Deep within my Heart von CaitLin (flows the sand of the desert) ================================================================================ Kapitel 3: Entscheidungen ------------------------- Langsam schritt Kareef durch die schwach beleuchteten Flure, vor ihm lief das Dienstmädchen, das ihm ein Gästezimmer zuweisen sollte. Die Fackeln an den Wänden spendeten nur spärliches Licht, wilde Schatten tanzten an den Decken und entfachten ein liebloses und fast beklemmendes Gefühl in seiner Brust. Kalt wirkte es, seit Naji nicht mehr durch diese Gänge schritt. Zu genau erinnerte er sich an die Tage, die er mit Hani hier verbracht hatte, erinnerte sich an dieses wunderbare kleine Geschöpf, das ihm so sehr ans Herz gewachsen war. Jetzt war dieses Geschöpf nicht mehr ganz so klein und die blauen Augen strahlten ihn zwar nicht mehr so begeistert an, doch waren sie noch immer so klar wie ein kühler Bach. Fast zufällig glitt sein Blick aus den hohen Fenstern hinaus, eine Bewegung hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Aus diesem Winkel der Gänge konnte man die kleine Terrasse des jungen Herrn erkennen. Was Kareefs Aufmerksamkeit erregt hatte, waren die wild flatternden Stoffe. „Bitte, mein Herr.“ Das Mädchen öffnete ihm die Tür, deutete hinein und verneigte sich tief. Kareef nickte nur und winkte ab, ein Zeichen, dass sie sich entfernen durfte. Ohne jedoch den Blick abzuwenden. Was tat er da…? Die zarten, fast durchsichtigen Stoffe umspielten die Umrisse des jungen Mannes. Hani war etwas stattlicher als Kherim, das hatte Kareef sofort bemerkt. Denn obwohl Kherim mit allerlei Köstlichkeiten regelrecht belagert wurde, aß er doch sehr wenig. Hani schien es hier weitaus besser zu gehen. Langsam wandte Hani das Gesicht ein wenig zur Seite, mit einem kräftigen Windstoß wirbelte sein langes, gewelltes Haar durch die Nacht, die ebenso schwarz und seidig zu sein schien. Die schönen, blauen Augen trafen die Kareefs. Beide verharrten für einen sehr langen Moment. Junge, blaue Augen bohrten sich tief in Kareefs Seele, drangen tief in ihn ein und begannen sich durch seine Venen hindurch zu nagen. Das Gefühl war nicht unangenehm, es verursachte ein seltsames Prickeln im Nacken des Älteren. Kareef und Hani musterten einander, bis Hani sich mit einem kleinen Lächeln das Haar aus dem Gesicht strich und sich abwandte. Glaubte Kareef das Geräusch nackter Füße auf kühlem Stein zu hören? Allerdings war er dafür zu weit entfernt. Kareef erwachte aus seiner Starre und blinzelte ein paar wenige Male, ehe er sein Zimmer betrat und die Tür hinter sich schloss. Noch während er sich seiner Kleider entledigte, spürte er die brennenden Blicke des Jungen auf sich. Seltsam… Doch ihm blieb kaum die Gelegenheit einen klaren Gedanken zu fassen. Er würde ein, zwei Stunden schlafen und sich dann in Najis Arbeitszimmer begeben. Sein Kampf würde noch vor Morgengrauen beginnen. Vor dem alten Arbeitszimmer des Naji waren zwei Männer postiert, die niemanden hinein ließen. Erst am späten Nachmittag verließ er den Raum. „Lasst niemanden hinein. Nicht einmal Sabir“, befahl er seinen Männern. Er musste vorsichtig sein, vielleicht würde Sabir es selbst nicht wagen sich zu diesem Raum Zugang zu verschaffen, doch sie hatte genügend treue Bedienstete. Es wäre ein leichtes für sie dort Dokumente zu entwenden. Nachdem er von mehreren Urkunden Kopien angefertigt hatte, hatte er die Originalen mit dem Siegel des Sultans an sich genommen. Ein Dokument allerdings vermisste er. Die Besitzurkunde… Sie war nicht hier im Arbeitszimmer, doch wer hatte sie? „Ja, Herr.“, antwortete ihm einer der Männer. Mit langsamen Schritten begab er sich in die Hallen hinunter, hier war es schon viel belebter. Mädchen liefen umher, erledigten ihre Aufgaben. Von draußen her wehte zudem das Wiehern der Pferde herein. Kareef trat hinaus, sofort erhoben sich seine Männer, die draußen vor dem Hauptgebäude unter dem Pavillon saßen. Die Ställe waren gut sichtbar und nur ein paar Meter von ihnen entfernt. „Herr!“ Sie legten die rechte Hand auf die Brust und verneigten sich. „Hat Hani das Haus heute verlassen?“, fragte er Naim nickte. „Er ist schon seit dem frühen Morgen fort. Ich habe ihm einen Mann hinterher geschickt.“ Kareef nickte ebenfalls und ließ sich auf den weichen Polstern zwischen seinen Männern nieder. Man brachte ihnen Speisen und Getränke, doch Sabir ließ sich nicht blicken, für gewöhnlich sah sie stets nach dem Rechten und vergewisserte sich, ob ihre Gäste ausreichend versorgt wurden. Die Frau hatte scheinbar im Augenblick ganz andere Sorgen. Und auch wenn es sehr still war, fiel es Kareef schwer seine Gedanken zu zähmen. Wenn Sabir es wirklich wagen sollte den Jungen fort zu schicken, würde der Sultan sie dafür hinrichten lassen. Die Frau war allerdings verrückt genug um wirre Schritte zu gehen, denn er hatte diesen seltsamen Glanz in ihren Augen gesehen, der von Wahnsinn zeugte. Bald würde er fort müssen, doch er konnte Hani nicht einfach so zurück lassen. Mitnehmen konnte er ihn genauso wenig. Er nippte an seinem Tee und blickte mit ruhigen, gedankenverlorenen Augen auf das verschlossene Tor. Der Junge musste mit allen Mitteln beschützt werden. „Naim…“ Der junge Mann hob den Kopf. „Ja, Herr?“ Kareef wandte ihm langsam das Gesicht zu. „Wenn ich ginge, würdest du mir die Güte beweisen und an Hani’s Seite verweilen, bis ich zurück kehre?“ Sofort verneigte sich Naim tief, legte seine rechte Hand dabei wieder auf sein Herz. „Selbstverständlich, Herr.“ Er hob wieder den Kopf. Ihre Blicke begegneten sich. Und Naim schien zu ahnen, was Kareefs Beweggründe waren. „Macht Euch keine Gedanken, Herr. Ich werde ihn vor jedem Übel bewahren und mag es noch so klein erscheinen.“ Seine Worte ließen Kareef lächeln, sanft legte er die Hand auf die Schulter Naims. „Ich danke dir.“ Knarrend öffneten sich die Tore und Hani’s perlweiße Stute wieherte laut, als würde sie ihren Herrn ankündigen. Die helle Mähne wehte im trockenen Wind der Wüste, verbarg Hani fast vollständig. Sofort rannten die Knechte auf ihn zu und hielten die schöne Stute am Halfter fest, ließen ihn absteigen. Die Stoffe, die er um seinen Körper trug raschelten dabei und der Sand unter seinen Sandalen knirschte leise. Er wechselte mit den Stallknechten ein kurzes Wort, klopfte seinem Pferd dabei auf den schlanken Hals und wandte sich schließlich ab. Mit leichten Schritten bewegte er sich auf den Pavillon zu, sofort erhoben sich die Männer doch Hani hob die Hand, deutete ihnen sich wieder zu setzen. „Lasst Euch von mir nicht stören.“, sagte er mit einem sanften Blick. Die Männer ließen sich wieder auf die Kissen sinken, wenn auch ein wenig verunsichert. Immerhin war er der junge Herr, sie durften nicht respektlos erscheinen. Auch Kareef. Hani wirkte müde, wo hatte er den ganzen Tag nur verbracht? Die Tücher verbargen teils sein Gesicht und hatten ihn vor Sand und Sonne geschützt, seine Kleider waren allerdings sehr verstaubt. Seine Augen trafen die Kareefs. „Ich hoffe, dass man sich gut um euch kümmert.“, fragte er ruhig und schien sich ein wenig unwohl zu fühlen. „Verzeih mir, ich kann dir keine große Hilfe sein. Doch wenn du etwas brauchen solltest, zögere nicht mich zu fragen. Egal wie klein und unbedeutend es sein mag.“ „Ich danke Euch, junger Herr.“ Kareefs Blick wurde sanft, während er den Jungen betrachtete. Es fiel ihm noch immer schwer das Baby Hani in diesem jungen Mann zu sehen. Was hatte er um Himmels Willen erwartet, dass er noch immer der Säugling von damals war? Dabei hatte er geglaubt, es einfacher hinnehmen zu können, denn immerhin hatte er ständig Kherim um sich herum gehabt, hatte ihn aufwachsen sehen. „Auch wenn es einem jungen Mann Eures Standes nicht gerecht sein mag, so würden es uns erfreuen, wenn Ihr Euch zu uns setzen würdet. Ihr habt doch noch nichts essen können?“, fragte er vorsichtig. Aber Hani kam so sehr nach Naji… er lächelte bezaubernd, seine Wangen leuchteten in einem zarten Rot auf. „Esst ihr nur, ich werde in meinen Räumen speisen.“ Doch auch Kareefs Männer stimmten mit ein, rutschten näher beisammen und machten ihm Platz. „Setzt Euch, junger Herr.“, baten sie. Auch sie sahen die Sanftmut, sahen die Grund auf ehrliche Seele und das reine, vollendete Herz. Aus diesem Jungen hätte ein großartiger Mann werden können, an Najis Seite. Zu früh war er gegangen, zu früh hatte er Hani ihnen anvertraut. Wer würde sich um die Weiterbildung des Jungen kümmern? Würde das reine Herz verkommen, in den Händen eines falschen Menschen? Noch war er jung, er kannte nur dieses Gestüt und die Wüste um dieses herum. Wenn man es schaffen würde die Pforten der Welt für ihn zu öffnen, könnte ein großer Mann aus ihm werden. Kareef streckte die Hand nach ihm aus, duldete keine Widerworte. Er zögerte nur einen winzigen Augenblick, dann nahm Hani die große, warme Hand, die so viel kraftvoller und breiter, als seine eigene war. Sanft zog er den Stoff aus seinem Gesicht und ließ sich auf einem der riesigen Kissen nieder. Da sprang Kareef etwas ins Auge. Ein kleines, grünes Blatt, das auf seiner Schulter lag. Und erinnerte sich dabei an Najis Worte damals, dass Hani sich stets in einer kleinen Oase aufhielt. Gerade kam eine Dienerin herbei um den Männern ihren Tee aufzufüllen, denn sie waren längst fertig mit dem Essen und waren zu Tee und Gebäck über gegangen. Sie erstarrte ruckartig, fast wäre ihr das Tablett mit den heißen Kannen herunter gefallen. „Junger Herr!“, rief sie entgeistert. Sämtliche anwesenden Männerköpfe hoben sich und sahen das Mädchen an. Auch Hani. „Was gibt es?“, wollte dieser nur wissen. „Ihr… Ihr könnt doch nicht hier sitzen! Bei… bei den Männern!“ Hani hob eine Augenbraue. „Ich möchte aber. Zudem bin ich ja nicht der Sohn des Sultans, also verstehe ich nicht warum ich mich nicht hier aufhalten sollte?“ Er musste sich leicht nach vorn beugen, um sie anzusehen, denn Kareef, der neben ihm saß, versperrte ihm mit seinen breiten Schultern fast die Sicht. „Ich werde hier essen.“, verkündete er ruhig. Das Mädchen erbleichte und starrte Kareef verzweifelt an. Dieser aber blickte, sich dessen völlig bewusst, nach vorne und beobachtete den Stallknecht, der Hani’s Stute in die Ställe führte. „Ich… ich werde Euch sofort etwas bringen lassen…!“ „Gib her Mädchen, ich mache das schon.“, sagte einer der älteren Männer und klopfte neben sich auf den Boden, deutete ihr die Kannen hinzustellen. Das Mädchen kam der Aufforderung nach und verschwand schnell im Haus. „Manchmal benehmen die sich seltsamer als ich.“, meinte Hani und die Männer um ihn herum prusteten und brachen in einen kleinen Lachanfall aus, verstummten aber als Kareef ihnen einen scharfen Blick zuwarf. Er selbst konnte allerdings nicht verhindern, dass sich ein breites Lächeln auf seinen Lippen ausbreitete. Auch Hani lächelte ihn verlegen an, schien sich zwischen den Männern recht wohl zu fühlen. Kareef bemerkte nicht einmal wie oft er und der Junge Blicke austauschten. Es war nicht bewusst, doch der Junge hatte noch immer etwas an sich, das ihn in seinen Bann zog. „Eure Stute ist wunderschön, junger Herr.“, bemerkte einer der älteren anerkennend. In der Gruppe saßen Männer in Kareefs Alter, drei an der Zahl. Einer von ihnen hatte bereits schlohweißes Haar, das er zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden hatte. Selbst sein Ziegenbart wies nicht eine schwarze Stoppel auf. Das war der Mann, der die Kannen entgegen genommen hatte. Der Rest der Männer bestand aus Naim und vier weiteren jungen Männern im Alter zwischen einundzwanzig und fünfundzwanzig. Hani’s Augen leuchteten bei der Erwähnung seines Pferdes auf. „Oh ja, das ist sie. Mein Vater hat sie ganz besonders liebevoll groß gezogen, bis ich so weit war um mich selbst um sie zu kümmern.“ Der junge Mann lächelte stolz und grinste Kareef so süß an. „Sie war ganz schön stur, hat niemanden auf sich reiten lassen. Aber mein Vater hat sie gebändigt. Die Stallknechte nannten sie den weißen Teufel.“ Er lachte. Kareef s große Hand legte sich auf die Schulter des Jungen. „Euer Vater war ein großartiger Mann.“ Hani’s Lächeln verblasste leicht, verwundert hatte er Kareef angesehen, doch den Blick gesenkt. „Das… war er, ja.“ Schwach nickte er und blickte auf die niedrige Tischplatte. Betretenes Schweigen trat für einen Augenblick ein, in stiller Übereinkunft und widmeten diesen Moment Naji. „Ihr werdet ein genauso großartiger Mann werden.“, brach der Mann mit dem langen weißen Haar schließlich das Schweigen und nickte Hani zu. Jetzt hob der Junge den Kopf, er hatte sich wieder unter Kontrolle. „Könnte ich nur ein Sandkorn von dem sein, was er einst war… darüber wäre ich schon froh.“, erwiderte Hani und ein kleines Lächeln zeigte sich wieder. Schnelle Schritte huschten über den Hof, Stoffe wehten umher. „Hani!“, rief Sabir’s strenge Stimme. Mit ihren Kammermädchen an ihrer Seite standen sie ein Stück vom Pavillon entfernt. Sofort erhoben sich die Männer, verneigten sich leicht. Doch Sabir beachtete sie nicht, ihr Blick war unverwandt auf Hani gerichtet, der dort neben Kareef saß. „Hinein mit dir!“, befahl sie streng. „Du hast hier nichts zwischen den Männern verloren!“ Die Männer blickten etwas betreten drein. Eigentlich hatte Sabir ja recht, ein adeliger Junge hatte nichts zwischen einfachen Boten zu suchen. Nicht einmal wenn es Kareefs Männer waren. „Ihre Gesellschaft ist angenehm, ich sitze gerne hier.“, erwiderte Hani nur ruhig. Sabir konnte kaum glauben was sie hörte. „Es geziemt sich nicht für einen jungen Mann deines Standes…“, begann sie, wurde jedoch von Hani unterbrochen. „Mein Vater hat auch immer mit ihnen gemeinsam hier gegessen und gespeist, ich wüsste nicht was dagegen spricht, wenn ich es ihm gleich tue.“ Die Frau verlor jede Fassung, ihr zornerfüllter Blick fuhr schlagartig rüber zu Kareef. Jetzt sah er sie an, mit ruhigen, neutralen Augen. Er wusste genau was sie dachte, denn ihre Blicke sprachen für sich. Sie beschuldigte ihn dafür, Hani Flausen in den Kopf gesetzt zu haben. „Wie du willst. Bringt ihm etwas zu essen!“, blaffte sie die Mädchen an. Mit wehenden Gewändern verschwand sie schließlich. Hani blickte ihr hinterher und sah dann in die Gesichter der Männer. Besonders der Mann mit dem weißen Haar grinste breit hinter seinem Tee. „Auf Euer Wohl, mein Junge.“, sagte er und hob ihm sein Glas entgegen, ehe er daraus trank. „Mein Vater war euer Freund.“ Er sah in die Runde und nickte nur. „Ich glaube nicht, dass es mir schaden könnte an eurer Seite zu sitzen. Vielmehr könnte ich von euch lernen, mehr als von diesen seltsamen Lehrern, die Sabir mir aufzwingt.“ Wie ein stolzer Hirsch saß Hani zwischen den Männern, aß als man ihm etwas brachte und lauschte ihren Unterhaltungen. Noch als es dämmerte saßen die Männer dort. Erst nach und nach verabschiedeten sie sich, bis Kareef und Hani alleine waren. „Hast du dich im Arbeitszimmer meines Vaters zurecht gefunden ?“, fragte Hani schließlich langsam und sah zum Himmel auf. Warme Pastellfarben zogen sich wie ein Traumbild über den weiten, klaren Himmel. „Ja, junger Herr.“, erwiderte Kareef sanft und sah ihn von der Seite an. Ganz langsam öffnete Hani seinen Turban. Der Stoff raschelte und glitt lautlos zu Boden. Sein kohleschwarzes, gewelltes Haar fiel ihm in die Wangen, umschmeichelte diese sanft. Da entdeckte er ein weiteres, grünes Blatt im Haar des Jungen. Eher unbewusst streckte er die Hand aus, es war ein Reflex und zog es ihm sachte aus dem Haar. Hani lächelte bei dem Anblick schwach. „Naji hat mir erzählt, dass du dich oft in einer kleinen Oase aufhältst.“ Kareef betrachtete das Blatt, ehe er es Hani in die Hand legte, der diese danach ausgestreckt hatte. Mit einem Finger strich er über das grüne Blatt. „In der Oase überkommt mich das Gefühl des Friedens.“, antwortete Hani langsam. Kareef beschwor vor seinem inneren Auge Hani’s Bild hervor, als er mit ihm in der Oase gebadet hatte. Völlig fasziniert hatte er geplanscht, hatte die Blätter betrachtet, die auf die Wasseroberfläche geglitten waren. Hani fühlte sich unwohl, deswegen entfernte er sich fast den ganzen Tag vom Anwesen. Und Kareef konnte es ihm nicht einmal verübeln. „Das mag jetzt etwas seltsam erscheinen und vielleicht geziemt es sich nicht, wie Sabir es immer ausdrückt, aber… in deiner Nähe fühle ich mich genauso wohl.“ Er blickte verlegen zum Tisch und nahm sich eine Dattel. Hani ahnte nicht einmal ansatzweise was seine Worte in Kareef auslösten. Ein warmes Gefühl erfüllte die Brust des Mannes. „Ich kann es nicht erklären, doch seit ich dich gestern das erste Mal sah habe ich eine Wärme bei dir verspürt. Eine ähnliche Wärme, die ich auch bei meinem Vater empfunden habe. Und doch gibt es einen kleinen Unterschied, den ich nicht zu erklären vermag.“ Hani betrachtete Kareef mit einem warmen Blick, der bis zu Kareefs Seele hindurch drang. „Mir ist als wärst du ein Teil meines Lebens, doch ich kenne deinen Platz noch nicht.“ Kareef legte seine Hand auf den Hinterkopf des Jungen, strich ihm kurz über das Haar. „Ich glaube, das wissen wir beide erst, wenn etwas mehr Zeit verstrichen ist.“, erwiderte er sanft und erhob sich schließlich langsam. Ob sich die Seele des Jungen erinnerte? An damals? Schon damals hatte Kareef sich ihm sehr verbunden gefühlt und eben dieses Gefühl war um keinen Tag verblasst. Doch, dass Hani ebenfalls so zu empfinden schien verblüffte ihn. Doch der Junge war zu der Zeit kaum ein Jahr alt. Also war es schier unmöglich, dass er sich erinnerte. „Wir sollten hinein gehen, junger Herr. Es wird langsam kühl.“ Kareef streckte die Hand nach ihm aus und half ihm sanft auf die Beine. Mit raschelnden Gewändern erhob sich Hani und stand dicht vor Kareef, blickte leicht zu ihm hinauf. „Wie lange wirst du bleiben?“, fragte er langsam. „Das weiß ich noch nicht. Eigentlich müsste ich so schnell wie möglich zurück und dem Sultan Bericht erstatten.“ Hani schien mit sich selbst zu ringen. „Er wird wohl nicht herkommen… zur Bestattung meines Vaters?“ Ein kleiner Stich durchfuhr ihn. „Nein, leider nicht.“ Den Sultan grämte es der Beisetzung seines Bruders nicht beiwohnen zu können, doch die Angst Hani gegenüber zu stehen, war für den Herrscher unerträglich groß. Für die Menschen war Hani noch immer ein böses Omen, doch warum er und nicht Kherim? Hatte das Schicksal bestimmt, welcher Zwilling der Unheilbringer war? „Ich verstehe…“, erwiderte er nur leise und senkte wieder den Blick. Lange betrachtete Kareef das schöne Gesicht. Wie sollte er dem Jungen Trost spenden? „Ich bin froh, dass du da bist…“, sagte Hani mit einem aufrichtigen Blick und betrat noch vor Kareef das Anwesen. Trotz einer gewissen Trostlosigkeit, die der junge Mann ausstrahlte, war sein Gang stolz. Es war ihm nicht bewusst, doch er verglich Kherim und Hani sehr oft miteinander. Jede Bewegung, jede Mimik. Jede Geste. Und dabei wirkte Hani so völlig anders. Dass Kherim krank war, war längst kein Geheimnis mehr. Sämtliche Ärzte des Landes waren nicht in der Lage die Ursache zu erkennen. Aber Hani schien, dem Himmel sei Dank, nicht davon betroffen zu sein. Er war ein gesunder Bursche mit rundlichen Wangen und einer kräftigen Statur. Insgeheim hegte Kareef einen kleinen Wunsch, den er nicht auszusprechen vermochte, doch er wünschte sich, Hani hätte Kherims Platz eingenommen. Die Tage vergingen nur sehr langsam, Kareef verbrachte sie im Arbeitszimmer und Hani außerhalb der Mauern. Erst gegen Abend, wenn es kühl wurde, kehrte der Junge heim und nachdem er gegessen hatte, begab er sich zum Leichnam seines Vaters, um der Totenwache beizuwohnen, die drei Tage dauerte. Schließlich erfolgte am vierten Tag die Trauerzeremonie, die streng bewacht vollzogen wurde. Die Frauen des Hauses trugen schwarze Gewänder, sie weinten, während der heilige Mann vor der Bahre stand, die anderen Männer dicht hinter ihm. Hani allerdings hatte seinen Platz an der Seite des heiligen Mannes eingenommen. Jede Handbewegung, jedes Gebet, das er stumm und nur mit den Lippen verfolgte, war perfekt. Er erwies seinem Vater die letzte Ehre so gut es ihm möglich war. Etwas abseits weinten die Frauen und beklagten den Tod eines gutmütigen Mannes, der ein Herz besessen hatte, das größer und mächtiger war, als der wirre Aberglaube der Menschen. Zum trotz all dieser Narren hatte er seinen Neffen als seinen eigenen Sohn aufgenommen. Die Warnungen, das Kind würde Unheil über ihn und seinesgleichen bringen, hatte Naji immer schon ignoriert. Die Stimme des Mannes hallte ihm noch immer in den Ohren wider. „Glaube ist nichts schlechtes, Kareef. Er ist mächtig, denn vielen Menschen verleiht er Mut und Kraft. Jene, die den Hintergrund der Weisheiten verstehen lässt er wachsen. Doch jene, die Blind und ohne eigenen Willen sind, dient er lediglich als Pfad, der sie blind und empfänglich für den Hass macht.“ Jene Worte hatte er ihm zugesprochen, als Kareef noch jung und unerfahren den Pfad des Soldatentums eingeschlagen hatte. Noch während der Gebete fing Kareef allerdings immer wieder kalte, hasserfüllte Blicke auf. Sie kamen mittlerweile nicht nur von Sabir, auch die anderen Frauen starrten öfter zu Hani. Kareef blickte schräg zu ihm hinunter. Der Junge schien es nicht zu merken… Und er begann sich zu fragen, was geschehen mochte, sobald er diesen Ort mit den nötigen Unterlagen verließ. Wäre Hani hier noch sicher? Würden die Menschen es wagen, ihm Leid zuzufügen, jetzt wo es niemanden mehr gab, der ich beschützte? Zum Gebet gehörte der Moment des Schweigens, die Menschen neigten ihre Häupter und blickten auf ihre Füße nieder, legten die rechte Hand auf ihre Brust, dort wo ihr Herz schlug. Dies war der Zeitpunkt des persönlichen Abschieds, des persönlichen kleinen Gebets, das man den Toten schenkte. Auch Kareef senkte sein Haupt, jedoch erregte eine Bewegung aus Hani’s Richtung seine Aufmerksamkeit. Er blickte nicht zu Boden, wie alle anderen. Seine Augen waren gen Himmel gerichtet, als würden sie etwas suchen. Der strahlend blaue Himmel blickte ebenso sanft zurück. Für den Bruchteil einer Sekunde hielt Kareef den Atem an. Ein schwaches, silbriges Licht begann sich um den Körper des Jungen zu winden. Der Schein wurde intensiver, als das Sonnenlicht das Gesicht Hani’s umschmeichelte. Doch so schnell es kam, so schnell war das Licht auch schon wieder fort. Ein Trugbild…? Was um Himmels Willen war das gewesen…? Hani musste Kareefs Blicke spüren und wandte den Kopf zur Seite, schenkte ihm ein wundervolles, sanftmütiges Lächeln, das Kareef fast das Herz brach. Tränen liefen dem Jungen über das Gesicht, schnell wandte er das Gesicht zu Boden, bevor es jemand sah. Seine Tränen fielen lautlos zu Boden und wurden hungrig von ihm aufgesogen. Niemand hatte es bemerkt… doch unwillkürlich wanderte auch sein eigener Blick zum Himmel. Was hatte Hani dort im Licht der Sonne gesehen…? Und der unheimliche Schein, der ihn umgeben hatte…? Die Männer hoben den Sarg, hievten ihn auf ihre Schultern und trugen ihn langsam voran. Es war Tradition, dass das Oberhaupt des Hauses in der Nähe seines Heimes begraben wurde. So erwies man auch Naji die letzte Ehre und bettete ihn in dem eigens für ihn errichteten Mausoleum, das ein Stück hinter dem mächtigen Anwesen lag. Wieder stachen ihm die Blicke ins Auge, wieder waren es die Frauen, die Hani auf diese schreckliche Weise ansahen. Kareef blieb dicht an der Seite des Jungen, folgte ihm mit einem kleinen Abstand Richtung Mausoleum wo er der Beisetzung zusah. „Du musst mir nicht folgen…“, murmelte Hani ihm von der Seite zu, aber Kareef beachtete ihn nicht weiter. Unentwegt wanderten seine rastlosen Augen über die Menschen, über die Männer, die den Sarg trugen, versuchte eine Feindseligkeit zu erspüren, doch nachdem sie sich von den Frauen entfernt hatten, war dieses bedrückende Gefühl verschwunden. Kareef musste handeln, denn er wusste, sobald er diesen Ort verlassen würde, würde Hani dem Hass der Menschen hier ausgeliefert sein. Sein Blick begegnete dem Naims, der seinen Platz einem anderen Mann reichte, der den Sarg an seiner Stelle weiter tragen würde. Naim wurde langsamer, bis Hani an ihm vorbei lief und er dicht an Kareefs Seite herlief. „Wir müssen schnell handeln, Herr.“, bemerkte er leise. Es war ihm also auch schon aufgefallen? „Ich weiß. Ich werde noch heute Nacht aufbrechen, niemand soll davon erfahren.“ Naim nickte, sah dabei unentwegt zu der kleinen Kolonne, die das Mausoleum erreicht hatte. „Ich werde Ghaith eine Nachricht schicken, wir werden ihn hier brauchen.“ Naim schwieg einen Moment, ihre schweren Schritte und das entfernte Wehklagen der Menschen war alles, was zu hören war. Najis Bestattung war mehr als nur Unheilverkündend und der Tag, den man im Palast der Hauptstadt insgeheim befürchtet hatte, brach langsam herein. Mit Najis Tod war Hani völlig ungeschützt und es gab keinen Ort, an dem er unbemerkt weiter leben könnte. Zumindest nicht ohne enttarnt zu werden. „Dass der Wind noch still steht bedeutet nicht, dass er nicht mehr wehen wird. Und ich befürchte, dass uns ein harter Sturm treffen wird.“ Die schmalen Schultern des Jungen, der vor ihnen herlief, wirkten schmächtig, als würden sie einer solch geballten Last nicht standhalten können. „Gib auf ihn Acht, Naim. Er wird dich Tag und Nacht an seiner Seite brauchen.“ „Seit ich Euch diene, habe ich Euch kein einziges Mal enttäuscht, Herr. Ich werde es auch diesmal nicht tun.“, antwortete Naim. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)