöhnten, diese Lippen, die so begierig waren. Und dann dachte er an den Schmerz der Fesseln!

 

Durcheinander wendete er den Blick vom Meer ab und stand wütend auf. Wie sollte er denn je eine klare Meinung dazu bekommen, wenn er immer wieder zwischen den guten und den schlechten Erinnerungen hin und her geworfen wurde? Erst dachte er an die Erregung und seine Hose war dabei eine ungewollte Beule zu entwickeln und dann kam der andere Teil dieser Erinnerung und alles war wieder weg, nur ein kalter Schauer blieb. Er fühlte sich unwohl in Setos Nähe, wenn er darüber nachdachte. Die meiste Zeit ging es ganz gut, allerdings dachte er da auch nicht. Er konzentrierte sich auf die Gespräche, auf Djamila und dann dachte er einfach an gar nichts, was diese Nacht betraf.

Joey warf die Decke auf das Bett und durchquerte den Raum. Jetzt konnte er eh nicht mehr schlafen und vielleicht half ein kleiner Spaziergang. Selbst wenn er nur einmal bis zum kleinen Brunnen hinunter ging und von dort aus wieder hinauf in sein Zimmer. Das war vielleicht schon genug. Mit dieser Entscheidung trat er hinaus auf den Gang und blickte hinunter in den Innenhof. Sein Zimmer lag im ersten Stock. Müde bemerkte er, wie jemand dort unten saß und neugierig schritt er leise bis zur Treppe. Er wollte keinen wecken.

Als er in den Innenhof trat, schälte sich aus dem Dunkeln eine hübsche, zierliche Gestalt. Die Wolken schienen aufzureißen und dann erkannte er, wer dort im nun aufkommenden Mondlicht saß. Es war Djamila. Er stockte, als sein Blick auf ihre wunderdschönen, seidenweichen Haare fiel, die in weichen Wellen teilweise in Locken übergingen. “I'm sorry I didn't mean to bother you!” Er drehte sich auf dem Absatz um und doch kam keine Antwort. Er war sich nicht sicher, ob er zu leise gesprochen hatte, immerhin war es mitten in der Nacht. Doch dann hörte er ihre sanfte, einfühlsame Stimme. “It's okay, come over here and sit down for a moment.” Verunsichert warf er einen Blick über die Schulter und sah, dass sie nun locker ein Tuch über den Kopf gelegt hatte. “Are you sure?” Vorsichtig und schüchtern trat er zu ihr und betrachtete ihr hübsches Lächeln. Hier am Brunnen, während das Wasser lieblich vor sich hin plätscherte, im silbernen Licht des Mondes, wirkte sie wie eine Prinzessin. Ihre Augen schienen zu funkeln und ihre vollen Lippen hatten ein wunderschönes Lächeln aufgesetzt. Einige der schwarzen Haarsträhnen fielen über die Seite bis zu ihren Schlüsselbeinen hinunter. Ihr Kleid war unerwartet. Es war ein Nachthemd mit Spitze und einem Muster, welches er hier im Dunkeln nicht genau erkennen konnte. “Shouldn't I see your hair?” Fragte er vorsichtig und spürte, wie eine gewisse Wärme seine Wangen erfüllte. Er konnte ihre nackten Beine sehen, die unter dem seidig wirkenden Stoff zum Vorschein kamen. Verlegen setzte er sich auf den Rand des Brunnens und wagte es nicht, noch einmal einen Blick zu ihr zu werfen. “It's not my belief. Maybe my religion, but I don't think Allah wants we women should submit and cover us. Not in the 21st century.” Erstaunt musste Joey nun doch seinen Blick zu ihr richten. “Oh and why are you doing this?” Er blickte sie mit großen Augen an. Das war etwas verwirrend. Sie hier so zu sehen und ihre Worte, die sich so deutlich gegen alles aussprachen, was er bisher über sie wusste. “Kamil wants it that way. It's his belief.” So langsam verstand Joey die Problematik und nun wagte er einen genaueren Blick. Sie war eine wunderschöne Frau. Ihre braunen Augen funkelten, ihre vollen Lippen waren verführerisch und ihre Brüste drückten sich lockend unter dem im Mondlicht grauen Spitzennachthemd durch.

 

“Why don't you tell him you disagree?” Er ahnte die Antwort schon. Etwas in ihm wusste genau, was sie ihm sagen würde, aber er musste es von ihr hören. Warum, konnte er nicht sagen. Es war eher wie die selbstzerstörerische Bestätigung, dass sein Glauben an die Menschheit ungerechtfertigt war. “I belong to him I am like a piece of furniture. Everything in my life is designed to serve only him. That's why I cover myself.” Erklärte sie und Joey schluckte laut. Ein leichtes Lachen klang an seine Ohren und sie meinte mit einem spitzen, beinahe vorwerfenden Ton. “I am like his slave. Even if it is not obvious, people are still being sold and bought here. I have the impression that you know exactly how I feel. Seto and Kamil are similar. Too similar. Or is he not responsible for your blue wrists?” Erschrocken zuckte der Blonde zusammen und versuchte seine Handgelenke zu verstecken, doch das war nur schwer möglich. Noch immer waren die Stellen dunkel, an denen sich erst vor einer Nacht das Leder des Gürtels eingedrückt hatte. “But he doesn't own me.” Flüsterte er und nun spürte er, wie die Hitze in seine Wangen stieg. Er fühlte sich unsicher, verlegen, aber auf gewisse Weise auch schutzlos und schmutzig. Ja, es fühlte sich so an, als hätte Seto ihm in dieser Nacht etwas geraubt, das er nicht genauer erklären konnte. Darüber zu sprechen war nicht möglich Er konnte es ja nicht einmal genau in Worte fassen. “Does he pay you?” Begann sie und er konnte sie nicht ansehen. Joey sank beinahe in sich zusammen und seinem Verhalten nach war sie sich sicher. “You're his secretary, but that's not all, is it? Whenever he has a silly idea, he lures you with a bonus. You mentioned your sister that you finance her. That's how he plays you. He knows you would never take the money, but you take it for her. He does things that no nice person would ever do. Over and over again. But you can't go. You are trapped. In the end, it all boils down to the fact that he can do anything with you. Am I wrong?”

 

Und wie sie Recht hatte. Im Grunde konnte er mit ihm machen, was er wollte. Im Grunde konnte er sich nicht gegen ihn wehren und im Grunde war er vor allem hier gefangen. Er kam hier nicht weg. Ganz gleich, ob er gestern einen Aufstand gemacht hätte. Sein Blick fiel auf die Handgelenke, deren dunkel Farbe selbst in diesem spärlichen Licht zu erkennen war. Da war sie wieder, diese Angst, diese Hilflosigkeit und für einen Moment auch das Gefühl, zu ersticken. “What happened? Did he want something from you that you didn't want? Did he force you to do it in that cruel, violent way? Then tell me why are you still here? Why are you following him and pretending it never happened?” Er konnte sie nicht ansehen und doch hörte er, wie sie sich erhob. Plötzlich war sie da. Direkt vor ihm und ihre Hände griffen sanft nach den seinen. Sie beugte sich vor, das Tuch rutschte von ihrem Kopf über die Schultern zu Boden und die schwarzen Haare fielen sanft auf seine Oberschenkel. Sie küsste die Wunden an seinen Handgelenken und für einen kurzen Moment setzte sein Herz aus. Noch immer hatte er Tränen in den Augen, doch dann schloss er sie. Diese sanfte Berührung. Er kannte dieses Gefühl nicht. Sie war so zärtlich, dass es nicht einmal schmerzte.

“Our strength lies in the fact that we survive everything. But sometimes we break. We must never forget how strong we are or we will die inside.” Er starrte sie mit großen Augen an, ihr Gesicht war nun nur noch wenige Zentimeter von dem seinen entfernt. Ihre Lippen wirkten so verführerisch. Wenn er den Blick senkte, würde er genau in den Ausschnitt ihres Nachthemdes sehen können. “You're the first man to see me and not what I'm supposed to be. When I'm around you it's no longer possible for me to hide myself.” Ohne es zu begreifen, es wirklich zu hinterfragen hob Joey die Hand und legte sie sanft auf ihre Wange. Sein Blick war von ihren Augen gefangen und jeglicher Gedanke war verloren. Er dachte nicht über die Folgen nach, nicht über Seto oder Kamil. Er dachte nicht daran, dass sie vielleicht Recht hatte und sie beide nichts weiter als ein Besitz waren. In diesem Moment spürte er nur die Hitze, die seinen gesamten Körper ergriff und dieses unglaublich erregende Kribbeln. “I... I have something important to tell you.” Begann er vorsichtig und unsicher, doch da beugte er sich schon vor und seine Lippen berührten die ihren. Ihr Mund erschien ihm so heiß und ihre feinen Hände umgriffen seine Hüfte. Sie kam ihm entgegen und erwiderte voller Leidenschaft den Kuss. Er spürte ihre weichen, warmen Brüste, die sich gegen ihn drückten. “I've never slept with a woman.”  Flüsterte er, als sie sich wieder voneinander lösten.

 

“Then we should ask ourselves if we're doing this to get revenge or to find out if you only prefer men.” Ihre Stimme hatte einen Ton, der ihm einen Schauer heißer Erregung über den Rücken laufen ließ. Er betrachtete sie für einen Moment, jedes Detail ihres Gesichtes, als würde er es nie wieder sehen können. “I want to cheat them, lie to them and look in their faces while I know what happened that night.” Er beugte sich zu einem neuen Kuss zu ihr vor und konnte noch das teuflische Lächeln erkennen, dass sich auf ihre warmen Lippen legte. Etwas verband ihn mit dieser Frau, dass er niemals erwartet hätte. Etwas vereinte sie und es schien ihm, als schlugen ihre Herzen gleichermaßen im Takt. “Come with me.” Wisperte sie und griff nach seiner Hand, während sie sich erhob. Der Mond verdeckte sein Angesicht hinter den Wolken und es wurde dunkle. Doch keiner von ihnen störte sich daran. Ohne zu zögern folgte er ihr. Etwas in seiner Seele brannte. Etwas in ihm schrie auf und wollte sich befreien. Etwas in ihm war bereit für diesen Schritt.

 

 

Verwirrt hob Kamil das rote Seidentuch auf, welches vor dem Brunnen auf dem Boden lag. Er hatte sich noch nicht ganz angezogen, wollte nur kurz hinaus, um einem der Bediensteten etwas aufzutragen. Von oben fiel sein Blick auf das leuchtende Rot, welches spielerisch zwischen dem grün der Pflanzen auf dem Boden lag. Das Tuch kannte er doch. Das war doch eines von Djamilas. Er hatte es schon ein paar Mal bei ihr gesehen. Verwirrt war er hinunter gegangen und hatte es aufgehoben. Barfuß und nur mit einer einfachen, leichten Hose bekleidet. Nicht einmal seinen Turban trug er und die braunen Haare kamen nun gut zur Geltung. Auch der muskulöse Körperbau, der bisher nur zu erahnen war, zeigte die Attraktivität des Mannes. Nachdenklich sah er sich um. Es war noch ruhig, die Bediensteten taten das, was sie machten, so leise, wie möglich. Kamil war jemand, der gerne spät ins Bett ging und lange ausschlief. Dass wussten hier alle und so hielten sie sich auch daran. Niemand wollte den Herrn des Hauses voreilig wecken. Schweigend machte sich der Mann auf den Weg hinauf zu den Zimmern. Vielleicht hatte sie es gestern dort liegen gelassen. Er hatte nicht darauf geachtet und manchmal saß sie nachts noch am Brunnen. Er hatte dieses Verhalten schon ein paar Mal bei ihr bemerkt.

Kamil hatte dafür ein anderes, unangenehmes Verhalten. Als er an ihrer Zimmertür angekommen war, griff er einfach nach dem Türknauf und öffnete diesen. Er klopfte nicht an. Das tat er nie. Immerhin war das sein Haus. Immerhin was sie seine Frau. Sie gehörte ihm. „Jamilat, laqad nusiat shyyan.“ Es gab kein guten Morgen, kein, bist du schon wach. Es war eher eine Anschuldigung, warum ihr Tuch auf dem Boden lag. Du hast etwas vergessen. Nicht einmal etwas verloren. Nein, das war in seinem Gedankengut etwas Unverständliches. Wenn ihr Tuch dort lag, dann musste es ihr Fehler sein. Dann…

Kamil blieb stehen und starrte auf das Bett. Das rote Spitzentuch fiel erneut zu Boden und die braunen Augen des jungen Mannes starrten auf die beiden, die dort nur noch halb unter der Decke lagen. Sofort erkannte er die blonden Haare, die so unverkennbar waren. Er erkannte den nackten Rücken, die starken, nackten Arme, die den schlanken Körper einer Frau fest an sich drückten. Djamilas schwarze Haare verdeckten zwar einen Teil ihres Oberkörpers, dennoch war offensichtlich, dass keiner von ihnen auch nur einen Fetzen Stoff am Leibe trug.

 

Jeder Gedanke blieb aus und ohne zu reflektieren, was er tat, stürmte er in das Zimmer. Er trat um das Bett herum und schrie ihren Namen. Erschrocken zuckte die Frau zusammen, doch da packte er schon nach ihren schwarzen Haaren und zog sie mit einem brutalen, gewaltsamen Ruck zu sich. Djamila schrie auf. Sie war noch nicht richtig wach, als der Schmerz durch all ihre Glieder fuhr. Sie begriff nicht, was hier geschah und folgte so nur dem Schmerz, der sie in eine gewisse Richtung zwang. Verwirrt und überfordert stürzte sie vom Bett und versuchte die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Nur nach und nach wurde ihr bewusst, dass sie noch immer in ihrem Zimmer war. Dem wütenden Geschrei Kamils konnte sie entnehmen, dass sie nicht allein im Bett gelegen hatte.

Nur einen Herzschlag später erinnerte sie sich wieder, was sie in der letzten Nacht entschieden hatte. Joey schien da schneller zu sein. Plötzlich ließ der Griff in ihren Haaren nach und sie konnte sich befreien. Ihr Blick glitt nach oben und sie erkannte Joey, der mit voller Kraft durchgezogen hatte. Kamil stürzte neben ihr zu Boden und der Blonde stand mit geballten Fäusten über ihm. Ohne zu zögern rappelte sich der Araber wieder auf, doch so weit kam er nicht. Der 19 Jährige packte nach seinem Hosenbund und zerrte ihn so von Djamila fort, quer über den Boden zur Tür hin. Die Frau war entsetzt. So hatte sie diesen Morgen nicht erwartet.

 

Nun war es Kamil, der zuschlug, doch nur die Oberarme des Blonden erwischte. Dieser ließ ihn los und Kamil kam flink wieder auf die Beine. Reflexartig hatte sich der junge Mann zwischen den wütenden Araber und die hübsche Djamila geschoben. “Don't dare touch her again!” Schrie er ihn an und Kamil schien nur noch wütender zu werden. Wagte es dieser elende Bastard wirklich, ihn zu schlagen? Doch bevor er einen neuen Angriff durchführen konnte hatte Joey sich in Bewegung gesetzt. Seine Faust sauste durch die Luft und Kamil lächelte grausam. War dieser Angriff offensi… Er hatte die Arme gehoben, um zu blocken, aber Joey hatte die Richtung geändert. Mit voller Wucht traft der Schlag gegen die Bauchdecke des Arabers, der zurücktaumelte. Zu viele Kämpfe hatte Joey schon gegen Tala und seine Männer ausgefochten. Er hatte gelernt und eines war ihm schnell klar geworden. Kamil hatte nicht die Klasse, die Tala besaß. Kamil war es nicht gewohnt, sich zu prügeln.

Der nächste Angriff war ebenfalls erfolgreich und so trieb Joey den Araber vor sich her, der schlecht versuchte, die Schläge zu blocken. “Don't ever touch her again!” Schrie er und mit seinem nächsten Treffer stürzte Kamil aus der Tür auf den Boden. Die Lippe des Mannes war aufgeplatzt und er hatte eine Platzwunde an der Stirn über der Augenbraue. “Wretched bastard! Have you forgotten where your place is?” Kamil spuckte auf den Boden, bevor er das sagte. Blut hatte sich darin vermischt und voller Hass und Wut blickte er zu Joey auf. “She belongs to me!” Gab er von sich und nur für einen kurzen Moment gab Joey sich der Blöße hin und suchte Djamila, die nun in der Tür stand. Er wusste, dass sie niemals tun würde, was er tat. Aber er sah ihrem Blick die tosende Wut an. Auf ihrem nackten Körper konnte er die Blessuren sehen, die Kamil hinterlassen hatte. Die blauen Blutergüsse um ihren Hals und den Oberarmen, dort wo die kräftigen Hände schmerzvoll zugedrückt hatten. Er kannte all die Striemen, die ihren Rücken zierten und ihre Beine. All die Wunden, die sonst unter dem Stoff versteckt waren. Sie alle hatte er in der letzten Nacht gefunden. Er hatte ihr Nicken nicht erwartet, aber es kam und eine seltsame Ruhe lag in dem Gesicht des Blonden.

Er wartete, bis Kamil erneut aufgestanden war und die braunen Augen des Arabers Djamila voller Hass betrachteten. Es war eine fliesende Bewegung, in der Joey unter dem Angriff des Mannes hindurch tauchte und mit voller Kraft erneut einen Schlag gegen seinen Magen platzierte. Kamli taumelte zurück und Joey griff nach dem linken Knie des Mannes. Er zog es nach vorne zu sich und Kamil stürzte hoffungslos ein weiteres Mal. “My place is right between you and her!” Gab er in einem tiefen Knurren an und Kamil versuchte die Arme zu heben, als sich Joey beinahe auf ihn fallen ließ. Diese Aktion trieb ihm die Luft aus der Lunge und nahm ihm die Kraft, den nächsten Schlag zu blockieren. Dann packte er nach den Haaren des Mannes und knurrte in einem herablassenden Ton. “You are not a man! You are nothing! A nobody!” Kamil schrie auf, doch ihm fehlte die Luft dazu. Die linke Hand hatte sich hart um seinen Hals gelegt und drückte ihm die Luft ab. Panisch packte Kamil nach dem Armen des Mannes, doch die Angst saß so tief, dass er nicht wusste, wie er diesen Griff wieder lösen konnte.

Regungslos stand Djamila im Türrahmen, Kamil lag vor ihr auf dem Boden des Flures und Joey saß auf ihm. Ein seltsames Lächeln lag auf ihren Lippen und ihr Blick war hart. “How does that feel? Do you want to breathe?” Raunte die kalte Stimme des 19 Jährigen und Kamil schlug unkontrolliert nach ihm. Er hatte keine Chance. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass ihm weder sein Geld, noch seine Macht halfen. Er war hoffungslos ausgeliefert und nichts als Angst blieb. Er wusste nicht, dass Joey unbewusst spiegelte, was er in seiner eigenen Angst gelernt hatte. Tala Ivanow hatte ihm beigebracht, wie man quälte, wie man zwang und wie man grausam das Herz eines Menschen zerdrückte.

 

„Es reicht! Hör auf damit!“ Donnerte Setos Stimme und kräftig griff er unter den Schultern des Mannes hindurch, um ihn mit einem Ruck von Kamil herunter zu ziehen. Bis eben hatte er noch leicht verschlafen in seinem Zimmer gestanden und sich umgezogen. Doch mehr als eine Hose trug er auch noch nicht. Die Haare waren noch feucht vom Duschen, als er  den Schrei seines Freundes hörte. Er hatte nicht erwartet, was dann kam. Für einen kurzen Moment war er so überfordert, dass er nur in der Tür seines Zimmers stand. Da lag Kamil auf dem Boden, Joey splitterfasernackt über ihm und Djamila stand mit dem Ausdruck grausamer Genugtuung ebenso unbekleidet in der Tür. Ein Teil seines Verstandes hatte die Situation sofort begriffen, doch das meiste weigerte sich gegen die Vorstellung, dass die beiden Sex miteinander gehabt hatte. „Lass mich los! Ich bin noch nicht fertig mit diesem Scheißkerl!“ Schrie Joey, der sich zu wehren versuchte. Doch im Gegensatz zu Kamil war der Firmenführer ein weitaus schlimmerer Gegner. Jahre lang hatte dieser trainiert, wurde ausgebildet und sein Griff war hart und gnadenlos. „Ich sagte, es reicht!“ Fuhr ihn der Brünette erneut an und dann wurde ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt.

Kamil hatte sich erneut erhoben, Blut lief über sein Kinn, ebenso wie über seine Wange und die Röte an seine Hals zeigte deutlich, dass die Abdrücke Joeys zu einem Bluterguss werden würden. Ohne zu zögern hatte der Araber ausgeholt und schallend hallte der Schlag von den Wänden wieder. Djamila sah ihn groß an, während sie ihr Gleichgewicht verlor. Wie immer ließ Kamil seine Wut an ihr aus. Hart schlug ihr Kopf gegen die Türkannte und sie schrie auf. Zitternd sackte die nackte Frau zusammen.

 

Nur einen Bruchteil hatte Seto seine Aufmerksamkeit dem zugewandt und dann spürte er den Schmerz. Joey hatte das einzige getan, mit dem er  wirklich gegen den Brünetten vorgehen konnte. Er hatte den Kopf erst nach vorne gesenkt und dann mit aller Kraft gegen das Gesicht des 22 Jährigen geschmettert. Erschrocken ließ Seto seinen Gefangenen los und nur einen Moment später hatte sich Joey gänzlich aus dem Griff befreit. Er rannte los und dieses Mal war seine Wut ein brennendheißes Feuer. Unkontrolliert und wild. Als Kamil dieses Mal unter seinem Angriff zu Fall kam, zögerte er nicht. Ein Schlag nach dem anderen, wohin, war im Grunde egal. Hilflos versuchte der Mann sein Gesicht mit den Armen zu schützen, doch er hatte keine Chance.

„Joey, hör auf!“ Erneut versuchte Seto den Blonden von seinem Freund herunter zu bekommen, dieses Mal war es jedoch deutlich schwerer. Gewaltsam musste er gegen den 19 Jährigen vorgehen, während Blut aus seiner Nase lief. Joey hatte ihn übel erwischt. Er zerrte ihn von Kamil herunter und presste ihn fest auf den Boden den Arm auf den Rücken gedreht. „Beruhige dich endlich!“ Schrie er ihn an, denn er spürte, wie der Blonde jeden Schmerz ignorierte und gegen ihn kämpfte. Er versuchte sich zu befreien, doch das war nicht möglich. Das einzige, was er damit erreichte, war den Druck auf die Schulter und die angebrochene Rippe zu erhöhen. „Bitte, Joseph, beruhige dich!“

 

Die blauen Augen suchten Kamil, als dieser etwas auf Arabisch sagte. Nun war es auch eine gewisse Wut, die in ihm brannte. Seine Stimme hatte diesen kalten, befehlenden Ton, unter dem selbst der Araber zusammenzuckte. Kamil sah übel aus, Blut lief über sein Gesicht und schon jetzt war klar, dass er einige Blutergüsse und Schwellungen davon tragen würde. Seto schien seine Worte zu wiederholen und nur zögerlich kam der Araber auf die Beine. Er wankte, zitterte, doch der Stolz brannte noch immer in seinen Augen. Er schien etwas zu sagen, doch Joey verstand ihn nicht. „Lass mich los!“ Forderte er und setzte wütend nach. „Ich bin mit dem Schwein noch immer nicht fertig.“

Seto drückte ihn weiter auf den Boden und ließ nicht nach. “Doch, das bist du jetzt! Du hast dem Mann gerade die Tracht Prügel seines Lebens verpasst. Nicht einmal sein eigener Vater hat ihn so verprügelt. Also lass es gut sein!“ Er sah die Verzweiflung langsam in Joey aufsteigen, die Tränen der Hilflosigkeit und der noch immer kochenden Wut. „Dann hätte er fester zuschlagen müssen. Immerhin ist nichts Vernünftiges dabei raus gekommen!“ Ein Zittern ging durch den schlanken Körper und dann sagte der 19 Jährige etwas, dass Seto unerwartet traf. „Klar, dass du diesen Scheißkerl verteidigst! Du bist ja nicht besser. Dir ist es egal, wie es anderen geht! Du ignorierst einfach ein nein, gehst über Grenzen und tust alles, um dein Ziel zu erreichen! Du bist genau so ein elender Arsch wie er!“

 

Er wusste, dass er ihn noch nicht loslassen durfte, doch jetzt fühlte es sich falsch an. Wieder, er tat es immer und immer wieder. Bilder dieser einen Nacht kamen ihm in den Sinn und er schluckte. Doch Joeys Wut würde nur für einen neuen Kampf sorgen. Etwas, dass er nicht zulassen konnte. „Das mag ja sein, aber seit wann prügelst du jemanden bewusstlos, der dir so dermaßen unterlegen ist?“ Seine Stimme zitterte, doch das konnte Seto nun nicht verbergen. „Hör zu, ich will dir nicht weiter weh tun. Wenn ich dich jetzt loslasse, rennst du ihm nicht nach, verstanden?“ Seine Worte hatten nur einen eindringlichen Ton, nicht die Schärfe, mit der er Kamil eben angegangen war. Es dauerte. Die Zeit schien nur zäh zu vergehen, während der Brünette Joey weiterhin auf den Boden drückte. Ganz vorsichtig begann er den Griff zu lockern, angespannt und immer damit rechnend, dass der 19 Jährige auch ihn angehen würde. Doch nichts geschah. Joey schien sich gefasst zu haben und so erhob sich der Brünette langsam, gab ihm Platz. Vorsichtig zog Joey den Arm von seinem Rücken herunter, nur um sich dann doch schnell zu erheben. „Djamila?“

Erleichtert stellte Seto fest, dass der Blonde offenbar in erster Linie Interesse an der jungen Frau hatte. Schweigend beobachtete er, wie Joey ihr auf die Beine half und sie hinein in das Zimmer führte. Der Firmenführer wischte sich mit dem Handrücken unter der Nase entlang und sah, was er schon schmeckte: Blut. Anscheinend hatte Joeys Angriff seine Spuren hinterlassen und der Schmerz in seiner Nase machte deutlich, dass dieses Problem nicht gleich wieder weg sein würde. Vorsichtig kam er näher, blieb in der Tür stehen und bemerkte, dass Joey nun wenigstens eine Hose trug und Djamila in die Decke eingewickelt war. Sie hatte die Augen geschlossen und zitterte. Ihre Wange war dunkelrot, der Schlag Kamils hatte gesessen. Jedoch war auch Seto aufgefallen, in welchem Zustand der sonst verhüllte Körper der 23 Jährigen war.

 

„Kannst du mir vielleicht erkl…“ Weiter kam er nicht, denn Joey tat etwas, dass ihn irritierte. Dieser hielt ihm ein Handtuch entgegen. Dankend nickte er und versuchte die Spuren des Angriffs zu beseitigen. Er wischte sich das Blut von der Brust und dem Kinn, presste es dann unter die Nase. Der 19 Jährige zitterte noch immer vor Wut, die aufkommenden Tränen waren fort. „Djamila und ich haben die Nacht miteinander verbracht und als Kamil uns fand, zerrte er sie an den Haaren aus dem Bett. Da bin ich dann dazwischen gegangen. Hätte nicht erwartet, dass der Kerl so ein miserabler Kämpfer ist.“ Augenblicklich fiel Setos Blick auf die Fingerknöchel des 19 Jährigen, die gerötet und aufgeplatzt waren. Joey hatte mit voller Wucht zugeschlagen. So zog der Brünette das Handtuch fort und fragte verständnislos. „Wie kommt ihr beiden auf die dumme Idee, so einen Scheiß zu tun. Sie gehört Kamil. Ist doch klar, dass er so reagiert!“

Doch die braunen Augen blickten ihn kühl an. „Ist sie seine feste Freundin?“ Seto stockte. „Nein.“ Joey trat auf ihn zu. „Ist sie seine Verlobte? Seine Ehefrau?“ Wieder verneinte Seto diese Frage. „Dann sag mir, wie sie ihm gehören kann? Gehört sie ihm, wie ein Möbelstück? Wie ein Tisch? Wie ein Stuhl? Wie eine Sklavin? Ist es das?“ Klang die Stimme des jungen Mannes kalt und der Brünette spürte, wie ihm das Blut erneut über die Oberlippe tropfte. „Kamil hat keinerlei Anrecht auf sie, nicht wahr? Er glaubt, dass er sie besitzt. So wie du glaubst, mich zu besitzen. Aber das tun wir nicht. Weder gehört sie ihm, noch ich dir. Ich kann meine Nächte in den Betten verbringen, in denen ich gerne liege.“ Nun war der Blonde direkt vor Seto getreten, seine Stimme zitterte noch immer vor Wut und in den braunen Augen konnte er die Gefühle so deutlich erkennen, dass ihm ein Schauer über den Rücken lief. „Aber du und er, ihr seid euch ähnlich. Also sag mir, was für ein Mensch muss man sein, um im betrunkenen Zustand über jemand anderen herzufallen? Ihn zu fesseln und zu vergewaltigen? Sag mir das, Kaiba! Oh nein, Seto! Wir sind einander ja näher gekommen!“ Der Brünette wich zurück, instinktiv. Er hatte beinahe den Eindruck, dass die Wut den Blonden wie eine heiße Welle umgab. Er konnte sie regelrecht spüren und die gesamte Haltung des jungen Mannes signalisierte Gefahr. „Ihr beide habt eine schlechte Angewohnheit. Ihr seid beide gewalttätig. Ich verstehe, warum er dein Freund ist. Ich habe mich bis heute nicht von Tala unterkriegen lassen. Ganz gleich, womit er mir auch immer droht. Für meinen nächsten dummen Kommentar will er mir die Zunge raus schneiden. Hat er mir erzählt, während sein Messer mein Fleisch aufschlitzte.“ Er deutete auf die Narbe unter seinem Auge. „Damit ich sein Versprechen nicht vergesse. Was willst du mir jetzt noch antun? Es schlimmer machen, als in dieser Nacht?“ Wieder wich der Brünette zurück, die eisblauen Augen starrten ihn nur groß an. 

 

„Was hältst du davon, wenn du deinen Hintern hier heraus bewegst und zu Kamil gehst? Er könnte einen Arzt gebrauchen. Ich war vielleicht ein wenig unkontrolliert. Weißt du, das ist so eine schlechte Angewohnheit von mir. Ist doch klar, dass ich so reagiere, wenn jemand eine Frau vor meinen Augen misshandelt oder? Sie schlägt! Dann kannst du derweil gleich einmal darüber nachdenken, was dich noch von deinem Stiefvater unterscheidet! Aktuell sehe ich da nicht sehr viele Punkte.“ Schweigend starrte Seto in die braunen Augen, die ihn ohne Gnade anblickten. Eine Gänsehaut lief über seinen Rücken und seine Arme. Das war ein Mann, den er nicht unterschätzen sollte. Er presste noch immer das Handtuch gegen seine Nase und spürte, wie das Blut weiter aus dieser lief. Faktisch hatte Joey Recht. Aber so lief es nun einmal nicht. Mürrisch knirschte der Brünette mit den Zähnen. Was für eine scheiß Situation!

Ohne ein Wort zu sagen, drehte er sich um und verließ das Zimmer. Noch immer gingen ihm diese Bilder nicht aus dem Kopf. Joey hatte genau gewusst, wie er angreifen musste. Er hatte genau gewusst, was er tat. Vielleicht war er zu Anfang davon überrascht gewesen, dass Kamil sich nicht wehren konnte, doch dann hatte er sein volles Potenzial ausgenutzt. Seto war bisher immer davon ausgegangen, dass Joey ein miserabler Kämpfer war. So wie er immer verprügelt wurde. Doch darin schien ein Fehler zu liegen. Anscheinend war es nur die falsche Klasse, in der er kämpfen musste. Wie er Kamils Angriff ausgewichen war und die ungedeckte Stelle mit einem Volltreffer versehen hatte.

 

 

Die Zeit verstrich und der Arzt hatte Kamil versorgt. Der junge Araber lag auf einer Liege im Schatten der Terrasse vor seinem Haus. Die Nase war mit weisen Streifen versehen, die Wangen waren geschwollen und er trug die ein oder anderen Verbände. Der Hals war  mittlerweile dunkelblau angelaufen, dort wo ihn Joey gewürgt hatte. Ein Kühlpack auf der Stirn. Seto saß daneben auf einem Stuhl, auch seine Nase hatte man versorgt und er hatte einen Kühlbeutel im Nacken. Es ging ihnen beiden nicht sonderlich gut und Kamil litt vor sich hin. Seto warf nur einen herablassenden Blick zu ihm und meinte auf Arabisch, dass er selber Schuld wäre. Der erste Angriff musste doch schon deutlich gezeigt haben, dass Joey ihm überlegen gewesen wäre. Was musste er sich auch noch weiter mit ihm anlegen. Kamil spielte den Sterbenden und beschwerte sich, dass das alles ein Nachspiel haben würde. Selbst, wenn Joey wieder in Japan wäre, er würde jeden Anwalt, den er finden konnte, auf den jungen Mann hetzen.

“You won't do that!” Erklang plötzlich Djamilas Stimme und sie trat aus der großen Tür hinaus auf die Terrasse. Erstaunt hob Seto den Blick und musste schlucken. Wow, er hatte gewusst, dass sie hübsch war, aber nicht so hübsch. Die 23 Jährige trug ihre schwarzen Haare nun offen und große, goldene Ohrringe tanzten bei jeder Bewegung um ihren nackten Hals. Ihr Kleid bestand aus nichts weiter als einem großen, roten Tuch mit einem orientalischen Muster. Sie hatte es sich elegant umgewickelt und mit einem weiteren, hübschen Schal in einem dunkeln Ton in der Taille zusammengebunden. So waren ihre Arme nackt und ab den Knien war ihre helle Haut zu erkennen. Erstaunt erhob sich Kamil und schien etwas auf Arabisch zu schimpfen. Er drohte ihr, war wütend und erbost. Joey lehnte gelassen und mit einem kalten Blick im Türrahmen und beobachtete die Szene. Er schien nur auf ein Zeichen zu warten. Doch dieses Mal war es die junge Frau, die voller Wut brannte.

 

“You fucking bastard really think I need Joey? It’s enough for me! From now on it's over! I’m no longer your property! I belong to myself and I don't need you or any other man! Just because I thought I had no other choice doesn't mean I depend on you and your money!” Ihre Stimme hatte einen vor Wut zitternden Ton und mit einem kraftvollen Schritt ging sie auf den jungen Araber los. Seto sah sie nur mit großen Augen an. Er hatte Djamila niemals schimpfen hören. Irgendwie war er sogar erstaunt, dass sie solche Worte überhaupt kannte. “You don't know anything about me, Kamil! Shut up, now I'm talking!”  Sie fuhr ihn an, als er sich gerade erheben wollte und zu einem Schwall Vorwürfe ansetzen. Erschrocken zucke er zusammen, als sie drohend den Zeigefinger erhob. “I know you don't realize it, but I've been a writer for years. I have my own bank account, my own salary, my own life. I'm only here because I thought I had to. That you are my lord, that I have no other choice. But I could go anytime!” Erstaunt sahen sie nun beide Männer an und Joey lächelte. Doch die nächsten Worte ließen Kamil in sich zusammenfahren. Mit großen Augen starrte er sie an und sein Mund stand offen. “You don’t know anything about me. I love Western European literature, I love Indian films and I hate wrapping myself up so that every hot dog next to me looks naked! As of today, that's the end of it. If I stay you will never raise your hand against me again or I will call the police and move out the same day! THAT'S THE ONLY WARNING I GIVE YOU!”

Schweigen herrschte auf der Terrasse und fragend blickte Seto zu seinem Freund. Dieser starrte Djamila nur mit großen Augen an und nickte. Er schien nicht fähig, noch auf eine andere Art zu reagieren und dann sagte sie noch etwas, dass den jungen Araber völlig überforderte. “Nice! Then I'll order Indian now because I'm hungry. Of course you will pay the bill and if you want to eat something else, take care of it yourself!” Kamil war noch immer völlig überfordert, so war es Seto, der die Frage aller Fragen stellte. “Are you a writer? How?”  Djamila stand schon in der Tür, sie hatte sich eiskalt umgedreht und nun blickte sie über die Schulter zu dem 22 Jährigen. “You know, there's an invention called the Internet. So you can work without leaving the house. Anytime, whenever you want.” Diese Antwort war gut. Eigentlich offensichtlich. Allerdings tat er sich auch schwer darin, Djamila vor einem Laptop zu sehen. Doch sie zog gelassen ein buntes Handy aus ihrem Büstenhalter und entsperrte es, während sie hinein ging. Anscheinend hatte sie den indischen Lieferdienst in der Schnellwahl, denn kurz darauf konnte er hören, wie sie auf Arabisch zu bestellen begann.

Noch immer überfordert blickte Seto zu seinem Freund, der nun dunkelrot angelaufen war. Er saß da auf der Liege, das Kühlpack in der Hand und den Mund noch immer offen. “Wow, she's hot and stunning at the same time.” Kam von ihm und er blickte ihr weiterhin unfähig nach. “I didn't know she... she's so perfect!” Seto musste lachen. Anscheinend hatte Kamil ein ziemlich großes Interesse an dieser deutlich herrischeren Djamila. Allerdings musste er ihm in meinem Punkt Recht geben, sie hatte etwas. Ihre gnadenlose, autoritäre Art, mit der sie Kamil zusammenfaltete, machte sie unwiderstehlich. Während des Tages gab es immer wieder Situationen, in denen Kamil sich gegen diese Vorherrschaft zu wehren versuchte, bis Djamila mit einer gepackten Tasche im Innenhof stand und sie vor seine Füße fallen ließ. Sie fragte ihn provozierend, ob sie wirklich gehen sollte. Es war ein absurdes Bild und noch absurder wurde es, als er Kamil darum bitten hörte, dass sie doch bliebe. Tat er das wirklich? Wollte er so dringend, dass sie ihn nicht verließ? Anscheinend hatte Kamil neben seiner herrisch egoistischen Seite, auch eine masochistische, die gerne seelisch von Djamila auf die Knie ging. Sie sah dabei aber auch heiß aus.

 

 

 

 Vorsichtig klopfte er bei Joey an. Als dieser ihn herein rief, musterte der blonde Mann ihn skeptisch. „Was willst du?“ Fragte Joey und Seto lächelte zurückhaltend. „Mich mit dir über das unterhalten, was geschehen ist. Über diese Reise, über die Vorkommnisse. Ich wollte mich entschuldigen.“ Kurz schien der 19 Jährige ihn zu ignorieren und schlug seinen Koffer zu, den er schloss. „Dann fang doch damit an.“ Kommentierte er schließlich und hob den Blick erneut, die Arme überkreuzte er abwehrend vor der Brust. Mit einem tiefen Durchatmen schloss Seto die Tür hinter sich. „Es tut mir leid, dass ich dir bisher nicht dafür gedankt habe, dass du mich auf dieser Reise mehrfach gerettet hast. Ohne dich wären die Verhandlungen nicht so schnell abgeschlossen gewesen. Vielleicht hätte ich es ohne dein Eingreifen sogar gänzlich versaut. Du hast mich davor bewahrt, in der Bar einen Aufstand zu machen und du bist für mich eingesprungen, als wir am nächsten Morgen völlig fertig und erledigt im Meeting saßen. Ohne dich wäre diese Reise ein absoluter Reinfall geworden.“ Seine Worte klangen ernst und ehrlich. Er blickte den jungen Mann offen an und atmete doch unsicher durch. „Außerdem möchte ich mich dafür entschuldigen, dass ich vorhin schon wieder übergriffig geworden bin. Ich habe dir gesagt, dass ich kein Nein mehr übergehen werde, aber…“ Er brach verlegen ab und wich dem Blick des anderen aus.

„Schon gut. Du hattest Recht, ohne dich hätte ich Kamil wahrscheinlich weiter verprügelt und ich bin mir nicht sicher, wie weit ich gegangen wäre. Ich war sauer und ich weiß, dass Kamil nicht nur wegen Djamila Prügel kassiert hat. Er hat auch deine Tracht Prügel erhalten. Irgendwie hatte sich alles aufgestaut und diese Sache war nur der Auslöser.“ Diese Worte löste die Verschränkung der Arme etwas. „Das dachte ich mir schon. Eigentlich bist du niemand, der auf wehrlose so los geht.“ Antwortete der Brünette und fügte dann hinzu. „Es tut mir wirklich leid. Diese Reise war… anders geplant. Ich hätte nicht gedacht, dabei auf so viele Abgründe zu stoßen.“ Es war deutlich, dass Seto auch die eigenen meinte.

Dann hob er den Blick wieder und sah zu ihm. „Als du vorhin meinen Stiefvater angesprochen hattest…“ Begann er nun erneut, doch brach den Satz ab. Joey ließ sich auf die Bettkannte fallen und blickte zum Fenster. „Ich wusste, dass es dich trifft. Das war das eigentliche Ziel. Ich glaube, dass du ihm in einigem ähnlich bist, aber ich kann mir bei ihm nicht vorstellen, dass er sich noch in dieser Nacht um mich gekümmert hätte oder dass er jetzt hier wäre, um irgendwie darüber zu reden.“ Als die braunen Augen zu Kaiba fanden, sah er Erleichterung. „Hör zu, ich weiß nicht, was ich von dieser Reise halten soll. Es ist… seltsam. Das mit uns, dass mit Djamila. Ich weiß, dass sie mich ein Stück weit ausgenutzt hat. Wie bewusst ihr das ist, kann ich nicht sagen. Aber sie hat ein wenig darauf gesetzt, dass ich Kamil in seine Schranken weise. Ich glaube, dass sie ein ganz schön hintertriebenes Miststück sein kann. Aber ich mag sie.“ Gab er von sich und seufzte dann. Der Ausdruck in dem anderen Gesicht ließ ihn lächeln. „Wenn wir wieder zurück sind, will ich noch mal zum Arzt. Ich glaube, dass meine Rippe einiges abbekommen hat und meine Schulter tut echt weh. Was diese Nacht angeht und das, was vielleicht noch zwischen uns sein wird… keine Ahnung. Immer noch nicht. Es gab Dinge, die ich gerne wiederholen möchte, aber jetzt fehlt mir das Vertrauen dazu. Die Aktion vorhin, so richtig sie auch war, hat es nicht gerade besser gemacht. Ich weiß, dass du mir überlegen bist und dass macht es nicht leicht, mich auf dich einzulassen. Also, ich denke, dass da nichts weiter sein wird. Das war wahrscheinlich das einzige Mal, dass wir Sex miteinander hatten.“

Verloren zwischen Gut und Böse

Kapitel 37

Verloren zwischen Gut und Böse

 

Mit gemischten Gefühlen ließ sich Joey auf die Sitzbank im Flieger fallen. Er hatte seine Tasche dabei und doch war sein Blick hinaus gerichtet. Er sah den schwarzen Wagen davon fahren, in dem Djamila und Kamil saßen. Obwohl die Araberin so taff tat, war sie doch unglaublich nervös gewesen. Das erste Mal mit offenen Haaren draußen. Diese Unruhe hatte sie gut überspielt, aber dennoch war es Joey aufgefallen. Auch die Anspannung, die von Kamil ausging. Der Mann war offensichtlich begeistert und gleichzeitig schrecklich eingeschnappt. Das die sonst so traditionsbewusste, schüchterne Djamila in Wahrheit eine selbstständige, moderne Frau war, überforderte ihn dezent bis übermäßig. Er wusste schlicht nicht genau, wie er mir dieser Situation umgehen sollte, doch es wirkte ein wenig so, als könnte die Sache mit den beiden gut klappen.

Das Kribbeln in Joeys Bauch blieb und erst, als sie vom Boden abgesetzt hatten und die erforderliche Flughöhe erreichten, entspannte sich der Blonde wieder etwas. Noch immer war er unruhig und seine Gedanken kreisten um unterschiedliche Bereiche. Sein Blick fiel auf seine Hände. Die Fingerknöchel waren nicht mehr gerötet, doch an ein paar Stellen konnte er noch sehen, dass die Haut ein wenig aufgesprungen war. Jetzt hatte er ein schlechtes Gewissen. Es tat ihm leid, dass er Kamil so angegangen war. Er hatte es verdient, ja, den einen oder anderen Schlag, nicht aber die Tracht Prügel, die er ihm verpasst hatte. Seto hatte schon Recht mit der Aussage, dass er Kamil ohne Rücksicht verprügelt hatte, ja regelrecht zusammengeschlagen. Mit einem Seufzen strich er mit dem linken Daumen über seinen rechten Handrücken. Er konnte die Wut jetzt nicht mehr nachvollziehen, zumindest nicht eine solche. Was hatte er sich dabei nur gedacht? War er nicht auf gewisse Weise damit genauso mies wie Tala, der ihn aus noch geringeren Gründen verdrosch? Oder stellte er sich sogar auf Setos Stufe, der Gutes mit Bösem vergolt?

 

Ein Becher landete vor seiner Nase und er hob den Blick. Eisblaue Augen sahen ihn an und als sich der schlanke Mann setzte, hatte auch er einen Becher in der Hand. Ein Berg aus Sahne und Schokostreuseln schwamm auf dem, der nun auf dem Tisch vor dem Blonden stand. Erstaunt griff Joey direkt danach und spürte die Wärme des Gefäßes. „Versuchst du gerade nett zu mir zu sein?“ Fragte der 19-Jährige nun und Seto schüttelte den Kopf. „Nein, das habe ich dir versprochen, dass versuche ich nicht noch einmal.“ Nun wurde der Blonde doch ein wenig misstrauisch und zog die Hände wieder zurück. „Und was ist das hier dann?“ Wollte er wissen und erhielt ein breites Grinsen. „Nun, ich wollte nur ausprobieren, ob du mir glaubst, dass ich den Becher vergiftet habe.“

 

Für einen langen Moment herrschte Stille und Joey blickte ihn aus seinen honigbraunen Augen an. Es war ein seltsam durchdringender Ausdruck in dem dunklen Gesicht und nun lehnte sich der Blonde zurück, verschränkte die Arme vor der Brust. „Und was für eine Art Gift hast du hier bitte in diesem Flugzeug zur Verfügung?“ Hatte er ein Schmunzeln erwartet, lag er falsch. Der Firmenführer setzte einen kühlen, nicht weiter zu bezeichnenden Ausdruck auf und meinte gelassen. „Bei diesem Gift handelt es sich um eine Droge, die zu verheerender Abhängigkeit führen kann. Wird sie oral eingenommen, beeinflusst sie in kürzester Zeit das gesamte System des menschlichen Körpers. Ihr Einfluss erstreckt sich nicht nur auf rein organische Funktionen, es ist seit einer Weile nachgewiesen, dass sie auch einen erheblichen Einfluss auf die Persönlichkeit hat und zu erhöhter Aggressivität führt. Leider dringt es bei oraler Einnahme sehr schnell in den Blutkreislauf vor und die vom Körper getroffenen Gegenmaßnahmen können die auftretenden Reaktionen nur bedingt mildern. Diese Maßnahmen sorgen zeitgleich jedoch für eine gesteigerte Abhängigkeit. Denn das Gehirn reagiert sofort auf diese Droge und schüttet bei der Verteidigung Dopamin in rauen Mengen aus. Damit wird der Suchtfaktor um ein vielfaches verstärkt.“ Erklärte Seto in einem entspannten, ruhigen Ton.

 

Mit großen Augen betrachtete Joey den Becher und versuchte das Gehörte zu verarbeiten. „Du verarscht mich oder? Du hast da nicht wirklich so etwas Übles rein getan!“ Kam nun entsetzt von ihm und er starrte den Becher ungläubig an. Er brauchte einen Moment, um sich zu fassen. Die braunen Augen suchten das Gesicht des jungen Mannes und er wirkte bei dem dann folgenden Nicken entsetzt. „Was genau hast du da rein getan?“ Seine Stimme bekam einen kräftigen, beinahe lauten Ton. Er starrte Kaiba über den kleinen Tisch hinweg an und ballte die Hände zu Fäusten. Noch immer war er sich nicht sicher, ob er dem Mann glauben sollte. So absurd diese Aussage auch klang, so glaubwürdig brachte der andere es rüber.  Doch alles, was er bekam, war ein Lächeln. „Zucker! Die Droge, die ich in diesen Kakao getan habe, nennt sich Zucker!“

Für einen Moment war er überfordert. Völlig überfordert und er wusste nicht, was er sagen oder tun sollte. „Zucker?“ Kam langsam von ihm und das Lächeln wurde zu einem herablassenden Grinsen. „Ja, genau, Zucker ist eine der schlimmsten Drogen unserer Zeit. Sie macht uns abhängig und beeinflusst sogar unsere Persönlichkeit. Je mehr Zucker Menschen zu sich nehmen, desto aggressiver werden sie.“ Erklärte der Brünette leicht dahin und fügte noch hinzu. „Wenn wir Zucker zu uns nehmen, steigt der Blutzuckerspiegel und das Gehirn ordnet an, dass eine entsprechende Menge Insulin ausgeschüttet wird. Während der Insulinproduktion kommt es zu einer erhöhten Ausschüttung von Dopamin, ein Hormon, welches uns unteranderem entspannt und glücklich macht. Es ist der Gegenspieler zu Adrenalin, das dir jetzt wahrscheinlich durch die Adern fließt. Wenn wir zuckerhaltige Dinge wie Schokolade zu uns nehmen, schüttet der Körper damit indirekt auch unser Glückshormon Dopamin aus. Darum macht Schokolade so glücklich.“

 

Für einen Moment wusste Joey nicht, was er sagen sollte. „Du hast mich also nur verarscht?“ Fragte er unsicher und schien sich wieder zufassen. Der Gesichtsausdruck des Brünetten war offensichtlich, doch es mischte sich auch eine gewisse Verlegenheit auf die Wangen. „Mir fiel spontan nichts Besseres ein. Als ich dich da so sitzen sah, dachte ich mir, dass du dich über eine heiße Schokolade freuen würdest. Mir war kurz entfallen, dass ich dir gegenüber nicht mehr versuchen wollte, nett zu sein.“ Die sonst so kühle Stimme hatte einen verlegenen Ton und Joey starrte ihn ungläubig an. „Also, wolltest du doch nett zu mir sein?“ Fragte er nun streng und zurückhaltend blickte der 22-Jährige zu ihm. „Ja, eigentlich wollte ich nur nett zu dir sein. Du wirktest so, als könntest du etwas heiße Schokolade gebrauchen.“ Er wich dem Blick des Jüngeren aus und plötzlich musste Joey lachen. „Ok, das ist akzeptiert. In diesem Fall mache ich gerne eine Ausnahme, obwohl deine Ausrede echt mies war. In jeglicher Hinsicht.“ Ein erleichtertes Grinsen lag noch immer auf seinem Gesicht und nun musste auch der Firmenführer schmunzeln. „Vielleicht ist das so etwas wie ein Entschuldigungstässchen. Ich gestehe damit ein, eine ganze Menge dummer Fehler auf dieser Reise gemacht zu haben, aber…“ Er führte den Rest nicht aus. Joey legte die Stirn in Falten und schien kurz zu überlegen. Dann griff er nach dem Becher und nickte. „Gut, damit komme ich zurecht. Es gibt auch Dinge, von denen ich wünschte, dass sie nie passiert wären. Wie geht es deiner Nase?“

 

Kurz wich der verlegene Ausdruck einem deutlich unangenehmeren. „Sie tut noch immer weh. Es geht besser, aber du hast mir einen ordentlichen Schlag verpasst. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet.“ Kam unerwartet ehrlich von ihm. Doch die nächsten Worte waren noch irritierender. „Ich habe gesehen, wie leicht du jedem Angriff von Kamil ausgewichen bist. Du scheinst mir soweit ein guter Kämpfer zu sein. Ist Tala so viel besser als du?“

Nun war es der Blonde, der verlegen den Blick senkte. „Na ja, er ist…“ Doch so richtig mit der Sprache wollte er nicht heraus rücken. „Du bist mir ja auch deutlich überlegen. Ich habe keine Chance gegen dich.“ Murmelte er und starrte in die Sahne, die langsam einsackte. „Woher kannst du das eigentlich? Ich meine, als du mich von Kamil fern gehalten hast, wusstest du doch auch genau, was du machst.“ Murmelte er halblaut vor sich hin.

„Neben der strengen Erziehung meines Stiefvaters bestand er auch darauf, dass ich mich körperlich betätigen sollte. Ein gesunder Geist kann nur in einem gesunden Körper leben. Also ließ er mich zusätzlich auch noch Sport machen. Ich hatte zum Glück die Wahl und so kam ich damals zur Kampfsportart Judo. Ich praktiziere das jetzt seit ca. 10 Jahren. Daher sind deine Angriffe nicht sonderlich herausfordernd für mich.“ Gestand der Brünette und lächelte leicht, mit einer gewissen Spur des Spottes. Doch die honigbraunen Augen schauten ihn nur erstaunt an und dann wurde Joey nachdenklich. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich irgendeinen Termin in deinem Kalender gesehen habe, der dazu passen könnte. Machst du das noch immer?“ Wollte der 19-Jährige nun wissen und bemerkte, wie der Blick des anderen aus dem Fenster eilte.

Es dauerte einen Moment, bis er den Kopf schüttelte und meinte. „Nein, ich bin aktuell auch nicht aktiv. Es ging zwischen mir und meinem Sensei nicht sonderlich gut auseinander. Er…“ Es war seltsam, wenn der Firmenführer so stockte und doch schwieg Joey, beobachtete ihn weiter. „Judo wird auch als „der sanfte Weg“ bezeichnet. Es geht besonders darum, die Kraft des Angreifers umzulenken und ihn damit zu Fall zu bringen. Einige behaupten auch, dass Judo eine sehr höfliche Sportart ist.“ Für einen Moment schwieg Seto, als er das unterdrückte Grinsen auf dem Gesicht des Blonden bemerkte.

 

„Ja, falsch liegst du damit nicht. Höflichkeit ist nicht gerade meine Stärke und obwohl ich alle Techniken perfekt beherrsche, mangelt es mir laut meinem Sensei an den „wirklich wichtigen Eigenschaften“ eines Judoka, womit er mir verbot, die Prüfung zum 1. Dan, dem ersten schwarzen Gürtel abzulegen. Er sagte mir direkt ins Gesicht, dass er niemals zulassen würde, dass ich den Meistergrad erreiche, solange mein Herz die Wahrheit des Judos nicht verinnerlicht hätte. Damit setzte er mich vor dir Tür und verlangte, dass ich erst wieder käme, wenn ich seine Worte verstanden hätte und bereit wäre, sie umzusetzen.“ Ehrlichkeit war eigentlich nicht seine Stärke und schon gar nicht, wenn es darum ging, eine Schwäche zuzugeben. Er konnte sich noch daran erinnern, wie Paddy und Viktoria darauf reagiert hatten. So stellte er sich innerlich schon auf die Worte des Blonden ein.

„Ok, ich kenne mich damit jetzt Recht wenig aus. Was sind die „wirklich wichtigen Eigenschaften“ eines Judokas?“ Fragte Joey direkt und begann seine heiße Schokolade zu trinken. Seine Augen ließen dabei den 22-Jährigen nicht unbeachtete. „Nun, für mich ist es der Shiai, der Wettkampf mit den anderen. Es geht darum, immer besser zu werden, der stärkste im Ring zu sein und niemals zu unterliegen. Mein Sensei ziertet gerne den großen Meister Kanō Jigorō „Wichtig ist nicht, besser zu sein als alle anderen. Wichtig ist, besser zu sein als du gestern warst!“ Da liegt dann die Auseinandersetzung zwischen uns. Ich denke, dass ich damit beweisen kann, besser als gestern zu sein, wenn ich besser als mein Gegner bin. Mein Sensei sieht das nicht so.“ Seine Stimme hatte einen seltsamen Klang, ein wenig trotzig und nicht bereit, einen Fehler einzusehen.

 

Nachdenklich nahm Joey einen Schluck und nickte. „Wer ist dieser Kanō? Ist er jemand besonderes?“ Wollte er nun wissen und schleckte sich über die Oberlippe, auf der noch etwas Sahne war. Ein Lachen ließ ihn wieder zu dem Brünetten schauen. „Er ist der Begründer des Judos. Früher war Judo unter dem Namen Jiu-Jitsu bekannt und Meister Kanō entwickelte aus dem bekannten System ein neues, um neben der körperlichen Ausbildung auch die geistige in den Blick zu nehmen. Er wollte auch jungen Menschen diese Kampfkunstart nahelegen und so kam es zu seinem eigenen Stil. Er gilt auch als Begründer des Judos.“ Bei dieser Erklärung bekam Joey große Augen und nickte dann ganz langsam. „Dann lebt er wohl nicht mehr oder?“ Fragte er vorsichtig und Seto nickte. „1884 soll er seinen eigenen Kampfstil gegründet haben, den er Kōdōkan-Jūdō nannte. Er starb im Jahre… warte, das war irgendetwas in den 1930er Jahren.“ Der Brünette zog die Stirn in Falten, kam aber nicht auf die richtige Jahreszahl. „Ich weiß es wirklich nicht mehr genau, irgendetwas um die 1935 oder so. Ich kann es dir nicht genau sagen.“ Gab er schlussendlich unzufrieden von sich und nahm einen Schluck Tee aus seinem Becher. Joey zuckte nur mit den Schultern. „Ich hätte es in 5 Minuten sowieso wieder vergessen. Mach dir darüber keine Gedanken. Ist keine wichtige Information.“

Kurz warf Joey einen Blick in seinen Becher und fragte dann. „Deine Aussage eben klang ein wenig trotzig. Willst du denn überhaupt wieder zurück? Also, in deine Kampfschule?“

 

Wieder ging der Blick hinaus zum Fenster und ein Schweigen erfüllte die Luft. Es dauerte eine Weile, bis der Firmenführer einen weiteren Schluck nahm und Joey konnte beobachten, wie dieser mit sich rang. Er schien nicht einig, was er wollte oder was er antworten sollte. Erneut trank er aus dem Becher und langsam wandte sich das helle Gesicht wieder dem Gesprächspartner zu. „Es ärgert mich, dass ich so kurz vor dem Ziel nicht weiter komme und mein Stolz verbietet es mir, einfach ein anderes Dojo aufzusuchen. Trotzdem komme ich so nicht näher an mein Ziel. Ich bin der Meinung, dass er falsch liegt und kein Recht hat, mich nicht zu dieser Prüfung zuzulassen. Paddy hat mich schon damit aufgezogen, warum ich mich von einem alten Mann so abweisen lasse. Ich sollte derjenige sein, der ihm sagt, wo es lang geht.“

Stille. Joey konnte die aufbrausenden Gefühle deutlich hören, aber auch eine gewisse Verletzlichkeit. Er blickte auf den traurigen Rest Sahne, der noch auf der Schokolade schwamm. „Wenn du all das außen vorlässt, all deinen Ärger und deinen Sensei und all das…“ Er atmete tief durch. „Ok, dass klingt jetzt echt bescheuert, aber bitte hör mir erst bis zum Schluss zu, bevor du mir sagst, was für ein Idiot ich bin.“ Die weiche Stimme klang fest und überzeugt. Seto nickte ohne ein Wort des Widerspruchs. „Wir leben in einer sehr verrückten Welt. In einer Welt, in der es irgendwie Götter und Magie gibt oder auch nicht, wer weiß das schon. Dabei haben wir auch noch die Wahl, ob wir von unseren Shintō Göttern oder den ägyptischen sprechen.  Aber Bakura und Atemu sind jetzt hier und wir waren in einer digitalen Welt gefangen und so weiter und sofort. Ich glaube, dass der Geist eines verstorbenen Judomeisters irgendwie logisch ist und in diese Welt passt.“

Die rechte Augenbraue des Brünetten schob  sich in die Höhe, doch er sagte nichts. „So, wie ich das verstanden habe, weißt du selbst nicht, was du willst, weil einfach zu viel dabei ist, was gar nicht direkt dazugehört und irgendwie auch doch wieder. Daher war meine Überlegung, wenn du dir vorstellst, wieder in deinem Dojo zu sein und niemand außer dir da wäre, nun, und der verstorbene Geist dieses Kanōs. Ich meine, wenn er dich fragen würde: Was sehe ich als die wahren Werte eines Judokas an? Was würdest du ihm antworten?“

 

Stille. Es war eine unangenehme, lange Stille, die sich zwischen ihnen ausbreitete. Seto wusste, worauf der Blonde hinaus wollte, doch das lag außerhalb seiner Vorstellungskraft. Das war einfach eine völlig absurde Idee. Wie sollte er den bitte auf diese eingehen? Sein Blick schien ausreichend deutlich zu machen, dass er diesen Weg nicht gehen konnte. Doch noch immer schwieg Seto und mit einem Anflug seltsamer Bestimmtheit meinte Joey nun. „Ok, ich sehe schon, es ist ein wenig zu verrückt für dich. Trotzdem, ich meine, du scheinst selbst nicht zu wissen, was du willst und du siehst dich im Recht. Das kann ja angehen, ich kenne mich da nicht mit den Werten eines Judokas aus, aber ich habe ein wenig das Gefühl, dass du sie mir auch nicht erklären kannst, weil du sie nicht akzeptierst.“ Die Stille blieb und Seto blickte kurz aus dem Fenster, als wollte er einer Zustimmung entgehen. Widersprechen konnte er Joey nicht. „Also, du kannst mir nicht erklären, was die wahren Werte im Judo sind?“ Ein Schlucken war alles, was er als Antwort erhielt und so nickte er. „Ok, dann  machen wir es anders. Stell dir vor, wir sind wieder zurück in Domino, es ist Donnerstagabend und du entschließt dich, nach langer Zeit wieder die Kampfsportschule aufzusuchen. Wo liegen deine Sachen und wie kommst du da hin?“

 

Der Kampf war so offensichtlich, dass selbst ein Blinder ihn erkannte. Doch Joey schwieg. Er schwieg nach seinen Fragen so stoisch, dass er Seto keine andere Wahl ließ, als darüber nachzudenken. Die eisblauen Augen flüchteten ein weiteres Mal zum Fenster und ihr Blick fiel hinaus auf den blauen Himmel. „In meinem Kleiderschrank gibt es weit oben ein Regal, auf dem liegt mein Gi und darauf mein aktueller Kyu, der Ikkyū, also der braune Gürtel.“ Noch immer schwieg Joey und war erstaunt, dass sich Seto doch auf dieses kleine Experiment einließ. Allerdings hatte er ihm auch nicht so viele Möglichkeiten gelassen. „Dazu ein einfaches und ein kleines Handtuch, frische Wäsche, mehr brauche ich nicht. Das alles passt problemlos in meinen Rucksack und ich würde meine Kawasaki nutzen, um zum Dojo zu fahren.“

Vorsichtig nickte Joey und fragte dann beinahe leise. „Wie sieht er aus? Ich war noch nie in so einem Dojo.“ Seto musste lächeln und sein Ausdruck bekam etwas Sanftes. „Domino ist keine wirklich alte Stadt. Sie hat keine Jahrtausende alte Tradition, so wie viele andere Städte. Hier ist vieles sehr modern, weil viele der Gebäude nicht sehr alt sind. Wenn wir von alten Gebäuden reden, dann sind sie vielleicht 300 Jahre alt, wenn überhaupt. Aber die meisten sind moderne Hochhäuser und der Stadtkern ist höchstens 100 Jahre alt. Der Urgroßvater meines Senseis errichtete die Kampfschule „Shiroi hane“ – die weiße Feder. Sie ist die älteste hier in Domino und liegt etwas außerhalb der Stadt. Nun, mehr oder weniger.  Wenn man die Stadtgrenze überschreitet, kann man das auffällige Dach bereits sehen. Die Stadtgrenzen haben sich in den letzten Jahrzehnten erweitert und so ist die Stadt näher an das Dojo herangerückt. Das Gebäude selbst gleicht einem alten Shitō Schrein und so ist auch alles aufgebaut. Es gibt sogar ein Torii, um auf den Platz zu kommen.“

 

Vorsichtig lehnte sich Joey zurück und hörte dem nun richtig euphorischen Klang der erzählenden Stimme zu. Auch Seto schien sich zu entspannen und plötzlich schloss er die Augen, um sich besser zu erinnern. Er hob die Hand, und begann unbewusst zu gestikulieren. „Der ganze Platz ist von Bäumen umgeben und du musst zuerst vier oder fünf Treppenstufen hinauf, um durch das Torii zu kommen. Dann musst du noch einmal bestimmt 10 Stuffen hinauf gehen, um überhaupt auf die richtige Ebene zu kommen. Der Blick fällt dann direkt auf einen kleinen Shintō Schrein und ich weiß noch, dass es immer wieder Diskussionen gab, weil niemand nun genau sagen kann, ob es ein Schrein oder eine Kampfschule ist, weil wir keinen Priester haben. Sensei Furukawa meinte immer, dass die Übergänge fließend wären. Wer dem Judo sein Herz schenkt und nach den Regeln der Kampfkunst lebt, lebt auch nach den Regeln der Kami. Es ist nicht ganz leicht mit ihm. Ebenso wie seine Regeln. Jeder, der den Hof betritt, muss als erstes zum Schrein und dort beten. Seiner Meinung nach dient es dazu, den Stress des Tages abzulegen und sich nur auf sich selbst zu fokussieren… und natürlich die Götter.“ Er musste leicht lachen, als er das erzählte. Noch immer glaubte Seto nicht an diese Wesen, weder die einen, noch die anderen Götter.

„Danach liegt auf der rechten Seite ein großes, etwas verschachteltes Gebäude, welches sich in einer L-Form hinter den Schrein zieht. Dort lebt Sensei Furukawa mittlerweile allein. Seine Frau ist verstorben und sein Sohn ist vor einigen Jahren ausgezogen, um in Osaka mit seiner Freundin zu leben. Ich weiß nicht einmal, ob dieser Kerl noch immer mit ihr zusammen ist. Ich habe ihn damals gerne gezeigt, dass er offenbar die Talente seines Vaters nicht geerbt hat.“ Plötzlich wurde der Brünette still und schien über diese Aussage nachzudenken. Erinnerungen stiegen in ihm auf. Er konnte sich noch immer gut an den schlaksigen jungen Mann erinnern, der nie auch nur den Hauch einer Chance gegen ihn hatte, obwohl er über 5 Jahre älter war als er. Doch weiter sagte Seto nichts dazu.

 

Nun dauerte es wieder eine Weile, bis er weiter erzählte. „In diesem Gebäude befinden sich auch die Wirtschaftsräume, die Umkleiden und die Waschräume. Die Wohnräume des Meisters liegen im Gebäudeteil zwischen dem Dojo und den rechts befindlichen Umkleiden.“ Kurz öffnete er die Augen und nahm einen Schluck Tee. Er blickte wieder zu Joey und lächelte schwach. „Obwohl alles nicht sehr alt ist, wirkt der ganze Aufbau, als gäbe es ihn schon Ewigkeiten. Die Türen sind niedrig und die Umkleiden sehr einfach gehalten. An den Wänden gibt es offene Regale, die jeweils in kleine quadratische Fächer aufgeteilt sind. Nicht viel Platz für all die Sachen. Oft passen nicht einmal die Schuhe hinein und wir stellen sie unter die Bank. Sensei Furukawa meint immer, dass wir diesen Platz sinnbildlich für unser Leben sehen sollten. All unsere wichtigsten Dinge sollten in so ein kleines Fach passen, mehr braucht der Mensch nicht an Materiellem. Denn die Menschen, die uns wichtig sind, würden wir eh nicht hinein stopfen wollen.“ Kurz huschte ein breites Grinsen über Joeys Gesicht und er nickte, ohne noch etwas zu kommentieren.

„Bevor wir uns umziehen, sollen wir uns noch einmal reinigen. Eigentlich mit eiskaltem Wasser, aber viele tricksen da ein wenig. Das habe ich nie so ganz verstanden. Ich habe wenig Probleme mit dem kalten Wasser.“ Seto bemerkte die großen Augen und schmunzelte bei Joeys spontaner Frage. „Warum muss es denn kaltes Wasser sein?“ Der Firmenführer hatte einen leicht herablassenden Klang in der Stimme. „Oh, laut dem Sensei geht es darum, sich seiner selbst bewusster zu werden und sich auf seinen eigenen Körper zu besinnen. Es sollen aber auch Körper und Geist gereinigt werden, wie beim Misogi Ritual im Shintō Schrein.“ Der Blonde wirkte nicht überzeugt nickte aber. „Keine Sorge, es wird noch besser. Der Weg über den Platz am Schrein vorbei ist nicht überdacht. Das heißt, dass alle in ihrem Gi über den Platz laufen müssen, normalerweise barfuß. Egal, ob es regnet, schneit oder die Sonne scheint. Dabei gilt eine sehr wichtige zusätzliche Regel. Jeder, der den Schrein passiert, muss dort kurz anhalten, sich verbeugen und den Spruch sagen. „Ich bin dankbar dafür, dass ich bin.“ Jedes einzelne Mal, wenn man ihn passiert. Das heißt, selbst im stürmischen, kalten Regen muss man vor dem Schrein anhalten, sich verbeugen und diesen Spruch sagen. Bevor du fragst, der Sensei hat diese Regel damit erklärt, dass es unser eigenes Gefühl für uns stärkt, gleichzeitig aber auch die Angst vor dem Schmerz nimmt. Wenn dir der kalte Regen vertraut ist, kann er dich nicht mehr ängstigen. Außerdem macht er erfinderisch. Einige Jungen ziehen ihren Gi aus, rollen ihn zusammen, um nur in ihrer Unterhose hinüber zum Schrein zu laufen, sich dort zu verbeugen und dann weiter hinüber zum Dojo zu rennen. Wenn man es richtig anstellt, bleibt er fast vollständig trocken.“ Eine gewisse Belustigung lang in diesen Worten und er trank einen Schluck seines kälter werdenden Tees.

 

„Je nach Wetter stellt der Sensei warme Schüsseln mit Wasser in den Eingang und legt Handtücher aus, so dass die Füße gereinigt werden können. Im Grunde ist der eigentliche Dojo nur eine große, lange Halle, die einen Vorflur besitzt. Dort befindet sich der Eingang in das Gebäude und von dort kommt man in die Halle. Der Boden in der Halle ist mit Matten ausgelegt, die wie große Tatami Matten wirken, sind es aber nicht. In der Mitte gibt es zwei farbige Bereiche, die als Kampf- und Trainingsplatz dienen. Die Halle ist sehr hell, links und rechts sind im oberen Wandteil Fensterreihen und am Ende der Halle ist eine große, Tür, allerdings aus Glas. Das ist der Bruch mit der Tradition. Sie sieht aus wie eine alte, japanische Schiebetür und ist doch durchsichtig. Von hier aus kann man den Blick in den Tempelgarten sehen. Auch hier hat Sensei Furukawa wieder seine Regeln. Alle Schüler müssen zuerst an den Seiten entlang und nach hinten zur großen Tür. Egal bei welchem Wetter wird diese geöffnet und alle stellen sich in einer Reihe auf. Es folgt eine Verbeugung und ein Dank an die Natur, die uns so viel ermöglicht und uns so viel bietet.“ Nichts von alle dem hatte Joey groß kommentiert. Ein Punkt, der Seto gar nicht direkt auffiel, ihn aber in eine angenehmere Stimmung versetzte. Bei Viktoria und Patrick musste er immer alles rechtfertigen, selbst, wenn er nichts dafür konnte.

„Wie wirkt die Halle abends? Ich meine, wenn wir davon ausgehen, dass du morgen Abend ganz allein diese Halle betrittst.“ Fragte der 19-Jährige nun und für einen Moment schien sein Gegenüber zu grübeln. Er war sich anscheinend nicht sicher. Der Blick der eisblauen Augen wanderte aus dem Flugzeug und dann schloss er sie erneut. Seto versuchte sich zu erinnern. Es war oft sehr ruhig auf dem Gelände, denn die hohen Bäume schirmten den Lärm der Straße ab. In Gedanken schloss er die Tür der Umkleiden hinter sich und trat auf die kleine, hölzerne Veranda. Sein Blick wanderte über den Schrein und die Halle mit ihrem typisch dunklem Holz und den weißen Wänden. Auch das Dach hatte diese geschwungenen Enden und die weißen Dekorationen unter den Dachschindeln.

 

Es war ein seltsames Gefühl, wieder hier zu stehen und sich vorzustellen, dass sein Sensei nicht dort war. Er war allein. Ganz allein. Eine eigentlich absurde Vorstellung, aber das war ja die Idee oder? Vielleicht war der Sensei einfach bei seinem Sohn in Osaka. Das war eine Erklärung, die sein Verstand akzeptierte. In Gedanken trat er auf den kalten Stein des Weges und er konnte ihn regelrecht unter seinen nackten Füßen spüren. Wie oft war er jetzt schon diesen Weg gegangen? Er konnte es nicht sagen. Doch seine Ohren wurden erfüllt von dem Rauschen der Bäume und die Luft war so kalt, dass sein Atem gefror. Es war fast Mitte November und dort war es grundsätzlich kälter. Seine Schritte führten ihn hinüber zu dem kleinen Schrein, neben dem zwei Lampen standen, die mit Kerzen gefüllt waren. Sie gaben ein leichtes, warmes Licht von sich. Es gab keinen Kami, dem dieser Schrein gehörte. Eigentlich ein Unding. Noch ein Grund, warum einige in Domino gegen diesen Ort waren. In Gedanken verbeugte er sich zwei Mal, richtete sich wieder auf und klatschte in die Hände, ebenfalls zwei Mal genau auf Schulterhöhe. Er hörte seine Stimme diesen dummen Spruch aufsagen und doch achtete er darauf, dass er weit genug vom Schrein entfernt stand, um keinem Gott den Weg zu versperren. Ein Gedanke, der noch dümmer war, als der Spruch.

Der Wind streifte seinen schlanken Körper, trotz des dicken Baumwollstoffes spürte er die Kälte. So verbeugte er sich ein letztes Mal, tief, so wie es sich gehörte und wandte sich dann wieder der Halle zu. Er glaubte nicht an Götter, nicht an all diesen Schwachsinn. Dennoch wusste er genau, wie er sich in einem Schrein zu verhalten hatte. Mit dem rechten Fuß trat er zuerst auf die hölzerne Treppe, die hinauf in das Gebäude führte. Es lag etwas über dem Boden und so musste er drei Stufen überwinden. Dieser Moment, wenn die Füße vom kalten Boden auf das nicht ganz so kalte Holz gesetzt wurden. Etwas, dass er nie vergessen würde. Genauso, wie der Moment, wen die warme Luft aus der Tür strömte und einen ersten Hauch von Zuversicht bot.

 

Gedanklich ging er Schritt für Schritt durch. Er reinigte seine Füße, seine Hände und trat in die große Halle hinein. Das Licht war gedämpft und nur ein paar fest verankerte Lampen mit Kerzen erhellten den Raum. Das meiste war dunkel. Der Geruch eines Räucherstäbchens lag in der Luft, etwas Schweres, Kräftiges. Er schritt ungerührt an der Wand entlang und hinüber zur hinteren Tür. Auch im Garten waren überall Lampen, die ihr warmes Licht verströmten. Als er die Tür zur Seite schob, ergriff ihn wieder ein Schauer. Der kalte Wind drückte in den Raum hinein und ließ die Kerzen flackern. Ungerührt faltete er die Hände erneut, verbeugte sich und dankte im Stillen. Dann richtete er sich wieder auf und schloss die Tür. Sie war aus Glas und damit etwas Schwerer. Jedes Mal wieder überraschte ihn das Gewicht der Tür.

 

Was ihn dazu brachte, sich umzudrehen, konnte er nicht sagen. Ein Geräusch oder das Gefühl, nicht länger alleine zu sein. Wie sich ein Teil seines Verstandes dagegen wehrte, konnte er spüren und doch war er nicht fähig dem zu widerstehen. Dort saß er. Ein alter Mann mit einem kleinen Bart, großen, aber gepflegten Augenbrauen und ordentlich gekämmten Haaren. Er trug einen schwarzen Gi, der Gürtel war ebenso dunkel, wie der Stoff des Kampfanzuges. Ruhig und entspannt saß er dort, die Hände flach auf den Oberschenkeln liegend. Die dunkeln Augen blickten Seto an, wissend und bestimmend.

Wie angewurzelt blieb Seto stehen und wusste, was er hätte tun sollen. Es dauerte einen Augenblick, bis er sich wieder aus diesem Gefühl lösen konnte. Er trat an den Herrn heran und ging in eine tiefe Verbeugung. Als er sich wieder aufrichtete, deutete der Mann auf den Platz vor sich. Es war still und trotz der seltsam irrationalen Vorstellung, war jede Empfindung deutlich. Der Geruch des Räucherstäbchens, die Wärme des Bodens, das Flackern der Kerzen. Er konnte den Stoff auf seiner Haut spüren und den Druck auf seinen Knien, als sie sich auf den Boden niederließ.

 

Er wusste es, bevor er wieder zu dem Mann aufblickte. Es war eine seltsam klare Vorstellung, vielleicht, weil er ein altes Photo von ihm vor einigen Jahren gesehen hatte. Er kannte die Antwort und er war sich darüber im Klaren, dass er sie niemals erfüllen konnte. Er dachte an die Nacht, in der er über Joseph hergefallen war. Er dachte an etliche Situationen, Geschäftsverhandlungen, in denen er ohne Gnade die Schwächen der anderen ausgenutzt hatte. Er musste an Mokuba denken, die Art, wie er mit ihm umging, wie er ihn behandelte. Seine Gedanken drehten sich und immer mehr Momente wurden ihm bewusst, die ihn weiter von den „wahren Werten“ entfernten. Schuld packte ihn, eine Form von Angst. Ob er wollte oder nicht, aber eines begriff er in diesem Augenblick deutlich. Es ging nicht darum, dass er diese Werte nicht kannte. Es ging darum, dass er von vorne herein diese Werte niemals erfüllen konnte.

Sein kalter Blick versuchte etwas außerhalb des Fensters zu finden, dass ihn ablenken konnte. Das Bild des Dojos und alle dazu gehörigen Empfindungen versuchte er zu verdrängen. Sein Herz schlug schnell und der Atem war flach. Seine Hände zitterten, sodass er fester um den Becher griff. Er war kein guter Mensch. Das war ihm doch von Anfang an bewusst. Er hatte Joseph doch gesagt, dass er kein Herz mehr hatte. Aber warum nahm ihn das jetzt so mit? Es war so schwer für ihn, jetzt die Fassung zu behalten und dennoch konnte er sich nicht erklären, warum er so stark reagierte.

 

Leise war Joey aufgestanden und hatte sich auf einen anderen Platz verzogen. Er wollte Seto die Zeit geben, denn er hatte ihm deutlich angesehen, dass diese Frage ihn mitnahm. Was auch immer durch den Kopf des Brünetten ging, es hatte ihn berührt. So machte er es sich in einem der Sessel bequem und versuchte noch etwas zu lesen. Lange klappte das jedoch nicht, denn er bemerkte, wie die Müdigkeit immer größer wurde, bis ihm schließlich die Augen zufielen.

 

An die beiden Stopps konnte er sich nur bedingt erinnern und die meiste Strecke schlief er. Ob es Seto oder die nette Dame gewesen war, konnte er nicht sagen, aber jemand hatte ihm eine Decke übergelegt und das Buch auf dem Tisch platziert. Müde blickte er sich um, Seto war nicht zu sehen. Sein Blick auf die Uhr seines Handys zeigte ihm, dass sie nicht mehr lange unterwegs sein konnten. Die Uhr hatte sich schon angepasst und zeigte nun 7:52 Uhr japanischer Zeit an. Er ließ sich wieder in den Sessel zurück sinken und schloss noch einmal die Augen. Er lauschte auf die Stille im Flieger und…

… warf wieder einen Blick auf die Uhr. 8:17 Uhr? Wo war der Kerl denn? Seto war noch immer nicht wieder zurück. Müde stand er auf und faltete die Decke, die er dann auf den Sessel legte. War der Kerl noch immer auf der Toilette? Irritiert und besorgt machte er sich auf den Weg und klopfte an die Tür. „Hey, Seto, bist du hier?“ Fragte er plötzlich und wartete still. Es dauerte nicht lange und die Tür wurde geöffnet. Es war eine schlichte Schiebetür, die in der Wand verschwand. Der Anblick, der sich dahinter zeigte, ließ Joey große Augen bekommen. Seto drückte ein Handtuch unter die Nase, Blutstropfen befleckten das kleine, helle Waschbecken und auch sein Hemd. „Was ist denn bei dir passiert?“ Stieß der Blonde heraus und war schockiert.

Die feine, braune Augenbraue zog sich in die Höhe und Seto ließ das blutbeschmierte Handtuch sinken. „Wir fliegen und damit haben wir auch einen höheren Druck. Besonders beim Start und der letzte war ausreichend, um mir erneut Nasenbluten zu bescheren. Dein Schlag war wirklich übel.“ Kommentierte er und warf einen Blick auf den Stoff. Anscheinend hatte seine Nase endlich aufgehört. Auch eine Überprüfung im Spiegel schien ihm dieses zu bestätigen und Joey wirkte zerknirscht. „Schon gut, das war ein effektiver Konter und damit hätte ich rechnen können. Dich zu unterschätzen, war meine Schuld.“

 

Die Schuld war ihm dennoch anzusehen, er nickte allerding nur schweigend. Joey ließ den 22-Jährigen auf dessen Bitte hin wieder allein und dieser versuchte die Spuren zu beseitigen. Etwas später konnte der Blonde beobachten, wie Seto das weiße Hemd am Tisch auszog und es gegen einen dunklen Pullover tauschte. Nachdenklich musterte er dabei den schlanken, nackten Oberkörper des jungen Mannes. Sein Blick wanderte über die Kratzspuren am Rücken, die nun kaum noch zu sehen waren. Ob es ihm wirklich gefiel? Der Schmerz in seinen eigenen Handgelenken machte Joey deutlich, dass er dazu eine klare Position hatte. Ihm gefiel es nicht. Gar nicht. Absolut nicht. Noch immer waren diese dunkel, bekamen aber langsam einen bräunlichen Ton. Anscheinend begann es abzuklingen. Auch der Schmerz wurde weniger.

„Sag mal, wo hast du eigentlich deine Jacke? Immerhin wird es gleich ganz schön kalt in Domino werden.“ Seine Stimme riss Joey aus den Gedanken und erschrocken blickte er auf. „Was? Ich… scheiße, die ist noch im Koffer!“ Kam prompt von ihm und er sprang aus dem Sessel auf. Ein Schmunzeln lag auf Setos Lippen und er meinte. „Wenn du willst, kannst du meinen zweiten Pullover haben.“ Er deutete auf das dunkelblaue Kleidungsstück, welches noch neben ihm auf den Tisch lag. „Ich habe eben beide herausgenommen. Er könnte ein wenig zu groß sein, sollte aber gehen.“ Unerwartet war dieses Angebot und Joey nickte nur. „Klar, dass wäre echt nett.“ Langsam trat er an den Tisch heran und griff nach dem Pullover. „Ist das echt in Ordnung? Irgendwie habe ich das Gefühl, ständig deine Sachen zu schnorren.“

 

Die blauen Augen blickten ihn fragend an. „Bitte was?“ Kam von ihm und Joey grinste. „Schnorren, erschleichen, erbitten, mehr oder weniger aneignen im Sinne von klauen, aber nicht so richtig.“ Die Verständnislosigkeit wurde zu einer herablassenden Verachtung. „Ja, ich kann nicht leugnen, dass du meinen Kleiderschrank langsam besser kennst, als mein Bruder.“ Er beobachtete, wie Joey den Pullover überzog und hier und da noch etwas daran zuppelte. Die Ärmel waren ein Stück zu lang, doch das gefiel dem Blonden gut. Auf diese Weise konnte er seine Handgelenke besser verstecken und zufrieden schaute er zu dem Brünetten auf, der ein wenig größer war. „Dankeschön!“ Meinte er und ein euphorisches Strahlen breitete sich in seinem Gesicht aus.

Die Stewardess teilte ihnen mit, dass sie in wenigen Minuten zur Landung ansetzen würden und mit einem wieder flauen Gefühl im Magen schnallte sich Joey an. Gleich wären sie zurück im Alltag und alles Erlebte erschien dann wie ein seltsamer Traum. Angespannt wartete er ab, blickte aus dem Fenster und stellte fest, dass ihm der Schlaf gut getan hatte. Das Zittern unterdrückte er dieses Mal und mit geschlossenen Augen dankte er, als er das Aufsetzen der Maschine spürte. Sie waren wieder zurück. Es dauerte noch, bis der Jet seinen Platz gefunden hatte, die Stewardess die Türen geöffnet und alles bereit war. „Ich habe jetzt echt Hunger. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal etwas gegessen habe.“ Brummte der 19-Jährige und Seto scherzte. „Hast du nicht immer Hunger?“

 

Ein strenger, tadelnder Blick fiel auf den Brünetten, der hinter ihm stand. Joey hatte den Riemen seiner Umhängetasche locker über der Schulter und trat zum Ausgang des Fliegers. „Kein Kommentar dazu!“ Gab er an und bemerkte das Erstaunen des anderen. Dieser schien aber nicht über seine Worte, sondern etwas anderes verwundert zu sein. Etwas, dass er durch die offene Tür auf dem Rollfeld sehen konnte. Nun drehte sich auch Joey wieder zum Ausgang um und blinzelte. Dort stand eine Limousine, eine etwas größere, als er sie bisher gesehen hatte. Dafür fand er davor aber auch Serenity, Mokuba und Noah, Téa und Tristan, Yugi und Atemu, die ihn alle freudig angrinsten. „Hast du das gewusst?“ Fragte er leise und bekam ein ebenso geflüstertes. „Nein, ich dachte die eine Hälfte davon wäre in der Schule, die andere wäre auf der Arbeit und der nicht akzeptierte Rest davon käme mir nie wieder unter die Augen. Allerdings hatte ich Mokuba vorhin geschrieben, wann wir ankommen sollten. Anscheinend hat er das aber schon geplant.“

Kurz war er verwirrt und zog die Stirn in Falten. Der Rest? Was für ein Rest? Wenn es zwei Hälften gab, gab es keinen Rest oder? Nachdenklich schritt Joey zuerst die Treppe hinunter, gefolgt von dem Brünetten. Mokuba und Serenity schienen beinahe vor Freude zu platzen und sich kaum noch zurückzuhalten. Seine kleine Schwester lief schließlich voller Aufregung los und fiel ihm beinahe um den Hals. „Hallo Joey!“ Rief sie, offenbar hatte sie ihn sehr vermisst. „Wow, was für eine Begrüßung. Damit habe ich ja nun gar nicht gerechnet.“ Gab Joey von sich und Seto brummte fragend. „Was habt ihr denn hier alle verloren?“  

 

 

Ein emotionaler Tiefschlag

Kapitel 38

Ein emotionaler Tiefschlag
 

Mokuba grinste breit und sah seinen großen Bruder vielsagend an. „Nun, da du mir ja gesagt hast, wann ihr hier ankommt, habe ich mir gedacht, dass es doch lustig wäre, wenn wir euch vom Flughafen abholen.“ Er sah ihn aus seinen dunklen, blauen Augen an und musste breit grinsen. Er schien sich sehr darüber zu freuen, seinen großen Bruder hier zu sehen. Dieser hingegen blickte eher mürrisch zu dem 17-Jährigen und schien nicht begeistert von dieser Idee zu sein. Besonders in Anbetracht der Situation, dass nicht nur sein jüngerer Bruder Noah, sondern auch der gesamte Kindergarten um Yugi Moto hier anwesend war. Die Vorstellung sich mit diesen Personen wieder einmal beschäftigen zu müssen war etwas, das ihm sehr gegen den Strich ging. Betrachtete man dabei auch noch den Fakt, dass er gerade einen mehrere Stunden langen Flug hinter sich hatte, wurde diese Begegnung zu einer ganz besonderen Herausforderung.

Dieses schien auch Mokuba zu bemerken. „Ich kann dir deine Begeisterung schon ansehen und ich habe mir auch schon fast gedacht, das du nicht sonderlich erfreut sein wirst. Aber…“ Nun erschien auf dem Gesicht des jungen Mannes ein Ausdruck kindlicher Freude. „…vielleicht hilft es dir ja, wenn ich dir ausführlich erzähle, ja, wahrhaft in allen Farben beschreibe, dir sehr detailliert nahelege, wie sehr es mich über alle Maßen begeistern würde, wenn mein absoluter Lieblingsbruder, und ich habe ja mittlerweile 2, heute mit mir nach diesem unendlich anstrengenden Flug frühstücken gehen würde!“ Dabei setzte Mokuba zusätzlich zu dem kindlichen Ausdruck auch noch einen beinahe flehentlichen Blick auf.
 

Das war eine Aussage, die Seto nicht von seinem Bruder gewöhnt war. So hob er leicht misstrauisch die rechte Augenbraue und zögerte für einen Moment. Er stellte sich die Frage, ob sein Bruder mit diesem Verhalten wirklich glaubte, ihn von einem solchen Essen überzeugen zu können. Immerhin war es eine Art, die Mokuba ihm gegenüber bisher noch nie verwendet hatte. Außerdem kamen dazu, dass der 17-Jährige bei weitem zu alt war, um das bestechende Verhalten eines kleinen Kindes auszunutzen. So kam auch eine gewisse Irritation dazu, die ihn einen weiteren Blick in die Runde werfen ließ. Das Gespräch im Flugzeug und die lange Zeit der Reise hatten ihn müde gemacht, sowie für einige muskuläre Verspannungen gesorgt. Daher erschien eine längerfristige Auseinandersetzung mit dem von ihm als Kindergarten bezeichneten Pack als nicht näher erstrebenswert. Dennoch konnte er nicht umhin, eine gewisse Wirkung zu verspüren. Egal, wie sehr er sich auch einredete, dass dieses Verhalten untypisch und überzogen war, so verspürte er doch eine gewisse Freude darüber, dass sein jüngerer Bruder ihn auf diese Weise zu überzeugen versuchte. Es war eine schöne Abwechslung zu all den Auseinandersetzungen und Streitereien die sie bisher ausgefochten hatten. Vielleicht war es ja auch etwas, über das er sich einfach nur freuen konnte. Nicht immer war es notwendig, die eigenen Bedürfnisse harsch durchzusetzen.

Es war ein Räuspern, welches von seiner rechten Seite an sein Ohr drang und ihn zu einer neuen Reaktion heraufbeschwor. Ein weiteres Mal blickte er zu Joey, der ein breites Grinsen aufgesetzt hatte. „Ach komm schon, es ist ja nicht so, dass du jetzt noch unendlich viel zu tun hättest. Außerdem ist das letzte Essen mit dir, meiner Schwester, deinem Bruder und mir ziemlich gut ausgegangen. Stell dir doch einfach vor, wir würden dieses Essen erweitern. Ein wenig so, als wären jetzt auch all die Verwandten dabei, die man gar nicht so gerne hat.“ Den letzten Teil des Satzes hatte der Blonde etwas leiser gesprochen. Sein Grinsen war dabei jedoch noch breiter und ein wenig frecher geworden. Die braunen Augen funkelten, er schien von einer besonderen Art der Begeisterung erfasst worden zu sein.
 

Unerwartet musste sich nun der Brünette räuspern. Es erschien Joey beinahe so, als sehe er einen leichten Hauch Verlegenheit im Gesicht des anderen. „Nun ich sehe schon, dass ich nicht viele Möglichkeiten habe. So ein Essen kann ja nicht so schlimm sein.“ Diese Aussage war etwas, das Joey zum Schmunzeln brachte. Ein Essen konnte doch nicht so schlimm sein? Immerhin handelte es sich hier um eine Gruppe, bei der man nie genau wusste, was am Ende alles geschah. Mittlerweile war er nicht einmal mehr sicher, ob sie wirklich den Weg bis zum Restaurant schaffen würde. Immerhin kam ständig irgendetwas dazwischen. Allerdings war es unwahrscheinlich, dass hier eine große Katastrophe eintreffen würde. Diese kleine Überraschung war jedoch etwas, dass Joey besonders freute. Er konnte nicht genau sagen, wann er das letzte Mal mit seinen alten Freunden gemeinsam etwas unternommen hatte. Denn mittlerweile war immer einer von ihnen irgendwie anders beschäftigt. So war es ein wenig als würden sie die alten Schulzeiten neu aufleben lassen.

Alte Schulzeiten wieder aufleben zu lassen war auch das, was Seto durch den Kopf ging. Bei ihm war es jedoch eher ein Hauch von Unmut, der bei diesem Gedanken aufstieg. Sein etwas distanzierter Blick ruhte auf den Blonden. Innerlich war er sich nicht sicher, ob seine Entscheidung die richtige gewesen war. Doch jetzt hatte er schon zugestimmt, indem er die Behauptung aufstellte, dass ein solches Essen gar nicht so schlimm sein konnte. Jetzt war ein Rückzieher unmöglich. „Manchmal frage ich mich wirklich, wie alt du eigentlich bist, Joseph.“ Neckte ihn der Firmenführer und beobachtete voller Zufriedenheit den wechselnden Ausdruck im Gesicht des jungen Mannes.
 

„Könnt ihr das vielleicht im Wagen klären? Wir müssen langsam das Feld räumen.“ Kam in einem belustigten Ton von Noah, der sich anscheinend über diese Auseinandersetzung amüsiert. Nur kurz trafen sich die Blicke der beiden Brüder und Roland gab von sich. „Die Koffer sind schon verladen.“

Während sie alle in die große Limousine einstiegen, wechselten Mokuba und Noah einen vielsagenden Blick. Den beiden war selbstverständlich aufgefallen, dass Seto den Blonden mit seinem Vornamen angesprochen hatte. Auch die Art und Weise, wie Joey mit dem brünetten Firmenführer gesprochen hatte, ließ darauf schließen, dass die beiden sich nun deutlich besser verstanden. Das Lächeln auf Yugis Gesicht machte deutlich, dass auch ihm diese Veränderung aufgefallen war. Nachdenklich stellte Mokuba fest, dass Joey offensichtlich auf sehr viele in seinem Umfeld einen sehr guten Einfluss hatte. Seit der Auseinandersetzung mit Joey und Noah war das Verhältnis zu dessen kleineren Bruder, also ihm selbst, deutlich besser geworden. Noah ließ seine dämlichen kleinen Spiele, die Mokuba regelmäßig zur Verzweiflung getrieben hatten. Er freute sich unglaublich darüber, dass er und seine beiden Brüder langsam eine richtige kleine Familie wurden. Und auch sein großer Bruder Seto schien langsam immer mehr Gefühle zuzulassen, die er so lange vermisst hatte. Die kalte, distanzierte Seite, die in den letzten Jahren beinahe zum Normalzustand geworden war, bröckeln, um den eigentlichen charmanten jungen Mann wieder zu zeigen. Mokuba wusste ganz genau, dass sein großer Bruder sehr liebevolle Seiten hatte. Hin und wieder erinnerte er sich gerne daran, wie die beiden Brüder in Kindertagen miteinander gespielt hatten. Immerhin war es Seto gewesen, der nach dem Tod ihrer Eltern für Mokuba der wichtigste Mensch im Leben geworden war. Zu der Zeit hatte Seto auch ein solches Verhältnis zu seinem kleinen Bruder gehabt, das von Wärme und Liebe geprägt war.
 

Als sie alle im Wagen saßen, schmiegte sich Serenity an ihren Bruder, der sanft einen Arm um sie legte. „Es freut mich total, dass ihr beide die Reise gut überstanden habt. Oder wie soll ich es deuten, dass ihr zwei beim Vornamen angekommen seid?“ Fragte sie begeistert und Joey musste automatisch zu dem Brünetten sehen. Auch die blauen Augen sahen ihn intensiv an. Den beiden jungen Männern war klar, dass die Antwort eigentlich „nein“ heißen müsste. Es waren eher die negativen, gemeinsamen Erlebnisse, die sie miteinander verbanden.

Wäre Seto ehrlich mit sich, würde er in keinem Fall behaupten, dass er die Reise gut überstanden hätte. Ja, es ging ihm sogar schlechter als je zuvor. Er hatte das Gefühl, sich in einem moralischen Dilemma zu befinden. Doch von all dem wollte er der jungen Frau garantiert nichts sagen. Es ging sie rein gar nichts an und er hatte nicht das Gefühl, dass Joey irgendetwas darüber sagen wollte. Dieses Geschehniss würden ein Geheimnis bleiben und doch mussten sie etwas antworten. Das eingetretene Schweigen machte allen Anwesenden deutlich, dass es nicht so einfach gewesen war. Irgendetwas musste vorgefallen sein. „Nun ja, „gut“ ist eine Frage der Perspektive. Die Kopfschmerzen und die Übelkeit nach dem Abend waren ziemlich unangenehm.“ Gab Seto nun zögerlich von sich.

Erstaunt registrierte Mokuba diesen Ton und zog die Augenbrauen zusammen. Auch die anderen konnten nicht umhin, die ungewöhnliche Zurückhaltung in dieser Aussage zu hören. Es war offensichtlich, dass er diese Aussage nicht einfach so stehenlassen konnte. Mit einem Seufzen, ebenso untypisch für den 22-jährigen jungen Mann, begann er eine genauere Erklärung der Situation. „Ich habe mich in Dubai mit einem alten Freund getroffen. Einem sehr guten Freund. Er ist deswegen ein so überragend guter Freund, weil wir sehr viele gute Interessen teilen. Interessen wie ein annehmliches Vergnügen an einem höheren Konsum feiner, kostspieliger Spirituosen.“ Er ließ eine vielsagende Pause entstehen, blickte einmal in die Runde und sprach dann weiter. „Kamil und ich haben uns schon eine Ewigkeit lang nicht mehr gesehen, darum war der erste Abend an dem wir uns Wiedergesehen haben, welches auch unser erster Abend in Dubai gewesen ist, ein äußerst fröhlicher.“
 

Das Lächeln auf seinen Lippen bekam einen gewissen spitzbübischen Ausdruck. Die eiskalten, blauen Augen funkelten in einer leicht frechen Art und Weise. „Man könnte diesen fröhlichen Abend auch ohne Schwierigkeiten einen feuchtfröhlichen Abend nennen.“ Sein Blick ging hinüber zu Joey, der sein Gesicht verzogen und nur schwer ein Lachen unterdrücken konnte. „Du meinst wohl eher, dass ihr zwei euch wirklich bis zum Rand abgefüllt habt. Davon abgesehen, dass ihr offenbar auch noch ein großes Interesse an allerhand Frauen hattet. Ich komme ja schon fast in die Verlegenheit, zu sagen, dass ihr zwei euch wie Teenager verhalten habt. Ich will gar nicht wissen, wieviel ihr an diesem Abend hätte bezahlen müssen.“ Das Grinsen auf seinem Gesicht hatte etwas Entsetztes, gleichzeitig aber auch etwas Belustigtes. „Oh warte, das kann ich dir direkt sagen.“ Seto rutschte auf dem Sitz etwas nach vorne, griff mit der Hand nach hinten, um das Portemonnaie herauszuziehen. „Immerhin habe ich alles Entsprechende auf das Zimmer schreiben lassen. Ich habe es ja am nächsten Tag direkt bezahlt. Es waren… warte, gleich hab ich‘s …“ Schnell hatte er den schwarzen, ledernen Geldbeutel in der Hand.

Abwehrend hob Joey die Hände und rief aus. „Oh nein, nein, nein!“ Er war sich nicht sicher, ob er wirklich wissen wollte, wie hoch der Preis an diesem Abend gewesen war. Noah hatte dafür ein recht großes Interesse daran, denn dieser sah ihn auffordernd an. „So, so, ihr habt also den ersten Abend getrunken und ge …“ Das nächste Wort wollte er nicht aussprechen, weil sie nicht alleine im Auto waren. Kurz huschte der Blick zu Serenity hinüber. Diese hob nur die Augenbrauen und verschränkte die Arme, so gut sie das in der Umarmung ihres Bruders konnte. „Oh, wegen mir brauchst du dich nicht zurückhalten. Ich weiß sehr genau was die Kerle angestellt haben!“
 

Nun lief Joey knallrot an. Eigentlich hatte Serenity Recht, denn die beiden hatten an diesem Abend Sex. Nun, zumindest hatte einer der beiden entsprechenden jungen Männer dieses gehabt. Betrachtete man die Situation genau, war die Überlegung, dass beide Männer an diesem Abend Sex hatten, gar nicht falsch. Es war eher die Definition „die beiden Männer“, die hier fragwürdig erschien. Téa grinste breit und meinte in einem spitzen, bösen Ton. „Meine Güte, man könnte ja glauben, dass du in deinem ganzen Leben noch keinen Sex hattest, Joey.“ Nun wurde der Angesprochene erst recht dunkel im Gesicht. Die braunen Augen starrten die junge Frau entsetzt an, die Wangen hatten einen so kräftig dunklen Ton, dass es unnatürlich und ungesund aussah.

Jedoch konnte er zum allerersten Mal in seinem Leben antworten. „Doch! Doch, natürlich hatte ich schon Sex in meinem Leben!“ Diese Aussage schien ihn jedoch ebenso zu entsetzen, wie der Vorwurf, dass er noch nie dergleichen in seinem Leben getan hatte. „Ach, so ist das also und ich dachte immer, dass du noch Jungfrau wärst!“ Sie hatte dieses dreckige, dreiste Grinsen im Gesicht, für welches er sie schon seit vielen Jahren hasste. Sie schaffte es auf unnachahmliche Art und Weise jeden in ihrer Umgebung bis aufs Blut zu demütigen. Wenn er es genau betrachtete, waren ihre Bemerkungen nicht weniger boshaft, als die von Seto. Es war jedoch seine kleine Schwester, die diese Situation noch einmal verschlimmerte. „So, so, du hattest also schon einmal Sex? Komm, raus mit der Sprache, wann, wo und mit wem!“
 

Es war Seto, der ihm zu Hilfe eilte. „Nach einem so langen Flug habe ich wirklich nicht die Nerven dazu, das Liebesleben anderer auseinanderzunehmen. Davon abgesehen, dass ich von diesem Gelage am ersten Tag noch immer Kopfschmerzen habe.“ Das war nicht ganz korrekt, aber so dramatisch empfand er das nicht. Kopfschmerzen hatte er schon, aber in erster Linie von zu wenig Schlaf und zu vielen Dingen, die ihm durch den Kopf gingen. Es war eher ein Fall geistiger Problematik, weniger einer der körperlichen Erschöpfung. Das moralische Desaster, in dem er sich befand, machte ihm noch immer zu schaffen. „Ach so, aber deine Eskapaden dürfen wir uns anhören?“ Fragte Noah etwas Spitzbübisch und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Nun, ihr habt mich danach gefragt.“ Gab er in einem trockenen, leicht belustigten Ton von sich.

„Ok, ist ja schon gut. Wir haben es verstanden.“ Sagte Téa leicht beschwichtigend. Dann fiel ihr Blick jedoch auf Joey und sie fragte etwas zurückhaltender, dennoch aber interessiert. „Jetzt würde mich allerdings immer noch interessieren, wieso du so rot angelaufen bist, wenn er zu viel getrunken hat.“ Ihr Blick war direkt auf den Blonden gerichtet, als glaubte sie, ihn alleine damit zur Wahrheit bewegen zu können. „Na ja, es ist so, also, wie kann ich das am besten erklären?“ Joey wusste, dass er ein wenig stotterte. Das brachte ihn nicht unbedingt in eine bessere Lage, aber er hatte sich ja noch keine Ausrede für das überlegt, was wirklich geschehen war. Wieder war es der Brünette, der ihm aus dieser Situation half. „Nun, da Joseph im Vergleich zu mir keinen Alkohol trinkt, ist er an diesem Abend nüchtern geblieben. Er war auch derjenige, der mich und Kamil aus der Bar geschleift hat, leider ohne die hübschen Damen, die bis zu dem Zeitpunkt noch bei uns gewesen sind. Rot wird der deswegen, weil das, was ich gesagt und vielleicht auch angedacht hatte, nicht unbedingt für alle Ohren bestimmt war. Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass jemand wie ich absolut nicht davon überzeugt ist… sagen wir eher, dass ich wirklich sauer darüber war, dass er mich aus dieser Situation heraus gezerrt hat, wie ein kleiner Junge.“

Nun war es Yugi, der erstaunt fragte. „Wie? Du hast ihn aus einer Bar gezerrt?“ Mit einem seltsamen anerkennenden Ausdruck im Gesicht verbesserte Seto den jungen Mann. „Nein, er hat mich und Kamil aus dieser Bar gezerrt und um ehrlich zu sein, bin ich ihm dafür sogar dankbar.“ Nun konnte er die Fassungslosigkeit, die sich im Wagen ausbreitete, regelrecht spüren. „Kannst du das nochmal sagen?“ Kam nun noch begeisterter von Yugi. „Hätte er uns nicht aus dieser Bar herausgeholt, hätte ich garantiert am nächsten Tag verschlafen und wäre so dermaßen verkatert gewesen, dass ich nicht einmal in der Lage gewesen wäre, mir eine vernünftige Ausrede auszudenken.“ Nun waren alle Blicke auf den Blonden gerichtet. Es war Tristan, der frozelte. „Ich kann mir das immer noch nicht vorstellen.“
 

Auf dem restlichen Weg unterhielten sie sich darüber, was alles in Dubai geschehen war. Es wurde von dem riesigen Hotel und dem wunderbaren, blauen Meer erzählt. Obwohl Joey von seinem Zimmer, durch die dort geschehenen Ereignisse, nicht ganz so viel hielt, erzählte er doch voller Begeisterung von der Einrichtung. Außerdem musste er gestehen, dass die Matratze einfach himmlisch gut gewesen war. Also, abzüglich all der Herausforderungen, die diese Nacht wirklich miserabel gemacht hatten.

Danach berichtete Joey von Kamils Haus, welches unglaublich gewaltig, riesig und farbenfroh war. In jeder Ecke hat er etwas entdecken können und etwas Neues lernen dürfen. Joeys Augen begannen zu leuchten, als er von dieser wunderschönen, exotischen Frau berichtete. Er beschrieb Djamilas Lachen mit Hunderten unterschiedlichen Begriffen. Es wirkte beinahe so, als wäre er in diese Frau verliebt. Selbst als sie längst im Bistro angekommen waren, ihre Plätze am großen Tisch eingenommen hatten, konnte er nicht aufhören von ihr zu erzählen.

Es war eines dieser Geschäfte, die es noch nicht sehr lange in Domino gab. Es war ein moderner, großer, lichtdurchfluteter Laden, mit vielen kleinen und großen Tischen. Wären nicht in allen Ecken japanischen Dekorationen zu finden gewesen, hätte dieses Restaurant auch ein amerikanisches sein können. Doch die großen Bilder von Reisfeldern und weiten Seen, ebenso wie die vielen typisch japanischen Pflanzen in den Ecken verwandelten die Atmosphäre in eine andere. Man hatte ihnen den Tisch schon einladend gedeckt und überall waren Teller und Schüsseln zu finden. Es gab die Wahl zwischen dem normalen Besteck oder dem typischen Stäbchen, die man sonst überall fand.
 

Seto war noch nie in diesem Laden gewesen und es war auch keiner, den er sonst freiwillig betreten hätte. Trotz der modernen, leichten Atmosphäre, die es hier gab, fühlte er sich nicht sonderlich wohl. Es war eher so, dass er sich beobachtet, ja, regelrecht wie auf dem Präsentierteller empfand. Keine kleinen, versteckten Nischen, in denen er einfach unterging. Er liebte seine Privatsphäre, die er bisher immer ganz wunderbar schützen konnte. Natürlich gab es das ein oder andere Gerücht über ihn und auch die Geschichte mit der wunderhübschen, englischen Dame, war in den Medien hin und wieder Thema. Aber das waren einfach Dinge, mit denen er leben konnte. Jetzt hier mit all den anderen zu sitzen und irgendwie ungeschützt zu sein, gefiel ihm gar nicht. Außerdem war noch immer diese bohrenden, fragenden Gedanken da, was denn nun die Antwort auf Joeys Frage war. Es war dieses moralische Dilemma, welches er hier und jetzt nicht klären konnte. Trotzdem, das alles machte die Situation nur noch unangenehmer. Joey berichtete nebenher voller Begeisterung von Djamila, von ihrem Lachen, von ihren Ideen, von ihren Büchern, von ihren Englischkenntnissen…

Eigentlich mochte er sie, aber so ganz langsam hatte er das Bedürfnis, dieser Frau den Hals umzudrehen. Oder aber Joey. Wie konnte der Kerl ihn erst in ein solches Drama verwickeln und dann voller Seelenruhe von dieser Frau erzählen? Nicht nur dass, er schwärmte ja regelrecht von ihr! Als gäbe es nur noch sie!

Trotz der üppigen Auswahl an unterschiedlichen Speisen, bei der wirklich jeder etwas Passendes finden konnte, hielt sich sein Hunger in Grenzen. Er hatte grundsätzlich selten Hunger am Morgen, das hier war ja irgendwie ein Morgen für ihn. Aber jetzt gerade hatte er ganz besonders wenig Hunger. Wäre er ehrlich zu sich, müsste er feststellen, dass sein Verhalten eher dem eines kleinen trotzigen Kindes glich. Jedoch würde das wiederum bedeuten, dass er in diesem Augenblick auch den Abstand zu sich selbst besäße, um eine solche Reflexion durchzuführen. So stocherte er etwas in dem Reis herum, trank einen schwarzen Kaffee und versuchte so zu tun, als würde er von alldem doch ein bisschen was essen. Er schenkte hin und wieder ein Lächeln, wenn man ihn offensichtlich ansah und warf hin und wieder das ein oder andere Wort in den Raum.
 

Wenn er direkt gefragt wurde, versuchte er dieses auf Joey abzuwälzen. Eigentlich fühlte er sich in diesem Moment vollkommen fehl am Platz. Er wusste nicht, ob es hilfreich war, dass Joey eine solch unglaublich große Präsenz einnahm. Immerhin lag die Vermutung nahe, dass gerade diese Art des jungen Mannes dafür sorgte, dass er sich so unglaublich unwohl fühlt. Gleichzeitig gab es dutzende Fragen die ihm durch den Kopf schwirrten, von denen er keine Ahnung hatte, warum sie da waren. Es waren Zweifel. Ja, Seto Kaiba zweifelte an sich. Und all das hatte nur dieser verdammte, elende Mistkerl zu verantworten, der ihn ernsthaft nach den wahren Werten eines Judoka gefragt hatte. Wie konnte der Kerl überhaupt auf die Idee kommen, eine so moralisch verwerfliche Frage zum Stellen. Danach schaffte er es dann auch noch, die ganze Sache zu verschlimmern. Die Idee, den toten Geist eines längst verstorbenen Judomeisters zu befragen, war wirklich das Bekloppteste, dass er jemals gehört hatte. Nun, abgesehen von der Tatsache, dass Sato Kaiba persönlich Zweifel hatte.

Ja, er hatte wirklich Zweifel. Zweifel darüber, ob er überhaupt in der Lage war, das was man unter den wahren Werten verstand, wirklich zu leben. Wenn er bedachte, was Joey nebenher alles verschwieg, wenn es um ihren Aufenthalt in Dubai ging, war das ausreichend, um nicht als guter Mensch bezeichnet zu werden. Er hatte keinen Mord begangen, aber so langsam dämmerte auch ihm, dass er vieles in seinem Leben getan hatte, das mehr als fragwürdig war. Stets bemühte er sich, immer in einem Rahmen zu bleiben, der noch im grauen Bereich zu finden war. Nichtsdestotrotz war dieser Graubereich ein Bereich, der mehr als fragwürdig sein konnte, wenn man ihn richtig betrachtete. Immerhin hatte er sehr viel getan, nur damit er seine Ziele erreichte. Über all das hatte er sich niemals Gedanken gemacht, weil die Menschen mit denen er sich umgab, die gleichen Methoden anwendeten wie er. Betrachtete er Patrick oder Victoria waren deren Methoden sogar weitaus schlimmer.

Er konnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob die beiden nicht schon ganz willentlich einen Mord mit ihren eigenen Händen begangen hatten. Bisher war das nicht einmal etwas, das ihn besonders gestört hätte. Sicher würde es eine Erklärung dafür geben, dass sie zu dieser sehr drastischen Maßnahme gegriffen hätten. Besonders Patrick war jemand, der ganz extrem analytisch vorging. Wenn jemand wie er jemand anderen umbrachte, musste er schon einen sehr guten Grund dafür haben. Denn ein Mann wie Patrick würde auf jeden Fall das immens hohe Risiko dabei berücksichtigen.
 

Wenn er jetzt so darüber nachdachte, erschien ihm diese Überlegung vollkommen abwegig. Gab es wirklich eine Zeit in seinem Leben, in der er einen Mord in irgendeiner Art und Weise für normal gehalten hatte? Urplötzlich stand er auf, warf einen letzten Blick in die Runde und sagte. „Ich bin gleich wieder da.“ Die irritierenden Blicke, die sie ihm zuwarfen, bemerkte er nicht. Es war ihm auch ein Stück weit egal, denn das, was ihn jetzt beschäftigte, war weitaus schwerwiegender. Es erschien ihm beinahe wie eine Fluchtmöglichkeit, als er in diesem Moment mit schnellen Schritten aus dem Restaurant hinaus eilte. Ein seltsames Gefühl, eine Mischung aus Scham, Zweifel, Schuld und irgendwo auch Angst machte sich in seinem Herzen und seiner Seele breit. Jetzt gerade war er nicht in der Lage, die Anwesenheit von jemandem wie Yugi Moto zu ertragen. Wenn es jemanden gab, den er als rein und unschuldig betrachtete, dann war es dieser junge Mann. Außerdem befand sich an dem Tisch noch immer sein Bruder, sein kleiner Bruder. Die Tatsache, dass er in dessen Anwesenheit darüber nachgedacht hatte, einen Mord zu rechtfertigen, macht ihn fertig.

Nur flüchtig war sein Blick über die Straße gefahren, dann hatte er sich die nächste Seitenstraße gesucht und war in dieser verschwunden. Menschen an sich erschienen ihm nun vollkommen unerträglich. Immer weiter zog er sich zurück, bis er eine Stelle gefunden hatte, die dunkel und kühl war. Müde lehnte er sich an die Wand, spürte den kalten Stein in seinem Rücken und dachte über seine eigenen Gedankengänge nach. Was für ein Mensch war er? War er nicht schon längst wie sein verhasster Stiefvater? Obwohl er nur das Rauschen, das Brummen der weit entfernten Straße hören konnte, klang in diesem Augenblick das Schluchzen von Joseph in seinen Ohren. Ja, er war betrunken gewesen, aber das war doch keine Ausrede! Er konnte doch nicht hingehen und allen Ernstes behaupten, dass er durch den Alkohol zu so etwas verführt wurde. Wo war der stolze, selbstverliebte Mann geblieben, der sich von niemandem etwas diktieren ließ? Hatte er nicht immer behauptet, dass ein Mann wie er stets nach seinen eigenen Vorstellungen handelte? Seto schloss die Augen. Er fühlte sich unendlich müde. Er fühlte sich unendlich unsicher. Sein eigenes Handeln hatte ihn in eine Situation gebracht, in der er seine eigene Moral reflektieren musste und was er fand, stellte ihn vor Probleme. Er wusste überhaupt nicht, was er eigentlich fühlen sollte.
 

„Hey, hier bist du.“ Es war Joey, der plötzlich vor ihm stand. Die braunen Augen sahen ihn besorgt an. „Dir ist schon klar, dass ich mir Sorgen um dich mache?“ Er trat näher, zögerlich und etwas unsicher. Anscheinend war auch ihm der seltsame Ausdruck im Gesicht des Brünetten aufgefallen. Jetzt wusste er nicht, wie er damit umgehen sollte. „Du machst dir Sorgen um mich? Das ist das absurdeste, das ich heute gehört habe und du hast mir heute den Vorschlag gemacht, mir den toten Geist eines Meisters vorzustellen.“ Für einen Moment herrschte Schweigen. Er konnte genau sehe, dass diese Worte Joey getroffen hatten. Warum er den Mann von sich stoßen wollte, wusste er nicht. Vielleicht war es der Gedanke, dass er es heute nicht ertrug, wenn der andre ihm erzählte, dass alles in Ordnung wär. Vielleicht war es auch der Gedanke, dass er diesen jungen Mann schon einmal verletzt hatte und es wahrscheinlich noch einmal tun würde.

„Sehr gut, dann sind wir beide einer Meinung. Das verrückteste, das mir heute wiederfahren ist, ist die Tatsache, dass ein 22 Jahre alter Mann, dem ein riesiges, gewaltiges Unternehmen gehört, wie ein verletztes, kleines Kätzchen davongelaufen ist. Ich denke, dann ist das vollkommen in Ordnung, dass ich mir Sorgen um dich mache.“ Die honigbraunen Augen sahen ihn eindringlich an und es war sehr deutlich, dass Joey nicht wieder gehen würde. Die kalte Novemberluft ließ eine Gänsehaut auf seinen Armen entstehen. Ein Frösteln zog durch seinen Körper. Die eisblauen Augen schlossen sich erneut. „Ich bin einfach nur müde, wirklich hundemüde. Was denkst du denn von mir, dass ausgerechnet jemand wie ich davonläuft?“ Ein schwermütiges Seufzen war von Seto zu hören, auf welches ein Räusper von Joseph folgte. „Nein, natürlich würde ich so etwas niemals glauben. Wahrscheinlich mache ich mir deswegen so große Sorgen um dich. Ich weiß, das sollte ich nicht, denn du wirst wahrscheinlich wieder hingehen und dir irgendeinen Scheiß ausdenken, nur um dich dafür zu bedanken, dass ich mich wieder einmal in dein Leben eingemischt habe. Trotzdem bleibe ich dabei, dass ich einen Teil von dir mag. Also, dass wir uns richtig verstehen, es ist der Teil, der mich nicht hasst.“
 

Nun schaute der Firmenführer doch wieder zu dem jungen Mann. „Ach, so ein Mist aber auch, ich wollte mir gerade wieder so eine richtig nette Bosheit ausdenken. Ich mein, so etwas richtig niederschmetternd Gemeines.“ Beide blonden Augenbrauen gingen in die Höhe und ein breites Grinsen lag auf dem sonst strahlenden Gesicht. Das lag wahrscheinlich an dem vorsichtig neckenden Ton des Brünetten. „Ach so, so eine Gemeinheit soll das werden. An was hattest du denn dabei gedacht? Also, nur damit ich mich schon mal darauf einstellen kann. Wenn du noch einen Termin dafür suchst, also, Februar nächstes Jahr, das wär ganz passend. Oder nein, warte, es gibt da noch einen viel, viel besseren Termin dafür. Ich denke, so in 20 Jahren könnten wir das richtig gut einrichten. Oh mist, ich glaub, da hab ich schon was vor. Was hältst du davon so in hundert Jahren? Da könnte ich noch Zeit haben.“ Er wartete. Er wartete darauf, dass dieses verhaltene, leichte Zucken der Mundwinkel zu einem breiten Lächeln wurde. Vor ihrem Abflug hatte er festgestellt, dass seine Art des Blödsinns offenbar kompatibel zu einer gewissen Erheiterung des Mannes vor ihm war. So ganz langsam hatte er raus, wie er die dunklen Gedanken des Brünetten vertreiben konnte. Vorsichtig, regelrecht zögerlich, zeigte sich dieses winzige Zucken immer stärker auf der rechten Seite, dem rechten Mundwinkel. Joey behielt sein eigenes Grinsen bei, denn das verstärkte den Effekt extrem. So extrem, dass es nicht mehr lange dauerte und ein breites Grinsen erschien auch auf dem anderen, deutlich hellerem Gesicht.

„Hundert Jahre? Okay, da hab ich auch schon was vor. Wie sieht es bei dir in 95 Jahren aus?“ Das Seto auch noch auf diese Dummheit eingehen würde, hatte Joey nicht erwartet. Allerdings gefiel es ihm sehr gut. „Ja also, 95 Jahre klingt perfekt! Magst du mir auch schon verraten, was du genau vorhast? Dann weiß ich, wieviel Zeit ich dafür einplanen muss.“ Da war es wieder! Dieses wunderschöne Lachen, dass er so selten hörte, aber so sehr liebte. Sein eigenes Grinsen wurde immer breiter, bis Joey schließlich zu ihm trat und sich ebenfalls an die Wand lehnte. Erst als das herzhafte Lachen verstummt war, fragte er vorsichtig. „Okay, möchtest du mit mir darüber reden? Ich meine, ich kann hier zwar den Dummen spielen, aber dass dir irgendetwas so richtig auf den Magen geschlagen hat, bekomme sogar ich mit.“
 

Es verging eine ganze Weile, bisher Seto das erste Mal wieder etwas sagte. „Mir geht einfach deine Frage nicht mehr aus dem Kopf. Es ist nicht so, dass ich die Antwort wüßte, es ist eher so, dass ich mir darüber bewusst bin, dass ich die Antwort niemals erfüllen kann.“ Wieder verging eine ganze Weile, bevor Joseph das erste Mal nachfragte. „Was genau meinst du damit? Heißt das, dass du die Antwort nicht kenns, aber weißt, ... Ich komm nicht mehr mit.“ Er hörte das schwere Atmen neben sich, wagte es aber nicht, zu ihm hinüber zu sehen. Wieder dauerte es eine Weile, bis der andere erneut Sprach. „Die Reise nach Dubai hat mir sehr deutlich gemacht, wer ich bin und wer ich nicht bin. Vielleicht mögen alle meine Geschäfte, alles, was ich bisher geschäftlich getan habe, nicht strafrechtlich verfolgbar sein, aber darum war es noch nicht gut. Erpressung bleibt Erpressung, ob man es ausspricht oder nicht. Und ja, Joseph, ich habe schon erpresst. Es sind solche Aussagen, die unmissverständlich klar machen, dass man jedes Register ziehen wird, um einen Vertrag platzen zu lassen, wenn nicht bestimmte Handlungen erfolgen. Solche Dinge muss man nicht richtig aussprechen. Ein einfacher Beisatz genügt meistens. Nichts schriftlich festgehalten. Selbst wenn man es aufnehmen würde, könnte man mir daraus keinen Strick drehen. Trotzdem habe ich es getan, um meine Interessen durchzusetzen. Betrachte ich mir die Reise, die ich mit dir unternommen habe, dann sehe ich dieses Verhalten als Muster. Ich habe mir genommen, was ich wollte. Dabei hat es kein Interesse gespielt, ob diese Konsequenzen in irgendeiner Art und Weise ein Leben zerstören können. Ich wollte mein Verlangen stillen, der Rest war mir egal. Wenn ich mir jetzt überlege, dass ich mir ernsthaft im betrunkenen Zustand darüber keine Gedanken gemacht habe, dass du überhaupt nicht auf Männer stehst, muss ich mich ernsthaft fragen, was für ein Mensch ich bin. Um ehrlich zu sein, komme ich langsam an den Punkt, dass ich den Eindruck habe, ein wirklich miserabler Mensch zu sein. “
 

Joey wusste nicht genau, ob er fror, weil es so kalt war oder aufgrund der Aussagen, die er eben gehört hatte. Nach einer Weile seufzte er schwer. „Okay, ich muss ernsthaft sagen, dass ich keine Ahnung habe, was ich dir dazu sagen soll. Auf der einen Seite finde ich so etwas wirklich heftig, auf der anderen Seite ist mir schweinekalt, ich bin hundemüde und das hier ist nicht der richtige Ort um sich über so etwas Gedanken zu machen.“ Sein Blick fiel zu dem Brünetten zurück. „Ich glaube, dass ich nicht der richtige Mensch für so etwas bin. Wenn du mich fragst, solltest du zu deinem Sensei gehen. Ich glaube nicht, dass du ein schlechter Mensch bist. Wärest du ein schlechter Mensch, würdest du dir über all das keine Gedanken machen. Du bist nur ein Mensch, der glaubt ein schlechter Mensch sein zu müssen. Ich denke, dass dein Sensei in der Lage dazu wäre, dir einen anderen Weg zu zeigen. Immerhin ist das seine Aufgabe. Es geht ja nicht darum, dass du die Antwort auf meine Frage schon weißt. Es reicht ja vollständig aus, wenn dir bewusst ist, dass das, was du bisher als richtig empfindest, nicht das Richtige ist. Ich glaube dass er nur von dir möchte, dass du offen dafür bist, etwas ganz anderes als richtig zu akzeptieren. Und ich bin jetzt einfach nur müde und friere wie verrückt.“

Seto nickte etwas zurückhaltend und stieß sich dann von der Wand ab. „Na komm, dann lass uns reingehen. Mir ist um ehrlich zu sein auch saukalt.“ Während sie wieder zurückgingen, blickten die blauen Augen plötzlich unerwartet warm zu dem Blonden hinüber. „Danke, dass du mich nicht direkt verurteilst. Ich weiß nicht warum, aber ich habe manchmal das Gefühl, mit die über so etwas reden zu können.“

Ein turbulentes Frühstück

Kapitel 39

Ein turbulentes Frühstück
 

„Ok, wir sind uns alle einig, dass dieses Verhalten mehr als seltsam ist! Oder?“ Fragte Tristan sehr offen und auch Téa stimmte ihm zu. Noah hingegen hob auf diese unvergleichliche Weise die Augenbrauen, zu der nur ein Kaiba im Stande war, und gab in leicht herablassendem Ton von sich. „Welches Verhalten genau meinst du?“ Selbst Yugi erschien diese Frage seltsam und seine violetten Augen verengten sich verirrt zweifelnd. Es war Atemu, der dem 22-Jährigen Kaiba vorwarf. „Ist das dein Ernst?“ Doch er bekam nur ein kühles Lächeln und Noah erwiderte gekonnt. „Nun, meint ihr die seltsame Begebenheit, dass Seto Kaiba den Anschein einer Schwäche zeigt und in einer fluchtartigen Reaktion das Restaurant verlässt? Oder meint ihr die irritierende Selbstsicherheit, mit der euer Freund Wheeler ihm nach ist? Sprecht ihr davon, dass beide ihre Verletzungen zu verbergen versuchen?“ Er hielt kurz inne. „Die tiefblauen Handgelenke, die euer Freund zu verstecken versucht, sind euch doch aufgefallen oder?“ Kurz ließ er seinen Blick schweifen und fuhr fort, als er nur ein entsetztes Schweigen erhielt. „Außerdem war Seto extrem schweigsam, während euer Freund wie ein Wasserfall am Quatschen war. Eventuell ist euch auch aufgefallen, dass Seto eigentlich gar nichts gegessen hat. Noch weniger, als sonst. Welche dieser Verhaltensweisen meinst du also genau, wenn du von einem seltsamen Verhalten sprichst?“ Fragte Noah den Braunhaarigen und legte dabei eine unglaubliche Überzeugung in seine Worte. „Ähm… alles?“ Gab Tristan zögerlich von sich und sah zu seinen Freunden.

Es war Atemu, der schnaubte und in einem beinahe trotzigen Ton bluffte. „Du bist ein Idiot! Dieser Kommentar war definitiv überflüssig!“ Die violetten Augen hatten sich vorwurfsvoll verengt, doch Noah lächelte nur. „Das mag wohl sein, aber dennoch ist es korrekt.“ Er sagte es in einem Tonfall, einer Mischung, die Überheblichkeit und Dreistigkeit beinhaltete. Es war Mokuba, der mit einem Seufzen meinte. „Schon gut, schon gut, es geht doch darum, dass irgendetwas passiert ist.“ Nun wirkte der 17-Jährige irgendwie besorgt. Die dunkelblauen Augen suchten immer wieder den Eingang des Restaurants ab, doch er konnte niemanden sehen. Zumindest niemanden, von dem er hoffte, dass er ihn dort sehen würde. „Ich meine, dass es ganz offensichtlich ist, dass die beiden sich irgendwie seltsam verhalten und das macht mir einfach Sorgen. Seto ist mein Bruder und Joey ist einer meiner besten Freunde. Natürlich stelle ich mir die Frage, warum es ihnen so geht. Es ist also nicht der hilfreich, wenn wir uns jetzt auch noch über solche dummen Wortklaubereien streiten.“ Er blickte streng zu seinem Bruder und dieser erwiderte den Blick eine Weile, bis er schließlich eine entschuldigende Miene aufsetzte.
 

„Na ja, vielleicht haben sie sich geprügelt. Immerhin hat Kaiba angegeben, dass er ziemlich mies zu Joey war. Ich habe keine Ahnung, was er unter dieser Beschreibung versteht.“ Gab Tea zu bedenken und sah ebenfalls zur Tür. Doch dort geschah nichts Interessantes. Menschen kamen und gingen, aber nicht die beiden. „Es ist möglich. Das würde einiges erklären, aber ich bin mir da nicht ganz sicher. Selbst wenn sie sich geprügelt haben, dann verstehe ich noch immer nicht, warum Wheeler plötzlich so einen Auftrieb hat. Das passt nicht. Ihr könnt mir viel erzählen, aber nicht, dass der Blonde Seto vermöbelt hat und gewonnen.“ Kam nun wieder herablassend von Noah und Mokuba blickte ihn erneut streng an. „Ist ja gut, aber Wheeler hat ihm bestimmt nicht so zugesetzt, dass Seto jetzt vor ihm kuscht. Das macht keinen Sinn.“ Bestand der grünhaarige 22-Jährige weiter.

„Schuld.“ Kam plötzlich von Yugi und alle Augen sahen zu ihm. „Es würde viel eher passen, dass Kaiba etwas getan hat, dass er bereut und wenn du Recht hast und Joey blaue Handgelenke hat, dann war sicher euer Bruder dafür verantwortlich. Kaiba schweigt, von der Schuld erdrückt und Joey ist selbstsicher, weil er weiß, dass er noch etwas gut bei ihm hat.“ Schlussfolgerte der junge Mann und Mokuba sah ihn mit großen Augen an. „Meinst du?“ Fragte er vorsichtig und Tea nickte. „Klar, dass kann ich mir auf jeden Fall vorstellen.“ Ihr Blick zu Mokuba war kühl, als wollte sie ihn dafür verantwortlich machen.
 

Sie standen schon vor der Eingangstür als Joey ihn noch einmal aufhielt. „Ach ja, mir geht eines nicht aus dem Kopf.“ Begann er und auch Seto blieb stehen. „Was denn?“ Wollte er wissen und Joey zog die Stirn in Falten. „Du hast da etwas von einer Hälfte wäre in der Schule und die andere Hälfte wäre auf der Arbeit und etwas von einem nicht akzeptierten Rest erzählt. Das verstehe ich nicht so recht.“ Gab er an und nun lag da ein Schmunzeln auf den Lippen des Brünetten. „Warum denn nicht?“ Wollte er wissen und Joey verzog den Mund. „Komm schon, selbst ich weiß, dass eine Hälfte 50% ausmacht und zwei Mal 50% sind 100%. Demnach bleibt kein Rest mehr übrig.“ Anerkennend nickte Seto und lächelte. „Das ist wohl wahr.“ Mehr sagte er jedoch nicht dazu und nun stieß ihn Joey leicht in die Seite. „Komm schon, mach es mir nicht so schwer.“

„Wenn ich dir das erkläre, bist du vielleicht sauer auf mich.“ Kam nun von ihm und die Augenbrauen des Blonden hoben sich gekonnt. „Na gut, ich will mal nicht so sein. Ich bin davon ausgegangen, dass Mokuba in der Schule ist, er stellt die erste Hälfte dar. Noah sollte arbeiten, er ist dementsprechend die andere Hälfte. Alle anderen kann ich nicht ausstehen und hoffte, sie nie wieder zu sehen. Demnach der ungewollte Rest.“ Erklärte der Brünette mit einem ruhigen Ton, obwohl sein Schmunzeln einen leicht frechen Schlag erhielt. Den Stoß in die Seite erhielt er ein zweites Mal. „Ach komm, du hast dich doch ganz wunderbar mit meiner Schwester verstanden. Ich weiß gar nicht, wo dein Problem ist. Und das zwischen Atemu und dir ist doch eine wahre Hassliebe oder? Ihr könnt doch beide nicht ohne einander.“ Neckte nun der 19-Jährige und erhielt seinerseits nur ein schweigsames Hochziehen der Augenbrauen. „Na ja, ich für meinen Teil kann ganz gut ohne den Pharao zurechtkommen. Allerdings war es mit deiner Schwester wirklich amüsant. Sie hat sich sehr verändert oder?“ Fragte nun der 22-Jährige und trat langsam ein. Es wurde einfach zu kalt.

„Ja, früher war sie ein sehr schüchternes Mädchen und heute ist die sehr selbstbewusst. Sie hat viel durchgemacht und das merkt man ihr auch an.“ Joey rieb sich mit den Händen über die Oberarme und fröstelte leicht. „Immerhin hat sie ihre Mutter verloren und ist von Amerika hier her nach Japan zurück.“ Kam nun leise von ihm und sein Blick fiel zu dem Tisch, an dem die anderen saßen.
 

Erst jetzt wurde ihm klar, dass ihn alle Augen anstarrten. Noch stand Seto mit dem Rücken zum Raum, weil er Joey musterte, aber auch er bemerkte die Blickrichtung des Blonden. Als er den forschenden Ausdruck in den Gesichtern seiner Brüder erkannte, war ihm klar, worum es diesen ging. „Na los, lass uns zurück zu „den beiden Halben und dem Rest.““ Neckte er und ein flüchtiges Lächeln floh über die Lippen des Blonden. „Ja, das ist eine gute Idee. Aber das solltest du ihnen lieber nicht sagen. Nachher wollen sie noch wissen, was das zu bedeuten hat.“ Neckte er nun den Firmenführer, der seinerseits eine Augenbraue in die Höhe hob. „Was interessiert mich das? Immerhin haben ich sie doch eh nicht lieb! Sollen sie ruhig wissen, was ich von ihnen halte.“ Erwiderte nun Seto in einem belustigen, nur halbernsten Ton.

Als sie an den Tisch zurückkahmen, blickten sie alle gespannt an. Joey grinste noch immer, wegen der dummen Formulierung des Brünetten. „Ihr seht ja aus, als würdet ihr eine Erklärung verlangen.“ Begann ausgerechnet Seto, in einem beinahe amüsierten Ton. „Ja, das wollen wir auch!“ Platzte der mysteriöse Mann heraus, von dem der Brünette noch immer nicht wusste, ob er wirklich ein Pharao gewesen war. „Wie schön, dass ich nicht hier bin, um euch etwas zu erklären, sondern um zu frühstücken.“ Sagte er nun herablassend und Atemu blies die Wangen aus. „Bitte was?“ Doch auch Joey konnte nicht anders und gab ihm Recht. „Ja, wir sind zum Essen hier. Ich finde es gut, dass du dich diesem bewusst gemacht hast. Also isst du nun auch etwas?“ Kam nun die Spitze von dem Blonden, doch sein Lächeln hatte etwas Sanftes.
 

„Ich? Nein! Ich wollte weiterhin in meinem Essen herumstochern und so tun, als wärest du der Mittelpunkt dieses Morgens, damit ich weiter meine Ruhe habe. Was dachtest du denn?“ Fragte Seto nun und setzte sich auf seinen Platz. Er griff demonstrativ nach der Gabel und Joey grinste breit. Es war jedoch Noah, der auf seine unverblümte Art wider dazwischen ging. „Gut, wenn ihr das geklärt habt, will ich aber immer noch wissen, was denn los war! Frage eins, warum hast du so blaue Handgelenke, Wheeler?“

Damit war der Spaß vorbei und die braunen Augen suchten den jungen Mann beinahe voll Panik. Bilder dieser Nacht flackerten vor seinem inneren Auge auf und er versteckte die Hände reflexartig hinter seinem Rücken. Auch Seto grinste nicht mehr und eine Weile war nur das ewige Brabbeln der anderen Tische, das kratzen von Messern auf Tellern und das Plätschern von Kaffee in die Tassen zu hören. „Die hat er wegen mir. Ich sagte ja, dass ich betrunken gewesen bin und ich war nicht bereit, mich so einfach von meinen Zielen abzubringen. Dabei war ich offensichtlich gröber, als mir bewusst war.“ Diese Worte waren fein ausgesucht, empfand Joey. Außerdem waren sie nicht einmal gelogen.

Die anderen am Tisch sahen sie groß an und Yugi schnappte nach Luft. „Du bist echt ein mieser Kerl oder?“ Kam zuerst von Tea, doch Atemu setzte noch einen drauf. „Das war er schon immer. Seth, Seto wirklich viel Unterschied gibt es da nicht. Hat sich in den letzten Jahrtausenden nicht geändert.“

Erneut schnappte Yugi nah Luft und sah seinen Freund an, in dem er einen großen Bruder gefunden hatte. Vorwurfsvoll war der Blick auf den alten Ägypter gerichtet, doch er sagte nichts. Ganz im Gegenteil zu Seto, der wie immer eine der feinen Augenbrauen gekonnt erhob. „Nun, das liegt wahrscheinlich nur an deinem Einfluss, verehrter Pharao!“ Der herablassende Ton in seiner Stimme hatte etwas Kaltes erhalten.
 

„Denkst du wirklich, dass ich auf diese Art anspringe?“ Fuhr ihn nun der Wuschelkopf an, der deutlich größer war, als Yugi. „Wenn es um Alkoholexzesse und nächtelanges Herumtreiben geht, gibt es wohl keinen größeren Meister, als dich und deinen kleinen Freund Bakura. Nein, ich glaube nicht, dass ich dich auf diese Weise ärgern könnte.“ Der Ton wurde noch kälter und nun passierte, was der Brünette erwartet hatte. Atemu sprang auf und funkelte den Firmenführer aus seinen violetten Augen finster an. „Ich weiß aber noch immer, was ich tue! Egal, wie viel ich getrunken habe, ich würde niemals einem Freund gegenüber so etwas tun!“ Wut brannte in seiner Stimme und dann war da ein süffisantes Lächeln auf den schmalen Lippen und Seto beugte sich leicht vor. „Ach so, gewalttätig wirst du betrunken also nur, wenn du die Leute nicht kennst?“ Fragte er direkt und der Pharao schlug wütend mit den flachen Händen auf den Tisch, er saß auf der anderen Seite. „Was bildest du dir eigentlich ein? Ich habe keine Scheiße gebaut, das warst du, wenn ich mich Recht entsinne!“

Doch diese Anschuldigungen ließen den Brünetten noch immer unberührt. Ganz langsam sickerte in Joeys Verstand, dass nichts von dem Mann zu sehen war, der sich noch eben Gedanken und Vorwürfe gemacht hatte. Nichts von dem Mann war noch da, der um seinen Bruder besorgt war, der sich Gedanken über die Zukunft machte, seine eigenen Schwächen kritisierte und sich selbstreflektierend verurteilte. Da war nur noch der Kämpfer, der Geschäftsmann, der sich verteidigen musste. War es vielleicht nur ein seltener Blick, den er hatte werfen dürfen? „Ach so, du entsinnst dich? Warst du dabei? Ich kann mich gar nicht daran erinnern. Wärest du dort gewesen, hätte ich natürlich dir meine volle Aufmerksamkeit gewidmet, mein werter Pharao!“ Joey blinzelte, als er Setos Antwort hörte und sah augenblicklich zu dem jungen Mann, der nun die Hände zu Fäusten ballte. Yugi versuchte zu vermitteln und legte seine Hand auf den Arm des anderen, doch dieser spie beinahe über den Tisch. „Glaub mir, mit mir hättest du das nicht gemacht!“
 

Schweigen. Für einen Moment herrschte absolutes Schweigen. Reflexartig starrten sich Seto und Joey an. Sie wussten, was geschehen war und der Blonde war sich nicht sicher, ob er eher vor Scharm rot anlaufen sollte oder bleich werden, bei der Vorstellung. Dem Blick des Brünetten sah er an, dass dieser eine Menge herunterschluckte. Da war er wieder, dieser Ausdruck von Eis in den Augen des 22-Jährigen und heute konnte er sie klar erkennen, diese unendlich starken Gefühle, die er unter einer dicken Schicht aus Eis verbarg. Die beide hatten das gleiche Bild vor Augen und Joey wollte den jungen Mann nicht gefesselt und geknebelt auf dem Bett liegen sehen. Nein, das war eine Vorstellung, die er einfach nicht ertragen konnte.

„Ja, du hast Recht, mit dir hätte ich das nicht getan.“ Kam plötzlich in einem beinahe versöhnlichen Ton und Seto griff nach seinen Tasse Kaffee, um einen kräftigen Schluck zu nehmen. „Was?" Kam völlig unerwartet von Atemu, der nun verwirrt von einem zu anderen blickte. Er hätte niemals gedacht, dass sich Seto auf so eine Aussage einlassen würde. Er gab ihm Recht? Noch irritierter starrte er von einem zum anderen, doch noch immer hatte sich der Ausdruck in ihren Gesichtern nicht verändert. „Ok, was haltet ihr davon, wenn wir jetzt einfach diesen ganzen Zirkus vergessen. Seto und ich haben das offen bar selbst geklärt und es geht niemanden an, was geschehen ist. Was in Dubai geschehen ist, bleibt in Dubai!“ Kam nun bestimmend von Joey und er straffte die Schultern. Seine Schultern. „Also, ich für meinen Teil habe immer noch Hunger, kommt vom vielen Erzählen. Davon einmal abgesehen, dass wir das sehr gut untereinander geklärt haben und ich nicht der einzige war, der einstecken durfte.“ Schloss er die Diskussion und Seto zuckte leicht zusammen. Da er ebenso automatisch mit den Fingern über seine Nase fuhr, fiel es kaum auf. Aber „einstecken“ war nicht gerade das passende Wort, für diese Situation. Zumindest an all das, was seine Erinnerung noch farbenprächtig hergab, war es Joey gewesen, der „eingesteckt“ hatte.
 

Als er aufsah, konnte er den zweifelnden und musternden Blick des Pharaos erkennen. „Dank deinem Freund habe ich jetzt schon zwei Mal Nasenbluten gehabt. Wenn ich demnächst sage, dass er einen Dickschädel hat, dann meine ich das auch so.“ Brummte der Brünette und Joey hustete. „Ja, ich… also…“ Doch ein Grinsen konnte er dennoch nicht unterdrücken. Es war eine gewisse Peinlichkeit dabei, aber der Schlag hatte gesessen. So ließ er sich auf seinen Platz nieder und drehte den Stuhl, dass er direkt zu Seto sehen konnte, neben dem er saß. „Was?“ Kam von diesem fragend und Joey meinte locker. „Da gibt es noch einen Deal, den du nicht eingehalten hast.“ Er griff nach der Gabel, die mittlerweile wieder neben dem Teller lag. Auffordernd hob er sie an und hielt sie dem Brünetten hin. „Glaubst du, ich hab es nicht gesehen?“ Frozelte er und die eisblauen Augen verengten sich. Er konnte den Hauch des Todes beinahe spüren, den der andere verbreitete. „Komm schon, muss ich dich füttern, damit du isst?“ Neckte er nun und im nächsten Herzschlag riss ihm Seto die Gabel aus der Hand. „Wenn du das tust….“ Doch widererwartend folgte keine genaue Beschreibung dessen, was dann geschehen würde.

„Was für einen Deal meinst du?“ Fragte nun Mokuba neugierig und Joey grinste. „Oh, nach dem ich ihn oft genug geärgert habe, dass er außer Alkohol am Morgen nichts runter bekommt, haben wir den Deal gemacht, dass ich ihn dazu zwingen darf, dass er auch etwas Anständiges isst, dafür macht er das nur, wenn ich auch etwas esse.“ Erklärte Joey und ließ dabei den Brünetten nicht aus den Augen, der das kleinste Stück Tomate fand, dass auf seinem Teller lag, um es demonstrativ in den Mund zu stopfen. Dann meinte er verstimmt. „Denkt daran, dass du eben noch gesagt hast, dass du auch noch nicht satt bist.“ Mit einem breiten Grinsen griff Joey eines der Reisbällchen aus der Schüssel und setzte sich wieder so hin, dass er Seto dabei im Blick hatte. „Ja, und denkt du daran, dass ich schon einiges an Vorsprung habe.“
 

Noah beobachtete noch eine Weile dieses Spiel. Irgendetwas war geschehen, dass nicht nur negativ gewesen sein konnte. Selbst die Verteidigung, mit der Joey anscheinend in dieser Auseinandersetzung einen guten Schlag ausgeteilt hatte, konnte es nicht sein. Nachdenklich stellte er sich die Frage, was für Vorlieben sein Bruder hatte. Es gab Themenbereiche über die hatten sie nie gesprochen und Noah wusste nicht einmal, ob er den Mut dazu hätte, Seto nach so etwas zu fragen. Er wusste gerade einmal, dass Seto auch auf Männer stand. Könnte es sein, dass die beiden…? Das würde einiges erklären oder? Er selbst hatte bisher und wahrscheinlich auch für den Rest seines Lebens keinen Sex. Aber hieß es nicht immer, dass diese Form der Intimität die Beziehung zwischen zwei Menschen veränderte? Könnte es wirklich sein, dass die beiden miteinander geschlafen hatten? Immerhin war Seto vorhin mehrfach für Joey eingesprungen, als dieser von Tea bedrängt wurde. Auch jetzt wieder ging er Atemu an, nur um an der entscheidenden Stelle zu dem Blonden zu blicken und eine Reaktion anzubringen, von der er nicht wusste, dass sie möglich war. Genauso wie jetzt. Wenn einer der anderen, ja, wenn Mokuba den Blödsinn mit der Gabel gemacht hätte, was wäre nur für ein Donnerwetter los. Aber dieses beinahe affige Spiel, dass Joey immer nur einen Bissen nahm, wenn Seto es ebenfalls zuvor getan hatte, tollerierte dieser anscheinend.

Doch das hob die Stimmung irgendwie wieder und Joey gab reichlich dumme Kommentare von sich, damit wieder gelacht wurde. Langsam zog eine entspannte Lockerheit ein und dennoch konnte Noah nicht aufhören, über diese Situation nachzudenken. Wahrscheinlich wäre er nicht der einzige. Auch Yugi schien es nicht loszulassen. Seine violetten Augen wirkten traurig, als wüsste er etwas, dass dem Grünhaarigen entgangen war. „Eines muss ich aber sagen, dass Essen war wirklich richtig gut! Ich hätte am liebsten noch vier Wochen dran gehängt, nur um mehr davon zu bekommen.“ Berichtete Joey begeistert.
 

Als Seto die Rechnung bezahlte, war die Stimmung zwiespältig. Sie alle hatten nicht vergessen, dass etwas zwischen den beiden gelaufen war, von dem sie noch immer nicht wussten, was es sein könnte. Doch die beide hatten es anscheinend ausreichend im Griff und die kindlichen Neckereien, die offenbar von dem Brünetten geduldet wurden, erweckten einen lockeren Eindruck. Niemand war sich sicher, ob es auch der Wahrheit entsprach, doch keiner wagte eine weitere Nachfrage. „Und? Habe ich dir wieder die Haare vom Kopf gefuttert?“ Kam frech von Joey, der den Hals etwas reckte. Seto steckte gerade sein Portemonnaie ein, während er den Blick der braunen Augen suchte. Dann griff er nach dem Pullover und meinte grinsend. „Hast du, aber jetzt siehst du wenigstens nicht mehr ganz so verloren in meinen Klamotten aus. Ich könnte glauben, dass du hinein gewachsen bist.“ Erstaunt blies Joey die Wangen auf und sah an sich herunter. „Hast du mir gerade gesagt, dass ich fett werde?“ Fragte er nun entrüstet und hob den Blick wieder.

Ein Lachen, herablassend aber nicht kalt. „Nein, das wollte ich zwar nicht sagen, aber das gefällt mir auch.“ Kam von dem 22-Jährigen, den diese Vorstellung anscheinend erheiterte. Blicke trafen sich und ein Schmunzeln blieb. Schweigen erfüllte sie beide, während ihre Augen tief ineinander zu versinken schienen. Erstaunt beobachten Mokuba, Noah und Yugi dieses. „Wir sehen uns dann morgen wieder. Du hast heute frei.“ Gab er ruhig von sich und Joey hob die Augenbrauen. „Ach komm, du bist doch genauso müde, wie ich. Außerdem hast du bezahlte Urlaubstage, die du irgendwann auch nehmen musst. Ich habe dir für heute einen angerechnet. Ab mit dir ins Hundekörbchen, damit ich dich morgen wieder an die Leine legen kann.“ Kam dreist von Seto, der dafür einen Knuff in die Seite erhielt. „Pass bloß auf, nachher beiß ich dich noch!“

Die schlanken Finger legten sich auf die Schulter des jungen Mannes und Seto beugte sich vor. Seine feinen Lippen kamen dem rechten Ohr des Blonden so nahe und dann flüsterte seine tiefe Stimme leise Worte. Worte, welche die braunen Augen zu großen, runden Wagenrädern werden ließen. Worte, welche zu einem sofortigen Anstieg der roten Farbe in seinem Gesicht führte. „Ich wollte es ja nur mal erwähnt haben.“ Kam nun halblaut von ihm und im nächsten Moment war der Schlag deutlich kräftiger als ein freundschaftlicher Knuff. „Du Idiot!“ Schimpfte Joey und lief noch dunkler im Gesicht an.
 

Seto hingegen hob die Hände als Geste der Unschuld und lächelte nur. Sagen tat er dazu nichts mehr, nur kurz blickte er zu seinen Brüdern. „Bin gleich wieder da.“ Kam in einem verdächtig ruhigen Ton und Joey schimpfte leise weiter. „Was bildet sich dieser Fatzke eigentlich ein?“ Verwirrt sahen die anderen dem schlanken Rücken nach, der in Richtung der Toilettenräume verschwand und Serenitiy fragte zurückhaltend. „Willst du uns sagen, was er da von sich gegeben hat oder lieber nicht?“ Die Empörung, die sie dann erhielt, war erstaunlich. „NEIN! So eine dreiste, freche, dumme Aussage gehört nicht noch einmal wiederholt und schon gar nicht meiner kleinen Schwester gegenüber! Was denkt dieser Kerl eigentlich, wer er ist?“ Kam nun lauter von ihm und Joey begann sich aufzuregen.

Seine Schwester versuchte ihn zu beruhigen, doch das schaffte sie kaum. Er schimpfte nur weiter und so bemerkte niemand, wie sich Atemu von der Gruppe entfernte. Er folgte dem Brünetten zu den Toilettenräumen und als er diese betrat, war Seto schon am Waschen seiner Hände. Die eisblauen Augen blickten zu ihm auf und erst zu spät erkannte er die Wut in den Violetten. Der junge Mann trat mit festen Schritten auf ihn zu und als er gerade den Wasserhahn abgestellt hatte, wurde er auch schon gepackt. „Wenn du noch einmal deine verdammten Hände an ihn legst!“ Begann der Pharao voller Zorn und drängte ihn zurück. Nur einen Herzschlag später stieß Seto mit dem Rücken gegen die Wand und musterte dennoch ungerührt das Gesicht des deutlich Kleineren. „Was genau meinst du damit?“ Fragte er in einem herablassend süffisanten Ton und die eiskalten Augen wichen keinen Moment dem Blick des ehemaligen Herrschers aus. „Wenn du noch einmal einen solchen Scheiß mit ihm machst, dann glaube mir, lasse ich 5.000 Jahre Grausamkeit an dir aus.“ Fuhr ihn der Mann an, beide Hände hatten sich tief in den Pullover vergraben. Er funkelte von unten herab zu ihm hinauf.

Doch der Angesprochene schien sich nicht sehr darum zu kümmern. Elegant hob er die rechte Augenbraue und meinte trocken. „Waren es nicht eher 3.000? Ich bin mir da nicht so ganz sicher. Aber ist ja auch schon ein paar Leben her. Da kann man ja vergesslich werden, nicht wahr Pharao?“ Ein dreckiges Grinsen erschien auf den Lippen des Brünetten. „Ach warte, sagtest du nicht so etwas wie, dass du die gesamte Zeit in diesem Puzzle eingesperrt gewesen bist. So ein Pech aber auch.“
 

Es geschah schnell und effektiv. Atemu wollte zuschlagen, doch die schlanken Finger ergriffen sein Handgelenk schon, bevor seine Faust das Ziel erreichen konnte. „Ich weiß, dafür, dass ich an den ganzen Scheiß nicht glaube, nehme ich ihn doch ziemlich ernst. Hör zu, es interessiert mich einen Scheißdreck, was dir durch dein verwirrtes Köpfchen geht. Von jemandem wie dir lasse ich mir sicher nichts verbieten und mich schlagen erst Recht nicht. Glaubst du, dass du überhaupt eine Chance hast?“ Wollte er wissen und Atemu riss seine Hand wieder aus dem harten Griff los. „Hast du es so gemacht? Was auch immer du mit Joey angestellt hast, hast du es so gemacht?“ Wollte der junge Mann nun wissen und für einen winzigen Moment hatte er den Eindruck, dass sich etwas im Blick der eisblauen Augen verändert hatte. Sah er da Schuld?

Noch immer hielt der Pharao den Mann mit einer Hand fest, ein Fehler. Gesickt griff Seto nun nach diesem Handgelenk und zwang den Wuschelkopf mit den spitzen Haaren in eine Drehung. Nur einen Atemzug später schrie Atemu auf und spürte den stechenden Schmerz durch seine Schulter fahren. Seto hatte ihm den Arm auf den Rücken gedreht und ihn über das Waschbecken nach unten gedrückt. Nun war der Wasserhahn nur noch eine Handbreit von seinem Gesicht entfernt. „Hör zu, heute ist nicht der Tag, an dem ich Lust habe, mit dir zu spielen! Wenn du unbedingt Prügel kassieren willst, werde ich deinem Flehen gerne nachkommen, aber ich habe weder Interesse, noch Vergnügen daran.“
 

Die beiden Gegner waren Feinde, Freunde, verbunden über Jahrtausende. In einer fließenden Bewegung zog Atemu den freien Arm nach vorne und stieß sich voller Kraft vom Waschbecken ab. Er warf sein gesamtes Gewicht gegen den Brünetten, der so erschrocken zurückweichen musste. Eine Kopfnuss hatte schon gestern gereicht! Er ließ das Handgelenk wieder los und sah die Drehung, in welche der Pharao ging. Dieser wollte erneut angreifen, doch etwas hielt Seto auf. Für einen Moment sah er den Blick der braunen Augen, voller Angst und Panik, als dem Blonden bewusst wurde, dass er auf dem Bett gefangen war. Fast zu spät stoppte Seto diesen Angriff und blinzelte kurz. „Es reicht!“ Fuhr er den Mann an und musste bewusst tief ausatmen. „Ach ja, was reicht denn? Deine…“

Ein Räuspern ließ Atemu innehalten und beide Männer blickten zur Tür. Dort stand Joey, der sie mit großen Augen anstarrte. Hinter ihm blickte Noah interessiert über die Schulter des Blonden und versuchte abzuschätzen, was hier geschah. „Nur damit ich das richtig verstehe, ist da wirklich etwas an dem ganzen Gerede dran, dass du ein mehrere tausend Jahre alter Pharao bist und Seto dein Priester?“ Schweigen. Keiner der beiden sagte etwas. Auch Joey wusste nicht, was er antworten sollte. „Und wer ist jetzt auf wen neidisch? Prügelst ihr euch jetzt, weil dein Priester was mit einem anderen Kerl angefangen hat und dich nicht ran lässt oder ist es eher der Punkt, dass du eigentlich auf ihn scharf bist und die alte Rivalität zu… warte… Seth? Ja, Seth. Also, bricht die alte Rivalität wieder auf?“
 

„WAS?“ Kam nun laut von Joey, der sich schockiert umdrehte. Auch Atemu starrte Noah entsetzt an. „Ich hatte nie etwas mit einem Mann! Ich stehe auf Frauen! Und NEIN, ich habe nie mit Seth ein Bett geteilt! Vergiss es! Das werde ich auch nie tun!“ Schimpfte er entgeistert und Seto ließ ihn los. „Glaub nicht allzu viel von dem Mist. Wie wahrscheinlich ist es, dass ich die Widergeburt eines uralten, ägyptischen Priesters bin?“ Fragte er und setzte sich in Bewegung. „Die Wahrheit ist, dass er daran glaubt und ich nicht. Vielleicht ist das falsch, aber noch konnte mich nichts nachhaltig überzeugen. Allerdings schließe ich nicht gänzlich aus, dass es eine Art Magie geben könnte. Ausreichend Unerklärliches habe ich gesehen.“ Der Tonfall war abwertend und kalt. Dennoch war Atemu über diese Worte verwundert. „Aber eines kann ich dir auf jeden Fall sagen. Ich werde mich niemals, unter absolut keinen Umständen jemals um einen anderen Mann prügeln. Wenn der Pharao gerne den blonden Kötter im Bett haben will, soll er gerne. Das ist mir egal.“

Mit diesen Worten ging er an ihnen vorbei und verließ die Toilettenräume. Joey blickte ihm schweigend nach und wirkte mit einem Mal traurig und verletzt. „Ich hasse diese Seite an ihm.“ Brumme er und versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Er atmete durch und straffte die Schultern. Auch Atemu trat zu ihm und seufzte. „Weißt du, Seth und ich waren vielleicht Rivalen und ich habe ihn oft geärgert, aber wir waren auch Freunde. Kaiba und ich sind letzteres glaube ich nicht.“ Kam leise von ihm und er rieb sich die Schulter. Schwiegen herrschte eine ganze Weile und dann meinte Noah plötzlich. „Du vermisst ihn oder? Darum reagierst du immer so extrem auf ihn. Jedes Mal, wenn ihr euch trefft, fliegen die Fetzen oder die bösen Worte.“ Nachdenklich und auch ein wenig erstaunt sah Atemu zu ihm auf und nickte dann. „Ja, das stimmt. Ich vermisse ihn wirklich. Ich konnte Seth auf eine gewisse Weise vertrauen und Seto sieht ihm wirklich ähnlich.“
 

~~~ooo~~~
 

Als die schwarze Kawasaki das Grundstück verließ, stand Noah am Fenster und sah ihr nach. Es war schon lange dunkel draußen und das Licht der Maschine war auf der Straße noch eine Weile zu erkennen, bevor es hinter der nächsten Kurve verschwand. Seto hatte sich nach ihrer Rückkehr noch einige Stunden hingelegt und geschlafen. Zumindest hatte er das behauptet. Bei ihrem gemeinsamen Abendessen sah er auf jeden Fall wieder etwas besser aus. Er war auf der Rückfahrt und am Abend sehr schweigsam gewesen und Mokuba und Noah hatten das Gefühl, dass er irgendwie bedrückt wirkte. Doch sie wollten ihn nicht danach fragen. Was in den Toilettenräumen geschehen war, hatte Noah seinem Bruder nicht erzählt. Er wollte nicht, dass sich der Schwarzhaarige Sorgen machte. Doch was hatte es zu bedeuten, dass Seto mitten in der Nacht das Haus verließ?
 

~~~ooo~~~
 

Die kalte Nachtluft war langsam unter seine Jacke gekrochen, währen der Fahrtwind an ihr zerrte. Die Sterne über ihm kamen nur hin und wieder zum Vorschein. Die meiste Zeit waren sie unter dicken Wolken verborgen. Er hatte den Weg durch die Straßen der Stadt nicht nehmen müssen, denn die Auffahrt zur Schnellstraße war von seiner Villa gut zu erreichen gewesen. Kaum ein anderes Auto war ihm um diese Uhrzeit begegnet und ein anderer Motorradfahrer erst recht nicht. Es tat gut. Die Maschine schnurrte, wie eine wilde Raubkatze, die endlich wieder jagen durfte. Das Vibrieren des Motors erfüllte seinen gesamten Körper mit kleinen Schwingungen und das Geräusch füllte seine Ohren. Kröche die Kälte nicht langsam in seine Kleidung, wäre er gerne noch weiter gefahren. Doch sein Ziel lag nahe und er wusste, dass er jetzt schon spät war.

Die Fahrt herunter von der Schnellstraße war seltsam. Plötzlich erschien ihm die Geschwindigkeit zu gering. Er hatte beinahe das Gefühl, dass er umkippen würde, so langsam war er. Doch die 57km/h auf seinem Tacho erzählten eine andere Geschichte. Er musste sich zusammenreißen. Wenn er jetzt nicht Acht gab, war das Risiko zu hoch, doch zu verunglücken. 53km/h. Er legte sich in die weite Kurve und wusste, dass es falsch war. Die Maschine folgte geschmeidig und er spürte den Asphalt immer näher kommen. Er ging tiefer, der Winkel wurde stärker und dann war er da. Der eine Punkt. Das Gewicht verlagern, den Lenker zurückziehen und das Meisterwerk aus Stahl und Schrauben wieder in die richtige Lage bringen. Zurück, aufrichten. 59km/h.

Nicht beschleunigen. Er sah die Häuser nur an sich vorbeirauschen und zwang sich erneut dazu, die Geschwindigkeit zu reduzieren. Er konnte nicht sehen, ob von rechts jemand kam. 56km/h. Da hätte sein Ende sein können. War es aber nicht. Es kam ja keiner und wenn jemand käme, hätte er ja Licht an. 52km/h. Es war mitten in der Nacht und er musste endlich langsamer werden. Er raste durch eine Wohnsiedlung und hier waren maximal 30 erlaubt. 47km/h. Wieder eine Kurve und dieses Mal zog er die Bremsen. Der Wind ergriff ihn kalt, der Motor heulte auf, als er aus der Kurve viel zu schnell heraus fuhr. Ein Abfall auf 25 km/h und dann ein Anstieg auf 49km/h zurück. Langsamer. Er musste langsamer werden.
 

Die nächste Kurve war zu eng. Er spürte, wie sein Hinterrad wegdriftete und er die Kontrolle über die Maschine zu verlieren drohte. Sein Herzschlag setzte aus und er musste an Joey denken. Was würde dieser wohl denken, wenn er hier starb? Wäre es ihm egal? Er hatte sie noch abfangen können, das Durchdrehen des hinteren Rades war laut und brach sich wie ein Echo an den Häuserwänden.

Der Schrecken saß. 28km/h. Ein flacher Atem und die Brust schmerzte. Als er schließlich kurz vor dem Parkplatz ankam, bremste er auf 14km/h herunter. Langsam fuhr er auf diesen auf und verlor weiter Geschwindigkeit. Es war kalt und dunkel. Dieser Parkplatz war immer dunkel. Er schwang sich vom Rücken seiner Maschine und stellte diese ab. Er verriegelte sie und öffnete dann die Tasche, die sich unter dem hinteren Sitz verbarg. Hier kam sonst sein Helm hinein, heute nahm er ein kleines Bündel heraus. Es wirkte grau im spärlichen Licht. Als er mit den schweren Motoradstiefeln über den Parkplatz ging, knirschten die Kiess Steine unter seinen Füßen. In der Stille der Nacht erschien es ihm unglaublich laut. Wie ein gewaltiges Hallen, welches alles erfüllte und von jedem gehört werden musste. Er stand vor einer kleinen Treppe, die hinauf zu einem Torii führte. Das Rot war sogar jetzt noch zu erkennen. Nicht als Rot direkt, aber als dieser graue Stich, bei dem man wusste, dass es rot war. Langsam ging er die Treppe hinauf und begriff, dass er dennoch nicht in der Mitte lief. Er warf einen Blick hinauf zu dem Tori und dann schritt er still am Rand entlang. Natürlich wich er keinem Gott aus, der gerade jetzt das Tor passieren wollte. Er musste an Atemu denken. War es wirklich unmöglich, dass er Seth war? Wenn Atemu die Wahrheit sagte? So unwahrscheinlich konnte das doch gar nicht sein oder?
 

Schweigend betrat er den oberen Platz und hatte das Gefühl nie fort gewesen zu sein. Es war alles noch genau so, wie es sein sollte. Er zog den Helm vorsichtig ab und legte ihn neben dem Brunnen ab. Auch seine Handschuhe zog er aus und stopfte sie in den Helm. Er begann die Hände und das Gesicht zu waschen. Das Wasser war eiskalt. Ein Schauer ergriff ihn und dann sammelte er alles wieder ein, um weiter auf den Platz im Inneren zu gehen. Der kleine Schrein, von dem er Joey erzählt hatte. Er fröstelte bei der Vorstellung, hier gleich mit nackten Füßen über den Boden zu laufen. Sein Blick fiel hinüber zur Halle. Noch brannte dort Licht. Der Sensei war also noch wach.

Ein Herz in der Waagschale

Kapitel 40

Ein Herz in der Waagschale
 

In dieser Nacht begriff Seto Kaiba die Macht eines Rituals. Er wusste nicht, wie leicht es war, diesem Zauber zu erliegen. Als er vor den Schrein trat, nur wenige Kerzen erhellten den Platz, trat er an die gleiche Stelle, wie schon hunderte Male zuvor. Er legte den Helm in einer unglaublich vertrauten Bewegung neben sich, danach folgte sein Körper automatisch der nun notwendigen Haltung. Die Arme angewinkelt, die Füße parallel nebeneinander, das Klatschen, die Verbeugung. Alles geschah ohne dass er es aufhalten konnte. Sein Geist schien ein wenig verloren, während sein Köper wie automatisch arbeitete. Er hörte seine Stimme, bemerkte, wie alles immer leichter wurde. Es erschien ihm beinahe so, als fiele eine große Last von seinen Schultern. Hier war er nicht mehr der Firmenführer eines großen Unternehmens. Hier war er der Schüler. Hier war er der Bittsteller. Hier war er nur einer von vielen. Dieser Gedanke war unendlich entspannend und mit einem leichten Lächeln machte er sich auf den Weg hinüber zu den Umkleideräumen. Er nahm die wenigen Treppenstufen hinauf und griff dann nach der Tür. Sie war noch immer offen. Langsam schob er sie auf und ein kalter Zug kam ihm entgegen, so wie der Geruch von Seife und Duschgel. Die letzten hatten die Fenster geöffnet, damit die Feuchtigkeit entweichen konnte. Mit einem Seufzen trat er ein und endete an dem ewig gleichen Platz. Er konnte von hier aus gut den Eingang sehen, aber auch den Zugang zu den Duschen. Er besaß ausreichend Spielraum, um zu agieren, wenn irgendetwas geschah. Dieses Mal zog er sich zuerst die Stiefel aus und machte sich ohne Socken auf den Weg in den Duschraum. Er wollte das Fenster schließen, bevor er sich umzog. Der Boden war noch feucht, die Fließen eiskalt.

Seto dachte an die Worte, die er Joey im Flieger auf der Rückreise gesagt hatte und drehte sich wieder um. In der Umkleide brauchte er nicht lange und zog sich aus. Seine Sachen faltete er ordentlich und legte sie in das kleine Fach ganz oben. Er hatte immer das oberste Fach genommen. Er war groß und für ihn war es nicht sehr schwer zu erreichen. Für andere schon. Außerdem war es so etwas sicherer. Die Stiefel und der Helm landeten mit der gefalteten Jacke unter der Bank. Die dicke Motorradjacke passte selbst als kleines Bündel nicht mehr oben hinein. Sicherheit im Straßenverkehr ging nun einmal vor.
 

Splitterfasernackt schritt er zurück in die Duschen und bemerkte nicht, wie sein Geist langsam von allem frei war. Das kalte Wasser lief über seine Haut, seinen Kopf seine Schultern. Er hörte, wie es zu Boden prasselte und ein vertrautes Geräusch entstand. Die Kälte war nicht schlimm, setzte ihm heute aber dennoch etwas zu. Diese Auseinandersetzung beschäftigte ihn, lenkte ihn von den Sorgen des Tages ab. All die kleinen Rituale, die der Meister forderte, führten den Brünetten immer weiter weg vom Stress des Alltages hinein in diese Welt, als wäre er wirklich im Reich der Götter gelandet.

Er trocknete sich ab und zog sich an. Es war ein komisches Gefühl, nach so langer Zeit den kräftigen Stoff des weißen Gi auf seiner Haust zu spüren, die von der Kälte empfindsam geworden war. Sein Handtuch hängte er großzügig auf. Er würde es vielleicht nachher noch einmal brauchen und hoffte, dass es etwas trockener geworden wäre. Doch die Wahrscheinlichkeit dazu war gering. Es würde sich bei dieser Temperatur sicher nur in einen nassen, eiskalten Klotz verwandeln, der es ihm nachher schwerer machte.

Als er hinaus trat, war der Himmel über der Kampfschule schwarz, Sterne leuchteten in dieser Finsternis wie glühende Augen und ein kalter Wind zog über den Platz. Der Holzboden fühlte sich schon kühl unter den nackten Füßen an, doch er wusste, dass es gleich noch schlimmer werden würde. Leise zog er die Tür hinter sich wieder zu und beeilte sich ein wenig. Er hatte bemerkt, dass die Lichter in der großen Halle weniger geworden waren. Er konnte sich gut vorstellen, dass sein Sensei begann, alles zu löschen und sich innerlich auf die Nachtruhe einstellte.
 

Wie erwartet zog die stechende Kälte durch seine Füße und er musste die Luft anhalten. Die Steine waren eisig und auch das kalte Duschen hatte ihn nicht darauf vorbereiten können. Mit aller Konzentration eilte er über den Platz, hinüber zum Schrein und atmete noch einmal durch. Wieder bemerkte er die fatale Macht nicht, die ihn in ihren Bann zog. Seine kalten Füße, die richtige Haltung, die gesamte Aufgabe beschäftigte ihn so sehr, dass gar kein Platz mehr für Sorgen und Alltagsnöte übrig blieb. In diesem Sog der Traditionen war er nichts weiter als ein ausführender, einfacher Schüler, der verzweifelt hoffte, nicht zu kalte Füße zu erhalten. Diese Empfindung war so einnehmend, dass er selbst die Sorge vergaß, die ihn hier her getrieben hatte. Es gab keine Familie mehr, keine brüderlichen Auseinandersetzungen, es gab keine Firma und keinen Sekretär mehr, keinen Joey und keine Verlobte. Keine Freunde, die ihm vorwarfen, er wäre zu schwach oder zu eitel, keine Vorwürfe und keine Keifereien, keine Eifersucht und keine Einsamkeit. Alles, was es in diesem Moment für Seto Kaiba gab, war die große Herausforderung, trotz der Eiseskälte ruhig zu stehen, die richtige Haltung zu finden, die Worte nicht zu vergessen und ausreichend lange in der Verbeugung zu bleiben, um keinen der Kami zu verärgern. Wer wusste schon, ob nicht doch einer gerade hier war. Tomo hatte einmal gescherzt, dass dieser „Schrein“ ein Treffpunkt für Kami wäre, denn immerhin waren hier alle willkommen. Keiner war falsch, weil er nur einem Gott gewidmet war und so trafen sie sich seiner Meinung nach hier in diesem Schrein, denn hier könnten sie miteinander quatschen, Teetrinken, lästern und was auch immer ihnen so einfiele.
 

Kaum hatte er diese Herausforderung gemeistert, als er sich auch schon auf die andere Hälfte des Weges machte. Er lief so schnell er konnte, ohne unhöflich zu wirken, über die Gehwegsteine hinüber auf die rettenden Holzstufen der großen Halle. Nun, sehr viel wärmer waren sie auch nicht, aber sie erscheinen zumindest angenehmer. Auch diese nahm er schneller, als es einen anständigen Eindruck machte und griff schon nach der Tür, bevor er halbwegs richtig vor ihr stand. Als er endlich in der Wärme der großen Halle angekommen war, die Tür hinter ihm verschlossen, atmete er durch. Seine Füße waren kalt. Wirklich kalt und ja, es war ein alles einnehmendes Gefühl. Wäre er in einer anderen Situation, wäre ihm die Ironie dieser Tatsache bewusst geworden. Er hatte voller lästerlicher Überheblichkeit die Begründungen seines Meisters verachtend dargestellt und landete nun in genau dieser Situation, die ihm bisher als unerheblich und dumm erschienen war. Doch während er lauschend an der Tür stand, sein Blick auf die Schüsseln mit Wasser gerichtet, die neben ihr standen, war alles vergessen, was ihn hier her geführt hatte. Er hörte die Schritte in der großen Halle, hier im Flur war das Licht gedämpft.

Es war ein simpler Aufbau. Die große Halle hatte einen schönen, breiten Ausgang an ihrem linken Ende, zwei durchgehende Fensterreihen im oberen Teil an den langen Seiten der Halle und einen Schrein mittig vor der rechten Wand. Dann kamen links und rechts neben dem Schrein je die einfachen Durchgänge in den Flur oder Vorraum, die ebenfalls jeweils an den langen Seiten des Gebäudes ein Tür besaßen. Rechts die Wand neben Seto war beinahe gänzlich geschlossen. Sie hatte lediglich zwei schmale aber lange Fenster unter der Dachschräge, durch die Licht hineinfallen konnte. Dafür war die Wand mit Teppichen und Bildern behangen, deren Motive in jeglicher Variante die Kampfkunst zeigten. Ob es Photos großer Meister waren, alte Darstellungen unterschiedlicher Kampfposen oder aber geschriebene Anweisungen.
 

Drinnen war es still. Er konnte nichts hören. So entschied er sich, dem alten Ritual zu folgen. Ein Blick auf die Sohlen seiner nackten Füße machte klar, dass er sich mit dem jetzt sicher kalten Wasser in den Schüsseln auseinander setzen musste. An der Wand hingen Haken, auf denen die Handtücher verteilt waren. Für einen Moment dachte er, dass es ihm reichte, die Füße nur mit dem Handtuch zu säubern, doch die Gewohnheit schlug zu. Es waren die immer gleichen Bewegungen, die immer gleichen Handlungen, die beinahe wie automatisch abliefen. Wie zu erwarten war das Wasser eher kühl und als er das Handtuch wieder an den Haken hängte, war er davon überzeugt, dass der Sensei auf ihn wartete. Er wusste es. Er wusste, dass er hier war.

Mit pochendem Herzen und dem Geräusch seines rauschenden Blutes in den Ohren trat er auf den Eingang zu, aus dem das Licht fiel. Der Flur hatte heute keine eigene Lichtquelle mehr und erhielt sein Licht aus den beiden offenen Türen, die von der Haupthalle abgingen. Jeder Schritt schien schwer, bedacht und unsicher, als er auf den Tatamimatten hinüber ging. Heute kam ihm der Weg so unendlich weit vor. Das Licht blendete ihn beinahe, obwohl es gar nicht so hell war. Es waren die Kerzen, die auf dem Schrein standen, die hier die letzte Lichtquelle darstellten.
 

Als er eintrat und sein Blick auf den Mann fiel, der dort vor dem Schrein auf dem Boden saß, hielt er den Atem an. Es war über ein halbes Jahr her, dass er das letzte Mal hier gewesen war. Der Mann mittleren Alters saß dort auf den Knien, die Augen geschlossen, als wäre er ins Gebet vertieft. Der Geruch von Sandelholz erfüllte die Luft und Seto bemerkte das kleine Duftstäbchen welches eben erst angezündet wurde.

Schweigen. Er wusste nicht, ob er eintreten durfte. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte. Er wartete. Doch nichts geschah. Der Mann saß dort, die Hände auf den Oberschenkeln, die Augen geschlossen. Als wäre er gänzlich allein. Seto räusperte sich. Noch immer unentschlossen. Doch nichts geschah. Der Mann in seinem weißen Kampfanzug rührte sich nicht. Er schien nicht zu reagieren, als hätte er es nicht gehört. Kurz drehte sich Seto um, als wollte er abwägen, ob er nicht doch gehen sollte. Wieder fiel sein Blick auf den Sensei, der dort absolut entspannt saß.

„Was erwartest du von mir?“ Seine Stimme hatte einen warmen, ruhigen Klang und der Brünette fuhr in sich zusammen. Noch immer saß der Sensei dort, die schwarzen, vollen Haare waren kurz, der 53 Jährige hatte ein kantiges Gesicht und er schien absolut zu seinem Alter zu passen. Seto wusste nicht, was er antworten sollte und war sich nicht sicher, ob er den Meister wirklich hatte sprechen hören. Immerhin saß er noch genauso dort, wie wenige Sekunden vor dieser Aussage.
 

Plötzlich drehte sich der Kopf des Mannes und er blickte aus seinen grauen Augen zu Seto hinüber. „Du erwartest etwas, weißt aber nicht, was es ist. Interessant.“ Seine Stimme klang noch immer ruhig und hatte etwas Sanftes. Dann erhob sich der Mann langsam vom Boden und trat auf den Schüler zu. Unwohlsein ergriff Seto und er senke den Blick, ohne es zu begreifen. Er fühlte sich nicht mehr so überlegen und mächtig, wie bei seinem Verlassen. „Warum bleibst du an der Tür stehen?“ Fragte der Mann, der ihm nun beinahe den Weg versperrte, so wie er sich vor ihn gestellt hatte. Ein lautes Schlucken folgte. „Weil ich nicht weiß, ob ich eintreten darf.“ Kam leise von ihm und erst zu spät begriff der 22-Jährige, wie schwach seine Stimme war. „Wieso solltest du es nicht dürfen? Ich gab dir eine Aufgabe und verlangte deine Widerkehr, wenn du sie erfüllt hast.“ Schwer sog Seto die Luft ein, den Blick konnte er noch immer nicht heben. Selbst gerade zu stehen erschien ihm unglaublich schwer. „Weil ich…“ Er konnte den Satz nicht beenden. Ja, er war der Schüler. So sehr hatte er sich noch nie in dieser Rolle gefühlt. Nicht einmal damals, als er hier als Kind begonnen hatte. „Weil ich die Aufgabe nicht erfüllt habe, Sensei.“ Sagte er nun leise und es viel ihm unendlich schwer, diese Worte über die Lippen zu bringen.

„Hast du das nicht?“ Fragte Furukawa und musterte den Mann, der so anders wirkte. Beinahe gebrochen. Doch er wartete lange auf die Antwort, bis ihm klar wurde, dass sie nicht kommen würde. „Erinnerst du dich noch an meine Aussage, dass ich erkenne, ob ihr lügt?“ Wollte der 53-jährige Sensei nun wissen und ein Schlucken war zu hören. „Ja, Sensei, daran erinnere ich mich. Aber ich lüge euch nicht an. Ich kenne die Antwort wirklich nicht.“ Er hielt den Atem an und wagte es nicht, den Blick zu heben. Es war ein seltsam beschämendes Gefühl und es war eine Schwäche, die er hasste.
 

„Nun, ich trug dir auf, dass dein Herz die Antwort kennen muss. Wir sprachen nie über deinen Verstand.“ Erstaunt dauerte es einen Moment, bis der Ruck, welcher durch den Brünetten ging, auch den Kopf in Bewegung setzte. Er starrte seinen Meister an, der die gleiche Größe wie er hatte. Auge in Auge standen sie sich nun gegenüber. Furukawa lächelte wissend und auf diese seltsame Art und Weise völlig überzeugt. „Unser Herz spricht über unsere Taten, die Art, wie wir stehen, uns bewegen, die Worte, die wir wählen. Der Mann, den ich vor die Tür setze, wäre niemals hier her gekommen, demütig und unsicher. Er hätte niemals gewartet, er hätte immer gefordert. Er hätte immer eine Antwort gewusst.“ Eine kleine Pause entstand. „Der Mann, der vor einem halben Jahr ging, hatte nicht die Stärke für eine solche Schwäche.“

Die eisblauen Augen weiteten sich. Er verstand nur bedingt, was der Mann ihm da sagte, aber etwas in ihm reagierte darauf. „Nun, bleibt die Frage, warum du hier bist. Willst du trainieren? Willst du Lernen? Willst du um Vergebung bitten?“ Letzteres enthielt ein Schmunzeln und kurz konnte der Mann erkennen, wie sich Seto versteifte. Doch der Blick fiel wieder zu Boden und ein tiefes Einatmen folgte. „Ich will eine Antwort.“ Kam leise von ihm und nun schien Furukawa das erste Mal erstaunt zu sein. „Was für eine Antwort suchst du?“ Wollte er direkt wissen und bemerkte, dass der 22-Jährige sich gänzlich versteifte. „Ob ich jemals ein guter Mensch sein kann.“
 

~~~ooo~~~
 

Als das schwarze Motorrad durch das große Haupttor auf das Gelände fuhr, sprang jemand am Fenster auf. Ein schwarzer Haarschopf, wild und ungezähmt machte sich auf den rasanten Weg hinunter zur Garage. Auch Mokuba hatte sich Gedanken gemacht und das plötzliche Verschwinden seines Bruders bemerkt. Er war zuerst davon ausgegangen, dass sich Seto in seine Räume verzogen hatte, doch schließlich erzählte Noah ihm, dass dieser mit hoher Geschwindigkeit davon gefahren war. Nun machte sich der 17-Jährige wirklich Sorgen und als die Anrufe, die er absetze, unbeantwortet blieben, war jeder Gedanke an Schlaf vergessen. Er lauerte schon seit zwei Stunden hinter dem Fenster und nun war es endlich soweit. Es war nach ein Uhr nachts und sein Bruder war jetzt erst wieder zurück. Er war zurück und das war schon einmal mehr, als seine schlimmsten Befürchtungen farbenfroh ausgemalt hatten. Nachher hätte sein Bruder in einem Graben gelegen und wäre nie wieder zurück gekommen. Eine innere Stimme sagte ihm, dass er vorsichtig vorgehen musste und so öffnete er die Zwischentür zur Garage. Erstaunt stellt er fest, dass sein Bruder noch immer auf der Kawasaki saß, den Helm in den Hände vor sich auf der Maschine abgestellt. „Oni-chan?“ Kam vorsichtig von ihm und der Brünette zuckte zusammen. Die eisblauen Augen starrten ihn mit einem Mal groß und voller Überraschung an. „Was?“ Kam direkt von ihm, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.

Nun kam Mokuba näher und versuchte ein aufmunterndes Lächeln. „Nichts. Ich bin nur froh, dass du wieder da bist.“ Begann er und hatte das Gefühl, auf einem zugefrorenen See zu stehen, unter sich eine dünne Eisschicht und jeder falsche Schritt würde ihn ins kalte Wasser stürzen lassen. Der Blick der eisblauen Augen war unverwandt auf ihn gerichtet und er schien ihn auf fragende Weise zu mustern. „Du hast dir Sorgen um mich gemacht?“ Kam plötzlich unerwartet und der 17-Jährige spürte, wie er rot auf den Wangen wurde, die Hitze stieg in seinen Kopf. „Nun ja… schon… irgendwie…“ Begann er verlegen und senkte seinen Blick. „Weißt du, du hast dich so seltsam beim Essen verhalten und dann warst du heute weg. Ich dachte erst, dass du dich hingelegt hast und schlafen würdest, aber Noah meinte dann, dass du in einer ziemlichen Geschwindigkeit davon gefahren bist.“ Versuchte er sich zu erklären und schluckte laut.
 

„Als wäre der leibhaftige Teufel hinter dir her.“ Kam plötzlich ruhig und doch auch ein wenig vorwurfsvoll die Stimme von Noah aus dem Flur. Er trat an die Tür, trug einen großen, flauschigen Pullover, der ein schlichtes Stickmuster hatte. „Ich war mir nicht sicher, ob ich dich noch einmal wieder sehe oder die Polizei bei uns anruft, dass wir leider einen familiären Verlust zu verkraften haben.“ Gab er nun in einem beinahe spitzen Ton von sich und verschränkte die Arme unter der Brust, sich in den Türrahmen lehnend.

Die feine Augenbraue schwang sich in die Höhe und Seto fragte ebenso ruhig. „Familiär?“ Es klang zweifelnd und Mokuba blickte nun zwischen seinen großen Brüdern hin und her. „Ja, ich dachte, das wären wir jetzt, eine Familie.“ Kam gelassen von Noah und er lächelte zurückhaltend. „Ich weiß, es gab einige Probleme zwischen uns, aber dennoch konnte ich mich dem Eindruck nicht erwehren, dass wir in den letzten Wochen eine geworden sind. Dieses seltsame Konstrukt von verwandtschaftlicher Beziehung ist mir noch immer unbekannt und ich gestehe, eine leichte bis mittelschwere Verunsicherung diesbezüglich zu verspüren, aber ich dachte, dass es dir eventuell ebenso erging.“ Die dunkelblauen Augen hielten dem zweifelnden Blick des 22-Jährigen stand. Dieser musterte ihn noch eine Weile und schloss dann bewusst lächelnd die Augen. „So, so, wir sind also eine Familie…“ Gab er leicht dahin und dann schwang er sich endlich von seinem Motorrad herunter.

Seto ging hinüber zu den Regalen an der Rückwand der großen Garage, in die noch ein weiterer, dunkelroter Sportwagen und die große Limousine passten. Er legte seinen großen Helm in eines der Fächer, in denen noch zwei weitere Modelle zu finden waren. Auch seine Handschuhe zog er aus und platzierte sie feinsäuberlich daneben. „Ich finde schon! Mir hat unser Ausflug in den Zoo wirklich viel Spaß gemacht und es hat sich für mich wie ein richtiger Familienausflug angefühlt. Ich meine, wer hat schon zwei so tolle große Brüder?“ Gab Mokuba nun leicht zögerlich, aber dennoch freudig von sich. Er beobachtete den Rücken seines leiblichen Bruders, der dabei war, die Motorradjacke auszuziehen.
 

Plötzlich drehte sich der Brünette um und sah seinen kleinen Bruder mit einem fragenden Blick an. „Ist das dein Ernst?“ Wollte er nun wissen und zog eine Augenbraue in die Höhe. Mokuba wurde tief rot auf seinen Wangen und verfiel wieder in dieses kindliche Schema. Er senkte den Blick, griff mit den Händen nach hinten und verschränkte sie ineinander. „Er hat ja Recht. Ich habe zum ersten Mal das Gefühl gehabt, dass wir drei wirklich eine Familie sind und ich habe das erste Mal das Gefühl gehabt, dass du wirklich bei uns bist. Wenn du mich fragst, könnten wir solche Ausflüge öfter machen.“ Unterstützte Noah nun und lehnte noch immer gemütlich im Türrahmen.

Nun sahen ihn die blauen Augen an und er schwieg eine Weile. Es war still, bis Noah noch einmal anfing. „Ich meine, selbst ich habe angefangen, mir Sorgen um dich zu machen. Also, irgendwas hat sich da wohl positiv geändert.“ Meinte er und deutete dann mit einer Hand hinter sich. „Was haltet ihr beiden davon, wenn ihr mit in die Küche kommt und mir helft, den Tee leer zu trinken, den ich eben aufgesetzt habe? Das ist sicher eine Tasse für jeden.“ Es war wie ein Friedensangebot, wie ein brüderlicher Handschlag, den er dem Brünetten anbot.

Auch Mokuba hob den Blick bei diesen Worten wieder und nickte. „Finde ich gut, ich bin dabei!“ Er sah mit einem breiten Grinsen zu seinem leiblichen Bruder, der sich nun wieder umgedreht hatte. Er zog die Motorradjacke gänzlich aus und hing sie vorsichtig auf eine hervorstehende Schraube, die er vor einer Weile dafür auserkoren hatte. Einen richtigen Haken gab es nicht. Das könnte er sicher machen lassen, aber sein heimlich verwegenes Ich liebte diese kleine Handlung. „Nur wenn ihr mich nicht ausquetscht, wo ich war. Das ist immer noch meine Sache.“ Kam von ihm und er drehte sich um. Das Grinsen im Gesicht der beiden anderen war gar nicht zu übersehen.
 

Als er neben seine Maschine trat, meinte Mokuba vorsichtig. „Nun, vielleicht erzählt ihr beide mir, was denn heute Morgen in den Toiletten los war.“ Schlug er vor und beobachtete, wie Seto den hinteren Teil des Sitzes aufklappte, um daraus ein weißes Bündel zu nehmen. Er konnte klar erkennen, um was es sich da handelte. Der weiße Kampfanzug, den Seto immer trug, feinsäuberlich gefaltet und darunter ein ebenso groß und ordentlich gefaltetes Handtuch. Alles war beinahe kunstvoll mit dem Gürtel zusammengebunden. „Was los war?“ Fragte er und Mokuba setzte diesen unglaublich wissenden Blick auf, der noch eine Spur Vorwurf in sich vereinte. „Ach kommt, erst gehst du, dann verschwindet Atemu, nur damit dann Joey und Noah euch nach sind. Die frostige Stimmung, die du bei deiner Rückkehr hattest, hätte selbst Elsa Konkurrenz gemacht. Das irgendetwas vorgefallen ist, habe ich mitbekommen. Nur was, weiß ich nicht.“ Erklärte der Schwarzhaarige nun, während er darauf wartet, dass sein Bruder zu ihm kam. „Wer ist Elsa?“ Wollte nun der Brünette wissen und Noah lachte. „Ich sehe schon, wir sollten unbedingt mit dir noch „Frozen“ sehen. Es ist ein wenig wie das Märchen der Eiskönigin, nur dass der Junge und die Eiskönigin ein und dieselbe Person sind.“ Versuchte der Grünhaarige die Geschehnisse zusammenzufassen.

Nicht sehr erfolgreich, bei dem Blick, den er nun zugeworfen bekam. Trotzdem kam es zu einer irritierend seltsamen Handlung. Sanft legte Seto die Hand auf die Schulter seines jüngeren Bruders und gab ihm zu verstehen, dass er ruhig schon einmal vorgehen sollte. „Ist Frozen nicht ein Kinderfilm? Ging es da nicht um zwei Schwestern?“ Wollte Seto nun wissen und Noah stieß sich von der Tür ab. Er wusste, dass der 22-Jährige dieses Thema nutze, um sich aus der Frage, die Mokuba zu formulieren versuchte, zu befreien. Aber es sollte ihm Recht sein.
 

„Ja, genau, es geht um zwei Schwestern und eine davon hat magische Fähigkeiten. Sie kann alles in Eis verwandeln. Das weiß aber ihre Schwester Anna nicht und als Elsa den Thron ihres Landes als Königin übernehmen soll, weil ihre Eltern auf See verschollen gegangen sind, kommt es dazu, dass sich ihre Kräfte zeigen. Daraufhin wollen einige sie umbringen und sie flüchtet in die Berge. Leider hat sie Arendelle in einen ewigen Winter versetzt und nun versucht ihre Schwester sie zu finden, um sie darum zu bitten, den Winter wieder aufzulösen.“ Seto schaltete das Licht in der Garage aus, während er Noahs Erklärungen weiter zuhörte. „Disney oder?“ Wollte er nun wissen und der Grünhaarige nickte. „Ja, warum?“

Ein langer Blick folgte, als der Brünette die Tür hinter sich schloss. „Normalerweise heißt das, dass die Schwestern blutjung sind, sich auf völlig unrealistische Weise verhalten und lauter Sachen machen, vor denen ausgebildete Militärkräfte Angst hätten.“ Er legte einen herablassenden Ton in seine Stimme und Mokuba wippte auf seinen Füßen vor und zurück, die Hände wieder hinter dem Rücken verschränkt. „Nun ja, so würde ich das nicht sagen. Elsa ist immerhin wirklich schon 21 Jahre alt und Anna immerhin schon 18.“ Gab er zu bedenken und drehte sich um, damit sie aus dem Gang weiter kamen. „Davon einmal abgesehen, wie viele Militärkräfte haben magische Schwestern die ein ganzes Königreich in Eis verwandeln können?“ Wollte Noah nun wissen. Er war als erster dieser kleinen Truppe unterwegs und drehte sich immer wieder zu Seto um, der mittig am Ende lief. Mokuba hielt sich auf der rechten Seite zwischen seinen Brüdern.
 

„Und wie war es nun mit den waghalsigen Aktionen?“ Diese Frage war offensichtlich für den 22-Jährigen interessant und Mokuba räusperte sich. „Nun, Anna macht sich ohne jegliche Erfahrung auf den Weg und landet in einem Bach, trifft einen ihr völlig Unbekannten, mit dessen Rentier sie gemeinsam losziehen, muss gegen Wölfe kämpfen, Gletscher hochklettern, vor Eisriesen fliehen… ach ja, und ein Eissplitter trifft sie ins Herz.“ Zählte nun Mokuba auf und warf einen Blick zu seinem Bruder, der ihn mit großen Augen ansah. „Ich hätte darauf wetten sollen. Warum schaut man sich so einen dummen Quatsch eigentlich an?“ Kam lästerlich von ihm.

„OLAF!“ Kam wie aus einem Munde von Noah und Mokuba. Verwirrt sah der Brünette seine beiden großgewachsenen Brüder an und ihm wurde eines klar. Noah war wirklich noch ein Junge. Ihm fehlten anscheinend die Jahre, die er in der virtuellen Welt gefangen gewesen war. Dass er dann auch noch eine Weile ohne jegliche Kommunikationsmöglichkeit im Hauptrechner gefangen war, hatte es nicht besser gemacht. Vielleicht lag an dieser Stelle das Problem, dessen er noch nicht habhaft werden konnte. Nun sahen die beiden ihn an, als wären sie 5 Jahre alte Jungen, mit großen Augen und leuchtenden Wangen. „Wer ist Olaf?“ Wollte Seto nun wissen und die beiden grinsten beinahe bis über beide Ohren.

„Oh, das ist ein durch Magie zum Leben erweckter Schneemann!“ Fing Mokuba voller überzogener Freude an und der grünhaarige 22-Jährige stimmte freudig mit ein. „Ja, er ist Annas Begleiter und ist der liebenswürdigste und herzlichste kleine Kerl, der jemals von Disney entwickelt wurde. Er hat ein absolut reines Herz.“ Erklärte er nun und Seto beobachtete, wie die beiden nun neben ihm gingen, die Augen gefüllt von purer Begeisterung. „Ein herzensguter Schneemann?“ Wiederholte Seto skeptisch und die beiden nickten. „Wenn wir in der Küche sind, zeigen wir dir ein Video, dann wirst du unserer Meinung sein! Er ist es auf jeden Fall wert, den Film zu sehen!“ Stellte Mokuba nun die Behauptung auf und Noah griff nach dem Arm des leicht älteren Firmenführers. „Oh, und die ganzen Zusatzfilme. Er kam so gut an, dass es einige eigene Olaffilme gibt!“
 

~~~ooo~~~
 

Schweigend stand er im Fahrstuhl, den Helm hatte er schon abgesetzt und die Handschuhe hineingestopft. Seto musste an gestern Nacht denken und rieb sich müde über die Stirn. Wie viel Stunden hatte er nun geschlafen? 4 oder so etwas in der Richtung. Zwar hatte er über Tag einiges nachgeholt, aber das war ja eher, um die Reserven der vorherig kurzen Nächte auszugleichen. Ein Gähnen entkam ihm und er musste an die Videos denken, die er gestern von Olaf dem lebendigen Schneemann gesehen hatte. Na ja, ziemlicher Quatsch, aber seinen Brüdern schien es zu gefallen. Der Schneemann war dumm und naiv, beinahe wie Joseph! Da gab es doch Gemeinsamkeiten. Der Gedanke an den jungen Mann ließ ihn aus unerfindlichen Gründen schmunzeln und er ahnte, was ihn gleich erwarten würde, wenn er sein Büro betrat. Als sich die Türen öffneten, stellte er sich das unterdrückte Grinsen des Blonden schon einmal vor.
 

Doch es war nicht unterdrückt. Joey saß dort an seinem Schreibtisch, blickte ihn aus seinen braunen Augen unverwandt an und grinste dabei, bis über beide Ohren, als der Brünette in sein Sichtfeld eintrat. Noch bevor er mit einem anständigen Morgengruß beginnen konnte, fiel ihm Seto ins Wort. „Was hat dir diese kleine Quasselstrippe jetzt schon wieder alles erzählt?“ Wollte er in einem leicht kühlen Ton wissen. Die Müdigkeit zeichnete ihn und der Morgen war alles andere als überragend gewesen.

Doch der Angesprochene behielt die Ruhe und meinte stattdessen noch immer mit diesem breiten Grinsen. „Ohayo, Seto.“ Dann lehnte er sich in seinem Schreibtischstuhl zurück, sodass die leichten Knitterfalten des weißen Hemdes deutlicher wurden. Dazu kam diese grüne Krawatte, die er irgendwie gerne zu tragen schien. „Wenn du mit Quasselstrippe deinen eigenen Bruder meinst, muss ich dich enttäuschen. Er hat mir gar nichts erzählt.“ Es war ein belustigter Klang in diesen Worten und das Grinsen blieb so breit, als ginge es gleich von einem Ohr zum anderen.

Nur sehr kurz war der Brünette überrascht und hob dann die rechte Augenbraue. „Wheeler!“ Er deutete mit der rechten Hand auf sein eigenes Gesicht, in der linken hielt er seinen Motoradhelm. „Sehe ich wirklich so aus, als wollte ich mir heute Morgen dumme Scherze darüber anhören, dass du und Mokuba miteinander geschrieben habt und nicht telefoniert?“
 

Nur kurz verschwand das Grinsen auf dem Gesicht des Blonden und er legte den Kopf schief. Er schien den Mann vor seinem Schreibtisch zu mustern, eingehend zu mustern. Dann zog er die Augenbrauen zusammen und legte den Kopf auf die andere Seite. „Nun, du siehst aus wie immer. Schlecht gelaunt, übermüdet und bereit, mir meinen Tag ein weiteres Mal zu versauen. Wie ich dir schon zu dem Thema mit dem Buch auf meinen Schreibtisch werfen sagte, daraus kann ich jetzt wenig schließen.“ Das Grinsen kam zurück und wurde von einem seltsamen Strahlen begleitet. „Also, du warst gestern bei deinem Sensei? Und weil du erst um 1 Uhr nachts zurück gewesen bist, hat er dich nicht gleich wieder raus geschmissen?“ Begann Joey direkt zu fragen, als er bemerkte, wie sich ein drohend grausames Donnerwetter zusammen braute, als Antwort auf seine Aussage.

Schweigen. Es herrschte einen Moment und unbewusst wurde aus dem breiten Grinsen Joeys ein aufmunterndes Lächeln. „Na komm, ich werde es auch nicht weiter sagen. Außerdem wissen wir beide jetzt doch, dass du vielleicht nicht ganz dein Herz verloren hast. Jemand, der kein Herz mehr hat, würde sich niemals so viele Sorgen um seinen Bruder machen oder darüber, ob er jemals die Wahrheit hinter den Werten des Judos verstehen wird.“ Versuchte er einen keinen Anstoß zu geben und hoffte, dass die Anspielung auf ihre Begegnung in der Küche, die all dies hier ausgelöst hatte, nicht falsch war.
 

Mit einem tiefen Durchatmen stellte Seto den Helm auf die Kannte des Schreibtisches. Er schien selbst mit sich zu kämpfen und begann dann doch mit einer Antwort. „Ja, ich war gestern da und ja, er hat mich nicht wieder rausgeworfen. Um deiner nächsten Frage vorzugreifen, ja, ich habe ihm gesagt, dass ich seine Aufgabe nicht erfüllen kann.“ Damit schien der kurze Redefluss wieder beendet und Joey beugte sich vor. „Ach komm, und weiter? Was hat er gesagt?“ Er versuchte nicht aufdringlich zu sein und stützte sich interessiert auf dem Schreibtisch ab.

Nun musste Seto wirklich mit sich ringen. Er brach den Blickkontakt und atmete tief durch. Dann fuhr er sich unbewusst fahrig mit der Hand über das Kinn und atmete erneut tief durch, als wollte er Zeit gewinnen. „Das geht dich rein gar nichts an. Was ich mit meinem Sensei besprochen habe, hat rein gar nichts mit deiner Arbeit hier zu tun!“ Gab er dann eher abweisend von sich, anscheinend war er doch nicht in der Lage, jetzt etwas dazu zu sagen.

Seltsamerweise schien Joey das zu verstehen. Er lehnte sich zurück und öffnete mit wenigen Klicks am PC den Kalender. „Ok, aber eines muss ich wissen. Soll ich jetzt in deinem Kalender einplanen, dass du da wieder hingehst oder nicht?“ Er hob den Blick vom Bildschirm und sah den Brünetten fragend, aber zurückhaltend lächelnd an.
 

Wieder konnte er sehen, wie der Mann mit sich rang. Anscheinend gab es einiges, mit dem er noch nicht abgeschlossen hatte. „Ich trage die Termine gleich ein. Dann weißt du es.“ Damit griff er fester nach seinem Helm und wollte sich schon vom Schreibtisch abwenden, als er zögerte. Kurz biss er sich auf die Unterlippe und atmete zum dritten Mal laut hörbar durch. „Du kannst aber etwas anderes einplanen.“ Begann er dann langsam und als die blauen Augen wieder zu dem Blondschopf in seinem weißen, leicht knittrigen Hemd zurückfanden, wirkte Seto verlegen. „Ich werde ab der nächsten Woche eine halbe Stunde später beginnen.“ Kam von ihm und die braunen Augen durchbohrten ihn regelrecht fragend. Anscheinend ausreichend, denn er gab sich einen Ruck. „Mein Sensei hat von mir verlangt, dass ich zwei Mal am Tag meditiere. Morgens und abends. Je eine halbe Stunde. Wenn ich das auch noch von meiner Schlafenszeit abziehe, schlafe ich irgendwann gar nicht mehr. Also fange ich ab Montag eine halbe Stunde später an.“

Nun war Joey wirklich erstaunt und sah ihn mit großen Augen an. „Tut mir leid, aber… du und meditieren? Irgendwie kann ich mir das nicht vorstellen.“ Er versuchte einen verzeihenden Ton in seine Stimme zu legen, was anscheinend gelang, denn er erhielt ein kurzes Lachen. „Ich auch nicht. Hat auch nicht geklappt. Ich saß heute Morgen eine halbe Stunde da und habe verzweifelt versucht, diesen Irrsinn umzusetzen. Ich war jetzt nicht sehr erfolgreich damit.“ Nun lachte sie beide etwas zurückhaltend und Joey meinte direkt. „Tja, dann kannst du ja jetzt noch ein wenig üben. Immerhin musst du es heute Abend auch wieder machen.“ Als Antwort erhielt er ein breites Grinsen und während Seto sich seinem Büro zuwandte, rief er noch. „Und Morgen und übermorgen und am Montag…“
 

~~~ooo~~~
 

Mit geschlossenen Augen saß er vor dem kleinen Schrein und der Duft von Sandelholz erfüllte die Luft. Innerlich war er angespannt und dutzende Dinge gingen ihm durch den Kopf. Er wusste, dass er eigentlich gar nichts denken sollte, aber das schaffte er nicht. Seine Gedanken zogen immer wieder zum gestrigen Tag zurück. Eigentlich war alles gut gelaufen. Eigentlich schien es beinahe so, als wäre nichts gewesen. Als hätte er nie die Kontrolle verloren. Das, was geschehen war, blieb in Dubai und kam nicht hier her mit nach Domino. Natürlich war der erste Tag wieder voller Leben und als seine Sekretärin kam, wurde erst einmal lang getratscht. Miyagi war aufgeregt und musste mit Joseph all das besprechen, was vorgefallen war und er berichtete von all dem, was er erzählen konnte. Auch dieser Fujimoto war zum späten Frühstück da, zum Mittagessen und am Nachmittag brachte er auch noch etwas Süßes vorbei, damit sie ja lange reden konnten.

Alles schien so normal und doch… ging ihm diese eine Szene nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte sich am Abend, als alle anderen schon fort waren und nur noch er und Joseph im Büro, noch einen letzten Kaffee machen wollen. Der Blonde stand dort, mit dem Rücken zur Tür und als Seto hinter ihn trat, zuckt er erschrocken zusammen und machte einen Satz zur Seite. Pure Angst stand in den schönen, braunen Augen und beiden war klar, warum der 19-Jährige so reagierte. Er bekam diesen Blick nicht aus dem Kopf. Joseph hatte ihn angesehen, als erwartete er einen neuen Übergriff und die Angst hatte ihn nicht mehr losgelassen. Zwar hatten sie noch ein wenig gescherzt und der Blonde brachte ihm zum Abschied den Kaffee in sein Büro, nur als Tee, aber der Blick blieb voller Angst.
 

Außerdem wusste Seto nicht, wie er mit Fujimoto umgehen sollte. Er war ihm einfach aus dem Weg gegangen, aber die Tatsache, dass der kleine Koch auf Joseph stand, machte ihn wahnsinnig. Er wusste immerhin nicht, ob der Blondschopf nun davon überzeugt war, auch auf Männer zu stehen oder lieber in der Liga der Frauen weiter unterwegs war. Denn die Nacht mit Djamila schien ihm ja neue Erkenntnisse geliefert zu haben.

Seine Gedanken blieben an dem Kampf hängen, daran, wie Joseph auf Kamil losgegangen war und wie schwer es Seto gefallen war, die beiden voneinander zu trennen. Das Bild wurde so klar und deutlich vor ihm, wie der Blonde auf dem Boden lag. Er spürte die heiße Haut unter seinen Händen, während er den Arm des 19-Jährigen auf dessen Rücken drehte.

Seto spürte, wie seine eigenen Hände zu beben begannen und er ballte sie zu Fäusten. Immer wieder war die Kommunikation zwischen ihm und dem Blonden von Gewalt geprägt. Er schlug ihn, drängte ihn zurück, misshandelte ihn. Wie konnte er erwarten, dass Joseph ihn nicht voller Angst anstarrte? Das Beben ergriff nicht nur seine geballten Fäuste, nach und nach nahm es seinen gesamten Körper ein. Eigentlich liebte er diesen Ausdruck von Angst, wenn sein Opfer voller Panik zu erstarren begann, aber… irgendetwas an diesem Bild schien ihm mit einem Mal falsch. Als… als müsse der junge Mann ihn anders ansehen. Es war falsch. Es war weniger der Moral her falsch, es war etwas, dass er im Blick des 19-Jährigen suchte, aber nicht finden konnte. Er suchte… Zuneigung?
 

Viktoria sah ihn nie so an. Ihr Blick hatte immer etwas Dominantes. Sie suchte stets nach seinen Schwächen und wollte sie eiskalt ausnutzen. Er war in diesem Punkt ja nicht anders, nur… wenn er ehrlich war, kannte er dieses Muster. Er kannte es, weil er es selbst erlebt hatte. Gozaburo war strikt und hatte sich eine ganze Weile zurückgehalten, bis klar wurde, dass Seto sich seinem Weg nicht anschließen würde. Auch dann hatte es gedauert, bis der Mann seine Vorlieben fand. Gewalt konnte in vielen Varianten ausgelebt werden und Seto erinnerte sich noch zu gut an den Schmerz, als der kräftige Mann gnadenlos nach den brünetten Haaren griff, um ihn durch das Zimmer zu schleifen. Hilflosigkeit stieg in ihm auf, Angst, die ihm die Kehle zuschnürte. Er wollte nicht daran denken. Damals war er jung und schwach gewesen! Damals hatte er sich nicht wehren können.

Dass er zu zittern begonnen hatte, bemerkte er nur bedingt. Seine Gedanken kreisten um die Vergangenheit, in seinen Ohren hörte er das Geräusch des Gürtels, als dieser kraftvoll aus den Laschen der Hose gezogen wurde. Gozaburo hatte es geliebt. Der Moment, in dem der Knall des Leders den Raum erfüllte. Das verbissene Gesicht des Jungen, der nicht weinen und nicht schreien wollte. Die Lügen, die Seto Mokuba aufgetischt hatte, um all dies zu verheimlichen.

Eben diese hatten Gozaburo zu einer anderen Form von Gewalt gebracht. Emotionale Erpressung. Es war nicht nur die Drohung, dass er sie beide wieder ins Waisenhaus stecken würde, sondern die Drohungen Mokuba gegenüber. Er hatte Seto immer wieder damit gedroht, dass dem kleinen Jungen etwas geschehen würde. Hatte den kleinen Zwerg gegen ihn ausgespielt.
 

Aufgewühlt, zitternd und unfähig, das erlebte zu verdrängen, riss Seto die Augen auf. Er starrte auf das niedergebrannte Duftstäbchen und das Teelicht, welches daneben stand. Er zitterte, bebte und fuhr sich erschöpft mit beiden Händen durch die Haare. Er wollte nie wieder so schwach sein. Nie wieder so hilflos.

„Meditieren geht anders, Seto.“ Brummte er mit schwacher Stimme und beugte sich vor, um das Licht zu löschen. Er brauchte drei Anläufe, bis er die kleine Flamme erstickt hatte. Noch immer bang erhob er sich und verließ den Raum, den er sich extra als kleinen Dojo hergerichtet hatte. Der Brünette trug seinen weißen Kampfanzug und öffnete fahrig den Gürtel. Er war weiß. Sein Meister hatte ihm den Auftrag gegeben, ganz vorn vorne anzufangen. Er rollte ihn zusammen und starrte auf die ungeschickten Finger, die kaum dazu in der Lage waren. Dass ihn die Erinnerung so heftig einholen würde, hatte er nicht erwartet. Er trat hinüber in sein Schlafzimmer und warf die halb fertige Rolle auf das durchwühlte Bett. Auch seine Jacke landete dort und er ließ sich nur halb bekleidet auf die Bettkannte sinken.
 

„Ich habe kein Herz mehr, Wheeler!“ Hatte er ihm gesagt und jetzt kam es ihm dumm und albern vor. Ja, er hatte es wirklich geglaubt. Er wollte stark und unabhängig sein, sich von keinem einschüchtern und beherrschen lassen. Er musste an die Worte seines Sensei denken. Sie hatten lange zusammengesessen und miteinander gesprochen. „Du denkst, dass du immer stark sein musst und keine Schwäche zeigen darfst. So kämpfst du, so lebst du. Im Judo geht es nicht darum, den anderen nieder zu machen oder zu demütigen. Es geht um einen Tanz, wie ein miteinander, dass beide Kämpfer miteinander verbindet. Als du von hier gegangen bist, warst du ein Mann, der keine Schwäche duldete. Weder bei sich, noch bei anderen. Du hast sie alle niedergemacht, sie gedemütigt und dafür bestraft, dass sie nicht so gut waren, wie du. Du hast es mit Schülern aufgenommen, die mehrere Jahre mehr Erfahrung hatten und doch gewonnen, weil du nur das Ziel hattest: sie zu vernichten. Du musstest immer beweisen, dass du der beste warst. Ohne Ausnahmen. Als dein Stiefvater starb, dachte ich, dass sich dein Verhalten ändern würde, aber es wurde nur schlimmer. Du versuchst allen vorzugaukeln, dass du unbezwingbar bist, keine Angst hast und keinen Schmerz spürst. Du willst alle glauben lassen, dass du der Stärkste unter ihnen bist und niemand eine Chance gegen dich hat. Aber eines sehe ich bei dir nicht. Wer bist du, Seto? Wer bist du unter all den Schichten, den Mauern, die du errichtet hast, um niemandem einen Einblick in deine Seele zu geben?“
 

Mit einem Schlucken fuhr er sich erneut durch die Haare. „Menschen haben Schwächen, Vorlieben und Verlockungen. Das zeichnet sie aus. Wenn du wissen willst, ob du ein guter Mensch sein kannst, finde deine Schwächen. Fange ganz von vorne an und mache dich auf die Suche nach dir selbst. Nicht der Firmenführer Kaiba Seto. Nicht der Kämpfer Kaiba Seto. Nicht der große Bruder, nicht der Stiefsohn von Kaiba Gozaburos. Sondern, das, was du in deinem Herzen findest.“ Wieder sah Seto auf und schluckte. Was er in seinem Herzen fand? Da war Angst und Schwäche. Mehr nicht. Jetzt gerade wollte er nichts finden. Er fühlte sich verletzlich und… würde am liebsten ein großes Glas Whisky trinken. Ganz gleich, ob sie es erst Samstagmorgen hatten.

„Ich will, dass du ganz von vorne beginnst. Beginne beim weißen Gürtel, mache die Kurse mit und versuche das Judo durch die Augen derer zu sehen, die gerade erst angefangen haben. Ich will, dass du jeden Tag meditierst, eine halbe Stunde morgens und abends. Du sollst dich auf dich konzentrieren, deinen viel zu vollen Kopf endlich einmal leer bekommen und dabei keinen Alkohol trinken. Du wirst mindestens 7 Stunden schlafen, dich gut ernähren und nicht einmal an einem Glas Alkohol schnuppern!“
 

Da hatte sein Sensei etwas gefunden, das Joseph voller Freude ebenfalls unterstützen würde. Mit einem Seufzen griff er zu seinem Telefon und musste an den Moment denken, an dem er es Freitag früh in der Nacht das erste Mal wieder in der Hand hatte. 7 entgangene Anrufe hatte er von seinem kleinen Bruder erhalten, weil dieser sich solche Sorgen um ihn gemacht hatte. Sein Handy lag nur hier neben seinem Bett auf dem Nachttisch und er hatte es nicht bei sich. So rief der 17-Jährige völlig umsonst immer und immer wieder an.

Nun öffnete Seto die bekannte, grüne App und erhielt zuerst den Chatverlauf mit seinem Bruder. Mokuba hatte ihm gestern nach der Schule geschrieben, dass er am Samstag nicht kommen würde, sondern die Nacht von Freitag auf Samstag bei Aiko wäre. Nun war es schon 9 Uhr früh und Seto fragte sich, ob sein Bruder auch am Sonntag dort bliebe. Kurzer Hand entschied er sich für einen Anruf und nur wenige Sekunden später drang das bekannte, eintönige Tuten an sein Ohr. Es dauerte einen Moment, bis jemand abhob und Mokuba etwas müde mit „Ja?“ antwortete. Anscheinend hatte er wirklich noch geschlafen. Wie untypisch für ihn.

„Wer ist denn dran?“ Kam leise aus dem Lautsprecher. Eine junge, weibliche Stimme klang nicht allzu fern im Hintergrund, ebenso müde und verschlafen. „Tut mir leid, ich wollte euch zwei nicht wecken.“ Gab Seto ruhig von sich, obwohl es schon komisch war, Aikos Stimme zu hören. Immerhin wusste er bis her nicht, wer diese junge Frau war. „Oh, Seto, du bist es. Ohayo.“ Nuschelte Mokuba und schien nicht mitzubekommen, dass seine Freundin ebenfalls zu hören war. „Es ist mein großer Bruder.“ Flüsterte er hinüber und Seto musste schmunzeln, denn er hörte alles mit. „Der, den ich noch nicht kennen?“ Fragte sie leise zurück und erhielt wohl ein Nicken, den Mokuba brummte nur etwas. Stoff raschelte und dann fragte der 17-Jährige. „Was kann ich denn Gutes gegen dich tun? Ähm… für dich… tut mir leid, dummer Scherz. Bin noch ein wenig müde.“ Beeilte er sich zu sagen, doch seiner Stimme hörte man die Müdigkeit an.
 

„Ist gestern wohl spät geworden oder?“ Fragte Seto ruhig. Wie er auf die Anwesenheit der ihm unbekannten „Freundin“ reagieren sollte, wusste er nicht. Sein Stiefvater hätte Mokuba jetzt wahrscheinlich rund gemacht, aber das brachte ihn ja nicht an den Punkt, an den er wollte. Ob Herz oder nicht, er mochte seinen Bruder und er wollte wieder ein gutes Verhältnis zu ihm aufbauen. „Jaha, irgendwie schon. Wir haben bis mitten in die Nacht Go gespielt. Und nein, wirklich nur Go!“ Kam in einem verlegen, hektischen Ton von der anderen Seite der Leitung und Seto lächelte. „Schon gut, ich hätte auch nicht danach gefragt.“ Gab er amüsiert von sich und konnte die roten Wangen seines Bruders gut vor sich sehen. „Ich wollte nur wissen, ob wir uns Morgen sehen. Es würde mich freuen, wenn… na ja… es ist nichts geplant, aber…“ So recht wusste er nicht, wie er es ausdrücken sollte.

„Oh… das…“ Kam nun wieder von Mokuba, der jetzt wirklich überrascht, aber sehr verlegen war. „Wir gehen morgen Mittag noch essen und ich werde wohl eher gegen Abend zurück sein. Also…“ Begann er stotternd und schien ebenso unbeholfen, wie Seto zu sein. „Schon gut, war auch nur eine Frage.“ Beeilte sich der Brünette zu sagen und stockte. Ein Schweigen trat ein, von Peinlichkeit und Überforderung geprägt.

„Wenn du direkt nach dem Tee gehst, kannst du doch sicher noch den zweiten Teil von Panem mit ihm sehen oder? Das wolltest du doch so gerne.“ Flüsterte Aiko auf der anderen Seite und schien noch immer nicht zu begreifen, dass sie gehört wurde. „Ja schon, aber… ich glaube nicht, dass er das will.“ Flüsterte nun Mokuba zurück und nun musste Seto etwas sagen.
 

Ein Räuspern kam von ihm und vorsichtig fragte er. „Ihr wisst schon, dass ich euch beide hören kann oder?“ Stille. Sie war so umfassend, so einnehmend, dass Seto die Panik in den Augen der beiden Teenager regelrecht vor sich sehen konnte. „Ich finde den Plan gut, so ist das nicht. Ich würde sogar sehr gerne mit dir den zweiten Teil sehen, immerhin habe ich es dir vor meine Reise nach England versprochen. Ich will nur nicht so unhöflich sein und euch nicht wenigstens darauf hinweisen, dass ich euer Geflüster hören kann.“

Ein Schlucken war die Antwort und ein leises Räuspern, auf das jedoch nichts folgte. Nach einer Weile versuchte es Seto erneut. „Vielleicht wäre das ja ein Anstoß dazu, dass ich deine Freundin auch einmal kennenlerne. Anscheinend kennt Joseph sie und Noah und ich weiß nicht, wer noch alles. Ich fände es zumindest ganz nett, wenn zu dem Namen noch ein Gesicht dazu käme.“ Schlug er vor und nach einer weiteren Weile des Schweigens und zwei weiteren nun weiblichen Räusperversuchen kam ein vorsichtiges. „Ohayo gozaimasu Kaiba-san. Es… es würde mich auch sehr freuen, sie endlich einmal kennenzulernen.“ Wie schwer ihr diese Worte vielen, war deutlich zu hören und auch der Brünette spürte, wie sein Herz wild zu schlagen begonnen hatte. „Ohayo gozaimasu. Nun, wie wäre es dann am nächsten Wochenende?“
 

Vielleicht war es der noch immer leicht müde Zustand oder die Überforderung, doch Aiko sagte schlicht. „Am… am Samstag habe ich noch nichts vor. Das… das wäre möglich.“ Auch Mokuba räusperte sich und meinte dann. „Von meiner Seite ginge das auch. Ich… ich hatte jetzt nichts vor.“ Seine Stimmte zitterte und nun spürte auch Seto eine gewisse Überforderung. „Gut, dann bleibt es dabei. Nächsten Samstag und wir, Mokuba, können morgen Abend in Ruhe besprechen, wo und wann wir uns alle treffen.“ Sein Herz schlug bis zum Halse und er kam sich vor, wie ein dummer Junge. Das war ein schlichtes Telefonat!

„Gut, ja, das klingt doch gut. Dann… dann frag ich Noah, ob er auch mitschauen will. Dann... dann sind wir morgen zu dritt. Ich…“ Er musste laut schlucken. „…bin dann wohl gegen 17 oder 18 Uhr zurück. Ich melde mich, wenn ich es genau weiß, ok?“ Fragte er noch und als Seto ihm dies bestätigte, ein kurzer Abschiedsgruß kam, legte der 17-Jährige schnell auf.

Auch der Brünette saß dort, sein Herz schlug wild und sein Atem ging flach und hektisch. Er war nervös und aufgewühlt, überfordert und eine gewisse Panik ergriff ihn. Nur eine Frage geisterte durch seinen Kopf: WAS HATTE ER DA EBEN ANGESTELLT???

Zurück zu den Anfängern

Kapitel 41

Zurück zu den Anfängern
 

Gemütlich saß Joey neben seiner Schwester und versuchte sich nicht über all das Gedanken zu machen, was an diesem Morgen geschehen war. Die ersten beiden Anrufe hatte er nicht erwartet und doch hatten sie ihn gefreut. Die nächsten beiden Anrufe waren jedoch so außergewöhnlich, dass er sie nicht vergessen konnte. Nur langsam wurde dem jungen Mann bewusst, welche Rolle er in diesem ganzen Chaos einzunehmen begann und welche Ausmaße dies mit sich zog. Der dritte Anruf an diesem Morgen kam eher gegen Mittag. Es war halb zwölf, als sein Handy klingelte und er starre erstaunt auf die Anzeige seines Telephons.

„Einen wunderschönen Samstag wünsche ich dir.“ Begrüßte er den Anrufer und erhielt dafür nur ein gebrummtes. „Du hast ja gute Laune.“ Joey trug wie meist ein einfaches, weißes T-Shirt und seine gemütliche blaue Jogginghose. Das einzige Kleidungstück, welches es noch nie aus dieser Wohnung geschafft hatte. Nun, zumindest noch nie angezogen. Vor ihm auf dem kleinen Tisch stand ein Becher mit Tee, den er schon zur Hälfte geleert hatte. „Ja, die habe ich. Ich konnte heute lange ausschlafen, habe heute Abend nur die kurze Schicht und dann den gesamten Sonntag frei. Da kann man doch nur gute Laune haben oder?“ Kam von ihm in diesem freudig frohlockenden Ton. „Du arbeitest heute?“ Wollte die tiefe Stimme auf der anderen Seite nun wissen und Serenitiy sah ihren Bruder fragend an.

„Ja, ich arbeite heute Abend wieder. Ich dachte, du wärest dir ihm Klaren darüber, dass ich am Wochenende als Barkeeper arbeite. Gestern Nacht auch. Ich habe um 22 Uhr angefangen und kam heute Morgen um 4 Uhr wieder. Ich bin direkt ins Bett und erst so vor 20 Minuten aus dem Bett gefallen. Na ja, zwischenzeitlich wurde ich hin und wieder geweckt.“ Gab er zu und musste mit einem Mal ausgiebig gähnen.
 

Ein leises Kichern kam und Serenity fragte ihn. „Möchtest du noch Tee?“ Er nickte mit einem Lächeln und der Anrufer fragte in einem seltsam verhaltenen Ton. „Deine Schwester ist auch da oder?“ Er konnte das Grinsen auf seinem Gesicht kaum verbergen und plötzlich rief die junge Frau. „Ich wünsche dir auch einen wunderschönen Samstag, Kaiba.“ Nun musste ihr Bruder lachen und ergänzte. „Warte, wenn ihr euch eh schon hört, kann ich dich auch auf Lautsprecher stellen.“ Mit diesen Worten nahm er das schwarze Gerät von seinem Ohr und legte es auf den Tisch zwischen sich und seine Schwester. Der Bildschirm ging wieder an und kurz musste der Blonde suchen, um die richtige Taste zu finden. „Habe ich gesagt, dass ich mit deiner Schwester telephonieren will?“ Kam etwas patzig von ihm und Serenity, die ihre Haare zu einem einfachen Zopf geflochten hatte, stellte die Ellbogen auf den Tisch, um das Kinn in die Hände zu stützen. Die Teekanne stand schon wieder auf dem kleinen Stövchen. „Ich hab dich auch nicht lieb! Aber du bist derjenige, der meinen Bruder am Wochenende anruft und ich werde mich von dir auf keinen Fall aus meinem eigenen Wohnzimmer vertreiben lassen.“ Konterte sie nun und Seto brummte etwas Unverständliches auf der anderen Seite, um dann zu ergänzen. „Wenn ich etwas von dir wollte, würde ich dich anrufen!“

Nun musste sie lachen und gab frech von sich. „Ach komm, Kaiba, dafür müsstest du meine Nummer haben!“ Sie sah zu ihrem Bruder, der sie bekräftigend nickend anblickte. „Das wäre nicht das Problem. Gib mir 5 Minuten und ich habe sie. Entweder kann ich sie über das Telefon deines Bruder bekommen oder ich hacke mich in das System deiner Schule, in dem garantiert auch deine Nummer zu finden ist.“ Ein erstauntes Schweigen wurde mit einem ebenso erstaunten „Oh!“ eingeleitet und die beiden Geschwister sahen sich überrascht an. „Das ist wohl wahr, die Schule hat meine Handynummer. Aber du könntest auch einfach nett fragen. Dann würde ich sie dir vielleicht geben.“ Tadelte sie 17-Jährige den Firmenführer und dieser schien nur laut durchzuatmen. Seine Geduld war anscheinend erschöpflich.
 

„Was kann ich denn Gutes für dich tun?“ Begann nun der blonde junge Mann, der so vielen Tätigkeiten nachging. Er versuchte seiner Stimme einen lockeren, unbeschwerten Klang zu geben, weil er bemerkte, wie schwer es Seto fiel. Es dauerte noch eine Weile, in der die beiden beinahe spüren konnten, wie der Brünette mit sich kämpfte. „Ich… hätte gerne einen… ich wüsste gerne deine Meinung zu einer Situation.“ Begann er schließlich und Serenity und ihr Bruder tauschten wissende Blicke. „Gerne. Um was geht es denn?“ Fragte Joey nun und seine Schwester hielt sich sehr zurück. Sie begriff schnell, dass es hier eigentlich um Vertrauen ging. Ein Vertrauen, welches nicht zwischen ihr und diesem Mann bestand, aber anscheinend zwischen ihrem Bruder und dem Brünetten.

„Du kennst doch Aiko, Mokubas Freundin oder?“ Begann der 22-Jährige und erhielt ein aufmunterndes Bejahen. „Ich habe vorhin mit Mokuba telefoniert und so wie deine Schwester jetzt war auch Aiko im Hintergrund zu hören. Irgendwie kam es dazu, dass ich fragte, wann ich sie denn nun endlich kennenlernen würde und wir haben uns schlussendlich auf nächsten Samstag geeinigt. Ich glaube, dass Mokuba selbst gar nicht so bewusst war, was er da sagte und eigentlich überhaupt nicht will, dass wir uns treffen. Allerdings wüsste ich schon sehr gerne, wer sie nun ist. Ich meine, im Grunde wäre es nicht schwer, mehr über sie zu erfahren. Ich kenne ihren Vornamen, ihre Schule und ihren Jahrgang. Es würde mich wahrscheinlich nur 5 Minuten kosten, um alles über sie zu erfahren.“
 

Joey hörte die Unsicherheit in der Stimme des anderen, war sich aber nicht sicher, ob seine Schwester sie auch wahr nahm. „Das wäre aber sicher kein legaler Weg oder?“ Fragte der Blonde nun und verschränkte die Arme vor der Brust, um sich damit auf dem Tisch abzustützen. „Nein, das wäre es nicht. Ich würde das System der Schule hacken. Es wäre also illegal.“ Kam trocken von Seto und die blonden Augenbrauen des 19-Jährigen hoben sich. „Gut, dann solltest du das auf keinen Fall tun. Ich finde, dass ihr euch am nächsten Samstag treffen solltet. Ich meine, dann habt ihr es endlich hinter euch und dieses elende Hin und Her ist vorbei.“ Ein Seufzen war auf der anderen Seite zu hören und Joey atmete still tief ein und aus. „Was hältst du davon? Ihr könnt euch doch alle an einem neutralen Ort treffen. Ein Restaurant zum Beispiel, so eines, wie das italienische, in dem wir gemeinsam waren. Dann esst ihr da Samstag zu Mittag, so dass es nicht so früh ist und alle ausschlafen können, aber gleichzeitig auch nicht so spät, dass ihr unter Zeitdruck leidet. Wenn das Treffen gut läuft, dann könnt ihr zu euch fahren und noch einen Tee trinken und wenn es nicht so gut läuft, kann jeder nach dem Essen zu sich nach Hause gehen.“ Schlug Joey nun vor und hörte, wie der andere schwer atmete.

„Das klingt nach einem soliden Plan.“ Kam nach einer Weile und doch war da ein seltsamer Ton in diesen Worten, den er nicht ganz verstand. Es verstrich wieder eine Weile und dann fragte der Brünette. „Sag mal, diese Idee hattest du nicht gerade eben oder?“ Nun war es Joey, der rote Wangen bekam und verlegen lächelte. „Na ja… also…“ Begann er und sah zu seiner Schwester, als suche er bei ihr Hilfe. Auch sie wirkte leicht verlegen und räusperte sich dann. „Du hattest mitbekommen, dass Joey eben erzählte, dass er hin und wieder geweckt worden ist?“ Fragte sie und bekam ein „Ja?“ als Antwort. „Nun, Mokuba hat heute Morgen angerufen und uns das gleich erzählt. Er war auch ziemlich aufgelöst und wusste nicht, wie er mit der Sache umgehen sollte. Da ich schon wach war, kam Joey zu mir und wir…“ Sie räusperte sich noch einmal verlegen. „…haben ihm das gleiche vorgeschlagen. Es wäre besser, wenn er dir endlich Aiko vorstellt und es nicht weiter hinaus schiebt.“
 

Als sie eine Pause einlegte, war es totenstill auf der anderen Seite. Es dauerte, bis endlich ein Schlucken kam und eine gewaltige Anspannung lag in der Luft. „Ich weiß, wir hätten es dir gleich sagen sollen, aber ich hatte die Hoffnung, dass dir Mokuba einfach den Plan erzählt und nie heraus kommt, dass wir da groß mit eingebunden sind. Ich weiß ja, dass du nicht willst, dass ich mich in dein Leben einmische.“ Beeilte Joey sich plötzlich, als ihn das Gefühl ereilte, die Pause wäre gefährlich lang.

„Schon gut, ich habe dich ja immerhin gefragt. Ich rufe dich ja schließlich an, um dich nach deiner Meinung zu fragen.“ Brummte Seto schließlich und Joey hatte das Gefühl, dass der Brünette sich mit der freien Hand durch die Haare fuhr. Zögerlich wartete er auf noch etwas, eine Aussage, ein Bezugnehmen auf das Gesagte, aber nichts kam. So entschied sich der Blonde, doch noch einmal anzusetzen. „Wir haben es auch schon Mokuba angeboten, darum biete ich es dir auch noch einmal an. Wenn du willst, kann ich, können wir euch gerne begleiten. Noah würde auch dabei sein und vielleicht ist es entspannter, wenn es mehrere sind.“ Schlug er vor und er hörte den schweren Atem des anderen.

Auch jetzt wieder war es unglaublich still und es dauerte lange, bis Seto wieder etwas sagte. Joey hatte schon gedacht, dass gar keine weitere Reaktion eintreten würde und er nur noch den schweren, tiefen Atemzügen des Firmenführers lauschen durfte. „Was hat Mokuba dazu gesagt? Ich denke mal, dass ihr auch schon Noah gefragt habt oder?“ Wollte er nun doch unerwartet wissen.
 

„Ja, genau, beide wissen es. Noah rief mich vorhin ebenfalls an und wollte meinen Rat. Denn nachdem Mokuba mit mir telefoniert hatte, rief er wohl seinerseits Noah an, um ihn zu fragen, der dann wieder mich anrief.“ Ein kurzes, belustigtes Ausstoßen der Luft folgte und der Blonde schmunzelte. „Also, ja, auch Noah weiß Bescheid und beide fanden die Idee gut. Sie sind zwar etwas unsicher, aber ich denke, dass wird denke ich bei euch dreien aktuell nicht anders gehen.“ Er stellte sich das Gesicht des Brünetten vor und tendierte dazu, dass er wie immer fragend eine Augenbraue in die Höhe zog.

„Ist sie wirklich so schlimm?“ Wollte Seto mit einem Mal wissen und der 19-Jährige schüttelte den Kopf. „Nein, auf keinen Fall. Sie ist toll, wunderbar, nett, einfach perfekt. Ich meine, sie ist die japanischste Vorzeigefrau, die ich jemals gesehen habe. Es ist eher ihr Vater. Ihr… ich glaube, ihr seid verfeindet. Noah meinte, dass er nicht ausschließen kann, dass du Mokuba vorwirfst, dass er dumm und blind ist und dir in den Rücken fallen würde und du ihm Vorwürfe machst, dass er dich hintergeht und betrügt.“ Wieder trat diese bedrückte Stille auf der anderen Seite ein und dann seufzte Seto. „Du willst mir damit also sagen, dass ich mich darauf einstellen muss, sauer auf Mokuba zu sein?“

Nun war es Joey, der mit den Schultern zuckte. Natürlich konnte der Firmenführer diese Reaktion nicht sehen. Es war Serenity, die für ihren Bruder sprach. „Ja, das könnte sein. Aber wir hoffen, dass du einfach siehst, wie glücklich die beiden miteinander sind und wie sehr sie sich lieben und es dir deswegen egal ist. Mokuba liebt Aiko wirklich und sie sind jetzt auch schon eine ganze Weile ein Paar.“ Mit diesen Worten versuchte sie ihn auf dieses Treffen positiver einzustellen, doch sie war sich nicht sicher, ob es klappte.
 

„Danke.“ Es kam so unerwartet, dass Serenity und Joey einander anstarrten. Sie waren nicht in der Lage zu reagieren und so dauerte es, bis sie ein Räuspern wieder in diese Realität zurückholte. „Anscheinend reicht ein Danke von meiner Seite aus, um alle in Entsetzen zu versetzen.“ Kam trocken von Seto und nun musste sich Joey räuspern. „Also… so würde ich das jetzt nicht sagen, aber…“ Begann er und Serenity lachte. „… ein Danke von dir ist schon eine ziemlich große Sache!“ Vielleicht war es gerade dieses Geplänkel, welches die Situation wieder etwas lockerte.

Daher fragte der Blonde nun deutlich gelassener. „Was hast du denn heute noch so vor?“ Er griff nach seinem Becher Tee und wollte gerade einen Schluck nehmen, als er die Antwort hörte. „Woher soll ich das wissen? Mein unfähiger Sekretär hat mir ja für das gesamte Wochenende keinen einzigen Vermerk eingetragen.“ Diese Aussage kam so ernst von ihm, das der 19-Jährige den Becher erstaunt wieder sinken ließ. „Oh, aber…“ Kam nun und Seto meinte ebenso trocken und ernst. „Denkst du etwa, dass ich meine Freizeit alleine gestalten kann? Als hätte ich Hobbys.“
 

Nun musste Serenitiy lachen, als sie das Gesicht ihres Bruders sah. Auch das Schmunzeln auf der anderen Seite der Telefonleitung war klar zu erkennen. „Du hast wirklich keine Ahnung, was du heute machen sollst?“ Fragte Joey nun etwas überfordert und glaubte der Aussage, die der Brünette ihm um die Ohren gehauen hatte. Seine Schwester musste nun noch lauter lachen und Joey sah sie verwirrt an. Auch ein dezentes belustigtes Brummen war von Seto zu hören. „Keine Sorge, ich komme schon zurecht. Ich bin heute Nachmittag wieder beim Judo und noch habe ich ein paar Seiten übrig, die ich lesen kann. Morgen Abend habe ich die Verabredung mit Mokuba und Noah zum nächsten Teil der Tribute von Panem und die anderen Stunden werde ich mich auch noch beschäftigen können. Immerhin will ja auch noch ein Essen für den nächsten Samstag organisiert werden oder?“

Nun war es Joey, der lachen musste. „Oh, das klingt ja fast so, als würdest du es alleine schaffen. Ich bin beeindruckt. Wenn du noch ein wenig übst, kannst du vielleicht sogar bald ganz eigeneständig deine Wochenenden planen.“ Neckte er nun den Brünetten und nahm einen Schluck Tee. „Meinst du? Ich glaube noch immer, dass mein Sekretär nur zu unfähig ist, sich um meine Termine zu kümmern.“ Kam nun wieder von Seto, der seinerseits den Blonden ärgern wollte. „Mannomann, dann solltest du am Montag unbedingt mit ihm schimpfen. Ich meine, ist schon schlimm, dass er dich so im Stich lässt.“ Scherzte der nun zurück und nach dem Austausch einiger weiterer Neckereien beendeten sie das Gespräch.
 

Natürlich musste er nun noch einmal Mokuba anrufen, der ein wenig aufgekratzt und überfordert war. Joey konnte ihn beruhigen und berichtete davon, wie ihn zwischenzeitlich Noah und auch noch Seto angerufen hatte. Der Plan stand und am nächsten Wochenende würde es endlich soweit sein. Als Serenitiy berichtete, dass Seto sogar wieder zu scherzen begonnen hatte, musste sie näher erklären, was vorgefallen war.

„Nun, eigentlich müsstest du ihm dafür jetzt noch ein paar nette Termine eintragen.“ Gab Mokuba von sich und der Blonde lachte. „Würde ich ja, aber ich weiß nicht wie. Bis ins Büro werde ich für den Scherz nicht fahren.“ Gab er von sich und er hörte dieses typisch nachdenkliche „Hmm…“ von der anderen Seite. „Vielleicht kann ich ja…“ Mokuba schien seinen Laptop aus einer Tasche zu holen und klappte diesen auf. Die beiden Geschwister konnten hören, wie er auf der Tastatur tippte und dann kam ein erfreutes „Na, geht doch!“

Ob es eine gute Idee war oder nicht, aber es war einfach zu verlockend. Anscheinend hatte Mokuba noch immer Zugriff auf Joeys Profil und so konnte er auch Einträge in den Kalender machen. Er entschied sich jedoch, nach dieser Aktion lieber alle Verbindungen zu löschen. Er konnte auf ein zweites Desaster verzichten, in welches ihn seine letzte Aktion gestürzt hatte.
 

~~~ooo~~~
 

Seto saß in dem großen Speisezimmer und hatte die Zeitung vor sich ausgebreitet, während er aß. Es gab eine große Schüssel Misosuppe und mit einem gelangweilten Gähnen blätterte er um. Was für ein absoluter Unfug. War die Daily Domino eigentliche ein Zeitung oder ein Klatschblatt? Das war doch lächerlich. Da wurden Behauptungen in den Raum geworfen, die gar nicht stimmten und völlig sinnfreie Informationen geteilt. War interessierte es denn, ob die 15-jährige Tochter eines bekannten Filmsternchens betrunken Auto gefahren war oder der 17-jährige Sohn eines erfolgreichen Photographen nun eine Kosmetikmarke raus brachte? Das waren alles völlig uninteressante Informationen, die sein Leben nicht bereicherten. Er schüttelte den Kopf und hob die Schüssel an, um einen kräftigen Schluck zu nehmen.

Nachdem er endlich frustriert festgestellt hatte, dass er nichts versäumte, wenn er die Zeitung ausließ, griff er nach seinem Handy. Erstaunt bemerkte er die Anzeige, dass seinem Terminkalender neue Einträge zugeordnet worden waren und neugierig öffnete er diesen. Er hatte selbst von 16 bis 17 Uhr das Training eingetragen und nun kamen einige neue dazu. Danach gab es von 18 bis 19 Uhr Abendessen, gefolgt von einem „Lesen am Kamin“ Eintrag. Als Bemerkung war angegeben, dass er bisher noch kein neues Buch gefordert hatte, das letzte also wohl noch Kapitel übrig hätte. So, wie er es dem Blonden bereits gesagt hatte. Dann kam ein kleiner Vermerk, der nur eine halbe Stunde ging und keine Namen trug. Da direkt darauf um 23 Uhr ein „Schlafen“ Termin zu finden war, ahnte er schon, was Joey ihm damit sagen wollte.
 

Ihn wunderte es jedoch, dass der junge Mann ihm anscheinend diese Termine von Zuhause angelegt hatte. Wie war ihm denn das geglückt und sollte er sich für eine neue Katastrophe wappnen? Vielleicht hatte ihm Mokuba geholfen? Das würde auch erklären, warum Joseph den Termin mit der Meditation ausgelassen, bzw. nicht ausgeschrieben hatte. Irgendwie war es ja niedlich, dass der Blondschopf Himmel und Hölle in Bewegung setze, nur um diesen flapsigen Kommentar aufzugreifen. Mit einem ruhigen Lächeln erhob er sich und schob den Stuhl wieder an den Tisch. Er wollte gerade die Tür des Speisesaales hinter sich schließen, als er Noah sah. Der 22-Jährige blickte ihn erstaunt an und die dunkelblauen Augen trafen die eisblauen. „Hi…“ Kam von dem Grünhaarigen, der sich gerade seltsam unsicher gab.

Für einen kurzen Moment musste er abwägen, ob er auf diese Unsicherheit einging. Er ahnte, woher sie kam und so blieb Seto ungerührt stehen. „Hi.“ Kam kurz von ihm und er beobachtete, wie sich Noah immer unwohler unter seinem Blick fühlte. „Ich weiß es schon.“ Gab er von sich und nun zuckte sein Stiefbruder leicht zusammen. „Du weißt es? Was denn?“ Wollte er wissen und spielte den Ball mit einem schwachen Lächeln zurück. „Na, das eben. Das, was Mokuba auch weiß.“ Wahrscheinlich war er nun doch zu offensichtlich, denn nach einem kurzen Zögern stieß Naoh die Luft genervt aus und ließ den Kopf mit einem leichten Lächeln zur Seite sinken, um Seto vorwurfsvoll anzusehen. „Ach DAS meinst du. Sag das doch gleich, dann hätte ich gar nicht nachfragen müssen.“ Stieß Noah erst angefahren aus, bevor er begann nun seinerseits seinen Bruder zu necken. „Sehr schön, also kann ich die Einladungskarten zur Weihnachtsfeier rausschicken. Yugi und die anderen freuen sich bestimmt. Ich finde es klasse, dass du einem so großen Weihnachtsbaum zugestimmt hast.“
 

Nun konnte Noah sehen, wie die Augenbrauen gleichzeitig entsetzt in die Höhe gingen. „Bitte was?“ Kam von ihm und auch bei dem auftretenden Grinsen im Gesicht des anderen konnte er dies nicht ablegen. „Na, die Weihnachtsfeier. Du hast doch gesagt, dass du alles weißt, was Mokuba weiß und der weiß, dass er und ich entschieden haben, hier an Weihnachten eine große Feier auszurichten.“ Erklärte Noah noch immer in diesem neckenden Ton, der das Entsetzen jedoch nicht schmälerte, welches Seto zeichnete. „Ach komm schon, das ist doch eine schöne Idee. Mir gefällt sie. Eine große Feier, hier im Hause, Weihnachtspunsch und Kekse. Wir könnten in der großen Küche Kekse backen und… oh ja…“ Jetzt trat ein Leuchten in die dunkelblauen Augen und Seto versuchte zu erahnen, ob der andere es noch immer scherzhaft meinte. Den Eindruck hatte er jedoch nicht. „Wir könnten uns alle zu einem späten Frühstück treffen, dann Plätzchen backen und nach dem Tee am Nachmittag Geschenke auspacken. Weihnachtslieder und Punsch, getrocknete Orangen und Nelkenduft.“

Eindeutig und unmissverständlich meinte Noah das gerade ernst. Seto wusste nicht, was ihn mehr entsetzte. „Wer sind denn wir alle?“ Wollte er nun etwas unterkühlt wissen und Noah grinste breit. Er griff einfach nach dem Arm seines Stiefbruders und harkte sich bei diesem ein. „Nun, dass kommt darauf an, wen wir einladen. Ich meine, Joey zum Beispiel, Yugi und Atemu wären auch eine Idee.“ Er zog seinen Bruder mit sich und nicht sehr viel später landeten sie im gemütlichen Wohnzimmer, wo sie auch die letzten Filmabende verbracht hatten.
 

Natürlich war dem grünhaarigen Kaiba klar, dass sein Bruder nicht angetan war, doch er verwickelte ihn einfach in eine spontan begonnene Weihnachtsplanung und schaffte es wenigsten, den Mann hin und wieder zu seinem Schmunzeln zu bringen. Auch über Aiko und das nächste Wochenende sprachen sie, ebenso wie über den kommenden Abend. Seto wirkte angespannt und doch musste er lachen, als Noah meinte, dass Joey anscheinend den ganzen Morgen von Kaibas belagert worden wäre. Es war ein unglaublich schönes Lachen, stellte Noah fest und fragte sich, ob Joey der Grund dafür war.

Noch lange hatten sie sich unterhalten, doch um 14:30 Uhr meinte Seto, dass er sich auf den Weg zum Training machen müsste. Die Straßen wären sicher voll und er wollte nicht zu spät kommen. Noah verabschiedete ihn noch mit der Aussage, dass er ja vorsichtig fahren sollte und wünschte ihm viel Spaß. Nachdenklich hatte er den Schatten gesehen, der über das helle Gesicht gehuscht war. Stimmte etwas mit dem Training nicht?
 

Ja, es gab ein Problem. Ein sehr großes sogar. Seto wusste es, doch er versuchte all seine Bedenken zu verdrängen. So packte er seine Sachen und machte sich auf den Weg. Ein langer, schwerer und vor allem langsamer Weg. Von Ampel zu Ampel, zwischen den Autos, die an diesem Samstagnachmittag durch die Stadt fuhren. Er ahnte schon, dass es auf dem Rückweg nicht besser werde würde. Doch nun hatte er eine andere Herausforderung. Seto stand auf dem Parkplatz. Er hatte sein Motorrad ganz hinten neben eine Eibe gestellt, den Helm auf den Sitz gelegt. Sie Handschuhe theoretisch auch, doch einer war zu Boden gefallen. Innerlich aufgekratzt versuchte er sich zu beruhigen und ertappte sich immer wieder dabei, wie er nervös von einer zur anderen Seite lief.

Nicht nur ihm war dieses Verhalten aufgefallen. Immer wieder blickten die Eltern zu ihm hinüber, die ihre Kinder zum Training brachten und den jungen Mann in seiner Motorradkluft auffällig unruhig auf und ab tigern sahen. Er versuchte sie zu ignorieren und sagte sich, dass er seinem Sensei vertraute, dass all das hier schon einen Sinn ergab. Doch innerlich konnte er sich nicht beruhigen und sein Verstand spielte ihm Streiche. Er fuhr sich durch die brünetten Haare und spürte, wie seine Hände zu zittern begonnen hatten. Verdammt, er wusste wirklich nicht, was er machen sollte.
 

Verwundert starrte Joey auf sein Telephon und nahm den Anruf entgegen, den er nun erhielt. „Hotline für unfähige Sekretäre. Was kann ich für sie tun?“ Begrüßte er den Anrufer und nichts als ein tiefes Durchatmen war zu hören. „Das ist jetzt echt nicht lustig.“ Kam beinahe etwas Patzig von der Stimme aus dem Hörer. Joey fläzte gerade in seiner blauen Jogginghose auf dem Bett und hatte sein Lehrbuch vor sich auf dem Schoß. „Ach komm, so schlimm waren die Termine doch nun auch nicht. Ich dachte, du würdest dich darüber freuen.“ Verteidigte sich Joey nun, doch das war anscheinend gar nicht das Problem. „Ja, darüber habe ich mich auch gefreut. Aber darum rufe ich nicht an.“ Kam etwas entspannter von der anderen Seite. Erstaunt blinzelte Joey, der so eben unerwartet ein Geständnis erhalten hatte, welches so gar nicht in den Raum passte. Im ersten Moment wusste er nicht, was er sagen sollte, doch dann fasste er sich ein Herz und fragte mit einem charmanten Ton in der Stimme. „Gut, warum rufst du dann an. Es ist immerhin das zweite Mal heute.“

Die darauf folgende Stille überraschte ihn beinahe noch mehr, als die Bekundung, dass sich der Brünette über den Blödsinn gefreut hatte. „Ok, ich verstehe schon. Es ist etwas, worüber du eigentlich nicht mit mir reden willst. Vielleicht reicht es ja, wenn du mir sagst, was ich für dich tun kann?“ Fragte der Blonde nun mit einer gewissen Zurückhaltung. Er wusste mittlerweile, dass er Seto gegenüber in solchen Situationen nicht zu forsch sein durfte. Er musste ihn eher locken, indem er versuchte, dass Thema zu umgehen. Dann ging er schon von alleine auf das Problem ein.
 

Das tiefe Durchatmen war wie der Ausdruck einer resignierten Aufgabe und Joey wartete weiter. Er spürte den Kampf des anderen mit sich selbst. Die Unsicherheit und die Überforderung, die den 22-Jährigen nun bewegten, waren extrem heftig. Still ging ihm die Frage durch den Kopf, was den leibhaftigen Seto Kaiba so aus der Bahn bringen konnte. Dieses Bild passte so gar nicht zu dem kaltherzigen Mann, der ihn vor einigen Wochen in der Küche der Villa erst geschlagen und dann bedrängt hatte. „Wo bist du denn jetzt?“ Begann er einen anderen Ansatz, weil Seto nicht von alleine das Wort ergriff. „Auf dem Parkplatz der Kampfschule.“ Kam die angespannte Antwort schneller, als von dem Blonden erwartet. Wieder hörte er dieses geräuschvolle Atmen und hoffte auf mehr Informationen. „Mein Sensei wollte, dass ich ganz von vorne beginne und darum soll ich heute um 16 Uhr trainieren. Es… es ist ein fester Kurs.“ Kam nun zögerlich von der anderen Seite der Leitung.

„Du sagst es so, als wäre das etwas Schlimmes.“ Kam vorsichtig von Joey, der sich nicht sicher war, worauf der Brünette hinaus wollte. Das tiefe Seufzen kam auf die Sekunde, in der Joey damit rechnete. „Es ist der Anfängerkurs.“ Folgte in einem leicht gequälten Tonfall. Nun verstand der Blonde langsam, welches Problem sich daraus ergab. Immerhin hatte der 22-Jährige ihm im Flugzeug erzählt, dass er seit vielen Jahren trainierte. Wenn er wieder bei den Anfängern gelandet war, würde jemand wie er sicher zu viel bekommen. Er konnte sich regerecht vorstellen, wie der Frust in dem Mann kochte.
 

„Der Anfängerkurs für Kinder!“ Diese Aussage kam wie aus dem Nichts und Joey stand für einen Moment der Mund offen. Das war extrem mies. Der Kerl zwischen Kindern? Kleinen Kindern? „Wie alt sind sie?“ Wollte der 19-Jährige nun vorsichtig wissen und war sich selbst unschlüssig, wie er dem jungen Mann helfen konnte. „10 bis 13 Jahre und es ist ein Einsteigerkurs. Also haben sie jetzt erst seit 8 oder 9 Wochen überhaupt Judo. Sie sind also noch bei den einfachen Grundhaltungen und wenn ich Glück habe, lernen sie gerade die ersten Hebelgriffe und Schläge.“ Kam die Erklärung und Joey seufzte. „Ok, aber sollst du denn im Kurs als Teilnehmer dabei sein oder deinen Sensei nur als Trainer unterstützen?“ Es war ein kleiner Hoffnungsschimmer, den er erhaschen wollte und mit der linken Hand schlug der Blonde das Lehrbuch zu, um es neben sich zu legen.

„Das war auch schon meine Frage. Nein, ich soll als Teilnehmer arbeiten. Es wäre seine Aufgabe an mich. Wenn ich die wahren Werte des Judos verstehen will, soll ich sie durch die Augen eines Kindes sehen. Weil ich Kinder ja so hasse!“ Mit einem resignierten Schnaufen gab Joey ein Schmunzeln von sich. Er schwang die Beine aus dem Bett und stand auf. Nachdenklich ging er hinüber zum Fenster und starrte hinaus. Die Begegnung zwischen dem Jungen und Seto in Dubai ging ihm nicht mehr aus dem Kopf und selbst in Anbetracht der Tatsache, dass diese Kinder älter waren, erschien ihm das eine gefährliche Mischung. Aber die Idee hatte etwas. Diese Kinder waren rein, unschuldig und wahrscheinlich mit einem starken Herzen gesegnet. Wenn jemand die Werte des Judos suchte, dann würde er ihnen nur folgen müssen. Doch… wie brachte man einen sturen Esel wie Seto dazu, sich auf ein solches Experiment einzulassen?
 

„Erinnerst du dich noch daran, wie Mokuba in diesem Alter war?“ Fragte Joey nun und erhielt ein Brummen. Erst nach einigen Herzschlägen kam griesgrämig. „Natürlich tue ich das. Zu der Zeit konnte ich ihn noch verstehen.“ Was für eine Aussage! Aber egal, so kamen sie vielleicht voran. Mit einem leichten Schmunzeln, welches in seiner Stimme zu hören war, warf der Blonde eine Überlegung in den Raum. „Und wenn du dir vorstellst, dass das alles kleine Mokubas sind?“

Diese Idee musste einen Moment sacken, bevor ein Lachen erklang. Dieses war nicht ganz so klar, wie Joey es liebte. Die Anspannung war darin zu hören, doch es hatte trotzdem diesen ehrlichen Klang. Allein beim Hören musste der Blonde schon breit grinsen. „Anscheinend gefällt dir die Vorstellung.“ Kommentierte er mit einer gewissen Erleichterung in der Stimme. „Da ich gerne an diese Zeit zurück denke, hat diese ziemlich absurde Idee etwas. Ich finde zwar keine solide Erklärung dafür, aber vielleicht hilft es ja.“ Das waren doch die Worte, die Joey hören wollte. „Du könntest in einem Videospiel stecken und ein Fehler im System hat alle NPCs unter 13 Jahren in Mokuba verwandelt.“ Bot er gleich eine Variante an und wartete auf ein neues Lachen. Es kam nicht. Nur ein belustigtes Schmunzeln. Nun, man nahm, was man bekam.

„Tu mir nur einen Gefallen und grummel die Kleinen nicht an. Sonst verschreckst du sie noch.“ Neckte er und schloss. „So, es ist jetzt viertel vor vier. Du solltest jetzt los.“
 

Wann ihm sein Herz das letzte Mal beinahe aus der Brust gesprungen war, konnte er nicht sagen. Er war nervös, während er die Treppe hinauf stieg. Schnell hatte er den Brunnen aufgesucht und Hände und Gesicht gewaschen. Das Wasser war eiskalt und half ihm, stärker im hier und jetzt zu bleiben. Das Ritual am Schrein hatte er mit gerade so viel Geduld absolviert, dass es eben noch höflich wirkte. Als er sich aufrichtete, traten zwei Jungen neben ihn, das gefaltete Bündel zwischen die Knie geklemmt. Sein strenger Blick lag auf ihnen. Ein Räuspern.

Die beiden Jungen zuckten zusammen und sahen zu ihm auf. Große, verwirrte Augen, die fragend zu ihm sahen. „Ihr habt euch nicht das Gesicht gewaschen.“ Gab er in einem tiefen, strengen Ton von sich und beide zuckten erneut erschrocken zusammen. Sie sahen ihn überfordert und doch mit dem Ton der Verlegenheit an. Das sie ertappt wurden, war offensichtlich. Gelassen deutete der Brünette auf den Brunnen und schwieg auf stoische Weise. Kaum einen Moment später nickten die zwei Schwarzhaarigen und liefen hinüber. Er konnte sie noch leise tuscheln hören. „Woher wusste er das?“ Fragte einer und der andere meinte. „Wahrscheinlich ist er auch schon ein Sensei.“ Mutmaßte der andere und sie bibberten, als das kalte Wasser ihre Gesichter traf. Es war einfach saukalt. Immerhin hatten sie ihre Gründe, warum sie tricksen wollten.

Geduldig wartete der Brünette, den Helm hatte er wieder in der Hand, sein eigenes, gefaltetes Bündel ebenfalls. Als sie zurückkahmen, blickten sie ehrfürchtig zu ihm auf. Ein seltsames Gefühl. Was hatte Joseph noch gesagt? Er solle sich vorstellen, dass es alles kleine Mokubas wären? Mit einem Nicken gab er ihnen zu verstehen, dass sie weiter machen sollten und unter dem strengen Blick des 22-Jährigen verbeugten sie sich zwei Mal, klatschte in die Hände und sagten den Spruch auf. „Ich bin dankbar dafür, dass ich bin.“ Sagten sie huldvoll und die brünette Augenbraue wanderte fragend in die Höhe. Als sich die beiden wieder aufrichteten, erkundigte sich der Firmenführer in einem leicht angefahrenen Ton. „Wer hat euch das hier eigentlich beigebracht? Wenn ihr das Gelände das erste Mal betretet, dann sagt ihr nicht diesen Spruch. Der ist nur dafür gedacht, wenn ihr den Schrein passiert. Am Anfang steht immer ein Gebet, in dem ihr mit dem Tag abschließt und eure Gedanken reinigt.“
 

Große Augen blickten ihn an und die beiden wirkten langsam leicht verzweifelt. Mit einem Blick auf den Schrein forderte er sie erneut auf und sie nickten eingeschüchtert. Gerade wollten sie beginnen, als der erste leise nuschelte. „Sage ich das… laut?“ Seto musterte das Kindergesicht des 10-Jährigen und in seinen Ohren klangen die Worte des Blonden wider. So legte er seinen Helm wieder neben sich und trat zu den beiden. Er positionierte sich perfekt zum Schrein mit ausreichend Abstand, das kleine Päckchen, welches seinen gefalteten Kampfanzug darstellte, ebenfalls zwischen den Knien, und meinte dann etwas ruhiger. „Nein, dass musst du nicht laut sagen. Du kannst es, dass ist dir überlassen, aber die meisten Gebete werden im Stillen gesprochen. Dieser Schrein hat keinen besonderen Kami, dem er gewidmet ist und es soll euch die Möglichkeit bieten, mit dem Tag ein wenig abzuschließen. Ihr könnt euch auch auf das Training fokussieren.“ Seine Stimme klang nun nicht mehr so distanziert und hatte einen geduldiger Hauch erhalten. Seto verbeugte sich zwei Mal tief, klatschte in die Hände und meinte dann mit einfühlsamer, sanfter Stimme. „Danke für die Gelassenheit und Ruhe, die ich hier finden kann. Danke, für die Erfahrungen und das Wissen, dass ich hier erlernen darf. Danke, für die Gemeinschaft, die ich hier finde.“ Er verharrte noch einen Moment und verbeugte sich erneut tief vor dem Schrein. In dieser Verbeugung verharrte er einen Moment und richtete sich dann wieder zu voller Größe auf.
 

Die beiden Jungen taten es ihm gleich und orientierten sich an seinen Handlungen. Dieses Mal war ihm der Ablauf bewusster. Er spürte, wie die Last des Tages weniger wurde und er sich entspannen konnte. Schnell sammelte er seinen Helm wieder ein und wollte die beiden Jüngeren schon ignorieren, als ihm eines auffiel. Sie schienen zu warten, dass er vor ging. Zweifelnd hob sich die brünette Augenbraue und er musterte die zwei Kinder. Er hatte offenbar Anhang erhalten.

Ohne etwas zu sagen machte er sich auf den Weg hinüber zur Umkleide. Das waren ja schöne Aussichten. Er konnte jetzt schon zu viel bekommen. Seine schöne innerliche Ruhe war dahin. Die beiden Schüler folgten wie treudoofe Hunde und mit einem Seufzen öffnete er die Tür. Innen war der Raum gefüllt mit lachenden, tratschenden Kindern, die fast alle in ihren weißen Anzügen steckten. Als sie den Brünetten bemerkten, wurde es plötzlich still. Die Kinderaugen musterten ihn und doch ignorierte Seto dies stoisch. Er wollte sich jetzt nicht damit beschäftigen und diese ganze lächerliche Aktion hinter sich bringen. Ein Tuscheln setzte ein und einer der beiden Kleinen von draußen meinte, dass er gewusst hätte, dass sie ihre Gesichter nicht gewaschen hätten, ohne es gesehen zu haben.
 

Ehrfurchtsvoll wurde sein Rücken gemustert, sein Platz war zum Glück noch frei. Er begann sich schnell auszuziehen und griff nach seinem Handtuch, um in den Duschraum zu eilen. Dort fiel sein Blick direkt auf die geschlossenen Fenster. Noch andere kleine, verräterische Details zeigte ihm, das offensichtlich vor ihm niemand hier in dem weiß gekachelten Raum gewesen war. Noch in der Tür stehend drehte sich der Brünette um, sein Blick schweift über die Gruppe kleiner Jungen. Die meisten von ihnen trugen bereits die weißen Kampfanzüge mit ihren weißen Gürteln und bei genauerer Betrachtung konnte er erkennen, dass er keine einzige nasse Strähne an den vielleicht zehn Haarschöpfen fand. Nun hatte seine Stimme einen tiefen, drängen Tonfall. „Das ist doch wohl nicht euer verdammter Ernst! Glaubt ihr wirklich, dass mir nicht auffällt, dass keiner von euch geduscht hat?“

Mit verschämten, großen Augen sahen die jungen Schüler zu ihm hinüber. Einige von ihnen bekamen rote, vor Verlegenheit leuchtende Wange, als ihnen bewusst wurde, dass sie ertappt worden waren. Die brünette Augenbraue zog sich gefährlich in die Höhe und Seto blickte sie auffordernd an. „Ich zähle jetzt bis drei und dann seid ihr alle unter der Dusche!“
 

Der gefährliche Ton in seiner Stimme sogte dafür, dass sofort Bewegung in die Gruppe kam. Ohne nach einmal zu zögern beeilten sich die jungen Schüler wieder, aus ihrer Kleidung herauszukommen, nach ihren Handtüchern zu greifen und hinüber zu den Duschen zu laufen. Seto hörte noch einen von ihnen murmeln: „Ich sage doch, dass er ein Sensei sein muss. Woher wüsste er das sonst?“

So schmeichelhaft diese Aussage auch war, so wenig Verständnis hatte er für ihre Entscheidungen. Für ihn war das kalte Duschen stets eine angenehme Verbindung zwischen Körper und Geist. Die Angst vor der Kälte, war etwas, dass er nicht nachvollziehen konnte. Unter seinem äußerst strengen Blick beobachtete er das nun eintretende Szenario. Er konnte ihnen ansehen, dass sie sich wirklich vor dem kalten Wasser fürchteten. Doch noch mehr schienen sie sich vor ihm zu fürchten, denn sie alle zwangen sich mit einem letzten Blick über die Schulter die Kälte des Wassers zu ertragen.

Durchgefroren und eingeschüchtert zogen sich die Jungen wieder an, während nun Seto duschen ging. Er begrüßte das kalte Wasser, welches ihm eisige Schauer über den Rücken jagte. Die drei Jungen, die frech in den Duschraum lugten, um sicher zu gehen, dass er auch wirklich unter dem Wasser stand, bemerkte er nicht. Als er dieses wieder ausdrehte und nach seinem Handtuch griff, waren sie schon fort. Geübt griff er nach dem Wischer und hatte in wenigen Bewegungen den Boden kurz gereinigt, das angesammelte Wasser hinüber zum Abfluss geschoben.
 

Als er zurückkehrte, sah er ein seltsames Bild. Die Jungen waren fertig und standen nun abwartend in einer geraden Reihe neben der Tür. Sie schienen ohne ihn nicht gehen zu wollen und erstaunt war Seto für einen Moment überfordert. Die warteten auf ihn? Damit hatte er nicht gerechnet. Eilig fing er sich wieder und nickte ihnen zu. Während er grob die Feuchtigkeit los wurde, fragte er laut. „Wer kann mir sagen, warum ihr euch mit kaltem Wasser duschen sollt?“ Wenn sie ihm schon so hörig folgten, konnte er sie auch gleich unterrichten. Immerhin glaubten sie ja eh, dass er ein Sensei wäre. Vielleicht war erklären besser als schimpfen.

„Also, ich bin mir nicht ganz sicher, aber vielleicht… ähm… der Sensei Furukawa sagte, dass das kalte Wasser uns die Angst nehmen soll und es Körper und Geist kräftigt?“ Es war anscheinend einer der älteren Jungen, der verlegen das Wort ergriffen hatte. Er wirkte extrem unsicher, schien aber die anderen ein Stück weit in Schutz nehmen zu wollen. Nur kurz sahen die eisblauen Augen zu den Schülern hinüber, bevor er seine Jacke überzog. Dennoch zeichnete sich ein leichtes Lächeln auf seinen schmalen Lippen ab. „Das ist richtig. Sehr gut.“ Es klang für ihn selbst irritierend, so etwas zu sagen. Es fühlte sich falsch und übertrieben an, doch ein Blick in das Kindergesicht sagte ihm, dass er diesen Gedanken offenbar ablegen musste. Der Junge strahlte so breit, dass sein Grinsen beinahe über die Ohren zu reichen schien. „Es geht aber nicht nur darum.“ Seto zog den weißen Gürtel fest und in Gedanken trauerte er seinem braunen nach. Wieder den Ku – kyu zu tragen, war ein seltsames Gefühl. Immerhin wusste er bereits alles, um die Grade der Kyu zu verlassen und endlich den ersten Dan zu erobern. Nun, anscheinend wusste er nicht alles, denn diese seltsamen Zwerge sollten ihm noch etwas beibringen, dass ihm nicht bekannt war. Mal sehen, ob das auch wirklich klappen würde. „Wenn ihr hier ankommt, sollt ihr die Last des Tages ablegen. Die Sorgen über den nächten Mathetest, die Geburtstagsfeier, der Ausflug, Geschwister oder andere Sorgen. Es geht darum, dass ihr hier wirklich nur bei euch seid. Bei eurem Training und bei eurem Sensei. Seid ihr in Gedanken noch immer in der Schule, reagiert ihr zu spät, wenn ihr euch aus einem Griff befreien wollt und euer Gegner wirft euch auf die Matte. Wenn ihr in Gedanken schon beim Abendessen seid, werdet ihr viel leichter von eurem Gegner erwischt und auch eure Bewegungen werden nicht so klar und sauber sein. Ihr sollt nicht euren Körper, sondern euren Geist waschen. Darum ist das Wasser kalt.“
 

Die Kinderaugen hingen huldvoll an seinen Lippen und sie nickten, als sie seine Worte hörten. „Ginge es nur darum, dass ihr euch waschen sollt, könntet ihr auch warmes Wasser nehmen.“ Gab er noch zu bedenken und deutete auf die Tür. „Wir sollten gehen. Es ist spät.“ Sie wichen ihm bei dieser Aussage direkt aus und machten ihm Platz, damit er zur Tür gehen konnte. Trotzdem fiel ihr Blick auf den weißen Gürtel, der nicht zu dem passte, was sie über ihn dachten. Der Brünette bewegte sich hier jedoch so, als ginge er seit Jahren in diesem Haus ein und aus. Er trat draußen neben der Tür zur Seite und wartete, bis sie alle die Umkleiden verlassen hatten. Sein Herz schlug schnell, wild und innerlich dachte er immer wieder, dass es einfach alle Minivarianten seines Bruders waren. Mit dieser Vorstellung wurde es etwas besser.

Die Tür glitt leicht in ihr Schloss und er konnte die 10 Jungen sehen, die sich große Mühe gaben, nicht zu kalte Füße zu bekommen und voller stoischer Geduld vor dem Schreib wartete, dass er zu ihnen kam. Dabei wippten sie möglichst unauffällig von einem Fuß auf den anderen. Seto erinnerte sich noch gut daran, wie er das erste Mal dort gestanden hatte. Seine Füße waren kalt und doch war er so beherrscht, dass er kein einziges Zeichen von sich gab. Mokuba hingegen… er würde das Gesicht verziehen und ihn mit seinen großen, dunkelblauen Augen ansehen, nur um dann zu betteln, dass sein Bruder sich beeilen sollte.

Ein sanftes Lächeln lag auf den Lippen des 22-Jährigen und er trat von der Veranda hinunter, die Stufen aus Holz bis er das erste Mal den eiskalten Boden unter sich spürte. Wie kleine Nadelstiche bohrte sich die Kälte in seine Fußsohlen und er spürte, wie ein Teil in ihm zurückweichen wollte. Er war es nicht mehr gewohnt. Viel zu selten war er ohne Schuhe unterwegs. Seine Fußsohlen waren sensibel geworden und er konnte selbst dem Drang nur schwer widerstehen. Als er den Blick nachdenklich auf die Kinder fallen ließ, kam ihm zum ersten Mal die Idee, was sein Sensei vom ihm wollte. Er lächelte und beeilte sich, zu der Gruppe zu kommen, die nun sittsam auf ihn wartete.
 

Er trat an den Platz, der ihm seit Jahren her gebührte und sie reihten sich dazu. „Ich denke, dass ihr wisst, dass dieser Schrein keinen Kami hat, denn er beherbergt. Wenn ihr also betet, dann betet ihr zu euch selbst. Es geht darum, dass ihr euch diese Worte sagte. Aber…“ Er machte eine kleine Pause und warf einen langen Blick über die kleine Bande. „…es gibt die Legende, dass dieser Tempel deswegen keinen Kami hat, damit die Kami einen Platz finden, an dem sie sich treffen können, sich unterhalten und austauschen. Wenn ihr also vor diesem Schrein betet, tut es immer mit größtem Respekt, denn wer weiß, welcher Kami gerade hier ist. Vielleicht glauben sie, dass ihr eine kleine Lektion verdient, wenn ihr sie ärgert.“ Die Kinderaugen wurden rund vor Entsetzen und sie blickten sich tuschelnd an. Keiner von ihnen wollte einen Kami verärgern. „Darum ist es so wichtig, dass ihr die Regeln versteht und umsetzt. Wie ein einem Shintō-Schrein müsst ihr ihnen Platz lassen, seid immer höflich und achtet darauf, dass die Kerzen niemals ausgehen. Denn wenn euch die Kami gut gesinnt sind, habt ihr vielleicht gleich drei oder vier, die euch einen Gefallen tun wollen.“ Es war herrlich, wie aus dem Entsetzen eine ungebändigte Freude wurde, die zu einem neuen Tuschen wurde. Er musste selbst an Tomo denken, der ihm damals diese Geschichte erzählte und sie immer für dumm gehalten hatte. Doch diese strahlenden Kinderaugen, diese klare Freude, die er ihnen damit bereiten konnte, gab dieser Idee einen unerwarteten Wert.

„Was habe ich gerade gesagt? Seit wann wird denn vor dem Schrein getuschelt?“ Ermahnte er sie streng und sogleich ordneten sie sich und warteten darauf, dass er begann. Wieder verbeugte sich Kaiba zwei Mal, klatschte in die Hände und sprach mit klarer, voller Stimme. „Ich bin dankbar dafür, dass ich bin.“ Dieser Satz, der ihm immer wie eine dumme Wiederholung erschien, hatte in diesem einen Moment eine solche Urgewalt, die ihn beinahe mit sich riss. Er war dankbar dafür, dass er war. Er existierte. Seine gesamte Welt, sein gesamtes Wesen, sein gesamtes Sein… dafür war er dankbar. Diese Worte erschienen ihm das erste Mal sinnvoll und in einer unglaublichen Art tiefgreifend. Er war dankbar, dass er sein konnte, wer er war. Dass er sich seiner eigenen Existenz bewusst war. Dafür konnte er wirklich dankbar sein.

Von diesem Gefühl erfüllt, beendete er das Ritual und führte die kleine Gruppe wieder auf die Treppe hinauf in den Flur des Dojo. Er beobachtete, wie sie ihre Füße wuschen und als auch er endlich den Moment dazu fand, kam ihm die Frage, wie spät es eigentlich war. Es musste jetzt schon weit nach 16 Uhr sein. Sie waren eigentlich alle zu spät.
 

Wieder warteten die Jungen darauf, um ihm Vorrang zu lassen, bis noch etwas geschah. Einer der Kleineren, ein Junge mit braunen Augen und braunen Haaren zupfte ihn am Ärmel und sah verlegen zu ihm auf. „Sensei… warum müssen wir uns eigentlich die Füße waschen?“ Fragte er leise und für einen Moment blickten ihn die tiefblauen Augen nur an. „Weil du schmutzige Füße hast. Auch wenn es im Sommer nicht so wirkt, so sind sie dennoch staubig. Außerdem bietet es noch ein weiteres Mal die Möglichkeit, die gedanklich auf dein Training vorzubereiten.“ Wann hatte er eigentlich das letzte Mal so viel erklärt?

Als er als erstes die Trainingshalle betrat, fiel sein Blick direkt auf seinen Sensei, der dort vor dem Schrein saß, den Blick auf die Tür gerichtet. Kurz wirkte dieser erstaunt und musterte die vielen Schüler, die sich wie in einem Gänsemarsch hinter dem Brünetten anschlossen und mit ihm an der großen Halle entlang hinüber zur großen Glastür gingen. Langsam erhob sich Furukawa und beobachtete, wie die Kleinen beinahe automatisch taten, was sie sollten und Seto anscheinend seine Position angenommen hatte. Während der junge Mann die Tür öffnete, erklang seine sanfte Stimme im Raum und er erklärte, warum sie taten, was sie taten.

Für wenige Sekunden war sich der Sensei nicht sicher, wen er dort sah. Der Mann sah nicht aus wie Kaiba, er bewegte sich nicht wie Kaiba und er sprach nicht wie Kaiba. Allein das äußere Erscheinungsbild, welches von dem weißen Gürtel abgelenkt wurde, ähnelte dem kaltherzigen, alles vernichtenden Mann, der vor einem halben Jahr gegangen war. Die Anspannung blieb dennoch offensichtlich in dem schlanken Körper und als der heutige Kurs vor ihn trat, ihn wie aus einem Munde begrüßte und dann in die Verbeugung ging, waren die Jungen konzentrierter, wacher und irgendwie klarer.
 

Auch er erwiderte den Gruß und dann ließ er sie mit den ersten Übungen beginnen. Es war interessant, wie sich der 22-Jährige in sein Schicksal ergab und versuchte, mit der Situation zurechtzukommen. Es fiel ihm so schwer, doch daran konnte er nichts ändern. Seto musste durch diesen Prozess gehen und er schien schon erstaunliche Resultate zu erzeugen. Schweigend beobachtet der Sensei, wie unbeholfen der Firmenführer in seinen Bewegungen wirkte. Seine Seele war gespalten und das zeigte sich in all seinen Aktionen.

Er behandelte ihn wie einen ganz normalen Schüler. Keine Ausnahmen, keine Gnade. Nur einen Punkt hielt er anders. Er würde diesen Mann nicht gegen einen 10 Jährigen antreten lassen, um eine einfache Wurfübung durchzuführen. Dass musste der Brünette nun mit seinem Sensei machen und es folgten drei Übungskämpfe zwischen ihnen. Drei Stück, die Seto gnadenlos verlor. Zurück in die Grundabläufe. Stehen, Gewicht verlagern, die Haltung der Arme im Gleichklang mit dem Versetzen der Füße durchführen. Er korrigierte bei den Kleinen, bei Kaiba. Rücken gerade, Fuß weiter nach hinten. Wieder von vorne beginnen. Wieder gab es Kritik. Den Ellbogen mehr anwinkeln.
 

Für Seto war es ein unglaublich anstrengender Tag und als die Stunde um war, tat ihm alles weh. Sein Blick fiel zu Furukawa, der ihn musterte. „Geht schon einmal vor.“ Murmelte Seto, der nun keine Lust auf die Kleinen hatte. Als die Truppe sich von ihrem Sensei verabschiedet hatte, senkte Seto noch einmal den Blick. Er schien zu warten und wieder forderte er nicht. „Du bist dir uneins.“ Gab der Sensei von sich und trat vor den Schrein, vor dem er sich verbeugte und sich dann auf den Boden sinken ließ. „Dir geht zu viel durch den Kopf. Du bist abgelenkt und weißt nicht, wer du bist. Du hast deine eigene Identität verloren.“

Schweigend trat Seto zu ihm und ließ sich nach einer Verbeugung ebenfalls neben ihm nieder. Der Sensei zündete ein Duftstäbchen an und lächelte dann. „Früher hattest du eine Vorstellung von dem, was du bist, heute nicht mehr. Kommst du noch zum Meditieren?“ Fragte er streng und der 22-Jährige senkte den Kopf. „Nein, ich… ich mache es, aber ich machte es anscheinend falsch. Ich bin weit davon entfernt, dass ich meditiere.“ Antwortete er ernst und wartete auf die Strafe, die er ohne weiteres zu erhalten hatte. Doch es kam keine weitere Aussage, nur der Duft von Sandelholz erfüllte die Luft. Nach einer Weile meinte Furukawa. „Gut, dann übe weiter. Erzähl mir nächsten Samstag, ob du Fortschritte gemacht hast.“ Perplex starrte der Mann auf den Boden vor sich und musste dann doch den Blick heben. „Was?“ Kam von ihm und er war überfordert.

„Du hast eine Strafe erwartet, nicht wahr?“ Begann der 53 Jahre alte Mann ruhig und drehte nun den Kopf, um seinen Schüler zu betrachten. „Nicht immer ist das Scheitern am Erfüllen einer Aufgabe auch ein Versagen. Es ist ein Prozess, den du durchläufst und am Ende hast du hoffentlich mehr gelernt, als nur das stupide befolgen von Regeln. Ich bin stolz auf dich, Seto. Du hast den ersten Schritt geschafft und das ist der schwerste, denn er hat dich in ein Chaos geführt. Du wirst einen langen, harten Weg vor dir haben, in dem du aus diesem Chaos dein eigenes Ich finden musst. Wenn du das geschafft hast, hast du die Antwort, die du suchst.“
 

~~~ooo~~~
 

Das eine heiße Wanne so angenehm sein konnte, hatte er ganz vergessen. Seto hatte sich von seinem Sensei verabschiedet, war mit einem flirrenden Kopf gegangen und fand vor der Tür die 10 Schüler, die bibbernd vor sich hin froren. Er wusste nicht, ob er froh oder entsetzt sein sollte, dass er sich nun doch wieder mit ihnen herum schlagen musste. So scheuchte er sie schnell über den Platz, das Gebet viel knapp aus, und dann jagte er sie unter die warmen Duschen. Lächelnd musterte er die kleine Bande, die sich unter dem Wasser balgte, die Haare einseifte, lachte und von einer zur anderen Seite rannte. Irgendwie fand er doch Mokuba in ihnen und das war etwas schönes.

Auf dem Rückweg war er regelrecht gekrochen und nur sehr langsam gefahren. Zuhause hatte er ein heißes Bad genommen und sich danach noch etwas zu Essen gegönnt. Die Idee mit dem Kamin gefiel ihm und so saß er eingewickelt in eine Decke vor dem Feuer und schaffte nur die ersten beiden Seiten. Dann glitt ihm das Buch aus den Händen und er bemerkte nicht, wie Noah es aufhob. Er ließ seinen Bruder lieber noch eine Weile schlafen und sah später nach ihm. Joey hatte zwischenzeitlich schon angerufen und sich erkundigt. Da saß der 22-Jährige gerade dort und wollte mit dem Lesen beginnen. Der erste Samstag klang also ruhig und erschöpfend aus.

„Ich finde dich überall“

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Albträume

Kapitel 43 

Albträume 

 

Als Joey an diesem Morgen erwachte, es war jedoch eher Sonntagmittag, fühlte er sich unglaublich erschöpft und müde. Wie immer war er länger in der Diskothek, in der er gerade arbeitete, gewesen und kam erst gegen 04:00 Uhr nachts ins Bett. Wie spät es jetzt war, wusste der blonde Mann nicht. Zwar hatte er über 8 Stunden geschlafen, aber der Albtraum der letzten Nacht hatte ihn unglaublich gerädert. Dabei erinnerte er sich selbst nicht mehr daran, was er eigentlich geträumt hatte. Es blieben nur schemenhafte Bilder, ein gefühlter unendlicher Schmerz und ein wahrhaft niederschmetterndes Schuldgefühl. Woran er denn Schuld haben sollte, war ihm wiederum nicht klar. Joey fühlte sich extrem erschöpft, sein Kopf und alle seine Glieder schmerzten und innerlich fühlte er sich regelrecht zerschmettert. Es dauerte lange, bis er sich endlich auf die Seite rollte und nach seinem Telefon griff. Mittlerweile war es schon 12:37 Uhr. Dass er so lange geschlafen hatte, konnte er sich gar nicht vorstellen. 

Als hätte sie nur auf ihr Stichwort gewartet, klopfte es plötzlich vorsichtig an seiner Zimmertür. Die Stimme seiner Schwester rief zurückhaltend. „Bist du schon wach?“ Mit einem Murren antwortete er ihr. Es war mehr ein Grummeln oder vielleicht eher ein Brummen. Zumindest war seine Reaktion auf ihr Klopfen ausreichend irritierend und besorgniserregend, dass die junge Frau die Tür öffnete. Vorsichtig streckte sie ihren Kopf in das Zimmer, welches matt erhellt wurde. Die Vorhänge reichten nicht aus, um das gesamte Licht des Tages aus diesem Raum fernzuhalten. Wenn die Sonne aufging, wurde es auch für Joey heller. Müde und nicht willig aufzustehen hob er seinen linken Arm als Zeichen dafür, dass er bereits wach wäre. Nun war seine Schwester erst recht besorgt. Vorsichtig trat sie hinein, den auf dem Bett liegenden jungen Mann musternd, und fragte vorsichtig. „Geht es dir nicht gut?“  Erneut war es eher ein Brummen, welches der Blonde von sich gab. So setzte sich Serenity auf  die Bettkante und versuchte ein Lächeln aufzusetzen. „Hattest du einen Albtraum?“ Wieder dauerte es einen Augenblick bis der junge Mann reagierte. Nur eines der beiden Augen öffnete sich und suchte den Blick seiner Schwester. Bedächtig kam Joey ganz langsam in Bewegung. Auch das zweite Auge öffnete sich und er begann, sich langsam in eine aufrechte Position zu kämpfen. Auch dies dauerte einen Moment, den seine Schwester ihm gerne gab. 

„Ja, das war definitiv ein Albtraum! Ich weiß nicht mehr genau, was eigentlich passiert ist, aber…“ Dem Gesicht des Blonden konnte man Schmerz und Entsetzen ansehen. „Ich weiß nur noch so viel, dass der Traum im alten Ägypten gespielt hat und du dabei gewesen bist. Aus irgendeinem Grund hatte ich unglaubliche Angst um dich. Ich wäre fast gestorben vor Angst.“ Trotz dieser Worte setzte Joey ein Lächeln auf und blickte zu seiner Schwester. Es war dieser typische, liebevolle Blick eines großen Bruders. „Dich jetzt hier in Sicherheit zu sehen, macht mich definitiv glücklich!“ Nun musste auch Serenity lächeln, während sie nach der Hand ihres Bruders griff. „Dann macht dich meine nächste Aussage sicher noch ein bisschen glücklicher. Das Essen ist fertig!“ Mit einem breiten Grinsen nickte Joey und meinte strahlend. „Nun mit Essen kannst du mir immer eine Freude machen!“ 

 

So verging dieser Sonntag auf eine sehr harmonische Weise. Während Joey über den Tag hinweg immer wieder in seine Schulunterlagen blickte, lernte auch seine Schwester für ihre Abschlussprüfung. Doch heute war bei beiden die Konzentration nicht sehr groß. Immer wieder lenkten sie einander ab, bis sie am späten Nachmittag schlussendlich alle Sachen zur Seite räumten. Es machte sowieso keinen Sinn mehr. So sprachen sie noch einmal über die kommende Woche, begannen das Abendessen vorzubereiten und blickten nebenher immer wieder auf ihre Telefone. Noch war ja nicht klar, wie der Abend im Hause Kaiba lief. Es konnte ja schließlich sein, dass  Mokuba gleich in Tränen aufgelöst anrief. Zwar hielt Joey das für unwahrscheinlich, aber sicher war er sich nicht. 

Erst spät in der Nacht trudelte die erwartete Nachricht ein. Der Schwarzhaarige schrieb freudig, dass der Filmabend ein voller Erfolg gewesen wäre. Diese Nachricht las Joey jedoch erst am nächsten Morgen und dieser begann alles andere als gut, denn der Albtraum der letzten Nacht hatte sich wiederholt. Müde und mit dem Gefühl innerlich zerschlagen zu sein entlockte diese Nachricht ihm nur ein kleines Schmunzeln.  

 

Auch auf der Arbeit hatte er den Nachhall des Albtraumes noch nicht abschütteln können. Er war sogar so erschöpft, dass er völlig vergaß, dass Seto heute eine halbe Stunde später anfing. Der Kaffeebecher im Büro des Brünetten war bereits ausgekühlt… Zuerst hatte er die Sorge, dass dieser wütend auf ihn wäre, doch der Anblick des Firmenführers war ebenso grauenhaft, wie der Joeys. Offensichtlich war auch dessen Nacht genauso erschöpfend und wenig erholsam gewesen. Die honigbraunen Augen musterten den 22-jährigen Mann eingehend. „Ich weiß gerade nicht, wer von uns beiden schlimmer aussieht, du oder ich.“ Diese Aussage entlockte dem Brünetten wirklich ein leichtes Schmunzeln. Er stand mit dem Motorradhelm unter dem Arm vor dem Schreibtisch seines Sekretärs und trug noch immer Schal und Handschuhe, als wäre es ihm zu kalt, um diese auszuziehen. Sein Gesicht war bleich und er hatte tiefe, schwarze Augenringe. „Ich habe nicht sonderlich gut geschlafen. Um genau zu sein habe ich extrem schlecht geschlafen. Ich könnte sogar hingehen und behaupten, dass ich so schlecht geschlafen habe, dass ich mir wünschte, gar nicht geschlafen zu haben. Wahrscheinlich ginge es mir jetzt besser, wenn ich die ganze Nacht durchgearbeitet hätte.“ 

 

Es dauerte einen Moment, bis der blonde, junge Mann verstanden hatte. „Oh, du hattest also auch Albträume.“ Nun zogen sich die brünetten Augenbrauen in die Höhe. „Ach so nennt man das. Ich dachte immer, dass Menschen in meiner Position von so einem Schwachsinn verschont bleiben.“ Trotz ihres aktuell desaströsen Zustandes lag doch eine gewisse Erheiterung in der Luft. „Ach so, ich dachte, dass Menschen, die so viel zu verlieren haben wie du, grundsätzlich von Albträumen heimgesucht werden. Immerhin habt ihr ja auch sehr viel mehr zu verlieren als wir, die im Grunde gar nichts besitzen.“ Kurz schien der Brünette ernsthaft über diese Aussage nachzudenken. Das schien ein Gedanke zu sein, den er so noch nie gehabt hatte. „Nun, sorgt die Tatsache, dass der gleiche Verlust bei dir zu einem existenziellen Problem führt nicht dazu, dass deine Sorgen weitaus grösser sind? Verliere ich eine Millionen Yen, egal ob privat oder geschäftlich, wäre dieses nur ein kleines Ärgernis.“ Nun starrte ihn der Blonde mit großen Augen an. „Eine Millionen Yen?“ Ein Nicken war die Antwort. „Scheiße, das wäre definitiv ein großes Problem. Jetzt weiß ich nicht, ob ich froh darüber sein soll, dass ich nur davon geträumt habe, dass irgendein Scheiß im alten Ägypten passiert ist. Müsste ich mich jetzt auch noch mit solchen Albträumen auseinandersetzen, wäre ich echt am Ende.“  

 

Ganz kurz starrte ihn der brünette Firmenführer an, als wäre etwas an dieser Aussage besonders. Dann jedoch schien Seto den Gedanken zu verwerfen und meinte stattdessen. „Da magst du Recht haben, aber ich würde dennoch gerne über schönere Themen reden.“ Nun waren es die blonden Augenbrauen, die sich fragend nach oben schoben. „Dann sollte ich also nicht nach deinen Erfolgen beim Meditieren fragen oder?“ Er setzte dabei ein möglichst unschuldiges Lächeln auf. Kurz schlossen sich die eisblauen Augen und ein qualvoller Ausdruck entstand auf dem bleichen Gesicht. „Nein!“ Kam hart und direkt von dem Firmenführer und die eisblauen Augen blickten wieder über den Schreibtisch hinüber zu dem 19-jährigen Mann. Schließlich meinte er verstimmt. „Es war genauso grauenhaft und erfolglos wie schon die letzten Tage. Das einzig Positive ist die Aussage meines Sensei, dass es laut seiner Aussage irgendwann besser wird. Er meinte, dass es ein Prozess wäre. Ich sollte auf diesen vertrauen und einfach weiter üben. Irgendwann wird es einfacher werden oder sagen wir einmal, dass es überhaupt so etwas ähnliches wird, wie eine Meditation.“ Ein schmales Lächeln war auf den Lippen Setos zu finden. Es wirkte sehr unsicher, schien jedoch auch ein wenig Hoffnung zu zeigen. Joey erwiderte diesen Ausdruck und lächelte ebenfalls. „Heißt es nicht immer, dass der Sensei stets Recht hat?“ Das schmale Lächeln des Brünetten wurde etwas breiter. Ein gewisser Schalk zeichnete nun dieses zuerst zurückhaltende Lächeln, welches nun schon beinahe etwas Spitzbübisches hatte. „Höre ich deinem Ton etwa an, dass daran jemals ein Zweifel bestanden hätte?“  

 

Das breite Grinsen wurde noch ein wenig breiter und der Schalk darin war jetzt unübersehbar. Die honigbraunen Augen glänzten und funkelten, als hätte der Brünette einen Fünfjährigen vor sich sitzen, welcher soeben einen Plan geschmiedet hatte, um an alle Süßigkeiten im gesamten Gebäude heranzukommen. „Nein! Auf gar keinen Fall! Es ist eher andersherum. Denn wenn dein Sensei glaubt, dass selbst ein so hoffnungsloser Fall wie du das richtige Meditieren irgendwann noch einmal auf die Reihe bekommt, dann muss der Sensei Recht haben. Andernfalls würde das bedeuten, dass der Mann entweder überhaupt keine Ahnung von dem hat, was er tut, oder er belügt dich nach Strich und Faden, damit du die Hoffnung nicht aufgibst.“ Für einen Moment wusste Seto nicht, was er darauf erwidern sollte. Diese Frechheit war einfach zu dreist. So starrte er den 19-Jährigen einen Moment lang erstaunt an. Neben all den vielen Beleidigungen, welche ihm durch den Kopf gingen, entschied er sich unerwartet für eine eher charmante Frage. „Hast du mich gerade einen hoffnungslosen Fall genannt?“ Die zu erwartende Verlegenheit blieb aus und ein frecher, leicht herausfordernder Ton kehrte nun in die warme Stimme ein. „Nein! Ich sagte lediglich, dass ich sehr froh bin, dass der Sensei immer Recht hat.  Wäre dies nicht so, müssten wir davon ausgehen, dass du ein hoffnungsloser Fall bist. Bisher hatte ich nicht den Eindruck, dass dies so wäre. Oder glaubst du etwa selber, dass du ein hoffnungsloser Fall bist?“  

Für einen Moment wurde es still. Zu still. Beinahe entsetzt Begriff der Blonde, dass diese Gedanken anscheinend wirklich in dem Kopf des Firmenführers aufgetaucht waren. Nun war das Entsetzen auf Joeys Seite zu finden und seine braunen Augen wurden groß und rund. „Vergiss es! So einen Scheiß wirst du nicht einmal denken! Wenn ich in der Lage dazu bin, diesen Job hier wenigstens halbwegs vernünftig auf die Reihe zu bekommen, bist du alles andere als ein hoffnungsloser Fall! Du wirst mir doch jetzt nicht erzählen wollen, dass du ernsthaft daran zweifelst, dass du, ausgerechnet du, irgendetwas nicht kannst!“ Er stierte den Firmenführer beinahe an. 

 

Es war ein verlegener Ausdruck auf dem Gesicht des 22-jährigen Mannes zu erkennen. Er schien wirklich diesen völlig unerwartet absurden Gedanken zu hegen. Jedoch erweckten die Worte des Blonden ein Lächeln, schmal und zurückhaltend. „Weißt du Joseph, wäre ich so überragend, wie du behauptest, wäre ich überhaupt nicht in dieser Situation. Dann könnte ich mir diesen ganzen Schwachsinn sparen. Wie dir vielleicht aufgefallen ist, scheine sogar ich nicht vor Selbstzweifeln gefeit zu sein. Es freut mich jedoch sehr, dass du nach all dem noch immer glaubst, dass ich fehlerlos wäre.“ 

Nun sahen die honigbraunen Augen leuchtend zu ihm auf. Er hatte einen neckenden und frechen Ton in der Stimme. „Dann gibst du damit offiziell zu, dass du menschlich bist?“ Wollte Joey nun wissen und Seto hob elegant die brünetten Augenbrauen. „Nein, auch Götter kommen gelegentlich ins Straucheln.“ Frotzelte er zurück und nun war es der 19-Jährige, der ihn erstaunt anblickte. Doch anstelle einer Antwort schüttelte er nur den Kopf. 

„Sag mir lieber, wie dein Abend gestern mit Mokuba gewesen ist.“ Forderte Joey nun und wollte das Thema beenden, bevor er doch noch etwas Dummes sagte. „Hat dir mein Bruder keinen ausführlichen Bericht gegeben?“ Kam nun mit einem Schmunzeln von dem Brünetten und die honigbraunen Augen blickten ihn direkt an. „Nein, hat er nicht. Ich weiß nur, dass es wohl ganz schön gewesen ist. Mehr nicht. Außerdem heißt es ja noch lange nicht, dass dir der Abend auch gefallen hat.“ Setzte der Sekretär wider Willen dazu und versuchte einen unschuldigen Ausdruck aufzusetzen. Kurz schien Seto diesen Worten ihren Platz einzuräumen und meinte dann. „Nun, ich habe den Abend soweit sehr genossen. Ich hätte nicht gedacht, dass die Tribute von Panem doch noch so interessant werden würden. Es gab doch die eine oder andere Überraschung, die ich nicht erwartet hatte.“ Nun saß Joey der Schalk wirklich im Nacken. „Du erwartest Überraschungen?“ Fragte er breit grinsend und brachte den Firmenführer zu einem Schmunzeln. „Bei einem Chaoten wie dir: jederzeit! Ob es auch gute sind, ist eher fragwürdig.“ Stichelte er zurück und nun war der Blonde empört. „Frechheit!“ Schimpfte er direkt und schüttelte den Kopf. 

Schließlich scheuchte er mit einer Handbewegung seinen jetzigen Chef endlich hinüber in sein Büro und mit einem breiten Grinsen folgte Seto sogar dieser Aufforderung.  Nur wenig später fiel die Tür hinter ihm zu. 

 

Der eigentlich so schlechte Morgen hatte nun doch eine angenehme Wendung genommen, mit welcher keiner der beiden Männer gerechnet hatte. Sie beide schienen sich auf diese seltsam irritierende Art sehr positiv zu beeinflussen, jedoch war dies keinem der beiden bewusst. So verging der erste Montagmorgen nach ihrer gemeinsamen Reise. Auch Yuriko bemerkte die unerwartet freudige Stimmung am heutigen Vormittag, denn sie hatte bereits eine Nachricht von Joey erhalten, in welcher der Blonde mitgeteilt hatte, dass es ihm nicht sonderlich gut ging. So hatte sie damit gerechnet, dass sie zuerst dafür Sorge tragen müsste, dass es dem Blonden wieder besser ginge. Seine freudige Stimmung war überraschend und dennoch sehr angenehm. 

 

Der Arbeitstag verging schneller als gedacht, ebenso wie die darauffolgenden Tage. Die Stimmung war dennoch wechsellaunig, denn die beiden jungen Männer wurden des Nachts immer wieder von Albträumen gequält. Ihr Schlaf war wenig erholsam und so wurde es immer schwieriger über Tag eine gute Stimmung zu halten. Seto stellte zusätzlich fest, dass seine Anstrengungen im Meditieren anscheinend erfolglos waren. Morgens und abends schaffte er es nicht auch nur ansatzweise seine Gedanken zum Schweigen zu bringen, welche ununterbrochen um die Albträume sowie die Aufgaben und Probleme des Tages kreisten. Sie hatten über die Woche daher eine Art Waffenstillstand beschlossen. Eigentlich ging dieser eher von Seto aus, der meistens damit beschäftigt war, einen neuen Plan gegen den Blonden auszuhecken. Doch in seinem jetzigen Zustand und in Anbetracht der Ereignisse in Dubai, war ihm überhaupt nicht nach solcherlei Späßen zumute. Joey hatte diese Tatsache dankend angenommen, denn durch den wenigen Schlaf waren solche Auseinandersetzungen nun das letzte, was er gebrauchen konnte. 

Erst am Donnerstag kam es wieder zu einer etwas privateren Auseinandersetzung. Yuriko war schon gegangen und es war mittlerweile kurz vor 19:00 Uhr. Auch Joey wollte langsam gehen, doch dafür musste er noch ein letztes Mal in das große Büro. Ein wenig unsicher klopfte er dort an und zog die rechte Seite der großen Flügeltür auf, als Seto ihn hineinrief. Der Firmenführer wirkte erschöpft und blickte aus seinen eisblauen Augen hinüber zu dem jungen Mann. Die brünetten Haare wirkten heute ein wenig wild und ungeordnet, während schwarze Augenringe einen starken Kontrast zu der blassen Haut des 22-Jährigen bildeten. „Du machst jetzt Feierabend?“ Kam ein wenig zurückhaltend von dem jungen Mann, der im nächsten Augenblick auch schon wieder auf den Bildschirm blickte, als dort offensichtlich eine kleine neue Nachricht am Bildschirmrand seine Aufmerksamkeit einforderte. „Ja, nachdem ich eben beinahe im Sitzen eingeschlafen wäre, denke ich, dass es eine ziemlich intelligente Idee wäre, jetzt zu gehen.“ Er sagte dies mit einem leichten Schmunzeln, doch die Müdigkeit und die Erschöpfung waren ihm deutlich anzusehen. 

Seto nickte nur und bei einem erneuten Blick in das ebenso blasse Gesicht des Blonden meinte er plötzlich. „Das ist eine unerwartet clevere Idee von dir. Sie ist sogar so vorragend, dass ich mich ihr anschließe. Selbst einem Gott wie mir werden langsam die Augen schwer und es spricht absolut nichts dagegen, jetzt Feierabend zu machen.“ Seine Stimme wirkte erschöpft und schwach, obwohl ein kleiner Hauch von Schalk darin lag. Dies löste jedoch ein noch breiteres Schmunzeln bei dem Blonden aus, welcher darauf neckend sagte. „Das muss ich sehen! Du machst für deine Verhältnisse früh Feierabend? Das glaube ich dir erst, wenn ich dich diese Bürotür wirklich abschließen sehe!“ Joey hatte diesen neckenden Ton und griff dann nach dem leeren Becher auf dem Schreibtisch, der zwischen den Unterlagen beinahe begraben wurde. „Also machen wir gemeinsam Feierabend?“ Erwiderte der Brünette nun doch mit einem stillen Schmunzeln und starrte auf den Bildschirm, während seine Hände über die Tastatur flogen. Er musste noch ein paar Eintragungen machen, bevor er alles schließen konnte. „Klar, klingt gut.“  

 

Kurz zögerte Joey noch, doch dann drehte er sich um und ging zur Tür. „Ich warte draußen auf dich.“ Gab er leicht abgelenkt von sich und verließ den Raum. Einer Eingebung folgend sah Seto auf und bemerkte noch, wie der junge Mann einen Ausdruck aufsetzte, der ihn irritierte. Er wirkte nachdenklich, verlegen und so, als wollte er eigentlich etwas sagen, traute sich aber nicht. Das war etwas, dass er nur bedingt von dem Blonden kannte. Meistens gab dieser ungefiltert von sich, was durch seinen Kopf jagte und übte sich selten in Überlegungen und Zurückhaltung. Mit einem Kopfschütteln versuchte sich Seto wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren und beendete die letzten offenen Aufträge. Mit geübten Handgriffen räumte er soweit alles auf, dass sein Büro morgen wieder wirkte, als wäre es annähernd perfekt. Vielleicht war es zusätzliche Arbeit, wenn er Dinge erst wegräumte, die er dann doch wieder brauchen würde, doch sein Morgen war direkt gelaufen, wenn er einen überfüllten, chaotischen Schreibtisch vorfand.  

Ordnung, das war etwas, dass ihm in den letzten Tagen fehlte. Er liebte sie und er hatte sie viel zu selten. Sein Kopf schwirrte vor Fragen, Überlegungen und vor allem von Erinnerungen, die er nicht fassen konnte. Teilweise mischten sich auch noch Albträume darunter, die ihn nicht mehr los ließen. Nur bedingt konnte er sich an diese erinnern, doch hin und wieder hatte er das Gefühl, dass er von Priester Seth träumte, der im alten Ägypten seine lieben Probleme hatte. Mit einem Seufzen verstaute er die wenigen Dinge, die er mitnehmen wollte, in seinem Rucksack und ging um seinen Schreibtisch herum. Im Vorbeigehen griff er noch seine Jacke und den Helm, in dem sein Schal und die Handschuhe verborgen waren.  

 

Seine Aufgabe war es, den Kopf frei zu bekommen. Darin war er aktuell jedoch nicht sehr gut. Es wurde eigentlich immer schlimmer. Er hatte das Gefühl, sich an einigen Tagen kaum konzentrieren zu können, weil ihm so viele Sachen durch den Schädel gingen und ihn wie kleine, kläffende Köter von der Seite ansprangen und so lange nervten, bis er eine Pause einlegen musste. Die anhaltende Müdigkeit machte es auch nicht besser und so war sein gesamter Zustand mittlerweile bedenklich. Verwundert sah er sich in seinem Vorzimmer um und bemerkte, dass dort noch immer die Tasche des Blonden auf der Kante des Schreibtisches stand. Seine Jacke war daneben über diesen geworfen und auch der Schal war dort. Nur der dazugehörige junge Mann nicht. Kurz lauschte er, doch er konnte nichts hören. War er auf der Toilette?  

Etwas ziellos ging Seto hinüber in den kleinen Küchenbereich mit den Bistrotischen, bei denen er sich noch immer fragte, warum er diesem Design zugesagt hatte. Wann wurde das Potenzial dieses Raumes jemals vollends genutzt? Doch seine Gedanken wurden abgelenkt, als er endlich fand, wen er gesucht hatte. Seine blauen Augen erkannten den jungen Mann dort am Waschbecken stehend und den blauen Becher in Händen haltend. Die Schranktür war schon offen und der Becher sauber. Das Geschirrtuch, welches weiß mit einem seltsam bunten Muster am Rand war, hielt Joey ebenso fest, wie den Becher, den er abwesend anstarrte. Das war ein Anblick, mit dem Seto nicht gerechnet hatte und so kam er näher.  

 

„Alles ok bei dir?“ Fragte er mit einem Mal und wieder geschah es. Der 19-Jährige zuckte zusammen und nun waren es die braunen Augen, die geweitet und mit Angst gefüllt zu ihm blickten. Reflexartig hatte er einen Schritt zur Seite gemacht und die Hände schützend vor sich gehoben, den Becher und das Tuch noch immer festhaltend. „W…was?“ Kam von ihm und er musste erst einmal einen Moment durchatmen, bevor er die Situation verstand.  

Seto rügte sich in Gedanken, doch nach außen hin versuchte er ruhig zu bleiben. Er wusste doch, dass er dem Kerl nicht so nahe kommen sollte. „Ich wollte nur wissen, ob alles ok ist. Du hast anscheinend eine Weile auf den Becher gestarrt, als würde dieser die Antworten auf all deine Fragen kennen.“ Erklärte er ruhig und setzte ein leichtes Lächeln auf. Diese Worte würden einen Moment brauchen, um von Joey verstanden zu werden, doch diese Zeit würde der Brünette ihm geben. 

Es stimmte, Joey brauchte wirklich einen Augenblick, um das Gesagte zu verarbeiten. Dann jedoch musste er lächeln und stellte den Becher endlich wieder in den Schrank. „Du hast Recht.“ Begann er und schloss die Schranktür. „Ich habe mir wirklich Gedanken gemacht.“ Kurz zögerte der Blonde, unsicher, ob er ansprechen konnte, was ihm durch den Kopf ging. Er starrte auf die Schranktür, deren Griff er noch immer umschlossen hielt. Dabei begann er, unruhig auf seiner Unterlippe herum zu kauen. Dieses war ein neues, Seto bisher unbekanntes Verhalten. Als Zeichen, dass er ihm alle notwendige Zeit geben würde, lehnte sich der Brünette in einer leichten Entfernung zu ihm an den Arbeitstresen. Er wollte Joey auf keinen Fall drängen, denn er hatte das Gefühl, dass sich die Gedanken des Blonden um etwas sehr Wichtiges drehten. 

Wie lange sie dort standen, konnte Seto nicht sagen. Es war zuerst ein Räuspern, welches Joey schließlich von sich gab. Er starrte noch immer auf die geschlossene Schranktür, von welcher er den Griff weiterhin fest umklammert hatte. Den brünetten jungen Mann wagte er nicht anzusehen. „Woher wusstest du, dass du auch auf Männer stehst?“ Seine Stimme wirkte schwach und schien leicht zu zittern, die Anspannung war nicht nur in seinem Gesicht zu erkennen, sondern auch in seiner Stimme. 

 

Diese Frage kam unerwartet und Seto konnte sie nicht beantworten. Er selbst hatte sich niemals über diese Tatsache Gedanken gemacht. So atmete er hörbar tief ein und sein Blick wanderte nachdenklich von dem 19-Jährigen zu den unterschiedlichen Tischen im Raum. Auch er musste einen Moment überlegen, bevor er diese Frage beantworten konnte. „Um ehrlich zu sein, kann ich dir nur sagen, dass mir dies von Anfang an bewusst war. Ich selbst habe im Grunde noch nie tiefgreifend über meine Sexualität nachgedacht, denn früher fehlten mir schlichtweg die Zeit und die Kapazität, um dieser Frage nachzugehen und jetzt stelle ich sie mir nicht mehr.“ Die eisblauen Augen musterten nun einen der Stehtische im vorderen Bereich ganz besonders eingehend und er legte die Stirn leicht in Falten. „Weil ich mir meiner immer stets sehr bewusst war, habe ich mich niemals großartig mit diesem Thema beschäftigt. Zumindest nie in Hinblick meiner eigenen Bedürfnisse, denn mir war zumindest grundsätzlich klar, wie der Sex funktioniert und welche Herausforderungen es gibt.” Er zuckte mit den Schultern und blickte wieder zu Joey, der ihn nun ebenfalls vorsichtig mit seinen honigbraunen Augen ansah, als er wieder etwas unsicher zu sprechen begann. „Ich habe damals gleichermaßen von Männern und Frauen geträumt und fühlte mich ebenso zu beiden Geschlechtern hingezogen. Vielleicht war mein Vorteil, dass der erste Mann, mit dem ich schlief, deutlich mehr Erfahrung hatte und so niemals die Frage aufkam, ob es sich um etwas Verwerfliches handelte. Für mich war es schlicht normal und als mir das erste Mal klar wurde, dass es eigentlich nicht die Regel ist, war es bereits zu einer Gewohnheit geworden. Es gehörte zu mir, also schloss ich mich dem fragwürdigen Gedankengut der Masse nicht an.“  

Der Mund des Blonden verzog sich und er wirkte skeptisch. Es dauerte einen Moment, bis er sagte. „Nun, ich würde dir gerne vorwerfen, dass auch nur du niemals über so etwas nachdenkst, aber bei mir war es ja nicht anders. Ich meine, es gab nie einen Grund, an… na ja, du weißt schon, zu zweifeln.“ Die Verlegenheit war klar in seinem Gesicht zu erkennen und er ließ endlich den Türgriff los, um sich mit dieser Hand über den Nacken zu fahren. „Bist du dir denn jetzt sicher bei „du weißt schon was“?“ Fragte Seto mit einem Schmunzeln und hatte dabei einen ungewöhnlich sanften Ton in der Stimme.  

Augenblicklich wurde der junge Mann noch dunkler im Gesicht und senkte den Blick wieder, die Hand noch immer im Nacken liegend. „Ja, doch… ich denke schon, dass ich mir jetzt sicher bin.“ Kam beinahe kläglich krächzend von ihm, nachdem er sich geräuspert hatte. „Die Nacht mit Djamila war sehr aufschlussreich. Ich meine…“, er räusperte sich erneut. „…abschließend kann ich so etwas natürlich nicht sagen, aber…“ Ein lautes Schlucken folgte und die Verlegenheit brannte in einer deutlichen Röte auf seinem Gesicht. 

 

Dass Joey nun Djamila ins Spiel brachte, hatte Seto nicht erwartet und kurz verunsicherte ihn diese Aussage. Dass der junge Mann mit Djamila geschlafen hatte, war für ihn noch immer irritierend und irgendwie falsch. Dennoch schien diese eine Nacht sowohl Joey als auch Djamila positiv verändert zu haben. Im Nachhinein schien diese seltsame Entwicklung sogar seinem besten Freund Kamil gut getan zu haben, denn dieser schien in der neuen Beziehung mit seiner Freundin sehr glücklich zu sein. Allgemein schien dieser seltsame Vorfall in Dubai vieles zum Besseren verändert zu haben. 

Wobei die negativen Spuren hier in Domino nicht von der Hand zu weisen waren. Die Panik in den honigbraunen Augen war ein unübersehbares Zeichen dafür, dass seine Handlungen in diesem Fall extrem dramatische Folgen hatten. Ganz gleich, was sich Seto auch einreden wollte, es war seine Schuld. Er hatte die Kontrolle verloren, Entscheidungen getroffen, die unabänderliche Konsequenzen hatten, und musste sich nun die Frage stellen, wie er zu seinem eigenen Versagen stand. Um ehrlich zu sein, hätte er nicht gewusst, ob er an Joeys Stelle je wieder in dieses Büro gekommen wäre; wahrscheinlich nicht! 

„Tut mir leid, das hätte ich nicht sagen sollen.“ Verwirrt blickte Seto nun hinüber zu dem jungen Mann, welcher so unerwartet sprach. „Ich meine, das mit Djamila. Ich hätte davon nicht anfangen sollen. Kamil ist immerhin dein Freund, da ist es sicher schwer über dieses Thema so sprechen.“ Der Blonde setzte ein verlegenes Lächeln auf, wobei es ihm schwer fiel dem brünetten Firmenführer in die Augen zu sehen. Er fühlte sich deutlich unwohl, gab jedoch trotzdem sein Bestes, um auf die Gefühle und Bedürfnisse des anderen einzugehen. Dieses für ihn völlig abstruse Verhalten war Seto schon öfter aufgefallen, jedoch wusste er nicht, wie er damit am besten umgehen konnte. Für ihn ergab dieses Verhalten keinen Sinn und er kannte es nur von seinem jüngeren Bruder. 

 

„Schon gut, mach dir keinen Kopf darüber. Ich denke, dass es, so seltsam es auch klingt, das Beste war, was ihm passieren konnte. Nach allem, was er mir erzählt hat, scheint er doch einige Dinge zu finden, die ihm in dieser Beziehung gefallen.“ Natürlich war Seto mit seinem Freund in Verbindung geblieben und tauschte sich in den letzten Tagen regelmäßig über dessen aktuelle Situation aus. Da das neu gefundene Paar ebenfalls etliche Probleme hatte, unter anderem die alten, eingefahrenen Verhaltensweisen von Kamil, war der Neustart auch nicht unbedingt einfach. Diese Information wollte Seto jedoch nicht weitergeben, denn es schon noch in dem Rahmen normaler Neuordnung zu sein. Immerhin hatten die beiden lange in anderen Verhältnissen gelebt und nun war die hübsche Djamila nicht mehr Kamil Spielball, sondern forderte aktiv ihre eigenen Rechte ein. Noch ging der Firmenführer davon aus, dass sich diese Belanglosigkeiten einspielen würden und die Streitigkeiten ausblieben. Nun war es Joey, der erleichtert ausatmete und dann voller Freude sagte. „Das ist schön. Ich bin sehr glücklich, dass die beiden einen Weg miteinander gefunden haben.“  

Es war ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen, als Seto meinte. „Ja, es gibt zwar nicht immer ganz leicht zwischen ihnen, aber das wird schon. Es ist wirklich schön, dass die beiden sich gefunden haben.“ Nun kam ein weiteres Nicken von Joey und dieser deutete auf die Tür zum Büro hin, damit sie endlich in den wohlverdienten Feierabend gehen konnten. „Tja, so ist das mit Gewohnheiten, aber sie werden es sicher schaffen. Sag mal, hast du eigentlich die Geschichten von Djamila mittlerweile gelesen?“ Fragte er und Seto stieß sich von der Arbeitsfläche ab, um in den anderen Raum hinüberzugehen. „Nein, das habe ich bisher noch nicht gemacht. Du etwa?“ Wollte nun sein Chef wissen und Joey nickte erstaunlicherweise.  

„Ja, ich habe angefangen. Sie sind ja auf Englisch geschrieben, daher ist es für mich echt schwer. Trotzdem bin ich begeistert von den Geschichten. Sie wollte mir ein Buch zuschicken, aber es ist wohl noch unterwegs. Ich bin echt gespannt, wie es sein wird. Dann kenne ich eine echte, richtige Autorin.“ Kam nun begeistert von dem Blonden und Seto nickte. „ Das ist wohl wahr, die kennst du jetzt.“  

 

Die beiden unterhielten sich noch über den Inhalt der Geschichte, die Joey nun las. Er handelte von einem Liebespaar, dass sich nicht finden durfte und sich daher heimlich traf, weil sie eigentlich einem anderen Mann versprochen war. Anscheinend eine Thematik, die in diesem Bereich sehr angesehen war und gleichzeitig eine ihrer meistverkauften Geschichten darstellte. Der Blonde verstand immer nur einen Teil davon, doch es war ausreichend mit der Übersetzung, dass er wusste, um was es ging. Im Fahrstuhl mussten sie sich verabschieden, denn Seto würde weiter nach unten fahren, dort, wo er sein Motorrad stehen hatte. Joey machte sich wiederum direkt auf den Weg nach Hause. Er war müde, doch schlafen wollte er eigentlich nicht. Er hatte Sorge vor dem Traum, der ihn auch in dieser Nacht wieder heimsuchen würde. Es war nur eine Ahnung, eine Angst, die in seinem Herzen festsaß und ihn am nächsten Morgen wie so oft in den vergangenen Tagen mit einem unglaublichen Schuldgefühl erwartete. Weswegen er diese Schuld hatte, wusste er noch immer nicht. Es war ein schemenhafter Traum, dessen Inhalt er nur bedingt zusammen bekam. Doch er würde wieder schlafen müssen. Vielleicht würde es ja in dieser Nacht besser werden. 

 

~~~ooo~~~ 

 

Ihre Blicke trafen sich und keiner sagte ein Wort. Beide wirkten müde und erschöpft. Die Träume waren anscheinend noch immer präsent und dann gähnte der Brünette. Er kam näher, den Motorradhelm unter dem Arm haltend. „Es gibt wenig Dinge, die ich so irritierend finde, wie dich jeden Morgen hier an diesem Schreibtisch sitzen zu sehen. Welches mich zu einer anderen Frage bringt. Da ich seit Montag später beginne, hoffe ich doch, dass du ebenfalls später anfängst oder?“ Fragte er plötzlich und blieb nun vor dem Schreibtisch stehen. Der Firmenführer hatte noch immer den blauen Schal um seinen Hals, während die ledernen Handschuhe im Helm lagen. „Nein, bisher nicht, warum?“ Fragte der Blonde müde und seiner Stimme konnte man anhören, dass er deutlich erschöpft war. „Weil du hier keine Stunde vor mir auftauchen musst. Wenn ich eine halbe Stunde später komme, tust du das ebenfalls. Es ist nicht notwendig, hier ewig zu sitzen. Du bist eh immer viel zu lange hier. Wenn ich deine Überstunden bezahlen würde, müsste ich dir ein ganzes Monatsgehalt zusätzlich auszahlen.“ Kam nun matt von Seto und der 19-Jährige lächelte. „Klingt doch gut. Gegen mehr Geld ist nichts einzuwenden.“ Neckte er nun und die brünetten Augenbrauen zogen sich leicht zusammen. „Das glaube ich gerne. Du musst übrigens noch deinen Arbeitsnachweis einreichen. Den brauche ich bis zum 25. des Monats, um die Abrechnung fertig machen zu lassen.“  

 

Nun war der Blonde überrascht und sah verwundert zu ihm auf. „Was für ein Arbeitsnachweis?“ Fragte er unsicher und Seto schloss die Augen. „Der Arbeitsnachweis, in dem du eingetragen hast, wann du angefangen und wann du aufgehört hast, abzüglich deiner Pausen.“ Noch hatte seine Stimme einen freundlichen Ton, doch er wirkte kraftlos und erschöpft. „Oh...” Kam nun von Joey und er wurde rot auf den Wangen. „Nein, so etwas habe ich nicht. Kann ich das im Nachhinein machen?“ Fragte er nun und die eisblauen Augen öffneten sich. „Klar, wenn du noch die genaue Uhrzeit kennst, zu der du jeden Tag angefangen und aufgehört hast.“ Nun war da ein provokanter Ton in der kühlen Stimme, denn es war beiden klar, dass dieses wohl ein Ding der Unmöglichkeit wäre. Das Entsetzen wurde wie erwartend deutlich in dem schon vor Verlegenheit rotem Gesicht. „Ähm… wie genau?“ Wollte der 19-Jährige nun wissen und Seto antwortete direkt. „Minutengenau.“  

 

Stille. Ihnen war beiden klar, dass der Blonde dies nicht konnte, denn dafür war viel zu viel geschehen. Wenn er wirklich jede Minute angeben sollte, wäre er verloren. Das Entsetzen wurde langsam von einer gewissen Verzweiflung getränkt, die ausreichend beeinflussend zu sein schien, dass Seto seufzend meinte. „Ich habe da eine Idee…“ Es klang etwas Brummend von ihm und er trat um den Schreibtisch zu Joey herum.  

Dieser sah unsicher zu dem Größeren auf, doch er wehrte sich nicht. Zwar ging ihm die Frage durch den Kopf, warum der Brünette ihm so nahe kommen musste, doch die verbat er sich. Ebenso wie er den Schauer verdrängte, welcher ihm über den Rücken lief. So dicht an seiner Seite, musste er an die Geschehnisse in Dubai denken, eine erregende und schockierende Erinnerung zugleich. „Sally.“ Begann der Brünette und der Smiley klimperte mit den Augen. „Ja?“ Fragte sie und im nächsten Moment kam von dem Firmenführer. „Liste mir die Betriebszeiten dieses Rechners seit dem 27. Oktober auf.“  

Nur einen Moment später kam auf der linken Seite ein schwarzes Fenster in dem in weißen Buchstaben zu lesen stand, von wann bis wann dieser Rechner in Betrieb gewesen war. „Formatiere mir diese Daten in Excel. Erste Spalte „Datum“, zweite Spalte „Beginn“, dritte Spalte „Ende“, vierte Spalte „Gesamtzeit“, fünfte Spalte „Pause“ und zum Schluss in der sechsten Spalte die „Arbeitszeit“. In der vierten Spalte rechnest du mir die Stundenanzahl zusammen, die sich ergibt, wenn du die Differenz aus Spalte drei und zwei nimmst.“ Sie nickte nur und einen Augenblick später öffnete sich ein weiteres Dokument, in dem die eben genannten Spalten eingefügt wurden.  

 

Schweigen herrschte und Seto sah nun zu dem Blonden hinüber. In der vierten Spalte waren grundsätzlich Zahlen angegeben, die weit über den 10 Stunden lagen. Wenn der 19-Jährige um halb sieben Anfing und um 19 Uhr ging, kamen locker 13 Stunden pro Tag zusammen. „Von 7 Uhr bis 17 Uhr und mit anderthalb Stunden Pause. Das ist es, was du eigentlich arbeitest. Nicht das da!“ Kam in einem kühlen Ton von ihm und Joey meinte verlegen. „Na ja, da wird ja noch die Pause abgezogen.“ Er setzte ein Lächeln auf, doch so einfach war das nicht. Mit einem Seufzen schüttelte Seto den Kopf. „Du bist zu lange hier! Das habe ich dir schon einmal gesagt. Jetzt steht es auch noch hier schwarz auf weiß!“ Der Brünette blickte wieder hinüber zum Bildschirm und gab noch einige weitere Befehle, um die Tabelle entsprechend zu ordnen, bis dort eine Zahl stand, die ziemlich hoch war.  

„36,5 Stunden?“ Kam von Seto und er sah erneut fragend und entsetzt zu dem Blonden. „Ja?“ Kam von diesem und er schluckte verlegen. „Das ist die Zahl, die da unten steht. Das sind die Überstunden oder?“ Fragte er und setzte einen hilfesuchenden Ausdruck auf. „Ja, das sind deine Überstunden. Wenn ich die Zeiten, in denen du den Rechner an- und abgemeldet hast, als Grundlage nehme, dann hast du ernsthaft in einem Monat beinahe eine gesamte Woche an Überstunden angesammelt! Wann willst du die jemals wieder abbauen?“ Die Stimme des 22-Jährigen war kühl und fordernd. Doch Joey wusste nicht, was er antworten sollte. Eine Möglichkeit wäre, einfach eine Woche früher zu gehen, aber dann hatte Seto ja keinen Sekretär mehr. „Nun, du könntest sie mir einfach auszahlen. Dann hätten wir beide etwas davon. Dein Vorteil wäre es, dass du nicht eine Woche auf mich verzichten müsstest und du weißt, auch wenn ich nicht käuflich sein will, gegen eine solche zusätzliche Auszahlung hätte ich wirklich nichts.“  

Die eisblauen Augen starrten ihn einen Moment lang an und dann war es eher die unerwartete Überraschung, dass der Blonde wirklich so viel gearbeitet hatte. Immerhin war es nur eine Wette. Nun, eine niederschmetternde, alles entscheidende Wette, über die er sich auch noch Gedanken machen musste. Immerhin vertrug sich diese nun gar nicht mit der Frage, ob er denn ein guter Mensch wäre. Gute Menschen wollten ihre Sekretäre nicht in den Wahnsinn treiben und vor der ganzen Welt demütigen. „Ich überlege es mir und du wirst heute verdammt noch mal früher Schluss machen, sonst Prügel ich dich höchstpersönlich aus diesem Büro! Hast du mich verstanden?“ Kam nun in einem kalten, beinahe harschen Ton von dem Brünetten.  

 

Joey zog den Kopf ein und lächelte verlegen. „Schon gut, ich bin heute früher weg. Ich kann ja mal um 18 Uhr gehen.“ Neckte er nun wirklich und die brünetten Augenbrauen zogen sich zusammen. „Ok, komm, ich mache dir einen Vorschlag. Ich gehe heute schon um 16 Uhr und dafür gehst du auch! Wir beide sind völlig erledigt. Das wir nachts nicht vernünftig schlafen können, macht uns beide fertig. Also, was hältst du davon?“ Schlug der Blonde nun lebensmüde, aber breit grinsend vor. Seto richtete sich endlich wieder zur vollen Größe auf und blickte ihn erstaunt an. Jetzt war auch etwas Distanz zwischen ihnen. „Und was soll ich mit dieser freien Zeit anstellen?“ Wollte er nun leicht provokant wissen und der Blonde grinste nur noch breiter.  

Nun war da ein Ausdruck völliger Begeisterung zu sehen und er machte einen folgenschweren Vorschlag. „Nun, heute ist Freitag und im Dome spielt Babymetal. Das heißt, dass der Laden heute recht ruhig sein wird und wenn du willst, kann ich dir meinen Arbeitsplatz zeigen.“ Schlug er nun vor und beobachtete, wie der 22-Jährige verwundert und interessiert zugleich wirkte. „Du meinst, dass du mich wirklich mitnehmen würdest?“ Fragte er nun ein wenig frech und Joey grinste noch immer. „Klar, wenn du dich benimmst und die Finger vom Alkohol lässt, nehme ich dich mit. Nachdem ich deine Welt sehen durfte, kannst du ja einmal einen Blick in meine werfen. Ich muss heute Abend auch nicht arbeiten, aber einen Blick hinter die Kulissen kann ich dir gerne einmal geben. Damit du auch etwas von der „arbeitenden Bevölkerung der Mittelschicht“ kennenlernst.“ Neckte der Blonde nun frech zurück und wartete auf eine Antwort.  

Es dauerte einen Moment und Seto war am Überlegen. Es war vielleicht einmal eine gute Ablenkung und er arbeitete, wenn er ehrlich sein sollte, sowieso viel zu viel. Wenn er heute noch das ein oder andere vorbereitete, konnte er auch früher gehen. Nachdenklich sah er zur Fahrstuhltür, denn diese gab gerade den bekannten Ton von sich. „Na gut, dann machen wir es so. Wir machen heute beide früher Feierabend und ich wage mich hinter die Kulissen eines so einfachen Etablissements, wie einer Diskothek. Wobei ich es wirklich ironisch finde, dass du auf der einen Seite willst, dass ich keinen Alkohol trinke und mich dann auf der anderen Seite hinter die Bar schleppst. So etwas bekommst auch nur du zustande.“  

 

 

 

 

Ein verlockendes Desaster

Kapitel 44

Ein verlockendes Desaster
 

Es war ein breites Grinsen, welches auf den leicht roten Wangen Joeys lag. Er hatte ebenfalls die Fahrstuhltür gehört und er freute sich sehr darüber, dass nun seine Freundin Yuriko wieder hier sein würde. „Ja, ich bin schon einmalig auf dieser Welt. Es freut mich, dass dir das auch endlich aufgefallen ist.“ Neckte nun der Blonde und sah die elegante Augenbraue wieder in die Höhe wandern. „Ja, ich denke, die ganze Welt setzt darauf, dass du einmalig bist. Sonst müssten wir zwei von deiner Sorte ertragen.“ Gab Seto in einem kühlen Ton von sich, im Augenwinkel die Sekretärin bemerkend, die nun zu ihnen gestoßen war. „Ohayōgozaimasu Kaiba-sama.“ Kam von ihr und sie verbeugte sich zur Begrüßung, bevor sie die Tasche abstellte. „Ohayōgozaimasu .“ Kam mit einem nur leichten Nicken von dem Firmenführer, bevor er sich schließlich seinem Büro zuwandte und ging. Es dauerte nur wenige Herzschläge, bis die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.

„Ohayo.“ Begrüßte Yuriko den Blonden und stellte ihre Tasche ab. „Es freut mich, dass du so gute Laune hast. Konntest du endlich besser schlafen?“ Wollte sie wissen und die Dame mittleren Alters zog ihre Jacke langsam aus. Ihre kurzen, braunen Haare waren wie immer ordentlich und schienen den Einfluss des herbstlichen Wetters einfach zu ignorieren. „Ohayo Yuriko. Nein, nicht wirklich. Ich träume immer noch irgendeinen dummen Mist, aber zumindest kommt hier kein zusätzlicher Ärger auf mich zu. Weil Seto und ich gleichermaßen müde sind, wird der Waffenstillstand vorerst aufrechterhalten.“ Kam nun von dem 19-Jährigen und er grinste breit. Yuriko musste lächeln und schüttelte den Kopf. „Manchmal komme ich mir bei euch nicht wie eine Sekretärin vor, sondern wie eine Kindergärtnerin. Ich bin 41 Jahre alt, mein Lieber, und keine jungen 25 mehr.“

Doch außer einem noch immer breiten Grinsen erhielt sie dazu lieber keine Antwort von Joey. Dieser blickte nur mit einem Schmunzeln auf seinen Bildschirm und speicherte die Liste ordentlich ab, damit er sie nicht versehentlich löschte. Wenn er schon das Glück hatte, dass ihm Seto bei seinen Aufgaben half, sollte er sie auf keinen Fall verlieren. Allerdings würde er sich wirklich freuen, wenn die Überstunden ausgezahlt werden würden. Das wäre sicher das einfachste und gleichzeitig für ihn das lukrativste. Ob er wollte oder nicht, Geld war nun doch eine Sache, die das Leben einfacher machte.
 

~~~ooo~~~
 

Seufzend legte Seto sein Mobiltelefon zur Seite und schloss die Augen. Es war gleich 16 Uhr und das letzte, worauf er jetzt Lust hatte, war ein weiterer Streit. Er hatte sich seit 12 Tagen nicht mehr bei seiner Verlobten gemeldet und nun kam der unerwartete Moment, in dem sie die Initiative ergriff. Nicht jedoch, wie es ihm gerade passte. Sie schrieb Nachricht um Nachricht, in denen sie ihm vorwarf, dass er sie ignorierte, sie nicht mehr lieben würde und vor allem ein eiskalter, mieser Mistkerl wäre. Je länger er die Nachrichten ignorierte, sie hatte damit ungefähr vor 5 Stunden begonnen, desto ausfallender wurden diese. Die Vorwürfe verringerten sich, während sie nun aufzuzählen begann, was er denn alles falsch gemacht hätte und Seto gar keinen Grund besaß, so dermaßen sauer auf sie zu sein.

Der Ehrlichkeit halber war es nun nicht nur die Tatsache, dass sie seine Sachen durchsucht hatte. Mittlerweile zweifelte er auch an dieser Beziehung. Er stellte sich die Frage, wie sie reagieren würde, wenn er ihr von all dem erzählte, was aktuell durch seinen Kopf ging. Berichtete er ihr von seinen Selbstzweifeln, dass er sich seiner selbst gerade nicht sicher war, und von seinen Sorgen, dass er seinem Stiefvater zu ähnlich wurde, wie würde sie eine solche Äußerung aufnehmen? Leider kam er immer wieder nur auf eine einzige Antwort: Sie würde ihm vorwerfen, dass er aufhören sollte, so einen Scheiß zu erzählen.

Viktoria war niemand, der Schwächen bei irgendjemandem duldete. Wenn sie wüsste, dass er sich gerade in einem solchen Zustand befand, konnte er nicht genau abschätzen, welche Grausamkeiten sie an ihm ausließe. Vielleicht wäre er dann zum ersten Mal in seinem aktuellen Leben selbst zum Spielball degradiert worden. Diese Frau war wild, herrschsüchtig und grausam. Darum hatte er sie geliebt… oder liebte sie? Hatte er sie jemals geliebt?
 

Vorsichtig fuhr er sich mit den Fingern über die Schläfen und brummte vor sich hin. Es war anstrengend, sehr anstrengend und er empfand seine eigene Position als fragwürdig. Innerlich aufgewühlt und unsicher, ganz gleich, wie sehr er eben in dem Telefonat mit der Firmenführung von „Mirai e no chippu“ dies auch überspielt hatte. So verloren und unsicher hatte er sich noch nie in seinem Leben gefühlt. Selbst damals, als seine Eltern starben und sie ins Waisenhaus kamen, hatte er immer ein Ziel vor Augen gehabt. Rache! Rache an den Familienmitgliedern, die ihn und seinen Bruder so schändlich verraten hatten.

Erschreckenderweise war ein Ziel wie Rache deutlich präziser, als die Frage, ob er ein guter Mensch wäre. Das war wirklich ein Problem und er wusste nicht, wie er dieses angehen sollte. Er hielt sich an die Regeln seines Sensei, aber das war auch nur bedingt hilfreich. Eigentlich war es gar nicht hilfreich. Es brachte ihn nicht weiter. Vielleicht lag es daran, dass er immer klar erkennbare Resultate brauchte.

Die Resultate, welche er in diesem Fall erhielt, waren jedoch von einer solchen Art, dass sie eher Katastrophen glichen. So desaströs, wie sich seine aktuellen Versuche, die Regeln seines Senseis umzusetzen, auf sein Leben auswirkten, war das Resultat eine in jeder Hinsicht grauenhafte Verschlimmerung aller Faktoren. Klar, er aß vernünftig, er schlief jetzt mehr, er trank seit anderthalb Wochen keinen Alkohol mehr und versuchte zu meditieren. Aber gerade letzteres ließ ihn immer wieder verzweifeln. Er empfand all dies, als würde er in einen gewaltigen Strudel Negativität gezogen, der seine Gedanken, seine Gefühle und jeden einzelnen Atemzug bestimmte.
 

Noch immer mit geschlossenen Augen in seinem Bürostuhl sitzend, dachte er über den Albtraum nach, der ihn jede Nacht verfolgte. Er hatte zumindest so viel verstanden, dass es mehr oder weniger immer der gleiche war. Er geisterte als Priester Seth durch den Palast des Pharaos und war auf der Suche nach etwas. Immer wieder wurde er in Gespräche gezwungen, denen er nicht aus dem Weg gehen konnte. Aber sie hielten ihn auf und er wusste, dass er sich beeilen musste. Doch warum? Und wen suchte er? Den Pharao? Schemenhaft erinnerte er sich nur noch an die Bilder des Tempels, in welchem er die Morgenandacht hielt und plötzlich von diesem schrecklichen Gefühl einer bösen Vorahnung übermannt wurde.

Unruhig und nervös brachte er zu Ende, was er angefangen hatte, und eilte so schnell er konnte zum Palast. Er musste jemanden finden. Wen auch immer, aber es war dringend. Unglaublich dringend. Doch wo war er? Sie? Vielleicht eine Frau? Er wusste es nicht. Er konnte sich nur an eines erinnern, er suchte und suchte und suchte jede einzelne verdammte Nacht.

Aber er fand nicht! Egal, wie lange und intensiv er auch suchte, er konnte die Person nicht finden. Er wurde immer wieder in Gespräche verwickelt, die ihn aufhielten und nach außen hin musste er ruhig und gefasst wirken, er war schließlich einer der höchsten und mächtigsten Priester. Doch jedes einzelne Gespräch schien einer inneren Folter zu gleichen und er gierte nur danach, endlich weiterzukommen. Doch es blieb erfolglos. Jedes Mal beim Aufwachen quälte ihn die gleiche Frage: Wen suchte er? Ob er vielleicht Muto…
 

Nein! Er würde niemals zu diesem Kerl gehen! Das waren nur dumme Träume! Hirngespinste, weil dieser Nichtsnutz von einem Pharao immer wieder glaubte, ihm diesen Scheiß erzählen zu müssen. In seiner aktuell angeschlagenen Situation konnte sich sein Unterbewusstsein einfach nicht gegen die Einflüsse dieses Wahnsinnigen wehren und er musste folglich von diesen aufgeschwatzten, altägyptischen Phantasien träumen. Keines dieser Hirngespinste existierte. Er hatte niemals in dieser lange vergangenen Zeit gelebt. Er war nicht die Wiedergeburt eines Priesters. Er glaubte nicht daran und würde es auch niemals. Natürlich betitelte er Muto als Atemu den Pharao, aber nur, weil er ihn damit demütigen und erniedrigen wollte, doch nicht, weil er an diesen Unfug glaubte. Nein, auf keinen Fall! Er würde nicht zu diesem Mann gehen und ihn um Rat fragen! Auf keinen Fall! Das war alles nur ein Traum! Nichts von dem war wirklich geschehen und nichts von dem würde jemals geschehen!

Da war sich der Brünette sicher und er ließ sich nicht von einer anderen Möglichkeit überzeugen. Diese Hirngespinste hatte er dem Pharao zu verdanken und diesem würde er grauenhafterweise morgen wieder begegnen. Er war selbst noch unentschlossen, aber er stimmte zumindest verhalten der Aussage zu, dass ihm eine größere Gruppe weniger Spielraum für eine Eskalation bot. Ganz gleich, wer auch immer sie war, er würde in aller Öffentlichkeit keine skandalöse Szene beginnen. Nur verharrte die Frage geisterhaft im Raum, wer diese Frau war. Warum musste er sich so viele Gedanken darüber machen, dass er seinen eigenen, von ihm doch geliebten Bruder als Verräter ansehen würde, wenn er ihr begegnete? Wen hatte sich Mokuba da ausgesucht?

Verbissen starrte er auf den Rechner und wusste, dass die Firewall der Domino High, auf welche Mokuba mittlerweile ging, nicht sonderliche Herausforderungen bot. Er würde sich leicht in selbige hinein hacken können und dann war es nur noch eine Frage von Minuten, bis er die richtige Frau gefunden hatte. Wie viele Aikos würde es im Jahrgang des Schwarzhaarigen geben? Drei oder vier vielleicht? Eine einfache Suche würde ihm die passenden Damen aufzeigen und wahrscheinlich erkannte er auf den ersten Blick, um welche Schülerin es sich handelte. Mit einem Ruck erhob sich der Brünette und trat an das große Fenster hinter seinem Schreibtisch. Er starrte hinaus auf die Stadt und knurrte leise. Er wollte sich darüber jetzt keine Gedanken machen. Diese Frau spuckte durch seinen Kopf, als wäre sie ein Geist und an diese Verrücktheiten verschwendete er keine Zeit!
 

Doch so sehr er auch wollte, sie war da! Sie und diese Frage, zu wessen Familie Aiko gehörte. Wer war ihr Vater? Warum würde er sie sehen und wissen, dass er diese Beziehung nicht gutheißen konnte? Und wie sollte er eine andere Entscheidung treffen, als jene, die die anderen bereits befürchteten? Wenn diese Frau wirklich eine solche Familie vorweisen konnte, wenn er mit ihr den Feind an den Esstisch bat, dann konnte er dieser Beziehung gegenüber doch nicht zugeneigt sein. Dann musste er Mokuba den Umgang mit dieser Frau verbieten! Aber wenn er das täte...

Seto fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Er würde Mokuba gänzlich verlieren, wenn er diese Beziehung verbot. Das wäre dann das Ende aller bisherigen Versuche, sich seinem Bruder wieder zu nähern. Dabei war die Zeit so harmonisch und wirklich angenehm gewesen. Mokuba hatte am Sonntag neben ihm gesessen und nach einer Weile hatte der 17-Jährige sogar den Mut gefunden, sich an ihn zu kuscheln, wie er es früher oft gemacht hatte. Auch unter der Woche hatten sie ein paar Mal abends zusammengesessen und gemeinsam gegessen. Heute würde dies wohl ausfallen, wenn er mit Joseph unterwegs war.

Doch wie sollte er damit umgehen, dass ihm alle sagten, dass er Aiko auf keinen Fall akzeptieren konnte? Nun, das war es eigentlich nicht. Sie sagten ihm nur, dass seine erste Reaktion schlimm wäre. Gingen sie davon aus, dass er eine zweite, bessere hervorbringen würde? Aber wie? Diese Unsicherheit machte ihn wahnsinnig! Wenn er gleich nach seinem Telefon griff, würde er sicher wieder dutzende Nachrichten von Viktoria finden, die ausfallend und übel waren. Er musste sich gegen sie verteidigen, aber dazu fehlte ihm momentan einfach die Kraft. Unkonzentriert und aufgewühlt, verwirrt und überfordert... wie sollte er sich so einem Monster wie ihr stellen?
 

„Seto? Geht es dir gut?“ Die Stimme war unerwartet nah und erschrocken zuckte dieses Mal der Brünette zusammen. Mit geweiteten, eisblauen Augen starrte Seto in das noch immer gut gebräunte Gesicht Joeys, der nun direkt neben ihm stand. „Tut mir leid, aber du hast auf nichts reagiert. Kein Klopfen, kein Rufen und selbst, als ich vor deinem Schreibtisch stand, hast du mich nicht gehört.“ Erklärte nun der Blonde und zog die Augenbrauen zusammen. „Aber du siehst nicht so aus, als wäre alles in Ordnung mit dir.“ Gab er nun nachdenklich an und die eisblauen Augen, in denen so viel Verwirrung lag, schlossen sich wieder. „Schon gut, ich bin nur in Gedanken gewesen.“ Kam von ihm und doch bemerkte Joey, wie die Hände des anderen leicht zitterten. Kurz zögerte dieser noch, bevor der 19-Jährige dann doch fragte. „Worüber denkst du denn nach? Vielleicht kann ich dir behilflich sein.“ Schlug er nun hoffnungsvoll vor.

Ein Seufzen folgte, ebenso wie ein kurzer Augenblick der Stille. „Ich habe an Morgen gedacht. Ich frage mich, wie ich Aiko eine Chance geben soll, wenn mich alle unter den Verdacht stellen, dass ich Mokuba dafür Vorwürfe mache, dass er sie als Freundin ausgesucht hat.“ Erklärte der Brünette nun unerwartet ehrlich und starrte wieder aus dem Fenster, die Arme vor der Brust verschränkt, als wollte er seine Hände verstecken. Nun schien auch der Blonde einen Moment zu benötigen und nickte dann. „Klar, das ist nicht leicht. Ich will dir auch lieber sagen, dass du begeistert von ihr sein wirst und sie mit offenen Armen in der Familie Kaiba begrüßen würdest, aber das ist unwahrscheinlich. Eigentlich hoffen wir alle, dass du dich für deinen Bruder entscheidest. Es geht um ihn, um sein Glück und seine Liebe. Wer weiß schon, ob das für die Ewigkeit hält, aber es hält jetzt schon ein ganzes Jahr lang. Stell dir vor, er würde sich irgendwann entschließen, sie zu heiraten und zu lieben, bis dass der Tod sie scheidet, und du hättest ihm gesagt, dass er erst wieder dein Bruder ist, wenn er sich von ihr getrennt hat. Dann würdest du Mokuba für immer verlieren.“
 

Es dauerte einen Moment, bis Joey den Blick der blauen Augen auf sich spürte und nun verwundert zu diesem blickte. Offensiv starrte Seto ihn mit diesem intensiven, eindringlichen Blick an. „Genau darum geht es doch. Ich kann Mokuba nicht von mir stoßen. Er stellt in meinem Leben gerade die einzige Klarheit dar und für ihn bin ich bereit zu kämpfen. Es bleibt also nicht die Möglichkeit, ihm etwas solches vorzuwerfen, von ihm zu verlangen, dass er sich von ihr trennt. Dies würde er nicht verstehen und nicht akzeptieren. Daher bleibt nur eine einzige Möglichkeit: Ich muss diese Frau akzeptieren, egal, wer sie ist. Im Grunde sagt ihr mir alle, dass ich akzeptieren muss, dass ich den Teufel an meinen Tisch bitte!“ Kam nun von dem 22-Jährigen, während er auffordernd und doch auch innerlich distanziert zu dem Blonden sah.

„Genau darum geht es nicht! Sie ist ja nicht er! So wie du auch nicht dein Bruder bist. Ich bin seit Jahren mit Mokuba befreundet und konnte dich trotzdem nicht ausstehen. Mokuba ist eine eigenständige Person und obwohl er dich lieb hat, konnte ich ihn trotzdem als Freund ansehen. Dass er nun mal dein Bruder ist, daran konnte er nichts ändern und das habe ich akzeptiert. Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun.” Versuchte Joey nun an einem Beispiel zu erklären und überlegte, wie er dem Firmenführer die Situation besser darlegen könnte. „Wir hoffen, dass du einfach Aiko kennenlernen wirst und nicht immer an ihren Vater denkst, wenn du sie ansiehst. Du bist ihr noch nie in deinem Leben begegnet und hast noch nie wirklich ein Wort mit ihr gewechselt und doch kennst du sie. Ihr Vater ist berühmt und arbeitet bei der St…“ Joey biss sich auf die Unterlippe und schwieg. „Also weißt du deutlich mehr, als du zugeben willst. ” Kam nun in einem ruhigen, wenn auch extrem kühlen Ton von Seto. Er wirkte plötzlich deutlich distanzierter, als noch zu Beginn ihres Gespräches.
 

Verlegen fuhr sich der Blonde mit der Hand über den Nacken und brummte etwas Unverständliches. Nach einer Weile meinte er dann kleinlaut. „Ja, ein Bisschen, aber nicht sehr viel. Ich weiß, dass du ihn kennst und ihr beide könnt euch nicht ausstehen. Darum weiß bisher weder er noch du von der ganzen Sache. Nun, also, du weißt es ja schon, aber du weißt nicht, dass Aiko seine Tochter ist und…” Er seufzte und sah mit großen Augen zu dem anderen auf. Es lag beinahe etwas Verzweifeltes in dem Blick des Mannes und doch fand er nur diese distanzierte Mauer zwischen ihnen. „Es tut mir leid. Ich weiß nicht, ob ich es dir vernünftig erklären kann. Ich weiß, dass wir dich in eine dumme Situation bringen, aber sie wird niemals leichter oder besser werden. Dein Bruder liebt Aiko und das wird er wohl auch noch eine Weile. Sie weiß, dass ihr Vater ihr ziemliche Probleme bereiten wird, weil du Mokubas Bruder bist. Er würde wahrscheinlich so etwas sagen wie: Wie kannst du dich nur mit so einem einlassen? Wie kannst du mich nur so hintergehen? Du weißt doch, dass alle Kaibas schlecht sind! Für ihn spielt es keine Rolle, ob du oder Mokuba mit Aiko zusammen sind. Er fände beides gleich schlimm. Wir hoffen einfach, dass du im Gegensatz zu ihm Aiko eine Chance geben kannst und versuchst, sie kennenzulernen und nicht behauptest, dass sie zwangsweise wie ihr Vater ist.”
 

Das war viel und mehr, als Seto im ersten Moment erwartet hatte. Seine Gedanken kreisten um eine Aussage, die der Blonde getätigt hatte. Er und Mokuba waren nicht gleich. Auf keinen Fall. Wie konnte jemand auf die Idee kommen, sie beide miteinander zu vergleichen und die gravierenden Unterschiede dabei zu übersehen? Vielleicht war das auch ein Gedanke, der ihm bei dieser berüchtigten Aiko half. Sie war nicht ihr Vater. Wenn er sie sah, konnte er vielleicht an eben diese Tatsache denken. Allerdings beschlich ihn die Ahnung, dass es nicht so leicht werden würde. Wahrscheinlich gab es da einige Hindernisse, die sich diesem Vorhaben in den Weg stellen würden.

Er seufzte und fuhr sich dann mit den Fingern massierend über die Schläfen. „Am liebsten würde ich das alles absagen und einfach so tun, als wüsste ich von nichts.“ Brummte er und im nächsten Moment bekam er eine unerwartet spitzfindige Antwort von dem Blonden neben sich. „Komm schon, das würde eh nicht klappen. Du würdest den ganzen Tag darüber nachdenken, wer sie ist und dir dann die Frage stellen, ob sie eine Gefahr für dein Unternehmen ist. Wie war das noch mit dem Teufel an deinem Tisch?“ Die eisblauen Augen suchten den Blick der honigbraunen und plötzlich war da ein schwaches, zögerliches Lächeln. Irgendwie hatte der Chaot ja Recht, wenn er die Sache nicht klärte, würde es nicht besser werden. Also musste er sich dem annehmen und auf das beste hoffen. Vielleicht schätzten ihn die anderen ja falsch ein und es war gar nicht so dramatisch. Allerdings kamen dabei doch gewaltige Zweifel in ihm auf.

„Na gut, ich werde es ja morgen sehen. Nur noch ein paar Stunden und dann ist klar, ob diese ganze Sache in einer Katastrophe endet oder nicht.“ Brummte der Brünette und drehte sich wieder zu seinem Schreibtisch um. Sein Blick fiel auf das Handy, welches dort lag und mit einem hellen Display einen Anruf verkündete. Mit wenigen Schritten trat er an den Arbeitsplatz heran und streckte die Hand nach dem unliebsamen Gegenstand aus. Genervt zog Seto das Gerät an sich und für einen Moment überlegte er, ob es eine gute Idee war. Mit einem grimmigen Ausdruck nahm er den Anruf an und hob das Telefon ans Ohr.
 

"Oh, you still get in touch with me?" Kam nun angefahren so laut aus dem Telefon, dass sogar Joey es hören konnte. Die Dame auf der anderen Seite war extrem wütend. "Why should I get in touch with you? Your lovely messages were so charming." Gab er in einem kalten, beinahe schneidenden Ton von sich und dem Blonden lief ein Schauer über den Rücken. Das war ja eine nette Unterhaltung. "You're acting childish and ignoring me for days. Of course I'll have to find ways to get your attention back." Beschwerte sich nun die Frauenstimme in einem unglaublich barschen Ton und nun wurde der Ausdruck des F irmenführers noch finsterer. "I'm being childish? That's what the lady who throws insults tells me?" Er stieß ein kaltes Lachen aus und gab dann als nächste Spitze von sich. "I have no interest in this superfluous game, nor will I argue with you about it any longer."

Er schien damit dieses Gespräch beenden zu wollen, doch Viktoria sah das anscheinend anders. "Don't you dare do that shit with me. This conversation isn't over until I say so." Nun schien sie wirklich hysterisch und in einem ungeahnten Maße wütend. Joey zog den Kopf ein, doch diese Aussage sorgte bei dem Brünetten nicht für die geplante Reaktion. Er zog nur ein süffisantes Lächeln über seine Lippen und gab dann mit einem eiskalten Ton von sich. "I don't care what you want. If I feel like ending this conversation, I will. It seems appropriate at this time that we cut off all contact with each other for a while."

Plötzlich war da eine Stille auf der anderen Seite und er wusste nicht, ob seine Worte den gewünschten Effekt erzielt hatten. Er wartete und dann gab es nur noch eine einzige, kurze Antwort. "Fine, if you think so." Im nächsten Moment legte sie einfach auf und das Gespräch war für sie beendet. Nun blickte Joey den Firmenführer verwirrt an. „Was war das denn?“ Wollte er wissen und beobachtete, wie die kalte, starre Maske des Mannes nur bedingt weichen wollte. „Das war Viktoria. Du kennst sie bereits aus unserem letzten Gespräch. Das war die Dame, mit der ich darüber gespottet hatte, dass du die genaue Stundenanzahl wusstest, die du noch hier wärest.“
 

Nun sahen ihn die honigbraunen Augen groß an. „Ähm….“ Kam von ihm und es war ein Ausdruck großer Überforderung auf seinem Gesicht. „Ja… aber, habt ihr euch gerade getrennt?“ Stotterte er noch immer ungläubig. „Nein, das nicht. Wie ich sie kenne, werde ich morgen wieder von ihr hören, sie wird mich anrufen und mir sagen, dass ich ein Idiot bin, weil ich sie ignorieren will.“ Mit einem Seufzten ließ nun auch Seto das Handy wieder auf den Tisch sinken und starrte auf das schwarze Gerät. „Sie gibt nicht auf und ihr auch nur die kleinste Schwäche zu zeigen, bedeutet das Ende.“ Diese Worte verloren so wie auch die eisblauen Augen an Kraft. Er wirkte mit jedem Herzschlag müder und abgekämpfter.

„Das klingt nicht so, als wolltest du wirklich weiter mit ihr Kontakt haben.“ Kam zögerlich von dem 19-Jährigen und er musterte das Gesicht des anderen. „Nein, das nicht. Es ist nur… ich kann sie aktuell nicht ertragen. Sie fordert und fordert und fordert. Jetzt gerade kann ich ihre Forderungen nicht erfüllen und ich will sie auch nicht erfüllen.“ Er zuckte mit den Schultern und Joey lächelte. „Dann sollten wir darüber glücklich sein, dass wir sie für einen Moment losgeworden sind, oder?“ Fragte er beinahe ein wenig frech und trat wieder neben ihn. „Na komm, lass uns losgehen. Pack deine Sachen und wir machen uns auf den Weg.“

Nun war es der Brünette, der etwas verwundert wirkte. „Wir machen uns auf den Weg?“ Wollte er wissen und erinnerte sich an die Abmachung, dass sie gemeinsam Feierabend machen wollten. „Ja, jeder für sich nach Hause und dann treffen wir uns um 19 Uhr wieder in der Stadt oder soll ich dich lieber abholen und überprüfen, ob du auch etwas Passendes angezogen hast?“ Neckte nun der Blonde und erhielt einen fragenden, abschätzenden Blick. „Ich weiß nicht, ob du das wirklich ernst meinst.“ Seine eisblauen Augen musterten das Gesicht des anderen und er schien unsicher. „Ja, das habe ich ernst gemeint. Ok, nicht nur, ich meine, es war schon ein wenig neckend gemeint, aber mal ehrlich, ich weiß nicht, was du da alles in deinem Kleiderschrank hast und vielleicht kommen wir nachher nicht rein.“
 

Diese Aussage ließ die Augenbrauen in die Höhe wandern. „Du kennst meinen Kleiderschrank nicht? Du trägst doch ständig meine alten Sachen. Wie kannst du behaupten, nichts darüber zu wissen?“ Protestierte der Firmenführer und lächelte etwas spitzbübisch, als er den empörten Gesichtsausdruck des Blonden sah. „Ja, aber das sind deine alten Sachen. Die stehen mir hervorragend, aber deine neuen? Die kenne ich ja noch nicht!“ Gab er von sich und verzog den Mund zu einer Schnute.

Ohne noch weiter darauf einzugehen, griff Seto nach dem Stuhl und zog diesen vor. Mit einem Schmunzeln ließ er sich auf diesen fallen und die eisblauen Augen suchten den Bildschirm. Mit einem leichten Stoß gegen die Maus, welche er umgriff, wich der schwarze Bildschirm und ein heller Hintergrund trat an seine Stelle. „Wie? War es das?“ Wollte Joey nun wissen und lehnte sich mit der Hüfte an die Kante des Schreibtisches, sodass er mit dem Hintern fast darauf saß. Die eisblauen Augen suchten den Blick des Blonden und er lächelte herablassend. „Doch, das war der Plan. Es gibt meiner Meinung nach nichts weiter hinzuzufügen.“ Es war etwas Kühles in der Stimme und Joey verschränkte die Arme vor der Brust, sodass das weiße Hemd leichte Falten warf. „Ich sage dir, wenn wir wegen dir nicht rein kommen!“ Brummte er mit einem breiten Grinsen und erhielt nur ein lockeres Necken. „Wenn wir da nicht rein kommen, scheint deine Arbeit ja nicht viel wert zu sein.“

Musternd glitt der Blick über den Körper des 19-Jährigen, der zwar noch immer deutliche Spuren seiner letzten Kämpfe und des Übergriffes aufwies, aber ebenso unerwartet attraktive wirkte. Gedanklich verwarf er diese Überlegung direkt wieder. Es war nicht der richtige Zeitpunkt und nicht der richtige Mann. Er wusste, dass es ihm nur um die Ablenkung ging und Sex war eine sehr gute. Seine Bedürfnisse mithilfe eines anderen zu stillen, war eine leichte Möglichkeit, seine Gedanken zu zügeln.
 

~~~ooo~~~
 

Die Schlange war bereits lang und der Einlass würde eine ganze Weile dauern. Die Diskothek schien erst vor einer Stunde geöffnet zu haben und Seto wartete, mit den Händen in den Manteltaschen. Es war kalt und er wusste nicht, ob es eine gute Idee war. Zwar war er noch nie hier gewesen, doch eine Bar gefüllt mit guten Spirituosen war neben der richtigen Art von Sex ebenfalls eine perfekte Ablenkung. Als sich der Blonde vor ein paar Stunden so an seinen Schreibtisch gelehnt hatte, war ein angenehmer Schauer in die Leibesmitte gewandert. Er wusste, dass dieser Abend nicht gut ausgehen konnte. Er würde ein Desaster werden, aber er wollte auch nicht gehen. Der kalte Wind umgriff ihn und ein Frösteln erfasste ihn. Es war erst 19 Uhr. Normalerweise war er um diese Uhrzeit zu Hause und genoss dort in ausreichendem Maße teuerste Spirituosen, bevor er sich in das Nachtleben Dominos stürzte. Meistens war dieser Alkohol eh hochwertiger, als jener, der in den Drinks landete.

Sein Blick wanderte die Straße entlang. Er stand auf dem Gehweg und hörte schon leise die Musik von innen dröhnen. Frauen in kurzen Röcken und Männer in engen Hosen, von denen einige dem Interesse des Brünetten entsprachen. Seine jetzige Situation war dafür prädestiniert, in die nächste Problematik zu schlittern und eine unbedachte Nacht mit einer solch heißen Frau war perfekt für derlei Dummheiten. Was machte er hier eigentlich? Er sollte am besten in seiner Bibliothek sitzen und weit weg von jedwedem Alkohol und allen Frauen sein.

Plötzlich hörte er ein Räuspern und drehte sich auf dem Absatz um. „Na, vielleicht kommen wir doch rein.“ Neckte der Blonde, der nun vor ihm stand und einen grünen Schal um den Hals trug, Er lächelte schief und musterte das, was er von dem Firmenführer sehen konnte. Es war nicht sehr viel, denn der Mantel verdeckte das meiste. Die enganliegende, schwarze Hose, die eleganten Schuhe, die unter dem Mantel zu erkennen waren, wirkten wie immer edel und kostspielig. Der Mantel war bekannt, ein gut geschnittenes Stück, welches die Silhouette des Brünetten elegant betonte und darüber der blaue Schal. Bei genauer Betrachtung war der Mann wirklich attraktiv. „Etwas anderes habe ich nie erwartet. Wollen wir uns endlich in diese unerträglich lange Schlange anstellen?“ Erwiderte der Firmenführer gelassen und der Blonde schüttelte den Kopf. „Also, so wenig ist meine Arbeit nun auch wieder nicht wert!“

Hinter den Kulissen

Kapitel 45

Hinter den Kulissen
 

Die brünette Augenbraue wanderte in die Höhe und er schien skeptisch. Die Aussage, dass die Arbeit des Blonden doch mehr wert sei, erstaunte ihn etwas, denn die daraus resultierende Schlussfolgerung ergab sich noch nicht ganz für Seto. Der Barkeeper grinste nur und deutete zum Eingang hinüber. „Na komm schon, ich zeige dir, was ich meine. Immerhin gibt es auch Vorteile an meiner Arbeit hier. Ich muss mich nicht anstellen und ich komme schon vor der offiziellen Öffnung hinein.“ Gab er neckend von sich und dann setzte sich Joey in Bewegung. Er bemerkte, dass ihm der brünette Firmenführer folgte und schlenderte an der Reihe junger Frauen und Männer entlang, die sich in dieser mittlerweile dunklen Kälte bis zum Eingang zog. Schweigend hatte sich der Firmenführer angeschlossen und dachte im Stillen bei sich, dass dies auch das mindeste wäre. Es hatte ihn schon verwundert, dass sie sich so früh trafen. Eigentlich ging er nicht davon aus, dass zu einer solchen Uhrzeit Diskotheken in Domino öffneten. Zumindest keine, die er kannte und schätzte. Dennoch huschte ein zufriedenes Lächeln über seine Lippen, denn es gefiel ihm gut, der langen Wartezeit im kalten Wetter entkommen zu sein. Eine gänzlich unerwartete Reaktion erschreckte ihn jedoch nur einen Gedanken später merklich.

„JJ!“ Rief die kreischende Stimme einer jungen Frau neben ihm und er zuckte zusammen. Seine eisblauen Augen suchten den Grund für diese unnötige Hysterie und fanden ihn in einer vielleicht 19 Jahre alten Frau, die lange, pinke Haare trug. Diese waren fein geschnitten und funkelten leicht im Licht der Straßenlaternen. Auf ihrer linken Wange knapp unter dem Auge kleben zwei gleichfarbige Sterne unterschiedlicher Größe und auch ihre Lippen waren in diesem grässlichen Ton geschminkt. Irritiert und ein wenig abgestoßen versuchte der Brünette die Existenz dieses Wesens noch zuzuordnen, als der blonde Barkeeper mit einem breiten Lächeln zu ihnen trat. „Ossu, Megumi-chan!“ Kam in einem freudigen Ton von Joey und die junge Frau schien vor Begeisterung einen kleinen Luftsprung zu machen. Das Strahlen in ihren Augen wurde grösser, die Wangen erhielten einen leichten Hauch an Röte und sie riss die Arme in die Luft als wollte sie den blonden Mann umarmen.
 

Als dieser der unausgesprochenen Aufforderung nach kam und die junge Frau in seine Arme zog war die Verwirrung des brünetten Firmenführers vollständig. Allerdings schienen die beiden bereits bekannt miteinander zu sein, da er sie mit ihrem Vornamen ansprach. Ein Geheimnis blieb jedoch: Warum sprach ihn diese „Megumi-chan“ mit dem falschen Namen an? JJ? Das war sicher eine Abkürzung. Es konnte sich auf seinen eigenen Namen beziehen, aber sicher war sich Seto nicht bei der Überlegung. „Arbeitest du heute?“ Fragte sie nun begeistert und klimperte mit ihren großen Augen. „Nein, nicht heute. Ich habe auch einmal frei.“ Gab der Blonde nun an und sie schien unerwartet noch breiter zu grinsen. „Oh, dann kannst du also mit uns feiern?“ Fragte sie begeister, die Arme schlang sie um den Blonden, als wären sie Geschwister. Das diese „Megumi-chan“ auf Joey stand, war offensichtlich. Jenes wiederum brachte Seto zu der Frage, ob dieses in pink getauchte Weib einfach nicht dem Interesse, der Zielgruppe des Blonden entsprach. Immerhin hatte er damit ganz klar ein mögliches Objekt für ein „erstes Mal“ gefunden. Die Beichte, die der Blonde ihm jedoch in Dubai unter der Dusche gemacht hatte, ließ für ihn nur diesen Schluss zu. Immerhin presste diese Megumi ihre Brüste regelrecht an den 21-Jährigen, der anscheinend nicht begriff, was die Dame von ihm wollte.

„Oh, wie du siehst, bin ich heute schon mit jemand anderem hier. Ich denke aber, dass wir uns drinnen sicher noch einmal sehen werden.“ Meinte er und drückte sie sanft von sich, so wie man sich aus dem Klammergriff einer Schwester befreite, direkt und mit einer gewissen Nähe. „Ich freue mich schon darauf. Dann kannst du endlich einmal die Tanzfläche von der anderen Seite her begutachten.“ Scherzte sie und schien nicht zu begreifen, dass Joey ihr eigentlich einen Korb gegeben hatte. Mit einem Kopfschütteln gab Seto von sich. „Wollen wir dann?“ Diese Frage schien ausreichend, um den Blonden in Bewegung zu setzen und er hob zum Abschied die Hand. „Bis später, Megumi-chan!“ Rief er noch, bevor er sich wieder umdrehte. Doch seine laute Stimme hatte andere in der Reihe auf ihn aufmerksam gemacht und freudig begann eine kleine Dreiergruppe an Damen wild mit den Armen zu fuchteln. „JJ!“ Kam erneut der Ausruf und wieder musste Joey eine Pause einlegen, denn die Damen forderten seine volle Aufmerksamkeit ein. „Ossu!“ Rief er ihnen zu und hob ebenso den Arm, um sie zu begrüßen. Kaum war er bei ihnen, wurde er schon voller Freude in eine Umarmung gezogen.
 

Seto hob die Augenbrauen, als er sah, wie gleich drei junge, an sich recht attraktive Frauen den Blonden an sich drückten und ihre Brüste beinahe an ihn pressten. Sie trugen trotz der kühlen Temperaturen Strumpfhosen und kurze Röcke. Keine der drei wirkte so, als wäre sie dem Barkeeper nicht aufgeschlossen und würden ihm sicher sogar mit in jedes Bett folgen. Ersatzweise würde sie ihm wohl auch in jedes Lager folgen, jede Toilette oder jedes Büro, zu denen der Blonde Zugang hatte. Ihm ging des Satz nicht aus dem Kopf, dass Joey meinte, dass ihm dieser Teil immer schwerer gefallen war. Nur sah es nicht danach aus, als wäre dies hier das erste Mal, dass diese Damen sich an ihn heran schmissen, und nichts daran wirkte „schwer“. Der 21-Jährige ging sehr locker mit der Sache um und hatte diesen sanften, freundlichen Ausdruck, eine warme, einfühlsamen Stimme, während er mit ihnen sprach und erneut beauskunftete, dass er nicht mit ihnen feiern konnte.

Egal, wie Seto diese Situationen drehte und wand, aber auch bei der dritten Begegnung bis zur Tür hin, wirkte es so normal, dass der Blonde Nähe zuließ. Anscheinend schien Joseph seine Arbeit wirklich gut zu machen. Er war bekannt, beinahe berühmt hier und alle freuten sich, ihn zu sehen. Dabei erweckten die Blicke der Gäste gelegentlich den Eindruck, als wollte sie den Blonden direkt ausziehen und hinter der nächsten Ecke entjungfern. Wie hatte der Mann es so lange geschafft, überhaupt Jungfrau zu bleiben? Das war ihm ein absolutes Mysterium und das brachte ihn zu dem Punkt, dass er all dieses vielleicht falsch interpretierte. Vielleicht legte er zu viel in all das hinein. Allerdings… wäre er ohne den Blonden hier und diese Damen hätte ihm all diese Blick zugeworfen, er wäre wohl selten auf der Tanzfläche gewesen.
 

Nur verhinderten all diese kleinen Situationen, dass der Brünette eine Chance hatte, über die Sache mit dem Namen zu sprechen und kaum versah sich Seto, da stand er auch schon vor dem Eingang. Ein etwas bulliger Mann mit kurzen, schwarzen Haaren stand vor der Tür, sicher ebenso groß, wie der Brünette selbst. Der Türsteher war in schwarz gekleidet, nur der Schal, den er bei diesen Temperaturen trug, war mit einem grauen Muster verziert. „JJ, ich dachte, du hättest heute frei.“ Der Mann hatte eine tiefe Stimme und sah aus grauen Augen zu dem Blonden, dabei wirkte er nicht mehr so grimmig. Der Mann hatte diesen typisch abweisenden, autorietären Ausdruck, den Seto von allen Türstehern kannte. „Ja, das stimmt. Ich bin heute freiwillig hier.“ Kam nun in einem lachenden Ton von dem jungen Barkeeper und der Blick der grauen Augen wanderte direkt zu der brünetten Begleitung. „Wie ich sehe, bist du nicht alleine unterwegs. Wen bringst du mit?“

Seto war unschlüssig, ob er und wenn, wie er auf diese Frage antworten sollte, doch da hatte Joseph schon mit einem breiten Grinsen die Vorstellung übernommen. „Jup, das stimmt! Wenn ich dir Blue vorstellen darf. Ein alter Freund von mir. Wir kennen uns seit Schulzeiten.“ Es fiel dem 22-jährigen Firmenchef schwer, nicht auf diese beiden Bezeichnungen zu reagierte. Er versuchte nur ein freundliches Lächeln aufzusetzen und nickte bestätigend zu den Aussagen. „Blue also… du kommst mir irgendwie bekannt vor.“ Brummte der Türsteher und nun fixierte er nachdenklich und streng das helle Gesicht. „Ich bin zumindest noch nie hier gewesen.“ Gab Seto direkt an und bemerkte, wie Joseph lachte. Dieser gab dem Türsteher ein Zeichen und meinte. „Komm mal her, Tammo.“ Als sich der große Mann nach vorne beugte, schien ihm der Blonde etwas zuzuflüstern und nun wanderten die schwarzen Augenbrauen des Türstehers in die Höhe. „So ist das also. Dachte ich mir doch, dass ich dieses Gesicht kenne.“ Er nickte bei diesen Worten und richtete sich wieder zur vollen Größe auf.

Seto hob die Hände, als Zeichen seiner Unschuld. Er wusste nicht genau, wie er sich verhalten sollte, denn das war nicht sein Territorium. „Ich hatte nicht vor, irgendwelche Schwierigkeiten zu machen.“ Gab er mit einem möglichst harmlosen Lächeln von sich. Nun musste der Blonde wieder lachen und klopfte dem Türsteher, den er als Tammo bezeichnet hatte, auf die Schulter. „Ganz falscher Satz, mein Lieber! Ganz falscher Satz!“ Kommentierte der Barkeeper dies grinsend und auch Tammo hob die Augenbrauen. Er trat widerwillig zur Seite und meinte trocken. „Alle, die mir bisher gesagt haben, dass sie keine Schwierigkeiten machen wollen, haben mir welche gemacht.“
 

Nun war Seto etwas verlegen und ließ die Hände wieder sinken. „Dann nehme ich diesen Satz wohl besser direkt wieder zurück.“ Gab er halblaut von sich und der Türsteher nickte kurz und knapp. „Klingt gut.“ Er deutete den beiden Männern an, die große Tür zu öffnen und so folgte der Brünette dem jungen Mann hinein. Es war offensichtlich noch geschlossen, denn die markante, metallene Tür mit dem schwarzen Lack und den silbernen Tribels darauf wurde von Joey mit einem kräftigen Ruck geöffnet. Es ging abwärts eine Treppe hinunter, das Licht war hier etwas spärlicher und so war es nicht ganz so leicht die einzelnen Treppenstufen zu sehen. Jedoch waren diese mit leuchtenden Lichtstreifen versehen, um das Hinabsteigen den Besuchern zu erleichtern. Er kannte dieses Prinzip, dass die Besucher in die Tiefe geführt wurden, um der Atmosphäre dieses Wunderbare und gleichzeitig Suspekte zu verleihen. So schien man mit dem Betreten der Diskothek auch eine gänzlich andere Welt zu betreten, Licht und Dunkelheit bildeten dabei ebenso wie die nach unten führende Treppe die Grundlage.

Hinter ihnen konnte er hören, wie die Tür wieder ins Schloss fiel und eine seltsame Gänsehaut lief über seinen Rücken. Hier war es still, er konnte jedoch Stimmen aus dem Inneren hören. Das Kichern junger Frauen drang an sein Ohr und nur einen Moment später wurde erneut der befremdliche Name gerufen. „JJ! Wie schön, dass du heute Abend hier bist!“ Erklang in diesem aufgekratzten Ton und drei Frauen blickten zur Treppe hinüber, denn sie hatten das Geräusch der schweren Tür ebenso vernommen. Für Seto war es noch immer irritierend, dass der Blonde hier bekannter war als er. Normalerweise war es sein Auftreten, welches bei Frauen und Männern gleichermaßen eine unbändige Freude oder eine tiefe Abneigung auslöste. Dass seine Anwesenheit ein wenig uninteressant war, ja, regelrecht ignoriert wurde, kannte er so nicht. Diese Erfahrung war etwas Neues, von der er noch nicht sagen konnte, wie er dazu stand. Jedoch hatte er den Eindruck, dass er sich daran für diesen Abend gewöhnen müsste. Das hier war ganz eindeutig das Territorium des blonden Barkeepers. Ganz sicher war er sich auch noch nicht darin, wie er diesen Abend verbringen sollte. Normalerweise beschäftigte er sich damit, die hübschen Damen und attraktiven Männern mit ausreichend Aufmerksamkeit zu beglücken, damit diese ihn wie die Motten das Licht um schwirrten. Dies reichte an einem Abenden wie heute vollständig dafür aus, um eine ansehnliche Auswahl an potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten zu erhalten.
 

Sie waren unten am Ende der Treppe angekommen und nun zog sich ein langer, in schwarz gehaltener Gang vor ihnen sicher 15 Meter entlang. Dort fand sich zur linken Seite erst ein Empfangspult mit mehreren Kassen, an denen man den üblichen Preis für den Abend bezahlen konnte. Dieser war jedoch noch leer, die drei Damen schienen zur Garderobe zu gehören und kam nun freudig um den langen Tresen herum. Sie schienen den jungen Mann sofort erkannt zu haben und mit einem freudigen Rufen drückten sie ihn an sich. Augenblicklich waren sie in ein Gespräch vertieft, wobei Seto, der noch etwas zurückhaltend auf den letzten Stufen zurückgeblieben war, anscheinend nicht bemerkt wurde. Er kam sich ein klein wenig überflüssig vor. Außerdem hatte er den Blonden versprochen keinen Alkohol zu trinken. Die Aussichten des heutigen Abends wirkte mit einem Mal extrem miserable. Jedoch verwirrte es ihm noch immer extrem das JJ bei so vielen interessierten Damen wirklich so lange jungfräulich geblieben sein konnte. Ganz gleich, ob es sich nun um Arbeitskolleginnen oder Gäste handelte, er hatte hier anscheinend den Schlag bei den Frauen weg. In seinen Augen war es absolut unmöglich bei so vielen interessierten,weiblichen Wesen keine Lösung für dieses unangenehme Problem finden zu können. Selbst in Anbetracht der Herausforderung, das ein erstes Mal im Getränkelager unpassend wäre, würde bei all diesen Damen mindestens eine dabei sein, die den Barkeeper ohne weitere Frage mit nach Hause genommen hätte. Sogar ein Wissen über diesen extrem verlegen Punk würde nicht alle Damen abschrecken. Was also hielt den blonden Mann so zurück?
 

Diese Frage würde sich der brünette Firmenführer noch häufig an diesem Abend stellen, ohne darauf eine Antwort zu erhalten, denn ebenso auffällig war das charmante, aber abweisende Verhalten, welches der junge Mann zeigte. Auf wahrhaft einmalige Art und Weise schaffte er es auch diese drei Frauen wieder an die Arbeit zurück zu treiben und Ihnen diese trügerische Art der Hoffnung mitzugeben. Dabei war es zumindest Seto klar, dass der blonde Barkeeper keine diese Hoffnungen erfüllen würde. Noch nie in seinem Leben hatte er einen Menschen so überragend und gleichzeitig so dumm erlebt.

Dafür konnte er hier seine Jacke los werden, nur damit er auch endlich bemerkt wurde. Erstaunt stellten die drei schwarzhaarigen Grazien seine Anwesenheit fest und wieder wurde er gefragt, wer er denn wäre. Kurz fiel sein Blick zu dem Blonden, der lachend meinte. „Das ist Blue, ein langjähriger Freund und ehemaliger Klassenkamerad.“ Stellte er den großgewachsenen Mann vor und die Damen waren gleich Feuer und Flamme. Zufrieden nickte er ihnen zu und die erste, vielleicht 25 Jahre alt, beugte sich über den Tresen. „Oh, Blue, also, ich vermute, wegen dieser wunderschönen, tiefblauen Augen.“ Säuselte sie und Seto kam ihr ein klein wenig entgegen. Der lange Gang und die Garderoben waren von Lichtern erhellt, die nicht direkt zuzuordnende waren. Alles hier war in schwarz gehalten und nur die Kanten waren mit leuchtenden Lichtbändern verzieht. Ob diese jedoch ausreichten, um diese herrliche, verruchte Stimmung zu erhalten, war dem Brünetten nicht klar. Es spielte schlussendlich keine Rolle. „Ja, das ist eine plausible Erklärung. Mit welch entzückendem Wesen habe ich den die ungezügelte Freude?“ Raunte er nun beinahe in ihr Ohr und bemerkte den Schimmer, der gleich über ihre Wangen lief. Er hatte seiner Stimme diesen tiefen, rauchigen Ton gegeben, von dem er wusste, dass die meisten Frauen darauf ansprangen. „Ich bin Sakura.“ Meinte sie noch immer säuselnd und griff dann mit ihren Händen nach dem Schal des Frimenführers. „Und ich würde dich jetzt mit ebensolch ungezügelter Freude ausziehen.“ Ihre Lippen waren nahe bei dem Ohr des 22-Jährigen und er gab ein zufriedenes Brummen von sich.
 

„Sakura!“ Rief die Jüngste der Damen nach ihrer Kollegin, während diese schon den Knoten des dunkelblauen Schals löste. „Sag mal, was wird das denn?“ Wollte nun auch Joey wissen und verschränkte die Arme vor der Brust, Seto tadelnd anblickend. Die eisblauen Augen suchten das Gesicht des Barkeepers und er schenkte ihm ein herausforderndes Lächeln. Auch die dunkelbraunen Augen der Garderobiere suchten mit einem unschuldigen Lächeln die beiden anderen Frauen. Gekonnt hatten ihre geschickten Finger den Schal gelöst und sie zog ihn dabei ohne hinzusehen vom Hals des attraktiven Mannes. „Ja, was kann ich denn für dich tun, Michiko-chan?“ Fragte sie dabei so zuckersüß, dass es unwirklich wirkte.

Gelassen richtete sich Seto wieder zur vollen Größe auf, jetzt um seinen Schal erleichtert. „Nun, ich schlage den Service des Hauses nicht aus. Besonders, wenn er so umwerfend hübsch ist.“ Antwortete Seto seinem Begleiter und dieser hob die Augenbrauen. „Nichts da, aus, pfui, lass das! Denk daran, du…“ Joey wollte gerade etwas sagen, als er sich selbst auf die Unterlippe biss. Er wirkte leicht zerknirscht und wollte nicht weitersprechen. „… dass ich eine Freundin habe?“ Beendete der Firmenführer den Satz und die beiden Damen, die sich etwas im Hintergrund hielten, stießen einen leisen, erstaunten Schrei aus. Sakura, die ihre schwarzen Haare gesickt hochgesteckt hatte, gab in einem frechen Ton von sich. „Ein Hindernis, kein Ausschlusskriterium.“

Erstaunt blickte Seto zu der Dame, die seinen Schal in Händen hielt und er gab mit einem zufriedenen Lächeln von sich. „Keine Sorge, wir sind aktuell eher auf getrennten Pfaden unterwegs.“ Während er dies sagte, begann er seinen Mantel aufzuknüpfen, seine Wertsachen herauszunehmen und diesen auszuziehen. Kaum hatte er ihn auf den Tresen gelegt, folgten auch die dunkelblauen Handschuhe, um sein Mobiltelefon und das Portemonnaie wieder einzustecken. Die eisblauen Augen hatten den Blick der 25-Jähriegen nicht frei gelassen und sie schien seine Aussage mit einem begierigen Lächeln zu erwidern. „Das ist sehr gut.“ Gab sie von sich und drehte sich um, damit sie hinüber zu den hinter dem Tresen befindlichen Haken gehen konnte. Alle drei Damen trugen schneeweise Kleider, die ein wenig an eine sehr, sehr kurze Variante eines Kimonos erinnerten und einen breiten, ebenso weißen Gürtel besaßen, der hinten eine Schleife aufgesetzt hatte. Sie griff nach zwei Marken und kam wieder zurück.
 

Erstaunt beobachtete Joey, wie die beiden miteinander umgingen. Es hatte etwas so Vertrautes, als würden sie sich schon so lange kennen. Sie legte beide Marken auf den Tresen, es war die Nummer eins und die Nummer zwei. „Vollkommenheit oder Dualität? Wonach steht dir heute Abend der Sinn, Blue?“ Fragte sie und Seto beugte sich noch einmal leicht vor. Sein Blick wich nicht von ihrem, während er die Hand ausstreckte und nach der Marke mit der Nummer zwei griff. „Ich weiß schon, dass ich vollkommen bin.“ Raunte er und sie musste leicht lachen. „Schon fast schade oder?“ Neckte sie und griff nun ihrerseits nach dem Mantel, um Schal und Handschuhe darin zu verstauen. „Nein, warum sollte es?“ Fragte der Brünette und die anderen Zuschauer waren verwirrt. Sakura legte den Kopf leicht schief und gab säuselnd von sich. „Nun, was wir alles verpassen. Das finde ich schon traurig.“ Ein wenig frech drückte sie die Jacke an sich und Seto warf einen Blick auf die Münze in seiner Hand. „Ja, natürlich, aber warum sollten wir uns all das von der tristen Wirklichkeit verderben lassen? Außerdem denke ich, dass mein nächster Drink vielleicht etwas ungenießbar sein könnte, wenn ich nicht aufpasse.“ Er zwinkerte ihr zu und nun war das Lachen Sakuras lauter.

„JJ, pass mir gut auf den Gentleman auf, den will ich hier nachher wieder sehen verstanden?“ Gab sie in einem fordernden Ton von sich und dem jungen Mann stand kurz der Mund offen. „Bitte was?“ Kam von ihm und er schüttelte den Kopf. „Nichts da, euch zwei halte ich lieber ganz weit auseinander!“ Beschwerte er sich und beobachtete, wie die Dame die Jacke des Firmenführers aufhängte. Dann sah er tadelnd zu dem Brünetten, der unschuldig die Schultern hob. Auch Joseph begann nun seine Jacke auszuziehen und legte diese auf den Tresen. Er war nicht glücklich über diese Entwicklung, doch er hatte auch das Gefühl, dass er sich hier nicht so ganz einmischen durfte. Wenn der Mann seine Freundin betrügen wollte, dann sollte er es tun. Nur, war das denn wirklich der richtige Weg?
 

Anscheinend bemerkte der Brünette, dass der 21-Jährige mit dieser Entwicklung nicht zufrieden war. So schwieg er einen Moment und wartete, bis auch er seine Jacke losgeworden war und sie weiter gingen. Am Ende des Ganges öffnete sich dieser in einen freien Bereich, mehrere Gänge liefen von hier aus ins Innere des Gebäudes und es gab eine Treppe, die in andere Stockwerke führte. Alles war weiter in schwarz gehalten, die Gänge, der Boden, die Decke, die Wände, nichts war hier anders als in Schwarz. Dafür gab es immer wieder Tribelartige Muster an den Wänden, die anscheinend nur unter Schwarzlicht so richtig zum Leuchten kamen. Es musste interessant sein, wenn hier die Räume voll waren und die Gäste feierten. Musik war zu hören und sie folgten dieser. Im rechten Winkel vom Gang der Garderoben ab, ging ein weiterer, an dessen Ende einige Sitzgelegenheiten im Licht zu erkennen waren. Sie entschieden sich jedoch für einen Gang, der parallel zum Eingang bzw. der Garderobe verlaufen müsste. Zwei große Türen gingen hier rechts ab, links befanden sich unterschiedliche Räumlichkeiten, Toiletten und wohl Lagerräume oder ähnliches. Joey schien noch immer verstimmt und plötzlich packte Seto den Arm des jungen Mannes. „Vielleicht sollten wir kurz reden, JJ.“ Raunte er ihm zu und der Mann sah ihn erschrocken an. Die honigbraunen Augen hatten sich weit geöffnet und ihm stand der Mund wie zum Protest offen. Doch dann nickte er und schluckte hörbar. Hier war es ausreichend hell und niemand schien unterwegs, während hinter den großen, offenen Türen noch einiges an Gewusel stattzufinden schien. „Ich glaube, dass du die Situation eben ziemlich falsch verstanden hast.“ Begann er und ließ den Oberarm Joeys wieder los. Dieser begann gleich die Arme vor der Brust zu verschränken, aus Wut und vielleicht auch als Geste des Schutzes.

„Was kann ich denn daran falsch verstehen?“ Wollte der Blonde nun wissen und Seto sah ihn aus seinen eisblauen Augen eindringlich an. „Sie ist Garderobiere. Da wird niemals etwas zwischen uns laufen. Es ist nichts weiter als ein Spiel und ich bin wahrscheinlich nicht der letzte, mit dem sie das heute Abend macht. Sofern sich dich Zeit dazu ergibt.“ Nun sah er die Verwunderung doch deutlich in dem sonnengebräunten Gesicht. „Niemals? Klang nicht so.“ Gab der Barkeeper unsicher von sich und Seto hob seine Augenbraue elegant, während er belustigt schmunzelte. „Natürlich klang es nicht so. Es sollte nicht so klingen. Aber was denkst du, wie viele Männer diese Frau noch anmachen werden? Sicher dutzende. Was weißt du über sie?“ Wollte er wissen und nun zuckte Joey mit den Schultern. „Nicht viel. Sakura ist nicht ihr wirklicher Name und sonst… sie arbeitet seit einigen Jahren hier. Mehr weiß ich nicht.“ Gab er nun doch erstaunt von sich und der Brünette wirkte nicht überrascht. „Wahrscheinlich hat sie zu Hause einen Mann und Kinder und ist die vorbildliche Ehefrau. Hier kann sie all den verruchten Gedanken nachgehen, ohne auch nur einen Moment die Treue zu ihrem Ehemann zu gefährden. Als würde ich mich auf eine solche Frau einlassen.“
 

Nachdenklich schwieg er 21-Jährige und nach einer Weile fragte er. „Woher weißt du, dass sie es von Anfang an nicht ernst gemeint hat?“ Wollte er nun wissen und der Firmenführer schüttelte den Kopf. „Wirklich?“ Er seufzte und schloss kurz die Augen. „Eine Frau, die gleich so offensiv ist, hat kein Interesse daran, irgendetwas umzusetzen. Ein Flirt baut sich auf. Blicke, ein Lächeln, eine Berührung, ein Anstoßen. Die Spannung muss erst nach und nach wachsen. Eine Garderobiere ins Bett zu bekommen schaffst du nur, wenn sie wirklich versaut ist oder gar nicht. Bei Sakura ist es „gar nicht“. Angenommen, ich hätte sie nach ihrer Nummer gefragt, dann hätte sie gesagt, dass ich später wieder kommen soll. Wäre ich später wiederkommen, hätte sie keine Zeit gehabt und dann Feierabend.“ Nun war der blonde Barkeeper doch überrascht. „Oh, meinst du?“ Wollte er wissen und plötzlich meinte Seto. „Geh zu ihr hin, frag sie, was sie mir geantwortet hätte, wenn ich nach ihrer Nummer fragen würde.“ Kurz zögerte er. „Nein, sag ihr, dass ich dich nach ihrer Nummer gefragt habe.“ Mit diesen Worten griff der Brünette nach den Schultern des Mannes und schob ihn an sich vorbei zum Ende des Ganges. „Frag sie und komm wieder!“

Spitzfindigkeiten und andere Absurditäten

Kapitel 46

Spitzfindigkeiten und andere Absurditäten
 

Neugierig hatte Seto den Moment genutzt, in dem er ein wenig allein sein konnte. Er war sich sicher, dass diese Sakura, auch wenn sie ihm sehr gut gefallen hatte, nicht an einer Vertiefung intimerer Aktivitäten interessiert war. Seto jedoch war an dieser Diskothek interessiert. Es war das erste Mal, dass er durch ein noch geschlossenes Nachtlokal schleichen konnte, in der Hoffnung, dass ihn niemand bemerkte. Er warf einen Blick in den großen Raum und erkannte die einschlägig geniale Idee dahinter sofort. Die Halle war groß und bot an ihrem Ende eine Bühne, sowie ein Pult für den DJ. Dieser war schon dabei, sich einzurichten und Musik spielte laut über die Boxen. Auf der linken sowie rechten Seites des Raumes befand sich etwas erhöht eine lange Theke mit einer Bar dahinter, die von beiden Seiten über ein große Rampe begebbar war. So war es einfacher, die Gäste zu bedienen und wenn er richtig vermutete, bot die Erhöhung einiges an Stauraum für Getränke unter dem Ausschank auf beiden Seiten. Hinter der Bühne prangte in gewaltigen, leuchtenden Buchstarben das Wort „Dancehall“. Anscheinend der Name dieses Raumes. Überall wuselten Kellner herum und füllten die letzten Reserven auf, der DJ war schon dabei, die Musik einzustellen und wippte mit dem Rhythmus mit.

Gelassen schlenderte Seto wieder zurück und folgte dem Gang auf der linken Seite hinunter zu den Tischen. Schnell fand er eine neue Tür und auch hier warf er einen Blick hinein. Der erste Raum war deutlich kleiner als die große Halle und hier war der unglaublich einfallsreiche Name „Dancefloor“ an die Wand gestrichen worden. Die Bar und das DJ-Pult befanden sich diagonal gegenüber in den Ecken und eine weitere Tür führte hinten in einer anderen Ecke wieder hinaus. Hier war alles in weißer Farbe gestrichen und die Elemente waren schwarz gefasst. Die Musik war eine andere, genau konnte er sie aber nicht zuordnen. Bevor ihn noch jemand entdecken konnte, machte sich der Brünette weiter auf seine Abenteuertour und stieß bei den Tischen auf einen kleinen Ruhebereich. An der Wand des Ganges befanden sich einfache Tische mit kleinen Stühlen, die dann von großen, runden Tischen abgelöst wurden. Toiletten gab es hier ebenfalls erneut und eine große Tür, die abermals Neues versprach. Hier war außen an die schwarze Wand ein unbestimmtes Muster gestrichen, welches ihm seltsam bekannt vorkam. Schnell zog er die Münze aus seiner Hosentasche und drehte diese auf die Rückseite um. Daher also! Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, als ihm der Zusammenhang endlich klar wurde. Das Muster der Münze war das gleiche, wie an der großen Tür der Diskothek und auch hier an den Wänden. Natürlich nur ein Stück, aber wenn man genau hinschaute, waren da noch andere verräterische Spuren .
 

Seto trat näher an die Wand und streckte die Hand aus. An einigen Stellen hatte er etwas bemerkt. Sanft fuhren seine Finger über die Wand und er musste breit grinsen. Die Umrisse dieser achteckigen Münze waren als kleine Erhebung auf der schwarzen Wand zu finden. Er hielt das vier Zentimeter große Metallstück in die Höhe und nickte für sich stumm. Ja, das war genau das Muster. Interessant. Um ehrlich zu sein, liebte er diese Spitzfindigkeiten und geschickt drehte er das Metall wieder auf die Seite mit der Zahl. Nette Idee, wirklich nette Idee!

Dann siegte die Neugierde ein weiteres Mal und er ließ die Münze wieder in seiner Hosentasche verschwinden. Er warf einen Blick hinein in den nächsten Raum, anscheinend der kleinste der drei Räume dieser Diskothek. „Ballhaus“ war an diese Wand geschrieben und auf die gleiche Weise waren Bar und DJ-Pult diagonal im Raum aufgestellt. Hier waren sie jedoch vertauscht. Die Bar musste sich an der gleichen Wand befinden, wie die Bar auf der anderen Seite. Nachdenklich betrachtete er diese. Auch hier wurde Musik gespielt, zwei junge Männer standen hinter der Bar und unterhielten sich, während sie Ihrer Arbeit nachgingen. Mit einer in Falten gezogenen Stirn blickte er über die Schulter hinaus in den Gang. Wenn er sich nicht verschätzte, müsste die Bar dort enden, wo die Toiletten begannen. Fehlte da nicht ein Stück? Er warf wieder einen Blick hinein in den Raum und erkannte eine Tür hinter der Bar. Jetzt erst recht von dieser Idee angestachelt eilte er zurück bis hinüber zum „Dancefloor“, um seine Vermutung zu überprüfen. Ein weiterer Blick in diesen Raum zeigte ihm, dass er richtig lag. Eine Tür hinter der Bar und ein Stück fehlende Wand. Da sich die beiden Türen an jeweils anderen Enden der Räume befanden, musste dahinter noch ein „Zwischenraum“ sein. Vielleicht ein Lager. Er könnte jetzt noch einmal bei den Toiletten überprüfen, wie weit diese geschätzt reichten, aber dazu hatte er sicher nicht mehr die Zeit.
 

„Was suchst du?“ Erklang die Frage direkt und Seto zuckte leicht zusammen. Er war so auf seine Entdeckung fokussiert gewesen, dass er Joseph gar nicht weiter bemerkt hatte. Die eisblauen Augen huschten zu diesem und der junge Mann stand direkt neben ihm. Er setzte ein möglichst unschuldiges Lächeln auf und gab dann von sich. „Das verlorene Stück Wand!“ Erklärte der Firmenführer und zeigte auf diese. „Was? Das verlorene Stück Wand?“ Wiederholte der Blonde und blickte hinein. „Was genau meinst du?“ Wollte er nun wissen und Seto versuchte seine Entdeckung genauer zu erklären. „Die Wand hier im „Dancefloor“ kommt früher, als von außen gedacht. Wenn man im nächsten Raum steht, stellt man fest, dass es einen Zwischenraum geben muss.“

Die honigbraunen Augen blickten ihn beinahe entsetzt an. „Darüber machst du dir Gedanken? “ Fragte der Blonde und erhielt ein Nicken. Für einen Moment schien Joey zu überlegen und dann trat er ein. „Na komm, du Detektiv!“ Meinte er und durchquerte schnellen Schrittes die Tanzfläche. „Hideaki !“ Rief er und hob die Hand. Ein junger Mann, vielleicht um die 20 herum, hob den Kopf und sah zu ihnen hinüber. Er hatte braune Haare, die von hellen Strähnen durchzogen waren. Ein breites Grinsen trat direkt auf sein Gesicht, als er den Ankömmling erkannte und er rief freudig. „Ossu, JJ, ossus! Ich dachte, du hättest heute frei!“ Anscheinend war das die gängigste Begrüßung dieses Abends und Seto musste leicht schmunzeln. „Ich bin heute privat hier und habe mir anscheinend einen kleinen Detektiv angelacht.“ Scherzte er und Hideakis Blick wanderte direkt zu dem Firmenführer. „Oha, was für ein Verbrechen haben wir begangen?“ Wollte der junge Mann breit grinsend wissen und Joseph lachte. „Wir haben eine Wand versteckt!“ Spottete er etwas und Seto wirkte vorwurfsvoll.

„Das ist nicht fair. Ich habe lediglich bemerkt, dass zwischen diesem Raum und dem nächsten ein Zwischenraum sein muss, denn die Länge der Räume stimmt nicht mit der Länge des Ganges überein.“ Beschwerte er sich nun und der Barkeeper sah seinen Kollegen erstaunt an. „Du hast Recht, du hast dir einen Detektiv angelacht.“ Kam von ihm und der junge Mann mit seinen braunen Haaren lehnte sich auf den Tresen. „Und wie lautet die Theorie des Verbrechens?“ Wollte er wissen und sah aus neugierigen, großen Augen zu Seto auf.
 

Dieser trat neben den Blonden und gab leicht verstimmt von sich. „Nun, die aktuelle Theorie basiert auf der Vermutung, dass ein Lager zwischen den beiden Wänden eingerichtet wurde. Das würde praktisch die Versorgung mit den Getränken sicherstellen und erklären, warum die Wände nicht zueinander passen.“ Hideaki nickte versonnen. „Ja, das ist eine gute Theorie.“ Auch Joey stimmte dem zu, er hatte sich gemütlich an den Tresen gelehnt und sah zu seinem Kollegen. „Sollen wir ihn die Theorie überprüfen lassen?“ Fragte er frech und der junge Mann neckte zurück. „Ich weiß nicht, ob ich wildfremde Detektive hinter meine Bar lassen sollte. Würdest du doch auch nie tun.“ Das war schon eine ungewöhnliche Situation, denn ihm fehlte die Verhandlungsgrundlage. Zumindest schien der Blonde wieder gute Laune zu haben und das war schon einmal ein förderlicher Anfang. „Dann stelle ich mich einfach vor und wir sind einander bekannt. Ich bin Blue, Detektive Blue . Ich bin für allerlei seltsame Vorfälle zuständig, die auch das Verschwinden von ganzen Wänden beinhalten. Mein letzter Fall war der des verschwundenen Barkeepers .“

Für einen Moment stutzte der Blonde und dann musste er laut lachen. „Oh nein, was ist mit dem armen Barkeeper geschehen?“ Wollte Hideaki wissen und musste ebenfalls breit grinsen. „Er wurde in einer Wand eingemauert wiedergefunden.“ Erklärte Seto mit ernster Miene und sahen sich die beiden Arbeitskollegen erstaunt, aber noch immer belustigt an . „Mist, ich glaube, dann mache ich mal eine Ausnahme. Bevor mir das gleiche Schicksal wiederfährt .“ Neckte der 20-jährige Barkeeper und gab Seto ein Zeichen, um den Tresen herum zu kommen. „Ja, Blue, du hast Recht. Es befindet sich ein Lager dahinter. Das hier war früher einmal eine große Weberei mit gewaltigen Hallen. Uns gehören davon jetzt alle vier Ebenen: der Keller, den wir als großes Lager nutzen, das Untergeschoss, in welchem wir uns befinden, die VIP-Lounge über uns und dann die Büroebene, im zweiten Stock. Die Wände sind eigens für diese Diskothek vor 9 Jahren eingezogen worden.“

Gespannt warf der Firmenführer einen Blick über den inneren Bereich der Bar und erkannte all die Kleinigkeiten, die von der anderen Seite nicht gesehen wurden. Anscheinend hatte der Mann gerade einige Flaschen aufgefüllt, denn er konnte noch offene Kartons auf dem Boden sehen. Es war Joseph, der weiter erzählte. „Das hier ist der Übergang zum Industriegebiet. Wir sind eigentlich der erste Straßenzug, der so richtig zum Gewerbepark gehört und von hier aus sind es nur 20 Minuten zu Fuß, um zum Hafen zu gelangen. Erst in den letzten Jahren haben sich hier auch andere Länden angesiedelt. Kleine Supermärkte, ein paar Imbisse, die Nudelsuppen und Reisbowls verkaufen, einige Kioske sind auch dabei.“ Seto wollte noch etwas darauf antworten, doch sein Interesse galt nun in erster Linie der offenstehenden Tür, welche so verlockend nach ihm zu rufen schien. Mit wenigen Schritten war er dort und trat fasziniert ein. Es war ein langgezogener Raum, der vielleicht die Länge des „Ballhauses“ haben konnte. Die Tür auf der anderen Seite war ebenfalls geöffnet und er konnte die Musik von dort hören. An den Wänden zogen sich stabile Schwerlastregale entlang, die mit Kisten, Reihen an Flaschen oder Stecksystemen versehen waren. Auch einige Stiegen mit Gläsern waren hier zu finden, die sein Interesse weckten. Musternd wanderte sein Blick über die Regale und er fand penibel geführte Zettel, die den genauen Inhalt dieses Platzes beschrieben. Alles hatte seine Ordnung.
 

„Woher kennst du ihn? Ein Freund von dir, Jayjay?“ Fragte der Barkeeper seinen Kollegen und dieser nickte grinsend. „Ja, ein alter Schulfreund von mir, der ein klein wenig Ablenkung gebrauchen kann. Darum sind wir heute hier.“ Antwortete der Blonde und Hideaki blickte zur Tür zurück. „Wie geht es deiner Rippe? Geht es langsam wieder?“ Wollte der junge Kollege jetzt wissen und erhielt erneut ein Nicken. „Ja, ich darf noch immer nicht schwer heben und hin und wieder tut es ganz schön weh. Ich bin nicht vorsichtig genug. Allerdings sagte der Arzt auch, dass es vielleicht bis Weihnachten braucht.“ Gab Joey nun etwas verlegen von sich und fuhr dabei mit der Hand über den Nacken.

Dieses Thema schien ihm unangenehm und so stellte er eine andere Frage. „Weißt du, wer oben arbeitet?“ Kurz schien Hideaki überlegen zu müssen, bevor er dann antwortete. „Soweit ich weiß, sind es Chanwoo und Kiko. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob Chanwoo heute wirklich da ist. Ich habe ihn noch nicht gesehen.“ Erklärte der junge Kollege und Joey stieß sich vom Tresen ab. „Ok, dann schauen wir mal nach, ob er es hergeschafft hat. Ich habe garantiert kein Interesse, für ihn einzuspringen.“ Murrte der Blonde und blickte zu dem Firmenführer hinüber, der soeben aus dem Lager kam. „Und? Bist du nun glücklich?“ Fragte Joey, wobei er über das leicht breite Grinsen des Firmenführers sehr erstaunt war. Er hatte nicht erwartet, dass sich dieser so freuen würde.

„Oh ja, ich hatte Recht! Natürlich bin ich, wie du es so einschlägig formuliert hast, deswegen äußerst zufrieden. Wie könnte ich nicht?“ Neckte der Brünette und kam wieder um den Tresen herum. Hideaki musste ebenfalls breit grinsen und musterte den jungen Mann, der da so unverschämt ehrlich war. „Wie leicht man manche Menschen doch glücklich machen kann. So, ich muss hier weiter machen. Trollt euch , wo immer es euch hinzieht!“ Sagte er ebenso offen und griff nach einem der leeren Kartons, der auf dem Boden stand.
 

Kurz verabschiedete sich Joey noch von seinem Kollegen, um dann mit dem Brünetten zurückzugehen. „Hatte ich auch in dem anderen Punkt Recht?“ Drang nun ein leises Raunen an sein Ohr und der Blonde zuckte erstaunt zusammen. „Was?“ Die braunen Augen sahen ihn erstaunt an und er schien instinktiv einen Schritt zur Seite zu weichen. „Der andere Punkt?“ Fragte er verwirrt und einen Moment später begriff er. „Oh, du meinst mit Sakura.“ Brummte der Barkeeper leicht verstimmt und nickte schließlich. „Ja, auch da hattest du Recht. Als ich sie um ihre Nummer bat, damit ich sie an dich weitergeben kann, meinte sie ernsthaft, dass du persönlich kommen musst, wenn du Interesse daran hast. Übrigens meinte sie ganz besonders betont SPÄTER!“ Ein weiteres Brummen kam von dem 21-Jährigen und er meinte. „Ok, ich denke, dass sie dir wirklich ihre Nummer nicht geben will.“

Ein zurückhaltendes Lächeln huschte über die schmalen Lippen, denn Seto wollte die gerade halbwegs gute Laune nicht wieder verderben. „Dann sollte ich mich SPÄTER bei ihr melden, um mir meinen Korb abzuholen.“ Kommentierte er dieses und Joey schüttelte den Kopf. Er deutete zur Treppe bei der sie angekommen waren. „Lass uns nach oben gehen. Ach ja, eigentlich arbeite ich im VIP-Bereich. Hier unten helfe ich nur gelegentlich aus.“ Mit diesen Worten setze er den ersten Schritt auf die Treppe und Seto war neugierig, was ihn dort erwarten würde.
 

„Oh, und noch etwas Wichtiges: Lass die Finger von meinen Arbeitskollegen! Egal, von wem! “ Gab Joey nun in einem unleidlichen von sich und der Brünette hob die Hände, um damit einen unschuldigen Eindruck zu erwecken. „Das hatte ich erwartet. Alles andere würde mich wundern.“ Kommentierte Seto, während ein fast überhebliches Lächeln auf seinen Lippen lag. „Aber bei einer hübschen Dame darf ich schon noch meine Chancen ausloten, oder?“ Kam von ihm die Frage und er folgte dem Blonden die ebenso wie die gesamte Farbgebung schwarze Treppe hinauf in die Ungewissheit. „Ich meine, wenn ich schon nicht trinke, nicht mit deinen Kolleginnen flirten darf, was mache ich dann hier?“ Die eisblauen Augen suchten das Gesicht des jungen Mannes, der schon ein paar Stufen vor ihm war. „Was du hier sollst?“ Fragte Joey nur und seufzte dann, während er weiter aufwärts schritt. „Nun, endlich einmal etwas anderes als Trinken und Frauen flachlegen. Davon abgesehen, dass du mit mir hier bist. Wir könnten uns unterhalten, etwas Unalkoholisches trinken, da haben wir echt gute Cocktails, die du auf jeden Fall probieren solltest.“ Erklärte der Blonde und konnte nicht fassen, dass der andere so unkreativ war. „Gut, und worüber willst du dich mit mur unterhalten?“ War nun die stichelnde Frage, die der Firmenführer stellte. „Vielleicht über dein Hintergrundwissen zu einer bestimmten Dame, über die du so ungern sprichst?“

Erstaunt blieb Joey oben am Ende der Treppe stehen und drehte sich um. „Wen meinst du?“ Wollte er sogleich wissen, die Musik, die hier auf der Ebene gespielt wurde, war deutlicher zu hören. Er sah den anderen verwundert an und grübelte angestrengt darüber , wen denn der 22-Jährige meinen könnte. Dieser hingegen überbrückte die letzten Treppenstufen, um nun auf gleicher Höhe mit Joey zu stehen, und meinte mit einem leichten Schmunzeln. „Überleg noch einmal ganz genau, dann fällt dir vielleicht jemand ein.“
 

Die honigbraunen Augen verengten sich ein wenig und der Gesichtsausdruck verzog sich verstimmt. Seto wartete, immerhin konnte es nicht allzu lange dauern, bis dem Blonden die zündende Idee kam. Dass er damit Recht behielt, sorgte für ein noch breiteres, leicht herablassenderes Lächeln. Er konnte schnell erkennen, wie sich die honigbraunen Augen durch die Erkenntnis weiteten und die sonst protestierenden Lippen einen Spalt offen standen, ohne jedoch auch nur einen Ton von sich zu geben. Joey hob in einer drohenden Geste den Zeigefinger, als wollte er den Firmenführer maßregeln. Dieser Ausdruck wurde jedoch schnell abgelöst und eine verlegene Röte schlich sich auf die dunklen Wangen. In dem spärlichen Licht konnte Seto dies nicht mit Sicherheit sagen, doch der zerknirschte Gesichtsausdruck ließ ihn dies erahnen.

Es dauerte einen Moment, bis sich der Blonde wieder gefangen hatte, die Schultern straffte und dann in einem etwas kleinlichen Ton von sich gab. „Okay, vielleicht ist das ein Thema, über das ich nicht mit dir sprechen möchte.“ Dann fuhr er sich mit der Hand verlegen über den Nacken, eine Geste, die Seto schon sehr oft bei ihm beobachtet hatte. „Außer natürlich, du möchtest, dass ich dir noch einmal erzähle, wie überragend toll Aiko ist. Ich kann dir den ganzen Abend von ihren herausragenden Fähigkeiten erzählen. Wenn du möchtest, schwärme ich dir die nächsten Stunden die Gründe vor, warum sie die perfekte Frau für Mokuba ist.“

Die brünetten Augenbrauen hoben sich in einem etwas skeptischen Ausdruck und für einen Moment antwortete der Firmenführer nicht. Dann jedoch änderte sich seine Haltung und hatte plötzlich etwas Entspanntes. Auch sein Lächeln hatte einen deutlich sanfteren Anschein. „Nun, ich bin sehr gespannt, mit welchen positiven Eigenschaften und wahrhaft fabulösen Fähigkeiten du mir diese junge Frau als die perfekte Ehefrau für meinen jüngeren Bruder verkaufen möchtest. Vielleicht werde ich mich morgen sogar noch an ein paar dieser wahnhaften Äußerungen erinnern, wenn ich ihr den Hals umdrehen möchte.“ Für einen Augenblick ließ er diese Worte einfach im Raum stehen und beobachtete, wie der Blonde nach und nach den letzten Teil seine Aussage vollumfänglich verstand. Dabei wurde das Entsetzen auf dem sonnengebräunten Gesicht immer deutlicher, bis dieser schließlich voller Empörung seinen Unmut kundtat. „Ich hoffe doch, dass du ihr auf keinen Fall den Hals umdrehen wirst! Aiko ist eine wirklich wundervolle junge Frau und kann überhaupt nichts dafür, dass die Situation so beschissen ist, wie sie sich einmal darstellt.“ Er verschränkte ein wenig wütend die Arme vor der Brust und funkelte den 22-Jährigen aus seinen honigbraunen Augen an.
 

Dieser zuckte nur leicht mit den Schultern und warf einen Blick zur Seite in den sich nun öffnenden Raum. „Ich werde mir Mühe geben, diese tiefgreifend anrührenden Worte morgen nicht zu vergessen. Aber ich verspreche nichts.“ Dabei hatte seine Stimme einen leicht lästerlichen Ton, während seine Aufmerksamkeit längst abgewandert war. Zwar war die Treppe sehr breit, doch hier verbarg eine etwas höhere Trennwand den direkten Eingang zu dieser Ebene. Er musste noch einen Schritt weiter hineintreten, um die gewaltige Fensterfront zur linken Seite des Raumes zu erkennen. Schon ein flüchtiger, übersichtserhaschender Blick ließ ihn erkennen, dass diese Ebene wie ein L angeordnet war und nur einen Teil des darunter liegenden Stockwerkes überspannte. Er war sich sicher, dass der große Saal, die „Dancehall“, von hier oben zu sehen sein würde. Während er sich umblickte und den Blonden dabei gänzlich ignorierte; hatte er schnell die Struktur der VIP-Lounge analysiert. Interessanterweise war von seinem Standort aus beinahe alles gut zu erkennen. Zwar musste er miteinberechnen, dass unter normalen Umständen die Musik lauter und die Räumlichkeiten gefüllter wären und so die Übersichtlichkeit nicht mehr so gut wäre, doch grundsätzlich gefiel ihm diese Struktur. Verglich er diese Ebene, mit der darunterliegenden, so ergab sich für ihn folgende Struktur: der gesamte Bereich des Eingangs, die Garderobe, die gesamten Räumlichkeiten zur linken Seite so wie der Gang vor der Großen Halle stellten in der VIP-Lounge eine Art offenen Balkon da. Er konnte sich noch gut daran erinnern, dass die Garderobe von einem sehr langen Gang geprägt war und sich dann in einen größeren Bereich öffnete. Parallel zu diesem Gang führte einer wieder zurück, beide Gänge wurden von Toiletten und Lagerräumen getrennt. Über selbigen Gang konnte man durch zwei große Türen in die „Dancehall“ gelangen. Das Stockwerk darüber war mit Tischen ausgestattet, die teilweise Sitzgelegenheiten boten .Ebenso konnte er von dort aus eine Bar erkennen, hinter der sich weitere, unbekannte Räumlichkeiten befanden.

Die beiden kleineren Tanzsäle im Erdgeschoss wurden hier in der VIP-Lounge von einer kompletten Ebene überdeckt. Den so entstandenen, gewaltigen Raum hatte man durch den perfekten Einsatz von Trennwänden in kleinere Abteilungen zerlegt. Von seiner Position aus konnte er erkennen, dass hinter der Wand am Eingang neben ihm weitere Sitztische versteckt waren. Auf der rechten Seite zur Wand hin fanden sich etliche Stehtische, bevor sie wieder von einer Abtrennung eingerahmt wurden. Dahinter vermutete Seto erneut Sitzgelegenheiten, die Privatsphäre boten und zu intimeren Gesprächen einluden. Auf der linken Seite vor der gewaltigen Fensterfront bot eine große Fläche die Möglichkeit zu tanzen, ein junger Mann mit blauen Haaren war am Ende dieser Fläche an seinem DJ-Pult damit beschäftigt die richtige Einstellung der Musik zu finden. Hinter ihm erstreckte sich erneut eine Trennwand. Blickte er nun an der Tanzfläche und den Stehtischen vorbei, tiefer in den Raum hinein, konnte er weitere Bartische finden sowie etwas, dass seiner Vermutung nach ein Tresen war.
 

„Hast du mich jetzt ausreichend lange ignoriert?“ Kam in einem leicht belustigten und ein wenig neckenden Ton, der Seto dazu brachte, wieder zurückzuschauen. Für einen Moment hätte Joey geglaubt, dass in den eisblauen Augen eine gewisse Überraschung gestanden hätte und der Firmenführer seine Existenz gänzlich vergessen hatte. Ob dies wirklich so war, würde ihn der Brünette niemals bestätigen. Dennoch erheiterte ihn diese Vorstellung ziemlich. Er war mittlerweile ebenfalls vom Eingang in den großen Raum getreten, um nun mit einem leichten Lächeln etwas mehr über die Räumlichkeiten zu sagen. „Wie jemand wie du sicher schon bemerkt hat, ist die VIP-Lounge nicht genauso groß, wie das darunter befindliche Stockwerk. Diese Ebene lässt platt ausgedrückt unsere große Halle, die „Dancehall“, aus. Aufteilen lässt sich das Ganze hier in drei Bereiche: am offensichtlichsten ist der von uns liebevoll „Außenbereich“ genannte Abschnitt dort hinter der Tür.“ Joey deutete von der Treppe her gerade aus, in die Richtung, in welcher sich ein Stockwerk tiefer die Garderobe und schließlich der Eingang befanden.

„Dieser Bereich ist mit einem eigenen DJ-Pult ausgestattet, einer kleinen Tanzfläche, einer eigenen Bar, Toiletten und natürlich mit einem Haufen Sitzgelegenheiten. Insgesamt haben wir hier zwei Bars, zwei Tanzflächen, jeweils mit eigenem DJ-Pult, drei Toiletten und mehrere unterschiedliche Sitzmöglichkeiten.“ Erklärte der Blonde mit einem breiten Grinsen, welches auf gewisse Weise für ihn unnatürlich war. Was genau Seto daran so verwunderte, konnte er nicht sagen. Vielleicht war es ein Stück weit einfach diese eindringliche Freude, wieder an seinem eigentlichen Arbeitsplatz zu sein. Auch in den honigbraunen Augen war ein ungewöhnliches Funkeln zu erkennen, welches von der tiefen, inbrünstigen Euphorie sprach. Selbst sein gesamtes Auftreten hatte sich verändert und war nun von einer gewissen Autorität und einer für den jungen Mann untypischen Stärke geprägt. Selten zuvor hatte Seto den Mann so selbstsicher und aufrecht stehend sehen. Selbst in Dubai hatte Joey zu Beginn keine solch überragende Selbstüberzeugung gezeigt, obwohl er dort schon einmal den brünetten Firmenführer unerwartet überrascht hatte.
 

„Die zweite Tanzfläche ist hier ja sehr offensichtlich und der blauhaarige, gutaussehende und charmante junge Mann dort drüben hinter dem Pult ist Frankie. Fragwürdiger Geschmack, wenn du mich fragst. Bisher konnte mich diese Figur einfach nicht überzeugen, aber Oda hat etliche Figuren entwickelt, mit denen ich wenig anfangen kann. Frankie gehört dazu. Das Schöne ist, dass unser Frankie nur die gleichen blauen Haare, aber sonst wenig von dieser aufgekratzten Persönlichkeit hat.“ Etwas erstaunt stellte der Blonde fest, dass seine Worte zu viel Verwirrung führten. So setzte er ein breites Grinsen auf und meinte ein wenig spöttisch. „Lass mich raten, du hast niemals die Serie „One Piece“ gesehen?“

Die noch immer bestehende Verwirrung und das deutliche Hochziehen der brünetten Augenbrauen machte überaus deutlich, dass der Firmenführer keine Ahnung hatte, wovon der junge Mann sprach. Dafür wurde das Grinsen auf Joeys Lippen beinahe unverschämt breit. „Meine Güte, gibt es irgendwelche Wissenslücken, die du in solchen Bereichen nicht hast? Du kennst „101 Dalmatiner die Serie“ nicht, „One Piece“ nicht. Wenigstens „Naruto“ oder „Pokémon“?“ Kurz wartet der Blonde noch einen Moment, bevor er die Verwirrung zumindest teilweise aufklärte. „One Piece ist eine Mangaserie, gezeichnet von Oda Eiichiro. Es geht dabei um eine Gruppe von Piraten, genannt die Strohhutpiratenbande, die auf der Suche nach dem größten Schatz der Welt ist, dem One Piece. Kapitän dieser Bande ist der Gummimensch Ruffy, der in seiner Jugend eine Teufelsfrucht aß. So eine Piratenbande braucht selbstverständlich auch ein paar Mitglieder: einen Koch, eine Navigatorin, einen Schiffsarzt, einen Scharfschützen, einen Schwertkämpfer, einen Steuermann, klar, nicht zu vergessen die Archäologin, der extrem notwendige Musiker und natürlich einen Schiffsbauer . Selbiger Schiffsbauer ist der Cyborg Frankie. Vielleicht mag ich ihn deswegen nicht, weil er so offensichtlich ein Cyborg ist.“ Dies sagte der Barkeeper ein wenig nachdenklich und runzelte dabei die Stirn.
 

Die eisblauen Augen hatten sich nun ein wenig erschrocken geweitet und die schmalen Lippen standen ein wenig offen. „Was bitte ist eine Teufelsfrucht und was ein Gummimensch? Darf ich mir darunter einen Menschen vorstellen, der gänzlich aus Gummi ist? Sind dann auch seine Eingeweide aus Gummi?“ Kurz schloss Seto seine Augen und gab ein wenig fassungslos von sich. „Ich glaube kaum, dass ich danach frage, aber hat das auch Einfluss auf seine Beweglichkeit?“ Über sich selbst erstaunt wartete der Firmenführer doch ein wenig gespannt auf die absurde Antwort, die von einem extrem breiten Grinsen und vor Freude geröteten Wangen kam. Ebenso folgte ein starkes Nicken und beiden Männern war klar, dass die Absurdität dieser Unterhaltung nur noch sehr schwer gesteigert werden konnte.

Allerdings war Wheeler Joey niemand, der eine solche Herausforderung ausließ, weswegen er jetzt voller Begeisterung erzählte. „Zu deiner ersten Frage, Teufelsfrüchte sind Früchte, die laut Legende vom Dämon des Meeres persönlich geschaffen wurden. Sie verleihen einem übermenschliche Kräfte, aber sie nehmen einem die Fähigkeit zu schwimmen. Um deine zweite Frage zu beantworten, wäre es einfacher, dir eine passende Szene aus den Büchern zu zeigen, aber ich weiß, dass du dich dafür jetzt nicht interessierst. Da Ruffy zwei Dinge besonders gut kann, würde ich sehr stark annehmen, dass sein kompletter Körper aus Gummi besteht. Es gibt niemanden auf der Welt, der so viel essen kann, wie er. Davon abgesehen, dass er immer Hunger hat. Wenn er richtig viel gegessen hat, wird er rund wie ein Luftballon. Außerdem kann er seinen Körper unglaublich weit dehnen, um zum Beispiel eine Kanonenkugel abzufangen. Ich würde daher sagen, ja, das Gummi hat auch einen Einfluss auf seine Beweglichkeit.“ Kurz schien Joey zu überlegen und murmelte dann. „Ok, Son Goku kann auch so viel essen. Aber der ist schließlich ein Saiyajin.“

Mit offenem Mund starrte Seto den Barkeeper an und versuchte zu verstehen, was dieser ihm gerade gesagt hatte. Es dauerte wirklich einige Herzschläge, bis ich der Schock soweit gelegt hatte, dass Seto sich wieder fing. Er runzelte die Stirn, räusperte sich und die Lippen wurden erneut geschlossen, nur um sich kurz darauf ein zweites Mal zu räuspern und vorsichtig zu fragen. „Nur damit ich das richtig verstehe, ein Gummimensch, der nicht schwimmen kann, ist Kapitän einer Piratenbande auf dem Meer?“ Wieder nickte der Blonde breit grinsend, wollte jedoch nichts weiter dazu sagen.
 

Der Blick der honigbraunen Augen wanderte noch einmal hinaus zu der von hier gut einzusehenden Bar. Dort war mittlerweile eine junge Frau aufgetaucht, welche eben wohl im Lager oder hinter der Theke gewesen war. Sie hatte schwarze, kurze Haare und einen leicht philippinischen Touch. „Siehst du die Barkeeperin dort drüben?“ Fragte Joey und deutete auf die Frau, die sie noch nicht bemerkt hatte. Auf das Nicken des Firmenführers hin erklärte der 21-Jährige folgendes: „Das ist Lilo. Sie hat ihren Namen aus der Serie, oder eher von dem Film „Lilo und Stitch“. Um dir auch da auf die Sprünge zu helfen: Stitch ist ein blau, vielleicht lilafarbenes Alien, welches als Experiment gezüchtet wurde. Auf seiner Flucht landet es bei dem, ich glaube, 6 Jahre alten Mädchen Lilo, die ihn für einen Hund hält.“

Die Verwirrung und das Entsetzen über diese neuen Erkenntnisse waren Seto sehr deutlich anzusehen. Ein weiteres Mal stand ihm kurz der sonst so provokante Mund offen, aus dem dieses Mal kein lästerliches Wort folgte. „Nein, auch dieser Film oder diese Serie sagt mir rein gar nichts. Mir war leider nicht bewusst, dass ich extra ein Studium hätte ablegen müssen, um die Feinheiten dieser Absurditäten vollumfänglich zu verstehen. zum aktuellen Zeitpunkt bin ich mir noch nicht sicher, ob ich diesen Wissenslücken nachtrauere. Nichtschwimmende Gummimenschen als Kapitäne und Alienhunde sind normalerweise nicht Bestandteil einer Allgemeinbildung. Gibt es hier auch noch irgendwelche Mitarbeiter, die verträgliche Namen haben? Hideaki weiter unten scheint mir bisher der einzige zu sein.“

Nun war eine Art Empörung in dem sonnengebräunten Gesicht des 21-Jährigen zu erkennen. „Also wirklich, ich finde, dass du dich mal wieder wie ein Trampeltier benimmst. Und das ganz vollumfänglich!“ Die braunen Augen funkelten ein wenig provozierend und Joey trat ein Stück dichter an den Firmenführer heran. „Aber ich gebe dir noch eine Chance: ist der Name Tony besser?“ gespannt beobachtete er jede Regung in dem Gesicht des anderen, darauf wartend welche dummen Kommentare er nun wieder erhalten würde. Fast unerwartet hoben sich die brünetten Augenbrauen und eine schlichte Frage wurde formuliert. „Frau oder Mann? Zu wem gehört dieser?“ Das war eine Antwort, die der Blonde nicht erwartet hatte, dieses breite Grinsen jedoch unterstützte. „Was denkst du denn?“ Wollte er jetzt seinerseits wissen, sich innerlich darüber freuend, dass seine Aufklärung Seto sicher nicht gefallen würde.
 

Dieses Gespräch nahm zunehmend unangenehme Züge für ihn an, denn bei so einer provokanten Frage erwartete er die ungewollte Antwort. Mit einem Seufzen gab er schließlich ein wenig unleidlich von sich. „Wenn du mich so fragst, wird es sich dabei um eine Frau handeln?“ Seine Stimme war am Ende des Satzes in die Höhe gegangen und er formulierte erneut eine Frage. Nun waren es die eisblauen Augen, welche das dunkle Gesicht des Barkeepers kleinlich genau beobachteten. Noch immer hatte dieser ein unverschämt breites Grinsen aufgelegt und tat mit einem überheblichen Klang in der Stimme kund. „Eine Frau! Tony arbeitet hier als DJ und ist eine der fähigsten Frauen und Technikerinnen, die ich in diesem Bereich kenne. Wenn irgendwo Schwierigkeiten sind, sie kann sie lösen! Tony ist eine Anspielung auf Tony Stark, den du ja hoffentlich kennst! Sie ist unser weiblicher Iron Man!“

Die hämische Freude. die nun Joey erfüllte konnte dieser nicht beschreiben. Diese Verbindung musste der Brünette erst einmal verarbeiten und auch hier war er nicht in der Lage, die Offensichtlichkeit seiner Gefühle im flackernden Halbdunkeln der Lichter zu verbergen. Für einen Moment genoss der Blonde das Erstaunen in den eisblauen Augen und diese deutlich zu erkennende Abwägung, welche denn nun in dem brillanten Verstand aufgeplatzten Reaktionen die Beste auf eine solche Offenbarung wäre. Er fand anscheinend keine Entscheidung, die ihn ausreichend befriedigen würde, weswegen er schlussendlich gar nichts antwortete. Er setzte lediglich diesen wissenden und ein wenig provozierenden Blick auf, mit dem er den Barkeeper bedachte.

„Ok, ok, ich sehe schon, das war ein bisschen fies von mir. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass sowohl mein Name wie auch der von Kiko recht schlicht sind. Und wie dir hoffentlich klar ist, stammt das Jayjay von meinem ersten und meinem zweiten Namen. Wobei der zweite Teil, den ich sehr gerne verschweige, weil er leider eine unangenehme Verbindung zu meinem Vater darstellt, gänzlich anders ausgesprochen wird. Bei Kiko weiß ich natürlich nicht, ob dort noch andere Verbindungen existieren.“ Für einen langen Moment sahen sich die beiden jungen Männer nur tief in die Augen und wieder begann Seto abzuwägen, ob er etwas zu diesen teilweise sehr privaten Informationen sagen sollte. Schließlich entschied er sich für das Charmanteste, das ihm einfiel. „Ich mag den Namen Blue. Schlicht, einfach, offensichtlich!“ Plötzlich durchfuhr ihn ein entsetzlicher Gedanke und die eisblauen Augen verengten sich. „Zu diesem Namen gibt es aber keine Geschichte, oder? Du hast es einfach nur wegen meiner blauen Augen gesagt.“

Jetzt war es eine seltsame Wärme, die sich in der Stimme Joeys wiederfand. „Nein, soweit ich weiß, nicht. Vielleicht gibt es irgendwo irgendeinen Künstler, der eine Figur mit diesem Namen erschaffen hat, aber die kenne ich nicht. Falls uns heute jedoch ein Gesprächsthema fehlen sollte, können wir uns gerne ausmalen, wie eine solche Figur aussähe, in was für einem Universum sie leben würde und was für Abenteuer Blue bestehen müsste.“ Die Skepsis trat sofort in das fein geschnittene Gesicht des Firmenführers und dieser schüttelte den Kopf. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich so etwas an einem alkoholfreien Abend schaffe. Bei der Auswahl, ob ich lieber auf Alkohol und diesen Irrwitz verzichte oder trinke und dafür mit dir darüber diskutiere, entscheide ich mich ganz klar gegen den Alkohol!“

Das unsittliche Angebot

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Zwiegespräch im Keller

Kapitel 48

Zwiegespräch im Keller
 

Vorerst beließ es der Blonde bei dieser Aussage und versuchte zu ignorieren, dass sich sein Arbeitskollege so unglaublich seltsam verhielt. Ein kurzer Blick auf die Uhr machte deutlich, dass in wenigen Minuten unten der Einlass begann, so dauerte es nicht lange und die ersten Gäste betraten die Diskothek. Die Nacht brach an und die Stimmung in der VIP-Lounge wurde schnell angenehm heiter. Die Musik spielte nun wieder die bekannten, zu diesem Abend besser geeigneten Stücke und schweigend hatte der Brünette den Trubel beobachtet. Dabei war sein Augenmerk eher auf den Koreaner gerichtet als auf die hübschen Damen, die sie regelmäßig umflatterten. Dass Joseph nun vor der Bar saß und nicht dahinter, war anscheinend für viele ein Grund, mögliche Chancen auszuloten. Nur nebenher registrierte der Firmenführer, wie viele Abfuhren verteilt wurden und als der erste Schwung abgearbeitet war, hatte der blonde Barkeeper auch wieder Zeit, sich dem seltsamen Spektakel hinter dem Tresen zu widmen.

Changwoo war regelrecht distanziert und zurückhaltend. Er gab noch immer den übereifrigen, aufgedrehten Sunnyboy, der die Damen mit seinen Sprüchen beglückte und auf unnachahmliche Art und Weise mit ihnen flirtete. Aber im Vergleich zu den sonst so zielführenden Gesprächen lotste der 24-Jährige mit seinem breiten Grinsen und den silberbraunen Haaren gekonnt um die Abschlüsse herum. Er machte charmant deutlich, dass er arbeitete.
 

„Wirst du mir heute noch Näheres über eure Unterhaltung erzählen?“ Kam urplötzlich die Frage Joeys an den Brünetten und die honigbraunen Augen musterten eingehend das Gesicht des anderen. Erstaunt fanden die eisblauen Diamanten den intensiven Blick und er schien für einen Moment nachzudenken. „Das hatte ich zumindest nicht vor.“ In seiner Stimme lag ein bestimmter Ton, der darauf hinwies, dass sich deutlich mehr hinter dieser Unterhaltung verbarg, als Joey ahnen mochte. Grundsätzlich ging dieser sowieso davon aus, dass der Brünette ihn anflunkerte. Eine Lüge wollte er ihm noch nicht unterstellen, aber dass die beiden sich nur unterhalten hätten, erschien ihm völlig unmöglich.

„Ach komm schon, du kannst mir nicht erzählen, dass ihr beiden da unten nur ein kleines Schwätzchen gehalten habt. Ich meine, sieh dir Changwoo doch an, der hat in seinem ganzen Leben noch nie so fleißig und konzentriert gearbeitet. Ich wusste nicht einmal, dass er so arbeiten kann.“ Es lag etwas Herausforderndes in den honigbraunen Augen, welche unverwandt den Brünetten anstarrten. Es schien der Versuch zu sein, alleine durch den auffordernden Blick ein Geständnis aus Kaiba heraus zu bekommen. Dieser hingegen schmunzelte nur gelassen, so etwas beeindruckte ihn wenig. Er war Geschäftsführer eines gewaltigen Unternehmens und dies bedeutete zugleich, dass er mit weitaus erfahreneren und gefährlicheren Menschen zu tun hatte als dem wirren Blondschopf neben sich. Zumindest schien dieser klägliche Versuch ihn zu amüsieren. „Ich für meinen Teil würde es eine Unterhaltung nennen. Vielleicht könnte deine Definition der Geschehnisse eine leicht andere sein. Nichtsdestotrotz bleibe ich dabei, dass ich meine Finger von deinem Arbeitskollegen gelassen habe.“ An dem Gesicht des blonden jungen Mannes konnte er sehr genau erkennen, wie die Worte nach und nach verstanden wurden. Das klare Eingeständnis, dass dort unten im Keller undefinierte Aktionen geschehen waren, welche offensichtlich ein Geheimnis darstellen sollten, ließ eine Mischung aus Empörung und Entsetzen entstehen.
 

„Okay, dir ist schon klar, dass ich mir jetzt große Gedanken mache!“ Kam in einem anklagenden Tonfall von dem 21-Jährigen. Die blonden Augenbrauen zogen sich ein wenig zusammen und auch die Mimik des jungen Mannes zeigte deutlich, wie unzufrieden er mit diesen halbherzigen Andeutungen war. Dass er damit eine hervorragende Vorlage bot, hatte er dabei nicht bedacht. Aus dem leichten Schmunzeln, welches eben noch das seichte Amüsement aufzeigte, wurde nun ein herablassendes Lächeln. „Mir war gar nicht bewusst, dass du zu solch großen Gedankensprüngen fähig bist. In einem solchen Fall verstehe ich natürlich, dass du dich von deiner Unsicherheit dazu hinreißen lässt, meine Worte anzuzweifeln.“ Kam nun die foppende Aussage Setos, der dabei einen unglaublich herablassenden Ausdruck aufgesetzt hatte. Schneller als gedacht begriff Joey, was ihm der Brünette sagen wollte, und die vollen, breiten Lippen standen zum Protest geöffnet. „Bitte was?“ Platze es aus ihm heraus, bevor ihn noch eine weitere Breitseite traf. „Deine Auffassungsgabe scheint die geringen Grenzen deiner eigenen Begriffsstutzigkeit erstaunlich gut zu erfassen.“ Stichelte Seto nun weiter und beobachtete vergnügt, wie sich die Wangen voller Empörung aufbliesen.

„Bevor du nun zum kläglichen Gegenschlag ausholst, muss ich dir einen Riegel vorschieben. So wie du deine Geheimnisse hast, so hat auch Changwoo die seinen. Es geht dich also schlicht nichts an.“ Kurz stand Joey der Mund weit offen und dann klappte er ihn erstaunt wieder zu. „Was?“ Platzte erneut aus ihm heraus, dieses Mal deutlich verwirrter. „Ich habe keine Geheimnisse! Was meinst du?“ Forderte der Blonde nun aufgebracht und starrte aus honigbraunen Augen hinüber. Das so offensichtlich herablassende Schmunzeln wurde beinahe boshaft. Er senkte seine Stimme zu einem Flüstern, während er sich leicht zu dem Blonden beugte. „Das kleine Geheimnis zwischen dir und mir! Oder wissen sie, dass du bei deiner letzten Schicht noch Jungfrau warst?“
 

Die pure Röte stieg so schlagartig in sein Gesicht, dass Joey den Kopf zur Seite drehte. Sein Gegenüber hatte Recht. Er war in dieser Hinsicht nie ehrlich zu seinen Kollegen gewesen. Was ging es sie auch an, ob er Jungfrau war oder nicht? Der Blick fiel in das Glas auf dem Tresen vor ihm und er schwieg einen Moment. „Jeder hat seine Geheimnisse. Das gehört zum Menschsein dazu. Es wäre eher irritierend, wenn ihr alle so ehrlich zueinander wäret, dass es sie zwischen euch nicht gäbe. Der Unterschied ist nur, dass dir jetzt bewusst ist, dass Changwoo eines vor dir hat. Ihn kümmert es nicht, weil er mit seinem eigenen Problem beschäftigt ist und nichts von deinen Abwegen weiß.“ Es war ein schrecklich belehrender Ton in dieser Stimme, mit der Seto nun sprach. „Zu wissen, dass der andere ein Geheimnis hat, macht einen verrückt.“

Plötzlich fanden die honigbraunen Augen wieder zurück zu den eisblauen. „Das heißt im Umkehrschluss, dass es auch zwischen uns Geheimnisse gibt?“ Wollte der Blonde nun wissen und war etwas erstaunt über die klare Antwort. „Natürlich, wahrscheinlich ziemlich viele.“ Es war beinahe ein süffisanter Ton, mit dem der Brünette sprach und bei dem Erstaunen des anderen, musste er etwas herablassend lächeln. „Sehen wir einmal von all dem ab, was mein Geschäft betrifft, so bleiben noch weitere Bereiche meines Lebens, in welche du deine Nase nicht stecken wirst. Davon abgesehen wird es sicher auch Dinge geben, über die ich nichts erfahren soll.“ Eine Weile herrschte Schweigen und erneut senkte Joey den Blick in das Glas, als ihm spontan einige Gedanken zu diesem Thema kamen. „Deine Familie, im Speziellen dein Vater sollte eines dieser besagten „Geheimnisse“ sein, über welches du sicher gerne schweigen willst.“

Sofort erstarrte der Blonde und verkrampfte sich. Er wusste genau, worauf der Brünette hinauswollte. Obwohl er stets gehofft hatte, sich diese kleinen Andeutungen nur einzubilden, waren sie immer da gewesen. Er hatte nicht gewollt, dass gerade dieser Mann etwas über seinen Vater wusste, doch die Wahrscheinlichkeit, dass er es dennoch tat, war hoch. Immerhin erinnerte sich Joey an die Anspielung, die Kaiba schon zu Anfang dieser seltsamen Wette in der Küche gemacht hatte. Für ihn war das ein Thema, welches er schon seit langem verschwieg. Dass gerade dieser Mann davon zu wissen schien, der ihn Zeit ihrer Bekanntschaft hänselte, macht es erheblich schwerer, überhaupt darüber nachzudenken. Hunderte Gedanken rasten gleichzeitig durch seinen Kopf, Fragen die sich überschlugen, ohne eine Antwort zu finden. Dieses Thema verfolgte ihn sogar bis in seine Träume hinein, ebenso wie unzählige Vorwürfe, die diese alte Wunde wieder aufrissen. In den Alpträumen der letzten Nächte hatte diese deutliche Anklage des Versagens den ohnehin schon grauenvollen Traum zu einem wahren Martyrium gemacht. Er stellte sich natürlich ständig diese eine unumgängliche Frage: Wenn seine Mutter davon wusste, warum hatte sie ihn dann zurückgelassen?
 

„Wie lange weißt du es schon?“ Kam nun mit einer brüchigen, leisen Stimme von Joey, ohne in Zweifel zu ziehen, dass der Mann neben ihm genauestens Bescheid wusste. Er wollte nicht aufsehen, starrte weiter in sein Glas, den eigenen Kopf noch immer voll von unbeantworteten Fragen. Die laute Musik im Hintergrund schafft es nicht, dieses Wirrwarr zu übertönen. Er schluckte, innerlich mit dieser Situation überfordert. Dass dieses Thema heute Abend zur Sprache käme, hatte er nicht erwartet. Auf der anderen Seite hatte er noch nie wirklich mit jemandem darüber geredet. Die Schuld, welche er empfand, glich einem wabernden Schmerz, den er seit Ewigkeiten in sich trug, ohne die Chance, ihm jemals zu entkommen.

„Seit unserer Schulzeit.“ Die sonst so kühle Stimme hatte plötzlich einen wärmeren Ton. „Dein Verhalten damals war ausreichend auffällig, um stillschweigend Nachforschungen durchzuführen. Dein ständiges Zuspätkommen, ohne deine Sorge, wie deine Eltern dazu stehen, hat mich vom ersten Tag an irritiert. Außerdem hast du niemals über sie gesprochen, sondern nur über deine kleine Schwester. Herauszufinden, dass deine Eltern geschieden waren und du bei deinem Vater lebtest, war sehr einfach. Dass dieser sich nicht sonderlich für deine schulischen Leistungen interessierte, war offensichtlich. Deine ständigen Prügeleien, für die dein Vater ebenso wenig Interesse zeigte, waren der nächste Hinweis. Danach musste ich nur noch ein paar Gefallen einfordern, um an die restlichen Informationen wie Polizeiberichte, Anzeigen oder medizinische Befunde heranzukommen.“

Für eine lange Zeit schwiegen beide. Nur die Musik spielte im Hintergrund und junge, feierwütige Menschen kamen an die Bar, fragten nach ausgefallenen Cocktails und prahlten voller Begeisterung, wie sie ihr Geld für den nächsten Rausch ausgeben wollten. Junge Frauen, die Schmuck trugen, weit teurer als mehrere Monatsgehälter, welche Joey aufbringen konnte. Junge Männer in edlen Anzügen und mit Uhren ausgestattet, welche ebenso unerschwinglich wirken. Ihr Lachen und ihre Heiterkeit erfüllten den ganzen Raum und noch nie in seinem Leben hatte sich der Blonde so deplatziert an diesem Ort gefühlt.
 

„Vielleicht ist das kein Gesprächsthema für eine gut besuchte Bar. Gibt es einen Ort, an dem wir in Ruhe darüber reden können?“ Fragte Seto plötzlich, als eine junge Frau, vielleicht 20 Jahre alt, sich neben sie an die Bar setzte. Kurz blickte Joey auf und seufzte. „Du willst weiter darüber reden?“ Fragte er in einem resignierten Tonfall und erhielt einen eindringlichen Blick. „Nein, das will ich nicht. Für mich beinhaltet dieses Thema keine Wichtigkeit, aber für dich tut es das. Meine euphorische Stimmung, die diesen Abend mit verlockenden Aussichten gestaltet sah, stürzt in eine bodenlose Frustration, wenn ich weiterhin dein von Trübsal gezeichnetes Gesicht sehe.“ Es war eine herablassende Klarheit in diesen Worten, die eher auf Ehrlichkeit zielte. „Du hast mich hierhergebracht, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Momentan sind die Gedanken, die ich hege, wenig erfreulich.“

Die blonden Augenbrauen hoben sich und Joey sah ihn provozierend an. „Das klingt jetzt echt nicht aufbauend. Versuch es nochmal!“ Kam strikt von ihm und kurz war das Erstaunen auf dem Gesicht des 22-Jährigen zu sehen. „Ich soll was?“ Fragte er belustigt und der Blonde gab klar von sich. „Versuch das, was du eben gesagt hast, noch mal in nett auszudrücken!“ Erklärte er seinen Wunsch und der Firmenführer musste nun wahrlich unverhohlen grinsen. „Gut, aber ich hatte dir versprochen, nicht mehr zu versuchen, nett zu dir zu sein.“ Gab er nun zu bedenken, wurde aber direkt abgeschmettert. „Du sollst ja auch nicht versuchen, nett zu mir zu sein. Du sollst nur etwas nett ausdrücken. Obwohl ich langsam bezweifle, dass du so etwas überhaupt kannst.“ Joey verschränkte die Arme vor der Brust und wartete nun mit lauerndem Blick. Diese Provokation konnte der Brünette nicht auf sich sitzen lassen und so kam er etwas näher, beugte sich zu dem Blonden vor. „Es erweckt bei mir den Eindruck, dass dieses Gespräch an einem ruhigeren Ort weitergeführt werden sollte, damit dieses Thema nicht zwischen uns steht. Ich möchte dein Gemüt ungerne getrübt lassen, wenn doch ein amüsanter Abend vor uns liegt.“
 

Der Zweifel war so deutlich zu sehen, dass jenes darauffolgende Kopfschütteln nicht unerwartet kam. „Nein, nicht ausreichend. Versuch es noch mal!“ Forderte der Bonde erneut auf und gab noch dazu. „Außer du gibst auf. Dann akzeptiere ich das natürlich.“ Das nun folgende breite Grinsen war an Dreistigkeit kaum zu überbieten und von der eben noch belegten Stimmung war kaum etwas zurückgeblieben.

Nun hob sich die schlanke Augenbraue in einem Ausdruck des Zweifels elegant in die Höhe. Der Brünetter schien einen Moment abzuwarten, als wollte er damit klar angeben, dass er sich nicht unter Druck setzen lassen würde. „Ich mache mir lediglich um deine geistige und emotionale Stabilität Sorgen. Siehe es als Ausdruck einer Art freundschaftsähnlichen Gesinnung. Einen Moment der einfühlsamen Schwäche, welcher ich gerade erliege, da du mich mit deinen treuseligen Hundeaugen so wehleidig anblickst.“

Es war eine Mischung aus erstauntem Entsetzen und einem belustigten Schmunzeln. Offensichtlich sorgte diese Aussage wenigstens dafür, dass Joey ein wenig bereitwilliger über dieses Thema sprechen wollte. „Oh oh, dass mit der Nettigkeit üben wir noch einmal gründlich. Du bist wirklich richtig schlecht darin. Allerdings bin ich bereit, diese 3 kläglichen Versuche zusammenzurechnen und damit das Minimum der geforderten Höflichkeit zu akzeptieren. In Kombination mit diesem sehr schlechten Licht, kann ich beide Augen zudrücken und dir den Personalraum unten vorschlagen. Da sollten wir jetzt erst einmal Ruhe haben.“ Kurz erhielt er für diese Aussage einen ebenso eindringlich provozierenden Ausdruck, doch Seto schwieg lieber. Er schenkte dem Blonden ein folgsames Nicken und erhob sich. Immerhin wollte er den Geduldsfaden nicht überspannen.
 

Mit einem breiten Grinsen ließ sich auch Joey vom Barhocker herunterrutschen und deutete zu den Treppen. Sie schoben sich langsam durch die feiernde Meute, die sich ihrerseits durstig zur Theke drängte. Es dauerte daher eine Weile und schnell warf Seto einen Blick zu Frankie, als sie das DJ-Pult in weiter Entfernung passierten. Seine Gedanken hingen an der Erkenntnis, dass der Blonde ihn auf freche Weise übertölpelt hatte, ohne dass Seto dies hätte verhindern können. Er wusste nichts über den DJ, außer der Tatsache, dass dieser ein Freund der One Piece Reihe war. Was dachte Frankie über ihn? Dass er solche Lektüre nicht zu schätzen wüsste? Das entsprach zwar der Wahrheit, aber er wollte sich dazu wenigstens äußern. Doch bei der Menge an Freierwütigen hatte der blauhaarige Mann natürlich keinen Blick für die zwei in der Masse verlorenen Wanderer. Wahrscheinlich hatte er nicht einmal die Zeit, an ihre Begegnung zurückzudenken. Seto ging der Vergleich zu ihrem Treffen mit Kamil nicht aus dem Sinn. Dort hatte er den Blonden übertölpeln wollen, wobei dieser sehr geschickt der Falle entkommen war. Damit schweiften seine Gedanken hinüber zu seinem Sensei und der Frage, wer er denn nun wirklich war und ob er ein guter Mensch wäre. Konnte er nicht endlich all die Fragen aus seinem Kopf verbannen? Er war hier, um auf andere Gedanken zu kommen!

Nach diesem Akt fand sich Seto mit dem 21-Jährigen im Fahrstuhl wieder, in dem er vor kurzem mit Changwoo gestanden hatte. Erinnerungen, die nicht zu dieser Stimmung passten, kamen wieder in ihm hoch. Er beobachtete die Zahlen, die auch Joey in das kleine Feld eingab und hatte sich gedanklich schon die Frage gestellt, wie der junge Mann ohne den Sensor den Fahrstuhl in Bewegung setzen wollte. Da schob dieser den Ärmel zurück und ein schlichtes, Seto von der Art her bereits bekanntes Armband, kam zum Vorschein. Dieses hielt Joey an den entsprechenden Part der Maschine und schon begannen sich die Türen zu schließen. Schweigend ging es in die Tiefe und auch der Barkeeper schien kein Interesse an einem weiteren Gespräch zu haben. Kaum waren sie unten angekommen, schlug der Blonde einen Weg durch das Labyrinth der Regale ein, während die eisblauen Augen diese überflogen.

Seto wusste, wo er bereits vor kurzem gewesen war, nun kamen neue Wege zum Vorschein. Wissbegierig füllte er weitere Lücken in seiner imaginären Liste über den hiesigen Bestand.
 

Wahrlich stieg die Neugierde jedoch, als sie endlich in die Nähe des Raumes kamen, in den sie wollten. Weit hinten fand sich eine weitere große Tür, welche wieder links und rechts von großen Regalen umgeben war. Der Blonde gab den Code in ein kleines Feld ein und wieder drückte er den Sender seines Armbandes gegen das kleine Gerät. Mit einem leisen Klacken ging die Tür auf und nun war der Brünette erstaunt. Natürlich konnte er seine Wissbegier nicht zügeln und die blauen Augen suchten jeden interessanten Punkt, den sie hinter der sich öffnenden Tür finden konnten. Dahinter erstreckte sich ein Raum, der wie ein Flur eingerichtet war. Eine massive Tür befand sich auf der anderen Seite ihnen gegenüber und schien den Personaleingang darzustellen. Schließfächer befanden sich auf ihrer rechten Seite, große Spinde, in die auch eine Tasche passte. Links fand er zwischen den aufgehängten Jacken eine weitere Tür, die jedoch ein Stück offenstand. Erst jetzt wurde ihm die Kamera bewusst, die direkt auf ihn gerichtet war und er versuchte sich zu erinnern, ob er vorher schon über solche hier unten gestolpert war. Bei den Werten, die hier unten lagerten, war das sicher eine gute Idee.

Er folgte dem Blondschopf, der neben die Zwischentür trat und sie hinter Seto wieder ordnungsgemäß schloss. Hier schien der junge Mann wirklich mit größter Gewissenhaftigkeit zu arbeiten. Während er sich noch interessiert umblickte, hatte sich der andere zu der verdächtig nach Personalraum aussehenden Tür aufgemacht und verschwand dahinter, als wäre er davon überzeugt, dass Seto ihm folgen würde. Viele Möglichkeiten blieben diesem schließlich nicht und der Personaleingang schien keine Notausgangstür zu sein. Das brachte ihn zur nächsten Frage: Wie sah das Konzept der Rettungswege aus?
 

„Kommst du noch oder brauchst du eine extra Einladung?“ Ertönte es aus dem Nebenraum und der Firmenführer wurde sich dessen bewusst, dass er gedankenversunken in der Gegend herumstand. Mit schnellen Schritten folgte er endlich dem anderen und kommentierte diese Frage mit einer herablassenden Antwort. „Ich gehe immer davon aus, dass ich eingeladen bin. Die Verweigerung eines Einlasses meiner Person käme einem Affront gleich.“ Sein Blick wollte eigentlich den jungen Mann suchen, doch die kleine Küche nahm ihn gefangen. Es war ein Raum, den er hier unten nicht erwartet hätte. Es gab keine Fenster, dennoch wirkte die Küche warm und hell, die Lampen waren perfekt eingestellt. Am anderen Ende fand sich eine Küchenzeile mit einem Herd und einer Arbeitsfläche. Das Waschbecken war mit einem extra Tresen davorgesetzt, so dass der Blick beim Eintreten auf die Rückseite dieser kleinen Kochinsel fiel. Ein Tisch für vielleicht 10 Personen war länglich im rechten Winkel dazu aufgestellt. Auf diesen trat man direkt zu, wenn man in den Raum hineinkam. Links und Rechts waren Regale und Schränke aufgebraut, gefüllt mit Büchern, Spielen, aber auch mit Dosen für Tee, mit Keksen oder Aufbewahrungsboxen. Ein Kühlschrank fand sich hinten an der Wand, umgeben von weiteren gut gefüllten Regalen mit Lebensmitteln und Schränken, wohl voll mit Töpfen und Geschirr. Alles war sauber und ordentlich. Ein paar offene Flaschen fanden sich in der Mitte des Tisches und einige umgedrehte Gläser standen auf einer Serviette daneben.

„Ein Aff… was?“ Kam die Frage von Joey, der schon am Tisch stand und nach einem der Gläser griff. „Ein Affront! Eine Beleidigung. Es gliche einer Beleidigung, wenn man mich ausladen würde.“ Erklärte Seto mit einem Schmunzeln und schloss die Tür hinter sich. Bevor der andere noch etwas sagen konnte, lenkte er das Thema auf die Küche. „Ich hätte nicht erwartet, dass es hier eine Kochmöglichkeit gibt.“ Die blonden Augenbrauen wanderten in die Höhe und für einen Moment blieb Joey einfach stehen. Dann zuckte er mit den Schultern und zog den Stuhl ein Stück vor, um sich zu setzen. „Wir haben hier manchmal über 10 Stunden Schichten und auch wenn wir unser Essen mitbringen, will man manchmal auch einfach ein wenig frisch kochen. Das wird zwar selten gemacht, aber Kiko zum Beispiel kocht hin und wieder.“ Erklärte nun Joey und angelte sich eine Flasche mit Orangenlimonade. Er schraubte sie auf und schenkte sich ein. „Du darfst dich gerne setzen.“ Forderte er nun auf und mit einem Nicken folgte der Brünette.
 

Auch er schenkte sich ein Glas ein und sein Blick wanderte durch den Raum. Für eine Weile schwiegen die beiden, Setos Neugierde war noch immer nicht gestillt. Eine weitere Tür führte zu den Waschräumen und Toiletten. Innerlich ging er in Gedanken durch, wie die Wasserversorgung dieses Gebäudes strukturiert war. Natürlich befanden sich die Toiletten hinter der Küche, da benötigte es nur eine Abzweigung vom Wasserrohr.

Langsam kehrte die Erinnerung in sein Bewusstsein zurück, warum er hier hinunter wollte. Mit einem Räuspern sammelte er seine Gedanken und die eisblauen Augen fanden das Gesicht des sonnengebräunten Mannes wieder. „Ist dir bewusst, dass du immer bei schweren Themen gleich albern reagierst?“ Stellte er nun die Frage und bemerkte den direkt aufkommenden Rotschimmer auf den Wangen des anderen. Ein eigenes Räuspern folgte, bevor Joey seine Stimme fand. „Tja… ja?“ Begann er und seufzte dann. „Es ist einfacher zu scherzen und albern zu sein. Schwere Themen sind… schwer?“ Er zögerte, denn das war eine eher dumme Aussage, die ein leichtes Schmunzeln bei dem Firmenführer hervorrief. „Ich meine, du weißt, was ich meine… ähm… sagen will?“ Mit einem Mal wirkte der 21-Jährige zerknirscht und die Röte auf seinen Wangen wurde stärker.

„Trotz dieses leichten Gestotters ist der Inhalt doch verständlich. Schwere Themen beeinflussen uns, über sie zu sprechen bedeutet gleichzeitig auch, dem anderen etwas mitzuteilen, bei dem wir die Reaktion nicht einschätzen können. Unsicherheit und Angst sind stete Begleiter in solchen Situationen.“ Erklang die ruhige, tiefe Stimme des Brünetten.
 

„Wahre Worte, aber sie von dir zu hören, erstaunt mich etwas. Du weißt, was Angst ist?“ Fragte Joey direkt und dann zögerte Seto wirklich für einen Moment. „Erinnerst du dich noch daran, dass ich im Königreich der Duellanten springen wollte, wenn Muto nicht aufgibt?“ Kurz schwiegen beide, der Barkeeper zog die Stirn in Falten und nickte dann. „Verzweiflung bedeutet immer auch eine Form von Angst. Mokuba zu verlieren ist eine beängstigende Vorstellung. Wie Pegasus richtig erkannte, Mokuba ist meine Schwachstelle.“ Die honigbraunen Augen musterten den anderen eingehend, der so ruhig mit überschlagenen Beinen auf dem Stuhl saß, das Glas locker auf dem Oberschenkel abgestellt.

„Ok, … ja… ich… ähm… was sagt man zu so einer ähm… Offenbarung? Ich meine, ich hätte nicht gedacht, dass du das so offen sagst.“ Kam etwas überfordert von dem Blonden und er musste an den Mann denken, der auf dem Bett gesessen hatte und nicht wusste, wie er aus dem Strudel seiner eigenen Gedanken flüchten konnte. Auch Kaiba besaß eine andere Seite, eine nachdenkliche, sensible und verletzliche Seite. Bevor sie nach Dubai geflogen waren, hatte er sie kennenlernen dürfen.

„Du kannst auch einfach nur nicken und gar nichts dazu sagen. Oder du beantwortest mir die Frage, warum du oben direkt wissen wolltest, wie lange ich schon über deinen Vater Bescheid weiß und nicht, was ich genau meine.“ Noch immer hatte diese Stimme einen sanften Klang, ungewohnt einfühlsam, aber dennoch fordernd. Kurz schloss Joey die Augen, atmete tief durch und starrte dann hinüber zur Küche. Als er dort nichts fand, suchten die Augen das Glas in seinen Händen und er begann, dieses zu drehen und zu bewegen. Erst nach einer Weile kam leise. „Du hast immer mal wieder Andeutungen gemacht. Ich ahnte schon, dass du mehr weißt. Außerdem träume ich in letzter Zeit so einen dämlichen Mist. Bakura wirft mir immer wieder vor, dass ich nur ein Bauernopfer gewesen bin und irgendwie… ach, keine Ahnung, irgendwie habe ich es erwartet.“
 

Wieder herrschte eine Weile Schweigen und dann fragte Joey. „Was hast du dir damals davon erhofft, als du dich auf die Suche gemacht hast? Also, als du herausfinden wolltest, was ich verberge.“ Er hob den Blick, starrte verkrampft in die eisblauen Augen und wartete. Die Stimmung zwischen ihnen war angespannt und innerlich stellte sich der Blonde auf eine niederschmetternde Antwort ein. „Ich habe nach etwas gesucht, mit dem ich dich vorführen kann. Ich sah in dir immer einen Schwächling und einen Versager. Die Bezeichnung Bonkotsu war in meinen Augen damals eher eine Aufwertung deinerseits.“

Diese Antwort traf. Mit großen Augen und wild klopfendem Herzen starrte er den ehemaligen Klassenkameraden an. Es dauerte, bis in der Leere seines Verstandes wieder ein Gedanke greifbar wurde. Er schluckte laut und senkte den Blick auf das Glas in seinen Händen. Dass ihn diese Antwort verletzte, war dem Blonden klar am Gesicht abzulesen. Mit brüchiger Stimme flüsterte er. „Dann hast du ja gefunden, was du gesucht hast.“ Ein geschlagener Hund würde nicht elender aussehen und es schien ihn unendlich viel Kraft zu kosten, diese Worte auszusprechen.

„Nein, was ich fand, war ein Junge, der verzweifelt darum kämpfte, in einem vollständig zerrütteten Leben nicht unterzugehen. Natürlich erkannte ich die Schwäche in deinem Handeln, die Situation lediglich zu ertragen, statt einen Wandel anzustreben. Es war abzusehen, dass du in der Mittelmäßigkeit enden würdest und das lediglich mit viel Glück. Wahrscheinlicher wäre es jedoch gewesen, dass du schlussendlich in der Gosse gelandet wärst.“ Noch immer waren die Worte des Brünetten hart, während seine Stimme einen sanften Ton inne hatte. Ein lautes Schlucken deutete an, dass Joey ihm zugehört hatte. Sehr genau sogar, denn nach kurzer Zeit zeichnete sich die Verwirrung auf dem sonnengebräunten Gesicht ab und der Blonde hob den Blick. Er musste sich räuspern, denn noch immer schmerzte seine Seele und seine Stimme schien stumm. „In… in unserer Schulzeit hast du das nie gegen mich verwendet.“ Platzte es dann aus ihm heraus, ohne dass er weiter darüber nachgedacht hatte.
 

Ein Nicken folgte, die Ernsthaftigkeit blieb. „Du hast mir ausreichend andere Möglichkeiten geboten. Ich konnte darauf verzichten, dich mit einem Vater aufzuziehen, für den du nichts konntest. Außerdem sah ich Ähnlichkeiten, die mich zu dem Entschluss brachten, nicht mit deinen familiären Verhältnissen hausieren zu gehen.“ Der junge Mann fing den Blick der honigbraunen Augen ein und ließ ihn nicht gehen. Er konnte beobachten, wie die Verwirrung des anderen stieg und er zwangsweise zu einer Erkenntnis kommen musste. „Ähnlichkeiten?“ Fragte er schließlich und war nun ebenso neugierig wie verwirrt. „Was meinst du mit Ähnlichkeiten?“

Doch die Antwort blieb aus. Schweigend hob Seto die Arme und verschränkte sie vor der Burst, so elegant, dass er dabei das Glas nicht verschüttete. Anscheinend wollte er nicht darüber sprechen. Nachdenklich zog sich die Stirn des Blonden noch tiefer in Falten. Er schien in seinen Erinnerungen nach einer möglichen Verbindung zu suchen, welche unter die Bezeichnung „Ähnlichkeit“ fallen konnte. Die warmen braunen Augen blickten ihn nachdenklich an, als er zurückhaltend die Frage stellte. „Bestehen die Ähnlichkeiten immer noch?“ Die brünette Augenbraue hob sich und mit herablassender Stimme gab er kühl zurück. „Wir sind keine Kinder mehr.“ Es war klar zu erkennen, wie eine erste Idee entstand, welche nach und nach Form annahm. Zuerst noch zögerlich, dann aber immer selbstsicher. Am Ende war die unterdrückte Freude der Erleuchtung zu offensichtlich. „Sag nicht, dass du von Gozaburo sprichst?“ Stellte er die etwas unpassende Frage.

Die brünette Augenbraue schwang sich in die Höhe und pikiert kam von dem 22-Jährigen. „Du wirkst äußerst euphorisch dafür, dass du über einen Mann sprichst, dessen Existenz für niemanden von Vorteil war.“ Kaum hatte er dieses ausgesprochen, als die Röte in einem neuen Schwall über die Wangen des Blonden schwappte. „Noah könnte dir vielleicht widersprechen. Ohne diesen Kerl wäre er nicht auf der Welt.“ Kam leise verlegen von dem jungen Mann und er versuchte sich an einem zurückhaltenden Lächeln. „Seinen Sohn in eine digitale Welt zu sperren und ihn dann zu vergessen, weil man ihn anderweitig ersetzt hat, ist keine sonderlich gelungene Form des Ausdruckes von Zuneigung.“ Kommentierte Seto nun seinerseits.
 

Noch immer von der Peinlichkeit seiner eigenen Reaktion mitgenommen, war er nun deutlich vorsichtiger mit seinen Aussagen. „Stimmt, Noah hatte damals etwas erzählt. Er war doch so wütend auf dich, weil du seinen Platz eingenommen hast. Aber liege ich dann mit Gozaburo falsch?“ Das nun eintretende Schweigen kam von Seiten des Brünetten und kurz schlossen sich die eisblauen Augen. „Nein, du liegst mit deiner Überlegung nicht falsch. Ich dachte wirklich an diesen Mann.“ Kam nun zögerlich von dem Firmenführer, der sein Unwohlsein zu überspielen versuchte. Weiter darauf einzugehen, lag ihm jedoch auch fern.

So nahm Joey erneut das Gespräch auf und stellte die nächste Frage. „Wenn du deinen Stiefvater mit meinem Vater vergleichst und Ähnlichkeiten findest, würde ich den Alkohol ausschließen. Übrig blieben dann nur die Aktionen, die bei mir zu blauen Flecken geführt haben.“ Dieses Mal fixierten die braunen Augen das eher helle Gesicht und die Anspannung wurde sichtbarer. Schweigend schienen sie miteinander zu ringen, zu kämpfen, der eine forderte, der andere versuchte Ausflüchte zu finden. Wortlos ergaben sie sich minutenlang in dieses Zwiegespräch, bis der Brünette schließlich antwortete. „Ich habe alles in meiner Macht Stehende getan, um ihn loszuwerden. Du hingegen hast die Situation nur ausgesessen.“ Ohne zu zögern, kam der Konter. „Nein, ich habe es nicht einfach ausgesessen. Aber ich habe mir Gedanken über die Konsequenzen gemacht. Wo wäre ich gelandet? Was wäre mit meiner Mutter und meiner Schwester geschehen? Hätte ich ebenfalls umziehen müssen und dadurch meine Freunde verloren? Und am Wichtigsten, hätte meine Mutter mich überhaupt gewollt?“

Diese Worte ließen eine gewisse Regung in das helle Gesicht treten und Seto wirkte erstaunt. „Dir ist es also auch aufgefallen?“ Fragte er zögerlich und Joey nickte. „Natürlich! Ich sehe meinem Vater mittlerweile zum Verwechseln ähnlich. Zumindest wenn ich die alten Bilder zum Vergleich nehme. Er ist groß gewesen, schlank und trainiert, blond und diese Haare, sie sehen aus, als hätte ich sie von ihm geerbt.“ Brummte er missmutig und wirkte unglücklich. „Wenn ich damals etwas gesagt hätte, wäre ich erst in ein Heim gekommen und dann hätten sie meine Mutter gefragt, ob sie mich nimmt. Das wollte ich nicht. Ich sehe aus wie er. Ich erinnere zwar mich nicht mehr so gut, als Kind schien alles immer irgendwie wunderbar und toll gewesen zu sein. Aber wenn er sie damals schon geschlagen hat, holt sie sich sicher keinen halbstarken Jungen ins Haus, der genauso aussieht wie ihr Peiniger. Außerdem versprach mein Ruf genau das, was sie bei ihm schon gefunden hatte. Einen impulsiven, gewalttätigen Kerl mit Hang zu unüberlegten Aktionen.“
 

Es blieb eine Weile still, bis der Firmenführer das Glas auf den Tisch stellte. „Wann ist es dir klar geworden? Sicher nicht zu dem Zeitpunkt, als deine Mutter euch verließ.“ Schnell leerte Joey sein Glas, in der Hoffnung, dass es seiner Stimme helfen würde. „Nein, nicht zu Anfang. Ich habe auch nicht verstanden, warum sie ging. Mein Vater war sauer auf sie und hat oft über sie geschimpft, was für eine schlechte Frau sie wäre. Dass sie ihn im Stich gelassen hätte und es wahrscheinlich mit allen Nachbarn getrieben hätte. Letzteres habe ich damals noch nicht verstanden. Aber ich verstand, dass es ihm schlecht ging. Ich wollte ihm helfen. Wie alt war ich, sieben vielleicht?“ Er griff nach der Flasche, um diese zu öffnen. „Als er das erste Mal zuschlug, war es ein Versehen. Das behauptete er zumindest. Er entschuldigte sich, versprach, dass es nicht wieder vorkommen würde. Beim zweiten Mal das gleiche. Erst beim dritten Mal meinte er, dass es meine Schuld wäre. Ich hätte ihn dazu getrieben. Er entschuldigte sich auch dieses Mal wieder. Immer und immer wieder. Mit elf war ich so weit, dass ich meine Mutter hasste, weil sie eine „böse Frau“ war, die meinen Vater in die Verzweiflung gestürzt hatte und mich bei ihm zurück ließ.“ Er schenkte das Glas beinahe bis zum Rand voll. „Na ja, mit 14 dämmerte mir, dass es nicht die Schuld meiner Mutter war, und es kam die Hoffnung auf, dass sie mich retten konnte. Als ich versuchte, ihr das klarzumachen, zog sie mit Serenitiy nach Amerika. Wahrscheinlich traf das nur zufällig aufeinander, aber mich ließ sie hier. Ein zweites Mal in meinem Leben hat sie mich im Stich gelassen. Ich sah meine Schwester kaum noch und als die Geschichte mit ihren Augen dazu kam, war ich familiär ganz am Ende. Ich wusste, dass ich weder auf meine Mutter noch auf meinen Vater hoffen konnte. Das Preisgeld war alles, was ich ihr bieten konnte.“

Diese Aussage schien sogar den bekannten Eisberg ein wenig zu erweichen, denn die Gesichtszüge zeigten einen Ausdruck des Bedauerns. Joey zuckte nur mit den Schultern. „Ich habe darüber nachgedacht, was ich machen kann und nichts davon schien vernünftig. Ich wollte es einfach aussitzen und nach der Schule so schnell wie möglich verschwinden. Nach dem Schulabschluss durfte ich Geld verdienen und damit war ich nicht mehr von ihm anhängig. Die Prügel zwischendurch habe ich so stur wie möglich ertragen.“ Gab er beinahe gelassen von sich. Dieser Teil schien ihn weniger zu schmerzen als der vermeintliche Verrat seiner Mutter. „Mir war es wichtig, dass es meiner Schwester gut ging. Das tat es. Aber nach dem Tod meiner Mutter konnte ich nicht weinen, nicht um sie trauern. Obwohl ich mir sicher bin, dass sie nur vor meinem Vater geflohen ist, bleibt sie für mich die Verräterin. Mir ist klar, dass das vermutlich größtenteils die Meinung meines Vaters ist, nicht meine, aber ich habe sie übernommen. Wenn du es jahrelang hörst, dann glaubst du es irgendwann. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass sie mich zweimal zurück gelassen hat. Da fiel es mir schwer, sie als meine Mutter zu sehen. Wie war das bei dir? Was hat er dir angetan?“
 

Die Offensichtlichkeit, mit der sich das Unwohlsein ausbreitete, war erstaunlich. Kaiba verbarg Gefühle sonst sehr gut hinter seiner eisigen Maske. Diese schien er heute Abend nicht in der kleinen Küche unter der Diskothek zu tragen. „Ich wollte Gozaburo gegenüber immer zeigen, dass ich mehr wert bin. Er sah in uns nur ein Ärgernis, welches er nicht beseitigen konnte. Meine Bemühungen konzentrierten sich dementsprechend darauf, all seine Wünsche bis zur Perfektion zu erfüllen. Im ersten Moment schien dies zu gelingen. Er begann, mich mit anderen Augen zu sehen, und forderte immer mehr von mir. Wahrscheinlich war das der Moment, in dem er mich als Ersatz für seinen eigenen Sohn erachtete. Doch das war nur ein kurzweiliger Erfolg. Die Aufgaben wurden immer komplizierter und seine Forderungen steigerten sich ins Unermessliche. Irgendwann kam der Punkt, an dem ich verweigerte. Überfordert und wütend sagte ich nein. Zuerst drohte er mir nur damit, mich und Mokuba auf die Straße zu werfen. Damit kam ich zurecht. Als seine Worte keine Wirkung zeigten, wurde er handgreiflich. Ich war ein Kind, was sollte ich tun?“

Angespannt und aufmerksam hörte Joey zu. Diese Geschichte kannte er nicht. Zwar hatte Mokuba erzählt, dass ihr Stiefvater grausam gegenüber Kaiba gewesen war, Details hatte er aber nicht erwähnt. „War das auch der Grund, warum du dich für Judo entschieden hast?“ Ein Nicken folgte. „Es hat zwar nichts geholfen, aber ja, darum habe ich Judo gewählt. Als ihm bewusst wurde, dass er mit Gewalt nicht erreichen konnte, dass ich fügsamer wurde, fand er ein anderes Druckmittel. Er spielte meinen Bruder gegen mich aus. Erst waren es nur Drohungen gegen ihn, Aussagen, dass ihm etwas passieren würde. Als Junge hatte ich Angst davor, es ging um meinen Bruder. Natürlich hatte ich Sorge, dass er seinen Worten Taten folgen lassen könnte. Doch Gozaburo und mir war auch klar, dass er sein Druckmittel verlieren würde, wenn Mokuba zu Tode käme.“ Plötzlich brach Seto ab und griff nach seinem noch leicht gefüllten Glas. Er trank es in einem Zug aus, ähnlich, wie es der Blonde eben gemacht hatte. Um weitere Zeit zu gewinnen, wanderte sein Blick zu den Flaschen, um sich eine andere Sorte auszusuchen. Als endlich das gläserne Gefäß gefüllt war, hob er dieses vom Tisch auf, nahm aber keinen weiteren Schluck.
 

„Und dann?“ Fragte Joey vorsichtig nach und musterte das angespannte Gesicht. Mit einem lautlosen Einatmen versuchte der Brünette einen neuen Ansatz. „Als diese Drohungen nicht so gut wirkten, wie sich mein Stiefvater das vorgestellt hatte, nutzte er eine eher psychologische Kriegsführung. Ich muss um die neun oder zehn Jahre alt gewesen sein, als er damit begann. Er stellte mich vor die Wahl und meinte, dass es nur eine Portion Essen gäbe und ich müsste entscheiden, wer sie bekäme: Mokuba oder ich.“

Für einen Moment herrschte Schweigen, Joey blickte ihn mit großen Augen an und gab schließlich leise von sich. „Ok, das ist keine Wahl.“ Kurz war die klare Zustimmung auf dem Gesicht des 22-Jährigen zu sehen gewesen und er nickte. „Natürlich hat Mokuba immer das Essen bekommen und ich habe ihm erzählt, dass ich nicht hungrig wäre oder schon gegessen hätte. Wie oft ich meinen eigenen Bruder angelogen habe, kann ich dir nicht sagen. Ob er davon etwas mitbekommen hat, weiß ich auch nicht. Bisher glaube ich zumindest, ihm diesen Teil verheimlicht zu haben.“ Der Blonde schluckte laut und blickte in sein Glas. „Scheiß Ähnlichkeiten.“ Brummte er und nach einer Weile fragte er nach. „Ist das der Grund, warum du solche Schwierigkeiten mit dem Essen hast?“ Dieser Gedanke schien ihm einleuchtend, eine wirkliche Antwort erwartete er jedoch nicht. Überrascht wurde er von der Reaktion des Brünetten. „Essen ist für mich ein notwendiges Übel. Ich esse nicht, weil ich es will oder es mir gut schmeckt. Ich esse, weil mein Körper es braucht. Natürlich bevorzuge ich gutes Essen. Wenn es schon sein muss, dann soll es wenigstens schmecken, aber ich würde auch darauf verzichten. Es gibt manchmal Tage, an denen registriere ich erst am Abend, dass mein Körper mit Schwindel auf die fehlende Nahrung reagiert und ich außer Tee und Kaffee nichts zu mir genommen habe. Ein Grund, warum ich die arabische Fastenzeit so sehr schätze. Die Muslime essen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nichts. Dem Kaffee trauere ich etwas hinterher, allerdings überwiegt der Vorteil, sich mehrere Stunden nicht um ein Essen zu kümmern.“
 

Mit großen Augen starrte der Blondschopf ihn an und der Mund stand ihm offen. Er schien etwas sagen zu wollen, doch dazu kam er nicht. Der Schock über diese Erkenntnis, schien ihn bis ins Mark zu erschüttern. Skeptisch hoben sich die brünetten Brauen und Seto kommentierte in einem leicht pikierten Ton. „Es kommt mir beinahe so vor, als wärest du über die Tatsache geschockter, dass ich nicht gerne esse, als über die Handgreiflichkeiten Gozaburos.“ Kurz musste sich der Blonde fangen und nickte dann. „Ähm, ja, das stimmt sogar. Ich meine, das mit den, wie nennst du es? Handgreiflichkeiten? Das kenne ich ja selbst. Die Vorstellung, dass es dir passiert ist, ist schon irritierend und dass du es mir erzählst, ist noch unglaubwürdiger, aber dass du Essen nicht genießen kannst? Ich meine, was bleibt uns denn noch außer dem Genuss?“

Ein wenig empört korrigierte Seto diese Aussage. „Ich genieße sehr wohl gutes Essen. Ich sehe den Geschmack sogar als essentiell an, nur schätze ich es nicht wert. Das ist ein großer Unterschied. Um deiner leichten Vergesslichkeit auf die Sprünge zu helfen, liegt mein Interesse beim Genuss eher auf Kaffee, Tee und hochpreisigen Spirituosen. Einen guten Whisky werde ich nicht nur genießen, sondern auch wertschätzen.“ Nun zogen sich die Augenbrauen des Blonden in die Höhe. „Ok, da gehe ich nicht mit. Falls ich es noch einmal extra erwähnen muss, meine Vater wurde immer dann gewalttätig, wenn er getrunken hatte. Daher kein Alkohol für mich! Und ja, ich weiß, dass ich in einer Bar arbeite, in der Leute gerne zu viel trinken! Ein weiterer Grund, warum ich Alkohol hasse.“ Beschwerte sich nun Joey und fing sich einen skeptischen Blick ein. Beiden war klar, dass ihr ernstes Gespräch wieder in diese absurd amüsante Richtung abrutschte, die maßgeblich von dem 21-Jährigen initiiert wurde.

„Dann solltest du meine Position über die Wertigkeit von Nahrung nachvollziehen können.“ Gab Seto nun trocken von sich, wobei ein leichtes Ziehen der Mundwinkel ein Schmunzeln andeutete. „Hast du je darüber nachgedacht, einen Kochkurs zu machen? Ich meine, um dem Essen mehr, was hast du gesagt, Wertigkeit zu geben?“ Die steigende Skepsis wurde mit einer Gegenfrage ausgedrückt. „Hast du je überlegt, regelmäßig guten Alkohol zu trinken, um die Wertigkeit zu steigern?“ Nun verschränkte Joey die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. „Auf keinen Fall! Wie käme ich denn auf die Idee!“ Mit einem nun herablassenden Lächeln erwiderte der Brünette. „Das gebe ich gerne zurück. Einen Kochkurs? Auf keinen Fall! Wie käme ich denn auf die Idee!“
 

Nun blies der Blonde die Wangen auf. „Weil ich es dir vorgeschlagen habe!“ Die Retourkutsche kam sofort. „Dementsprechend müsstest du dich heute Abend auf einige Drinks einlassen. Immerhin habe ich es dir vorgeschlagen!“ Die braunen Augen sahen ihn groß an, der Mund stand einen Moment offen und er suchte nach einer guten Möglichkeit, da wieder rauszukommen. Joey klappte schließlich den Unterkiefer wieder zurück und schwieg mit einem Ausdruck der absoluten Unzufriedenheit.

„Ich verzichte auf meinen Kochkurs, wenn du auf die Drinks verzichtest?“ Kam der Vorschlag von Seto und er schmunzelte leicht. „Okay, meinetwegen! Aber ich finde, dass man das nicht miteinander vergleichen kann!“ Protestierte der 21-Jährige und war sichtbar unglücklich darüber, dass er keinen anderen Ausweg fand. „Nein? Wir beide haben dank unserer „Väter“ traumatische Erlebnisse mit Alkohol oder Essen zu verarbeiten, die uns für den Rest unseres Lebens prägen. Ich denke, das ist vergleichbar.“ Nun verengten sich die Augen des Blonden und Joey setzte dagegen. „Nur dass ich ohne Alkohol leben kann, du aber nicht ohne Essen!“

Das Schmunzeln wurde eine Spur überheblicher. „Kann ich diese Aussage so deuten, dass du uns beide alternativ eine Therapie empfehlen möchtest?“ Jetzt stutzte der Barkeeper und war verwirrt. „Dir ja, aber warum mir?“ Die darauffolgende Antwort hatte wie immer den Zwiespalt in präziser Weise konzentriert zusammengefasst. „Als strikter Antialkoholiker mit traumatischen Erlebnissen eines gewalttätigen Vaters arbeitest du in einer Bar im Ausschank. Ist das eine Form des Masochismus oder willst du diese Erinnerungen in einer destruktiven Endlosschleife martialisch wiederholen?“
 

Dass seine Worte nicht ganz verstanden wurden, war dem Gesicht des Jüngeren deutlich anzusehen. Dann jedoch kam die ebenso gekonnte Gegenfrage. „Erstens, sind wir schon an dem Punkt angekommen, an dem wir Witze über das machen, was uns passiert ist? Und zweitens, ich habe keine Ahnung, was du mich da fragen willst.“ Kurz musste Seto überlegen und erkundigte sich seinerseits. „Entspricht es nicht deinem üblichen Muster, ernste Themen mit einem Übermaß an Verharmlosung und Witz zu überspielen?“

Mit einem Kopfschütteln nahm Joey einen großen Schluck aus seinem Glas und meinte dann. „Ja, ich mache das. Aber vielleicht hast du Recht, es kann nicht schaden, wenn wir an einem Abend wie diesem einfach die lustige Seite betrachten. Oder uns eher darüber lustig machen. Ändern können wir eh nichts daran.“ Er setzte das Glas ab und als er erneut in das Gesicht des anderen blickte, wirkte dieser nachdenklich. „Dein Vater lebt noch. Du könntest…“ Doch er brach den Satz ab und fragte stattdessen. „Hast du noch Kontakt zu ihm?“ Der Blonde schüttelte direkt den Kopf. „Nein, habe ich nicht. Seit ich damals ausgezogen bin, habe ich ihn nicht mehr gesehen. Er war damals echt fertig und wütend, als ich ihm das gesagt habe. Er schrie mich an, dass ich wie meine Mutter wäre, ihn im Stich ließe und wertlos bin. Er war so sauer und so betrunken. Ich hatte erwartet, dass er nicht glücklich sein würde, aber so einen Ausbruch hatte ich bis dahin noch nie erlebt. Er tobte und schrie, warf den Tisch um und brüllte, dass ich nie wieder kommen sollte.“ Für einen Moment schwiegen beide, bis Joey einen weiteren Schluck nahm und weiter sprach. „Seltsamerweise hatte ich den Eindruck, dass er wirklich verletzt war. Er wollte mich nicht auch noch verlieren, aber er konnte es nicht anders ausdrücken. Als wäre unter all dem Alkohol doch das Gefühl väterlicher Liebe.“ Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, aber es macht die Sache leichter.“ Sein Blick fiel provozierend auf die andere Tischseite. „Na komm, erzähl mir schon, wie dumm ich bin.“
 

Ein Kopfschütteln war Setos erste Reaktion. „Ich denke nicht, dass diese Hoffnung dumm ist. Naiv auf jeden Fall. Er war ein manipulativer Trinker, der dich in eine Abhängigkeit zwang. Das zeigt sich klar an seinen Anschuldigungen, dennoch war er auch Vater. Unter all dem Alkohol gab es möglicherweise einen guten Ehemann und einen liebevollen Vater. Dir zu wünschen, dass dieser Teil bis heute die Exzesse überlebt hat, ist wohl eine menschliche Schwäche.“ Nun nahm er einen Schluck, um die Situation zu überspielen. Die plötzlich auftretenden Tränen in den wässrigen Augen des anderen waren etwas, mit dem Seto gerade nicht umgehen konnte. „Ich selbst gab mich zu Beginn dieser Hoffnung hin. Glaubte, dass Gozaburo etwas Vergleichbares zu väterlichen Stolz empfinden könnte. Dass ich mich irrte, muss ich nicht extra erwähnen, oder?“ Stellte er die rhetorische Frage und erhielt ein Kopfschütteln. „Danke!“ Kam unerwartet von Joey, der mit einem kräftigen Blinzeln die Tränen wieder aus seinen Augen verbannte. „Ich habe bisher noch nie jemandem davon erzählt und es tut gut, endlich einmal all das auszusprechen. Außerdem freut es mich, dass du mir gegenüber so ehrlich bist. Dass hatte ich echt nicht erwartet.“ Ein schiefes Grinsen zeichnete sich auf den vollen Lippen ab und die honigbraunen Augen begannen wieder zu leuchten.

„Ich ebenfalls nicht.“ Brummte der Brünette weniger euphorisch. „Bisher bin ich noch keinem Menschen gegenüber so offen gewesen und ich weiß nicht, wie ich das finden soll.“ Kommentierte er seine eigene Stimmung und erhielt die direkte Frage. „Auch Kamil gegenüber nicht?“ Nun zogen sich die Augenbrauen zu einem vorwurfsvollen Blick zusammen. „Er ist wie mein Bruder. Natürlich weiß er davon. So wie ich von seinem Vater weiß. Kamil zählt nicht.“ Bestimmte Seto nun strikt und mit einem Grinsen erhob sich der Blonde. „Schon gut, schon gut! Kamil zählt nicht. Ich bin dennoch froh, dass du so ehrlich warst.“ Er ging um den Tisch herum an das Regal und nahm ein paar Dosen aus dem obersten Fach. Dann ging er um den Tresen herum, stellte sie ab und holte drei Schüsseln heraus. Das verräterische Geräusch der Nüsse erkannte der Brünette sofort und kurze Zeit später standen sie vor ihm. „So, ich brauche jetzt etwas zu essen. Bitte, greif ruhig zu.“ Mit diesen Worten schob er die Schale mit den Nüssen und die mit den Reischrackern näher. „Ich sagte doch: Ich mag dich… manchmal!“

Die Regeln dieses Abends

Kapitel 49

Die Regeln dieses Abends
 

Mit aller Kraft versuchte er die Fassung zu bewahren und die kalte Maske aufrecht zu erhalten, die ihm bei diesen Worten gänzlich verloren gehen wollte. Die eisblauen Augen starrten den Blonden auf der anderen Tischseite an, doch zu einer weiteren Reaktion war er nicht fähig. Joey bemerkte diese beinahe apathische Starre, mit welcher der Brünette auf seine Aussage reagierte und ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Ach komm, ich meine das erst. Manchmal mag ich dich. Wenn du kein Idiot bist und mich grundlos beleidigst, dann kannst du echt nett sein.“ Erweiterte er die Behauptung, die er gerade in den Raum gestellt hatte.

Erst mit einem Räuspern gelang es Seto, die unerwartet auferlegte Starre zu durchbrechen. Ein Blinzeln folgte und er gab in einem etwas brüchigem Ton von sich. „Nach all dem, was ich dir eben offenbart habe, erscheint mir diese Reaktion unpassend.“ Sein Blick wanderte zu den Schüsseln, die nun zwischen ihnen standen und er griff nach einem der Reiskekse, um sie zum Zeitschienden in den Mund zu stecken. Der Blonde hingegen beugte sich vor, angelte sich eine Nuss und hing nun halb über den Tisch. „Warum? Ich meine, du warst ehrlich, nett, hast mir Dinge erzählt, die sonst keiner weiß und du hast dich nicht über mich lustig gemacht, als ich dir die Sachen erzählt habe, die sonst keiner von mir weiß.“ Er zuckte mit den Schultern. „Wie hätte ich denn deiner Meinung nach reagieren sollen?“ Kam die nächste Frage in die Richtung des Brünetten.
 

Dieser stutzte kurz und griff beinahe reflexartig nach einem weiteren Kräcker, an welchem er zu knabbern begann. Es ging ihm nicht ums Essen, dass war beiden bewusst. Erst nach einer Weile kam die Antwort, während die Stimme einen kalten Ton innehielt. „Schwächen zu offenbaren, bietet immer die Möglichkeit eines Angriffs. Ich kenne ausreichend Menschen, die diese Informationen gegen mich verwenden würden und ihre Reaktion wäre nicht verständnisvoll und einfühlsam. Anschuldigungen über mein Versagen wären das übliche Vorgehen in einer solchen Situation.“

Nun starrten die braunen Augen mit einem entsetzten Ausdruck über den Tisch und der Mund stand Joey ein wenig offen. „Bitte was?“ Kam von ihm und er kniff die Augen zusammen, schüttelte den Kopf und starrte dann fragend mit zusammengezogenen Augenbrauen auf den Firmenführer. „Du hast dich gegen einen Mann durchgesetzt, der dich misshandelt und erpresst hat. Du hast Mokuba beschützt und bist jetzt ein weltbekannter Mann. Du leitest eine gewaltige Firma, bist stinkreich und wohnst in einer Villa. Ich meine, wo hast du denn versagt?“ Empörung schwang in diesen Worten mit und offensichtlich verstand der 21-Jährige die Problematik nicht.

„Offenbar funktionieren deine Ohren nur teilweise. Hast du mir eben nicht zugehört? Ich habe zugelassen, dass er Mokuba bedrohen konnte, ihn als Druckmittel gegen mich verwendet hat! Das nenne ich ein Versagen!“ Die nun aufkommende Wut entstand eher durch einen Schmerz, der bis in die blauen Augen vordrang. Joey schwieg und musterte für einen Moment den Mann ihm gegenüber, der so irritierend reagierte. „Das denkst du wirklich, oder?“ Fragte er noch einmal nach, doch eine Antwort erhielt er nicht. Dafür trat eine Härte auf das Gesicht des anderen, die ihm diese Frage bestätigte.
 

„Hör zu, ich denke nicht, dass du versagt hast. Ich denke, dass du einen großen Sieg gegen ihn gewonnen hast. Natürlich hast du nach seinen Regeln gespielt, aber am Ende hatte Mokuba eine glückliche Kindheit und du hast deinen Stiefvater besiegt. Dir gehört seine Villa, seine Firma und du hast alles umgebaut, oder? Du meintest doch, dass es vorher ein Waffenproduzent war. Wie kannst du das alles als Versagen ansehen, wenn du derjenige bist, der am Ende alles bekommen hat?“ Doch auch auf diese Frage gab es keine Antwort und der Brünette verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ok, ich sehe schon, du willst nicht darüber reden. Ich kann dir nur sagen, was ich denke und ich bin der Meinung, dass du nicht versagt hast. Ich bin auch der Meinung, dass es nicht richtig ist, auf so eine Ehrlichkeit hin jemanden fertig zu machen. Ich weiß auch nicht, was für Erfahrungen du gemacht hast, aber ich bin der Meinung, dass es nicht in Ordnung ist.“ Gab Joey in einer beinahe protestierenden Art von sich. Er blies die Wangen auf und griff nach einigen Nüssen. „Du bist ein Idiot, wenn du glaubst, dass ich so etwas tun würde!“ Gab er grob von sich und stopfte die Erdnüsse in seinen Mund.

Das entstehende Schweigen zwischen ihnen hielt lange an. Seto saß dort, die Arme vor der Brust verschränkt und der innere Kampf war deutlich auf seinem Gesicht zu sehen. Es schien ihm an diesem Abend immer wieder schwer zu fallen, seine Maske dem Blonden gegenüber aufrecht zu erhalten. Diese gesamte Situation war für ihn aberwitzig, unrealistisch und er konnte nicht fassen, dass er hier unten mit diesem Chaoten saß, plauderte und Dinge aussprach, die er sich selbst kaum eingestehen wollte.
 

Wie lange sie dort saßen, konnte er nicht sagen. Es war still und Joseph erweckte nicht den Eindruck, als wollte er daran in absehbarer Zeit etwas ändern. Seto räusperte sich und griff nach der Schüssel mit den Reischips, von denen er einige angelte. „Erwartest du eine Bestätigung für diese plumpe Aussage?“ Fragte er etwas kühl und ließ einen der Chips in seinem Mund verschwinden. Plötzlich blickten ihn die honigbraunen Augen an und der 21-Jährige grinste breit. „Dass du mir zustimmst, dass du ein Idiot bist? Das würde ich zu gerne hören, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich so etwas jemals erleben werde!“ Neckte er zurück und erntete wenigstens ein leichtes Schmunzeln. „Zumindest ein Ansatz von Vernunft.“ Kommentierte Seto nun trocken, bevor er beobachtete, wie die Schüssel aus seiner Reichweite verschwand. Der Blonde sondieren den Inhalt der Schüssel genau und packte sich dann gezielt einen Chip heraus, denn er als gut genug empfand. „Aber die Dreistigkeit ist geblieben. Willst du ausgerechnet mir das Essen wegnehmen?“

Dieser Konter war gut und kurz stockte Joey. Er schien zu überlegen und direkt wanderte die Schüssel mit den Reischips wieder näher zurück. „Ich habe noch welche! So ist das nicht, sogar eine halbe Tüte hätte ich noch.“ Ging der Blonde hoffungsvoll in den Rückzug.

„Nein danke, ich bin mit dem, was ich habe, deutlich zufrieden.“ Kurz hielt er inne und warf einen skeptischen Blick auf den Reischip in seiner Hand. „Immerhin stelle ich mir noch die Frage, welche geschmackliche Entgleisung dieses hier darstellt. Es kommt selten vor, dass ich derlei Zweifel beim Essen hege, jedoch fällt es mir schwer, eine genaue Richtung anzugeben.“ Dies Aussage war zwar ernst gemeint, hatte allerdings ein klares Ziel. Die Stimmung zwischen ihnen war noch immer angespannt und er wusste nicht, wie er sie wieder beruhigen konnte. Sie waren zu ehrlich gewesen, zu offen und nun hatte sich eine gewisse Verletzlichkeit eingeschlichen, die er niemals zugeben würde. Die Intention seiner Aussage trat ein, denn Joseph griff nach einem der übrigen Chips und meinte belustigt. „Ich glaube, sie schmecken nach gar nichts, da sind nur Sachen drin, die einen danach süchtig machen lassen. Man kann nicht aufhören, sie zu essen, obwohl sie nach nichts schmecken.“
 

Freudig, wenn nach außen hin immer noch abgeklärt, kommentierte Seto diese Feststellung. „Unter solchen Umständen sollten wir sie augenblicklich entsorgen!“ Die kühle Stimme ließ lediglich erahnen, dass er dies nicht so streng sah, wie er es ausdrückte. „Oh nein, aber ich weiß nicht, ob ich ohne sie leben kann!“ Kam nun in einem gespielt leidvollem Ton von Joey, der sein breites Grinsen trotz aller Mühe nicht unterdrücken konnte. Selbstverständlich würde der Brünette niemals eingestehen, dass ihm diese gespielte Dramatik über die Qualität der Reischips als gelegene Ablenkung kam. Sie lockerte diese Situation auf und ließ ihnen beiden die Möglichkeit, über dieses Spiel die eben noch schweren Themen zu verdrängen. „Du wirst stark sein müssen, Joseph, aber diese Reischips sind nicht gut für dich. Wir müssen sie vernichten, es bleibt uns keine andere Wahl.“ Jetzt erhielt auch Setos Stimme einen kleinen Ansatz von Belustigung, dennoch sprach er die Worte so ernst wie möglich aus.

„NEIN!“ Protestierte der Blonde nun und zog die Schale an sich. „Du darfst sie mir nicht wegnehmen!“ Alberte er herum und mit dieser Aktion schien auch endlich ein Schmunzeln auf den Lippen des Brünetten zu erscheinen. Die elegante Augenbraue hob sich skeptisch, doch die Mundwinkel zeigten einen klaren Ausdruck an Freude. „Anscheinend bin ich zu spät. Deine Abhängigkeit diesem widerwärtigen Naschkram gegenüber ist schon zu groß geworden.“ Mit diesen Worten beugte er sich spielerisch vor und tat so, als wolle er die Schüssel von Joey an sich bringen. Die schlanken Finger streckten sich gezielt langsam aus und die spaßhafte Panik in den honigbraunen Augen wurde überdeutlich. Beinahe lachend sprang der Blonde nun auf und bemerkte erst zu spät, dass er den Stuhl damit gefährlich ins Wanken brachte. „Nein, ich…“ Begann er laut, als er seinen Fehler im Augenwinkel bemerkte. Er brach ab und versuchte sich auf dem Absatz in eine Drehung zu bewegen, um mit einer Hand noch nach dem hintenüberfallenden Stuhl zu greifen.
 

Das sich nun um Raum ausbreitende Lachen hatte einen warmen, herrlichen Klang. Während die Reischips durch die heftige Drehung und die ruckartige Bewegung der Schüssel in die Luft geschleudert wurden, verfehlten die Fingerspitzen knapp die Stuhllehne und mit einem lauten Scheppern konnte Joey das Schicksal des Stuhles nicht mehr verhindern. Er schlug hart auf dem Boden auf und im nächsten Moment war nur noch ein Fluchen zu hören. Mit einer beinahe kindlichen Freude wartete der Firmenführer, bis sein Gegenüber von der Erkenntnis heimgesucht wurde, was er alles in Bewegung gesetzt hatte. Noch immer fluchend beugte sich der 21-Jährige vor und griff nach dem umgefallenen Möbelstück und dieses wieder in seine eigentliche Position zu bringen. Kaum stand dieser wieder an seinem vorgesehenen Platz, als der blick zurück über den tisch wanderte. Das Ziel war zwar der Brünette auf deren anderen Seite, doch so weit kam er nicht. Die hoingbraunen Augen wurden groß und rund, als der blonde junge Mann das Chaos an heruntergefallenen Chips auf dem Tisch entdeckte. „Oh nein, was ist das denn?“ Kam die frustrierte Frage und er begutachtete das Desaster, welches er angerichtet hatte.

In einem süffisanten Ton bekam er die Antwort, die ihn einen Schmollmund ziehen ließ. „Dein impulsives, wie immer nicht durchdachtes Handeln hat gegen die Gesetzte der Physik ein weiteres Mal vollständig versagt.“ Die eisblauen Augen funkelten belustigt und er schien sich über den Schmollmund nur zu amüsieren. „Toll, und was machen wir jetzt?“ Kam die Frage in einem frustrierten, beinahe patzigen Ton und nun deutlich vorsichtiger wurden die Schüssel wieder abgestellt.

Die nächste Handlung ließ ihn blinzeln, denn damit hatte er nicht gerechnet. Der Firmenführer erhob sich auf elegante Weise, beugte sich über den Tisch und mit einer einzigen Handbewegung schob er alle Chips auf der Platte zusammen, um diese dann über die Tischkannte in die hohle, linke Hand fallen zu lassen. „Das einzig wahre: Sie entsorgen! Wo ist der Mülleimer?“ Seine Stimme hatte einen ruhigen Klang, während der Blonde noch immer überfordert zu ihm hinüberblickte. „Du willst sie jetzt einfach wegwerfen?“ Kam noch einmal die Frage, doch die Ernsthaftigkeit in den dunklen Augen war so deutlich, dass seine Worte überflüssig erschienen. Dieser Eindruck kam anscheinend auch dem Brünetten, denn kurz schwang sich die elegante Augenbraue in die Höhe, um dann mit einem Ausdruck der Gleichgültigkeit auf dem Absatz kehrt zu machen und den Blick durch den Raum schweifen zu lassen. Weit konnte er Mülleimer nicht sein und so schritt er geschmeidig am Tisch entlang zum hinteren Teil der Küche, in welcher er fündig wurde. Unter dem kleinen Tresen am Ende des langen Tisches war ein schwarzer, sehr sauberer Eimer mit einem Schwingdeckel zu finden, in welchen er die Chips entsorgte.
 

Völlig perplex stand der 21-Jährige in seinem Pausenraum und konnte nicht fassen, dass er so eben um diese kleinen, geschmacklosen Reischips betrogen worden war. Er konnte nicht verstehen, wie dieser Mann mit so einer trockenen Art einfach Lebensmittel wegwarf, die ihm nicht einmal gehörten. Das ihm dieser Gedanke nicht gekommen war, wurde an den leicht überraschten Zügen klar, welche sich nun auf dem hellen Gesicht ausbreitete. Die klaren Augen fanden den entsetzen Blick der honigbraunen und schweigend kam der Übeltäter wieder zurück. Erst nach einer Weile, in der sich die beiden Männer angestarrt hatten, brach er das Schweigen wieder. „Was irritiert dich genau an dieser Situation?“ Kam die kühle Nachfrage, wobei ein gewisses Zögern in den Worten zu hören war. Die sonst so erhabene Überlegenheit schien für einen kleinen Moment unterbrochen zu sein, als ihm klar wurde, wie seltsam der andere darauf reagierte.

„Ich dachte, dass du nur einen Scherz machst!“ Begann Joey nun ehrlich, doch ein erstes Schmunzeln hob die Mundwinkel in die Höhe. „Das du sie wirklich wegwerfen würdest, hätte ich nicht erwartet.“ Kam nun die genauere Erklärung, doch der Firmenführer sah nun erstaunter aus, als an diesem Abend zuvor. „Dir ist schon bewusst, mit dem wem du sprichst? Sehe ich so aus, als würde ich Behauptungen in den Raum stellen, die ich nicht gedenke einzuhalten?“ Mit einem Schulterzucken tat Joey diese Aussage ab und schob die Schüsseln alle in die Mitte des Tisches, um ihre leeren Gläser einzusammeln. „Du hast Recht, ich hätte dich nicht unterschätzen sollen. Mein Fehler.“ Gab er nun von sich und schien damit diese Sache abzutun.

Nachdenklich betrachtete der 22-jährige Mann den Blonden, der sich so fleißig an die Arbeit machte und kaum später den Tisch noch einmal abwischte. Für ihn war noch immer nicht ganz klar, wie er diesen einzuschätzen hatte. Immer wieder überraschte ihn dieser Mann, den er aus einem bestimmten Grund zu seinem Sekretär gemacht hatte. Es ging darum, ihn zu vernichten, ihm seine Grenzen aufzuzeigen und nun hatten sie hier gesessen, so nahe, sich Dinge erzählt, die sie niemandem zuvor anvertraut hatten. Wie waren die Dinge so außer Kontrolle geraten? Wann waren die Selbstzweifel so groß geworden, dass er ihren Einfluss nicht mehr aus seinen Handlungen fernhalten konnte? Ab welchem Moment war ihm diese Geschichte aus den Händen geglitten, um ihn persönlich vor eine unüberwindbare Problematik zu stellen? Eine? Es gab so viele, dass er nicht wusste, wo er beginnen und so er aufhören sollte. Vor wenigen Wochen war sein Leben übersichtlich und klar gewesen, doch nun bereitete sich ein Chaos darin aus, welches einen klaren Namen trug: Wheeler Joseph Jay!
 

„Willst du wieder zurück?“ Seine eigene Frage überraschte ihn, doch Seto versuchte dieses Gefühl zu verbergen. Dieser Abend war ein seltsamer Strudel aus unerwarteten Gefühlen, die von Frustration, über qualvolle Lust bis hin zu einer unerwarteten Verletzlichkeit ein unglaubliches Spektrum abdeckten. Die Gedanken bis zum nächsten Tag zu schicken, wagte er nicht. Er wäre sich nicht sicher, welche Gefühle dort auf ihn warten würden. Wäre er überfordert mit dem, was dort lauerte, wenn er sich mit der Freundin seines Bruders auseinander setze? Die Stimme des Blonden riss ihn aus seinen Gedanken und er blinzelte kurz. „Ja, wollte ich. Bevor du noch mehr von meinen Chips weg schmeißt, bringe ich sie lieber in Sicherheit, indem ich dich wieder nach oben schicke.“ Kommentierte Joey die Frage, die ihm gestellt wurde.

Die feinen Gesichtszüge bildeten einen skeptischen Ausdruck durch das Hochziehen der rechten Augenbraue. Die eisblauen Augen hatten einen leicht starren Blick, während sie das sonnengebräunte Gesicht eingehend musterten. „Egal, was du sagen möchtest, schweig!“ Forderte der Blonde in einem leicht belustigten Ton, der jedoch eine gewisse Ernsthaftigkeit nicht leugnen konnte. „eißt du, das hier ist wieder eine klassische Situation, in der du es so richtig versauen kannst.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ihr Lieben,

ich hoffe, dass dieses Kapitel nicht ganz verwirrend und absurd ist und ihr Joeys Reaktion ein wenig verstehen könnt. Nein, es geht ihm nicht gut und das wird sich auch noch zeigen. Nennen wir es eine Kurzschlussreaktion?

Liebe Grüße
Eure Traumfänger Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, das Ende des Aufenthaltes in Dubai kommt näher. Ich hoffe, dass ich im nächsten Kapitel endlich den Rückflug angehen kann und dem Teil näher komme, der nicht geplant ist. Sprich, es gibt zwar einige wichtige Punkte, die wir vor uns haben, aber auch einiges an Freiraum, in dem so nette Szenen, wie die am Meer stadtfinden können. Ich dachte, dass es allen beteiligten gut tut, wenn sie auch schöne Erlebnisse haben.
Es ist für mich noch immer unglaublich interessant, denn nichts von dem jetztigen Kapitel war jemals vorgesehen. Wir befinden uns noch immer in einem völlig neuen Teil der Geschichte.
Ich hoffe, dieses Kapitel hat euch gefallen und ihr seht es mir nach, dass die Passagen auf Arabisch nicht ausgeschrieben habe. :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Damit haben wir die Szenerie in Dubai beendet. Im nächsten Kapitel wird es direkt mit dem Flug weiter gehen und wir kehren zurück nach Japan.
Ich hoffe, dass euch dieses Kapitel nicht zu sehr aufgewühlt hat. Es war doch etwas anders als geplant. Das Djamila und Joey die Nacht miteinenader verbringen, war schon im Original vorgesehen, doch das die beiden von Kamil erwischt werden, war etwas spontan. Ein wenig tut mir der Gute leid, aber er ist eben auch ein Arsch. Es muss eben auch Gründe geben, warum er mit Seto befreundet ist und so haben wir die Möglcihkeit, dem Brünetten noch einmal aufzuzeigen, dass auch er sich verändern muss.

Liebe Grüße und bis nächsten Monat. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Meine lieben Leserinnen und Leser,

ich wende mich heute mit einem kleinen, bis mittelschweren Problem an euch und brauche einmal eure Hilfe. Wie ich ja schon erwähnte, ist diese Gesichte mittlerweile über 16 Jahre alt und viele Ideen stammen aus einer Zeit jugendlicher Verrücktheit. Darum überarbeite ich die ersten Kapitel und versuche sowohl Logikfehler, unpassende Reaktionen und übertriebenes Verhalten anzupassen.
Ein wichtiger Punkt dabei ist jedoch ein Part, der zu Setos Vergangenheit, beziehungsweise seinem Charakter gehört. In der „Originalfassung“ gibt es eine Verbindung zwischen Tala Ivanow und Seto Kaiba. Dieser ist nämlich der verschlüsselte Kontakt, der unter dem Namen D Hunter eingespeichert ist, und denn Seto anrief, als er seine Sekretärinnen los werden wollte. Ich erzähle euch das deswegen, weil der „original“ Seto damals so ausgelegt war, dass er wortwörtlich über Leichen ging. Der arme Sekretär, der vor Joey dort gearbeitet hat, ist mit einem Auftragsmord umgebracht worden und das finde ich jetzt, so 15 Jahre später, doch etwas krass!
Ich ringe schon seit Jahren mit mir, ob ich diese Verbindung verändere und unser grausamer Seto zumindest kein Mörder ist. Dafür müsste ich aber aus mehreren Kapitel die dazu gehörigen Teile löschen und oder umschreiben. Bisher habe ich immer nur in dem Maße geändert, dass ich Formulierungen verändert oder ergänzt habe, um alles stimmiger zu machen. Hin und wieder den Dialog, um ihn logischer werden zu lassen, ohne aber den Sinn zu verändern. Wenn ich jetzt die Tatsache „lösche“, dass Seto bewusst jemanden dafür bezahlt hat, von ihm ungewollte Personen zu töten oder zu verschleppen, dann greife ich auch inhaltlich in die Geschichte ein. In den nächsten Kapiteln wird es aber ein entscheidender Punkt werden und darum muss ich endlich eine Entscheidung fällen.

Darum will ich von euch wissen, was ihr davon haltet. Soll dieser Teil bestehen bleiben und der „dunkle Seto“ ist ebenfalls ein Mörder oder einigen wir uns darauf, dass das vielleicht ein wenig zu krass ist?

Wenn ihr eure Meinung dazu nicht öffentlich geben wollt, könnt ihr mich auch gerne dazu anschreiben!

Liebe Grüße
Eure Traumfänger Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Es steht übrigends fest. Seto wird kein Mörder werden und ich passe die Geschichte entsprechend an.

Ich hoffe, dass ihr auch mit diesem Kapitel wieder Freude hattet und verzeit den groben Ton darin. :)

Liebe Grüße
Traumfänger Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Meine Lieben,

es ist wieder so weit! wir sind bei einer weiteren Zehnerstelle angekommen. Kapitel 40 ist nun offiziell online und ich bin erstaunt, dass wir es wirklich so weit gebracht haben. Langsam soll die Gesichte auch etwas Fahrt aufnehmen, weswegen wir ab jetzt hin und wieder so wie hier ein paar Sprünge einsetzen, um uns mit dem wesentlichen zu beschäftigen.
Ich hoffe, dass es für euch ein schlüssiges Kapitel war und ihr den langsam reifenden Erkenntnissen Seto Kaibas gut folgen konntet. Seine Entwicklung schreitet voran und damit hoffentlich auch das, was zwischen Joey und ihm geschieht. Für all die fleißigen Kommentarschreiber: Ja, Joey hat das alles natürlich nicht so leicht weggesteckt, auch wenn er so tut, als wäre es so.

Dann bis zum nächsten Monat! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Moin ihr Lieben,

wir kommen dem nächsten Kapitel näher, welches doch von etwas mehr Unzucht bestimmt wird. ABER... bis dahin muss es erst einmal Freitag Nacht werden und Seto noch einiges erleben. Ich hoffe, euch hat dieses kleine Kapitel gefallen, das eher ein Filler ist, aber wenigstens mit keinen neuen Problemen aufwartet. Immerhin war der Albtraum schon ziemlich heftig und wie ihr gelesen habt, kam er öfter als ein mal vor.

Dann wünsche ich euch noch einen schönen Oktober! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Moin,

Sie sind fast da! Was glaubt ihr, wird es ein guter Abend oder behält Seto Recht und das Desaster tritt ein? Und wie?

Und nein, Viktoria sind wir leider noch nicht los. Wir müssen sie noch eine Weile ertragen.

Ich hoffe, dass ihr auch dieses Mal wieder viel Spaß bei diesem Kapitel hattet.

Bis zum nächten Monat!

Eure Traumfänger Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Moin ihr Lieben!

Ich hoffe, dass ihr einen schönen Jahreswechsel hattet und der Start in dieses Jahr gut für euch begonnen hat.

Sollte das nicht so gewesen sein, dann hat vielleicht dieses ein wenig inhaltslose, aber dafür süße Kapitel dabei geholfen, wenigstens einen Moment zu entspannen. Kein Drama, viel Necken und ein wenig Fluff.

Liebe Grüße
Eure Traumfänger Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (99)
[1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10]
/ 10

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  TaniTardis
2023-04-11T08:04:02+00:00 11.04.2023 10:04
Tja, der liebe Seto Kaiba kann auch ohne anfassen einen fertig machen LOL. Das hat der liebe Joey anscheinend nicht bedacht...da hat er Seto wohl unterschätzt...

Danke für das Kapitel...bis zum nächsten mal :)
Antwort von:  Traumfaengero_-
13.04.2023 20:09
Liebe TaniTardis,

da hast du absolut Recht! Er sagte nur, er solle die Finger von den Arbeitskollegen lassen. Anforderung erfüllt! XD
Ach, es hat auch sehr viel Spaß gemacht, dieses Kapitel zu schreiben und ich freue mich, dass es dir so gut gefallen hat. Danke für deine lieben Worte!

Dann will ich mal daran weiterarbeiten, dass Joey das nächste mal derjenige ist, im Interessensfokus unseres Brünettens steht. ;)
Von:  TaniTardis
2023-02-23T04:01:48+00:00 23.02.2023 05:01
Hihi, LOL...na das ich Seto mal verwirrt erlebe, das hat Joey echt gut hingekriegt. Ob sie beide mal ein Anime Abend machen :D

Ich glaube wirklich das wird Seto ohne Alkohol nicht überstehen...
Super Kapitel zum schmunzeln...
Antwort von:  Traumfaengero_-
05.04.2023 00:30
Liebe TaniTardis,

ich bin auf jeden Fall dafür. Ich weiß zwar noch nicht genau, wie die beiden es jemals schaffen würden, einen Anime Abend zusammen zu überleben, aber ich will einen! Seto wäre sicher die ganze Zeit am Meckern über die völlig unrealistischen Dinge und Joey würde versuchen, ihm diesen Wahnsinn auch noch zu erklären. Das klingt wirklich lustig! Brauchen wir! Dringend! Was sollen sie schauen?

Warten wir ab, wie sich der Abend entwickeln wird. Es kann ja noch viel passieren. Jetzt darfst du im nächsten Kapitel erst einmal die lieben Kollegen von Joey kennen lernen, die diesen Abend umrahmen werden. :)

Neben her, irgendwelche Lieblingsmanga oder Anime, die hier Erwähnung finden sollten?

Liebe Grüße
Deine Traumfänger
Von:  TaniTardis
2022-12-17T08:55:39+00:00 17.12.2022 09:55
LOL, tja was Joey kann, kann Seto noch besser...ist halt voll Profi :D
Wenn man Joey so hört, klingt er eifersüchtig...
Naja wer kann Setos Augen auch wiedersehen....
Supi...bis zum nächsten Kapitel ;)
Antwort von:  Traumfaengero_-
05.02.2023 21:34
Moin liebe TaniTardis,

ja, unser lieber Seto hat es beinahe perfektioniert. Wer sich erinnert, er hat ja schon vor dem Restaurant in Dubai von Joey welche gescheuert bekommen und dabei gleich ein Date klar gemacht. Zu dem kam es zwar nie, aber er ist wirklich begnadet darin.
Oh, Eifersucht! Nein, das wäre er doch niemals. Das ist reine Sorge um seine Kollegen und Kolleginnen. XD

ich könnte diesen schönen Augen auf keinen Fall widerstehen. :)

Danke für deine lieben Worte! Ich freue mich immer sehr über deine Kommentare!

Liebe Grüße
Deine Traumfänger
Von:  TaniTardis
2022-11-28T03:46:05+00:00 28.11.2022 04:46
Na da bin ich auch gespannt wo es hinführen wird, ob Desaster oder nicht...dass die beiden Zeit miteinander verbringen ist schon ein wunder....ob Kaiba seine Alpträume los wird, denke es wird erst passieren wenn er mit Atemu spricht. .vielleicht kann er ihm helfen. . Den beiden ist ja ihre gemeinsame Vergangenheit.
Wie immer ein sehr schönes Kapitel..und Viktoria auf den Mond schießen ist keine schlechte idee, ist aber noch zur nah, am besten in eine andere Galaxy verfrachten : )
Bis zum nächsten Kapitel.. Bin sehr gespannt...lg
Von:  TaniTardis
2022-11-09T03:40:20+00:00 09.11.2022 04:40
Kann man Viktoria nicht einfach auf den Mond schießen? Das wehre das beste für alle Beteiligten ;)
Zwei hübsche Kerle die in die Disko gehen..na denke, kann schon brenzlig werden...Bin schon gespannt...egal was kommt.
Das die beiden gleichzeitig Träume von Ägypten haben nuss doch was bedeuten, ob die irgendwann die Verbindung zur einander die schon tausende von Jahren besteht merken? Sehr schönes Kapitel.

Und was mich interessiert, hat Seth Jono gefunden gehabt?

So viele Fragen...schön gemacht

Da kann man sich sehr auf weiter freuen...

Lg

Antwort von:  Traumfaengero_-
13.11.2022 08:51
Liebe TaniTardis,

nein, leider nicht, aber wir arbeiten daran, dass wir Viktoria los werden. Ich mag sie mittlerweile so wenig, dass ich sie aus der Geschichte raus schmeißen will. Geht nur nicht. XD Also, lernen wir sie lieben, bis wir sie los sind.
Tja, zwei hübsche Kerle. Eventuell könnten das die Frauen anziehend finden. Mal sehen, was ihr zum nächsten Kapitel sagt. ^^°
Wenn das Schicksal will, dass man etwas bemerkt, macht es sich schon ausreichend bemerkbar. Unsere Sturköpfe brauchen eben nur etwas länger, denke ich. Hoffe ich zumindest! Bei Seto weiß man nie, was er alles leugnet, nech?

Also, ich denke, ich verrate nicht zu viel, wenn ich dir sage:JA! Natürlich hat er ihn gefunden. Irgendwann musste er ihn finden. Die frage ist nur: Wie hat er reagiert? ;)

Danke für deine lieben Worte und bis zum Dezember! :D

Liebe Grüße
Deine Traumfänger
Von:  TaniTardis
2022-09-26T12:33:00+00:00 26.09.2022 14:33
Erstmal Verschnaufpause...oh man das war alles echt hart...ich hoffe nur das Joey da wieder rauskommt und versteht das er sehr besonders ist und Stärker als manche das denken....und Seto weiß es bestimmt auch...ich hätte auch gerne gewusst wie Seth darauf reagiert hat..ob er diesen Bakura fertig gemacht hat....es bleibt spannend..glg
Antwort von:  Traumfaengero_-
26.09.2022 18:50
Liebe TaniTardis,

Fragen über Fragen. :) Fangen wir doch mit der Überlegung an, ob das überhaupt jemals stattgefunden hat. Nur ein Traum? Realität? Erinnerungen?
Nun, ich denke, dass wir für Seth noch ein Kapitel finden, damit ihr nicht ewig mit der Antwort spekulieren müsst.

Gut, dass dies nicht nur ein Drama ist. Ich denke, deinen Wunsch kriegen wir unter und wir legen erst einmal eine Verschnaufpause ein. :)

Wenden wir und im nächsten Kapitel den schönen Dingen des Lebens zu: Feiern gehen am Freitag Abend zum Beispiel. :D

Liebe Grüße und ganz herzlichen Dank für deine lieben Worte!

Deine Traumfänger
Von:  Wuwufan
2022-09-05T19:58:29+00:00 05.09.2022 21:58
Oh Mann, das ist echt ein heftiges Kapitel. Ich hoffe sehr, Joey findet aus diesem Loch wieder heraus. Er ist das absolute Gegenteil von schwach und wertlos. Es wird Zeit, dass das ein paar gewisse andere Leute auch kapieren!
Antwort von:  Traumfaengero_-
06.09.2022 07:13
Da gebe ich dir absolut Recht! Unser Sonnenschein hat wahrlich mehr verdient, als das! Mir tat er in diesem Kapitel ebenfalls extrem leid, besonders da es ja nicht einmal direkt um ihn ging, sondern um die Auseinandersetzung zwischen dem Dieb Bakura und dem Priester Seth. Er ist nur der Leidtragende.
Aber wir wissen, wie wertvoll er ist und nach dem vorherigen Kapitel scheint ja auch Seto langsam ähnlich zu denken. :)
Sehen wir positiv in die Zukunft und hoffen aug Besserung im nächsten Kapitel. :)

Ganz lieben Dank für diesen einfühlsamen Kommentar. ;)
Von:  Wuwufan
2022-09-03T17:33:52+00:00 03.09.2022 19:33
Wie immer ein richtig tolles Kapitel. Ich bin echt begeistert von deiner Geschichte (und hoffe sehr auf ein gutes Ende).
Es ist interessant, was für einen Einfluss Joey auf die gesamte Kaiba-Familie hat :)
Freue mich schon sehr auf das nächste Kapitel!
Antwort von:  Traumfaengero_-
05.09.2022 00:10
Nun, wuwufan, ich hoffe, dass du das nächste Kapitel auch noch magst oder zumindes ertragen kannst. Es geht leider nicht so lustig weiter. u.u
Ja, der junge Joey hat sich ganz schön in das Leben der drei eingemischt und nun ist er da. :) Den wird man nicht so schnell wieder los und so ein Joey hat einen verherenden Einfluss. Wollte unser Firmenführer ja nie glauben. Jetzt hat er den Salat... ähm... den Joey? :)
Herzlichen Dank für deine lieben Worte. Ich freue mich immer wieder darüber. :D

Liebe Grüße
deine Traumfänger
Von:  Tiaiel
2022-07-29T12:40:00+00:00 29.07.2022 14:40
Also mal ganz ehrlich, was treiben Mokuba und Noah da eigentlich? Eine Frage, die mich brennend interessiert! Vor allem, weil Mokuba ja offenbar was mit Serenity laufen hat (was ich schon irgendwie niedlich finde, wenn man bedenkt, wer die großen Geschwister sind ^^) Und was find ich das putzig, wie er mit seinen jugendlichen 17 Jahren Seto weckt, der (Oh wie selten ist das denn?) noch in den Federn liegt ^^
Und Joey, der arme Kerl, weiß gar nicht wie ihm geschieht! Dem Albtraum entronnen, findet er sich in der Villa Kaiba wieder, hoppala. Aber er ist ja in guter Gesellschaft, da er ja den Hausarzt bereits kennt (was ein Zufall!) und sich die gute Margarite kümmert ^^
Hier werden sehr viel Dinge aufgeworfen, die hoffentlich in den nachfolgenden Kapiteln geklärt werden -besonders die Sache mit Noah! Wir werden uns also zu einem späteren Zeitpunkt wieder lesen ;)
Antwort von:  Traumfaengero_-
01.08.2022 07:39
Liebe Tiaiel,

tja, nicht mehr lange und du weißt, was meinem kindlich verwirrten Hirn vor Jahren für eine Idee kam. Ich bin nicht stolz daruaf, aber ich kann nicht alles aus der Geschichte löschen. Also, ich hoffe, dass du mich nach dem nächsten Kapitel noch lieb hast. :)

Ja, Zufälle gibt es in der Kaiba Villa viele. Sehr viele. Aber auch sehr viele lustige. Man gegenet sich hier eben immer mal wieder. :D

Ich versuche es. Ich glaube, die meisten werden aufgeklärt. Ich bin mir nicht sicher, ob es bei allen offensichtlich oder verständlich ist. Du hast ja noch ein wenig vor dir. Da köntne sich noch das eine oder andere ergeben. Sonst schrei einfach, damit ich die Erklärung nachholen kann! :)

Herzlichen Dank für deine lieben Worte! Ich habe mich sehr darüber gefreut!

Liebe Grüße
Traumfänger
Von:  Wuwufan
2022-07-24T20:53:04+00:00 24.07.2022 22:53
Glückwunsch zum 40. Kapitel :)
Das Kapitel hat mir sehr gefallen. Es ist toll, dass sich Seto und seine Brüder annähern. Bin gespannt, wie er das mit Joey wieder hinbekommt. Bis bald :D
Antwort von:  Traumfaengero_-
01.08.2022 07:33
Herzlichen dank für die lieben Glückwünsche! Ich kann es selbst kaum glauben. Es sind jetzt 40 Kapitel! :D

Tja, wie bekommt er das hin? Mit viel Geduld, Buße und in den nächsten 40 Kapiteln? Nun, offenbar hat er es noch nicht ganz versaut, Joey spricht noch mit ihm und das ist doch ein guter Anfang. Sehen wir mal, wie es zwischen den beiden weiter geht. Noch 4 Tage und dann darf auch an dem familiären Miteinander der Kaiba Brüder weiter gearbeitet werden. :)

Dir noch einen schönen Tag!
Liebe Grüße
Deine Traumfänger


Zurück