Das Kind der Prophezeihung von DhalaElenaAngel ================================================================================ Kapitel 1: Der Tempel --------------------- Alles MEINS!! *irre lach* GAnz allein Meins! Meine kranke Fantasie, meine Idee, meine Charas... *mein saaaaaatz* *grin* Sprich, nix geklaut... Das Kind der Prophezeiung "Setzt euch, Mädchen." Die alte Frau mit den grauen Haaren wies den jungen Novizinnen in den blütenweißen, reinen Gewändern, sich zu ihren Füßen niederzulassen. Noch immer ent-stellte nicht eine Falte das glatte, sanfte Gesicht und die Augen der Frau strahlten eine seltene, natürliche Weisheit aus. Ihr ruhiger Blick wandelte prüfend über die Mädchen, es waren im Moment nicht viele, gut, das waren es nie, doch das es nur so wenige waren, war sehr, sehr selten. Nur fünf. Und sie alle bargen etwas besonderes in sich. Da war Ceylestra. Sie war ein kleines, schlankes Mädchen mit pechschwarzen, langen Haaren, die ihr feingeschnittenes Ge-sicht umrahmten. Sie war sanft, widersprach nie. Sie konnte sich in ihr Gegenüber hineinver-setzen, ob es nun ein Tier oder ein Mensch war. Deshalb war sie hierher gekommen, gegen den Willen ihres Vaters, einem der unzähligen Kriegsherrn, der sie hatte verheiraten wollen, um seine Macht zu vergrößern. Eines Tages war sie einfach regungslos vor den Tor des Tem-pels gestanden. Sie würde einmal eine große Bedeutung für den Tempel bekommen und die Hilfesuchenden beraten können, wenn ihre langjährige Ausbildung abgeschlossen war. Sie war eine der Wenigen, die kaum die Macht aus der Quelle nutzte. Neben Ceylestra hatte Me'natas Platz genommen, eine hochgewachsene junge Frau, die schon den blauen Novizengürtel trug, der besagte, dass sie bald entgültig geweiht werden würde. Schon als kleines Kind hatte sie durch ihren selten starken Willen die Kraft gehabt, das Mus-ter der Quelle für sich zu nutzen. Deshalb war sie von ihren Eltern zur Ausbildung in den Tempel gebracht worden. Sie selbst hatte sich schließlich entschlossen, sich weihen zu lassen und hier zu bleiben, um in die innersten Geheimnisse eingeweiht zu werden, die ihr sonst im-mer verschlossen geblieben währen. Schon sehr früh hatte sie sich für den Weg der Druidin, der Naturmagierin entschieden und sich auf das Heilen spezialisiert. Und schon jetzt hatte die junge Frau einen Ruf, der ihr weit voraus eilte. Aus vielen Teilen des Landes kamen Men-schen, um sich von ihr behandeln zu lassen. Der entschlossene Zug um ihren Mund wurde von den kinnlangen, braunen Haaren noch betont. Neben Me'natas saß ihr stummer Schatten, Galiriel. Das Mädchen war furchtbar scheu und verlor kaum je ein Wort. Sie verbarg ihr Gesicht zwischen ihren lockigen, dunkelbraunen, schulterlangen Haaren mit den schwarzen Strähnen. Doch sie hatte eine besondere Gabe: ihre Stimme. Ihr Gesang war einzigartig, sie wurde zur Bardin der Natur ausgebildet. Und obwohl noch mehrere Jahre der Ausbildung vor der Siebzehnjährigen lagen, vermochte ihre Stimme jetzt schon Pflanzen wachsen zu lassen, weswegen sie auch so viel mit Me'natas zusammen war, denn die nutzte die Gabe ihrer Gefährtin, um mehr Heilkräuter ziehen zu können. Die Zwei arbeiteten schon jetzt in vollkommener Symbiose. Neben den Beiden saß Keilestra, ihre farblosen Haare fielen ihr den schlanken Rücken herab, ihr blauer Gürtel umschlang die schlanke Taille. Das weiße Gewand hob sich von ihrer dunk-len Haut ab. Weil sie nicht dem typischen Charakter ihres alten Volkes entsprach, war sie aus ihrem Stamm verbannt worden. An ihr konnte man am deutlichsten wahrnehmen, wie sehr sich die Welt zu verändern begann. Sie verfügte kaum noch über die Magie der Alten, oder die Magie des Ursprungs, wie sie auch genannt wurde. Doch zum Ausgleich dafür beherrschte ihr Geist die Quelle perfekt, was den Ma'gola, wie jedem Ursprungsvolk eigentlich, wegen der anderen Struktur des Hirns, unmöglich sein sollte. Ja, die Welt befand sich wieder im Wandel. Bald würde auch das dritte Zeitalter enden und das vierte beginnen, sehr bald sogar schon. Die Priesterin wandte sich der jüngsten Novizin zu, die gleichzeitig ihr Problemkind war. Ai-deera saß, wie immer, etwas abseits von den Anderen und nicht im Schneidersitz, sondern mit angezogenen Beinen, die von ihren schlanken Armen umschlungen wurden. Das grünlich schimmernde Stirnband, das sie, seit sie hier war, nie abgenommen hatte, hielt die frei fallen-den, silbernen Haare, die geheimnisvoll grünlich zu leuchten schienen, aus dem feinen, ver-schlossenen Gesicht. Ihre intensiv grünen Augen waren wach auf ihre Umgebung gerichtet, sie wartete ab, wie immer. Niemand wusste, wer sie war, scheinbar nicht einmal sie selbst. Sie war vor einem halben Jahr einfach hier aufgetaucht, eingehüllt in einen fadenscheinigen Man-tel, mitten im Winter. Die Hohepriesterin hatte das Mädchen aufgenommen, als sich heraus-stellte, dass sie ungewöhnliche Kräfte besaß. Sie war der erste Mensch, den sie je gesehen hatte, der die alte Magie beherrschte, etwas, das genauso unmöglich war, wie die Tatsache, dass ein Mädchen aus dem alten Volk Zugriff auf die Quelle hatte. Und trotz der alten Magie konnte Aideera auch aus der Quelle schöpfen. Etwas Besonderes umgab dieses Kind, das sich so schwer tat, mit Menschen Kontakt zu knüpfen. Nicht einer der vielen Priesterinnen hatte sie sich je anvertraut. Die Priesterin setzte sich auf dem in einen Steinblock gemeißelten Stuhl und legte ihre Hände in den Schoß: "Schön, dass ihr jetzt alle da seid. Es ist das letzte Mal, dass wir zu Fünft sein werden, denn zwei von euch erhalten morgen, beim Fest der Natur, ihre entgültige Weihe. Darum werde ich noch einmal die Geschichte der Schöpfung erzählen. Prägt euch jede Ein-zelheit ein, denn vielleicht seid ihr es, die sie nach mir an die jungen Novizinnen weitergeben werdet." Die alte Frau in der grünen, fließenden Robe mit dem erdfarbenen Gürtel holte ein-mal tief Luft, dann begann sie: "Vor langer, unendlich langer Zeit, als dieser Planet noch nichts anderes war, als einkahler Stein in dem Weiten des Sternenfelds, beschloss die damals noch sehr junge aber doch schon unglaublich weise Göttin Gaya'anda, die Stille der Him-mel zu beenden. Sie wählte den verloschenen Stern Hallas'tas aus, um ihr Vorhaben umzusetzen. Sie zog ihn näher an eine der vielen Sonnen, die im Sternenfeld ihre Bahnen ziehen und be-fahl der Kugel, sich um diesem glühenden Stern zu drehen und gleichzeitig um sich selbst- So entstanden der Tag, die Nacht und die Jahreszeiten. So war es des Tags, warm, wenn sich der Planet der Sonne zuwandte und nachts kühlte er wider ab. Nach-dem Gaya'anda das getan hatte, nahm sie einen Samen aus dem ewigen Garten der Götter und setzte ihn ein. Doch er wollte nicht gedeihen. Weinend beobachtete die junge Göttin, was da geschah, noch ohne zu verstehen. Ihre Tränen füllten die stei-nernen Löcher des Planeten, versickerte dort, wo es schon weich Erde gab. Ihre salzigen Tränen wurden zu Meeren und noch immer sah sie keine Lösung. Erst nach vier Wochen erhob sich Gaya'anda. Ihr war eine Idee gekommen. Sie bat den Gärtner der Götterwelt, ihr das Geheimnis der Pflanzen zu verraten, doch dieser wollte das nicht preisgeben. Gaya'anda bot ihm etwas zu trinken und er nahm es, ohne zu ahnen, dass darin der Saft der Wahrheit aufgelöst war. Sie fragte den Mann noch einmal und er antwortete ihr: "Wie soll eine Pflanze gedeihen, ohne das süße Wasser der Götter? Auch du brauchst etwas zu Trinken, um dei-nen Durst zu stillen." Das sah die junge Göttin ein, sie nahm einen Beutel von dem Wasser und kehrte zurück zu ihrer Welt. Noch immer füllten ih-re Tränen über die Hälfte des Planeten und es gefiel ihr, wie die Meere blau gen Himmel leuchteten. Sie grub, nahe bei der Stelle, an der der Same in der Erde schlummerte, ein weiteres Loch, in das sie das süße Wasser fließen ließ und benetzte die Erde um den Samen ein wenig. Danach wartete sie, Stunde um Stunde, Tag um Tag. Und denn, nach einem Monat, geschah das Wunder. Der Spross steckte sein Köpfchen aus dem Erdreich. In-nerhalb weniger Monate wurde aus dem zarten Spross schließlich ein großer und starker Baum, der die verschiedensten Früchte trug. Sie nahm die Früchte und steckte die Samen in ihnen erneut in die Erde. Doch sie kam kaum hinterher mit dem Gießen, da es so unendlich viele waren. Sie überlegte sehr lange, was sie tun konnte, bevor ihr die rettende Idee kam: sie nahm, wie immer einen Beutel süßes Wasser mit sich, doch sie füllte es nicht, wie sonst in den Teich, der immer so rasch austrocknete, son-dern ließ der Wasser in ein Stück Götterwolle tropfen. Die ließ sie zwischen der Sonne und dem Planeten im Himmel schwe-ben. Das Wasser, das in der Wärme verdunstete, wurde von der Wolle eingefangen, bis diese so schwer und nass war, dass sie zu tropfen begann. Es regnete zum ersten Mal und der Himmel selbst goss die neuen Samen. Diese gediehen durch den regelmä-ßigen Regen und Gaya'anda brauchte nie wieder das Wasser der anderen Götter zu stehlen, da es nun nicht mehr einfach ver-schwand, sondern immer wiederkehrte. Mit unendlichem Stolz beobachtete sie, wie innerhalb der nächsten zwei Jahre die vorher noch tote Kugel mit dem blauen Wasser zu leben begann. Doch nicht nur sie erfreute sich an dem kräftigen Grün, das nun überall spross. Ein anderer Gott hatte sie die ganze Zeit bei ihrem tun beobachtet, Kerandasoll, der Krieger der Zeit. Nun, wo der Steinbrocken nicht mehr grau, sondern grün und blau strahlte, stieg er zu Gaya'anda herab, er hatte ein klei-nes Geschenk dabei: einen großen Fisch, der jedoch Luft zum Atmen brauchte und seine Kinder labend gebar. Er war trutz der grauen Farbe wunderschön und intelligent. Sie nannte ihn Del-phin. Er wartete nun immer auf sie, wenn sie zu ihrem Planeten kam, meist zusammen mit Kerandasoll, der ihr noch einen ande-ren, weiblichen Delphin machte. Diesmal als Hochzeitsgabe, die sie nur zu gern annahm. Nach ihrer Heirat beschlossen sie, den Planeten mit noch mehr wesen zu füllen, doch sie sollten nicht alle gleich aussehen. Und so entstanden sie, die vielen bunten Fische, die Algen und Korallen, die Meerigel und Seepferdchen. Die Tränenmeere begannen zu leben. Doch das Land war bis auf seine Pflanzen, die Bäume, das alles bedeckende Gras und die herrlichen, bunten Blumen völlig leer. Das brachte Kerandasoll auf eine Idee: Er formte ein Wesen, das aus vier Beinen laufen konnte und sich von den Fischen im Wasser ernähren konnte, sowie von den Früchten der Bäume, er schuf einen Drachen. Dem folgte viele andere Wesen, die Ein-hörner, die Bären, die Schlangen, die Greife, die Adler, die Wölfe. Die Beiden schufen ein empfindliches Gleichgewicht. Je-des Tier konnte überleben, wenn es sich an die Regeln hielt. Der Planet erwachte zu Leben, an Land und im Wasser. Doch beiden fehlte etwas. Die Tier waren glücklich, doch sie teilten nicht die Interessen ihrer Schöpfer. Und so formten sie zwei Wesen, die ihnen ähnelten. Doch nach einer Weile be-schlossen sie, diese noch ein Wenig zu verändern. Sie gaben ihnen spitz zulaufende Ohren und eine sehr helle Haut, sowie die Macht, die Welt um sich herum, die Elemente Feuer, Wasser, Wind und Erde zu beeinflussen. Damit diese ihre Kräfte nicht missbrauchten, schenkten sie ihnen auch noch die Gabe, mit ih-rer Umwelt zu reden und diese vollkommen zu begreifen. So ent-stand die erste Elfenfamilie, die im völligen Einklang mit der Natur um ihn herum lebte." Die Priesterin machte eine Pause. Sie ließ ihren Blick über ihre Schützlinge gleiten, sie alle hingen an ihren Lippen, um sich jedes Wort einzuprägen, die denen die Weihe bevorstand, sprachen leise mit, die jüngeren, die noch etwas Zeit hatte, prägten sich die uralten Worte immer tiefer ein. Wieder war es nur Aideera, die aus den Rahmen fiel. Sie hatte sich die ganze Zeit nicht geregt, ihre langen, glänzenden Wimpern verbargen die Augen, ihr Kopf lag auf ihren Beinen. Hatte sie zugehört, oder war sie gar eingeschlafen? Vorsichtig griff die Prieste-rin in Gedanken nach der Quelle, zog einen dünnen Strang und tastete nach dem Mädchen, doch sie konnte es nicht erreichen. Woher wusste sie, wie man sich abschirmte? Seufzend lehnte sie sich zurück und fuhr geduldig fort: "Das Volk der Elfen, das sich nun langsam vermehrte und auf der Welt verteilte, lebte im absoluten Einklang mit der Natur. Nur eine Gruppe war nicht zufrieden, sie wollte der Umgebung etwas zurückgeben und mit diesem reinen Wunsch traten sie ei-nes Tages vor die Göttin und ihren Gemahl. Diese belächelte den Wunsch, doch sie beschloss, den Wesen diesen Gefallen zu erweisen. Sie ließ die, die zu ihr gekommen waren, auf die Größe eines Daumens schrumpfen und schenkte ihnen die besonde-re Gabe des Fliegens, indem sie ihnen die verschiedensten Flü-gel formte. Als sie ihr Werk vollendet hatte, sprach sie: "So sei es denn, ich gewähre euch euren reinen Wunsch. Von nun an seid ihr keine Elfen mehr, sondern Cale'crad, die Geister des Planeten. Ihr werdet von nun an über meine Schöpfung, meine Wesen und Pflanzen wachen, über den Wind und das Feuer." Nachdem weitere tausend Jahre vergangen waren, beschloss Ker-danasoll eine neue Rasse zu erschaffen, die auch das Meer und die süßen Gewässer bewohnen sollten. Sie sollten ein Geschenk sein, ein Geschenk an den Sohn, den Gaya'anda ihm geboren hat-te. Er schuf Wesen mit einer dicken Haut, die auch dort leben konnten, wo die Sonne nicht stark genug war, das Wasser zu wärmen, ohne zu frieren und verlieh ihnen die Fähigkeit unter Wasser zu atmen. Und da sie sich auch von Früchten und nicht nur von Fischen ernähren sollten, schuf er neue Pflanzen für sie, die auch am Meeresgrund gediehen. Er gab ihnen ein weite-res Geschenk: solange ihre Haut nicht austrocknete konnten diese Geschöpfe auch an Land gehen, um die Pracht der Pflanzen zu bewundern. Dieses neue Volk nannte er, zu Ehren seines Soh-nes Gercoras die Gerdaas. So verging wieder ein Jahrtausend, die Wesen waren friedlich und hilfsbereit. Auch Gaya'andas zweiter Sohn, Locis'on, war nun erwachsen. Doch im Gegensatz zu seinem Bruder tobten in ihm zwei Seelen. Auf der einen Seite war ein schutzsuchendes Kind, das sich nach Liebe sehnte, doch auf der anderen Seite wollte er zerstören, was andere geschafften hatten. Ohne es zu wollen, übertrug er bei einem Besuch bei den Elfen einen Teil seines Wesens auf sie. Die, die davon betroffen waren, began-nen sich zu verändern. Ihre Geister begehrten gegen die natür-liche Ordnung auf, sie töteten, obwohl sie keinen Hunger hat-ten, rissen Pflanzen auf und töteten die Cala'crad, die sie an ihrem Tun hindern wollten. Gaya'anda war so betrübt, dass sie wieder begann, zu weinen und eine Flut überschwemmte einen Teil des Planeten, die Welt riss durch den Druck des Wassers in zwei Hälften. Erst ihr jüngstes Kind, ihre Tochter Aileen, konnte die Tränen der Mutter trocknen. Sie trennte die Elfen mit den zerrissenen Seelen von den reinen, damit nicht noch mehr infiziert werden konnten und zeichnete die Betroffenen mit einer dunklen Haut und farblosen Haaren. Dann brachte das Mädchen ihnen bei, ihre Seelen im Zaum zu halten und somit ihre Zerstörungswut wenigs-tens etwas zu kontrollieren. Doch trotz alledem war es mit dem Jahrtausende alten Frieden vorbei. Denn die Ma'golas, wie Ai-leen die Geschöpfe ihres Bruders von nun an nannte, konnten keinen Frieden halten. Erst, als Licis'on eine der Göttinnen aus dem Göttergarten heiratete, fand er durch sie seinen Frieden, denn Gal'aan war genauso sanft und gut, wie seine Mutter. In ihr fand er, was er so lange vergeblich gesucht hatte: innere Ruhe und Sicher-heit. Als seine Frau ihm schließlich eine Tochter gebar, be-schloss er, ein neues Volk für sie zu schaffen, ein Volk dass das Mädchen verehren sollte, er formte die Menschen. Wegen der unsteten und zerrissenen Seele seines Sohnes jedoch erlaubte Kerandasoll nicht, dass diese Wesen die alte Magie in ihre Brust eingepflanzt bekamen. Denn er wusste, dass jemand mit zerrissener Seele unmöglich etwas ganzes schaffen konnte. Er sah voraus, dass, hätte er den kurzlebigen Wesen die Macht der alten Völker übertragen, sie die Welt zerstört hätten. Denn er hatte immer noch vor Augen, was mit seinen so friedli-chen Elfen geschehen war. Nein, noch mehr zerstörerische Wesen hätte der Planet nicht verkraftet. Fellinahy sah jedoch die Ungerechtigkeit, die so entstanden war und sprach, als sie größer war, mit ihrem Großvater. Zwar sah sie ein, dass man ihrem Wesen schlecht die Macht über die Elemente verleihen konnte, aber vielleicht doch eine andere ungefährlichere, die auch nicht jeder beherrschen konnte. Die Idee gefiel Kerandasoll und so halfen er und seine Frau ihrer Enkelin, eine Quelle zu schaffen, die sie in einen Tempel brachten. Menschen mit klarem Willen sollten ein Netz aus der Energie der Quelle weben können, um Dinge zu ändern. Doch ge-nau diese Macht, die die Götter den Menschen gegeben hatte, war es, die sie schließlich eitel machte und sie begannen, sich gegenseitig zu bekämpfen. Sie zogen alle Wesen mit in ih-rem Krieg ein, verschonten nichts und niemanden. Die reinen Elfen und die Cale'crad wandten sich, zusammen mit den Gerdaas, an die Götter, die über sie wachen sollten. Die-se, selbst zutiefst betrübt, über das, was da auf ihrem Plane-ten geschah, rieten den Wesen, ihre Kräfte zu vereinen. Das taten sie schließlich. Die Elfen, die Cale'crad und die Gerdaas entfesselten in einer Zeremonie zusammen die zerstöre-rischen Kräfte in ihnen. Viele starben an diesem Tag, doch der Krieg wurde beendet, das erste Zeitalter, in dem die Götter noch häufig unter den Wesen weilten, hatte sein blutiges Ende gefunden. Doch aus dem blut und den Trümmern erhob sich ein neues Zeit-alter. Es begann still und friedlich, da die Überlebenden nicht noch einmal so eine Schlacht riskieren wollte und der Planet erholte sich langsam von seinen Wunden, die Wesen kehr-ten wieder, zahlreicher noch, als im letzten Zeitalter. Ai-leen, der Liebling ihrer weisen und mächtigen Mutter heiratete schließlich Meren'tas, einen jungen Gott aus einer fernen Ko-lonie. Er war ungewöhnlich gebildet und brachte den verschie-denen Völkern die Schrift, die jedoch nicht benutzt werden durfte, um das heilige Wissen niederzuschreiben. Erst ihre ge-meinsame Tochter, Kareen, schuf nach langer Zeit, ein neues Volk. Schon als Kind hatte sie die geschmeidigen, geschickten, katzenhaften Raubtiere geliebt, nun gab sie einigen von ihnen einen freien Willen und den aufrechten Gang. Die Kavit'taas entstanden. Die Menschen waren von dieser neuen Schöpfung alles Andere, als begeistert und versuchten, sie auszurotten. Doch Kareen beschützte ihre Wesen, sehr zum Zorn der eigenwilligen Felli-nahy, der die neuen Wesen ein Dorn im Auge waren, so wie Ka-reen, denn sie dachte, dass ihre Großeltern das sanfte Mädchen mehr mochten, als sie selbst, nur weil sie mit einer uneinigen Seele geboren worden war, so wie vorher schon ihr Vater. So zettelte sie einen Krieg zwischen den Völkern an, wobei das Volk ihres Vaters, die Ma'golas sich auf ihre Seite schlugen. Daraufhin ergriffen die anderen Urvölker jedoch Partei für Ka-reen. Und wieder brach ein blutiger, erbarmungsloser Krieg aus. Erneut mussten die reinen Wesen ihre Kräfte einen, ein weiteres Zeitalter, das friedlich begonnen hatte, versank im Blut. Gaya'anda, entsetzt über das Verhalten ihrer Nachkommen, be-strafte Fellinahy, die schuld war, am Tod so vieler Wesen und an der neuen Katastrophe. Denn das viele vergossene Blut hatte andere Götter angezogen, die ihre wilden Kreaturen, böse Dra-chen und andere, frei ließen, um weiteres Chaos zu stiften. Die weise Göttin vereinte daraufhin ihre Kräfte mit denen ih-res Mannes und sie schufen eine sicher Dimension für ihren Planeten, durch den andere Götter nicht dringen konnten. Die Bannung der grausamen Wesen läutete das Ende des kurzen, dritten Zeitalters ein, es herrschte wieder ein brüchiger Friede. Doch alle Völker misstrauten einander inzwischen, sie achteten auf jedes ihrer Worte, immer darum bemüht, ja nichts falsches zu sagen. Die Naturvölker zogen sich immer weiter zu-rück, in die tiefsten Meere und die dunkelsten Wälder. Und Gaya'anda wusste, es würde erneut zu grausamen Kriegen kommen, so, wie ihr bewusst war, dass ihre Kraft kein zweites Mal rei-chen würde, um eine sichere Zone für den Planeten zu schaffen, so dass er wenigstens vor den anderen Göttern sicher war. Sie zerbrach sich sehr lange den Kopf, doch dann kam ihr eine Lö-sung. Sie war des Blutes müde geworden, daher stellte sie die Wesen vor eine Wahl, besser gesagt, nicht die, sondern das We-sen. Sie gab den Priesterinnen der Natur, die fast nur aus Menschen bestanden, eine Prophezeiung: Einst wird ein Kind geboren werden, das so nicht geboren werden dürfte, das Kind einer Priesterin der Natur und einem Elf aus den Tiefen der Wälder von Ailendras. Dieses Kind, ausgestattet mit der vergangenen Macht und der neuen Stärke wird einst über das Schicksal aller zu entscheiden haben. Es wird sich entscheiden müssen, denn dieses Kind wird es sein, das entweder das Licht oder die Dunkelheit in die Welt bringen wird. Und kein Sterbliches Wesen wird in der Lage sein, zu verhindern, dass dieses Kind lebt. Sie machte acht magische Gegenstände zu einem Teil dieser Pro-phezeiung: die drei Tränen der Eleya, den Stab des Caleron zu-sammen mit seinem verlorenen Teil, dem Amulett der Erinnerung, der Kette der Kontrolle, dem Reif der Winde und dem Schwert der Hoffnung. All diese Gegenstände musste dieses Kind zusam-mentragen, denn nur so konnte es seine Macht bis zu der Stufe steigern, die es brauchen würde. Viele Wesen waren hinter die-sen einmaligen Schätzen her, um ihre Macht zu vergrößern und sie sind es bis jetzt noch. Sie töteten jedes Mischkind, das die Geburt überlebte, um zu verhindern, dass dieses Kind kom-men und wohlmöglich ihre Macht brechen könnte. Um ihre Pläne nicht zu gefährden, fügte Gaya'anda der Prophezeiung einen weiteren Absatz hinzu: So willst du, der diese Dinge an sich bringt, die Macht. Doch nicht du kannst die Macht der Gegenstände vereinen. Nur ein Wesen wird es geben, das je dazu in der Lage sein wird. Es wird das prophezeite Kind sein. Und an diesem Kind ist es, die Entscheidung zu treffen, wem es dienen wird. Entscheidet es sich, dem Dunkel zu dienen, so werden die magischen Ge-genstände die Mauer, die die Dimensionen voneinander trennt, niederreißen und dem Herrn des Kindes wird ein Heer erstellt werden, das alles nieder-machen wird, das sich ihm in den Weg stellt. Entscheidet sich dieses Kind aber für die Seite des Lichts, so werden die Dimensionen sich für immer trennen. Doch egal, wie sich dieses Kind entscheidet, ist es körperlich nicht völlig unversehrt und frei von fließendem Blut, so wird es die Zeremonie nicht überleben. So machte sie den Wesen klar, dass ihre Geduld mit ihnen am Ende war. Sie stellte sie nur noch vor eine Wahl: entweder sie besserten sich, oder sie würde alles, was sie geschafften hat-te, rücksichtslos zerstören." Die alte Priesterin sah auf. Ihre Geschichte war beendet. Die älteren Novizinnen nickten leicht, die jüngeren schlossen ihre Augen, um zu verarbeiten, was sie gehört hatten. Nur Ai-deera sah sie an, unverwandt und fragend. "Ja, Aideera?" Das Mädchen legte ihren Kopf leicht schief: "Das prophezeite Kind bedeutet also wieder einmal Untergang, nicht wahr? Wann wird es soweit sein?" Die Priesterin schluckte. Sie hatte sich noch nie mit diesem Thema befasst, doch sie ahnte, wie nah die Katastrophe inzwischen stand. All die Dinge, die im Moment geschahen, die El-fen, Cale'crad und Ma'golas, die ihre Kräfte langsam verloren und nicht mehr in der Lage waren, sich fortzupflanzen, die vielen verunstalteten Kinder, die als Mischwesen das Licht der Welt erblickten, um sofort wieder zu sterben, deutete das nicht auf das nahende Ende hin? Doch sie wollte dem Kind keine Angst machen: "Das weiß nur die Göttin allein, Aideera. Vielleicht geschieht noch heute etwas, vielleicht erst in vielen tausend Jahren. Denn alle ver-suchen, die Geburt des Kindes zu verhindern, glaube mir." " Die Göttin sagte doch, dass es nicht verhindert werden kann." "Ja, aber rausgezögert." Die Priesterin beobachtete das Mädchen, das sich die Haare hinter die Schultern strich. In ihrem Kopf arbeitete es immer noch. Doch sie sagte nichts mehr, also er-hob die Alte sich: "Das war's dann für heute. Geht zu euren Lehrern." Vier der Mädchen erhoben sich, nur Aideera blieb sitzen. Sie hatte noch keine feste Lehrerin und keinen Weg. Denn weder das Heilen noch das Singen oder die Kunst der Hellseherei konnten sie lange genug fesseln, um es zu ihrer Lebensaufgabe zu machen. Was sie in ihrer freien Zeit machte, wusste niemand und sie sagte es nicht, sie schwieg konsequent. Da sie neu war und sich nur so schwer eingewöhnte, ließ man sie erst einmal in Ruhe. Die Priesterin hat-te sich jedoch vorgenommen, das Mädchen aufzutauen: "Kind, hilfst du mir?" Da erhob das Mädchen sich grazil. Sie wirkte fast wie eine Elfe, mit ihrer Größe von etwas über einem Meter siebzig und ihrem feinen Knochenbau. Ihre Haut war fast durchscheinend weiß und nahm kaum Farbe an, nicht einmal nach Stunden in der Sonne. Erneut strich sie ihre silbernen Haare zurück. Woher stammte diese Farbe bloß? Sie hatte in ihrem ganzen, nun schon dreihundertjährigen Leben noch nicht so eine Farbe bei einem Menschen gesehen! Und die Augen, so klar und tief und doch so undurchdringlich! Das Mädchen lief neben ihr her, wobei ihr Gehen eher einem Tanz glich, den sie zwar noch sehr eckig, aber unglaublich ästhe-tisch ausführte. Bei jeder ihrer Bewegungen klirrte die feine, silberfarbene Kette, an der klei-ne Edelsteine aneinander schlugen und den feinen Ton erzeugten, der das Mädchen seit ihrer Ankunft umgab. Eine ähnliche Kette meinte sie schon einmal gesehen zu haben, vor gar nicht so langer Zeit. Es gab wirklich seltsame Zufälle. Die Wege der Göttin waren verschlungen und nicht für den Verstand der Sterblichen zu begreifen. Die Priesterin hatte gelernt, zu ak-zeptieren, schon vor langer Zeit. "Was machen wir Was'ra'ta?" Die Priesterin deutete zu der efeuüberwucherten, alten Mauer: "Wir werden die Gräber der Priesterinnen vor uns pflegen. Sie haben es bitte nötig." Keine Regung kam von dem unge-wöhnlich fein geschnittenen Gesicht, das sie wie eine schützende Maske trug, um niemandem zu zeigen, was sie empfand, als sie das schmiedeeiserne Tor passierten. Ohne Aufforderung lief Aideera zu dem kleinen Brunnen und füllte die vier hölzernen Gießkannen mit Wasser, dann nahm sie zwei von ihnen auf und folgte der Alten. Ohne es sich anmerken zu lassen, lies Aideera ihren geschulten, scharfen Blick über das Feld der Endlichkeit gleiten. Sie hatte schon viel davon gehört, es jedoch noch nie gesehen. Es war von einer hohen, schützenden Mauer aus Kalksteinen umgeben, die das Feld vor den Blicken der fremden Pilgerer schützen sollte. Denn kein unwissendes Auge durfte die Gräber mit ih-ren Blicken schänden. Es wäre Frevel. Sie lief langsam die gepflegten Kieswege hinter der alten Priesterin her, deren Haare schon ergrauten, während sie aufmerksam die Grabinschrif-ten überflog. Hier lagen viele Frauen, deren Taten weithin bekannt und deren Fähigkeiten überall gelobt worden waren. Einige der Gräber gehörten sogar noch zum zweiten Zeitalter und immer noch strahlten die dazugehörigen Marmorsteine weiß, so, als ob das Wetter ihnen nichts anhaben konnte. Schließlich blieb die Priesterin stehen. Sie wartete, bis Aideera sie erreicht hatte und deutete ihr, das Wasser abzustellen. Dann kniete die Frau nieder und be-gann an dem Grab, vor dem sie stand, das Moos, das den prächtigen Blumen den Atem nah-men, auszureißen und aufzuschlichten. Das wurde später getrocknet und für medizinische Zwecke gebraucht, denn dieses Moos brachte das Blut tiefer Wunden zum Stillstand. Wortlos machte auch Aideera sich an diese Arbeit, während sie das Grab betrachtete. Nur sehr edle und seltene Blumen wuchsen darauf, der Stein war aufwendig gearbeitet. Sie betrachtete die feine Inschrift: Ihr Körper kehrt nun zurück zu ihrer Mutter Der sie über fünfhundert Jahre treu und unablässig diente Haleta Gadas, im Segen der Göttin Heilerin der höchsten Stufe und Trägerin des Geheimen Wissens Die Alte musste ihrem Blick gefolgt sein, denn sie sagte milde: "Das war bis vor drei Jahren die Hohepriesterin dieses Heiligtums. Sie war eine gute und umgängliche, wenn auch sehr strenge Frau, die von vielen gefürchtet wurde. Und doch kamen sie alle, um sich von ihr bera-ten zu lassen. Aber dann, vor ich weiß nicht genau, ich glaube vor etwa vierzehn Jahren be-gann sie sich zu ändern. Ihr Geist verdunkelte sich, sie kam lange vor ihrem Körper in eine andere Welt. Es muss für sie eine Erlösung gewesen sein, als sie starb, denn nur die Maschi-nen und die Magie in ihr hielten sie am Leben." Aideera deutete mit einem knappen nicken an, dass sie verstanden hatte, doch es interessierte sie nicht, wer die Frau gewesen war. Es war etwas anderes, tief in ihr, ein Abscheu gegen die Frau, die sie doch nie zuvor gesehen hatte! Der Name allein ließ sie Gift und Galle spucken. Doch warum? Warum konnte sie nicht sein, wie jeder andere auch? Einfach nur ein Mensch? Sie fuhr sich über das Stirnband, das sie seit ihrer Ankunft hier nicht mehr abgenommen hatte. Es schützte ihr Geheimnis - noch. Zum Glück war es noch eine sehr lange Zeit, die bis zu ihrer Weihe verstreichen musste. Sie verteilte etwas von dem Wasser über den durstigen Pflanzen und richtete ihre Augen in den strahlend blauen Himmel über sich. "Kind, kommst du?" Stumm griff Aideera wieder nach den Eimern und folgte der Priesterin. Sie arbeiteten sich schweigend durch zwölf weitere Gräber, bis hin zum Rande des Weges. Sie sah an sich herun-ter und stellte fest, dass ihr Gewand braun von Erde war. Sie klopfte das Gröbste heraus, wo-bei ihr Blick über den freien Platz glitt, Nanu, was....? "Was ist das da für ein Grab? Und warum ist es außerhalb der geweihten Erde?" Die Priesterin folgte ihrem Blick, dann winkte sie ihr, ihr zu folgen. Das Grab war nicht, wie die Anderen, mit Blumen geschmückt, nur ein dichter Grasteppich wuchs darauf Der Stein verschwand fast zwischen den Ranken des Efeus, der ihn wie eine Umarmung umfing. Ein seltsames Gefühl durchströmte Aideeras Körper. So etwas hatte sie noch nie empfunden! Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals, ihre Beine wollten sie auf einmal nicht mehr tragen, in ihrem Magen schien ein Stein zu liegen, der sie erbarmungslos auf die Knie drückte. Doch es war keine Magie, die sie dazu zwang, es war etwas in ihr, etwas, das mehr wusste, als sie selbst. Hastig fuhr sie mit ihrer Hand durch das Gras, damit die Frau nicht merkte, was mit ihr ge-schah. Sie trennte den Efeu sanft von dem Grabstein, auf dem nur wenige Worte standen: Möge die Göttin ihr verzeihen, denn das liegt nicht in unserer Hand auf das sie trotz ihrer Schuld Friede finde Das war es, nicht einmal ein Name stand da, so, als wolle man die Frau darunter ausradieren und sie vergessen machen. Grausam. Nur so konnte man das hier nennen. Die sanfte Stimme im Hintergrund erklärte es ihr. "Das ist eine sehr traurige Geschichte, doch wir haben Zeit, wir sind mit den Gräbern für heu-te fertig, ich werde sie dir erzählen. Hier liegt eine junge Priesterin, die zu der Zeit starb, als die Hohepriesterin begann, sich in ihrem Wahn zu verlieren. Das war eine seltsame Geschich-te. Sich kannte das Mädchen, ich habe sie ausgebildet, sie war noch so jung! Sie wurde schon als Vierjährige von ihren Eltern zu uns gebracht, aufgrund einer Weissagung an ihrer Wiege. Es wurde den Eltern gesagt, dass dieses Kind der Mutter gehöre. Sie trug ihr Zeichen. Wir nahmen sie auf, ohne weiter zu fragen. Ich habe viele Stunden mit ihr verbracht, sie war auf-geschlossen und wurde jeden Tag hübscher. Sie war die Erste und Einzige, die schon im zar-ten Alter von sechzehn Jahren die Entgültige Weihe erhielt und war der Liebling aller. Doch dann verschwand sie, spurlos! Niemand wusste, was mit ihr geschehen war, doch fünf Jahre später kam sie zurück - schwanger. Und uns Priesterinnen ist es nicht erlaubt, gegen dieses Gebot zu verstoßen. Wir sollen nur für die Göttin da sein. Kein Mann und kein Kind darf uns von diesen Pflichten ablenken. Sie hatte schon ihre Wehen, als sie eintraf. Ich habe sie auch nur kurz gesehen. Sie wurde auf die Krankenstation gebracht und von einem totgeborenen Kind entbunden. Eine meiner dama-ligen Schülerinnen, die nach dem Ereignis aus dem Tempel austrat, behauptete damals, in einer Vision gesehen zu haben, dass es das prophezeite Kind war, es hätte Elfenohren gehabt. Doch da es tot geboren worden war, war das natürlich dumm. Die Priesterin starb, als man ihr sagte, dass das Kind tot war, sie ertrug den Schmerz nicht mehr. Wir wissen nicht, was all die Jahre geschehen ist, ob sie freiwillig einem Mann folgte, oder er sie zwang. Aber da sie einmal hier diente, wollten wir sie auch hier begraben." Aideera stellte erstaunt fest, dass ihr Gesicht feucht war - sie weinte! Nicht eines der anderen Gräber hatte etwas in ihr erweckt, nur das hier und das der Hohepriesterin! Wo? Wo war der Zusammenhang? Warum reagierte sie nur so? All das verstand sie einfach nicht! "Komm jetzt, wir müssen uns beeilen, die Abendandacht beginnt gleich." Der sanfte, monotone Singsang des Chores flog stetig zur gläsernen Kuppel, die von den schneeweißen, mit Efeu umrankten Säulen gehalten wurde. Kerzen, echte, keine künstlichen, spendeten Licht und Wärme. Das Wachs tropfte wie die Kugeln des Zeitrads, langsam und unaufhaltsam die Halter herab, bis sie schließlich erstarrten zu abstrusen, seltsamen Gebilden. Die Statue der Göttin strahlte eine unendliche Ruhe aus und doch konnte Aideera sich, zum ersten Mal, seit sie hier war, nicht auf das Gebet konzentrieren. Zu sehr beschäftigte sie dieses abgeschiedene, namenlose Grab und die Geschichte der armen Priesterin, die so ungewöhn-lich jung hatte sterben müssen und, wenn man der Erklärung der alten Priesterin glauben konnte, wollen. War das die Strafe der Göttin für den Verrat der Frau gewesen? Nein sicher nicht. Es schien ihr eher wie eine Gnade, denn so hatte die Mutter dem Kind folgen können, ohne trauern zu müssen oder den Spott anderer zu ertragen, wegen der angeblichen Schande. Doch wie war es gewesen? Hatte die Priesterin sich dem Mann angeschlossen oder hatte er sie geraubt und ihr Gewalt angetan? Was spielte das inzwischen schon noch für eine Rolle? Die Frau war tot. Auf einmal veränderte sich vor ihren Augen die Statue. Die steinernen Haare wurden braun und lockig, die braunen Augen schienen sie direkt anzustrahlen. Das ganze Gesicht war mit einer unglaublichen Liebe angefüllt, die alles um sich herum erstrahlen ließ, weit heller, als die Kerzen dazu im Stande waren. Doch das Bild - es war falsch! Die Göttin war blond! Ihre Haare hingen gerade herab und sie hatte blaue Augen! Was sollte das? Aideera blinzelte, das Bild verschwand, wie es erschienen war, plötzlich und unerwartet. Sicher hatte sie sich das nur wieder eingebildet. Sie riss sich mühsam zusammen und versuchte, dem zu folgen, was die Hohepriesterin gerade sprach, doch sie bekam nichts mit. Hätte man sie an dem Tag aus-gefragt, sie wäre durchgefallen, so sehr beherrschte die unbekannte Tote in ihrem erbärmli-chen Grab ihre Gedanken. Nicht einmal ihren Namen wusste sie und sie ahnte, dass niemand ihn mehr nennen würde. Nie mehr. Auf einmal begriff sie auch ihre Gefühle an dem anderen Grabstein. Sicher war die es gewesen, die die arme Priesterin in das verlasse Eck hatte setzen lassen! Das war gewiss nicht im Sinne der Göttin gewesen! Oder? Nein, es hieß, die Göttin wäre gnädig, sie hätte verziehen. Im Gegensatz zu den verbohrten Menschen, die nicht über ihre eigene Nasenspitze hinaussehen konnten. Und sie fasste einen Beschluss: von diesem Tage an würde sie das Grab der Unbekannten Pflegen. Auch auf ihm sollten Blumen sprießen, dafür würde sie schon Sorge tragen! Doch das alles klärte immer noch nicht die Gefühle, die sie niedergedrückt hatten! Das war Trauer gewesen! Sie hatte geweint! Wusste ihr Körper etwa etwas, das sie nicht sah? Wieder einmal wünschte sie sich, zu verstehen, wer sie war und warum sie existierte. Würde sie je eine Antwort erhalten? Kapitel 2: Der Überfall ----------------------- Aideera blinzelte müde mit den Augen, als der hallende Gong sie gnadenlos aus dem Schlaf riss. Sie fühlte sich zerschlagen, als hätte sie nicht eine Sekunde Ruhe gehabt aber sie konnte sich an nichts erinnern. Mühevoll richtete sie sich auf und kroch unter ihrer Decke hervor. Galiriel, Ceylestra und Keilestra, mit denen sie im Schlafraum war, halfen sich bereits gegenseitig, die Gürtel der Festgewänder zu binden. Die Beiden, die an diesem Tag geweiht werden sollten, hatten die Nacht im Tempel verbracht, um sich auch wirklich sicher sein zu können, dass sie der Göttin ihr Leben lang dienen wollten. Unlustig schwang sie sich entgültig aus dem Bett und wäre dabei fast über ihre einfachen Sandalen gestolpert, die sie wieder einmal nur abgestreift und nicht, wie es sich gehörte, in die Truhe geräumt hatte. Halb blind tastete sie sich zu ihrem bereitgelegten Festgewand vor, das sie am Abend noch hinausgelegt hatte und streifte sich das Hemdchen an, das sie nachts immer trug. Sie zog sich das feine weiße Gewand mit den zahlreichen, grünen Stickereinen achtlos über ihren Kopf und zerrte ihre Haare ohne auf die Schmerzen zu achten, aus dem Ausschnitt. Danach griff sie auf die Quelle, die sie warm in ihren Gedanken spürte, wob ein feines Netz um sich und verschloss so ihren grünen Gürtel, der sie als Novizin auswies. Weil sie dabei war, kämmte sie sich auf diese Weise auch gleich die Haare und zog das Stirnband zurecht. Danach ließ sie von der Quelle ab. Es war seltsam, sie empfand dabei nicht den Schmerz, den die Anderen empfanden und auch nicht den Wunsch, wieder in sie zurückzukehren. Etwas mit ihr stimmte ganz gewaltig nicht. Schließlich verließ sie, zusammen mit den Anderen den gähnend leeren Schlafsaal mit den zahlreichen leeren und unbenutzten Betten und versuchte, an etwas anderes, als das Knurren ihres Magens zu denken. Also richtete sie ihre Gedanken auf Galiriel, die vor ihr lief, mit ihrem wiegenden Gang und den sanft schwingenden Haaren. Sie hatte schon oft heimlich die Gedanken der stillen Novizin gelesen, die wie ein Schatten an Me'natas, die heute geweiht werden sollte, hing. Sie war die Einzige, die wusste, warum und es hatte nichts mit Verehrung oder Freundschaft zu tun. Doch das konnte ihr egal sein. Das war nicht ihre Sache. Sie sah nur zu und mischte sich nicht ein, die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass man so am wenigsten Ärger bekam. Galiriel hing nur ihren üblichen Gedanken nach, die konnten sie nicht wirklich ablenken und so starrte Aideera einfach auf ihre Hände. Ihre langen, feingliedrigen Finger waren so weiß, wie der Rest ihrer Haut, doch ihre Nägel schimmerten genauso geheimnisvoll in der grünen Farbe, wie es ihre Haare immer taten. Wer waren ihre Eltern wohl gewesen, dass sie solche Haare hatte? Oder war sie wirklich von der Göttin gezeichnet worden, wie die Hohepriesterin es gesagt hatte, als sie damals hierher gekommen war? Sie fasste auf ihr Stirnband, an die Stelle, wo ihre Ohren endeten. Doch was hatte sie dann damit bezweckt? "Aideera, hier." Verwirrt sah Aideera auf, sie war so tief in ihre Gedanken versunken, sie hatte gar nicht bemerkt, wie Galiriel sich hatte zurückfallen lassen. Sie hielt ihr ein Stück Brot vom Vorabend hin und lächelte. Aideera sah sie an: "Was soll das?" Das Mädchen lächelte und steckte eine gelöste Strähne zurück in den strengen Knoten in ihrem Nacken: "Dein Magen. Hier, ich habe etwas mitgenommen, gestern. Wir bekommen erst nach der Weihe Essen. Nimm ruhig." Dankbar griff Aideera nach dem Kanten, der ihr hingehalten wurde. Sie war zu hungrig, um ihn zurückzuweisen: "Danke." Galiriel lächelte schüchtern und nagte an einem weiteren Kanten, den sie aus ihrem Ärmel zauberte: "Sag mal, was lernst du eigentlich?" fragte sie zwischen zwei Bissen. Im Grunde wollte Aideera nicht über sich sprechen, doch Galiriel hatte auch gerade ihr Brot geteilt und so entschloss sie sich, wenn auch widerwillig zu einer Antwort: "Ich weiß es nicht. Bisher hat niemand ein besonderes Talent bei mir feststellen können und es reizt mich nichts derart, dass ich es unbedingt machen will." Sie hatte soeben mehr gesagt, als sonst einen ganzen Tag. "So ging es mir auch, sie haben ein Jahr gebraucht, bis sie mein Talent gefunden haben. Du wirst deins auch noch finden. Ganz sicher." Aideera nickte. Sie starrte nach vorn zum Tempel der zwischen den Bäumen auftauchte. Der Weg, auf dem sie nicht gehen durften, sie mussten über das taunasse Gras laufen, war mit schneeweißen und feuerroten Blüten bedeckt, das vordere Tor mit Weizen und Gerstenhalmen geschmückt, zwischen denen immer wieder rote und blaue Mohnblumen hervorleuchteten. Es war Aideeras erstes Fest der Göttin und so sog sie die Bilder tief in sich ein. "Es ist wunderschön, nicht wahr? Irgendwann werden wir da auch durchgehen. Und als vollwertige Priesterinnen rauskommen." "Du hast wohl gar keine Zweifel," murmelte Aideera leise. Da lachte Galiriel glockenhell auf. Das kam so überraschend, dass die anderen Beiden, die vor ihnen marschierten, sich umwandten. Da riss sie sich zusammen, schnitt wieder ihr übliches, schüchternes Gesicht und antwortete leise: "Jeder sollte Zweifel haben! Und ich habe sie besonders! Ich wollte alles, nur nicht hierher, als man mich brachte. Doch ich blieb, denn wo sollte ich auch sonst hin? Meine Familie hätte mich doch verstoßen! Für die war es Pflicht, mich hierher zu bringen. Ich habe Nächtelang nur geweint. Aber dann fügte ich mich. Was blieb mir schon für eine Wahl? Und irgendwann begann es mir Spaß zu machen, wenigstens zeitweise, wenn ich singen konnte. Ich fand mich ab, aber glaube mir, wenn ich die Chance bekomme, ich werde gehen. Aber das ist eine Hoffnung, die ich mir nicht mehr mache. Sie haben mich fest eingebunden. Und du? Wie bist du hierher gekommen? Du bist völlig anders, als wir und wir wissen nichts über dich." Aideera starrte das Mädchen an. Sie wollte nichts sagen! Ihr Gesicht, das für einen Moment einen warmen Ausdruck bekommen hatte, wurde schlagartig wieder zu einer Maske. Und Galeriel verstand. Sie lächelte: "Du brachst es nicht zu erzählen, aber wenn du es mal willst, dann komm. Ich werde bestimmt nichts verraten." Stumm liefen die Mädchen weiter. Und Aideera war sehr erstaunt. Das hatte sie nicht erwartet. Gerade die, die immer am meisten bei der Sache war, wollte gar nicht Priesterin werden! Wer hätte das gedacht? Durch einen Seiteneingang betraten sie den Tempel und traten zu ihren Bänken, die ein wenig abseits standen. Vor der Statue der Göttin, die an dem Tag in ein goldenes Gewand gehüllt war, knieten bereits Me'natras und Keilestra in ihren neuen, aber erst hellgrünen Roben. Die dunklen würden sie erst erhalten, wenn sie in die großen Geheimnisse eingeweiht worden waren. Ihre Häupter waren mit Kronen aus Blumen geschmückt, die Haare hingen ihnen offen herab. Vor ihnen lagen die Gaben des Tempels, vor Me'natas eine große Heilertasche und vor Keilestra ein kleines Köfferchen, dessen Inhalt nicht ersichtlich war. Die Menschen aus den wenigen, kleinen umliegenden Dörfern waren bereits eingetroffen, angetan mit ihrer besten Kleidung, vor sich Opfergaben für die Göttin, mit der sie für ein weiteres, gutes Jahr bitten wollten. Sie alle ahnten nichts von dem Damoklesschwert über ihren Häuptern, von der geheimgehaltenen Prophezeiung, die nur wenigen Gelehrten und Eingeweihten, also Diener von Tempeln bekannt war. Aideera ließ sich nieder und starrte auf die Statue. Doch diesmal geschah nichts, das Bild war nur in ihrer Erinnerung, nicht mehr im Antlitz der Göttin. Hatte diese ihr mit der Vision vielleicht etwas sagen wollen? Wenn, dann hatte sie den Inhalt nicht begriffen. Sie senkte ihren Kopf und versank in das stumme Gebet, während der Chor mit seinen hohen, monotonen Gesängen einsetzte. Die Hohepriesterin trat hinter der Statue hervor, angetan mit einem dunkelgrünen, engen Gewand, das an den Füßen weit in unzähligen Falten um ihre Beine spielte und das mit goldenen Fäden und Stickereien durchsetzt war. Mit goldenen Schnallen war ein durchscheinender, weißer Mantel an ihren Schultern befestigt, der die Nebel des Morgens darstellen sollte. Auf ihrem Haupt lag ein ebenfalls weißer Schleier, der die nussbraunen Haare verbarg und der von Efeuzweigen gehalten wurde. Nur sie und die zwei ältesten Priesterinnen durften Kränze aus Efeu tragen, da dieses Gewächs als Pflanze der Göttin galt. An ihren Fingern glänzten goldene Ringe mit bunten Edelsteinen, von denen jeder etwas symbolisierte. Aideera spürte, wie die Hohepriesterin begann, ein Netz um die Anwesenden zu spinnen. Sie suchte nach geeigneten Novizinnen, hatte man ihr erklärt. Doch in den letzen Jahren war fast kein geeignetes Kind da gewesen. Nach welchen Kriterien suchte sie? Wie mussten Novizinnen sein? Sie starrte wieder auf ihre grünlichen Fingernägel, als die Priesterin ihre kräftige Stimme erhob, die bis in den letzten Winkel des Tempels hallte. "Geh mir aus dem Weg," herrschte auf einmal eine gebieterische Stimme hinter Aideera, als sie gerade zum Friedhof hinterlief. Man hatte ihr diesen Dienst vor einigen Tagen übertragen, zusammen mit Galiriel, die aber noch nicht von ihrem Unterricht gekommen war. Seit dem Fest der Göttin wurde sie auffällig viel mit dem schüchternen, drei Jahre älteren Mädchen zusammengesteckt. Wütend über die unfreundliche Anrede fuhr Aideera herum. Hinter ihr stand die frisch geweihte Me'natas in ihrem pastellgrünen Gewand. Sie hatte keine Lust, sich mit der Frau anzulegen, die ihr vom ersten Tag an nicht sonderlich sympathisch gewesen war und trat daher einfach einen Schritt zur Seite, um die Ältere passieren zu lassen. Diese rauschte mit erhobenem Kopf an ihr vorbei, als wäre sie Luft, so wie sie sich immer benahm, eben. Doch dann drehte sie sich um: "Ich warne dich, Galiriel gehört mir, mir allein!" Nach diesem Ausbruch verschwand Me'natas in den Wald, wohl um ihren Kräutervorrat aufzufrischen. Was hatte denn das zu bedeuten gehabt? Wieso gehörte Galiriel jemandem? Sklaven gab es doch schon seit dem ersten Zeitalter nicht mehr! Und selbst da war es nur das Volk der Ma'golas gewesen, die sich so etwas gehalten hatten! Sicher, im Grunde interessierte Aideera sich nur für ihre Dinge, doch Galiriel war nett zu ihr gewesen. Sie beschloss, das Mädchen zu fragen. Irgendwann. Sie setzte sich unter die hohe, alte Weide mit ihren tiefhängenden Blättern und fixierte die Tür, aus der Galiriel gleich kommen müsste. Dabei sah sie Was'ra'ta, in Begleitung zweier Kinder, das eine war nicht älter, als sieben Jahre, das Andere zählte vielleicht zwölf. Doch das war nichts Außergewöhnliches. Viele Kinder begannen ihre Ausbildung sehr früh. Die Jüngere musste die ganze Nacht geweint haben, ihre Wangen waren rot und geschwollen. In dieser Nacht würden sie zum ersten Mal im Saal der Novizinnen übernachten, dann war ihre Zeit der Eingewöhnung vorbei. Aideera fühlte tiefes Mitleid für das kleine Mädchen mit den Maisfarbenen Haaren. Sie hätten ihr noch zwei oder drei Jahre geben sollen. "Aideera?" Sie sah sich um: "Da bist du ja, Galiriel. Also, machen wir uns an die Arbeit." Nebeneinander passierten sie das efeuumrankte Tor und liefen zum Brunnen. Sie arbeiteten stumm miteinander, und erst, als sie fertig waren, sagte Galiriel: "Sieh mal, da, das Grab ohne Namen. Da wächst ja eine Blume!" Aideera schmunzelte stumm in sich hinein, während sie den weit geöffneten, roten Kelch aus der Ferne betrachtete. Sie hatte ihn vor einigen Nächten heimlich gesetzt. Es war ihre Lieblingsblume, eine wilde Waldkrone, wie sie wegen der gezackten Außenblätter genannt wurde. "Sie ist schön, nicht wahr?" "Aber....aber auf dem Grab darf doch gar nichts wachsen! Es wird nicht gegossen und nicht gepflegt!" Aideera grinste: "Scheinbar war sie ein Liebling der Göttin. Wie sonst sollte die Blume dahin gekommen sein, wo doch niemand Hand an dieses Grab legt!" "Aber...!" Aideera, die ahnte, worauf das hinauslaufen würde, winkte ab: "Verzeiht nicht jede Mutter ihrem Kind die Fehler, die es begeht? Warum sollte das bei der Göttin anders sein? Gerade sie muss doch verzeihen können, bei den Fehlern, die die Wesen immer wiederholen!" Da runzelte Galiriel die Stirn: "Was du da sagst, das klingt so logisch. Du scheinst die Göttin sehr zu lieben, nicht wahr? Manchmal kommt es mir so vor, als wärest du ihr Liebling. Sieh dich an, selbst deine Haare sind von ihr gezeichnet." Aideera lächelte: "Sicher glaube ich an sie, aber nicht so, wie viele Andere. Ihr betet laut, ich im Herzen." Galiriel setzte sich an den Rand des Weges und starrte in den Himmel, der sich, wie jeden Abend, blutrot zu färben begann: "Heute schlafen die beiden Neuen das erste Mal im großen Saal. Ich war eben drin, der Kleinen ist das Bett neben dir zugeteilt worden. Sie heißt übrigens Desideria. Ich hoffe, sie gewöhnt sich schnell ein, sie ist, wie ich am Anfang, sie ist viel zu jung. Sie wird hier nicht glücklich werden." Das waren genau die Gedanken, die Aideera sich auch schon gemacht hatte, doch sie schwieg. Sie erhob sich und schlenderte auf den Ausgang zu, als der Gong über ihnen zum Abendgebet im Tempel rief. Das leise Schluchzen neben ihr riss Aideera aus dem Schlaf. Verwirrt blickte sie um sich, bevor sie begriff, dass das kleine Mädchen neben ihr weinte. Leise und gedämpft, den Kopf tief in das Kissen gedrückt. Aideera musste daran denken, wie einsam das Kind sich wohl fühlte, verlassen, ihre Familie war weit weg. Bei ihrer Berufung hatte sie bitter geweint, so wie ihre Eltern. Sie war das jüngste Kind der Familie gewesen, die zwar nicht reich, aber doch glücklich gewesen sein musste. Doch sie hatten nicht gewagt, der Hohepriesterin zu widersprechen. Denn es galt als Ehre, wenn ein Kind ausgewählt wurde. Sie war sogar zusammengebrochen, als man sie weggeführt hatte! Leise, um die Anderen nicht noch zu wecken, schwang Aideera sich aus dem Bett und lief hinüber zu dem Mädchen. Sie sagte kein Wort, sie setzte sich nur auf die Bettkante und strich ihr über den von Schluchzern geschüttelten Rücken. Erst zuckte Desideria zusammen doch dann blickte sie auf. Ihr Gesicht und ihr Kissen waren nass, die blauen Augen vom Weinen entzündet und dick. Aideera nahm sie einfach nur in den Arm. Sie schloss ihre Augen und drang ganz sanft in ihren Geist ein. Eine Woge von Angst überspülte sie, Angst, Trauer, Einsamkeit. Die Gefühle der Kleinen. Und Wut, Wut darüber, aus ihren einfachen, aber fröhlichen Leben gerissen worden zu sein, weg von ihren Geschwistern und Eltern, dem Wolf, den sie gepflegt und gezähmt hatte. Doch das schlimmste war das Heimweh. Es schnürte selbst ihr die Kehle zu, obwohl sie nie im Leben ein Heim besessen hatte, außer jetzt ihre Schlafstatt in der Tempelanlage. Ohne ein Wort hob sie das Kind hoch, das sich inzwischen an sie klammerte, wie eine Ertrinkende an ein Stück Treibholz und trug sie hinüber zu ihrem eigenen Bett, wo sie sich hinlegte und die leichte Decke über sie beide breitete. Was'ra'ta schritt neben Hohepriesterin her, sie beobachteten die Novizinnen, die ihre wenige, freie Zeit damit zubrachten, in der Sonne zu liegen und sich den Luxus zu gönnen, nichts zu tun. Die Priesterin setzte vorsichtig an: "Feli'citan hat sich außergewöhnlich schnell hier eingelebt, das war eine gute Wahl. Aber Desideria ist hier nicht glücklich." Die Hohepriesterin sah zu dem maisblonden Mädchen, das stumm wie ein Fisch neben Aideera saß. Zwar waren ihre Wangen nicht mehr vom Weinen geschwollen, doch sie sah auch nicht glücklich aus: "Das war doch bei Galiriel dasselbe. Darüber mache ich mir keine Gedanken. Und außerdem ist Aideera, seit sie sich um die Kleine kümmert, viel zugänglicher geworden." Was'ra'ta schüttelte nur den Kopf. Nein, sie alle drei, Galiriel, Aideera und Desideria gehörten hier nicht hin. Sie alle drei hatten keine Chance, auf diesem Weg glücklich zu werden. So weinig, wie die, deren Namen sie nicht einmal mehr in Gedanken nennen durfte. Aideera war eine starke Persönlichkeit die einen ungewöhnlich großen Zugriff auf die Quelle hatte und rasch und leicht lernte, sich jedoch kaum für etwas zu interessieren vermochte, Galiriel war sowieso ein Sonderfall und Desideria - sie würde hier eingehen, verwelken, wie eine Pflanze, die kein Sonnenlicht und kein Wasser bekam. Doch die neue Hohepriesterin war noch zu jung, um das zu sehen. Sie spürte nur die Weite der Geister und die Verbindung zur Quelle. Doch mit einem hatte sie recht. Seit Desideria hier war, entspannten sich Aideeras ausdruckslose Züge, sie ließ es zu, dass das kleine Mädchen ihre Nähe suchte, versuchte ihr zu helfen, mit dem neuen Alltag zurechtzukommen. Auch zu Galiriel schien sie etwas mehr Kontakt bekommen zu haben. Aber sie war immer noch nicht bereit, jemanden an sich heran zu lassen. Würde sie das wohl jemals sein? Es war schon fast ein Jahr vergangen, seit sie wie ein Geist vor dem Tor aufgetaucht war und noch immer wusste niemand, wer sie war oder was sie beschäftigte. Nicht einmal die Hohepriesterin selbst schaffte es, sich in Aideeras Kopf umzusehen, so stark war die Gegenwehr des jungen Mädchens. Sie verbarg etwas, das niemand wissen sollte, verschloss sich deswegen vor Jedem. Das war nicht gut. "Ich schaffe es einfach nicht," wimmerte Desideria leise. Ein Tränenstrom rann von ihrer Wange. Aideera nahm einen Zipfel ihres Kleides und wischte die feuchte Spur weg. Ein Jahr war nun vergangen, seit Desideria hierher gekommen war, inzwischen waren noch fünf Mädchen, alle über zwölf, ausgewählt worden. Doch die Einzige, die nachts noch weinte, war Desideria. Meist wachte sie von ihrem eigenen Schluchzen auf und kroch dann zu Aideera ins Bett. Diese ließ es zu, da sie wusste, wie sehr das kleine Mädchen Nähe brauchte. Sie versuchte der Kleinen zu helfen, wo immer es nur ging. Auch jetzt saß sie neben ihr und sah sie an. Dann öffnete sie ihren Mund und begann, leise und durchdringend zu singen. Der Same in ihrer Hand sprang auf, ein Spross kam daraus hervor. "Schau, du musst es wirklich wollen und dir denken, dass du es kannst. Du hast die Stimme, das fühle ich, du musst sie nur wecken. Wir haben ja Zeit. Es braucht auch nicht heute zu klappen." Desideria wandte sich ihrem Samen zu, machte ihren Mund auf - und schloss ihn gleich wieder. "Ich kann einfach nicht!" Aideera schüttelte ihren Kopf: "Du denkst, dass du es nicht kannst. So wird bestimmt nichts aus der Sache. Komm, wir machen eine Pause." Sie erhob sich. Ihre Bewegungen waren in den einen Jahr runder und ausgewogener geworden ohne ihre Grazie und Leichtheit zu verlieren. Sie nahm die Hand des immer noch verzweifelt dreinblickenden Mädchens und führte sie zu dem Wald, der direkt an der Mauer der Friedhofs begann. Hier fand sie selbst immer den inneren Frieden, den sie alle im Tempel suchten, denn tief zwischen den Bäumen war außer den Tieren und dem eigenen Atem nur noch der Wind zu hören. Das war der Ort, an dem sie der Göttin wirklich nahe war, ganz ohne die riesenhafte Statue und die vielen Säulen. Auch Desideria entspannte sich langsam, der Druck ihrer Hand ließ nach, ihre Gedanken beruhigten sich wieder. Das war einfach zu viel für sie. Niemand konnte von so einem Kind erwarten, seine Kräfte schon kontrollieren zu können! Warum hatte die Hohepriesterin ihr nicht noch etwas Zeit gelassen? "Aideera! Was machst du denn hier?" Aideera sah Galiriel entgegen, die gerade zwischen zwei Bäumen hervorkam, ein Bündel Kräuter für Me'natas im Arm: "Der Kleinen den Wald zeigen. Allein darf sie ja nirgends hin. Und sie braucht dringend mal was anderes, als die gerade geschorene, abgezirkelte Wiese vor dem Tempel." Desideria war hinter ihrem Rücken verschwunden. Sie vertraute niemandem und ging auch ohne Aideera nicht mehr mit anderen Priesterinnen mit. Sie hatte sich in dem einen Jahr völlig von allen, außer Aideera abgekapselt. Diese bückte sich, strich dem Mädchen über die Haare und sah sie sorgenvoll an. So wie auch Galiriel. "Sie ist hier genauso falsch am Platz, wie ich." Da war sie wieder, die Anspielung auf etwas, das in der Dunkelheit lag und so tief in Galiriels Gedanken verborgen war, dass Aideera es nicht ereichen konnte. Sie sah Desideria an: "Lauf, sieh dich etwas um. Ich komme dann später nach. Genieße die Zeit." Zuerst zögernd und dann recht schnell verschwand das Mädchen zwischen den Bäumen. "Sie wird abhauen.," meinte Galiriel. "Nein, nicht, wenn ich dabei bin." "Sie vertraut dir, sie sieht in dir ihre Familie. Das ist nicht gut." Aideera seufzte: "Das weiß ich doch auch. Aber wenn ich sie jetzt allein lasse, geht sie wirklich ein! Wenn es doch nur eine Möglichkeit gäbe, sie zurückzubringen. Irgendeine." "Wem sagst du das?" Galiriel sah in die Richtung, in die Desideria gelaufen war. "Ich habe so oft versucht, wegzulaufen, irgendwohin, nur weg von hier." "Warum? Warum bist du dann hier? Das verstehe ich nicht." "Ich werde es dir erzählen, wenn du mir dafür erzählst, woher du kommst und warum du hier bist." Aideera zuckte zusammen. Sie wollte das nicht! Doch andrerseits - sie vertraute Galiriel. Und sie konnte ja einiges verschweigen, ohne deswegen zu lügen. Sie nickte: "Du fängst an." Galiriel ließ sich auf die Wurzel sinken, die vor ihr aus der Erde sah und legte sich die Kräuter über die Knie: "Ich bin zwei Jahre nach Me'natas ausgewählt und meiner Familie entrissen worden. Sie waren stolz darauf, dass ihre Tochter ausgewählt wurde. Ich war das sechste von acht Kindern, daher bedeutete mein Eintritt in den Tempel nicht sehr viel, ich war ja auch nur ein Mädchen. Doch ich vermisste meine Brüder und meine kleine Schwester so sehr! Schon in der zehnten Nacht versuchte ich zu fliehen, doch Me'natas hat es gemerkt, mich eingefangen und zur Hohepriesterin gebracht. Sie fragte mich, warum ich fliehen wollte und nannte mich kindisch und dumm. Ich war damals nur etwas älter, als Desideria jetzt. Ich musste zur Strafe den Tempel putzen, doch das war mir egal. Bei der nächsten Gelegenheit versuchte ich es wieder. Doch ich kam nicht einmal bis zum Portal. Ich lief direkt in die Arme eines Elfen, du weißt schon, der, der immer mal wieder hier vorbeikommt. Der Händler, die der grünen Stoffe bringt. Der brachte mich natürlich zurück. Diesmal wurde ich über ein Jahr eingesperrt und mir wurde gedroht, dass, sollte ich das noch mal versuchen, meine Ächtung ausgesprochen würde und sie machten mich zur Sklavin. Ich sollte Me'natas dienen, ihr meine Fähigkeiten zur Verfügung stellen und ihr Schatten werden, für die nächsten acht Jahre." Aideera riss ihre Augen weit auf: "Das sind ja barbarische Zustände!" Galiriel lächelte: "Sie haben mich gebunden, sieh." Sie schob ihre Robe ein wenig zurück, so dass Aideera das magische Band sehen konnte, dass ich um ihren Hals schlang. "Wenn ich auch nur an Flucht denken sollte, würde es mich grillen. Aber ich werde es wieder versuchen. Jetzt bist du dran." Aideera sah zu, wie Galiriel die Kette sorgsam wieder versteckte. Nun verstand sie so einiges. Ihr Schweigen, ihre Einstellung und ihr Benehmen. Sie zuckte die Schultern: "Bei mit gibt es nicht viel zu erzählen. Ich bin als Neugeborenes hier in diesen Wäldern gefunden und in ein Heim gebracht worden. Wider aller Erwartungen überlebte ich, doch da ich mich von Anderen unterschied, haben sie mich nur gehänselt, also bin ich weggelaufen. Ich habe jahrelang in den Wäldern gelebt, aber eines Nachts führte mich ein komisches Licht vor den Tempel. Das war's." "Und was ist daran so schlimm? Warum hast du das nie erzählt?" "Weil ich nicht will und nicht wollte. Das ist meine Vergangenheit und ich wollte sie nur noch vergessen. Deswegen." Galiriel nickte und legte ihre Hand auf Aideeras Arm: "Von mir wird niemand etwas erfahren, das verspreche ich. Dein Geheimnis ist bei mir sicher. Und wer weiß, vielleicht werden wir sogar mal Freundinnen. So wie du und Desideria. Glaub mir, sie konnte es nicht besser treffen, denn sie hat dich gefunden." Aideera wurde rot: "Irgendwer muss sich ja um sie kümmern. Sie ist so einsam. Aber auch dein Geheimnis wird bei mir sicher sein." Galiriel wehrte ab: "Das weiß ich, sonst hätte ich es dir nicht erzählt" Dann erhob Aideera sich: "Ich muss zu Desideria, ich will sie nicht zu lange allein lassen. Wir sehen uns ja spätestens in einer Stunde, wenn wir die Gräber richten müssen." "Hast du sie endlich gefunden, Kellahan?" Der Elf mit den dunkelblauen Haaren und der muskulösen Struktur drehte sich langsam um. Sein Bogen hing über seiner Schulter. "Ich bin mir nicht sicher, Herr." "Was bedeutet das?" kam es aus dem Sessel vor dem offenen Feuer zurück. "Ich fühle seine Präsenz doch immer noch so stark wie seit siebzehn Jahren!" Der hochgewachsene Mann mit den dunklen Augen trat vor den Mann mit dem scheinbar alterslosen Gesicht. Niemand wusste, wie alt er schon war. Es schien, als existiere er schon ewig. "Ich fand jemanden, auf den fast jede Beschreibung passt. Es ist die richtige Umgebung, die Aura, die Kraft. Da gibt es nur ein Problem." Er streifte seinen Bogen ab und hängte ihn, zusammen mit den Köcher, in den Schrank an der Wand. "Und was wäre diese Ungereimtheit?" Kellahan schluckte: "Ich habe mich als Händler für Stoffe getarnt, um unerkannt in den Tempel der Natur zu gelangen. Das war das einzige Gebäude, das ich in der Umgebung noch nicht durchsucht habe. Ich habe bezweifelt, etwas zu finden, doch ich bin hingegangen. Während die Priesterinnen die Stoffe untersuchten, bin ich zur Tempelhalle. Vor der waren mehrer Novizinnen, wie immer eben. Einige von denen kannten mich, ich war ja nicht das erste Mal hier. Doch meistens bin ich nur zu dem Fest gekommen, weil da so viele Menschen waren. Ich sah in der Nähe den Sohn des Gärtners, der etwa siebzehn oder achtzehn war, im richtigen Alter eben. Also bin ich hin und habe ihn überprüft. Doch seine Aura war stumpf, er konnte es nicht sein. Doch ich spürte etwas und so begann ich, mehr aus Langeweile, als aus Interesse, die Mädchen zu überprüfen. Ich habe die Überraschung meines Lebens erlebt, als ich feststellen musste, dass eines der Mädchen sich abschirmte, wie ein Elf, obwohl es sich um einen Menschen zu handeln schien! Sie hielt alles zurück, sogar ihre Aura! Bis ein kleines Mädchen zu ihr gekommen ist. Da wurde sie für einen Moment unachtsam, lange genug, um festzustellen, dass sie die Aura besaß, die Ihr sucht." Der Mann im Sessel strich sich über sein Kinn und zog die Stirn in tiefe Falten. Dann erhob er sich. Er war nur wenig kleiner, als der Elf mit den blauen Haaren. Er lief zu einem gläsernen Rahmen, nahm ein Tuch und entfernte die dicke Staubschicht. Dann vertiefte er sich in die seltsamen Zeichen, die das Papier bedeckten. Es war die erste Schrift, die der Gott Meren'tas ihnen geschenkt hatte. Dann hellte sich sein Gesicht auf: "Nicht du hast den Fehler gemacht, Kellahan! Es war meine Schuld! Ich muss mit Blindheit geschlagen gewesen sein! Natürlich ein Mädchen! Das ist es! Das ist das, womit niemand gerechnet hätte! Ein perfekter Schutz! Und ist sie nicht auch eine Frau? Sicher hat sie ein Mädchen gesandt! Kehre zurück Kellahan, finde sie und bring sie zu mir!" Der Elf überlegte: "Die Reise wird eine ganze Weile dauern, Herr." "Na und? Wenn sie im Tempel dient, wird sie auch noch in einem halben Jahr da sein! Und länger brauchst du nicht, wenn du auf dem Fluss fährst und die Winde um Hilfe bittest! Beeil dich, brich am besten heute noch auf, denn ich fürchte, dass auch Ge'eres seinen Fehler irgendwann bemerken wird!" Kellahan war nicht wohl bei der Sache, doch er nickte: "Ich werde mit dem nächsten Boot ablegen." Jetzt jagte er nicht nur einem Mythos, sondern auch noch dessen weiblicher Erscheinung hinterher! Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Vorsichtig schnitt Aideera den Pilz mit ihrem kleinen Messerchen aus dem moosigen, weichen Waldboden und zeigte ihn Desideria, die ihn zwischen ihren schmalen Händen drehte und betrachtete. Dann sah sie auf, sie wartete geduldig auf die Erklärung, von der sie wusste, dass sie bald folgen würde. Während Aideera weitere Pilze schnitt und sie in den Korb legte, begann sie zu erklären: "Präge dir diesem Pilz gut ein, er trägt besondere Kräfte in sich. Man kann ihn essen, er ist nicht giftig und er enthält einen Wirkstoff, einen weißen Saft, den man herauspressen kann, der Brandwunden fast vollständig schließen kann, wenn man ihn pur verwendet. Macht man ihn zu einer Salbe und trägt sie auf die Haut auf, ist die vor der Sonne geschützt." Desideria nickte, zückte ihrerseits ein Messerchen und half Aideera, die Kolonie, die sie zusammen vor einer Woche gepflanzt hatten, zu ernten. "Na ihr zwei? Wie weit seid ihr?" Aideera klappte die Klinge ihres Messers ein und sah sich um. Hinter ihr stand Galiriel, die in zwei Tagen, zusammen mit ihr, die Weihe erhalten sollte. Die Kette hatte man ihr vor wenigen Tagen erst abgenommen. Auch sie trug einen Korb, der halb mit Samen gefüllt war. Sie stellte ihn ab und begann, die Schoten der Pflanze neben dem Pilzhort auszupolen. "Das ist die dritte Kolonie, dann haben wir noch eine." Galiriel warf ihren Zopf über ihre Schulter und lachte: "Ihr Glücklichen! Ich habe noch acht Büsche vor mir!" Da grinste Aideera und stieß Desideria spielerisch zwischen die Schulterblätter: "Na, dann helfen wir dir eben und gehen danach zusammen noch zum Waldsee!" "Bist du wahnsinnig? Weißt du, was die Hohepriesterin dann mit uns macht?" "Das ist mir egal. Sie muss es ja nicht erfahren und ich brauche dringend ein Bad." Da zuckte Galiriel die Schultern. "Warum eigent............ bei der Göttin, was war das?" Ein schauerliches Geräusch zerschnitt den Frieden des heiligen Waldes, die Vögel erhoben sich schimpfend in die Luft, einige Rehe, die in ihrer Nähe gegrast hatten, hoben ihre Köpfe und rannten, als hätten sie Jäger gewittert. Aideera stand da wie versteinert. Sie hatte das Geräusch hundert mal lauter gehört, als die Anderen, zusammen mit grauenvollen, erschrockenen und flehenden Schreien. Was ging da hinten, beim Tempel vor? Und dann roch ihre empfindliche Nase den dicken, stinkenden Rauch, lange bevor die schwere Säule sich den Weg in den wolkenfreien, blauen Himmel gebahnt hatte. "Aideera! Was war das? Ich habe Angst!" Desideria hatte sich bei dem plötzlichen Knall tief in ihre Hand geschnitten und ihr Messer vor Schreck fallen lassen. Das Blut lief ihr den Arm herab, während sie sich mit der anderen in Aideeras Kleid verkrallte, während Galiriel sich unschlüssig und schneeweiß umsah. "Was sollen wir tun?" Aideera riss sich von den Stimmen und den Gefühlen los, die sie vom Tempel aus empfing, beugte sich zu Desideria herab, öffnete ihre verletzte Hand und rief nach der Quelle. Sie wob ein feines Netz über den tiefen Schnitt, der bis zu den Knochen reichte und zwang so das Gewebe, sich in Windeseile wieder zu schließen. Erst, als die Haut sich wieder vollständig geschlossen hatte, nahm sie das Mädchen in den Arm und antwortete Galiriel: "Wir werden tiefer in den Wald gehen und warten, da ist was passiert, ich weiß nicht was, aber ich fühle, dass wir uns fernhalten sollten - erst mal." "Und wo, bitte, sollen wir hin? Wir sind kurz vor dem Schutzkreis, da kommen wir nicht durch, wir sind nicht geweiht, wir haben keine Chance!" "Das sagst du," meinte Aideera trocken, während sie sich das zitternde Kind auf die Hüfte setzte. Der Schreck in ihr saß viel zu tief, als dass sie hätte laufen können: "Ich habe auf der anderen Seite des Kreises jahrelang gelebt, ich weiß einen Ort, an den wir erst einmal für eine Weile gehen können, ich komme durch den Kreis, ich werde die Träger brechen." Galiriel zog die Brauen hoch: "Jetzt übertreibst du aber! Was kann schon passiert sein, das so schlimm ist? Und woher solltest du die Macht haben, die uralten Bäume auszureißen?" Aideera deutete zum Himmel, wo die Rauchwolke, die sie eben nur gerochen hatte, nun unaufhaltsam in die Höhe stieg: "Ich sehe, ich rieche und ich höre besser, als ihr, glaubt mir, es ist eine schlechte Idee, jetzt zurückzukehren." "Aber wir sollten den Wald nicht verlassen! Wir bekommen einen riesen Ärger!" Wie sollte Aideera ihrer Freundin erklären, dass sie spürte, wie die Auren der Priesterinnen, die sie kannte und deren Gedanken sie heimlich gelesen hatte, eine nach der Anderen erloschen? "Ich bringe euch an einen Ort in der Nähe, er ist sehr gut versteckt und da werdet ihr bleiben, egal, was um euch herum passiert. Ich werde zurückgehen und sehen, was geschehen ist. Wenn es das ist, was ich befürchte, werden wir noch heute Nacht dem Kreis verlassen." Sie lief los und stellte fest, dass Galiriel ihr folgte. "Warum willst du gehen? Ich komme mit!" Da lachte Aideera auf: "Wenn das, was ich vermute, zutrifft, bist du nur im Weg! Du bist Bardin, kennst die geheimen Weisen und Geschichten! Aber du kannst dich nicht verteidigen!" "Ach, aber du?" Aideera lächelte: "Ich habe jahrelang allein in den Wäldern überlebt, ich kann mich bewegen, ohne auch nur ein Blatt zu berühren, wenn ich nicht gesehen werden will, werde ich nicht gesehen. Dich hört man meilenweit." Galiriel schüttelte ihren Kopf: "Das halte ich für übertrieben. Bestimmt ist nut die Destille in die Luft gegangen." "Dann komme ich zurück und hole euch. So, geht hier rein." Aideera ließ Desideria von ihrer Hüfte und schob sie zwischen einen natürlichen Vorhang aus Efeu, der einen einzelnen Stein bedeckte. Erst da wurde der in die Tiefe führende Eingang sichtbar, er war nicht breit, es schien ein Tierbau gewesen zu sein, doch für zwei schlanke Mädchen würde er reichen. Galiriel, die Aideera immer noch für übergeschnappt hielt, wollte nicht hinein. Doch dann sah sie in die Augen der Freundin. Zum ersten Mal sah sie darin mehr, als Wachsamkeit und Zurückhaltung. Sie sah Angst. Die grünen Pupillen glitten immer wieder nervös hin und her: "Nun mach schon! Rein mit dir!" Ohne ein weiteres Wort legte Galiriel sich neben Desideria und schlang einen Arm um das zitternde Kind. Sollte Aideera ihren Willen bekommen. In spätestens einer Stunde würde sie wieder hier sein und ihnen sagen, dass es falscher Alarm gewesen war. Dann durfte sie aber die Roben von der Erde reinigen! Sie beobachtete durch die winzigen Zwischenräume, wie Aideera mit ihrem fast schwebenden Gang verschwand. "Kommt sie wieder?" Desiderias Stimme zitterte, wie ihr viel zu schmaler Körper. "Natürlich! Es ist bestimmt nichts passiert. Sie wird uns gleich holen." Doch auf einmal war sie selbst nicht mehr wirklich überzeugt davon. Sie starrte zwischen den Blättern heraus und wartete. Im Schatten der Bäume lief Aideera zurück, weit ab vom Weg, mitten durch das Unterholz. In ihrem Magen schien ein Stein zu lasten, der sie herabdrücken wollte. Um sie herum war es totenstill, nicht einmal ein Käfer krabbelte über den Boden, alles schien sich verkrochen zu haben, nicht einmal der Wind, der eben noch mit einer frischen Briese über die Kronen der Bäume gefahren war, rührte sich mehr. Ihre Sinne waren so gespannt, wie noch nie zuvor. Jedes Rascheln eines fallenden Blattes, jeder Luftzug eines sich bewegenden Astes ließ sie herumfahren. Ihr Messer mit der abgenutzten, nur noch hauchdünnen Klinge hielt sie fest umklammert. Egal, was das gewesen war, es war noch da und es war mit Sicherheit nicht die Destille gewesen! Die hätte man aus der Entfernung nicht halb so laut gehört! Und dann hörte sie es: Der rasche Atem galoppierender Pferde, beschlagenes, aneinander klapperndes Zaumzeug. Der Boden begann zu vibrieren. Aideera rannte. Mit einem Satz sprang sie und griff nach dem Ast eines alten Baumes. Geschickt, als hätte sie nie damit aufgehört, schwang sie sich daran hoch, griff nach dem nächsten Ast und hangelte sich so bis zur Krone hoch, wo die Blätter sie vor Blicken schützten. Als sie dann aber ein Netz spürte, das nach Leben suchte, wurde sie panisch. So hastig, wie nie zuvor spann sie ein schützendes Geflecht um sich herum, das ihre Gefühle, die Wärme ihres Körpers und den Schlag ihres Herzens, das zu zerspringen drohte, verbarg. Sie musste nicht lange warten, bevor auf dem Weg, einige Meter von ihr entfernt, ein Trupp entlangritt, der aus lauter schwarzen Reitern bestand. Zu gern hätte sie sich in den Kopf des Anführers geschaltet, doch damit hätte sie sich selbst verraten, dafür hätte sie die schützende Mauer durchtrennen müssen. Sie konnte nur beobachten. Die verhüllten Gestalten schienen es eilig zu haben. >Oh, Göttin, lass nicht zu dass sie Desideria und Galiriel finden!< dachte sie, während sie sich wieder vom Baum seilte. Dass ihre Robe dabei zerriss, nahm sie erst wahr, als das Ratschen die Stille erneut zerschnitt. Erschrocken blieb sie stehen, doch die Reiter kehrten nicht zurück. Hastig lief sie weiter auf den Tempel zu. Wähe sie nur aus dem Kreis, wie sie es vorgehabt hatte! Ihre feinen Sinne hatten sich noch nie geirrt! Sie konnte nur hoffen, dass der Bau der Fuchses weit genug vom Weg entfernt lag, dass die tastenden Fäden des Suchers sie nicht erreichte. Nein! Aideera keuchte auf. Da, wo die Mauer des Friedhofes an den Wald anschließen sollte, klaffte ein Loch, die Gräber waren den Blicken eines jeden vorbeireitenden ausgeliefert, fast alle zertrampelt. Aideera kniete neben das erste, das sie erreichte. Die Hufe der Pferde hatten sich ungewöhnlich tief in die dunkle, lockere Erde gegraben, was nur eines bedeuten konnte: diese Tiere waren schwerst gepanzert. Überall waren sie drüber geritten, ohne Erbarmen, die Grabsteine waren teilweise von einem Morgenstern zertrümmert oder zerbrochen, als sie mit voller Wucht umgestoßen worden waren. Etwas zog sie zu dem Grab der Namenlosen. Nicht einmal dieses weit abgelegene Grab hatten sie verschont. Der kleine Stein war einfach verschwunden, die Erde aufgewühlt. Die Hufe der Pferde hatten große Teile der Erde einfach abgetragen. Aideera wüsste nicht, warum sie darüber so entsetzt war. Sie kniete nieder und strich über eine zertrampelte, rote Blume. >Warum,< fragte sie sich selbst immer wieder, >warum tut jemand so etwas?< Auf einmal stieß ihr Finger auf etwas hartes. Was war denn das! Der Sarg wurde doch viel tiefer in die Erde gelegt! Sie fegte die Blüte beiseite. Etwas ledernes befand sich darunter. Aus einem inneren Drang heraus grub sie mit bloßen Händen, bis der Gegenstand frei lag. Es war ein langer Sack mit einer ledernen Schlaufe. In ihm befand sich etwas. Zögernd öffnete sie die Klappe und griff hinein. Sie fühlte etwas glattes, kühles, griff danach und zog es heraus. Es war ein blutroter Stein, der eingearbeitet worden war in ein Geflecht aus Wurzeln., die in einem langen, glatten Stab endeten, der aus dunklem, starken Holz bestand. Er strahlte eine innere Schönheit aus und Aideera war, als würde sie eine ihr vertraute Macht darin spüren. Sie ließ ihn zurück in den Beutel gleiten, verschloss ihn und band ihn sich um. Etwas in ihr riet ihr, ihn mitzunehmen, diese innere Stimme, die sich noch nie geirrt hatte. Erst danach lief sie durch das offene Tor, hinaus in eine zerstörte Welt. Da stand kein Tempel mehr. Die Ziegel des Daches lagen zerbrochen und überall verstreut herum, die Säulen, die es getragen hatten, lagen in all ihren Einzelteilen im aufgewühlten Gras. Vorsichtig stieg sie darüber und sog scharf die Luft ein. Der Statue der Göttin fehlte ein Arm und ein Fuß. Sie war mutwillig zerstört worden. "Wer ist zu so etwas in der Lage," flüsterte sie entsetzt. Die Göttin so zu beleidigen! Aber Plünderer konnten es nicht gewesen sein, denn all die goldenen Schälchen und Kelche waren auf dem Boden verstreut, die Edelsteine, die in einem Gefäß zu den Füßen der Göttin gestanden hatten, lagen auf dem Boden verstreut. Sie sammelte einige von ihnen ein und lief weiter. "Was'ra'ta!" Der Name entschlüpfte ihr fast gegen ihren Willen. Da lag die sanfte, geduldige Priesterin, die sie so lange unterwiesen hatte, Quer über einer umgeknickten Säule, die Augen waren vor Schrecken weit geöffnet, ein Schwert steckte tief in ihrer Brust, Blut färbte die Robe noch dunkler, als das Grün ohnehin schon war. Sie war tot, ihre Aura erloschen. Aideera trat zu ihr und schloss ihr die Augen. Mehr konnte sie nicht tun. Sie lief weiter, hinaus aus dem entweihten Tempel, auf den Wohntrakt zu. Immer mehr Leichen pflasterten ihren Weg und nicht nur bei Einer war die Kutte über die Hüften gerutscht. All die weit aufgerissenen, ungläubigen, hilfesuchenden Augen brannten sich tief in ihr Gedächtnis, während sie sie schloss. Und obwohl sie alle erst vor Kurzem getötet, nein, abgeschlachtet worden waren, waren viele der Körper schon eisig kalt. Es konnte kaum Gegenwehr gegeben haben, denn nicht eine der Priesterinnen hatte die Quelle je dazu genutzt, jemandem zu schaden. Sie hatten keine Chance gehabt. Sie waren wie Opferlämmer zur Schlachtbank geführt worden. Aideera blieb mitten im Hof stehen und schloss ihre Augen. Nein, nicht eine einzige Aura war mehr da, die Angreifer hatten saubere Arbeit geleistet. Als Aideera ihren Schlafsaal betrat, in dem sie nun so lange gelebt hatte, drehte es ihr fast den Magen um. Die jungen Novizinnen hatten wohl, unter der Deckung der Priesterinnen, versucht, hierher zu fliehen. Es hatte definitiv nichts genutzt. Sie lagen da, mit starren, verzweifelten Augen, in ihrem eigenen Blut, das noch über dem Fußboden floss, bei allen waren die Gewänder bis zu den Hüften aufgerissen und die Beine gespreizt, selbst bei den ganz Jungen. Sie alle waren grausamst geschändet worden. Aideera merkte nicht, wie ihr die Tränen in Strömen aus den Augen liefen, unaufhaltsam. Sie riss die Laken von den unbenutzten Betten und breitete sie über die Körper der Kinder aus. Unter ihnen befand sich auch die fröhliche kleine Alana, die erst vor zwei Jahren ausgewählt worden war und immer versucht hatte, Desideria ein wenig aufzuheitern. Nun blickten ihre Augen leer an die Decke, ihr Gesicht war schmerzverzogen, eine getrocknete Träne zeichnete sich noch auf ihrer kalten Wange ab. Sie war erst zehn Jahre alt gewesen, so alt, wie Deisderia selbst. Sie hätte da liegen können, hätte sie sie nicht mitgenommen, um ihr die Pflanzen zu zeigen! Als sie alle Körper zugedeckt hatte, rannte sie, so schnell sie konnte, aus dem Saal, durch die Verbindungstür in den Speisesaal. Hier herrschte überall dieselbe, gespenstische Stille, ihre leichten Schritte hallten fast unerträglich laut in ihren Ohren. Und auf einmal war es da. Das Flackern einer Aura, schwach nur, abgeschirmt durch etwas, so dass sie es nicht hatte spüren können, als sie draußen gewesen war, aber stark genug, um von einem Menschen zustammen. Sie sah sich um. Zu rufen traute sie sich nicht. Am Ende war ein Magier hier geblieben, hörte sie, schoss aus seiner Deckung und fiel auch noch über sie her! Der griff um ihr Messer wurde wieder fester, während sie die langen Bankreihen abschritt. Wenigstens lagen hier nur wenig Leichen, nur drei, darunter die Me'natas'. Sicher, sie hatte das Mädchen nie gemocht, doch das hatte sie ihr sicher nicht gewünscht. Dann sah sie die Leiche der Hohepriesterin, quer über dem Tisch, die gesamte Robe war zerfetzt worden, mehrere Pfeile hatten den Körper durchschlagen und ihn an die Holzplatte genagelt. Hier war die Aura am stärksten. Aideera hob das blutdurchtränkte Tischtuch hoch. Ein Paar weit aufgerissener Augen musterte sie. Feli'citan. Das Mädchen, das zusammen mit Desideria zu ihnen gekommen war. Sie wiegte sich wie im Trance hin und her, hin und her. Aideera streckte ihre Hand aus: "Komm, sie sind weg, ich bringe dich in Sicherheit." Doch das Mädchen machte keine Anstalten, zu kommen, es fuhr fort, sich zu wiegen, hin und her. Ihre verschleierten Augen schienen durch sie hindurch zu blicken. "Dafür habe ich jetzt keine Zeit!" Rief Aideera leise und eindringlich, packte den Arm des einstmals fröhlichen Mädchens und zerrte sie unter ihrem Versteck hervor. Ihr war klar, dass die mächtige Aura der Hohepriesterin das Kind verborgen gehalten hatte. Also hatte die bis vor wenigen Minuten noch gelebt. Das war sogar möglich, denn keiner der Pfeile hatte lebensnotwendige Organe verletzt. Feli'citan stand nun völlig unbeteiligt neben ihr, zumindest ihr Körper. Wo ihr Geist war, wusste sie nicht. Sie zerrte das Mädchen hinter sich her, als sie die Treppen nach oben stieg, über mehrere Leichen hinweg, zu den Gemächern der Priesterinnen, von da aus zu dem der Hohepriesterin. Auch hier herrschte ein grauenvolles Chaos, doch nichts fehlte. Überall lag Gold herum, Münzen der verschiedensten Regionen des Reiche, wertvolle, alte Bücher und Schriften, einige zerschnittene Tücher. Aideera machte sich auf, die wertvollen Dinge einzusammeln, das Gold, einige Edelsteine, die für Opferzeremonien gebraucht wurden. Nun würde sie sie brauchen, weit dringender, als die Göttin. Ihr wurde schlagartig bewusst, dass sie nun für sich und drei weitere Menschen Sorge tragen musste. Mit Feli'citan im Schlepptau lief sie zu dem Vorratsgebäude. Auch hier schlug ihr das Chaos entgegen. Zerschlagene Krüger, Laken, Stoffe, Essen. Nach kurzem Zögern hob sie ein großes Laken auf und begann es zu füllen. Als sie alles, das ihr noch irgendwie brauchbar erschienen war, eingepackt hatte, lief sie zum Stall. Vielleicht hatte sie Glück und eines der Tiere war noch am Leben. Sie trat durch das eingeschlagene Tor. Und lachte erfreut auf. Alle! Alle Tiere waren noch am Leben! Hastig öffnete sie die Gatter und ließ sie laufen. Fast alle, bis auf einen stattlichen Hengst. Sie stich im beruhigend über die geblähten Nüstern, flüsterte in sein Ohr. Als das Tier sich beruhig hatte, legte sie ihm Zaumzeug an und befestigte das Laken auf seinem Rücken. Nach einigem Zögern hievte sie auch noch das verstörte Mädchen hinauf. Sie konnte es nicht die ganze Zeit hinter sich herziehen. Galiriel starrte gespannt in die Dunkelheit. Sie schätzte, dass sie und Desideria schon seit etwa drei Stunden hier liegen mussten und nachdem eine ganze Truppe mit Pferden in einiger Entfernung an ihnen vorrübergeprescht war, hatte sie Angst. Aideera hatte recht gehabt. Etwas war geschehen. Sie hätten gehen sollen, wie ihre Freundin gesagt hatte! Aber nein, sie hatte ja widersprechen müssen, aus Angst vor der Hohepriesterin! Auf einmal bewegte sich etwas direkt auf sie zu. Aus der Angst drohte schon eine Panik zu werden, als Desideria auf einmal vorkroch und losrannte. Gut, es war nur Aideera. Auch Galiriel arbeitete sich mühsam aus dem Loch hervor und lief zu ihrer Freundin, die ein Pferd hinter sich herführte, auf dem Jemand saß. Sie brauchte lange, um Fali'citan in dem sich vor und zurückwiegenden Geschöpf zu erkennen. "Was ist geschehen?!" Doch Aideera sagte erst einmal gar nichts. Sie ließ sich auf einen Stein fallen. Ihr Gesicht glänzte vor Tränen, ihre Augen sprachen von purem Entsetzen. Sie kniete sich vor sie, nahm die eisig kalten Hände: "Aideera, sag schon! Was ist geschehen?" Sie ging nicht einmal auf die Frage ein, packte nur Desiderias Hand und zog sie mit sich: "Wir müssen hier weg. Sie haben nicht gefunden, was sie suchten, sie kommen zurück." °~°~°~ Ich entschuldige mich für eventuelle Rechtschreibfehler *drop*, Aber ich hab für diese GEshichte ncoh keinen Beta-Leser... Kapitel 3: Begegnungen ---------------------- Die Tag begann sich schon an einem hellen Streifen am Horizont anzukündigen, als Aideera endlich anhielt. Hier waren sie weit von allen Wegen entfernt, weit ab von jeglicher Siedlung, mitten im Nirgendwo, in dem sie sechs Jahre ihres Lebens verbracht hatte. Erst hier ließ sie sich auf den Boden sinken. Desideria war auf ihrem Rücken eingeschlafen, sie legte das Kind vorsichtig in das Moospolster und hob auch Feli'citan vom Pferd. Sie hatte immer noch nicht aufgehört, sich hin apathisch und her zu wiegen. "Ich will jetzt wissen, was passiert ist! Aideera, was hast du gesehen?" Wie durch einen dichten Nebel wabberte die Stimme ihrer Freundin auf sie zu. Sie versteckte ihr Gesicht in ihren Händen, doch Galiriel ließ sich nicht abwimmeln. "Sag es!" Aideera sah ihre Freundin an. "Sie sind tot, sie sind alle tot, von der jüngsten Novizin bis hin zur Hohepriesterin, sie haben den Tempel verwüstet, den Friedhof entweiht, die Göttin verärgert und jede einzelne Priesterin geschändet, sogar die Kinder." Ihre Stimme war völlig tonlos, wie die einer Unbeteiligten. Immer wieder sah sie die grausamen Bilder vor sich, ihren Schlafsaal, die blutüberströmten Körper, die zerrissenen Roben und Gewänder. Doch sie hatte keine Tränen mehr, um sich den Schmerz aus der Erinnerung zu weinen. All die starren, leblosen Augen, die schmerzverzerrten, verständnislosen Gesichter, sie verfolgten sie überall hin, sobald sie die Augen schloss. Sie merkte kaum, wie jegliche Farbe aus Galiriels Gesicht wich. Sie sah nur die Leichen, Berge von Leichen. "Alle?" Aideera versuchte, sich zusammenzureißen: "Alle, bis auf Feli'citan. Die Aura der Hohepriesterin hat sie wohl geschützt. In dem Laken sind Decken, Umhänge und etwas essen." Galiriels kühle Hand legte sich auf ihr heißes Gesicht: "Das ist völlig unwichtig. Und ich habe dich einfach gehen lassen! Wir hätten direkt verschwinden sollen! Komm, ruh dich aus." Doch Aideera schüttelte ihren Kopf: "Ich kann nicht schlafen. Nicht nach all dem, was ich gesehen habe. Es waren doch nur Kinder!UNd wäre ich nciht zurückgeritten, wäre Feli'citan jetzt genauso tot!" "Wer war es?" Aideera zuckte die Schultern: "Ich habe einen Trupp berittener Krieger gesehen, mit gepanzerten Pferden. Aber ich weiß nicht, wer es war." Damit wandte sie sich Feli'citan zu. Das Mädchen starrte mit offenen Augen in den noch dunklen Himmel. Ihre Robe war voll mit getrocknetem Blut, doch nicht zerrissen. Es war nur das Blut der Hohepriesterin, sie selbst war unverletzt. "Ich muss in ihren Geist dringen." "Jetzt? Aideera, du bist doch wahnsinnig! Das schaffst du nicht! Das... haben wr doch nie gelernt!" Doch sie lachte nur trocken auf: "Ich kann so einiges, von dem niemand etwas ahnt!" Sie konzentrierte sich auf Feli'citan, griff auf die Quelle zurück und tastete nach ihrem Geist. Dann hatte sie ihn, drang ein. Es war, als ob sie in einer Zeitschleife saß. Immer wieder geschah dasselbe: Das Mädchen rannte an der Hand der Hohepriesterin in den Wohntrakt, vorbei an gesichtlosen Kriegern, die die Novizinnen quälten, Schreie überall, in den Speisesaal, wo sie unter den Tisch geschubst wurde. Weitere Wesen, schemenhaft nur zu erkennen, traten ein, eines davon zog die Kapuze vom Kopf. Das Gesicht einer weißen Katze kam zum Vorschein. Die kreisrunde Form der Augen wies sie als weiblich aus. Eine Kavit'taas! Sie sagte etwas, das Aideera nicht verstand, es war eine seltsame Sprache, unmelodisch und hart, die Begleiter lösten sich, einige packten die Priesterin, dann war eine Erschütterung zu spüren. Das mussten die Pfeile gewesen sein, mit denen man die Priesterin an die Tischplatte genagelt hatte. Auf einmal tropfte Blut von der Decke, breitete sich aus, färbte den weißen Stoff, bildete Lachen auf dem Boden, dann begann das alles von Vorne. Kein Wunder, dass das Mädchen sich so benahm. Sie hatte mit ansehen müssen, wie ihre Freundinnen geschändet wurden, hatte ihre verzweifelten Schreie gehört und da Feli'citan fühlig war, hatte sie gespürt, wie eine Aura nach der Anderen erlösch. Doch wie bekam sie das Mädchen wieder wach? Sie ließ sich durch den Geist gleiten, begann, ohne genau zu wissen, was sie tat, ein Netz zu weben und auf einmal schwebte sie in einer warmen Schwärze. Ein Licht kam ihr entgegen, darin lag, zusammengekauert, ein Mädchen. Feli'citan. Sie hatte sich weit in ihr innerstes verkrochen, in das warme Vergessen. Sie ließ sich auf die Blase zutreiben. "Wach auf! Los, mach schon! Wach auf! Das ist nicht die wirkliche Welt! Was geschehen ist, ist geschehen und so wird es nicht besser!" Doch das Mädchen im Innern rührte sich nicht. Entschlossen griff Aideera erneut nach der Quelle, wob eine Art Netz unter der Blase und schlug dann mit aller Wucht dagegen. Wenn es auf die nette Art nicht ging, dann eben auf die Grobe! Das Netz fing das Kind auf, das auf einmal zu schreien begann. Sie hatte es geschafft. Feli'citan war erwacht. Sie ließ sich in ihren eigenen Körper zurückgleiten. Erschöpft sah sie zu Galiriel auf, die sie festhielt: "Ich habe es geschafft." Sie beobachteten, wie Feli'citan von ihren eigenen Schreien erwachte, dann bettete Galiriel sie neben Desideria, wo sie tatsächlich nach einer Weile einschlief. Auch Aideera versank in einen unruhigen Schlaf, aus dem die Alpträume vom Gesehen sie immer wieder weckten. Als die Sonne am höchsten stand, öffnete Aideera ihre Augen. Sofort wurde ihr eine Scheibe Brot hingehalten, die dünn mit Käse belegt war. Desideria setzte sich augenblicklich auf ihren Schoß, Feli'citan lehnte sich an sie. Galiriel hatte den gesamten Inhalt des Lakens ausgebreitet: "Du hast viel mitgebracht, sogar einige einfache Kleider." Aideera nickte: "Wir sollten nicht in den Novizenkleidern rumlaufen. Nicht mehr. Sie sind zu kalt und zum längeren Laufen ungeeignet, sie reißen viel zu schnell." Die Ältere blickte an sich herab: "Ich habe es gemerkt. Gleich nach dem Essen sollten wir uns umziehen." Feli'citan sah das rot: "NEIN! Das ziehe ich nicht an!" Sie warf ihr Brot erschrocken hinter sich. Desideria schlang ihre Arme um den Hals des verschreckten Mädchens während Aideera das Kleid packte und es es in den Wald schleuderte. "Niemand wird es tragen." Schließlch legte sie ihr unangetastetes Brot beiseite. Sie konnte einfach nicht essen. Immer wieder dachte sie sich, dass das hier alles nur ein dummer Alptraum sein konnte und sie gleich im Schlafsaal aufwachen würde. Doch es war kein Traum, das sagte ihr der Geruch des trockenen Blutes auf ihrer und Feli'citans Robe. Wieder einmal hatte sich ihr Leben vom einen auf den anderen Tag geändert noch vor genau vierundzwanzig Stunden hatte sie, zusammen mit all den Novizinnen und Priesterinnen gegessen, war zum Sammeln gegangen, mit der einzigen Sorge, dass die Einweihung immer näher rückte und ihre Zweifel immer höher wuchsen! Nein, sie konnte einfach nichts herunterwürgen. Ihr Mund war gefüllt mit dem metallischen Geruch von Blut. Sie erhob sich, packte Feli'citan an der einen, Desideria and er anderen Hand und meinte: "Hier unten ist ein kleiner Bach. Nimm bitte die Kleider und Umhänge." Galiriel fragte nichts, sie schlug das Essen wieder in das Laken ein, warf ihrer Freundin noch einen kurzen, sorgenvollen Blick zu und folgte, die zahlreichen Gewänder auf ihrem Arm, den Anderen. Diese Kleider hatten einmal den Toten gehört, in ihnen waren sie gekommen, um Novizinnen zu werden, ihr altes Leben wie eine Haut abzustreifen und ein neues zu beginnen. Eines hatte sie erkannt, Desideria hatte es an dem Tag ihres Kommens getragen. Sie hatte es gar nicht erst mitgenommen. Am Fluss angekommen, riss Aideera ihr Gewand von ihrem Leib, die Anderen taten es ihr nach. Sie tauchte ihres in das kühle Nass und begann, Feli'citan damit abzurubbeln, bis auch der letzte Blutspritzer von ihrer Haut verschwunden war. Desideria wusch sich, ohne dass man ihr etwas sagen musste und so riss Aideera sich nun fast selbst die Haut vom Leibe, als könne sie so ihre Erinnerung fortwaschen. Erst Galiriels Arm hinderte sie daran, sich blutig zu reiben. Sie ließ zu, dass ihre Freundin ihren Lumpen aus ihrer Hand nahm und ihn wegwarf. Dann gab sie ihr ihren eigenen, der noch trocken war, so, dass sie sich abtrocknen konnte. Danach gab sie ihn Feli'citan, die sich hastig damit abrieb und aus dem Wasser stakte. Es war Galiriel, die die Kleinen einkleidete, ohne zu fragen, sie gab auch Aideera ein einfaches Kittelkleid, das sie sich übersteifte. Die ungebrauchten Kleider nahmen sie wieder mit, ihre alten ließen sie zurück. Sie waren die abgestreifte Haut ihres alten Lebens. Nachdem Das Pferd wieder beladen war, liefen sie los, immer hinter Aideera her, die sicher voranging. "Was machen wir jetzt?" Aideera, tief in Gedanken versunken, schreckte auf. Sie sah Desideria und Feli'citan, die einige Schritte vor ihnen liefen. "Ich weiß es nicht. Zuerst einmal Desiderias Dorf finden und sie zurückbringen, dann dasselbe bei Feli'citan versuchen. Und bei dir." Doch Galiriel schüttelte ihren Kopf: "Ich kann nicht mehr zurück. Seit ich in den Tempel befohlen wurde, habe ich keine Familie mehr. Das habe ich dir doch erzählt. Ich kann nicht zurück. Sie würden mich dann verstoßen, eben weil ich überlebt habe. Und was hast du selbst vor?" Aideera zuckte mit den Schultern: "Ich werde wieder das Leben führen, das ich hatte, bevor ich zum Tempel geführt wurde." "Was war das für ein Leben?" Aideera sah Galiriel an: "Das habe ich die doch schon einmal erzählt - ich bin durch den Wald gestreift, auf der anderen Seite allerdings. Ich habe gut überlebt. Ich werde zu meiner alten Höhle zurückkehren und mich dort einrichten." "Kann ich dich begleiten?" Aideera zog die Augenbrauen hoch und musterte Galiriel erstaunt: "Es ist ein hartes Leben. Ich weiß nicht, ob du es führen willst, oder auch nur kannst." Sie lächelte; "Ich kann so einiges. Bitte." Da zuckte Aideera die Schultern: "Du kannst es gern versuchen, ich habe nichts dagegen." Da kam Desideria auf sie zugerannt: "Was machen wir denn jetzt? Feli'citan hat gesagt, den Tempel gibt es nicht mehr. Wo werden wir jetzt leben?" Ihre Augen sahen ängstlich aus. Aideera hielt an und bückte sich, so, dass das hochgewachsene Mädchen dem kleineren in die Augen sehen konnte: "Ich werde dich zurückbringen, zu deinen Eltern und Geschwistern. Du musst mir nur sagen, wie dein Dorf hieß." Auf einmal erhellte sich das kleine, schmale, ernste Gesicht, ein kindliches Lächeln huschte darüber: "Wirklich? Ich darf zurück zu Maman und Papan? Ehrlich? Wir gehen nicht in einen anderen Tempel?" "Wirklich. Also, wie heißt dein Dorf?" Da verfinsterte sich das Gesicht wieder und auf einmal fing sie an, zu weinen. "Ich... ich weiß es nicht mehr!" Doch dann klärte sich die Mine wieder ein wenig auf: "Aber da war ein kleiner Berg mit einer Höhle, aus der die Männer immer Kohle geholt haben." Aideera schloss ihre Augen. Sie wusste, wo sich das Bergwerk befand. Es war nicht weit. Bis zum Sonnenuntergang sollten sie es erreicht haben. Sie wandte sich zu Galiriel: "Das Dorf, von dem die Kleine spricht ist nicht weit von hier. Wenn wir ohne Pause durchmarschieren, schaffen wir es bis heute Abend. Und Feli'citans..." "Nein! Bitte! Schickt mich nicht zurück! Bitte! Nicht zurück zu dem Mann, den Mama geheiratet hat! Er wird mich wieder schlagen!" Aideera war wie vor den Kopf gestoßen. Doch es war klar, dass sie Feli'citan schlecht gegen ihren Willen wegbringen konnte: "Willst du immer noch Priestern werden?" Das Mädchen nickte. "Also gut, in dem Dorf, wo wir Desideria hinbringen, gibt es eine alte Priesterin. Sie kann dich ausbilden. Mehr kann ich dir nicht bieten. Bis zum nächsten, richtigen Tempel ist es viel zu weit." Doch das war Feli'citan egal. Sie hätte alles akzeptiert, um nicht zu ihrem Stiefvater geschickt zu werden. Und so wurde es dann auch beschlossen. Tatsächlich hatten sie es bis zum Abend geschafft, das Dorf zu erreichen. Die Häuser lagen weit auseinander, es waren nicht sehr viele, höchstens zwanzig. Desideria wurde immer unruhiger, bis sie auf einmal einfach losrannte. Wegen einer Vorahnung aber drückte Aideera Ihrer Freundin die Zügel in die Hand und rannte hinterher. Sie folgte dem Mädchen, quer durch das Dorf, über einen runden. Leeren Platz, einige ausgetretene Straßen weiter, bis zu einem kleinen Gut. Die Fenster waren vernagelt, der Zaun eingefallen. Im Garten wucherte das Unkraut. Und dann kam der Schrei. Das Haus war verlassen, schon seit längerer Zeit. Nichts deutete auf seine ehemaligen Bewohner hin. Aideera kniete sich nieder und schloss das Mädchen in den Arm. "Sie sind weg! Sie sind tot!" Sie strich dem Kind die Strähnen aus dem Gesicht und zwang es, sie anzusehen: "Komm, wir gehen zu deinen Nachbarn, die wissen bestimmt, wo deine Eltern sind. Komm." Sie packte Desideria, stellte sie auf ihre Füße und trat vor das eingefallene Gatter, als auf einmal ein Bellen erklang. Desideria sah sich suchend um, dann riss sie sich los. Sekunden später kam sie zurück, einen Wolf im Schlepptau. Sie umarmte ihn, klammerte sich an ihm fest, während das Pferd nervös zu tänzeln begann. "Das ist Berlios." Mehr sagte sie nicht. Aideera griff in das Laken und tastete nach dem Gürtel eines Kleides, den sie hervorzog und dem Wolf um den Hals legte. Das Ende gab sie Desideria, die wieder etwas glücklicher aussah. Anschließend lief sie die Straße zurück bis zum nächsten Haus und klopfte. Es war im Grunde kein Haus, sondern nur eine kleine Hütte. Im Innern konnte man ein Schlurchen und das Rücken eines Stuhles hören, dann ging die Tür auf. Eine Frau, deren Haare vollständig unter einem Tuch verborgen waren, trat heraus. Ihr Gesicht wirkte wie das einer dreißigjährigen, doch Aideera spürte, dass sie über zweihundert Jahre zählen musste. Sie rang sich ein Lächeln ab: "Verzeiht die Störung, Heilerin. Darf ich kurz mit Euch sprechen? Ich hätte zwei Anliegen." Die Frau musterte sie von Oben bis Unten, doch dann nickte sie und deutete in die Hütte. Aideera winkte die Beiden Kleinen heran und betrat mit ihnen das Hüttchen. Im Innern war es wesentlich bequemer, als man von Außen hätte schließen können. Ein Feuer brannte in der offenen Kochstelle, über der auch ein Kessel hing, dem wunderbare Dämpfe entströmten, ein Tisch mit einer Bank stand direkt an der Wand unter einem der kleinen Fenster, auf der anderen Seite stand eine Liege. Der Duft des Essens mischte sich mit dem getrockneter Heilkräuter. "Wer seid ihr?" "Ich bin Aideera. Ich komme aus dem Tempel der Natur." Die Frau musterte sie erneut mit hochgezogenen Augenbrauen, während sie sich auf einen Stuhl gleiten ließ: "Was hat eine Novizin hier verloren, in den Kleidern?" Aideera holte tief Luft: "Der Tempel wurde vollständig zerstört, die Priesterinnen und Novizinnen getötet. Wir haben überlebt, weil wir Kräuter im Wald sammelten. Wenn Ihr mir nicht glaubt, dann forscht in ihrem Kopf." Sie deutete auf Feli'citan. Das ließ die Frau sich nicht zweimal sagen, doch schon nach dem Bruchteil einer Sekunde hörte sie auf, schneeweiß in ihrem Gesicht: "Wer?" Das war das Einzige, das sie noch zu sagen im Stande war. "Das weiß ich nicht. Wenn ich es wüsste, wäre ich mit Sicherheit genauso tot, wie die Anderen." Die Frau deutete ihnen, sich zu setzen: "Du sagtest, du hättest ein Anliegen?" Mit ernstem Gesicht nickte Aideera: "Ja. Es geht um das Mädchen, in deren Kopf Ihr saht, dass ich die Wahrheit gesagt habe. Sie hat keine Familie, zu der sie zurückkehren kann. Aber sie hat erstaunliche, heilerische Fähigkeiten, die auch schon, zum Teil, ausgebildet wurden. Währet Ihr bereit, das Mädchen in die Lehre zu nehmen?" Der Blick der Frau schweifte von Aideera zu Feli'citan. "Noch keine hat meine Ausbildung durchgehalten." "Aber ich bin anders!", rief Feli'citan. "Ich kenne alle möglichen Kräuter, nur wenn ich sie rieche, ich kann durch die Quelle schwere Wunden schließen und ich kann hart arbeiten!" Aideera beobachtete die Frau, die schließlich nickte: "Ich brauche eine Nachfolgerin, da kommt mir die Kleine eigentlich gerade recht. Wenn ich so darüber nachdenke - warum nicht. Aber wenn sie nichts taugt, jage ich sie aus meiner Hütte!" Feli'citan war es, die die Entscheidung traf. Sie nickte. Und so nickte auch Aideera. Danach kam sie zu ihrer eigentlichen Frage: "Ihr kennt das andere Mädchen. Sie hat einmal neben Euch gewohnt." Nun musterte die Heilerin Desideria und ihren Wolf: "Das Vieh würde ich überall erkennen. Ja, ich kenne die Zwei." "Wisst Ihr, was mit ihren Eltern geschah?" Wieder nickte die Heilerin: "Sie sind von ihrem Gesuch im Tempel ohne ihr Kind wiedergekommen. Kurz darauf sind sie verschwunden. Sie haben es hier nicht ausgehalten, wo so viel sie an die Kleine erinnerte. Sie haben gesagt, dass sie nach Gale'ca Danas wollten. Mehr weiß ich aber auch nicht." Aideera stöhnte leise auf. Auch das noch. Diese Stadt lag nicht einmal auf diesem Kontinent! Sie lag im Mittelland, beim Tempel der Aileen. Sie sah in die Augen Desiderias. Das würde ein weiter, beschwerlicher Weg werden. Sie mussten zum Nordmeer, um sich einzuschiffen und dann bis nach Mittelland. Von dort aus hatte sie keine Ahnung. Sie würden fragen müssen. Sie strich Desideria sanft über die Wangen: "Ich bringe dich zu deinen Eltern. Aber es wird dauern. Komm, wir gehen." Dann wandte sie sich an die Heilerin. "Ich danke Euch von ganzem Herzen, dass Ihr Feli'citan aufnehmt. Das ist eine große Erleichterung. Ich möchte mich nur noch von ihr verabschieden." Als die Frau nickte, verließ Aideera die Hütte. Vor ihr kramte sie in den Beutel, der um ihre Taille hing, bis sie einige Goldmünzen in der Hand hatte. Sie umarmte Feli'citan: "Ich wünsche dir alles nur erdenklich Gute. Pass auf dich auf. Und wenn etwas geschehen sollte, hast du hier etwas." Sie drückte dem Mädchen die Münzen in die Hand, griff nach Desiderias Hand, nahm die Zügel der Hengstes und führte die Anderen zurück in den Wald, wo sie die zweite Nacht unter freiem Himmel verbrachten. So wanderte die kleine Gruppe einige Tage im Schutz der Bäume. Als ihre Vorräte zu Ende gingen, ernährten sie sich von dem, was der Wald ihnen überließ. Morgens wuschen sie sich in dem Bach, dessen Verlauf sie folgten und füllten dann ihre Ziegenlederbeutel. Ihre nächste Rast machten sie erst wieder am Abend, wenn sie ein Lager aufschlugen. Desideria, die Jüngste, ritt meist auf dem Hengst, der sich an den neuen Gefährten, den Wolf, gewöhnt hatte, wenn die Beiden sich auch nicht sonderlich mochten. So kamen sie zügig voran, bis es an der Zeit war, den Schutz der Bäume hinter sich zu lassen. Ein weites Hügelland erstreckte sich nun vor ihnen. Am liebsten wäre Aideera umgekehrt, doch sie riss sich zusammen. Die Wesen, die den Tempel in Schutt und Asche gelegt hatten, waren nicht hinter ihnen her, sondern sicher nach einem geheimen Artefakt, das sie dort vermutet hatten. Sie stützte sich auf ihren Stab, den sie nun nicht mehr auf dem Rücken trug. Als die ersten Strahlen der Sonne sich schließlich auf ihren Weg machten, traten sie ins Freie. Von nun an würde es nicht mehr so leicht sein, Nahrung zu finden. Aideera sah sich zu Galiriel um, deren Wangen, seit sie aus dem Tempel war, sichtlich voller geworden waren, so wie Desiderias. "Hier in der Nähe ist eine kleinere Stadt, da werden wir Käse und Brot kaufen, und Dörrfleisch. Sonst schaffen wir es nicht vor Herbst zum Meer und in den Stürmen wird niemand eine Überfahrt wagen." Galiriel nickte und strich ihren Rock glatt. Auch sie hatte sich einen Stab gesucht, in den Aideera eines nachts, als sie wieder einmal nicht schlafen konnte, einen der Edelsteine gelegt hatte, einen roten, wie er in ihrem war, und ihn mit einem einfachen Lichtzauber belegt. Desideria ließ sich in dem Moment vom Pferderücken gleiten und rannte eine Weile vor ihnen her. So weit war sie noch nie herausgekommen, sie hatte noch nie eine Landschaft gesehen, in der es meilenweit keinen Wald gab. Ihr Wolf lief neben ihr, jederzeit bereit, jedem ins Gesicht zu springen, der es wagen sollte, seiner kleinen Herrin zu nahe zu kommen. "Sag mal, warum trägst du immer noch das Stirnband?" Die Frage traf Aideera recht unvorbereitet. Sie selbst hatte es schon fast vergessen. Sie strich nun darüber: "Weil ich es schon so lange habe." "Das ist doch nicht der einzige Grund." Eine Weile lang spielte sie tatsächlich mit dem Gedanken, es abzunehmen, doch dann schüttelte sie den Kopf: "Irgendwann erzähle ich es dir, ja?" Mit fragender Mine lief Galiriel weiter. Sie kannte die nun fast neunzehnjährige inzwischen lange genug, um zu wissen, dass sie nichts mehr erfahren würde. Da schoss Desideria zurück zu ihnen, all ihre Schüchternheit war von ihr abgefallen, sie begann, wie eine normale zwölfjährige zu werden "Aideera! Kuck mal! Da ist die Stadt! Man kann sie schon sehen!" Verwundert wandte Galiriel sich zu ihrer Begleiterin: "So nah? Ich habe mit mehreren Tagesmärschen gerechnet." Diese lächelte: "Als ich das Letzte Mal da war, bin ich vier Tage gelaufen, ich hatte Bauchweh vor Hunger und kam kaum vorwärts. Und außerdem habe ich nie gesagt, wie lange wir brauchen. Ach ja, bevor ich es vergesse. Desideria, das betrifft auch dich. Ich will, dass keine von euch erwähnt, dass wir aus dem Tempel stammen, sonst werden wir nur ausgefragt und aufgehalten, das will ich nicht. Sollte jemand fragen, dann sind wir Schwestern auf dem Weg zur Küste. Wir haben unsere Eltern verloren und wollen uns zu unseren Verwandten durchschlagen. Ist das klar?" Wieder einmal kam Galiriel nicht umhin, Aideeras Intelligenz und ihr Geschick zu bewundern, als sie wie Desideria nickte. Sie sahen sich sogar alle ein wenig ähnlich, solange Aideera ihre silbergrünen Haare unter dem Tuch verbarg. Sie erreichten die Stadt schon am späten Nachmittag und konnten das Tor ohne Probleme passieren, als sie so taten, als gehören sie zu den Gauklern, die mit ihnen hereinkamen. Außer Aideera war noch niemand in der Stadt gewesen und sie erinnerte sich nicht gerne daran, so, dass sie alle interessiert oder erstaunt die Gegend in Augenschein nahmen. "Es ist schon spät, wir sollten hier übernachten," meinte Galiriel auf einmal. Aideera wühlte wieder in ihrem Beutel und beförderte eine ganze Hand voller Kupfer hervor. Drei verwaiste Schwestern konnten wohl kaum mit Gold bezahlen. Gut, dass sie auch die weniger kostbaren Münzen aufgelesen hatte. Sie nickte. Sie alle konnten eine Nacht in einem richtigen Bett dringend gebrauchen und dann, nach dem Aufstehen, konnten sie ihre Vorräte vervollständigen und sich wieder auf den Weg machen. Von einer alten Frau erfuhr Aideera, wo ein anständiger, billiger Gasthof stand und es dauerte nicht allzu lang, bis sie ihn gefunden hatten. Die Frau des Wirts, die bei ihrer Geschichte zu Tränen gerührt war, gab ihnen ein Zimmer mit einem breiten Bett, das für sie alle reichte und als sie zum Abendbrot herabkamen, wurden sie augenblicklich bewirtet. Sie waren so sehr mit ihrem Essen beschäftigt, dass sie die Neuankömmlinge gar nicht bemerkten. Doch als Aideera aufsah, blieb ihr der Linseneintopf fast im Halse stecken. Neben zwei Elfen, die, der Kleidung nach, die trugen, leichte, enge Hosen aus hellem Leder und pastellgrüne Tuniken, aus den Stämmen in den Wäldern Mittellands, trat eine Kavit'taas ein, mit runden, goldenen Augen und schneeweißem Gesicht. Ihre Schnurrhaare zitterten leicht. "Aideera, ist alles in Ordnung?" Mühsam nickte sie, doch sie ließ das Katzenwesen von nun an nicht mehr aus den Augen. Sie setzte sich seelenruhig an den letzten, freien Tisch und verlangte unter dem Gelächter der Anwesenden, einen Humpen Milch. "Entschuldigung, ist hier noch frei?" Erschrocken sah Aideera die Elfen an, die auf einmal vor ihnen standen, während Galiriel eine einladende Geste machte. Sie hatte noch nie einen Elf gesehen und musterte die zwei neugierig, was die sich lächelnd gefallen ließen. Der jüngere, Aideera schätzte sein Alter auf etwa hundertfünfzig, also noch recht jung, starrte auch fröhlich zurück, zu Galiriel, nicht zu ihr. Sie hatte er nur einmal kurz gemustert. Der Ältere hingegen, sah sie unverwandt aus Augen an, die so grün waren, wie ihre eigenen. Als die Wirtin ihnen ebenfalls Eintopf und dazu frisches Quellwasser gebracht hatte, sprach er sie an: "Ich bin Caerdras Ban Rasaray aus den Wäldern von Ailendras, mit wem habe ich die Ehre?" Aideera deutete auf Galiriel: "Die, die gerade mit Euren Schüler flirtet, ist meine ältere Schwester Galiriel, das andere ist Desideria, ich bin Aideera." Der Elf lachte, während sein Schüler rot anlief: "Woher wusstet Ihr, dass er mein Schüler und nicht mein Sohn ist?" Aideera zuckte die Achseln: "Er hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit Euch, aber er begleitet Euch, da ist die Auswahl der Möglichkeiten nicht allzu groß." "Ihr habt ein scharfes Auge für einen Menschen," meinte er bewundernd. "Aber was machen drei Schwestern allein und ohne Begleitung in einem Wirtshaus?" Noch bevor Aideera Desideria daran hindern konnte, sagte sie ihre ganze zurechtgezimmerte Geschichte auf. Caerdas nickte mitleidig: "Und ihr geht den ganzen Weg allein?" "Sicher," kam es von Aideera zurück. "Auch ich bin auf dem Weg nach Mittelland. Ihr könntet euch uns anschließen. Das wäre doch wesentlich sicherer für euch, nicht wahr?" Aideera zog ihre Stirn kraus. Mit so einem Angebot hatte sie nicht gerechnet und der andere Elf offenbar auch nicht, denn der starrte den anderen verblüfft an. Doch an dem Angebot war etwas dran. Nun, schaden würde es sicher nicht. Sie nickte: "Warum nicht. Wann geht ihr los? Wir müssen auf dem Weg noch unsere Vorräte auffüllen." "Das trifft sich gut, wir auch. Ich würde sagen, eine Stunde nach Sonnenaufgang ziehen wir los. Ist euch das recht?" "Sicher, vielen Dank." Dann wandte Aideera sich zu Galiriel um: "Ich gehe hoch. Macht dir das was aus?" Die schüttelte den Kopf, sah sie aber besorgt an: "Nein, geh nur, du kannst dringend etwas Schlaf gebrauchen, davon hattest du in letzter Zeit ja nicht sonderlich viel." Aideera nickte und erhob sich. Doch auf dem Absatz der Treppe wandte sie sich noch einmal zu dem älteren Elf um. Seltsam, sie kannte ihn nur wenige Augenblicke und doch vertraute sie ihm. Hatte es etwas mit...? Ach, was redete sie denn da? Das war doch Schwachsinn. Sie hastete die Treppe hinauf, ohne die Katzenfrau noch einmal anzusehen. Was tat diese Mörderin hier? Sie spielte den milchtrinkenden Unschuldsengel! Am liebsten wäre sie zu ihr gegangen und hätte ihr die Wahrheit an den Kopf geworfen, doch ihr Gefühl hielt sie davon ab. Stattdessen lief sie hastig in den Raum, den sie mit den anderen teilte und ließ sich auf das Bett sinken. Es war eines, wie sie es auch als Novizin gehabt hatte, nur breiter, mit einer strohgefüllten Matratze, drei leichten Decken und drei Kissen. Es war eine Wohltat, nicht mehr auf Moos schlafen zu müssen und doch vermisste sie den harzigen Geruch der Bäume und das Rauschen der Blätter schon jetzt. D as war für sie das Schwerste gewesen, damals, als sie in den Tempel gekommen war. Das fehlen des Waldes. Oft hatte sie, in der ersten Zeit, einfach ihre Decke genommen und sich ein Moospolster zwischen zwei Bäumen gesucht. Sie war unendlich müde, doch sie wusste, sie würde sofort aufwachen. Sie hatte zu viel gesehen, diese Bilder würden sie nicht zur Ruhe kommen lassen, für einer sehr, sehr lange Zeit. Leise seufzend erhob sie sich wieder und stellte sich vor den kleinen, halb blinden Spiegel, während sie langsam das Tuch löste, das ihr Haar verbarg. In sanften Wellen fiel es ihr bis zu ihrer Taille. Das Silber reflektierte die Flamme der Kerze, die auf dem Tisch stand und selbst in diesem blinden Spiegel sah sie noch die grünen Reflexe, die tief in den einzelnen Strähnen lagen. Ihre eigenen Augen schienen sie bohrend zu mustern, Augen, die denen des Waldelfs erstaunlich glichen. Warum hatte sie ihm sofort vertraut? Sie hatte nicht die geringsten Zweifel gehabt. Doch nicht nur sie hatte sich seltsam verhalten, denn normalerweise ging keines der alten Geschöpfe so offen auf ein Wesen zu, das nicht einmal ein achtel ihrer Lebenszeit hatte. Strahlte sie, trotz des Netzes, mit dem sie sich umgab, etwas von der anderen Aura aus? Und warum war sie so vorsichtig? Nicht der Grund, den sie den Anderen genannt hatte, war es gewesen, zu verheimlichen, dass sie aus dem zerstörten Tempel kamen. Es war das Gefühl, dass die, die das getan hatten, nicht nur nach etwas, sondern auch nach jemandem gesucht hatten. Und sie waren nicht erfolgreich gewesen. Doch wer von ihnen war es? Desideria? Nein, sicher nicht. Sie war nur das Kind einer Bauernfamilie. Galiriel? Warum wohl sollte man hinter einer Bardin her sein? Sie selbst? Das konnte sie sich nicht vorstellen, ein Waisenkind ohne jegliche Bedeutung. Und Feli'citan? Sicher, sie war stark, aber bei Weitem nicht stark genug, um gejagt zu werden. Da war der Sucher, den sie gehabt hatten, hundert mal stärker gewesen. Aideera griff nach ihrem Stab, der an der Wand lehnte. Es war seltsam, obwohl die Stäbe sich aufs Haar glichen, wusste sie, dass sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Nicht einmal hatte eine ihrer Gefährtinnen das alte Holz berühren wollen, als ob etwas sie daran hinderte. Sie wog ihn in der Hand, spürte wieder diese eigene Aura, die er hatte. Schließlich betrachtete sie den roten Stein genauer, der unter den Wurzeln kaum sichtbar war. Warum war dieser Stab im Grab der Namenlosen gewesen? Wie war er dahin gekommen und welche Bedeutung mochte er für die unglückliche Tote gehabt haben? Sie stellte ihn wieder an die Wand und beobachtete ihn, während sie sich auf den Stuhl setzte und ihren Kopf auf die Arme bettete, die sie auf den Tisch gelegt hatte, auf dem der Spiegel stand. "Eure Schwester scheint ja recht müde zu sein," meinte Caerdas, als Aideera die Treppe hinaufgestiegen war. Unwillig wandte Galiriel sich von Caer'dan, dem jungen Elf los und antwortete dem anderen: "Zwar bin ich die Älteste, aber sie hat uns die ganze Zeit geführt und kaum geschlafen. Sie hat etwas Ruhe bitter nötig." Sie sah ihn an und fügte in ihren Gedanken hinzu: >Aber sie wird sie nicht finden<. Zu sehr quälten die Bilder Aideera, die sich im Schlaf immer unruhig hin und her wälzte, weinte und seltsame Worte flüsterte, die ihr nichts sagten. Aideera hatte nie über das geredet, was sie gesehen hatte. Doch es musste grausam gewesen sein, so sehr, dass Feli'citan ihren Geist verschlossen hatte! Sie war gegangen, ahnend, was sie sehen würde und hatte sie zurückgelassen, um ihnen den Anblick zu ersparen. Sicher hatte sie wieder einmal gedacht, dass es reichte, wenn einer litt und in dem Fall eben sie. Sie hatte sich kaum geändert. Nein, noch immer mied sie nahen Kontakt zu anderen Wesen, aus Angst, diese wieder verlieren zu können. Desideria und sie waren die einzige Ausnahme. "Sie scheint einen starken Charakter zu haben." Geistesabwesend nickte Galiriel. Ja, Aideera hatte schon immer gewusst, was sie wollte - und es durchgesetzt. "Ach, die ist doch nichts weiter, als ein Eisbrocken! Kein unnötiges Wort hat sie von sich gegeben!", kam es auf einmal von Caer'dan. Noch bevor Galiriel aufbrausen konnte, erhob der Alte seine Stimme: "Du bist noch immer genauso blind, wie du es vor fünfzehn Jahren warst! Nicht ihr Gesicht, nicht ihre Worte haben geredet, sondern ihre Augen! Höre endlich auf, die Wesen nach dem Offensichtlichen zu beurteilen! Hätte ich es getan, du wärest jetzt noch in diesem Dorf, Junge!" Der Elf wurde bis über beide Ohren feuerrot, während der Alte fortfuhr: "ihre Augen haben von Einsamkeit gesprochen, von Verantwortung, Charakter und Leid, unendlichem Leid! Weißt du warum? Weißt du, was sie werden ließ, wie sie ist? Also höre auf, zu urteilen!" Dann wandte er sich wieder an Galiriel: "Sein Benehmen tut mir leid, doch er ist jung und ungestüm. Doch welchen Grund hat das Leid in ihren Augen? Ich konnte es bei euch zwar auch finden, aber nicht halb so stark." Galiriel überlegte fieberhaft. Wie konnte sie etwas sagen, ohne zu viel zu verraten und ohne die Beiden misstrausch zu machen? Schließlich antwortete sie: "Sie hat den Tod gesehen." Diese Antwort schien ihm zu genügen, er schwieg und aß wortlos weiter. "Nein!" mit dem Aufschrei fuhr Aideera aus ihrem Traum. Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen, um die Bilder zu vertreiben. Doch das gelang ihr nicht, sowenig, wie sie den Geruch zu bannen vermochte, den süßen, metallischen Geruch des Blutes, das Rot, das zu einem seltsamen Braun wurde. Im ersten Moment wusste sie nicht, wo sie war, der Geruch und die Laute des Waldes, die sie die letzten Tage immer begleitet hatten, fehlten. Doch dann, als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, fiel es ihr wieder ein. Sie war immer noch in dem Gasthof, doch sie saß nicht mehr auf dem Stuhl. Wie war sie ins Bett gekommen? Sie erinnerte sich nicht mehr daran. Leise, um Desideria, die neben ihr lag, nicht zu wecken, schlug sie ihre Decke zurück und glitt lautlos auf den Boden. Wie spät mochte es wohl sein? Sie wusste es nicht. Hastig band sie sich den Gürtel um ihre Taille, den sie auf der Lehne des Stuhls ertastet hatte und griff nach ihrem Haartuch, das sie mit wenigen Griffen wieder an ihrem Kopf befestigte. Dann verließ sie auf Zehenspitzen, ihre Sandalen in der Hand, das Zimmer. Lautlos erreichte Aideera schließlich den Hof, wo sie die frische, kühle Nachtluft gierig einsaugte, um den Geruch des Blutes wieder abzuschütteln, der sie wahnsinnig zu machen drohte. Wann würde sie diese Bilder nur endlich vergessen können? Sie war so müde! Und doch wusste sie, dass es ihr unmöglich sein würde, zu schlafen. Während sie in die Schuhe schlüpfte und diese band, starrte sie hinauf zu den Sternen. Sie waren so weit weg. Wie mochte die Welt wohl von da aus wirken? Langsam, während sie die unzähligen, blinkenden Lichter beobachtete, beruhigte sich ihr aufgewühlter Geist, die Bilder verloren sich in den Tiefen ihres Hirns. Fürs Erste. Langsam, erst kaum merklich, dann immer schneller wurde der Himmel heller, die Farben veränderten sich, bis sie in der sanften Morgenröte endeten, die den neuen Tag einläutete. Die Welt begann zu erwachen, irgendwo krakeelte ein Hahn, Kühe muhten, Hunde bellten und die Pferde im Stall neben ihr begannen, unruhig mit den Hufen zu scharren. Aideera schob den Riegel an der Stalltür zurück und schlüpfte in das Innere, in dem immer noch tiefste Nacht herrschte, doch das machte ihr nichts. Sie sah auch so gut. Sie lief an den Boxen vorbei, bis zu der ihres Hengstes, der sie begrüßend mit seinen Nüstern in die Schulter stupste. Sie streichelte ihn und nahm seine Zügel, während sie die Box öffnete. Doch auf dem Rückweg wurde sie auf ein weiteres Tier aufmerksam, ein Pferd, wie sie es schöner in ihrem Leben noch nicht gesehen hatte. Es war schneeweiß, ohne den kleinsten Fleck, die Statur war ohne den geringsten Makel, es war groß und schlank und doch wirkte es ungewöhnlich kräftig und robust. Das konnte nur dem älteren Elf mit den grünen Augen gehören! Das musste eines der berühmten Elfenpferde sein! Eine Rasse, deren Geheimnisse nur die alten Wesen kannten. Sie ging an ihm vorüber. Im Hof hielt sie an und sah sich um. Eine Magd, die am Abend noch mit serviert hatte, schlenderte mit einem Eimer und einem Schemel über das Stroh, um die Kühe zu melken, die hier sicher auch irgendwo waren. Mir einer fließenden Bewegung schwang Aideera sich auf den Rücken des Hengstes und führte ihn hinaus auf die Straße, die aus der Stadt herausführte. Erst donnerten die beschlagenen Hufe noch über Pflastersteine, doch dann lenkte sie ihn auf die Wiese, die den Weg säumte. Der Wind fegte auch den Rest der grauenvollen Nacht aus ihrem Kopf, sie machte sich auf den Weg zurück. Die Sonne war nun vollständig aufgegangen. Leise, wie sie gegangen war, betrat Aideera das Zimmer wieder. Doch die Beiden waren schon wach und zogen sich an. "Wo warst du?", kam es von Galiriel, die gerade ihr Kleid überstreifte. "Nur den Hengst reiten." Galiriels Augen musterten sie sofort abschätzend: "Schon wieder Alpträume?" Nun wandte sich auch Desideria zu ihr um. "Es ging. Ich konnte nur nicht mehr schlafen, also bin ich raus." Galiriel schüttelte nur ihren Kopf, während Aideera ihren Stab in der Lederhaut verbarg. Sie wollte ihn nicht offen tragen, nicht solange die in der Nähe war, die das Massaker im Tempel verursacht hatte. Ihre restlichen Dinge hatten die Drei rasch zusammengepackt und in dem Laken verstaut, das Aideera zusammen mit Galiriel die Treppe herunterbrachte und auf dem Rücken des Hengstes befestigte. Ad sah sie auch das wunderschöne Elfenpferd auf dem Platz stehen. Langsam ging sie auf das Prachtexemplar zu, das sofort misstrauisch die Ohren anlegte und sie beobachtete, wie sie immer näher kam. Sie streckte ihm ihre Hände entgegen und murmelte leise Worte, die ihr in den Sinn kamen und deren Bedeutung sie beim besten Willen nicht kannte. Doch das Tier beruhigte sich und ließ schließlich sogar zu, dass sie dessen Nüstern streichelte. Sie waren weich, wie der Flaum eines neugeborenen Tieres. "Sonst lässt Gemma niemanden an sich heran." Überrascht zuckte Aideera zusammen, als auf einmal der ältere Elf mit einem Sattel aus dem Stall trat: "Ich habe Euch nicht gesehen." Ihr Gegenüber lächelte und schwang den Sattel auf den Rücken des Tieres: "Ihr scheint ein Händchen für Tiere zu haben. Gemma lässt nicht einmal Caer'dan an sich ran, ohne nach ihm zu schnappen." Aideera fuhr fort, das Tier zu streicheln: "Mir hat er nichts getan." "Gerade das erstaunt mich ja," meinte Caerdas ruhig, während er die Gurte des Sattels festzog und sie beobachtete. "Aber scheinbar vertrauen die Tiere Euch. Nun, seid ihr soweit?" Ernst nickte Aideera: "Unsere Sachen sind verstaut, wir haben sowieso nicht viel. Und die Vorräte kaufen wir erst unterwegs." Gerade, als eine unangenehme Stille zu entstehen drohte, rannte Desideria auf sie zu und warf sich in ihre Arme: "geht's jetzt los?" "Ja, Kleine. Wir sind schon unterwegs. Nimm deinen Wolf an die Leine, bevor er die Tiere scheu macht, dann brechen wir auf." "Ja, Herr. Alle. Nicht eine ist noch am Leben, dafür habe ich gesorgt." "Wie bitte?" Sofort verbesserte sich die Kavit'taas mit dem so schneeweißen, unschuldigen Gesicht und den sanften, goldenen Augen: "Alle, die nicht die Aura hatten, Herr. Ich kenne meinen Auftrag. Aber ich fand niemanden mit der Aura. Egal, wer es war, er oder sie hat den Tempel verlassen, lange bevor wir gekommen sind, denn sonst hätte ich eine Spur aufnehmen können." Das Gesicht des Mannes in der kristallenen Kugel verdüsterte sich bedrohlich, er strich sich seine langen, goldenen Haare andächtig zurück, bevor er schließlich aufsah: "Ich bin enttäuscht, Sabre, sehr enttäuscht. Du weißt, wie viel mir an dem Kind liegt." "Herr, ich habe Euch zugesagt, Euch das Kind zu liefern und ich habe noch nie einen Auftrag nicht erfüllt. Ihr bekömmt es." Selbst durch die Kugel hindurch stachen die kalten, grauen Augen: "Das will ich dir auch raten, denn langsam verliere ich die Geduld." Sabres langer, geschmeidiger, weißer Schwanz zuckte unruhig hin und her: "Da ist noch etwas." Sofort verdunkelten sich die grauen Augen, ein wütendes Glitzern löste die Gefühlskälte ab: "Was?" Er sprach drohend, angsteinflößend. Es gab nicht viel, vor dem die Söldnerin kuschte, doch dieser Mann sorgte selbst bei ihr für schlaflose Nächte. Würde er nicht so hervorragend zahlen - sie würde schon für einen anderen arbeiten. Sie holte tief Luft, ihre Schnurrhaare bebten leicht: "Da war noch etwas, auf dem Friedhof, eine alte Macht. Ich konnte sie nicht einordnen." "So? Eine alte Macht?" "Ja, Herr." Der Mann in der Kugel runzelte die Stirn: "Was für eine?" "Woher soll ich das wissen? Ich beherrsche nur die Quelle! Das Einzige, das ich mit Sicherheit behaupten kann, ist, dass es sich nicht um eine elementare handelte. Aber nicht das war es, was mich beunruhigt hat. Etwas später bin ich zurückgekehrt, um der Sache nachzugehen. Ich fand aber nur ein aufgewühltes Grab." "Jemand war da?" Sabre schluckte nervös: "Das fürchte ich, denn die Leichen der Novizinnen waren auch abgedeckt. Es könnte ein Dorfbewohner gewesen sein." Der Mann winkte jedoch nur ab: "Das interessiert mich nicht! Sie sollten den Tempel sehen! Was für eine Demonstration meiner Macht! Sieh zu, dass du das Kind findest! Ich kann dir keine weiteren Hinweise geben!" Die Kavit'taas nickte, die schwebende Kugel erlosch und sank in ihre halb geöffnete Hand zurück, von der aus sie das Gerät in ihren Beutel gleiten ließ. Na ganz toll! Was denn noch? Sie sollte, einfach so, irgendein Wesen zwischen achtzehn und zwanzig suchen, das eine besondere Aura hatte! Was dachte der sich eigentlich? Hatte der auch nur die geringste Ahnung, wie viele Wesen es gab? Unwillig griff sie nach ihrem ungewöhnlich fein gewebten, schwarzen Umhang, der innen sogar noch mit Purpur gefüttert war und schloss die goldene Schnalle an ihrem Hals. So ungern sie für diesen Verrückten arbeitete - er zahlte besser, als jeder Andere. Und er war mächtig. Mächtig genug, um ihr viel zu erleichtern, oder ihr, sollte sie ihn betrögen, das Leben ziemlich schwer zu machen. Sie trat aus ihrer Unterkunft in dem kleinen Gasthaus und warf der verdutzten Wirtin ein Goldstück zu: "Der Rest ist für Euch," rief sie der Frau noch zu, bevor sie in den Hof trat. Augenblicklich scharte sich ihre übliche Truppe um sie, sie wandte sich zu Ashtan um: "Such eine Spur." "Welche, Sabre?" "Das Kind und die alte Quelle. Ich meine, ich habe sie gestern Abend und heute Morgen gespürt." Der Einarmige nickte kurz angebunden und schloss seine Augen, während er auf die Quelle zurückgriff und begann, ein feines Netz zu spinnen. Dann sah er auf: "Ich weiß nicht, da ist etwas, eine ganz schwache Macht, die zur Alten gehören könnte. Es könnte sich aber auch schlicht um ein altes Wesen handeln. Waren nicht gestern mehrere Elfen da?" Sabre begann wieder, mit ihrem Dolch zu spielen, wie meistens, wenn sie versuchte, sich an ein Detail zu erinnern: "Nein, das waren keine Elfen. Das war diese Präsenz vom Friedhof beim Tempel. Das war kein Elf!" Der Mann zuckte mit den Schultern und griff erneut in sein feines Netz: "Ja, da ist noch eine schwache Spur, die sich von der der Elfen unterscheidet, sie scheint denen zu folgen. Sie sind noch nicht sehr weit gekommen." "Dann los, du reitest vorraus." Kapitel 4: ...etnführt...gerettet? ---------------------------------- Mit einem Stoß Holz auf den Armen trat Aideera zwischen den Büschen hervor. Am Himmel ging gerade die Sonne unter. Sie tauchte das helle Blau in ein strahlendes Rot, rot, wie Blut. Wieder keimten die Bilder in Aideera auf, sie konnte nichts dagegen unternehmen, sie kamen, ohne Vorwarnung, ohne Grund. Sie setzte sich hin, wo sie gerade war und verbarg ihr Gesicht in ihren Händen. Doch sie wagte es nicht, ihre Augen zu schließen. Langsam konnte sie schon gar nicht mehr sagen, wie lange sie nicht mehr geschlafen hatte, sie spürte ihre Müdigkeit nur noch, wenn sie die Anderen beim Schlafen beobachtete. Doch wie lange würde ihr Körper das noch mitmachen? Wie lange konnte sie in ihren Zustand ihre und die Tarnung der Anderen aufrecht erhalten? Denn keine von ihnen durfte eine Spur im Quellnetz hinterlassen, solange sie sich nicht sicher sein konnte, wer weswegen von den schwarzen Reitern gejagt wurde. Sie war so müde! "Aideera, geht es Euch nicht gut?" Erschrocken fuhr Aideera herum. Sie hatte niemanden kommen gehört! War sie nun schon so zerschlagen, dass ihre Sinne nachzulassen begannen? Zum Glück war es nur Caerdas, der hinter ihr aufgetaucht war und sich nun neben ihr niederließ. "Doch, mir geht es hervorragend, ich bin nur müde, das ist alles." Der Elf musterte die junge Frau mit besorgtem Blick. Ihm fiel schon seit einer Weile auf, dass sie immer blasser und unkonzentrierter wurde. Zuerst waren es nur Kleinigkeiten gewesen, sie hatte ihr Pferd schlecht gesattelt, oder ständig etwas fallen gelassen. Doch inzwischen wirkte es, als könne sie kaum noch aufrecht stehen, auch wenn sie es vor den Anderen sehr gut zu verbergen wusste. Seinen Augen war allerdings nur sehr selten etwas so wesentliches entgangen. "Wirklich, mir geht es gut," versuchte Aideera ihre Aussage zu bekräftigen, als sie den zweifelnden Blick ihres Begleiters bemerkte. Erst sah es so aus, als wolle er etwas sagen, doch dann schwieg er, nickte nur knapp und packte den Holzstapel zu Aideeras Füßen. Sie lächelte dankbar und blieb, an den Stamm des einzelnen Baumes gelehnt, einfach noch ein wenig sitzen. Sie beobachtete die Anderen etwas weiter unten im Lager. Desideria spielte mit ihrem Wolf, Galiriel war am kochen, während sie gleichzeitig mit dem jungen Elf flirtete und Caerdas war inzwischen wieder beim Aufbau der beiden Zelte. Nanu? Aideera konzentrierte sich auf einen langsam aber stetig größer werdenden Punkt am Horizont, der beharrlich näher zu kommen schien. Ein Wanderer, ein Reisender? Oder gar die Vorhut ihrer Verfolger?! Doch Aideera war viel zu müde, um ein wirkungsvolles Netz zu weben und den Fremden zu erkennen, oder war dieser sogar weiblich? Ein Instinkt warnte sie. Hastig rannte sie zum Lager zurück: "Wir müssen vom Weg weg!" Caerdas sah sie ruhig an: "Aber warum denn?" Aideera schluckte. Sie musste irgendetwas glaubwürdiges erfinden und das schleunigst! "Wir, wir werden verfolgt! Von jemandem, der uns nicht gehen lassen wollte! Ich habe ihn gesehen, vom Hügel aus!" Mit einer Handbewegung befahl Caerdas seinem Schüler, nachzusehen. Grummelnd und einen bösen Blick auf Aideera werfend, erklomm Caer'dan den winzigen Berg. "Ja, da kommt was.", war sein einziger Kommentar. "Nun, dann werden wir ihnen eine Lektion erteilen." "Nein!", das Wort war ihr entschlüpft, bevor sie es verhindern konnte: "Nein, das ist keine gute Idee. Bitte, lasst uns doch einfach etwas abseits des Weges das Lager aufschlagen. Bitte." Ohne Verständnis sah Caerdas sie an, doch dann lächelte er: "Also gut, wenn es euch lieber ist, werden wir einfach etwas abseits des Weges schlafen. Vielleicht erzählt ihr uns ja dann irgendwann einmal, warum." Dankbar nickte Aideera, während sie half, die Sachen weiter weg zu bringen. Entsetzt wich Kellahan zurück. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Was war hier nur geschehen? Egal, was es gewesen war, es konnte nur ein Monster gewesen sein! Wer sonst wäre zu so einer Tat in der Lage? Langsam streifte er sich seine Kapuze vom Kopf, seine Augen waren immer noch auf den völlig zerstörten Komplex gerichtet. Der heiligen Statue fehlten Arm, Bein und Augen, die zahlreichen, kunstvollen Säulen waren zusammengebrochen, das Dach lag in allen Einzelteilen auf dem wuchernden Gras. Und nicht eine einzige Priesterin war weit und breit zu sehen! Doch ein unerträglicher Gestank lag über der geisterhaften Szene. "Ein Fremder, ein Elf aus dem Stamm der Meere! Was führt Euch hierher, zum Ort des Grauens?" Erschrocken Fuhr Kellahan herum, seinen Dolch vor sich gestreckt. Doch es war nur eine alte Frau, die auf einem der Trümmer saß. Ihre Augen waren vom Weinen verquollen und rot, ihr Gesicht geschwollen. Erleichtert ließ er seinen Dolch zurückgleiten: "Was ist hier geschehen?" Die Frau zuckte die Schultern. Da erst merkte er, dass sie etwas in ihren Armen wiegte und alles zog sich ihm zusammen, als er es erkannte: ein toter Mensch, das Gesicht war kaum noch zu erkennen und nur die langen, feinen Haare ließen ihn erahnen, dass es einmal eine Frau gewesen war, ein Mädchen der Größe nach. Er kniete sich zu der Alten, der Gestank der Leiche bohrte sich unbarmherzig in seine feine Nase. Er wiederholte seine Frag: "Was ist hier geschehen, bei allen Göttern, alte Frau!" Die Frau sah ihn an: "Seid nicht so laut, Ihr weckt das Kind. Sie ist doch erst elf, sie muss schlafen." "Oh nein, nicht auch noch das," murmelte Kellahan. Die Alte war dem Wahnsinn verfallen. Was sollte er tun? Er musste herausbekommen, was geschehen war, doch von der da würde er sicher nichts erfahren. Also lief er weiter, direkt ins Zentrum des ihn umgebenen Chaos, wo der Gestank immer schlimmer wurde. Nun konnte er auch deutlich einige weitere Tote im Gras sehen. Ihre Körper waren schon teilweise verfallen, kein Wunder, wo sie unter freiem Himmel lagen. Und diese Fliegen, sie waren überall, in dichten Schwärmen. Für sie musste das hier ein unglaubliches Paradies sein. "Wer? Wer ist zu so was in der Lage?", keuchte er, als er sah, dass sie nicht einmal vor dem Friedhof Halt gemacht hatten. Die gesamte schützende Mauer war bis auf die Grundmauern eingerissen und die gesamte Erde umgegraben worden. Mit einem Blick auf das Wohngebäude entschloss er sich, zuerst die Stätte der ewigen Ruhe zu untersuchen. Kellahan verstand nicht, warum ihm die zertrümmerten Grabsteine und die entweihte Erde weit mehr zusetzte, als der Geruch verwesender Leichen es zu tun vermochte. Doch genauso war es. Dieser Ort, gedacht, als Fleck des Friedens, war teilweise weit schlimmer zugerichtet, als der Tempel. Särge waren aus der Erde gezogen und zertrümmert worden, fast so, als habe man etwas gesucht! Schlagartig überlief Kellahan ein eisiger Schauer! Etwas gesucht! Natürlich! Warum war ihm das nicht gleich aufgefallen? All diese Zerstörung, in ihr lag eine ihm bekannte Systematik! Doch woher kannte er sie? Etwas, weit hinten in seinem Hirn schrie die Antwort, doch er war nicht in der Lage, zu verstehen. Sein Blick irrte über den ihm so unerträglichen Anblick. Nanu? Was war denn das? Da, an der hinteren Wand, da war ja noch ein Grab! Und der Stein stand zu seinem Erstaunen noch! Hastig lief er dorthin, wie zu einem Rettungsanker. Möge die Göttin ihr verzeihen, denn das liegt nicht in unserer Hand auf das sie trotz ihrer Schuld Friede finde Aha. Eine Geweihte, eine Priesterin, die gegen die Gesetze des Tempels verstoßen hatte. Man hatte sie in die hinterste Ecke verbannt, wie einen ungehorsamen Hund. Scheinbar hatte sich die Welt des Tempels sehr verändert. Er erinnerte sich noch an die Erzählungen Ger'derests darüber, wie es in den vorigen Zeitaltern gewesen war. Er kniete nieder und strich über die aufgewühlte Erde. Es war nicht halb so mitgenommen, wie die Anderen. Der Sarg war zu seinem Erstaunen nicht freigelegt, nur an der Oberfläche war die Erde etwas aufgewühlt. Er hob eine vertrocknete Blume auf, sie war rot, eine einfache Waldblume, nicht das, was normalerweise auf die Gräber von Priesterinnen gesetzt wurde. Er wusste nicht warum, doch er legte die Blume vorsichtig in sein Tuch und steckte es anschließend in die Tasche, die um seine Schulter hing. Danach erhob er sich und lief zurück zu dem Gebäude. Wieder nahm der Gestank zu und die verfallenden Toten häuften sich. Warum hatte sich niemand um sie gekümmert? Er trat mit mulmigem Gefühl auf das Haus der Novizinnen zu. Was "Sie" etwa auch darunter? War alles umsonst gewesen und das Ganze würde noch mal von vorn beginnen? Er betrat die Unterkunft. "Das gibt's doch nicht," murmelte er vor sich hin. Hier war jede einzelne Leiche abgedeckt, vor den Blicken Neugieriger geschützt. Also war außer der Verrückten doch noch Jemand da gewesen! Doch wer? Eine Überlebende? Jemand aus den umliegenden Dörfern? Er nahm sich zusammen und klappte jedes einzelne Laken zurück. Doch nicht unter einem verbarg sich die, nach der er suchte. Zwar war er im ersten Moment erleichtert, doch dann wurde ihm klar, dass sie schon zur Priesterin geweiht gewesen sein könnte und ihre Leiche woanders sein könnte. Dann würde er hier recht vergeblich suchen, das war klar. Unwillig legte er schließlich seinen Weg fort, in den Speisesaal. Stühle und Tische lagen wüst durcheinander, eine Leiche war mit Pfeilen an einen Tisch genagelt worden. Er riss einen der gefiederten Todesboten heraus und untersuchte ihn. Er war völlig gewöhnlich - bis auf zwei diagonal zum Schaft verlaufende, mit grüner Farbe unterlegte Rillen. Nun wich auch noch der klägliche Rest der Farbe aus Kellahans Gesicht. Ger'derestes hatte also recht behalten. Ge'eres hatte es herausgefunden. Doch er strebte nach Macht! Er hätte sie nie töten lassen! Und er kannte Sabre gut genug, um zu wissen, dass sie nie gegen einen seiner Befehle handeln würde! Das konnte nur bedeuten, dass das Mädchen noch am Leben war! Und zu allem Übel auch noch in Ge'eres Gewalt! Kellahan ließ dem Pfeil zu Boden gleiten und zog eine kristallene Kugel aus der versteckten Tasche in seinem Umhang. Mit einer Hand fuhr er darüber, bis sie geheimnisvoll zu leuchten begann. "Kellahan?" Kellahan nickte und blickte in das Bild des alterslosen Mannes in der Kugel: "Eye." "Du siehst nicht sonderlich erfreut aus. Darf ich davon ausgehen, dass etwas nicht ganz nach deinen Vorstellungen gelaufen ist?" "Schlimmer." Ger'derestes Gesicht verzog sich leicht: "Nun sag schon." "Sabre. Sie war hier, im Tempel. Ich möchte es nicht erklären, ich werde die Kugel hoch schweben lassen, damit Ihr sehen könnt, was hier stattgefunden hat." Mit einer kurzen Bewegung ließ er die Kugel schweben, dann holte er sie zurück. "Nun?" Das Gesicht des Mannes in der Kugel war bleich: "Ge'eres hat sie?" "Ich weiß es nicht. Ich habe gerade erst diese Verwüstung entdeckt!" "Dann geh und finde es heraus!" Kellahan nickte und deutete eine Verbeugung an: "Wie Ihr wünscht." "Aideera! Das Meer! Schau mal, da ist das Meer! Kuck, die Wellen!" Desideria rannte an der kleinen Bucht entlang. Ceardas lächelte: "Ja, das Meer. Es ist nicht mehr weit bis zum Hafen, morgen werden wir ihn erreicht haben." Doch dann schweifte sein Blick wieder zu Aideera. Sie rang sich nur mühsam ein Lächeln ab, war aber schneeweiß. Er hatte sie eine ganze Weile beobachtet, sie schlief nachts kaum und wenn doch einmal, dann weinte sie fast ununterbrochen. Manchmal schrie sie sogar. Er war sich inzwischen sicher, dass die Mädchen etwas verschwiegen. Je länger sie unterwegs waren, je mehr zweifelte er an, ob sie tatsächlich Geschwister waren. Gut, bei Galiriel und Desideria war das an sich kaum relewandt, sie waren sich sogar in gewisser Weise ähnlich. Ihre Haut war in der Sonne rasch gebräunt, nur der Unterschied zwischen ihren Haaren, die eine braunhaarig, die andere blond. Aber Aideera unterschied sich stark von ihnen. Ihre Haut war hell, fast weiß und ihre Augen leuchtend grün. Dazu war sie etwas größer, als Galiriel und ungewöhnlich schmal gebaut. Doch das, was ihn wirklich stutzig machte, waren ihre ungewöhnlich gut geprägten Sinne. Sie waren teilweise sogar weit besser, als die Caer'dans: Sie hatte ausgeprägtere Sinne, als ein Elf! Und sie war ein Mensch! Dazu kam auch noch das komische Band um die Stirn, das sie immer trug und die Tatsache, dass sie ihre Haare verbarg. Warum? Doch selbst das war noch nicht alles! Nein, dazu kam noch ihr Drang, sich zu verstecken! Er war davon überzeugt, dass diese drei Mädchen mit Sicherheit nicht nur von Erbschleichern gejagt wurden! Da steckte weit mehr dahinter! "Caerdas, sagt, was habt Ihr? Ihr wirkt besorgt." Er wandte sich zu der Sprecherin um. Es war Galiriel, die sich auf ihren Stab stützte, der ein genaues Abbild des Stabes Caleron war. Doch sie schien das nicht mal zu wissen. "Ich bin nicht besorgt. Nicht mehr. Morgen sind wir auf einem Schiff nach Mittelland. Dann solltet ihr in Sicherheit sein." Galiriel nickte, wobei ihr Blick immer wieder zu Caer'dan abschweifte. Caerdas grinste: "Und sich wette, mein Schüler wird Euch noch eine ganze Weile begleiten." "Caerdas, erwartet Ihr jemanden?" Caerdas fuhr zusammen: "Bitte?" "Da hinten kommen Reiter, mindestens hundert." Caerdas sah zu Aideera, die schlagartig steif geworden war. Sie klammerte sich an die Frucht, die sie hielt. Sie merkte nicht einmal, wie die Hülse platzte und der gelbe, klebrige Saft ihr über die Handschuhe lief, die sie immer trug. Er nickte Caer'dan zu. Das Gefühl, sich mit den Mädchen eine Menge Ärger aufgehalst zu haben, nahm stark zu. "Ich erwarte niemanden. Wen denn auch?" "Was sollen wir machen?" "Ich werde mit diesen Leuten reden. So kann das nicht weitergehen. Ich lasse mich doch nicht von einer Horde verrückt gewordener Menschen jagen!" "Nein!" Caerdas sah sich um. Es überraschte ihn nicht wirklich, wie Aideera reagiert hatte, doch er war weit über die fünfhundert hinaus und damit aus dem Alter, in dem er bereit gewesen war, sich etwas von einem der kurzlebigen Geschöpfe sagen zu lassen. "Doch. Mein Entschluss ist gefasst. Ich renne nicht mehr weg, Kind. Ich werde mit diesen Menschen reden, schlicht und einfach. Danach sehen wir weiter. Caer'dan wird die Kleine nehmen und sie ein Stück abseits verstecken. Nicht, dass das nötig wäre, aber ich will auch kein unnötiges Risiko eingehen. Na los!" Stumm und aufgebracht stellte Aideera sich neben den Elf, der seinen Bogen locker in der rechten Hand hielt. Sie selbst hatte keine Waffe, sie konnte ja doch nicht damit umgehen. Sie wusste, sie hatten keine Chance zu gewinnen, denn sie hatte die Auren längst erkannt, vor allem die der Katze. Sie verstärkte ihr Netz, mehr konnte sie nicht tun, im Moment. Sie konnte nur warten und sehen, wie die Reiter immer näher kamen. Am liebsten wäre sie einfach weggerannt. Sie wandte sich um, sah, dass Galiriel mit Desideria auf einem Baum saß, unter dem Caer'dan locker lehnte, wie sein Lehrmeister den Bogen in der Hand. Sie schloss ihre Augen und griff auf die Kraft aus der Quelle zurück. Sie begann, ein Tarnnetz um die Zwei zu weben. Niemand sollte sie entdecken! Denn seit ihrem Aufbruch war ihr immer mehr klar geworden, dass sollte diese Kavit'taas eine von ihnen suchen, sie nur hinter ihr selbst her sein konnte. Doch wie hatten sie es herausgefunden? Sie hatte doch alles so sorgsam verborgen! Niemand hätte es bemerken dürfen! Und dann waren sie da, die Reiter. Sie bremsten ihre Pferde ein Stück von Caerdas entfernt, stiegen ab und kamen auf sie zu, angeführt von der Katze und einem einarmigen Krieger. Sie blickte ihr direkt ins Gesicht, erst danach wandte sie sich an Caerdas: "Ich grüße Euch, Elf." "Was wollt Ihr von uns?", fragte der, ohne auf den Gruß einzugehen. Die Söldnerin aus dem Stamm der Kavit'taas zuckte die Schultern: "Ihr seid unfreundlich und dabei dachte ich immer, dass die Naturvölker besonders nett wären. Aber wenn Ihr mich schon so fragt - Ihr habt da etwas aus meinem Besitz." "Ach? Ich wüsste nicht, woher. Oder auch nur was." Die weiße Katze zuckte verächtlich mit den Achseln: "Da sieht man es schon! Und dabei werden die alten Stämme immer über alle Maßen gelobt! Der alte Elf merkt nicht mal, was er da hat! Hast du so etwas schon mal gehört?" Die offensichtliche Anführerin wandte sich zu dem Mann neben sich. Der grinste nur, während sie sich wieder Caerdas zuwandte: "Ich will die Priesterin." Nun verzog Caerdas wirklich die Stirn. Es brauchte viel, bevor er eine Emotion zeigte, doch nun war er wirklich erstaunt: "Bitte?" "Oh, womit habe ich das nur verdient? Der ist ja so dumm wie Bohnenstroh!" Aideera war innerlich zusammengezuckt. Die weiße Katze war also da, um sie zu holen! Sie wob das Netz um Desideria und Galiriel noch ein wenig fester, während ihre Hand sich um das Messer schloss, das sie immer noch in ihrer Tasche verbarg. Sie würde sich wehren! Mit allem, was sie hatte, und wenn es noch so wenig war! "Wovon redet Ihr, Söldnerin? Ich sehe hier keine Priesterin und ich bezweifle, dass ich nach dem Massaker so schnell wieder eine sehen werde." "Oh, es ist also schon durchgesickert. Schreckliche Sache, nicht wahr?" Caerdas setzte wieder seine kalte Maske auf: "Schlechte Nachrichten verbreiten sich in Allgemeinen sehr schnell." "Nun, dann gebt mir, was ich haben will und ich werde einfach weiterziehen. Ohne Euch zu töten." Da lachte Caerdas so kalt auf, dass Aideera das Blut in den Adern gefror: "Mich töten. Eine amüsante Vorstellung. Diese Worte habe ich schon häufig gehört." Seine Augen funkelten nun gefährlich, die Hand umschloss den geschmeidigen Bogen nun fest, während die andere unauffällig nach den ersten Pfeilen griff. Aideera sah genau, wie auch die Katze nach ihrem Schwert griff: "Gib sie einfach raus!" In dem Moment zischte der erste Pfeil an Aideeras Wange vorbei. Caer'dan hielt seinen Bogen fest, der nächste Pfeil lag bereits auf der Sehne: "Verschwindet! Der Nächste trifft." "Oh, das Blatt hat sich gewendet." In dem Moment prasselte ein wahrer Regen von Pfeilen auf die Drei nieder. Automatisch errichtete Aideera um sich herum einen Schild, an dem die eisernen Spitzen wirkungslos abprallten. "Das. Das ist sie. Sie will ich lebend. Was ihr mit dem Rest macht, ist eure Sache." Und auf einmal tobte um Aideera herum eine Schlacht. Säulen von Wasser schossen aus heiterem Himmel aus dem Boden, überall leuchteten Schilde auf, Schwerter glänzten. "Worum geht es hier?", fragte auf einmal Caerdas neben Aideera. "Da steckt doch mehr dahinter, als irgendeine Erbschaft! Und was soll das Gefasel von wegen Priesterin?!" Sabre wehrte geschickte den Stoß vom Bogen des Elfs mit ihrem Rapier ab und lachte: "Erbschaft? Was hat sie Euch denn aufgebunden? Ihr habt wirklich keine Ahnung!" Sie griff nach Aideera. Augenblicklich überkam sie ein kaum zu ertragender Schmerz, als die weiß behaarte Hand sich durch ihren Schild bohrte, erbarmungslos. Es war, als ob Jemand in ihren Brustkorb griff und ihr so das Herz zu zerquetschen drohte. Sie sackte in sich zusammen, ohne zu merken, wie die Krallen das Tuch und das Stirnband durchschnitten. Das Letzte, was sie sah, bevor sie das Bewusstsein verlor, war eine Wolke aus ihren silbergrünen Haaren. Caerdas war geschockt, als er sah, wie Aideera lautlos in sich zusammenbrach. Doch nicht das war es, was ihn schockte, es war das, was unter dem Tuch zum Vorschein kam, das sie immer getragen hatte: silberne Haare, die auf eine nicht erklärliche Weise grünlich schimmerten - und kleine, spitz zulaufende Ohren! "Was geht hier vor?!" Er versuchte, Aideera zu helfen, doch er musste seine eigene Haut schützen. Er konnte nur mit zusehen, wie die weiße Söldnerin das seltsame Mädchen über ihre Schulter warf, sich ungehindert auf eines der Pferde schwang und einfach wegritt. In dem Moment sah er die Klinge eines Schwertes direkt auf sich zurasen. Er wusste, er hatte keine Chance mehr und Elementarkräfte einzusetzen nicht mehr die Zeit. "Verdammt, ich bin zu spät!" Völlig perplex starrte Caerdas auf den blauhaarigen Elf, dessen Schwert soeben seine Hinrichtung verhindert hatte. "Kellahan! Was machst du denn hier?" "Später! Erst müssen wir das kleine Problem hier loswerden, nicht wahr?" "Nein! Nicht! Kein....kein Blut.....", schweißgebadet erwachte Aideera und richtete sich auf. Noch immer spürte sie ein unangenehmes Ziehen in ihrem Brustkorb. Sie hob ihre Hand vor ihre Augen, spreizte die Finger und drehte sie vor ihren Augen. Ihre Nägel schimmerten im Licht des schmalen Strahls, der durch die geschlossenen Vorhänge fiel. Sie sah sich, völlig orientierungslos um. Wo, bei Gaya'anda und Lois'an war sie gelandet? Das Letzte, an das sie sich noch dunkel erinnern konnte, war, wie die widerwärtige Katze in ihr Schutzschild eingedrungen war. Sie begann, ihre Umgebung genauer zu betrachten. Sie lag in einem breiten, weichen Bett, zugedeckt mit einem leichten, bestickten Laken und weder gefesselt noch geknebelt oder Ähnliches. Sie schlug das Laken zurück und schwang ihre Beine aus dem Bett, trat zu den Vorhängen und riss sie schwungvoll auf. Das Licht der Sonne überschwemmte dem Raum, in dem sie sich befand. Er wurde, wie sie es bereits vermutet hatte, von den riesigen Bett, in dem sie aufgewacht war, beherrscht. Es war hoch, hell und angenehm eingerichtet. Einige Schränke säumten die getäfelte Wand, in der einen Ecke stand ein Schreibtisch mit einem Stuhl und dicke, weiche Teppiche waren auf dem Boden ausgelegt. Aideera strich sich durch die Haare. Moment mal - ihr Tuch - es war weg! Und mit ihm - ihr Stirnband! Entsetzt strich sie ich über die spitzen Ohren., strich sich über ihr Kleid. Ihr Kleid! Sie hatte nicht mal ihr Kleid an! Sie trug ein langes, weißes Hemd! Was ging hier vor sich? Sie versuchte, das Fenster, vor dem sie stand, zu öffnen, doch es war mit einem Zauber versiegelt. Sie lief zur Tür, doch auch die war nicht aufzubekommen. Als sie versuchte, auf die Quelle zurückzugreifen, traf sie fast der Schlag. "Miss, bitte tun Sie das nicht." Wie von Furien verfolgt fuhr Aideera herum. Vor ihr stand eine Frau, der Aura nach eindeutig ein einfacher Mensch, mit einem Tablett in den Händen. "Wo bin ich hier? Was geht hier vor und wo ist mein Kleid?" Die Frau stellte vorsichtig ihr Tablett ab und wandte sich um: "Ihr braucht keine Angst zu haben, hier seid Ihr in Sicherheit. Ihr seid in Ge'eres An Oserrestes Schloss. Er ließ Euch hierher bringen, er wartet schon sein Leben lang auf Euch. Und was Euer Kleid anging - es war dreckig und kaputt. Ich habe mir erlaubt, es zu beseitigen. Hier in den Schränken hängt genug angemessene Kleidung für Euch. Gleich nach dem Essen werde ich Euch beim Ankleiden behilflich sein. Los doch, setzt Euch, Ihr müsst doch hungrig sein, wo Ihr vier Tage durchgeschlafen habt." Immer noch völlig verwirrt ließ sie sich auf den Stuhl bei dem Schreibtisch drücken und sich das Tablett vor das Gesicht stellen. Tatsächlich, kaum, dass ihr der Geruch der Brühe ihr in die Nase stieg, meldete sich ihr Magen. Sie griff nach dem silbernen Löffel. Egal, was hier vor sich ging, ihren Tod schien - im Moment noch niemand zu wollen. Also begann sie hungrig zu essen. "Ich will es jetzt wissen!" Mit ungeahnter Wut schüttelte Caerdas Galiriel durch, während Desideria nur noch tonlos vor sich hinweinte. "Halt! Das reicht! Caerdas! Ich werde es Euch erklären!" Da ließ der Elf von seinem Opfer ab und wandte sich zu seinem ehemaligen Meisterschüler um: "So?" Der Blauhaarige und ließ sich mit aschfahlem Gesicht auf dem Boden nieder: "Ich bin zu spät gekommen!" "Nicht, dass ich dich erwartet hätte," meinte Caerdas nur. "Ich rede nicht von dem Scharmützel eben! Ich rede vom zerstörten Tempel." "Was....?" "Vor nicht ganz zwanzig Jahren kam in diesem Tempel ein Kind zur Welt, das angeblich tot geboren worden ist. Das Kind einer Priesterin," Kellahan atmete tief durch: " Gal'aads Kind. Und es war nicht halb so tot, wie die Hohepriesterin behauptet hat." "Gal'aads Kind?" Caerdas Stimme war nun völlig tonlos, während sein Gegenüber wortlos nickte. "Gal'aads Kind. Doch sie selbst starb, als man ihr sagte, es wäre tot. Danach führte mich ihre Spur in ein Waisenhaus in der Nähe der Küste und nein, ich weiß nicht, wie sie dahin gekommen ist. Dort tischte man mir wieder mal die Sache mit dem Tod auf und so stand ich, nicht zum ersten Mal, vor dem Nichts." "Warum?" Kellahan wandte sich um. Galiriel versteckte ihr Gesicht in ihren Händen: "Warum hat sie uns nie etwas gesagt? Was hat sie denn geglaubt? Dass wir sie nicht mehr mögen würden, nur wegen spitzer Ohren?" Der Wasserelf schüttelte den Kopf: "Ich dachte, Ihr seid Priesterin! Ihr müsstet doch am besten wissen, was sie fürchtete!" "Was?" "Sie ist ein lebender Mischling! Ihr Vater ist ein Elf aus den Wäldern Ailendras und ihre Mutter Priesterin der Natur! Und sie dürfte es gar nicht geben!" Nun verstand Galiriel: "Das Kind der Prophezeiung," flüsterte sie tonlos. "Und Ihr seid ihr Vater?" Sie blickte den alten Elf mit großen Augen an. Der verbarg seine Augen. Caerdas sah sie wieder vor sich. Die langen, gelockten, braunen Haare, die sie am liebsten offen getragen hatte, die rehbraunen, sanften Augen, die manchmal golden zu funkeln schienen, ihr leicht geschwungener Mund, auf dem immer ein Lächeln gelegen hatte. Der Tempel war geschmückt mit zahllosen Blumengirlanden, Blütenblätter bedeckten den marmornen Boden vor der Statue der Göttin. Caerdas sah sich suchend um. Nicht der Gottesdienst war es gewesen, der ihn hierher geführt hatte, sondern etwas völlig Anderes. Doch er konnte sie nicht finden, die, die im letzten Jahr geweiht worden war. Und bald würde es dunkel werden. Betrübt lief er zurück zur Pforte. "Halt! Ihr da, Elf!" Beim Klang der melodischen, hohen Stimme wandte Caerdas sich um - ihm wären fast die Augen aus dem Kopf gefallen. Da rannte der Grund für sein Kommen. Lange, lockig braune Haare flatterten im Laufwind, das grüne Gewand umgab ihre grazile Figur, wie eine Wolke. Er wartete, gefangen, in ihrem Anblick. "Das da habt Ihr vergessen," keuchte sie außer Atem und hielt ihm etwas hin, eine feingliedrige Kette aus Bernstein. Er hatte sie im letzten Jahr auf ihrem Platz liegen lassen - absichtlich, verstand sich. Er schloss ihre Finger wieder darum. "Die war für Euch gedacht, für Euch ganz allein. Weder für den Tempel, noch für die Göttin." Das Mädchen wurde feuerrot, was ihren Charme nur noch verstärkte: "ich bin Priesterin, ich darf so was doch gar nicht haben!" Caerdas lächelte schmerzhaft. Er wusste, sei war unerreichbar für ihn, sie war unantastbar. Und doch war sie die einzige Frau, die er je begehrt hatte. Und dabei war sie ein Mensch! Er sah in ihre großen, braunen Augen: "Wie ist Euer Name?" "Gal'aad Da Ferganteren." "Mein Name ist Caerdas Ban Rastarey, ich bin Elf aus dem Stamm der Waldläufer aus den Wäldern Ailendras im Mittelland." "Dann liegt ein weiter Weg hinter Euch." "Und ein genauso weiter vor mir," lächelte Caerdas nur müde. Warum war er gekommen? Um sich noch mehr zu quälen? Um wieder zu sehen, was er nie besitzen durfte? "Dieser Tempel hat einen Schlafsaal für Pilgerer. Vielleicht wollt Ihr die Nacht hier verbringen?" Caerdas hätte nur zu gern ja gesagt, doch stattdessen antwortete er: "Ich bin Waldelf, ich fühle mich in der Natur am wohlsten." Erstaunt bemerkte er die Enttäuschung in dem feinen Gesicht und das verräterische Zucken um den Mundwinkel der Priesterin. Sie... sie fühlte genauso, wie er selbst! Ohne zu wissen, was er da tat, oder worauf er sich einließ, packte er ihre Hände: "Begleite mich! Weg von diesem Ort, der mich verdammt, ohne das, was ich am meisten liebe, zu leben! Begleite mich!" Gal'aad entzog ihm ihre Hände nicht, sie sah ihn nur überrascht an. Doch dann überzog ein Lächeln ihr Gesicht, das auch die scheinbar immer traurigen Augen erreichte sie sah sich um: "Wohin?" Caerdas zog sie an sich: "Weit weg, in meine Heimat Ailendras Wälder sind weit und voller Leben. Sie werden uns eine Heimat schenken, von der Andere nicht mal zu träumen wagen." Caerdas sah zu Kellahan auf: "Aideera." "Ja. Sie ist Eure Tochter. Das zumindest bis eben noch lebende Ergebnis Eurer Liebe zu Gal'aad." Galiriel atmete heftig ein, als sie das hörte. Ihre Freundin war ein Mischling, der die Geburt und offensichtlich noch so einiges mehr überlebt hatte. Ihre Freundin war das Kind der Prophezeiung, an dem der Fortbestand des gesamten Planeten hing! Und das Grab der namenlosen Priesterin, Galiriel hätte es schwören können, war das Grab ihrer Mutter, die sie nie kennenlernen durfte. Caerdas sah auf: "Ich hole sie da raus!" Kellahan nickte: "Das hatte ich selbst vor." "Morgen brechen wir auf." Mit einem seltsamen Gefühl im Bauch betrachtete Aideera sich im Spiegelbild. Das rosèfarbene Kleid aus Seide umspielte ihren Körper, dunklere bis zu weinrote Stoffstücke mittendrin vermittelten den Eindruck, dass sie selbst eine Blume war. Das dunkelrote Kropfband war mit einer blumenförmigen Brosche verschlossen, deren Steine meisterhaft geschliffen worden waren. Alles passte perfekt, wie ihr auf den Leib geschneidert. Noch nie hatte Aideera etwas derartig kostbares besessen! Das Kleid allein war mehr wert, als alles das sie je gehabt hatte! Doch wer gab sich diese Mühe mit ihr - und vor allem: wozu? Was wollte er damit bezwecken? Warum hatte man sie entführt? Zu welchem Zweck? Niemand gab einfach so etwas her, ohne eine Gegenleistung zu erwarten! Das hatte sie in all den Jahren gelernt. Da hörte sie das leise Klopfen. Sie wandte sich um: "Ja?" Die Frau, die ihr auch schon beim Ankleiden geholfen hatte, lächelte: "Mein Herr ist nun bereit, Euch zu empfangen. Folgt mir bitte." Aideera wusste nicht, was sie erwartete. Wer war der seltsame Fremde, der sie hatte entführen und hierher bringen lassen? Was erwartete er von ihr, dieser rätselhafte Fürst, dessen Name ihr ein Schaudern über die Haut jagte? Sie ging nur sehr zögerlich hinter der Frau her, zum ersten Mal aus dem Zimmer heraus, in dem sie nun mehrere Tage verbracht hatte. Der Flur war mit edlen Teppichböden belegt, die Decken mit Stuckarbeiten verziert. An den Wänden hingen kostbar wirkende Gemälde, alles erstrahlte hier in seiner ganz eigenen Pracht. Caerdas zügelte seinen Hengst und fuhr fort, das Schloss vor ihm zu beobachten. Für die Augen eines Unwissenden war es mit Sicherheit nicht sichtbar, doch den seinen zeigte sich so einiges. Er warf einen raschen Seitenblick auf Kellahan, der sich in seinem Sattel vorgebeugt hatte. Der junge Mann hatte bereits mit kundigem Blick begonnen, die Mauern nach einer Schwäche zu untersuchen. "Nun?" "Nichts zu sehen, nicht der kleinste Kratzer oder Riss in der Wand, aber ein Grundriss auf einem Pentagramm, da, seht Ihr, die Steine. Dazu bilden die Immergrün - Bäume heilige Runen - was wohl bedeuten dürfte, dass man im Innern überhaupt keine Magie anwenden kann, weder unsre noch die neue. Na ja, es hat den Vorteil, dass er es auch nicht kann. Aber mit Verlaub gesagt: Der Weg da rein wird sich als nicht halb so schwer erweisen, wie der Weg da raus. Wir sind nur zu Zweit. Zwar seid Ihr ein Meisterschütze und hervorragender Schwertkämpfer, aber ich gehe davon aus, dass er vorgesorgt haben wird." Anerkennend nickte Caerdas. Schon immer hatte sein Schüler die Gabe besessen, seine Lage ruhig einschätzen zu können. Und doch galten seine Gedanken etwas ganz Anderem: Dieser kleine, arrogante Irre, der von seinen fanatischen Anhängern schon mit Fürst der Dunkelheit angesprochen wurde, hatte es gewagt, sich an seiner Tochter zu vergreifen, der Tochter, von der er selbst erst seit so kurzer Zeit wusste! Gal'aads und sein Kind, dessen Anwesenheit er all die Jahre wohl gespürt haben musste. Er erinnerte sich wieder an ihr erstes Treffen. Ja, er musste es doch zumindest schon geahnt Haben1 Warum sonst hätte er die ersten Schritte unternommen, um sich mit einem - vermeintlichen - Menschen anzufreunden. "Caerdas! Caerdas, wir haben jetzt keine Zeit zum Nachdenken! Wir müssen handeln. Ich spüre, dass da etwas im Gange ist, das wir aufhalten sollten!" "Sicher. Also, wie sieht der Plan aus? Haben wir einen?" Da musste auch Kellahan passen: "Ich war nur einmal in diesem Gebäude und wenn sich etwas eingeprägt hat, denn die perfekte Abriegelung. Das Reinkommen ist da noch unser geringstes Problem. Wir nehmen den Hintereingang, den für die paar Dienstboten. Ihr gebt sicher einen guten Holzfäller ab. Aber da werden wir kaum wieder rauskommen. Dazu wissen wir nicht, wo die Prophezeite sich ...." "Aideera! Ihr Name ist Aideera!" Kellahan beschloss, nicht gerade jetzt einen Streit vom Zaun zu brechen: "Wo Aideera sich aufhält. Aber noch nicht mal das ist unser Problem, denn sie lässt sich finden. Wie gesagt - was mich so stört, ist die Sache mit dem Rauskommen." "Das werden wir dann schon sehen." "Bitte??" Kellahans Stimme überschlug sie fast vor Überraschung. Was war da gerade über Caerdas Lippen gekommen? Und das, obwohl doch gerade er immer auf perfekte Planung bestanden hatte? "Du hast mich schon verstanden. Hier, zwischen den Bäumen werden wir die Pferde zurücklassen." Ratlos mit den Schultern zuckend lief Kellahan voraus, zu einer kleinen unbewachten Pforte. Aideera fror. Das ehemals so prächtige Kleid hing nur noch in Fetzen von ihrem Körper herab. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal etwas zu Essen bekommen hatte. Dazu kam auch noch der bestialische Gestank, der hier Unten herrschte. Es roch wie damals, im Tempel, nach Tod, Blut und Verwesung. Selbst wenn sie, auf der durchlöcherten Decke, einmal einschlief, fuhr sie sofort wieder auf, denn nun träumte sie wieder von ihnen, den toten Novizinnen, den geschundenen Körpern, die sie vorwurfsvoll zu mustern schienen, weil sie selbst noch am Leben war. Nun, lange würde das sicher nicht mehr der Fall sein. Doch sie wusste, sie hätte keine andere Entscheidung fällen können. Sie lehnte sich an die feuchte Mauer und starrte zu dem winzigen Lichtpunkt auf, der durch einen kaum sichtbaren Spalt zu leuchten schien. Er war es, der ihr Trost spendete. Sie sehnte sich so sehr nach Bäumen! Dem Wispern, wenn der Wind durch die Kronen blies, dem Gesang der Vögel, dem Gefühl der Sonne direkt auf ihrem Gesicht. Doch das war unmöglich. Ihre Kräfte waren hier drinnen aus einem ihr unerklärlichen Grund völlig wirkungslos. Sie musste fast lachen, wenn sie daran dachte, dass sie noch bis vor Kurzem in einem palastgleichen Raum gelebt hatte, bereit, Ge'eres zu folgen. Er war so nett und liebenswürdig erschienen, schien genau gewusst zu haben, wie sie sich fühlte. Doch dann hatte sie sie gesehen! Sie, deren Name sie nun kannte! Nein, sie konnte nicht bei Jemandem leben, in dessen Diensten diese Frau, diese Kavit'taas stand! Sie hatte alle getötet! All die wehrlosen, überraschten Priesterinnen, die jungen Novizinnen! Und das in Ge'eres Auftrag! Nein, für so Jemanden konnte sie nicht arbeiten, bestärkte sie sich selbst in ihrem Entschluss. Sabre hatte alles niederbemacht, das den Fehler begangen hatte, zu atmen! Sie hatte für sich die richtige Entscheidung getroffen. Dieser Mann konnte noch so nett tun, er war es nicht, das hatte sie inzwischen erkannt. Er wollte nur eins: Das Kind der Prophezeiung unter seiner Kontrolle. Und sie war die Einzige, auf die die Beschreibung der alten Legende zu passen schien. Doch sie würde nicht helfen, Menschen zu versklaven, oder irgendeine Armee zu rufen! Mit Sicherheit nicht! Plötzlich erstarrte Aideera. Dumpfe Schritte kamen immer näher. Schuhe mit Eisenbeschlägen, wenn sie sich nicht irrte! Und immer wieder schlug etwas Ähnliches, wie ein Stab auf dem Boden auf. Ein Speer? Es musste wohl so sein. Aideera versuchte, sich klein zu machen. Die Spuren von Sabres letztem Besuch waren nämlich noch nicht einmal annähernd verheilt. Die Spur ihrer Krallen zog sich noch immer über ihren gesamten Rücken, doch sie spürte den Schmerz nicht einmal mehr. Er würde ihr wahrscheinlich nur noch auffallen, wenn er auf einmal aufhören würde. Hatte er sich entzündet? Sie versuchte nicht daran zu denken. Sie hatte schon ganz andere Dinge überlebt. Sie fuhr sich über die Narbe, die sich quer über ihren Bauch zog. Als das winzige Fenster in der schweren Eisentür geöffnet wurde, zuckte Aideera erschrocken zusammen. Doch nichts geschah, kein Gesicht erschien da, nur ein kleines Tablett. Aideera stand auf und nahm es in Empfang. Schon Mittag? Sie hatte jegliches Zeitgefühl hier unten verloren. Warum gab man ihr überhaupt noch zu Essen und ließ sie nicht einfach sterben, wo sie sich doch als nutzlos erwiesen hatte? Sie setzte sich wieder an ihren Platz. Eine steinharte Brotrinde und ein seltsam riechendes Glas Wasser. Vielleicht aus einem Sumpf. Doch was spielte das schon für eine Rolle? Sie verspürte auf einmal wieder diesen unerträglichen Durst und so kippte sie einfach alles in sich hinein. Ein Fehler, wie sie nur Sekunden später feststellen musste. Denn auf einmal wurde ihr Körper von Krämpfen geschüttelt. Es tat so weh! Was war in dem fauligen Wasser gewesen? Gift? Wollte man sich ihrer jetzt entgültig entledigen? Sie krümmte sich zusammen und sackte auf die Decke. Sie wusste nicht, wie lange sie mit diesen unerträglichen Krämpfen kämpfen musste, bevor eine gnädige Dunkelheit sie sanft einhüllte... "Hier!", Kellahan winkte Caerdas zu sich. "Hier drin ist der einzige Gefangene des Schlosses!" Caerdas zog ein Metallstück aus seinem Umhang und begann, sich am Schloss zu schaffen zu machen. Ein ungutes Gefühl hatte schon vor einer Weile von ihm Besitz ergriffen. Er hatte es eilig! Doch es schien ewig zu dauern, bis er es endlich geschafft hatte, das Schloss zu öffnen. Hastig trat er ein. Hier war dieser grauenvolle Geruch, der alles einhüllte, am stärksten. Erkonnte sich nicht erinnern, dass je etwas so gestunken hatte. Er brauchte eine ganze Weile, bis er etwas erkennen konnte. "Oh ihr Götter!," flüsterte er entsetzt und rannte auf das zusammengekauerte Bündel zu, das regungslos an der Wand lehnte, die Beine eng an den Körper gepresst. Er berührte die von einem Schweißfilm überzogene, kalkweiße Haut. Sie glühte. Er hob den Kopf. Ein seltsamer Geruch nach Wald entströmte ihr. "Es war Gift," murmelte Kellahan leise, mit einem hölzernen Becher in der Hand, den er Caerdas unter die Nase hielt. "Und zwar so ziemlich das Einzige, das immer, bei Allem tödlich endet und wogegen es absolut kein Mittel gibt." "Aber noch lebt sie," knurrte Caerdas: "Sie kämpft! Und sie wird es schaffen! Wir bringen sie hier raus!" "Das hat überhaupt keinen Sinn mehr! Sie wird es nicht schaffen!" Doch Caerdas hielt das regungslose Mädchen schon auf seinen Armen: "Das werden wir noch feststellen! Komm!" Im fahlen Licht des Ganges konnte Kallahan auch noch die schwärenden Wunden auf Aideeras Rücken erkennen. Er gab ihr keinen halben Tag mehr. Das Gift hatte seine Arbeit schon fast beendet. Doch er sah auch, dass Caerdas lieber sterben würde, als das Mädchen hier zurückzulassen. "Ge'eres!" "Was?", donnerte er Sabre missgelaunt entgegen. "Wir haben Eindringlinge und einer davon ist ein alter Bekannter! Kellahan! Sie haben das Mädchen!" "Wie bitte? Es lebt noch?" Da zuckte Sabre die Schultern: "Nicht wirklich." "Dann lasst sie entkommen. Sollen die doch die Leiche beseitigen. Aber verstärk in Zukunft die Wachen. Auch am Kücheneingang." Sabre sah überrascht auf, nickte aber dann: "Wie Ihr wünscht." Kapitel 5: ----------- So, da bin ich wieder! Sorry, dass es mit dem Updaten so lang gedauert hat... ______________________________________________________ "Das war entschieden zu leicht!," rief Kellahan über seine Schulter. Caerdas saß auf seinem Pferd, die regungslose Aideera fest an sich gedrückt. Er sah nicht auf, während er antwortete: "Nein. Er hat uns gehen lassen. Er hält sie für tot." "Das ist sie ja auch," murmelte Kellahan vor sich hin, während er sein Pferd vor einer Anhöhe zum Stehen brachte, herabsprang und zu Caerdas eilte. Der bremste sein Tier ebenfalls ab und ließ Aideera in Kellahans Arme gleiten, nur um sie ihm wieder abzunehmen, kaum dass seine Füße den Boden berührt hatten. Ergeben breitete der Jüngere seinen Umhang aus und der Ältere bettete das Mädchen darauf. "Hol mir Wasser," bat er. Erst als sein ehemaliger Schüler mit einem Ziegenlederschlauch in der Hand verschwunden war, beugte er sich zu Aideera herab, strich eine der matten, schweißnassen Strähnen aus ihrem schneeweißen Gesicht hinter ihre spitzen Ohren. Nein, er wollte nicht glauben, dass es zu spät war! Dann hätte sie schon viel eher an dem Gift sterben müssen! Sanft bettete er ihren Kopf auf seinen eigenen Umhang und griff nach ihrer schlanken, heißen Hand. Mit unbändigem Hass starrte er auf die grün schimmernden, blutunterlaufenden Nägel. Da vor ihm lag seine Tochter. Und es ging ihr denkbar schlecht. Hätte er doch nur auf sie gehört! Dann wären sie jetzt schon auf Mittelland in Sicherheit gewesen! Aber nein! Er musste ja wieder einmal seinen eigenen Dickschädel durchsetzen! "Hier ist das Wasser," Kellahan hielt ihm den prall gefüllten Beutel hin. Der griff danach und benetzte ihre Lippen mit dem kühlen Nass. Danach riss er sein Hemd in mehrere Fetzen und drehte das Mädchen vorsichtig auf den Rücken. "Das war Sabre," murmelte Kellahan, als er nun die blutigen Spuren genauer betrachtete. Doch Caerdas reagierte gar nicht. Er nahm ein Messer, schuf in seiner Hand eine Flamme, hielt es hinein und schnitt dann die Wunde auf, um sie zu reinigen. Aideera zuckte nicht einmal. War sie schon tot? Als Caerdas sein Werk beendet hatte, nahm er den breitesten der Streifen, belegte ihn mit einigen Blättern, die er aus einer seiner Taschen zusammengesucht hatte, und band ihn fest. Danach drehte er seine Tochter erneut um und legte ihr ein wasserdurchtränktes Tuch auf die glühende Stirn. Sie lebte immer noch, auch wenn man genau hinsehen musste, um zu erkennen, dass der Brustkorb sich noch hob und senkte. Doch wie konnte das sein? Selbst Elfen starben fast augenblicklich nach Einnahme dieses Giftes und Aideera lebte immer noch! Ihr ganzer Körper schien von innen heraus zu brennen, ihre Haut fühlte sich an, wie von unzähligen Nadeln durchbohrt. Sie konnte sich nicht dagegen wehren! Warum? Es tat so unendlich weh! Und doch, ihr Körper erinnerte sich daran, sich schon einmal so gefühlt zu haben, vor langer, langer Zeit. Was war damals gewesen? Sie wusste es nicht. Schmerz, Schmerz überall. Alles tat so weh und die Bilder ihrer toten Gefährtinnen quälten sie unablässig! Und sie konnte nichts dagegen unternehmen! Schmerz! "Sie scheint Alpträume zu haben," murmelte Kellahan, als Aideeras Kopf begann, unruhig hin und her zu zucken. Inzwischen war auch er überzeugt, dass sie überleben würde. Es waren seit ihrer Befreiung mehrere Tage vergangen und noch immer lebte sie. Caerdas wechselte wieder einmal die Tücher auf ihrer Stirn aus: "Ich werde etwas dagegen unternehmen." Er legte ihr vorsichtig seine Hände an die Schläfen und schloss konzentriert seine Augen. Zwar wusste er genau, was er da tat, doch er hatte es noch nie gemacht. Es war nie nötig gewesen. Tatsächlich beruhigte Aideera sich langsam, ihr Kopf hörte auf, zu zucken, ihre geballten Fäuste entspannten sich. Doch dafür wurde Caerdas nun bleich. "Was ist?" "Das, was sie in ihrem kurzen Leben schon erlebt hat, ist mehr Schmerz und Qual, als ein Elf in seiner ganzen Spanne erfährt! Das reicht für Dutzende von Leben!" "Wovon redet Ihr?" "Vom Tempel. Ich weiß, was dort geschehen ist. Es ist bei Weiten schlimmer, als das, was du mir erzählt hast. Und woher diese Narbe kommt." Tonlos fuhr er mit einem Finger die helle Narbe nach, die irgendwo begann und sich über ihren gesamten Oberkörper zu erstrecken schien. Dann blickte er auf einmal auf: "Du hättest mir sagen müssen, dass es Sabre gewesen ist!" Kellahan zuckte nur mit den Achseln: "Hätte das etwa etwas geändert?" Er musste wieder an die junge Magierin denken, mit der er zusammen aufgewachsen war. Sie war immer schief angesehen worden, eine Kavit'taas inmitten von Elfen. Doch sie war auch seine Freundin gewesen. Sie hatten oft zusammen gespielt und gekämpft. Noch heute ärgerte es ihn, dass sie immer gewonnen hatte. Sie hatte eben die Agilität einer Katze und war im Gegensatz zu ihm auch immer auf ihren Beinen gelandet. Warum? Diese Frage nagte schon seit der Entdeckung im Tempel an ihm. Was hatte seine alte Freundin dazu bewogen, sich auf Ge'eres Seite zu stellen? Etwas war anders. Der Geruch. Hier stank es nicht mehr nach Blut und Verwesung! Auch bewegte sich die Luft, sie war frisch, nicht verbraucht. Aideera spürte ihren Körper wieder. Er meldete sich zurück - mit all den Schmerzen. Ihr Rücken fühlte sich an, wie mit Eisenstangen zerkratzt, in ihrem Kopf musste ein Gnom tanzen und ihre Finger brannten wie in Feuer getaucht. Dazu kam noch das seltsam hohle Gefühl in ihrem Bauch. Sie versuchte, die frische Luft tief einzuatmen. Sie roch nach Bäumen, Wiese, Blumen und irgendwie auch nach frischem Wasser. Trotz des Hämmerns hinter ihren Schläfen konnte sie das Rauschen von Blättern wahrnehmen. Nein, sie konnte sich unmöglich im Kerker befinden! Ganz langsam versuchte sie, ihre Augen zu öffnen. Sie war überrascht, wie sehr es sie anstrengte. Sie brauchte eine Ewigkeit, um auch nur ansatzweise etwas zu erkennen. Sie war umgeben von grünen Schatten. Ein Wald? "Geht es dir besser?" Der Klang der Stimme hallte wie der Schlag einer unangenehm klingenden Glocke in ihrem Kopf wieder. Sie versuchte, die Quelle des Lautes ausfindig zu machen. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie ihn erkannte. Er war Caerdas, der sich über sie beugte. "Wo...?" Erschrocken hielt sie inne. War dieser Ton etwa gerade von ihr gekommen? Dieser unerträgliche Klang eines über Rost kratzenden Fingernagels? Sie versuchte sich aufzurichten, um sich umsehen zu können, doch eine kräftige Hand hielt sie fest. "Ganz ruhig, Aideera. Du bist in Sicherheit. Wir befinden uns irgendwo mitten in den Wäldern in der Nähe der Küste. Weit weg vom Fürsten der Finsternis." Erleichtert schloss Aideera für einen kurzen Augenblick ihre Lider. Keine Krallen erwarteten sie mehr, um ihre Haut zu zerfetzen, keine Steine, um ihre Finger zu zerquetschen, keine weiteren Torturen mehr. Sie war in Sicherheit. "Wie geht es dir?," drang Caerdas ruhige Stimmer erneut zu ihr durch. "Besser," krächzte sie zurück. Da überzog ein erleichtertes Lächeln das Gesicht des Elfen, er fasste neben sich nach einem Ziegenlederbeutel, den er ihr an den Mund hielt, doch Aideera wich zurück, ihre Hand presste sich auf ihren Bauch, wobei sie erst merkte, dass das Kleid an dieser Stelle nur noch in Fetzen an ihr hing. Sie konnte die leichte Erhebung der Narbe deutlich fühlen. "Keine Angst, ruhig, beruhige dich. Du musst etwas trinken. Das hier ist ganz frisches Wasser aus dem Bach. Du riechst ihn doch sicher. Da ist kein Gift drin." Diesmal ließ Aideera zu, dass ihr der Beutel an den Mund gehalten wurde. Schon nach dem ersten Tropfen auf ihrer Zunge merkte sie, wie durstig sie war und begann, hastig zu trinken. Doch schon nach wenigen Schlucken wurde ihr das kühle Nass wieder weggenommen: "Ganz langsam! Sonst rebelliert dein Magen mit Sicherheit. Es ist überhaupt schon so ein Wunder, dass du noch lebst. Du hast das Quantasgift überlebt," auf einmal zögerte der Elf, das Wort auszusprechen, das ihm auf den Lippen lag, "Tochter." Da starrten zwei unglaublich grüne Augen ihn weit aufgerissen an. Er hätte schwören können, dass sie das letzte mal nicht halb so farbintensiv gewesen waren. "Was.... wieso...ich!" Caerdas lächelte: "Ich habe es an dem Tag erfahren, als Sabre dich entführt hat. Aber ich glaube, ich habe es von Anfang an irgendwie gespürt." Unsicher fasste Aideera sich an ihre Ohren - das wohl eindeutigste Zeichen ihrer Herkunft, der Beweis dafür, dass sie ein Mischling war, den sie so lange versteckt gehalten hatte: "Aber .. das... das kann doch gar nicht...!" Sie spürte, wie Caerdas sanft ihre Hände in die seinen nahm und ihre Finger betrachtete, die sich immer noch geschwollen anfühlten: "Ich erkläre es dir später, ich verspreche es. Aber glaub mir, hätte ich eher von dir gewusst, du hättest nicht so gelitten!" Aideera sah dem Elf sprachlos in die Augen, die ihr sagten, dass all das der Wahrheit entsprach. Sie war keine Weise. Sie hatte eine Familie! Einen Vater! Doch ein Gefühl sagte ihr, dass sie schon lange keine Mutter mehr hatte. "Schlaf noch etwas," murmelte Caerdas leise. "Du musst dich schnell erholen. Die Anderen warten auf uns." Er beobachtete, wie rasch seine Tochter wieder ins Reich der Träume herabsank. Ja, er fühlte sich ihr gegenüber inzwischen wie ein Vater. Er hielt ihre Hände weiterhin in den seinen, zufrieden, dass sie fast wieder normal aussahen, sah man mal von der grünen Verfärbung der Nägel ab. Er war seltsam, doch er war sich fast sicher, dass sowohl ihre Augen, als auch ihre Haare auf einmal grüner geworden waren. Er hatte ihre Haare ja vorher nur ein einziges Mal gesehen, aber er war sich seiner Sache absolut sicher. Mit den Nägeln war es bestimmt genauso. Erst ein Rascheln hinter sich beförderte ihn in die Realität zurück. Kellahan trat leise aus dem Geäst, in der Hand einen prall gefüllten Beutel. Er musterte Aideera. "Sie ist zu sich gekommen." Da wanderten die Augenbrauen des schwarzblauhaarigen Mannes nach oben. "Sie hat es geschafft?" Caerdas strahlte: "Ja! Sie ist noch schwach, aber ja!" "Wie sie das wohl geschafft hat, ich meine, das war doch nicht irgendein Gift!" "Na wer hat denn mit der Sache mit dem ,prophezeiten Kind' angefangen! Warum sollte sie dann am Gift der Göttin sterben!" Der Geruch von Rauch stieg Aideera in die Nase, als sie aus ihrem Schlaf aufschreckte. Doch dann beruhigten sich ihre Nerven wieder. Niemand würde diese Flammen nutzen, um ihr zu schaden. Es war doch nur ein Lagerfeuer. Die Wärme kam auf sie zu. Es war angenehm. "kannst du nicht schlafen?" Da erst merkte Aideera, dass ihr Vater neben ihr saß. Bei dem Gedanken an ihn musste sie lächeln. Sie, das Waisenkind, und ihr Vater! "Nicht wirklich," gab sie zurück, erleichtert, dass ihre Stimme fast wieder normal klang. "Du hast ja auch fast zwei Tage durchgeratzt," meinte Caerdas, während er eine ihrer Strähnen zurückstrich. "Erklär es mir." "Was meinst du?" "Woher weißt du, wer ich bin? Wer war meine Mutter?" "Ach, das meinst du." Caerdas legte seine Stirn in Falten und hielt ihr den Schlauch mit dem Wasser hin. Diesmal trank Aideera langsam. Schließlich lehnte Caerdas sich zurück und holte tief Luft: "Also gut, von mir aus. Es hat angefangen, kurz nachdem Kellahan mich verlassen hat, um beim weisen Herrn der Himmel zu lernen." "Wer? Ich verstehe nicht." Da half er seiner Tochter auf und deutete auf die dritte, schlafende Gestalt: "Darf ich bekannt machen? Mein ehemaliger Meisterschüler. Das da ist Kellahan. Vom Herrn der Himmel solltest du eigentlich schon einmal gehört haben, nicht wahr?" Aideera nickte. "Gut. Es war vor etwa dreiundzwanzig Jahren. Ich beschloss, den Tempel der Göttin zu besuchen, in dem ich ein Jahr zuvor Zeuge wurde, wie ein junges und unglaublich hübsches Mädchen zur Priesterin geweiht worden war. Ich habe meine Augen nicht von ihr lassen können. Als ich damals ging, ließ ich eine Kette zurück, auf ihrem Platz. Auch als ich schließlich im Tempel ankam, konnte ich wieder nur sie beobachten und ich merkte, dass auch sie mich ins Visier genommen hatte. Ich habe mich gefragt, ob sie mich wohl erkannt hatte, was doch mehr als unwahrscheinlich war. Nun ja, was soll ich sagen, als ich sie dann nach der Messe traf, wollte sie mir die Kette zurückgeben. Ich habe ihr angeboten, auch sie zu begleiten. Sie passte einfach nicht in den Tempel." Da unterbrach Aideera plötzlich: "Wie sah sie aus?" Ceardas lächelte entrückt: "Sie war eine Schönheit: hoch gewachsen, von natürlicher Eleganz und Grazie. Ein Mädchen mit langen, wunderschönen braunen, Haaren und großen, ausdrucksstarken Augen in derselben Farbe. Was hast du?" Aideera starrte ihn an: "Ich habe sie gesehen! Einmal! Es war wie in einer Vision! Bei der Messe, als ich ins Gesicht der Statue gesehen habe!" Der Elf nickte, dann fuhr er fort: "Sie begleitete mich. Fortan lebten wir in den Wäldern. Ich sage dir, deine Mutter war glücklich. Endlich den Zwängen der Gemeinschaft entronnen, in der freien Natur, die sie so liebte. Drei Jahre dauerte unser Glück. Doch dann verschwand sie einfach, spurlos! Kurz zuvor hatte sie mir erzählt, dass sie schwanger war! Wir waren doch so glücklich! Ich habe sie überall gesucht, ich bin sogar zum Tempel gegangen. Dort hat man mir schließlich erzählt, dass sowohl du, als auch deine Mutter tot wären. Man hat mir auch ein Grab gezeigt. Welchen Grund hatte ich zu zweifeln? Diese Nachricht zermürbte mich. Ich war verzweifelt und kehrte nach Mittelland zurück, um zu vergessen." Aideera stiegen die Tränen in die Augen. Sie erinnerte sich wieder an die Traurigkeit, die sie jedes Mal überkommen hatte, wenn sie auf den Grabstein ihrer Mutter geblickt hatte. Den einsamen Grabstein, der so weit von den Anderen entfernt gestanden hatte. Caerdas fuhr fort zu erzählen: "Ich fand einen neuen Schüler und eines Tages beschloss ich, Gal'aads Tod auf den Grund zu gehen und kehrte zurück. Natürlich konnte ich nichts in Erfahrung bringen und so beschloss ich, in meine Heimat zurückzukehren. Wobei ich dich und deine Freundinnen traf." "Und fühltest, dass es da etwas gab, dass uns zusamenbindet." Aideera sah auf. "Genau. Nachdem Sabre dich entführt hat, stieß Kellahan zu uns. Und er hat mir die unglaubliche Geschichte erzählt und den Rest - den Rest habe ich in deiner Erinnerung gesehen." Aideera wurde bleich, während Caerdas über die Narbe auf ihrem Bauch strich: "Nicht." "Ich wusste ja, dass Kinder grausam sein können - aber das!" "Kellahan, alles bereit?" Der Elf befestigte den letzten Wasserschlauch am Sattel seines Pferdes, während er nickte: "Wir können!" Dann schwang er sich in den Sattel und folgte Caerdas, der mit Aideera vor sich, bereits losgeritten war. Sie war noch nicht wirklich wieder gesund, aber sie mussten aufbrechen, wenn sie das letzte Schiff erreichen wollten, mit dem sie gefahrlos vor Einsetzen der Stürme nach Mittelland kommen wollten. Die Anderen waren sicher mehr als nervös. Außerdem hegte Caerdas die Vermutung, dass Ge'eres sicher bald feststellen würde, dass Aideera nicht ganz so tot war, wie er es gern hätte und das war eine nicht gerade beglückende Aussicht. Er hielt seine Tochter fest. Später würde sie sich zu Kellahan setzen müssen, um das Pferd nicht zu sehr zu ermüden, dann konnten sie, wenn sie durchritten, den Hafen in zwei Tagen, oder schon am Morgen, wenn sie die Nacht durchritten, erreichen. Und das war es, was er wollte. Bloß so weit wie möglich weg von hier. Er sah, wie Kellahan neben ihm aufschloss. Galiriel stand nervös an Bord der Faleng. Sie würde in wenigen Stunden ablegen und weder von Aideera noch von den beiden Elfen war auch nur eine Spur zu sehen. "Wann kommt Aideera denn endlich?", fragte in dem Moment Desideria ungeduldig. Sie fand, sie hatte lang genug auf ihre Ersatzmutter gewartet. Galiriel hievte sie auf die breite Reeling: "Kannst ja mit mir nach ihnen suchen. Sie müssen jetzt bald.... Oh, Caer'dan." Galiriel lächelte schüchtern: "Hast du sie schon gesehen?" Der Elf schüttelte seinen Kopf: "Noch nicht." Dann stellte er sich zu den Mädchen: "Aber sie werden sicher bald kommen. Kellahan hat schon immer alles geschafft, was er schaffen wollte." "Und das wird er auch weiterhin." Alle fuhren herum und hätte Desideria sich nicht im letzten Moment an Caer'dan gekrallt, sie wäre ins Hafenbecken gefallen. Vor ihnen stand der Elf mit den dunkelblauen Haaren. Er machte sich offensichtlich über die erstaunten Gesichter lustig. "Wo ist Aideera?" "Ich bin hier," ertönte auf einmal die vertraute Stimme hinter dem Elf, der einen Schritt zur Seite tat. "Aideeeeeeeeeeeeeeera!" Desideria stürzte sich auf sie und wie immer fing Aideera das Mädchen auch auf. Doch Galiriel merkte, wie sie augenblicklich das Gesicht vor Schmerzen verzog und sie erkannte, dass das Kleid unter dem Umhang nur noch in Fetzen am Körper ihrer ausgemagerten Freundin hing. Sie sah ungewohnt aus, ohne das Stirnband, größer und zerbrechlicher. Obwohl letzteres wohl eher weniger mit einem Stück Stoff zu Tun hatte. Sie packte das Mädchen, drückte es Caer'dan in die Arme und sagte: "Ich kümmere mich mal um Aideera und zeige ihr unsere Kabine. Beschäftigt ihr nur so lange die Kleine." Sie brachte Aideera in ihren kleinen, aber durchaus luxuriösen Raum und drückte sie auf das freie Bett, während sie ihr den Mantel abnahm. "Ach du lieber Himmel!" rief sie entsetzt aus, als sie den noch nicht ganz vernarbten Rücken sah. Dann kniete sie sich vor Aideera: "Was haben die mit dir gemacht?" Doch ihre Freundin schüttelte nur den Kopf. Also füllte sie eine Schale mit klarem Wasser und begann, die fast verheilten Wunden noch einmal zu säubern, bevor sie einen Verband anlegte. Nur gut, dass sie so etwas immer mit sich führte! "Wenn du mir schon nichts erzählen willst, dann zieh diesen Fetzen aus! Warte, wir haben, glaube ich, noch ein Kleid. He! Was hast du denn?" Das war auch noch nie passiert: Aideera weinte. Galiriel war völlig hilflos. Sie hatte keine Ahnung, was geschehen war. Sie setzte sich neben sie und schloss sie in die Arme: "He, alles wird gut! Komm schon!" "Ich habe dich belogen, ich habe alle belogen! Aber ich hatte Angst!" Galiriel warf einen Blick auf die spitzen Ohren. Darum also ging es: "Mensch, mir ist es doch völlig egal, was für Ohren du hast und Desideria auch! So, und jetzt zieh endlich den Fetzen da aus!" Bestimmt zerrte sie an den Resten des Kleides, dessen Farbe sich nicht mehr wirklich bestimmen ließ. Sie musste einmal irgendwo zwischen weiß und rot gelegen haben. "Mein Gott, was ist denn das für eine Narbe?" Die sah sie zum ersten Mal, doch sie war mit Sicherheit schon alt! Sie zog sich von dem Zwischenraum ihrer Brüste bis zu ihrer Hüfte! Aideera streifte sich eilig das Unterkleid über: "Eine meiner schlechten Erinnerungen an meine Kindheit," murmelte sie nur, während sie schon wieder dabei war, das dunkelrote Oberkleid mit den goldenen Bordüren überzustreifen. Wieder ein Geheimnis, das ihre Freundin nicht preisgeben wollte. Doch Galiriel hakte nicht nach, sie wusste, es war sinnlos. Stattdessen griff sie nach einer Bürste und begann, sich entschlossen durch die verknoteten Haare zu arbeiten: "Sag mal, irre ich mich, oder sind die dunkler geworden?" Da hob Aideera ihre Hand. "Mensch, deine Fingernägel ja auch! Na, egal. Du wirst ja doch wieder nichts sagen." "Gift." "Bitte?" "Die Verfärbung ist die Wirkung von Gift gewesen. Man hat versucht, mich zu töten, aber mein Körper wollte das anscheinend nicht. Na ja, aber das Gift hat meine Haare und Nägel verfärbt. Meine Augen übrigens auch." Galiriel hielt in ihrem Tun inne: "Ich meine, mich doch recht gut mit Giften auszukennen, aber welches zu einer Grünverfärbung der Haare, Nägel, oder gar Augen führt, ist mir beim besten Willen nicht bekannt!" "Quantas." "Nein, das tötet," meinte Galiriel nur. Da packte Aideera auf einmal das schmale Messerchen auf ihrem Nachtschrank und schnitt sich in die Arme. "Was soll denn das?" grünes Blut tröpfelte aus der Wunde. "Riech." Galieriel tat wir ihr geheißen und wurde schneeweiß. Der Geruch mochte nur schwach sein, doch er war unverkennbar: "ich habe noch nie von einem Geschöpf gehört, dass das überlebt hätte," flüsterte sie. "Hier bin ich," gab Aideera nur sarkastisch zurück. Stumm nahm Galiriel ihre Arbeit wieder auf. "Und die Narbe stammt von einem Jungen, mit dem ich im Weisenhaus war. Ich wurde als Neugeborene krank und halb verhungert im Wald nahe des Tempels gefunden und eine Frau nahm mich mit. Sie waren auf der Durchreise und ließen mich in einem Weisenhaut zurück. Erst einmal schien ich ihr zu schwach, um eine Reise zu überleben und zum Anderen war es ihr unheimlich, dass meine braunen Haare silbern wurden - und meine Augen grün. Ich war anders, hatte die falsche Haarfarbe und spitze Ohren. Die Anderen haben mich gehasst und gehänselt, wo immer sie konnten. Einmal bin ich hingefallen und hab mir die Knie aufgeschlagen, da haben sie gemerkt, dass mein Blut nicht rot, oder blau, sondern grün war. Nun, daraufhin beschloss einer der Jungen, er war damals fast acht und wurde bereits zu einem Fleischer in die Lehre geschickt worden war, doch mal nachzusehen, ob der Rest in mir nicht auch grün wäre. Er befahl seinen Freunden, mich festzuhalten, holte von irgendwoher ein Messer und schnitt mich auf, wie ein totes Schwein. Doch dann kam Jemand. Das war das Letzte, an das ich mich erinnere. Ich habe das Bewusstsein verloren. Als ich aufgewacht bin, lag ich im Wald. Ich habe mich aufgerappelt und bin noch etwas tiefer hineingelaufen. Ich war damals sechs." Aideera hatte das so tonlos, völlig ohne Emotionen erzählt, als wäre es einem anderen Kind passiert, nicht ihr selbst. Doch Galiriel sah sie vor sich, ihre Freundin als kleines Mädchen in einem einfachen, aufgeschlitzten Kleid, blutend, irgendwo ins Unterholz geworfen. Tränen rannen ihr über das Gesicht. "Siehst du, deshalb wollte ich es nicht erzählen, ich wollte dich nicht zum Weinen bringen." Galiriel schlang ihre Arme fest um ihre Freundin: "Und ich habe mich immer darüber ausgeheult, wie ungerecht doch alle immer zu mir waren! Ich hatte ja keine Ahnung! Aber ich werde immer deine Freundin bleiben, egal, was passiert!" Da begann auch Aideera, wieder zu weinen. Das war einfach alles zu viel gewesen! Zu viel auf einmal! "Nein, Desideria. Konzentrier dich, versuch es einfach n och einmal." Mit einer Engelsgeduld redete Aideera auf das verzweifelte Mädchen ein. Immer wieder glühten deren Hände auf, wenn sie es geschafft hatte, auf die Quelle zurückzugreifen, doch sie konnte den Faden nicht leiten, das schaffte sie bisher nur bedingt und ausschließlich mit ihrem Gesang. "Warum soll ich das denn lernen? Ich brauche das alles nicht!" Da lächelte Aideera: "Vielleicht nicht jetzt, aber irgendwann mal. Und dann kannst du es nicht. Wäre das nicht reichlich blöde?" "Da hat deine Lehrerin absolut recht! Stell dir mal vor, ein Junge weigert sich, zu lernen, mit Pfeil und Bogen umzugehen! Wie kommt er denn als Mann an sein Essen?" Caerdas strich Desideria über die Haare: "Aber für heute reicht es. Jetzt muss ich deine Lehrerin nämlich entführen." Aideera sah überrascht auf: "Was gibt es?" "Das erfährst du sofort", meinte der Elf jedoch nur und so folgte sie ihm denn ergeben zu dessen Kabine. Dort wartete, zu ihrer Überraschung, auch Kellahan, der mit übereinander gelegten beinen und verschränkten Armen auf einem der Stühle saß und sie wieder mit diesem seltsamen Blick zu mustern begann. "Setz dich," sagte Caerdas, während auch er sich einen Stuhl heranzog. "Nun, was ist?" "Angesichts der Tatsache, dass doch recht viel Gesindel nun Interesse an dir bekommen wird...." "Ähh, bitte?" Da starrte Kellahan sie an: "Sag mal, hast du nichts kapiert? Du bist das prophezeite Kind, das erste, das, aus welchen Gründen auch immer, überlebt hat! Ge'eres lässt deine Flucht sicher nicht auf sich beruhen, wenn er feststellt, dass Madame überlebt haben! Herrgott noch mal, wie bescheuert kann jemand denn sein, in dessen Adern Elfenblut fließt!" "Ruhe!," donnerte Caerdas. Dann wandte er sich wieder seiner Tochter zu: "Es besteht, fürchte ich, kein Zweifel daran, dass du das Kind bist, von dem die alte Prophezeiung spricht. Das heißt, dass viele dich töten wollen, um das Ende hinauszuzögern." "Welches Ende?" Sicher kannte Aideera all die Sagen, die sich um die Prophezeiung rankten, doch sie hatte noch nicht realisiert, dass sie der Schlüssel zu sein schien. "Das spielt keine Rolle, das wird ein Anderer als ich dir besser erklären können. Aber dazu kommen wir später. Es geht mir um etwas ganz Anderes. Du selbst hast schon gespürt, dass man dir nicht immer wohl gesinnt ist, deswegen finde ich, solltest du lernen, dich zu verteidigen, auch ohne Magie. Du hast erlebt, dass auch diese Waffe versagen kann." Aideera sah auf: "Ich soll kämpfen lernen?" "Ja, genau das. Vor allem bei der Waffe, die du besitzt." Nun wurde es aber wirklich bunt: "Welche Waffe denn? Meine Kräutersichel?" "Oh ihr Götter! Weiß dieses Kind eigentlich irgendwas?", mit einem übertrieben verzweifelten Blick erhob Kellahan sich, packte die lange Ahle, in dem ihr Stab war und warf ihn ihr zu: "Das da, du ...!" "Halt dich zurück!" grollte Caerdas. "Du beschimpfst da gerade meine Tochter!" "Schon gut," grummelte der, dann wandte er sich wieder Aideera zu: "Dieses Stück Holz, dass du wahrscheinlich als Wanderstab missbraucht hast, ist nichts Anderes, als der Stab des Caleron!" Da arbeitete es in Aideeras Kopf. Von diesem Stab hatte sie schon einmal etwas gehört! Sie packte ihn aus der ledernen Hülle und wog ihn nachdenklich in der Hand. Sie konnte nichts Besonderes an dem langen, bis auf wenige Ausbuchtungen, glatten Stab erkennen. Und auch der rote Stein war, so gesehen, sicher nicht sonderlich wertvoll. "Er sieht nicht aus, als wäre es wertvoll," meinte sie nachdenklich. "Au!!!", Kellahan schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn: "Und sie hat er erwählt! Mensch, muss der Stab verzweifelt gewesen sein!" Doch erneut ging Caedas dazwischen, bevor Aideera dem hochnäsigen Elf eins überbraten konnte: "Beurteile nie etwas nach dem äußeren Anschein. Er mag gewöhnlich aussehen, doch er ist sehr, sehr mächtig. Und er at dich zu seinem Träger erwählt. Du musst lernen, mit ihm und anderen Waffen umzugehen, denn nicht immer kann jemand in deiner Nähe s ein, um dich zu bewachen. Verstehst du?" Aideera wog den Stab erneut. Sie selbst hatte schon daran gedacht, ihren Vater - bei dem Gedanken daran, dass sie einen Vater hatte, musste sie immer noch schmunzeln - zu bitten, ihr zu zeigen, wie man mit Pfeil und Bogen umgeht. Auch die Kunst des Schwertes hatte durchaus ihre Reize. Doch ein Stab? Konnte man denn mit so etwas kämpfen? Sie sah auf: "Gut. Ich bin einverstanden. Ich werde lernen." Da grinste Caerdas: "Das freut mich, ich hätte auch kein Nein akzeptiert. Aber bevor ich es vergesse - dein Trainingsgefährte und zum Teil auch Lehrer ist Kellahan." "Nein!", kam es da aus zwei Mündern gleichzeitig, mit einem Entsetzen, dass der alte Elf zu lachen begann. "Doch!", gluckste er: "Aideera braucht einen Übungsgefährten! Und ich muss ja nun Anweisungen geben, nicht wahr?" Die Beiden musterten sich entsetzt, beide wussten, die Entscheidung war gefallen. Vor allem Kellahan ahnte, was ihm bevorstand, sollte er sich weigern. Und die Überfahrt war lang. Er musterte die Tochter seines ehemaligen Meisters erneut. Ihre grünen Augen blitzten ihn kalt an, ihr Gesicht sah aus, als habe man sie geschlagen. Nicht, dass er sonderlich viel anders wirkte. "Auuu!", wütend warf Aideera ihren Stab zu Boden und presste sich ihre Hand auf den Bauch: "Bist du von allen guten Geistern verlassen? Ach, was rede ich denn da, so was hast du dein Leben lang nicht besessen!" Kellahan, der diese Schimpftiraden inzwischen gewohnt war, zuckte nur die Schultern, stieß den Stab mit einem Fuß in die Luft und fing ihn geschickt mit seiner freien Hand auf: "Was kann ich denn dafür, wenn du Transuse wieder mal deine Deckung vernachlässigst," spöttelte er gehässig. Den Stoß hatte er nicht nur einfach so an dieser Stelle platziert, er hatte gewusst, dass sie es nicht schaffen würde, ihn rechtzeitig abzufangen, geschweige denn, ihm auszuweichen! "Kellahan hat recht, Aideera. Ein Feind wird nicht warten bis du deine Konzentration wiederhast, glaub mir. Im Gegenteil, nach gerade solchen Schwächen sucht er." Caerdas sah zu seiner Tochter, sie sich, mit wutentbranntem Blick, wieder aufrichtete. "Vor allem Sabre wird diese Stellen finden," murmelte Kellahan. "und für dich gilt, du sollst nicht so viel Kraft einsetzen! Du hast sie besiegt, du brauchst sie nicht zu verletzen!" Aideera starrte Kellahan eisig an: "Das bekommst du zurück!", knurrte sie boshaft. "Das werden wir erst noch sehen," meinte der jedoch nur trocken und warf Aideera ihren Stab wieder zu. Und sie machte denselben Fehler, wie immer. Ohne nachzudenken, stürmte sie auf ihn zu, nur mit dem Ziel vor Augen, es diesem eitlen Aasgeier heimzuzahlen. Caerdas senkte nur seinen Kopf. Womit hatte er das verdient? Dieses Verhalten legten die Zwei schon an den Tag, seit sie sich das erste Mal gesehen hatten und seine Tochter bei Bewusstsein war! Sie gingen aufeinander los, wie dressierte Kampfhähne, die ihr Revier absteckten! Kaum war Aideera kräftig genug gewesen, um zu sitzen, waren die Querelen zwischen den sich doch so ähnlichen Wesen losgegangen! Er zuckte leicht zusammen, als er den Aufprall vernahm, mit dem Aideera wieder einmal auf den Planken des Schiffes ankam. Sie kämpfte viel zu emotional! So würde das nie etwas werden! Gelinde gesagt, er war verzweifelt. Erst bei dem zweiten, wesentlich härteren Aufschlag, ruckte sein Kopf wieder in die Höhe. "Du Irre! Hast du entgültig den Verstand...?" "Du musst gerade reden! Du gewinnst ja selbst gegen einen blutigen Anfänger wie mich nur mit miesen Tricks!" "Hört auf, ihr zwei, sofort! Kellahan, du liegst auf dem Boden." "Ja, weil diese Irre mir die Beine weggerissen hat, als ich ihr aufhelfen wollte!" Caerdas drehte sich um die eigene Achse: "Ihr Kindsköpfe! Aideera, du sollst lernen, nicht ihn auf egal welche Weise zu Fall bringen, und für dich gilt das Selbe! Ihr stellt euch grauenhaft an!" Die Beiden würdigten sich keines Blickes, als sie in verschiedene Richtungen auseinander gingen. "Und das soll die ganze Überfahrt so gehen?", murmelte Caerdas verzweifelt vor sich hin: "Oh ihr Götter, lasst die Winde günstig sein, sonst liegt dieses Boot in Schutt und Asche, bevor wir auch nur die Hälfte dieses Weges hinter uns haben!" Was hatten sie nur gegeneinander? Sonst war Kellahan doch auch der Frieden in Person und auf einmal kam sein ehemaliger Schüler ihm vor, wie eine wild gewordene Bestie! Mit einer mörderischen Wut im Bauch lief Aideera zu ihrer Kabine, wo sie sich wortlos aufs Bett fallen ließ. Verdammt, tat ihr Rücken ihr wieder weh! Kein Wunder, so, wie sie auf die Planken aufgeschlagen war! Und ihr Fuß erst! Sie musste ihn sich verknickt haben, als sie ausgewichen war! Doch ihr verletzter Stolz war weit schmerzlicher, als diese Lädierungen. Sie grummelte. Wie konnte sie sich nur an diesem eingebildeten Lackaffen rächen? Eine Möglichkeit musste es doch geben! "Aideera. Was machst du denn hier?" Erschrocken sah Aideera auf. Sie hatte niemanden gehört. Erst, als sie Galiriel erkannte, beruhigte sie sich wieder: "Ich lecke meine Wunden," gab sie zurück. Da setzte Galiriel sich zu ihrer Freundin: "Ihr habt also wieder nicht trainiert, sondern euch nur geprügelt," meinte sie trocken. Sie beobachtete dieses ungewöhnliche Benehmen ihrer sonst so ruhigen Freundin schon seit einer geraumen Weile. "Wieso wir? Der Lackaffe hat doch angefangen!" "Ja, sicher. Wo diesmal?" "Eine Bruchlandung auf meinem Rücken und ein angeknackster Fuß," gab Aideera zurück. Galiriel verkniff sich einen Kommentar und blickte auf den leicht geschwollenen Knöchel. "Das ist nichts schlimmes," gab sie zurück: "das ist in ein paar Stunden weg." "Wie beruhigend," grummelte Aideera. Als ob es um ihre Verletzungen ginge! Es ging ausschließlich ums Prinzip! Der Sturm tobte schon seit Stunden. Das riesige Schiff wurde auf den Wellen hin und her geschleudert, wie ein Korken. Aideera hatte das Gefühl, gleich zu sterben. Sie fühlte sich so schon unwohl auf dem Wasser, doch so schlimm war es noch nie gewesen! Mit aller Mühe hatte sie ihre Kabine vor einer Weile verlassen. Sie hatte Angst, darin eingesperrt zu sein, wie in einem Sarg. Galiriel war nicht da, sie hatte sich zu Caer'dan verzogen, ihr schien das Schaukeln nichts auszumachen. Sowenig, wie Desideria, die sie mitgenommen hatte. A ideera lehnte sich an die Wand der Treppe und versuchte, ruhig durchzuatmen. Schließlich rappelte sie sich auf. Sie musste an Deck! Sie wollte nicht von Holz umgeben sein, wie von einem Sargdeckel! Sie musste den Himmel sehen! "Meine Güte! Kind! Was machst du da?" Ein Gesicht beugte sich über sie. Es dauerte eine Weile, bevor sie begriff, dass sie zusammengebrochen war. Sie wurde gepackt. Nur kurze Zeit später lag sie wieder in ihrer Koje. Caerdas musterte sie, seine kühle Hand ruhte auf ihrer Stirn. "Ich will hier raus," brachte sie mühsam hervor, doch ihr Vater drückte sie augenblicklich zurück in ihre Kissen. "Du bist ja kaum zum ersten Treppenabsatz gekommen. Bleib liegen, dann geht es dir morgen wieder besser. Ich weiß, wie das ist, glaub mir. Ich hatte das Jahrhunderte lang! Das ist normal, wenn man, wie wir, ein Kind der Wälder ist." Er redete beruhigend auf seine seekranke Tochter ein. Doch auch er fühlte sich nicht so wohl, wie er vorgab. Der Sturm war doch sehr heftig. Wenn er sich nicht bald legte, würde er eingreifen müssen, da er nicht die geringste Lust hatte, an einem Riff zu zerschellen. Sie hatten sich der gefährlichsten Stelle der Überfahrt genähert, hier konnte alles geschehen. ____________________________________ So, das war's dann erst mal wieder... bis zum nächsten Mal! Mata ne, ADE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)