Anfang aller Feindschaft von Lizard (aus den Schatten der Vergangenheit) ================================================================================ Kapitel 21: Wege, Grenzen und Überschreitung -------------------------------------------- Nach über einem Monat (entschuldigt die lange Wartezeit!) melde ich mich mit einen neuem Kapitel meiner FF II zurück: es wartet schließlich noch so einiges auf euch! Bisher habe ich euch erzählt, wie Inu Yashas Eltern zueinander fanden, nun werde ich die tragischen Ereignisse ins Rollen bringen, welche die beiden wieder auseinander und in den Tod reißen... Bevor es weitergeht, noch eine Anmerkung: mittlerweile hat Rumiko Takahashi bei der Fortsetzung ihres Mangas neue Details enthüllt, die mir bis dato nicht bekannt waren und die mir jetzt leider einige Aspekte meiner Story zerstören. Meine Fanfic ist daher kein perfektes Prequel mehr. Ich hoffe inständig, dass euch das nicht stört und dass ihr trotzdem noch weiterlesen möchtet, auch wenn jetzt so einige Dinge nicht mehr zum Original-Manga passen. Soweit die Vorrede, zurück zur Fanfic, Kapitel 21 ist fällig: Inu Taisho hat den grausamen Drachenfürsten Bundori besiegt, nun will er sogar den Tod persönlich herausfordern, um seinem Sohn ein neues Leben zu schenken. Seine geliebte Izayoi hat nun mehrere Gründe um ihren weißen Hund zu bangen, denn überall gibt es gewisse Grenzen, die man lieber nicht überschreiten sollte... Enjoy reading! Es war eine milde, laue Frühlingsnacht, als sich Izayoi lautlos und vorsichtig an den Räumlichkeiten ihres Vaters vorbei schlich. Sie wusste, sie hatte hier absolut nichts zu suchen. Zudem durfte sie eigentlich ohne Erlaubnis und vor allem ohne schickliche Begleitung den Frauentrakt nicht verlassen. Doch die junge Prinzessin warf alle Bedenken über Bord. Der Gang, der am Empfangs- und Besprechungsraum des Fürsten vorbei führte, war der einzige Weg zur Küche, den Vorratskammern und wieder zurück. Und die leckeren, lockenden Düfte, die ihre Esslust geweckt hatten, ließen sich leider nicht ignorieren. Ein bisschen schämte sich Izayoi für ihr Benehmen, sie verhielt sich wie eine Maus auf diebischer Suche nach Speck. Aber jemanden sagen oder zeigen zu müssen, dass sie nach einem reichhaltigen Festessen immer noch hungrig war, wäre ihr noch peinlicher gewesen. Die vielen Gäste und Diener hatten sie eh schon äußerst verwundert angeschaut und spottend getuschelt, als Izayoi jede Köstlichkeit, die ihr am Abend serviert worden war, regelrecht in sich hinein gestopft hatte. Neuerdings hatte sie einfach ständig Appetit und auf dem abendlichem Festmahl, mit dem ein gewinnträchtiges Geschäftsbündnis gefeiert worden war, hatte ein plötzlicher Heißhungeranfall sie jeden höfischen Anstand vergessen lassen. Mit dieser überraschenden, unerklärlichen Gefräßigkeit hatte sie sich und ihre Familie wahrscheinlich gründlich blamiert. Izayoi wollte lieber nicht daran denken, wie sehr sich alle erst über sie lustig machen würden, wenn sie nun jemand nach ihrem heimlichen Abstecher in der Küche mit einer Handvoll stibitzten Essensresten erwischte. Auf leisen Sohlen huschte sie weiter. Gedämpftes Gemurmel drang aus dem Raum neben ihr. „All diese Neuigkeiten sind alarmierend“, hörte Izayoi die Stimme ihres Vaters, „wir müssen unbedingt mehr tun, um uns vor Dämonen zu schützen. Insbesondere, wenn sich ausgerechnet hier ein solch gefährlicher Youkai herumtreibt. Sagt mir also alles, was Ihr darüber wisst, o-bou-sama!“ Izayoi stockte und ging näher an die Holzwände heran. Lauschend lehnte sie sich an eine Schiebetür und linste zaghaft durch einen schmalen Spalt. „Wir müssen weiterhin sehr wachsam sein“, sagte nun ein älterer, aber sehr kräftiger Mann in einem Mönchsgewand. Er saß Izayois Vater gegenüber auf einer Matte am Boden. Hinter ihm im Halbkreis hockte ehrerbietig eine Gruppe niederrangiger Mönche. Etwas entfernt, an der Wand hatte sich eine weitere Gruppe niedergelassen, sie bestand aus fünf jungen Männern und zwei Frauen. Die beiden Frauen trugen ebenso wie die Männer seltsam anmutende Rüstungen und waren bewaffnet. Das mussten Dämonenjäger sein, Izayoi hatte schon viele abenteuerliche Geschichten über sie gehört, aber noch nie einen dieser geheimnisvollen Kämpfer gesehen. Ansonsten waren noch zwei Soldaten anwesend, einer von diesen war Setsuna no Takemaru. „Seit wir unsere heiligen Bannkreise ausgelegt haben“, fuhr der hochrangige Mönch fort, „habe ich dreimal die Anwesenheit des Dämons gespürt, je an zwei Abenden und zuletzt nochmals in der kurz darauf folgenden Morgendämmerung. Er hatte sein Youki immer gut verborgen. Ohne das von mir gehütete Heiligtum unseres Klosters und ohne meine ganz spezielle Ausbildung hätte auch ich beinahe nichts von ihm bemerkt. Die Fähigkeit dieses Dämons unseren Bannkreisen ausweichen zu können beweist, dass er sehr mächtig ist. Vielleicht mächtiger als wir uns vorstellen können. Seine Aura gleicht einer Ausstrahlung, welche in den letzten Wochen ständig hier in der Gegend zu spüren war. Zu ihm gehören offensichtlich viele der Dämonen, die sich bis vor wenigen Tagen in den Bergen gegenseitig bekriegt haben. Ich vermute, er ist eine Art Anführer, ein Dämonenlord.“ „Ein Dämonenlord?“, mischte sich Takemaru in das Gespräch ein: „Was wollte er hier? Warum schleicht sich solch ein Wesen heimlich in eine Menschenstadt?“ „Das weiß ich nicht“, antwortete der Mönch, „vielleicht verfolgte er damit keine bestimmte Absicht. Vielleicht kam er zufällig hierher, wollte bloß nichts mit Menschen zu tun haben und hat sich deshalb vor uns versteckt.“ „Ich glaube nicht an Zufälle, vor allem nicht, wenn es um einen Mononoke geht“, murrte Takemaru leise: „Es wäre nicht das erste Mal, dass Dämonen uns Menschen für ihre Zwecke missbrauchen.“ Der Samurai schwieg kurz und wandte sich dann weiter fortfahrend an den Fürsten: „Mein Herr, dürfte ich euch einen Vorschlag machen? Wir sollten weitere Hilfe anfordern und alle Vorsichtsmaßnahmen verstärken. Und dann sollten wir dieses dämonische Ungeheuer, das in unserer Stadt herumschleicht, suchen, finden und schleunigst unschädlich machen.“ „Ihr schlagt also vor, diesen mysteriösen Youkai zu jagen?“, fragte eine Dämonenjägerin. „Ja, warum denn nicht? Angriff ist die beste Verteidigung. Wir sollten nicht weiter warten bis dieser Dämon wieder von selbst auftaucht, dann ist es vielleicht zu spät. Was ist, wenn er beispielsweise von jemanden Besitz ergreift, sich hier unbemerkt einnistet und dann irgendwann über uns herfällt oder uns sonst wie benutzt? Was auch immer dieser Mononoke hier gesucht hat, er hat sich äußerst verdächtig verhalten und wir müssen seinen bösen Plänen unbedingt zuvor kommen!“ „Dämonenjagd ist kein Kinderspiel“, warnte ein anderer Dämonenjäger, „erst recht nicht, wenn es um solch gefährliche Mächte geht, um die es sich hier zu handeln scheint!“ „Pah“, spuckte Takemaru aus, „bekommt ihr heldenhaften Jäger etwa Angst, sobald es um etwas Großes geht? Solch eine Gelegenheit bekommen wir vielleicht nie wieder. Wenn es uns gelänge einem Dämonenanführer den Garaus zu machen, könnten wir uns auf einen Handstreich von einer großen Bedrohung befreien. Einer Schlange schlägt man am besten immer den Kopf ab!“ „Ich finde nur, wir sollten nicht unbedacht handeln“, meinte der Dämonenjäger leicht erzürnt. „Ihr habt recht, ehrenwerter Taijiya“, lenkte Izayois Vater beschwichtigend ein, „aber auch Takemaru hat recht. Es ist zu viel Erschreckendes passiert. Und nun mehren sich die Gerüchte von noch schlimmeren Dingen, die weiter südöstlich geschehen sein sollen, wie diese Erdbeben. Erdbeben kommen zwar auch natürlich vor, aber den Berichten zufolge waren in diesem Fall Dämonenkräfte am Werk. Auch von einer unvorstellbaren Überflutung wird berichtet. Das alles behagt mir gar nicht. Daher werde ich auf Takemarus Vorschlag eingehen und versuchen Verbündete zu gewinnen. Zunächst müssen wir unbedingt mehr über den Dämon herausfinden, der in unsere Stadt kam. Wir brauchen gute Vorbereitung und jede erdenkliche Unterstützung, wenn wir diese Gefahr beseitigen wollen!“ Gerade noch rechtzeitig, bevor sie jemand hätte hören und entdecken können, unterdrückte Izayoi einen Schreckensruf und biss sich hart auf die Lippen. Geliebter, dachte sie benommen, sie wissen von dir! Des Menschen Herz ist voller Furcht, Misstrauen und Vorurteilen. Sie werden dich jagen. Sie werden dich entdecken. Sie werden dich umbringen! Du darfst nicht wiederkommen, ich muss dich warnen. Doch wo finde ich dich, was soll ich nur tun? Am besten gehe ich fort. Wenn ich nicht hier bin, gibt es keinen Grund für dich hierher zu kommen... ich muss schleunigst fort von hier!“ Panisch rannte Izayoi zurück in ihr Gemach und begann wüst in ihren Sachen zu kramen. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen und warf alles durcheinander. Geweckt von dem Poltern kamen zuerst eine junge Dienerin und dann Izayois Amme in ihr Zimmer. „Izayoi-san... mein Kleine... was tust du da? Ist etwas geschehen? Beruhige dich, du bist ja völlig außer dir!“ Mit einer befehlenden Handbewegung schickte die alte Dienerin ihre junge Kollegin wieder aus dem Raum und ging dann rasch zu Izayoi. Zärtlich nahm sie die aufgelöste Prinzessin in ihre Arme. „Ganz ruhig“, sagte sie leise zu ihrem Schützling, „alles ist gut... wir sind allein. Was auch immer passiert ist, du kannst mir alles erzählen... ich bin für dich da...“ Verzweifelt schluchzend klammerte sich Izayoi an die alte Frau. „Du musst mir helfen... Bitte! Ich muss fort von hier. Ganz schnell! Bitte, sie werden ihn sonst töten!“ „Wovon redest du? Wen töten?“ Tränenblind sah Izayoi der Amme in die Augen. „Meinen Gebieter...“, antwortete sie flüsternd, „sie werden den Gebieter meines Herzens töten!“ Die alte Dienerin erstarrte, nach einigen Sekunden holte sie tief Luft und betrachtete Izayoi intensiv. Behutsam hielt sie das Mädchen an den Armen fest und setzte sich mit ihr auf den Boden. Leise fragte sie weiter. „Deinen Gebieter... meinst du damit den Dämonen aus deinen Träumen?“ Izayoi nickte stumm. „Es ist kein Traum mehr, nicht wahr?“ Wieder nickte Izayoi. Tränen glitzerten auf ihren Wangen. „Du hast dich also für ihn entschieden?“ „Ja...“, hauchte Izayoi, „ich kann nicht anders, ich liebe ihn.“ Mit einem leisen, kummervollen Seufzen drückte die Amme die weinende Prinzessin fest an sich und wiegte sie tröstend in ihren Armen. „Ach, Izayoi... mein Augenstern, mein Kind, meine Kleine... nicht weinen. Es wird alles gut werden, wir werden einen Weg finden... es gibt immer einen Weg... immer... nicht weinen.“ Langsam beruhigte sich Izayoi und richtete sich etwas auf. Ihre treue Dienerin wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht. „So... und jetzt erzählst du mir alles ganz genau. Alles von Anfang an. Aber sprich ganz leise, meine alten Ohren hören noch sehr gut und außer uns beiden braucht niemand sonst dein Geheimnis zu erfahren. Und wenn du mir alles erzählt hast, überlegen wir gemeinsam in Ruhe, was wir tun können.“ Izayoi nickte erleichtert. Sie wusste, mit ihrer Entscheidung hatte sie einen harten, leidvollen Weg gewählt. Doch nun wusste sie auch, dass sie auf ihrem schweren Weg nicht allein war. Jemand würde mit ihr gehen. * * * * * Keiner kann heute mehr sagen, welcher Weg der wirklich entscheidende war, der meinen Herrn schließlich in sein Schicksal führte. Viele geben allein Izayoi die Schuld. Viele sagen, es war nur die verachtenswerte Liebe zu einer Menschenfrau, die Inu Taisho den Tod brachte. Ich bin mir da nicht sicher. Vielleicht war auch noch eine andere Liebe mit schuld daran. Eine weitere Liebe, die in einer stürmischen Gewitternacht geboren wurde. Jene tief verborgene, niemals offen gezeigte Liebe zu seinem ersten Sohn, dem sich Inu Taisho ebenso opferte wie Izayoi und Inu Yasha. Um das Leben seines Sohnes willen überschritt Inu Taisho eine verbotene Grenze, er forderte mit Sou’unga den Tod und dadurch das Schicksal heraus. Sesshomaru weiß nichts davon. Keiner weiß etwas davon. So sollte es sein. Mein Herr hat viele seiner Geheimnisse mit ins Grab genommen. Er hatte mir strengstens untersagt jemals irgendwelche Fragen zu jenen Geschehnissen zu stellen, die sich nach seinem Kampf und Sieg über Bundori ereigneten. Und ehrlich gesagt, fiel es mir immer sehr leicht dieser Anordnung zu folgen. Als Heiler und Diener des Lebens habe ich nicht gern mit den Angelegenheiten des Todes zu tun. Darum weiß auch ich nichts. Ich glaube, letztendlich trägt niemand eine Schuld an Inu Taishos Tod, mein Herr besiegelte sein Schicksal selbst. Es war seine Entscheidung. Jeder von uns ist selbst verantwortlich für sein Handeln. Mir bleibt nur Erinnerung. Oft denke ich zurück an die mondlose Nacht, in der Sesshomaru starb. Damals erschien sie mir wie die dunkelste Nacht meines Lebens. Zusammen mit der Wolfsdämonin Aoi hatte ich alles getan, um den toten Dämonenprinzen für eine ehrenvolle Bestattung vorzubereiten. Doch aus irgendeinem unerfindlichen Gefühl heraus wollte ich meine Arbeit nicht beenden und die schwarze Perle, die Inu Taisho mir gegeben hatte, noch nicht benutzen. Also entschloss ich mich zu warten, bis der Fürst von seinem Kampf gegen seine Feinde zurückkehrte. Es erschien mir klüger, wenn Inu Taisho seinen Sohn selbst zu Grabe trug, das würde helfen die Trauer zu verarbeiten. Darum brachte ich den Leichnam in das Schloss meines Herrn. Ich ahnte nicht, was mich daraufhin alles erwarten sollte. Zunächst einmal war das Schloss in heller Aufregung. Bald erfuhr ich den Grund dafür: jemand hatte das Juwel der vier Seelen gestohlen. Aufgebracht suchte ich deshalb nach Saya, der das Juwel bewachen sollte. Erst nach langen Stunden intensivsten Suchens fand ich ihn endlich in einer Truhe im Keller. Er hatte denselben schuldbewussten Ausdruck im Gesicht wie Myoga, wenn er die Flucht ergriff. Ich zog den Geist aus seinem Versteck heraus. „Sag mal, du verkalkter Greis“, fuhr ich ihn an, „wie konnte dir jemand das Shikon no tama direkt unter der Nase wegschnappen? Hast du etwa gepennt?“ „Ähm...“, versuchte Saya sich zu rechtfertigen, „du musst das verstehen, ich bin schließlich noch älter als du und ich brauche zwischendrin kleine Ruhephasen. Es war ein unglücklicher Zufall, dass mich der Dieb ausgerechnet in einem schwachen Moment aufgesucht hat...“ Ich glaubte nicht recht zu hören. „Bin ich hier denn nur von Idioten umgeben?! Du und Myoga, ihr seid dem Herrn wirklich keine großartige Hilfe!“ „Also bitte“, gab Saya verärgert zurück, „ich habe immer treue Dienste geleistet. Ich bin der Einzige außer Inu Taisho, der Sou’unga zähmen kann. Aber einen Schutzbann für dieses seltsame Juwel aufzubauen und zu halten war unheimlich schwierig und kräftezerrend. Du weißt ja gar nicht, was du da von mir verlangt hast! Und außerdem ist das Schloss eigentlich selbst schon durch einen Bann geschützt. Beschwer dich doch lieber bei den Wachposten, die haben wohl auch geschlafen!“ Ich seufzte. „Nun, es ist eh schon zu spät, es ist geschehen... Und mit einer Sache hast du sogar recht. Nur diejenigen, die Inu Taisho und den Seinen gegenüber keine böse Absicht verfolgen, kommen ungehindert ins Schloss... Der Dieb muss also jemand unserer Vertrauten gewesen sein und er wollte das Juwel offensichtlich nicht aus selbstsüchtigen Motiven stehlen...“ „Vielleicht solltest du nach dem Juwel und seinem Dieb suchen“, schlug Saya mir vor. Lächelnd sah ich den Geist an. „Ja, das werde ich tun. Und du und Myoga, ihr werdet mir helfen!“ „Wie bitte?!“ „Spar dir deinen Protest, das ist die ideale Aufgabe für zwei solch weise Alte wie euch. Wir gehen jetzt gemeinsam zu dem Raum, in der das Shikon no tama aufbewahrt war, und verfolgen von dort seine Spur. Das Juwel müsste eine magische Aura hinterlassen haben, auf diese Weise finden wir sicher heraus, wo der Dieb das Schloss verlassen hat und in welche Richtung er verschwunden ist.“ Weder Saya noch Myoga waren sonderlich begeistert über meinen Vorschlag, aber ich wusste die beiden zu überzeugen. Ich brauchte sie nur daran zu erinnern, wie Inu Taisho reagieren würde, wenn er von dem Versagen seiner Diener erfuhr. Selbst die oft erstaunliche Nachsicht und Milde meines Herrn mit seinem Gefolge erreichte irgendwann seine Grenzen. Viel Zeit verging. Im Schloss hielt die Aufregung an, unsichere und erschreckende Nachrichten von den Auswirkungen eines übermächtigen Dämonenkampfes im Südosten waren eingetroffen. Jeder konnte sich vorstellen, was oder eher wer dahinter steckte. Auch von Naturgewalten war die Rede, ein großer Teil des Südens sollte vom Meer überflutet worden sein. Ich hoffte inständig, dass mein Herr sein Versprechen halten würde, seinen Feind besiegen und seinem Sohn nicht in den Tod folgen würde. Um mich abzulenken, konzentrierte ich mich auf meine Arbeit und auf die Suche nach dem Juwel der vier Seelen. Die Nachforschungen hatten meinen Verdacht bestätigt. Der Dieb des Juwels hatte sich sehr gut im Schloss ausgekannt. Er hatte die Balkonterrasse von Sesshomarus Gemach benutzt. Der Balkon, der extra für den Fürstensohn angebaut worden war, stellte die einzige Möglichkeit dar an den bewachten Eingängen vorbei ins Schloss und wieder heraus zu kommen. Außer den Dienern, welche die Räume sauber hielten und sich um alle sonstigen Bedürfnisse der Fürstenfamilie kümmerten, hätte es niemand gewagt Sesshomarus Privatbereich zu betreten. Niemand, außer vielleicht Sesshomarus Freund: Yoshio. Warum hatte der Wolfshundedämon das Juwel gestohlen? Er hatte es offenbar nicht für sich haben wollen, doch wofür dann? Und wo war er nun? Ich wollte ihn finden, bevor ein anderer das tat. Eigentlich war Yoshio ein Verräter und dem Tode geweiht. Aber das wussten nur mein Herr, Myoga und ich. Und ich war entschlossen Yoshio zu helfen, sofern er noch einen Funken Gutes in sich trug, das war meine Pflicht. Doch dann durchkreuzte ein plötzliches, gänzlich unerwartetes Ereignis meine Pläne und stellte meine bisherige Weltansicht völlig auf den Kopf. Es geschah in der Nacht, als ich die schwarze Perle benutzen und Sesshomarus Leichnam darin versiegeln wollte. Ich konnte das nun nicht mehr länger aufschieben. Dämonische Körper verhalten sich zwar anders als die von Menschen oder Tieren. Sie verwesen etwas später und langsamer, sofern sie sich nach dem Tod nicht sofort völlig auflösen. Aber die Folgen des Todes lassen sich auch bei Dämonen nicht dauerhaft aufhalten, irgendwann verfällt alles und jeder zu Staub. Myoga und Saya begleiteten mich zu Sesshomarus Zimmer, in dem der tote Dämonenprinz aufgebahrt lag. Unsere Stimmung war sehr bedrückt. Inu Taisho war seit mehreren Tagen verschwunden, er war wie vom Erdboden verschluckt. Bundori war tot, das hatten wir von den wenigen überlebenden Drachen des Ostens erfahren, doch von unserem Herrn fehlte jede Spur. Hatte er den Kampf gegen seinen Feind nicht überlebt? Wir sollten es bald erfahren. Mitten im Gang vor Sesshomarus Räumlichkeiten zeriss plötzlich ein schwärzlicher Blitz die Luft. Direkt vor mir öffnete sich eine Art Portal in eine fremdartige Dimension, in eine unendliche Leere. Ich spürte einen frostigen Wind. Dieser Luftzug war nicht normal, denn er bewegte nichts, kein einziges meiner Haare rührte sich dabei. Eine Stille, wie ich sie niemals zuvor erfahren hatte, breitete sich aus: Totenstille. Die Zeit schien stillzustehen und ich meinte zu Eis zu gefrieren. Myoga auf meiner Schulter war ebenfalls vor Angst versteinert Entsetzt riss ich mich von diesem Gefühl der absoluten Starre los und wich von der beklemmenden, gruseligen Leere vor mir weg. Das Portal weitete sich, ich glaubte in das Innere eines schwarzen Lochs zu sehen, das mich anzog, das an mir saugte und das mich gleichzeitig vor Grauen lähmte. Tief in mir spürte ich, was da vor mir war. Ich sah in das Land meines verhassten Feindes, in das Reich des Todes. Ein Schatten schien sich aus der grauenhaften Schwärze zu lösen und kam auf mich zu. Ich wich noch einen Schritt zurück, grenzenlose Furcht packte mich. Der Schatten verfestigte sich zu einer Gestalt und trat aus der kalten Leere heraus, hinter ihm schloss sich der Spalt so plötzlich wie er aufgetaucht war. „Oyakata-sama! Inu Taisho-sama!“, schrie Myoga erstickt auf. Ich fiel reflexartig auf die Knie und starrte den Dämonenfürsten an. Es war Inu Taisho, ohne Zweifel, doch er sah schrecklich und unheimlich aus. Seine Rüstung war zerborsten, seine Kleidung zerrissen. Unzählige Wunden überzogen seinen Körper, einige davon heilten bereits, waren vernarbt oder fast verschwunden, andere bluteten frisch. Doch am schlimmsten wirkte sein Gesicht. Es war geisterhaft bleich und zeigte den Ausdruck von Jemanden, der etwas Unaussprechliches, etwas überaus Entsetzliches gesehen und erlebt hatte. „Mein Herr...“, brachte ich schließlich heraus. „Wo ist der Körper meines Sohnes?“, fragte er mich. Der gespensterartige Klang seiner Stimme erschreckte mich. Daher dauerte es etwas bis ich antwortete: „Hier... er ist hier in seinem Zimmer. Ich habe ihn dort aufgebahrt, ich habe ihn noch nicht in der schwarzen Perle versiegelt, weil...“ „Gut.“ Ohne mich, Myoga oder Saya, der sich flugs in eine Ecke verkrochen hatte, weiter zu beachten, ging Inu Taisho in Sesshoumarus Gemach und kniete sich neben der Liegestatt des Toten nieder. Rasch und völlig verwirrt lief ich ihm hinterher und bemerkte erst jetzt, dass der Fürst etwas in seinen Armen trug. Es war ein kleines, halb durchsichtiges und weißlich leuchtendes Gebilde ohne klare Konturen, das der Form nach an einen kleinen, schlafenden Hundewelpen erinnerte. Inu Taisho breitete vorsichtig die Arme aus und ließ den geisterhaften Schemen über seinem toten Sohn frei. Das durchscheinende Gebilde zerfloss in einen schimmernden Nebel, der Sesshomaru einhüllte und sich dann auflöste. Mir stockte der Atem, als mir klar wurde, was hier geschah. Zaghaft berührte Inu Taisho Sesshomarus Gesicht und strich sanft einige weiße Stirnhaare beiseite, die das sichelmondförmige Zeichen auf seiner Stirn bedeckten. Wie gebannt sahen Myoga, Saya und ich dabei zu. Schließlich geschah das Unfassbare. Ein leichtes Zittern erfasste den toten, kalten Körper, er schien sich zu erwärmen, all seine Todesverfärbungen, die ersten Zeichen der begonnenen Verwesung, verschwanden und seine Brust hob sich leicht zu einem Atemzug. Inu Taisho drehte sich zu mir herum. „Wirst du all seine Verletzungen heilen können, Ieyasu?“ Zweifelnd und verunsichert kam ich näher und berührte nun ebenfalls zaghaft Sesshomaru. Behutsam strich ich über eine der zahllosen, grausigen Verwundungen seines gefolterten Körpers. Ich spürte Wärme, ich sah die schwachen Bewegungen des Atmens, fühlte Blut, das wieder zu fließen begonnen hatte, und hörte einen dumpf pochenden Herzschlag. Ich konnte es nicht glauben, doch es war wahr: der gebrochene Leib, der auf jeden Fall hätte tot sein müssen, lebte! „Ich kann euch nichts versprechen, mein Herr. Das wird ein sehr schwieriger, schmerzhafter und langwieriger Heilungsprozess werden. Doch ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, und mit Hilfe meines Schülers kann ich es vielleicht schaffen.“ „Gut“, sagte Inu Taisho wieder und stand auf. „Ich lasse Sesshomaru in deiner Obhut. Bundori ist vernichtet, doch Ryokossei wird sich sicherlich rächen und das Werk seines Bruders vollenden wollen. Daher werdet ihr alle schweigen und nur den wenigen meiner vertrautesten Diener erzählen, was hier geschehen ist. Offiziell erklären wir Sesshomaru weiterhin für tot. Zumindest solange bis ich auch Ryokossei gefunden und ausgeschaltet habe... Saya!“ Der Geist schwebte etwas ängstlich heran und sah fragend auf. Inu Taisho nahm Sou’unga von seinem Rücken und legte das Schwert in seiner Scheide am Boden ab. „Myoga kommt mit mir“, fuhr der Dämonenfürst fort, „Sou’unga bleibt währenddessen hier, ich möchte es nicht dabei haben. Du wirst das Schwert solange versiegeln, Saya. Pass sehr gut darauf auf, es besitzt jetzt noch stärkere Kräfte und wird sich nur schwer beherrschen lassen.“ „Verzeiht, Inu Taisho-sama“, mischte sich Myoga ein, „wohin gehen wir?“ „Wir werden einen alten Freund besuchen. Er soll etwas für mich anfertigen.“ „Bevor Ihr geht, solltet Ihr noch etwas wissen“, wandte ich hastig ein: „Das Juwel der vier Seelen wurde gestohlen. Ich denke, es war Yoshio.“ Der Fürst stutzte und überlegte kurz. „Wenn es Yoshio war, ist das meine Angelegenheit. Und ich werde mich später selbst darum kümmern.“ „Ich verstehe... wie Ihr wünscht, mein Lord. Darf ich Euch noch eine Frage stellen?“ Als Inu Taisho nickte, fuhr ich fort: „Sofern ich das richtig sehe, seid Ihr im Jenseits gewesen, um Sesshomarus Seele zurück zu holen... ich vermute, Sou’unga hat Euch irgendwie dabei geholfen... aber... der Tod schenkt normalerweise nichts, er lässt sich auch nicht betrügen und lässt nicht mit sich handeln. Was also habt ihr getan, was habt Ihr für das Leben Eures Sohnes zahlen müssen?“ „Diese Frage solltest du lieber nicht stellen, mein Freund“, meinte der Fürst ruhig, „und ich werde sie dir daher nur zum Teil beantworten. Du hast recht, Sesshomarus Leben wurde mir nicht umsonst geschenkt. Ich habe darum kämpfen müssen. Ich habe zwar gewonnen, aber trotzdem noch etwas zahlen müssen. Doch ich darf nicht darüber sprechen, das war eine der Bedingungen. Niemand, vor allem mein Sohn nicht, darf etwas darüber erfahren! Sesshomaru hat vergessen, dass er gestorben ist, und darf sich keinesfalls mehr daran erinnern, sonst wird seine Todeserinnerung ihn zurück ins Jenseits reißen. Es ist den Lebenden nicht gestattet zu viel über den Tod und sein Reich zu wissen.“ Ich wagte nicht weiter zu fragen und nickte stumm. Inu Taisho sagte nichts mehr, mit Myoga auf der Schulter verließ er den Raum. Immer noch in einer Mischung aus Zweifeln, Ungläubigkeit und Staunen gefangen, blieb ich mit Saya bei Sesshomaru zurück, bis mich dessen Anblick schließlich an meine Pflichten als Heiler ermahnte. Eilig erhob ich mich und rannte schnell vom Hauptgebäude zu den Lagerschuppen, um Verbände, Kräuteressenzen und alles, was ich sonst noch benötigte, zu holen. Mit einem seltsamen, zwiespältigen Hochgefühl lief ich ins Freie. Das unglaubliche Wunder, das ich gesehen hatte, beglückte mich zutiefst. Zugleich ahnte ich jedoch, dass nun andere tragische Dinge ihren Lauf nahmen, die irgendwo in längst vergangenen Zeiten ihren Anfang genommen hatten und die nun nicht mehr aufzuhalten waren. Soweit das einundzwanzigste Kapitel. Ich weiß, ich habe jetzt all jene, die auf eine spannende Reise ins Jenseits gewartet haben, zutiefst enttäuscht. Doch was Inu Taisho alles im Reich des Todes erlebt hat, möchte ich lieber ins Geheimnisvolle hüllen. Ein paar Details davon werde ich in künftigen Kapiteln noch preisgeben, der Rest bleibt im Dunkeln (schließlich lässt sich Gevatter Tod nicht gerne in die Karten schauen). Ich hoffe, euch hat trotzdem alles gefallen und hoffentlich sind jetzt auch wieder alle versöhnt, die mir wegen Sesshomarus Tod am liebsten den Kopf abgerissen hätten. Allerdings wird der Fürstensohn auch zukünftig noch so einiges durchmachen müssen. Meine Fanfic bleibt ja weiterhin dramatisch und wird auch immer düsterer/trauriger... leider... Kritik und Lob jederzeit willkommen! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)