Dunkle Nächte von Traumfaengero_- (Wenn das Schicksal zuschlägt...) ================================================================================ Kapitel 3: Morgengrauen? ------------------------ Kapitel 3 Morgengrauen? Ein Schmerz raste durch Joeys Kopf und ließ ihn langsam aus seinem Schlaf aufdämmern. Er hatte schreckliche Kopfschmerzen und jeder Muskel tat ihm weh. Was war bloß geschehen? Ein leises Stöhnen kam über seine Lippen und vorsichtig öffnete er seine Augen. Es dauerte eine Weile bis der Blonde außer Lichtpunkten und Schleiern etwas erkannte. Langsam wurden die rotschwarzen Stoffwogen eines Himmelbettes sichtbar. Blinzelnd schaute er zur Decke, nein, das war wirklich der obere Teil eines Himmelbettes. Ein Himmelbett? Wo in drei Teufelsnamen war er? Zuhause ganz sicher nicht! Doch bevor er weiter denken konnte, machte sich wieder dieser pochende Schmerz in seinem Kopf bemerkbar und er schloss die Augen. In diese Dunkelheit drang unerwartet ein eintöniges Geräusch an seine Ohren. Flock, flock, flock. Starr lag er da und lauschte auf diesen Klang. Joey hatte das Gefühl, als hätte er ihn schon irgendwo einmal gehört. Bildfetzen platzen unkontrolliert vor seinem trägen Verstand auf und Schreie dröhnten in seinen Ohren. Erschrocken zuckte er zusammen, kalter Schweiß lief über seine Stirn. Er sah einen Baum mitten im Innenhof unter einem sternenbesetzen Himmel. Der Schmerz, der durch diese plötzliche Bewegung entstand, ließ ihn nach Luft schnappen. Er unterdrückte einen Schrei und Tränen sammelten sich in seinen Augenwinkeln. Je verstummte der eintönige Takt und eine unheimliche Stille trat ein. Zwischen Schmerzen und Verwirrung begriff der junge Mann, das er nicht alleine im Zimmer sein konnte. Angst stieg in ihm auf, panische Angst. Sie schien nicht hier her zu gehören, wie eine schreckliche Ahnung, wie der Fluch einer bösen Erinnerung. Panisch fragte er sich, wer das war, wer war noch in diesem Raum? War dieser Mensch eine Gefahr für ihn? Er wusste ja nicht einmal, wo er hier war. Er konnte sich nicht daran erinnern, wo er zuletzt gewesen war. Der Geschmack von Blut und Sand lag auf seiner Zunge. Sein Körper schmerzte, auch wenn dieses Gefühl langsam verklang. Die wenigen Geräusche, die er vernahm, hörte er wie durch einen dicken Vorhang. Leise erklangen Schritte, die eindeutig auf das Bett zukamen. Wer war das? Bedächtig und mit klopfendem Herzen drehte er den Kopf zur Seite. Dabei durchfuhr ein stechender Schmerz seinen Hals und schwach entkam ein weiteres Stöhnen seinen Lippen. „Ist ja gut. Du solltest liegen bleiben, es dauert noch eine Weile, bis sich dein Kreislauf wieder stabilisiert hat.“ Joey zuckte erneut zusammen, als er die beruhigende Stimme vernahm. Auch diese Aktion wurde mit dröhnenden Kopfschmerzen belohnt und seine Brust schien wie zusammengedrückt. Lautlos biss er sich auf die Unterlippe und versuchte zu erkennen, wer neben seinem Bett stand. Von irgendwoher musste eine Lichtquelle kommen, die den Raum schwach erhellte. Sein Blick fiel auf eine kleine rundliche Frau. Sie hatte ihre grauen Haare zu einem leichten Knoten hinter ihrem Kopf gebunden und ihre graubraunen Augen ruhten mit einem mütterlichen Blick auf dem jungen Mann. Einige Falten durchzogen ihre helle Haut, die über ihr Alter nichts verrieten. Der cremefarbige Pullover, auf dem sie eine doppelt gelegte Perlenkette trug und der dunkle Rock ließen sie ein wenig wie aus dem letzten Jahrhundert erscheinen. In ihren kurzen Händen hielt sie noch immer den Knäuel Wolle und ihr angefangenes Strickwerk. Daher kam also das Geräusch. Joey bat innerlich nicht gleich wieder vor Schmerzen aufzuschreien und versuchte sich vorsichtig und langsam aufzusetzen. Schnell ließ er sich in die Kissen zurücksinken und zog scharf die Luft ein. So einfach war es dann doch nicht, wie er wünschte. Ohne lange zu zögern, versuchte er es erneut und unterdrückte mit all seiner Willenskraft das Schwindelgefühl und die Schwärze vor seinen Augen. Die aufblitzenden Bilder seines Traumes verdrängte er dabei ebenso. Schmerzen erfüllten seine Handflächen. Er hatte das Gefühl, als wären sie aufgescheuert. Sie verfolgte jede seiner Bewegungen argwöhnisch. „Wenn du dir unbedingt noch mehr Schmerzen zufügen willst, werde ich dich nicht aufhalten.“ Ihre Stimme war nun um einiges schärfer als zuvor. Doch Joey beachtete sie nicht und versuchte krampfhaft ein klares Bild vor Augen zu behalten. Er war hier in einem Zimmer, in dieser Zeit und nicht in einem heißen, stickigen Hinterhof. Draußen war es bitterkalt und des würde sicher bald zu schneien beginnen. Bedächtig ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen. Die Vorhänge waren zugezogen, doch eine Stehlampe in der Ecke erhellte das Zimmer mäßig. Das Bett war mit rotschwarzem Stoff bezogen und auch der Rest war mit Ebenholz und mit rot bemalten Reliefs aus Holz ausgestattet. „Wo bin ich eigentlich?“ Langsam minderten sich seine Kopfschmerzen und auch das Denken fiel ihm leichter. Was auch immer er geträumt hatte, er wurde sich dessen bewusst, dass es nur ein Traum war. Die alte Frau setzte sich neben ihn auf die Bettkante und betrachtete ihn abwartend. „An was kannst du dich denn noch erinnern?“ Fragte sie in diesem sanften, mütterlichen Ton, während sie ihn beobachtete. Joeys Blick ruhte auf einem der Regale, in dem ein auffälliges Buch stand. Auch, wenn sein Kopf nun nicht mehr so schmerzte, konnte er sich nicht gleich an alles erinnern. Die aufblitzenden Bilder seines Traumes vermischten sich mit den letzten Erinnerungen. Grübelnd kaute er auf seiner Unterlippe herum. „Ich habe mich mit Ivanow geprügelt.“ Begann er gedankenversunken und schaute an sich herab. Er trug kein Shirt mehr und seine Brust war mit einem dicken, weißen Verband umwickelt. Blaue Flecken zeichneten seine Arme, besonders aber die unteren, mit denen er seinen Kopf gegen die Tritte zu schützen versuchte. Selbst die Hände waren leicht bandagiert und jede Bewegung schmerzte, als wäre die Haut unter den Verbänden aufgerissen. Vorsichtig hob er die rechte Hand, strich über das Pflaster an seiner Wange. Der rothaarige Russe hatte sich mit einem breiten Grinsen über ihn gebeugt, um mit der scharfen Klinge diesen Schnitt in der Wange zu hinterlassen. Mit einem Schauer erinnerte er sich an das höhnische Lachen, während der kräftige Mann auf ihm gesessen hatte. Mit seinen Knien hatte der Russe die Oberarme des Blonden auf den Boden gedrückt und ihn so bewegungsunfähig gemacht. Die linke hatte sich fest in den hellen Haaren vergraben, die rechte setzte den tiefen Schnitt. „Na ja, eigentlich habe ich mich mit Ivanow und seiner Gang angelegt und wurde verprügelt. Und was dann kam, weiß ich nicht mehr.“ Er gab seine Niederlage einfach so zu, als sei es schon zur Gewohnheit geworden. Viel zu oft war er Tala bereits begegnet und immer wieder hatte der Russe sich persönlich um ihn gekümmert. Als wäre Joey sein Prügelknabe, mit dem er stets seine Spielchen trieb. Die Stimme des Russen klang noch in seinen Ohren und er konnte sehen, wie er sich in der Gasse umdrehte. ~Beim nächsten Mal schneide ich dir die Zunge heraus, dann kannst du nicht mehr so frech sein!~ Hatte der rothaarige Mann ihm mit seinem schweren Dialekt zugerufen, als sie die Gasse verließen. Obwohl er immer wieder unterlag, bewahrte er sich zumindest so viel Würde, dass er keinem einzigen Kampf aus dem Weg ging. Mit aller Mühe warf er dem Anführer jede Beleidigung vor, die er finden konnte. Plötzlich stieß Joey einen halb unterdrückten Schrei aus und riss die Augen weit auf. „Da... das... das kann doch nicht...“ Seine Stimme versagte. Bildfetzen brachen in seiner Erinnerung auf, der Klang einer vertrauten Stimme drang an seine Ohren und rief seinen Namen. Die großen, honigbraunen Augen starrte die Dame auf der Bettkante entgeistert an, doch diese nickte nur. „Warum kann das nicht angehen?“ Hakte sie noch einmal nach, während die verschwommenen Bilder der eisblauen Augen vor ihm auftauchten. Er hörte die Stimme des Brünetten und erinnerte sich mit einem Schlag an den Schrecken, den er bekommen hatte, als dieser ihn in die Höhe hob. Nein, das konnte nicht angehen! Dort in der Gasse…, das war Seto Kaiba gewesen! Sie wollte Joey gerade zu einer Antwort drängen, als die Tür aufgerissen wurde und ein schwarzhaariger Junge erschien. Er hatte einen hoch roten Kopf und wirkte verlegen, aufgewühlt, ja in gewisser Weise wütend. Doch als er die alte Dame sah, schien er nur noch nach Trost zu suchen. Das feine Gesicht veränderte sich und nahm kindliche Züge an. Mit einem Ausdruck mütterlicher Liebe legte sich ein Lächeln auf die Lippen der Frau und sie meinte ruhig. „Na komm her.“ Sie streckte ihre Arme aus und nun schien der 17-Jährige gänzlich kindlichen Gewohnheiten zu unterliegen, denn der schlanke Körper setzte sich von allein in Bewegung. Immer schneller überbrückte er die kurze Strecke und ließ sich neben ihr auf das Bett fallen, direkt in ihre ausgebreiteten Arme. „Ich hasse ihn! Er hat es schon wieder getan!“ Kam in einer Mischung aus Kränkung und Zorn von ihm und Joey verstand gar nichts mehr. Er war bisher gänzlich ignoriert worden und warf einen zögerlichen Blick hinüber zur Tür. Nein, sie stand noch immer offen, da war kein anderer, schwarzhaariger junger Mann. Doch war das hier wirklich Mokuba? Er musterte den aufgewühlten Mann, der zu einem großen Teil von der fremden Frau verdeckt wurde. Aber die Haare passten, das war Mokuba. Beruhigend strich sie ihrem Schützling über den Rücken. „Ist ja gut.“ Die alte Köchin wusste längst, was vorgefallen war. Sie arbeitete schon zu lange hier, um den Kleinen nicht gut genug zu kennen. „Nun beruhige dich Mokuba, du bist doch kein kleines Kind mehr.“ Meinte sie mit mütterlicher Strenge zu ihrem Schützling. Es dauerte noch einen Moment, in dem nur das flache Atmen des 17-Jährigen zu hören war, hektisch und wild. Mit einem tiefen Ein- und Ausatmen schien sich der junge Mann zu sammeln und löste sich langsam von ihr. Sein Blick lag einen Moment auf ihr und dann sah er flüchtig zu Joey. Er lächelte zuerst verlegen und senkte dann den Blick. Noch einmal schien er sich zu sammeln, bevor er in das sanfte Gesicht der alten Frau blickte. Ein breites Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus, als er ihr antwortete. „Ja, ich weiß, ich bin nicht nur groß, sondern auch alt!“ Begann er etwas zu witzeln und setzte dann mit einem flüchtigen, schüchternen Blick zu Joey hinzu. „Es ist mir einfach schrecklich peinlich, auch wenn ich weiß, dass es Noah genau deswegen tut. Ich habe es ihm schon oft genug gesagt, aber dafür hat er dieses Mal mein Knie in den Magen bekommen.“ Gab er an und rieb sich kurz mit der rechten Hand über den linken Oberarm. Hinter dem breiten Grinsen versuchte er seine Unsicherheit zu verbergen. „Geschieht ihm recht.“ Murmelte er und sah erneut zurück zu dem Blonden. Dieser sah ihn mit einer Mischung aus Entsetzen und Verblüffung an. Anscheinend wusste der Blonde nicht, wie er reagieren sollte und so meinte der 17-Jährige. „Guten Morgen, wie geht es dir?“ Er hatte sich ganz von der alten Dame gelöst und setzte sich so um, dass er nun halb auf dem Bett saß, sein rechtes Bein auf der Decke leicht angewinkelt liegend. „Nicht sonderlich gut.“ Brummte der Angesprochene und musterte Mokuba eingehend. Dieser ergriff erneut das Wort. „Ich wollte dich fragen, was denn gestern geschehen ist. Ich weiß nur, dass der Arzt noch da gewesen ist. Du siehst gar nicht gut aus.“ Meinte der Schwarzhaarige und blickte mit seinen dunkelblauen Augen auf den großen Verband auf Joeys Brust. Anstelle einer Antwort hob Joey nur die Augenbrauen und fragte stattdessen. „Ich würde lieber wissen, was DIR zugestoßen ist! Warum siehst du aus wie ein halb gerupftes Huhn und warum hast du Noah dein Knie in den Magen gerammt?“ Joey wankte zwischen Entsetzen und Besorgnis. Der 17-Jährige trug seine schwarzen, immer ein wenig verwuschelt wirkenden Haare offen, sein weißes Hemd war oben aufgeknöpft und die Krawatte war offen. Sein Hemd war leicht zerknittert und der Gürtel halb geöffnet. Skeptisch blickte er Mokuba tief in die Augen. „Was um Himmelswillen ist dir zugestoßen?“ Joey konnte es nicht glauben, aber der Angesprochene wurde augenblicklich tief rot und senkte ruckartig den Blick. „Ähm, weißt du, ich,... also... ähm, ja... das war so...“ Begann er stotternd und wusste nicht, wie er sich erklären sollte. Ein leichtes Räuspern rettete Mokuba vor weiteren Erklärungen, unwillkürlich drehte er sich um und starrte zur immer noch offen stehenden Tür. Joey war ebenfalls überrascht, doch dass sich der Kleine so einfach um eine Antwort drücken konnte, gefiel ihm gar nicht. Ein wenig murrend schaute auch er in diese Richtung. In der Tür stand ein älterer Herr, ungefähr Mitte Vierzig, in einer schwarzen Flanellhose und einem cremefarbenen Hemd. Seine dunkle Jacke trug er über seinem linken Arm und in der rechten Hand hielt er eine schon recht ausgeleierte Koffertasche aus hellem Leder. Seiner Körperhaltung nach zu urteilen war er sehr streng und er besaß ein leicht kantiges Gesicht. Seine helle Haut betonte seine schmalen Lippen, die weit unter den durch die dicken Brillengläser so groß wirkenden Augen saßen. Der schwarzhaarige Mann trat mit einem leicht verärgerten Blick auf Joey ein und stellte seine Tasche auf das Bettende. Mokuba lächelte verlegen, als der Mann neben dem Bett angekommen war. „Deswegen habe ich mich eigentlich auf den Weg gemacht. Da hab ich wohl was vergessen. Ich wollte eigentlich Bescheid geben, dass Sakurai-hakase endlich da ist.“ Sagte er mit leiser Stimme und sah entschuldigend zu dem älteren Mann auf. Er hatte diesen an der Eingangstür gesehen und sich auf den Weg nach oben gemacht. Dort war er Noah begegnet, der ihn in diese issliche Lage brachte. Joey hingegen klappte der Unterkiefer herunter. Das konnte doch jetzt nicht wirklich wahr sein. 'Bitte, bitte, kneif mich doch einer, damit ich endlich aufwache.' Vieles würde der Blondschopf glauben, aber das hier grenzte schon an ein Wunder. Er musste noch immer verarbeiten, dass er hier anscheinend in einem Zimmer in der großen Villa der Kaibas war und der große Seto Kaiba ihn mitten in der Nacht in einer Gasse aufgelesen hatte. Wieso dieser auch immer dort gewesen war. Die Begegnung mit Mokuba, der wirkte, als wäre gerade eine Horde verliebter Mädchen über ihn hergefallen, machte es da nicht besser. Doch das Erscheinen dieses Mannes überforderte ihn maßlos. Immerhin kannte er ihn aus einem anderen Kontext und seine Anwesenheit musste zwangsläufig bedeuten, dass er der Hausarzt der Familie Kaiba war. Das hatte er nicht gewusst. Fassungslos starrte er auf den eben eingetretenen Mann. „Saku... Sakurai-san.“ Er versuchte den Klos in seinem Hals herunterzuschlucken. „Sakurai-hakase.“ Doch dieser achtete nicht weiter auf die zwei und wandte sich gleich an die ihm nun zu lächelnde Frau. „Margerite-chan, du siehst mich verwundert.“ Meinte er mit ruhiger, weicher Stimme. Belustigt stand die Angesprochene auf und fischte nach ihrem Knäuel Wolle, das bei dem Ansturm des jungen Kaibas zu Boden gefallen war. Gelassen schritt sie auf den kleinen Sessel zu, der neben der Lampe hinten in der Ecke des Zimmers stand. Dort setze sie sich und platzierte das Strickwerk auf ihrem Schoß. Lächelnd schaute sie zu dem ihr sehr bekannten Herrn auf. „Es ist seine Sache, wenn er sich unbedingt weitere Schmerzen zufügen will. Ich werde ihn sicher nicht aufhalten, er ist wirklich alt genug.“ Ihre grauen Augen leuchteten kurz auf, als ihr Blick auf den Blonden fiel. Seufzend legte der Arzt seine Jacke auf das Bett neben die alte Tasche und musterte kritisch seinen Patienten. „Ich habe selten jemanden gesehen, der so zugerichtet war!“ Brummte er und fügte an. „Und dann auch noch wild durch die Gegend turnt.“ Sein Blick lag kritisch auf dem Blonden. Margerite lachte kurz auf und schien sich dann jedoch wieder zu fangen. Sie hob den Blick und sah vielsagend zu dem alten Mann, der sich verwundert bei dem Lachen zu ihr gedreht hatte. Er hob eine Augenbraue und dachte kurz nach. Er kannte die Familie Kaiba nun schon seit 17 Jahren und damit auch den ältesten Sohn des Hauses. Er war damals ein dickköpfiger, kleiner Junge, der sich ebenso ungern in seine Schraken weisen ließ, wie es der Blonde nun zu tun schien. Mit einem zuerst schweigenden Nicken bestätigte er ihr, was sie nicht ausgesprochen hatte. „Ja, doch ich gebe dir Recht.“ Meinte er schließlich und beendete damit dieses stumme Gespräch. Joey und Mokuba starrten sich fragend an. Das Lachen Margerites klang wie ein Widerspruch, als wolle sie dem Arzt sagen, dass er sich irre. Dies ginge nur, wenn der Patient, an den die Dame dachte, in diesem Haus lebte und da gab es nicht viele “andere“. Nach einem einfachen Ausschlussverfahren blieb in erster Linie Seto Kaiba übrig. Völlig ungläubig starrten sie den Arzt an. Als dieser ihre Blicke bemerkte, musste er leicht schmunzeln. Margerite schüttelte nur den Kopf und meinte ruhig. „Nein, ihr braucht nicht danach fragen. Ihr bekommt sowieso keine Antwort.“ Sie schmunzelte belustigt. Wieder trafen sich die Blicke der beiden Jungen, trotz dieser Aussage blieb damit immer noch der Verdacht gewaltig, nein, er wurde sogar noch ein wenig größer. Wer erzählte schon unangenehme Geheimnisse über Seto Kaiba weiter? „Mokuba, was um Himmelswillen weiß ich nicht über deinen großen Bruder?“ Joey hatte nicht erwartet, dass dieser Kaiba eine solche Vergangenheit besaß. Aber mit wem hatte sich der Junge damals geprügelt? Doch noch bevor der Kleine antworten konnte, unterbrach sie Doktor Sakurai. „Ich bin nicht hierhergekommen, um mich über die Vergangenheit einiger meiner Patienten zu unterhalten, sondern um herauszufinden, wie es um sie steht, Wheeler-kun.“ Sein strenger Blick ruhte auf den beiden Jungen und brachte den Blonden zum Schweigen. „Ich würde gerne wissen, was nach meinem Verschwinden gestern Nacht noch alles geschehen ist.“ Margerite nickte. „Ich war fast die ganze Nacht hier und ich kann dir versichern, dass er den Rest ruhig geschlafen hat. Es gab keine weiteren Zwischenfälle mehr.“ Sie hatte nun doch nicht mehr angefangen zu stricken und rollte den viel zu langen Faden auf dem Knäuel auf. Joey starrte auf die Bettdecke, er konnte sich zwar kaum noch an etwas erinnern, aber das, was ihm von seinem Traum noch einfiel, ließ ihn leise frösteln. Die Erinnerung an Bakura war das Letzte, was ihm jetzt noch gefehlt hatte. Ganz waren die Angst und der Schmerz aus seinem Traum nicht fort. Schweigend starrte er auf seine Handgelenke, denen es anscheinend gut ging. Doch immer wieder sah er die festen Stricke, die der Mann darum gewickelt hatte. In seinem Traum konnte er ihn nicht erkennen, doch jetzt wusste er, dass es Bakura gewesen war. Doch warum hatte er so etwas gesagt? Warum hatte Bakura ihm in seinem Traum gedroht ihn zu… Nein! Joey schüttelte heftig den Kopf, er wollte auf gar keinen Fall weiter denken. Erst ein leichtes Räuspern riss ihn wieder aus den Gedanken und schlagartig wurde ihm bewusst, dass er nicht alleine war. Joey konnte spüren, wie er puterrot wurde. Doktor Sakurai wollte lieber nicht fragen, warum der Blonden nun schon wieder aus allen Wolken fiel, außerdem gab es auch noch andere Dinge, die er für durchaus wichtiger hielt. Mokuba hingegen empfand das anders. Ungeniert beugte er sich nach vorne, bis er fast Joeys Nase berührte. „Na, woran hast du jetzt schon wieder gedacht? Sag schon, sag schon!“ Doch statt einer Antwort erhielt er nur einen finsteren Blick. Zwar hatte sich der Blonde vorgenommen, dem Jüngeren nicht alles vorzuwerfen, doch gab es Grenzen, die Mokuba mit erschreckender Regelmäßigkeit überschritt und jedes Feingefühl dabei vergaß. Dieses hier war so eine Grenze. „Das geht dich recht wenig an. Auch wenn du zur Familie Kaiba gehörst!“ Gab er als strenge Antwort. Der Kleine seufzte, er wusste genau, was damit gemeint war. Na gut, er hatte ja fragen müssen, obwohl man Joey seine Verlegenheit deutlich ansah. „Tut mir leid Joey, ich war mal wieder zu neugierig.“ Verlegen setzte er sich auf die Bettkante zurück. „Ich versuch mich zu bessern, versprochen!“ Kurz schaute er unentschlossen auf seine Hausschuhe herunter, bevor er breit grinsend in die rehbraunen Augen seines Freundes blickte. „Ist ja gut. Du hast mir das so oft versprochen, dass ich schon gar nicht mehr daran glaube.“ Joey konnte nicht anders, als ebenfalls zu lächeln. Es gab Leute, denen konnte man nicht böse sein und Mokuba und Yugi gehörten einfach dazu. Doktor Sakurai fühlte sich dezent überflüssig. Zumindest schien es allen Beteiligten gut zu gehen, das war zumindest etwas Gutes. Was ihn jedoch überraschte, war die prompte Entschuldigung des jungen Kaibas. Er hatte sogar sofort eingesehen, dass er zu weit gegangen war. Bei der aktuell sehr wechsellaunigen Stimmung des Pubertierenden, war dies etwas Seltenes. Verwundert stellte er überdies fest, dass Mokubas Erscheinungsbild ein wenig zu wünschen übrig ließ. Fragend hob er eine Augenbraue und schaute zu seiner alten Bekannten hinüber, die ihre Wolle und ihr ganzes Strickwerk in dem kleinen Korb neben dem Stuhl verstaut hatte. „Nachher.“ Flüsterte sie. „Bei einem heißen Tee.“ So zauberte sie ein Lächeln auf die schmalen Lippen des älteren Herren, die Aussicht auf einen heißen Tee war etwas Wunderbares. „Ich glaube, ich schaue mal nach, ob Seto schon wach ist. Bisher habe ich ihn noch nicht gesehen.“ Mokuba rutschte vom Bettrand herunter und verbeugte sich noch kurz vor dem Arzt. Mit einem etwas fiesen Lächeln ging er zur Tür und bevor er sie hinter sich schloss, drehte er sich noch einmal zu Joey um. „Ich hoffe nicht!“ Innerlich hatte der Schwarzhaarige sich beruhigt, aber die Röte auf seinen Wangen war noch nicht ganz verschwunden. Was hatte er eigentlich verbrochen, dass Noah ihn immer wieder so ärgern musste? Aber das Schlimmste an der Sache war ja, dass es ihm immer unendlich peinlich war. Seufzend schlenderte er den Flur entlang, er musste langsam etwas ändern. Selbst die Jungen aus seiner Klasse machten sich über ihn lustig, von ihren Bemerkungen mal ganz abgesehen. Mit einem noch viel längerem Seufzer dachte er an Aiko. Sie war so ziemlich die einzige, bei der es ihm nichts ausmachte, wenn sie lachte. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass er genau wusste, dass sie es nicht böse meinte. Nun umspielte ein Lächeln seine Lippen, das selbst Seto vor Neid erblassen ließe. Es gab kaum einen, der sich so viele Möglichkeiten ausdenken konnte, die anderen an ihrer Nase herumzuführen wie er. Selbst Margerite schöpfte nicht den leisesten Verdacht, wo er gestern Nacht wirklich war. Seinen Bruder auszutricksen war eigentlich schon zu leicht, dass durfte er mittlerweile gar nicht mehr mitzählen. Ihn konnte er locker mit einer seiner berühmten superkurzen-drei-Worte E-Mail abspeisen. Nur bei der alten Köchin musste er aufpassen. Sie war die einzige, die ihm noch gefährlich werden konnte. Aber wie gesagt, bisher schöpfte auch sie keinen Verdacht. Na ja, er war mittlerweile 17 und er tat weder etwas Verbotenes, noch gab es einen Grund, es allen zu verheimlichen. Manchmal fragte er sich, warum er es Seto nicht endlich sagte. Aber jedes Mal, wenn er darüber nachdachte, wurde es ihm wieder klar. Damals hatte er seinem großen Bruder nichts gesagt, weil er einfach die Nase voll davon hatte, dass dieser sein Leben bestimmte und eigentlich ALLES wusste. Das war kindisch gewesen, aber er bereute es nicht. Heute hatte er eine andere Sorge: wahrscheinlich wäre sein Bruder strickt gegen diese Beziehung, denn er lag mit ihrem Vater im Clinch. Vielleicht hätte er sich in ein anderes Mädchen verlieben sollen, aber in dieser Romeo und Julia Geschichte steckte er nun fest. Grinsend schlenderte er den Flur entlang hinüber in den hinteren Teil des Flügels in diesem Stockwerk. Seto hatte sich gleich die gesamten hinteren Zimmer umgebaut und einen Komplex aus mehreren Arbeitszimmern, seinem Schlafzimmer, einem Meditationsraum und einem kleinen Dojo errichtet. Immer schneller wurden seine Schritte, bis er schließlich anfing zu rennen. Wieso er dies machte, wusste er nicht. Vielleicht war es der Gedanke an das Risiko, das er dabei einging. Er achtete schon längst nicht mehr auf den blauen Teppich und die edlen Leuchter an den Wänden. In diesem Teil gab es keine Fenster, weil er in der Mitte des Stockwerkes lag. Schnell griff er nach einer Ecke, um nicht groß abbremsen zu müssen, wenn er sie nahm. Jetzt gelangte er in den Teil, wo wieder die großen Fenster die Flure schmückten und alles erhellten. Ohne nach draußen zu schauen, bog er erneut um die nächste Ecke und blieb vor einer schwarzen Ebenholztür stehen. Keuchend schnappte er nach Luft und stützte sich an der Wand ab. Nun glühten seine Wangen wieder rot und sein Herz schlug schneller, als er es auszuhalten glaubte. Für einen Augenblick versuchte er, wieder zu Atem zu kommen, bis er schließlich aufgab. So schnell würde es eh nicht gehen. Sein Blick lag auf der schwarzen Holztür, hinter der sich Setos Schlafzimmer befand. Vorsichtig drückte er sein Ohr gegen das Holz, doch er konnte nichts hören. Entweder schlief sein Bruder oder er war nicht mehr in diesem Zimmer. Zögernd griff er nach der Türklinke und drückte sie herunter. Leise öffnete er die Zimmertür und schlich hinein. Die Vorhänge waren noch zugezogen, sodass nur wenig Licht in den Raum fiel. Auf Mokubas Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, als er erkannte, dass sein großer Bruder noch schlief. Es war wirklich selten, dass Seto um diese Uhrzeit noch im Bett lag. Geräuschlos trat der Schwarzhaarige an das mit dunkelblauem Stoff bezogene Bett heran. Der Brünette lag auf dem Rücken, die Decke bis zu seinem Bauch zurückgeschoben und die rechte Hand unter dem Kopfkissen verborgen. Doch in seinem Gesicht war eindeutig die Anspannung zu sehen, die Seto wohl nie ganz verlieren würde. Mokuba grinste fies, er war halt durch und durch ein Kaiba. Die Vorstellung, seinen ach so korrekten Bruder unsanft aus dem Schlaf zu reißen, gefiel ihm sehr gut. Doch zuerst musste das ganze Spektakel ins richtige Licht gerückt werden. Schmunzelnd wand er sich den Vorhängen zu und ganz plötzlich riss er diese auf. Sofort flutete das helle Tageslicht in den Raum und zufrieden hörte der 17-Jährige ein tiefes Grummeln und das Rascheln der Bettdecke. Leise trat er zurück neben das Bett und zu seiner vollsten Befriedigung sah er, dass sich der Brünette auf die rechte Seite gedreht hatte. Noch einmal tief durchatmend betrachtete er den so friedlich Schlafenden. Plötzlich schrie er so laut er nur konnte. „ONIIIIIIIIIIIIIII-CHAN!“ Erschrocken zuckte Seto zusammen und ein leiser Schrei entfuhr ihm. Mokuba dagegen ließ sich einfach auf das Bett neben seinen Bruder fallen und grinste ihn begeistert an. Sein Plan hatte erfolgreich geklappt. „Guten Morgen!“ Der Angesprochene verstand im ersten Moment nicht, was geschehen war und starrte nur entgeistert in das Gesicht seines Bruders. Seufzend grummelte er etwas als Antwort und zog das Kopfkissen noch etwas näher zu sich heran. Mokuba konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, Treffer versenkt! Müde schloss Seto die Augen und vergrub seine Finger im feuchten Stoff. Da dieser anscheinend zu keiner Antwort bereit war, sprach der Kleinere einfach weiter. „Auweia, du hast echt bis eben noch tief und fest geschlafen. Hast du eigentlich eine Ahnung wie spät es ist?“ Wieder kam nichts als ein tiefes Brummen, zumindest öffnete er langsam seine blauen Augen. „Nein, hab ich nicht und um ehrlich zu sein, ist es mir auch egal.“ Mokuba konnte nicht mehr aufhören zu grinsen, sein Bruder war gerade wirklich aus allen Wolken gefallen. Obwohl er ihm schon fast ein bisschen leid tat, so fertig, wie er wirkte. „Man, du bist heute echt verpeilt.“ Lachend rückte er näher zu seinem Bruder. „Hilfe, wer bist du! Mein Bruder wurde entführt!“ Neckte ihn Mokuba und seine blauen Augen leuchteten freudig. Er war noch immer aufgewühlt, ein wenig überdreht. Mit einem „Hahaha“ rappelte der Brünette sich auf und stützte sich mit den Ellenbogen auf der Matratze ab. Fragend zog der junge Mann eine Augenbraue hoch, nachdem er seinen kleinen Bruder eingehend gemustert hatte. Den offenen Gürtel konnte er zwar nicht sehen, weil Mokuba auf dem Bauch lag, doch die Krawatte hing halb heraus gezogen herunter und die obersten Hemdknöpfe standen offen. „Sag mir lieber, wem du zum Opfer gefallen bist?“ Mokuba drehte sich auf den Rücken, um sich aufzusetzen. „Erst wenn du mir verrätst, was du gemacht hast, damit man dich heute nicht aus dem Bett bekommt.“ Verlegen versuchte er sich damit etwas Zeit zu verschaffen. Kurz musterten die eisblauen Augen den 17-Jährigen und er wägte ab. Seufzend gab Seto sich geschlagen. „Nichts Unerwartetes. Ich habe mal wieder bis spät in die Nacht gearbeitet. Und du?“ Sofort wurde Mokuba wieder rot. Na wunderbar, das hatte er wieder toll hinbekommen. Er hatte sich eher etwas zu Joey erhofft und keine abweisende Antwort, bei der er sofort wieder zum Zug gezwungen wurde. „Also, vorhin... da, na ja,... wie soll ich sagen,... es...“ Er schluckte, warum immer er? Es war ihm unglaublich peinlich. „Vorhin auf dem Flur bin ich Noah begegnet und der hatte wegen gestern noch ne Rechnung zu begleichen. Tja, ich glaube, du kannst dir ganz gut vorstellen, was dann geschehen ist.“ Seto schüttelte den Kopf. Das hätte er sich auch gleich denken können. „Wie alt bist du eigentlich?“ Leise lachte er. „Du bist mit deinen 17 immer noch so naiv, wie vor fünf Jahren.“ Nun grinste der Brünette seinen recht verlegenen Bruder an, bis ihm plötzlich etwas einfiel. „Sag mal Mokuba, wolltest du nicht bei einem Freund übernachten? Hast du zumindest so geschrieben.“ Der Kleinere legte den Kopf schräg und überlegte. „Wieso, hab ich doch auch. Nur das ich schon um kurz vor neun zurück gekommen bin. Hast du wohl verschlafen.“ Breit grinsend ließ er ein Bein aus dem Bett baumeln und schaute zum Fenster. „Ach ja, Joey geht's auch wieder besser. Sakurai-hakase ist gerade da und nimmt ihn auseinander. Sag mal, kennen sich die zwei?“ Müde nickte der Brünette. Wie konnte man nur jetzt schon so munter sein? Gegenfrage: warum war er immer noch so müde? „Seto, was ist denn nun? Woher kennt Jo-chan unseren Hausarzt?“ Mokuba hatte sich zu seinem Bruder umgedreht, doch sein Nicken vorher nicht mehr gesehen. „Sakurai-hakase ist ebenfalls in der Schreinerei Kunde, in der dein JO-CHAN arbeitet!“ Na wunderbar, womit hatte er nur zwei solche Brüder verdient? Gleich zwei Kleinkinder auf einmal! „War das etwa der Grund, warum du mich aus dem Bett geschmissen hast?“ Seto hätte glatt bis zum Mittag durchschlafen können. Wie um seine Worte zu unterstreichen, musste er gähnen. Mokuba zögerte nicht lange. „Nein, aber wenn du darauf bestehst, werde ich das aus dem Bett schmeißen sofort nachholen.“ Laut lachend sprang er vom Bett herunter und griff nach der Decke, um sie zu sich zu ziehen. „Untersteh dich, Mokuba! Das würdest du bereuen!“ Augenblicklich kam Leben in den verschlafenen jungen Mann. Wütend packte er den Kleinen am Handgelenk und hielt ihn fest. Zum Glück musste Mokuba nur noch mehr lachen. „Hej, das ist gemein. Lass los, Onii-chan!“ Seine Stimme hatte etwas Kindliches, doch kaum das er sich wieder gefangen hatte, beugte er sich vor. Sein Bruder hatte immer noch diesen verschlafenen Blick, dazu hingen ihm seine brünetten Haare in Strähnen in die Augen und die Pyjamajacke war über seine linke Schulter gerutscht und legte diese so frei. „So verschlafen siehst du richtig niedlich aus, Se-chan!“ Ruckartig zog Mokuba seine Hand aus Setos Griff und rannte zur Tür. Noch bevor er ganz verschwand, drehte er sich ein letztes Mal zu dem jungen Mann um. Dieser saß völlig verdattert auf dem Bett und starrte seinem kleinen Bruder mit einem halb entsetzten, halb ungläubigen Blick nach. Noch im selben Augenblick fiel die Tür zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)