Liebe, Leid und Leben von theDraco (Mamorus Jugend) ================================================================================ Kapitel 59: ------------ Finster dreinblickend beobachtete Sardonyxyte, wie sein Monster einen wehrlosen Menschen nach dem anderen mit seinen haarigen Tentakeln ergriff und ihnen ihre Lebensenergie stahl. Der Adjutant aus dem Königreich des Dunklen war äußerst unzufrieden. Er hatte die letzten paar Tage damit zugebracht, hier, im Herzen Südamerikas, seinem Herrschaftsgebiet, etliche winzige Dörfer abzuklappern und den Bewohnern ihre Kraft zu rauben. Und sowohl Qualität als auch Quantität dieser Energie war sehr dürftig. Aber immerhin war das besser, als mit leeren Händen vor Königin Perilia dazustehen. Sardonyxyte hasste diese Arbeit. Er war ein Krieger durch und durch, und keine Melkmaschine für drittklassige Sterbliche! Er gehörte auf das Schlachtfeld. Er wollte lieber im Krieg seine Arme und Beine verlieren, als nur die Hände in den Schoß zu legen und seine Monster von Dörfchen zu Dörfchen zu jagen, um an winzige Quäntchen an Energie zu kommen. Doch etwas anderes blieb ihm momentan kaum übrig. Die wirklich großen, lohnenswerten Städte wurden von den Feinden beschützt. Diese elende Bande von Sailorkriegern! Eines Tages würde Sardonyxyte jedem einzelnen von ihnen die Kehle aufschlitzen! Er hatte keine Angst vor ihnen. Aber seine Diener waren so schrecklich schwach, und sein Königreich unterstellte ihm einfach keine stärkeren Dämonen. Er war nun mal ein Soldat niederen Ranges. Andere Krieger seines Volkes hatten in den Großstädten dieser Welt mehr Glück. Sie stahlen die Energie mit List und Tücke. Sie lockten die ahnungslosen Menschen in ihre Falle, und nur in den wenigsten Fällen wurden diese irgendwann einmal von den verhassten Sailorkriegern aufgedeckt. Doch zumeist hielten sich die Hinterhalte eine Ewigkeit. Sonderlich helle waren die Feinde schon mal nicht. Sardonyxyte hielt allerdings nichts von der Methode seiner Mitstreiter. Die Taktik auf dem Schlachtfeld war seine Stärke; aber was er tun musste, um gewöhnliche Menschen zu täuschen, das wusste er nicht. Und es war auch nicht seine Art. Fallen – so seine Meinung – waren etwas für Feiglinge, Verlierer und Schwache. Hätte er nur mächtigere Kämpfer unter sich! Er würde das offene Gefecht mit den Sailorkriegern suchen. Er würde in Ruhe einen nach dem anderen abschlachten, und dann würde der großen Herrscherin nichts mehr im Wege stehen! Die Welt befände sich schon lange im Besitz des Königreichs des Dunklen! Alles, was der hochgewachsene Soldat mit der Glatze jetzt tun konnte, war hoffen, dass er entweder schon bald endlich mächtigere Diener unterstellt bekommen würde, oder besser noch, in seinem Rang aufsteigen und einer der Generäle des Reiches werden konnte. So grübelte er vor sich hin – mit vor der Brust verschränkten Armen, wie er es immer gerne tat – und schmiedete Mordpläne gegen die verfluchten Feinde, während er dabei zusah, wie sein Monster unter den wenigen Dutzend Dorfbewohnern wütete. Er wandte seinen Blick auch nicht ab, als er bemerkte, dass sich hinter ihm ein Raum-Tor öffnete, und sein Zwillingsbruder heraustrat. Alles, was er tat, war, die Arme vor seiner Brust zu entknoten, um mit den Fingern der einen Hand an der Spitze seines feuerroten Ziegenbartes mit den etlichen, winzigen Löckchen herum zu zwirbeln. "Hey, Brüderchen!", tönte der sich ihm nähernde Karneolyte in seiner verdammten, ewig guten Laune. "Nenn mich noch ein einziges Mal so, und ich löse Dich in Salzsäure auf!", fauchte der hochgewachsene Soldat auf seine typisch mürrische Weise. "Was willst Du? Siehst Du denn nicht, dass ich beschäftigt bin?" "Ja. Ist nicht zu übersehen", antwortete Karneolyte trocken, als er an seinem Bruder vorbei sah und dem Monster dabei zuschaute, wie es die verängstigten Menschen fing und ihnen die Energie stahl. "Aber das kann warten. Ich brauche Deine Hilfe." "Das muss ich wohl überhört haben", grummelte Sardonyxyte, da wurde ihm auch schon der Energindikat unter die Nase gehalten. Das Gerät war inzwischen wieder zusammengesetzt und in einwandfreiem Zustand. Mehr noch: Das dunkle Material, das sonst so stumpf wirkte wie die Oberfläche eines glattgeschmirgelten Steines, glänzte nun wie poliert. "Meister Zoisyte hat ihn nach wochenlanger Arbeit endlich reparieren können", verkündete Karneolyte, machte dabei aber ein eher weniger begeistertes Gesicht. "Und jetzt darfst Du dreimal raten, was ich nun Feines machen darf! Ich soll für den Meister das Gerät testen!" "Überanstreng Dich nicht", schnaubte Sardonyxyte und richtete sein Augenmerk wieder auf die schreienden und panischen Menschen. Der letzte Rest an Humor, den Karneolyte noch besessen hatte, verging ihm nun auch noch. Er begrüßte es nicht sonderlich, wenn man so abfällig von ihm sprach. In ernstem Ton erklärte er: "Unterschätze diesen Auftrag nicht. Denn der Meister erwartet einen Bericht von mir, der bestimmt wieder so lang sein soll wie die chinesische Mauer!" Und schon war sein Feixen zurück gekehrt. "Wenn wir es schlau anstellen, können wir die Arbeit vielleicht an einen anderen abdrücken..." "Wir?", brummte der andere Adjutant. "Was hat das mit mir zu tun?" "Sagen wir ... Du leihst mir Deine ... schlagenden Argumente ... und dafür nehme ich Dich an einen ganz wunderbaren Ort mit! Ich habe in meinem schönen Afrika eine große Stadt gefunden, die von keinem Sailorkrieger beschützt wird! Herrliche Energie von tausenden von Menschen! Stell Dir das doch mal vor! Wir können uns Tonnen von Energie aneignen, ohne gestört zu werden! Und Du brauchst nicht immer bloß diese kleinen, verarmten Dörfchen am Rande der Welt abzuklappern, deren Bewohner nicht mal die nötige Nahrung haben, um sich großartig auf den eigenen Beinen halten zu können! Und alle größeren Städte sind momentan noch in den Händen unserer grässlichen Feinde... Wer hätte gedacht, dass so viele von ihnen wieder in dieses Leben gesetzt worden sind? So eine Plage! ...Na, was sagst Du also? Für uns der Ruhm, so viel Energie gesammelt zu haben ... und für Amethysyte die Arbeit mit dem Bericht." "Und Zoisyte?", fragte Sardonyxyte kurzgebunden nach. Karneolyte winkte ab. "Ich weiß, was Du sagen willst. Wie will ich ihm erklären, warum nicht ich den Auftrag ausgeführt habe, den er mir auferlegt hat? Aber lass das mal ganz meine Sache sein, ich lasse mir schon was einfallen. Du kennst meine großartigen, rhetorischen Fähigkeiten. Ich kann ihn davon überzeugen, dass dieser Schritt zwingend notwendig war oder so..." "Ich weiß", unterbrach ihn Sardonyxyte augenrollend. "Du könntest ihn sogar so lange zulabern, bis er überzeugt ist, ein Kaktus zu sein." Karneolyte lachte geschmeichelt auf, ehe er fortfuhr: "Alles, was zählt, ist, dass wir beide aus dem Schneider sind! Ich will immerhin keine auf den Deckel kriegen, nur weil Meister Zoisytes Erfindung womöglich im entscheidenden Moment den Geist aufgibt! ...Na, was sagst Du also?" Er grinste seinen Zwillingsbruder siegessicher an. Dieser seufzte nur und kratzte sich nachdenklich an seinem kahlen Hinterkopf. Dass dieser Vorschlag irgendwie verlockend klang, musste er sich schon eingestehen, und es war immerhin besser, als den Rest des Tages Däumchen zu drehen. Er hatte sowieso Spaß daran, dem Herrn Australiens eins auszuwischen. "Meinetwegen", räumte er ein. "Amethysyte kann auch mal seinen müden Arsch bewegen. Wird auch mal Zeit, dass er was Besseres tut, als in seiner Bar zu sitzen und diesen unterbelichteten Sterblichen Bier einzuschenken. Soweit ich weiß, hatte er in der letzten Zeit ein paar Fehlschläge zu viel... Tut ihm vielleicht auch ganz gut, wenn er mal wieder was hat, wo er seinen Posten als Adjutant verteidigen kann. Sonst endet er noch als königlicher Tellerwäscher." "Wie rücksichtsvoll von Dir, so lieb an ihn zu denken", stichelte Karneolyte. "Noch so ein Spruch und ich zeig Dir mal, wie lieb meine Faust zu Dir sein kann. Also schön, Aufbruch!" Er schnippte mit den Fingern und sein Monster ließ von dem kleinen Jungen ab, der inzwischen schon so kraftlos war, dass er, wie alle anderen auch, das Bewusstsein verloren hatte. Das Kind landete unsanft auf dem staubigen Boden, als der Dämon den Griff seines fellbesetzten Tentakels lockerte und den Knaben wie ein Spielzeug achtlos fallen ließ. Das Monster wandte sich seinem Meister zu und verschwand mit ihm und Karneolyte durch ein Raum-Tor ins Basislager des Dunklen Königreiches. war nicht das richtige Wort, um Mamorus Zustand an diesem Morgen zu beschreiben. traf es da schon eher. Obwohl auch das noch weit untertrieben war. Er war erst nach Ewigkeiten eingeschlafen, war zwischenzeitlich etliche Male aufgewacht und als der Morgen anbrach, fühlte er sich sogar noch viel zerschlagener, als wenn er gar nicht geschlafen hätte. Doch es half alles nichts, er musste sich früh aus seinem Bett quälen und sich für die Schule bereit machen. Doch er beeilte sich dabei und räumte sein Schulzeug viel zu früh in seinen blauen Pick-Up, damit ihm noch genug Zeit blieb, seiner Tante einen kurzen Besuch abzustatten. Er machte sich Sorgen um sie. Er könnte es ihr nicht verdenken, wenn sie ihn hassen würde. Womöglich würde er nicht anders reagieren, wenn ihm im Umkehrfall so etwas geschehen wäre... Er erinnerte sich nur zu gut daran, wie er – Du lieber Himmel, das war keine zehn Stunden her! – die Kontrolle über die Gier des Goldenen Kristalls verloren und sich im Wahn auf seine Tante gestürzt hatte, um ihr die Energie zu stehlen, als sei sie der schlimmste aller Feinde! Es war nur zu verständlich, dass sie da mit Misstrauen gegen ihn reagiert hatte. Ihm tat sein Handeln in der Seele weh. Jedoch ändern konnte er nun, im Nachhinein, nichts mehr daran. Aber er würde es kein zweites Mal zu so einer Situation kommen lassen; nie mehr! Er gab sich selbst ein heiliges Ehrenwort darauf. Lieber setzte er sein Leben aufs Spiel, als das noch ein einziges Mal zuzulassen. Und er war fest davon überzeugt, dass er nun, durch diese schwierige Situation, endlich die Kontrolle über den Willen seines Kristalls erlangt hatte. Er bedauerte nur, dass zuerst etwas derart Schlimmes passieren musste, ehe ihm in vollem Ausmaß bewusst wurde, welche Macht und auch welche gewaltige Verantwortung da auf seinen Schultern lastete, und wie wichtig es war, den Goldenen Kristall, dieses mächtigste aller Werkzeuge auf der Erde, mit menschlichem Verstand zu führen, anstatt ihn seinen eigenen, animalischen Instinkten zu überlassen. Mamoru hatte aus seinen Fehlern gelernt und er war wild entschlossen, sein Vergehen wieder gut zu machen. Er legte seine Hand auf den Türgriff der Haustür zum Haupthaus und atmete tief durch. Dann erst drückte er die Klinke nach unten. Es war nicht abgeschlossen; eine Angewohnheit, die man hier draußen im Outback ziemlich schnell verinnerlichte. Leise drückte er die Türe auf und setzte dann einen Schritt in die Wohnung. Er ließ zuerst einen Blick durch das dahinter liegende Wohnzimmer schweifen, ehe er sich weiter vor bewegte. Er entdeckte seine Tante, wie sie zusammengekauert in einem der Sessel saß, die Knie an den Körper gezogen und das Gesicht in ihren Händen vergraben. Dann und wann schluchzte sie leise auf. Ihr Körper zitterte sachte. Sie schien ihn noch nicht gehört zu haben. Mamoru beschlich das dumpfe Gefühl, sie habe die ganze Nacht hier verbracht, und zwar nicht schlafend. Er betrat das Zimmer nun ganz und drückte vorsichtig die Tür ins Schloss. Mit bedächtigen Schritten näherte er sich ihr, wobei seine schweren Stiefel leise, klackernde Geräusche auf dem Holzfußboden machten. Wie er so langsam auf sie zu ging, hob sie endlich ihren Kopf und blickte in seine Richtung. Ihre Augen wirkten glasig und trüb und waren von dicken, schwarzen Rändern umgeben. Die Haut außenrum war angeschwollen und rot von den vielen Tränen, die darüber hinweg gelaufen waren; ansonsten wirkte sie sehr blass. Ein feiner Film von Schweißperlen hatte sich auf ihrer Stirn und ihren Schläfen angesammelt. Sie sah irgendwie sehr krank aus und schien geschwächt zu sein. Sie hatte ihre dunklen Augenbrauen überrascht angehoben; wahrscheinlich hatte sie jetzt nicht mit dieser Art von Besuch gerechnet. Doch schon nach wenigen Sekunden wich ihre Verwirrung und es bildete sich eine steile Falte auf ihrer Stirn, als sie missbilligend die Brauen zusammen zog. Ein äußerst zorniger Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht, der Mamoru mitten im Schritt verharren ließ. "Du schon wieder", zischte sie erbost. "Was liegt jetzt an – willst Du mir als nächstes vielleicht das Genick brechen oder mir die Leber aus dem Leib reißen?" Sie ließ ihre Hände, in denen gerade noch ihr Gesicht gelegen hatte, nun sinken, und so hatte Mamoru zum ersten Mal freien Blick auf die dunkelblauen Blutergüsse an ihrem Hals, die deutlich die Konturen seiner schlanken Hände nachzeichneten. Der Junge trat geschockt einen Schritt zurück und legte sich die Finger an den Mund. Sein schlechtes Gewissen tobte in seinem Inneren und ließ sein Herz schier zerbrechen. Er machte einen schüchternen Schritt auf sie zu und streckte ihr sachte seine Hand entgegen. "Tante..." Sie wich zurück und presste ihren Rücken stärker gegen die Sessellehne, als sie ihn anfauchte: "Wag es ja nicht, mir näher zu kommen!" "Aber... Ich will doch nur..." "...Dein Werk vollenden und mich endgültig umbringen?!", kreischte sie ihm entgegen. "Nein", hauchte er heiser. Er spürte Tränen der Verzweiflung in seine Augen schießen, doch er kämpfte sie mühsam zurück. "Ich will Dir helfen." "Auf diese Hilfe kann ich getrost verzichten!", schnaubte sie verächtlich. Niedergeschmettert ließ Mamoru Kopf und Schultern hängen. In dieser vertrackten Situation wusste er weder ein noch aus. Aber irgendwie musste er ihr doch helfen und ihr Vertrauen zurück gewinnen! "Es tut mir so schrecklich Leid", hauchte er. "Wenn Du mich zumindest erklären lassen würdest..." "Werde ich aber nicht!", giftete sie. "Und jetzt verlass gefälligst mein Haus!" "Aber ich kann Dich doch nicht einfach so hier zurücklassen; ganz allein und ... verwundet...", begehrte er auf. "Das hättest Du Dir vorher überlegen sollen!", war prompt ihre Antwort. "Und nun sieh zu, dass Du Land gewinnst!" "Das kann ich leider nicht", erklärte er leise. "Erst muss ich ... das hier ... wieder gutmachen." Er wies mit ausgestrecktem Finger auf die Hämatome an ihrem Hals, während er sich ihr mit langsamen Schritten näherte. Und je mehr die Entfernung zwischen ihnen beiden schrumpfte, umso deutlicher zeichnete sich ein Ausdruck nackter Panik auf Kiokus Gesicht ab. Mamoru musste sie irgendwie beruhigen, das war ihm klar; nur wie? Er konnte nicht riskieren, ihr in ihrem jetzigen Zustand zu nahe zu kommen und sie so dazu zu provozieren, wild um sich zu schlagen. Er konzentrierte sich. Er versuchte nun etwas zu vollbringen, was er bislang nie hatte tun müssen: Er wollte seine heilenden Kräfte schon auf eine größere Entfernung hin aktivieren. Nun gut, man mochte den guten Meter, den ihn von seiner Tante trennte womöglich nicht als bezeichnen, doch wenn man die Tatsache bedachte, dass er dafür bislang immer Körperkontakt hatte, dann machte dies die Sache doch schon komplizierter. Sogar wesentlich komplizierter, als Mamoru sich das vorgestellt hatte. Er riss sich innerlich zusammen und forderte seine gesamte Konzentration, doch er spürte, dass der größte Teil der Energie auf dem Weg durch die Luft verloren ging. Und dennoch schien ein kleines Stück sein Ziel zu erreichen. Auch auf die Distanz hin empfing der Herr der Erde, wie sich etwas in der Gefühlslage von Kioku veränderte. Es fiel ihm schwer, das Empfangene zu beschreiben ... aber es war, als spürte er, wie sich eine innere Ruhe allmählich in ihr auszubreiten begann. Zunächst verebbte langsam ihre Angst, dann folgte eine Verminderung ihres Misstrauens. Je weniger sie sich gegen ihn wehrte, umso näher kam er ihr; langsam, Schrittchen für Schrittchen. Und je weniger Entfernung noch zwischen ihnen beiden lag, umso stärker wurden seine beruhigenden Impulse. Als er vorsichtig ihre Hände in seine nahm, waren zwar ihre – eigentlich nachvollziehbaren – Zweifel noch nicht völlig zerstreut, aber dennoch deutlich abgeklungen. Es machte fast den Eindruck, als würde ihre Skepsis allmählich durch Neugierde ersetzt. Sie spürte wohl diese gewissermaßen völlig grundlose Ruhe in sich und wunderte sich, woher diese kam und sie fragte sich des weiteren, was nun geschehen würde, denn immerhin kannte sie das Verhalten, das ihr Neffe gerade an den Tag legte, überhaupt nicht. In der Sekunde, in der seine Hände die ihren berührten, konnte der Fluss an heilender Energie ungehindert fließen. Mamoru war sich bewusst, dass er seiner Tante wohl erneut einen ziemlichen Schock versetzen würde, und dass er ihr daraufhin eine Erklärung schuldete. Doch das musste er akzeptieren. Er hatte einen großen Fehler begangen, als er den Goldenen Kristall nicht unter Kontrolle gehabt hatte, und nun musste er dafür gerade stehen. Eigentlich – so dachte er sich für den Bruchteil einer Sekunde – wäre es doch gar nicht so schlecht, sich alles von der Seele zu reden. Davon zu erzählen, wer er war ... was er war ... was es mit dem Goldenen Kristall und dem Königreich des Dunklen auf sich hatte – zumindest das, was er selbst bislang in Erfahrung gebracht hatte. Er fragte sich, wie sie wohl reagieren würde. Und ob sie ihm überhaupt glauben würde. Doch vielleicht war es besser für sie, so wenig wie nur irgend möglich zu wissen? Wenn sie sich nicht in den Krieg einmischte, wenn sie nicht wegen der Informationen erpresst werden konnte, wenn sie nicht aus Panik falsch reagierte ... dann konnte er eher für ihre Sicherheit sorgen. Er würde ihr seine heilende Fähigkeit irgendwie anders erklären müssen. Eine Lüge. Ein Vorwand. Irgendwas. Er musste sich was einfallen lassen. Nur was das sein würde, wusste er noch nicht. Er behandelte Kiokus Verletzungen. Die blauen Flecke verblassten zusehends und verschwanden schließlich ganz. Sie bekam nun außerdem wieder etwas mehr Farbe im Gesicht. Doch ihre Hände fühlten sich heiß an. Sie hatte leichtes Fieber bekommen, möglicherweise war ihr Körper in einer Nacht voller Tränen und ohne Schlaf – und besonders ohne Energie – geschwächt, sodass Krankheiten bei ihr leichteres Spiel hatten. Doch darum konnte sich Mamoru nun nicht kümmern, so gerne er das auch getan hätte. Aber er brauchte noch Kraft. Der ganze Tag, und davon noch ein Großteil in der Schule, lag noch vor ihm. Er würde sich um dieses Problem bemühen, sobald er wieder zurück war, versprach er sich selbst im Stillen. Er zog seine Hände zurück und seufzte leise. Seinen Blick wandte er zu Boden. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Mit fast schon schmerzhafter Verzweiflung suchte er nach Worten. Kioku indes tastete behutsam mit ihren äußersten Fingerspitzen über ihren Hals. Ihre Zweifel waren inzwischen vollkommener Verblüffung gewichen. Der Schmerz war gänzlich vergangen und ohne, dass sie es sich hätte erklären können, fühlte sie sich besser – oder zumindest so, als ob sie wenigstens zwei oder drei Stunden geschlafen hätte. "Was...?", flüsterte sie verwundert. "Wie hast Du...?" Sie hob den Blick und sah ihn fassungslos an. Mamorus Gehirn überschlug sich fast auf der Suche nach einer Antwort, doch es blieb erfolglos. Schließlich hob er leise seufzend wieder den Blick und seine Augen verharrten drei scheinbar endlose Sekunden auf ihren. Dann drehte er sich um, schritt zur Türe und murmelte dabei etwas, das wie "ich muss in die Schule" klang. Dass Kioku ihn nicht zurückrief oder sonst wie aufhielt, lag einzig und allein an ihrer Verwirrung. Ein hässliches Ächzen entwich Amethysytes Kehle, als sein Rücken hart gegen die Wand prallte. Zwei Sekunden lag hatte er Schwierigkeiten zu atmen. Ihm gegenüber standen Karneolyte und Sardonyxyte, die beide nur siegessicher grinsten. "Willst Du Dir jetzt vielleicht in Ruhe unser ... Angebot ... durch den Kopf gehen lassen?", meinte Sardonyxyte mit Genugtuung. Seine Tonlage verkündete, dass dies weniger eine Frage als umso mehr eine Drohung war. Karneolyte gab Amethysyte gar nicht erst die Zeit, eine Antwort zu geben, und erklärte herablassend: "Im Grunde kannst Du gar nicht ablehnen. Sieh doch: Es ist nur zu unser aller Vorteil! Du hast endlich wieder einen Erfolg zu präsentieren, und wir sind unsre lästige Verpflichtung los." "Ja", stimmte ihm sein Zwillingsbruder zu. "Genau genommen ist es doch unglaublich nett von uns, dass wir Dir überhaupt so großzügig unsre verantwortungsvolle Aufgabe überlassen." Amethysyte, der inzwischen wieder zu Luft gekommen war, fletschte die Zähne. "So könnt ihr nicht mit mir umspringen." "Du sieht, dass wir es können", entgegnete Karneolyte einfach. Sardonyxytes Antwort bestand darin, wieder seine Muskeln anzuspannen. Die Auseinandersetzung war inzwischen kaum eine Minute alt, doch der Herr von Australien wusste, dass er unterlegen war. Er konnte sich einfach nicht mit den Zwillingen anlegen – nicht zuletzt, weil Sardonyxyte unter Lord Kunzyte diente, und so als Adjutant des befehlsstärksten Generals auch der Führer der Adjutanten war. Also kniff er knurrend den Schwanz ein. "Ihr habt gewonnen", erklärte er und streckte die Hand aus, damit Karneolyte ihm den Energindikat übergeben konnte. "Sehr brav", lobte dieser gehässig lachend. Er und sein Bruder wandten sich zum Gehen um. "Und beeil Dich ... Du kennst Meister Zoisytes unglaublich kurze Geduldsspanne!" , dachte Amethysyte stumm bei sich. Noch ehe die Zwillinge in einem Raum-Tor verschwinden konnten, öffnete der hellblonde Adjutant die Tür, die aus dem kleinen, kahlen Raum hinausführte, und stand in der Küche der Tenebrae. Geschäftiges Treiben empfing ihn dort, denn einige Monster des Königreiches – hier als Menschen getarnt – waren voller Elan dabei, Getränke zu mixen, Mahlzeiten zu bereiten und Bestellungen weiterzugeben. In diesem heillosen Chaos suchte Amethysyte nach Jaspisyte. Endlich fand er ihn. Der jüngste der Adjutanten war dabei, einige der winzigen, energiesaugenden Kristalle, die in das Besteck eingelassen waren, nachzujustieren. Sie sollten ihr Werk immerhin sehr subtil verrichten, anstatt zu viel Kraft zu stehlen. Als Amethysyte wutschnaubend anmarschiert kam, blickte Jaspisyte von seiner Arbeit hoch und setzte eine sorgenvolle Mine auf. "Ist etwas passiert?" "Wie hast Du das denn erraten, Meister Oberschlau?", giftete der Blonde schlecht gelaunt. Dass sein zornesrotes Gesicht Bände sprach, schluckte Jaspisyte jetzt lieber einfach herunter. "Stell Dir das nur mal vor!", wetterte Amethysyte, während er den Energindikat hervorzeigte. "Die beiden haben ja wohl nur Mist in der Birne! Ich soll für sie die Drecksarbeit machen und dieses Scheißding testen! Weiß der Teufel, was General Zoisyte mal wieder da fabriziert hat! Verdammt, ich habe Besseres zu tun, als mich mit so einer Spielkonsole zu befassen!" Leise warf Jaspisyte ein: "Wenn man damit zumindest spielen könnte..." Amethysytes Todesblick brachte ihn sofort wieder zum Schweigen. "Jedenfalls muss ich jetzt raus und schauen, was dieses Ding alles kann. Meine Fresse, das kotzt mich ja schon wieder an. Echt, ich würde dieses Gerät am liebsten den Grand Canyon runter werfen." "Dann lass ... mich ... es doch machen", schlug Jaspisyte schüchtern vor. "Dann kannst Du Dich um die Sachen kümmern, die Du besser zu tun hast. Ich nehme Dir die Arbeit gern ab, wenn es Dich glücklicher macht." "Nein!", zischte sein Gegenüber und presste den Energindikat plötzlich so fest an sich, als bestehe er aus purem Gold. "Und riskieren, dass Du Mist baust und das dann ein schlechtes Licht auf mich wirft? Vergiss es! Wenn ich will, dass es richtig gemacht wird, dann muss ich es schon selbst machen." Mit angewidertem Gesicht hielt er den Indikator wieder weiter von sich fort. "Schaffst Du es, für ein paar Stunden alleine die Tenebrae zu führen, ohne alles in Schutt und Asche zu legen?" "Klar doch!", strahlte der Jüngere und salutierte artig. "Ich bekomme Kopfschmerzen, wenn ich Deine Fresse sehe", klagte Amethysyte. "So glücklich kann auch nur der größte Idiot auf Erden sein! Und so was soll zu einer so erstklassigen Rasse wie der unseren gehören... Unfassbar!" Er drehte sich kopfschüttelnd ab, wählte eines der in der Küche beschäftigten Monster aus und bedeutete diesem, ihm zu folgen. Der Zug zischte so schnell über die Gleise dahin, dass es schwierig wurde, Details in der so schon eintönigen Landschaft auszumachen. Für Mamoru sah es so aus, als zögen nur die hellen, beigebraunen Kleckse der Steppe am Fenster vorüber, nur dann und wann von einer Stadt durchbrochen. Er schaute hin, aber er sah dabei dennoch weder die Häuser noch den Sand. Mamorus Gedanken kreisten noch immer unaufhaltsam um seine Tante. Er fragte sich ununterbrochen, wie es ihr wohl inzwischen ging; ob sie in der Zwischenzeit etwas Schlaf gefunden hatte oder ob er sie mit seiner Heilkunst so sehr geschockt hatte, dass sie einfach keine Ruhe zu finden vermochte. Wie er sie kannte, hatte sie längst das FBI und die Armee bestellt... Er seufzte lautlos in sich hinein. Nein, das hätte sie mit Sicherheit nicht getan, schalt er sich selbst in Gedanken einen Narren. Sie hätte es ihm womöglich angedroht, wäre alles nur ein Scherz gewesen – doch das war es ja immerhin nicht. Das war es ganz und gar nicht. Wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, so musste er eingestehen, dass er Angst vor dem nächsten Zusammentreffen hatte. Er konnte Kiokus Reaktion nicht abschätzen, die sie haben würde, wenn die beiden sich das nächste Mal sehen würden. Sie konnte ihm ebenso gut in die Arme fallen wie ihm einen Vorschlaghammer gegen den Schädel werfen – vielleicht würde sie das auch in genau dieser Reihenfolge tun – und eine ihrer Reaktionen würde mit Sicherheit sein, ihn zu fragen, was denn überhaupt geschehen war. Und das konnte er ihr nicht erklären, wie auch? Verzweifelt suchte er schon den ganzen Tag nach Worten, doch er fand keine. Vielleicht, so dachte er einen Moment lang bei sich, gab es in keiner menschlichen Sprache die nötigen Begriffe, um das Geschehene zu erklären... Der Schultag war miserabel verlaufen. Nicht einmal zwei zusammenhängende Minuten lang hatte es der junge Herr über die Erde geschafft, sich auf das Geschehen vorne an der Tafel zu konzentrieren. Sein Glück war nur gewesen, dass dies niemandem aufgefallen war. Unbehelligt hatte er den Tag überstehen können. Jedoch wäre es ihm lieber gewesen, hundert Klausuren zu schreiben und tausend schlechte Noten zu bekommen, wenn er dafür ungeschehen hätte machen können, was er vergangenen Abend seiner Tante angetan hatte. Die Bahn bremste etwas unsanft (derselbe Idiot, der jeden Donnerstag diesen Zug führte, saß wohl auch dieses Mal wieder in der Lok. Dieser Saftsack hatte seine Zulassung sicherlich beim Preisausschreiben für den landesweit größten Deppen gewonnen!) und fuhr in den Bahnhof von Orendaham ein. Eine Ansage tönte aus den Lautsprechern, die kaum zu erraten war. An und für sich hätte Mamoru diesen breitesten texanischen Kauderwelsch verstanden, hätte der Mann nur nicht so höllisch genuschelt und würde die miserable Qualität der Lautsprecher nicht auch noch ihr Übriges dazutun. Dann blieb der Zug vollends stehen und seine Türen öffneten sich. Mamoru schnappte sich seinen Schulranzen, wie es auch Fala, Elyzabeth und Tony taten, und gemeinsam verließen sie erst das Fahrzeug, dann den Bahnhof. Wie jeden Nachmittag stand Rick schon wartend auf dem Parkplatz, lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Minibus und hatte einen Lutscher im Mund. Als er seine Freunde näher kommen sah, schob er seinen Hut etwas weiter in den Nacken und grinste. Er öffnete für die Mädchen schon mal die Tür, zeigte mit einer Hand auf Mamorus Pick-Up auf dem Parkplatz daneben und fragte: "Wir seh'n uns dann gleich?" Normalerweise hätte Mamoru diese Frage bejaht und wäre in seinem Wagen auch mit zur Mustang Ranch gefahren. Doch heute fand er keinen Nerv dafür. Ein Lächeln aufsetzend, damit niemand von den andren Verdacht schöpfte, schüttelte er den Kopf und antwortete: "Heute mal nicht, Rick. Tut mir Leid. Aber meiner Tante geht es nicht gut, und ich will lieber mal nach ihr sehen. Sie ist wohl krank geworden, weißt Du? Und sie ist ganz alleine daheim..." Das war noch nicht einmal gelogen. Sie wäre zwar auch dann alleine gewesen, wenn sein Onkel Seigi nicht wegen einer Geschäftsreise nach Oklahoma City gefahren wäre sondern den Tag in seinem Büro verbracht hätte wie sonst auch, aber diese Tatsache ließ er jetzt einfach eiskalt unter den Tisch fallen. Das Grinsen wich aus Ricks Gesicht und er nickte. "Verstehe. Sach ihr ma' nen schönen Gruß und ne gute Besserung von mir, wa?" "Mach ich", versprach Mamoru. Damit winkte er, ließ sich schwer in den Sitz seines Autos fallen und fuhr zur SilverStar-Ranch. Er bemerkte in seiner geistigen Abwesenheit nicht mal, wie ihn Elyzabeths Blick aus Ricks Minibus heraus fixierte und unbeschreiblich traurig wurde, als er davonfuhr, ohne sich von ihr zu verabschieden. "Lauf doch mal da drüben hin", brummte Amethysyte übellaunig. Sein Blick haftete dabei ununterbrochen auf dem Display des Energindikat. "Jawohl, Meister! Nag-nag-nag!", antwortete die quiekende Stimme des Dämonen. Das plumpe Wesen, das entfernt wie eine Mischung aus Präriehund und Maulwurf aussah, indes allerdings beträchtlich massiver war, krabbelte mit unbeholfenen Bewegungen über den sandigen Erdboden. Wäre es tatsächlich ein Präriehund gewesen, hätte diese Bewegung wohl um ein Vielfaches eleganter gewirkt; doch da es annährend die Größe eines Schäferhundes hatte, dabei aber auf kurzen Ärmchen von den Proportionen eines Maulwurfes über die Erde robbte und dabei auch noch massige Speckröllchen hinter sich her zog, sah seine Art der Fortbewegung nur noch lächerlich aus. Dennoch hatte Amethysyte dieses Monster aus guten Gründen ausgesucht. "Bleib stehen", wies er an und drückte lustlos ein paar Knöpfe des Gerätes in seinen Händen. "Und nun runter mit Dir, Moymo." Das Monster gehorchte. Es bewegte seine krallenbewährten Pfoten mit einer Geschwindigkeit, die sein plumpes Äußeres Lügen strafte und buddelte in Sekundenschnelle einen Tunnel in den Boden. So hilflos und langsam es über der Erde war, so flink und wendig war es darunter. Es grub sich mal hierhin, mal dorthin, änderte ständig die Richtung, war mal tiefer unter der Erde, mal knapp unter der Oberfläche, und schließlich nach wenigen Minuten streckte es den Kopf aus einem Erdloch heraus. Das türkisfarbene Juwel auf seiner Stirn brach die Sonnenstrahlen, die darauf fielen. Die beiden waren nun schon bestimmt zehn Minuten damit beschäftigt, den Energindikat zu testen. Zu diesem Zweck hatte Amethysyte den Dämonen zuvor veranlasst, Energie aus dem Kristall anzuzapfen, der sich in der Tenebrae befand und die Kraft in sich speicherte, die den Gästen des Lokals entzogen worden war. Nun tat Moymo nichts anderes, als von Punkt A nach Punkt B gescheucht zu werden, damit sein Herr der Bewegung dieser Energie mit dem Energindikat folgen konnte. "Seid Ihr zufrieden, Meister? Nag-nag?" Es hielt den Kopf schief, als es Amethysyte fragend ansah. "Super, Moymo", keifte dieser mit vor Sarkasmus triefender Stimme. "Du kannst Dir nicht vorstellen, wie ich mich freue, dass Du es tatsächlich schaffst, das eine fertig zu bringen, wofür Du erschaffen wurdest: das Buddeln. Echt, reife Leistung. Mir scheint die Sonne aus dem Ar... Ach, was ist das denn?" Seine Stimme bekam einen interessierten Klang und er zog erstaunt die Augenbrauen hoch, als er an einem Rädchen am Energindikat drehte. "Nag-nag-nag? Was denn, Meister?", fragte Moymo nach einer Weile, als der Adjutant nicht weitersprach. Amethysyte schwieg verbissen. Konzentriert starrte er das Gerät in seinen Fingern an und bediente einige weitere Knöpfe und Schalter. Erst nach einigen Minuten ließ er sich endlich zu einer Antwort herab: "Dieses Mistding! Beim Herauszoomen habe ich doch gerade eben ein Signal empfangen! Und nun ist es wieder weg." "Ein Signal? Nag? Also ist etwas in der Nähe? Eine Energiequelle?" "Energiequelle?", äffte der Krieger ihn nach und rollte mit den Augen. "Wie kommst Du auf Energiequelle? Dieses Ding hier sucht nach Sandkörnern, davon gibt es hier nämlich viel zu wenige..." Moymo zog es vor, darauf lieber keine Antwort zu geben. Vielleicht rettete ihm diese Entscheidung das Leben. Nach einigen derben Flüchen und weiterem Auf-Knöpfen-herum-Gedrücke hielt Amethysyte wieder inne und erstarrte zur Salzsäule. "Da ist es wieder", hauchte er leise. Er bewegte sich keinen Millimeter, als habe er Angst, das Signal durch eine unbedachte Vibration wieder zu verlieren. "Es ist nur sehr schwach. Womöglich nur ein gewöhnlicher Mensch. Aber immerhin endlich mal etwas! Ich finde, wir sollten dort hin und nachsehen. Nur, um zu schauen, was es ist, was hier gemessen wird. Und vielleicht können wir unserer Königin etwas wertvolle Energie mitbringen! ...Oder vielleicht machen wir ja sogar aus, wo sich unsere Feinde verkrochen haben, diese elendiglichen Würmer!" Er lachte böse auf und zeigte in eine Richtung. "Wir müssen dort lang!" Sie machten sich auf. Amethysyte hatte den Blick starr auf das schwarze Gerät in seinen Händen gerichtet, als sei es ein Kompass, der nicht nach Norden sondern geradewegs auf den Schatz selbst zeigte. Moymo schaufelte sich stattdessen lieber einen unterirdischen Tunnel. Es hätte mit dem strammen Marsch seines Meisters wohl sonst nicht mithalten können. Nach einer Viertelmeile quer durch die Pampa erreichten die beiden endlich ein Ranchgelände. Die kleinen Häuschen drängten sich dicht an dich auf engstem Raum, ein Zaun war drum herum gesetzt, es gab einen kleinen Gemüsegarten, einen lächerlich kleinen Stall ... alles in allem konnte Amethysyte nur den Kopf schütteln. Er als der Herr Australiens war offenes Gelände und gigantische Ranches gewohnt, und eigentlich fand er diese auch in diesem Teil von Texas – wenn sie auch nicht so groß und schön waren, wie in seiner Heimat, wie er fand – aber das da als Ranch zu bezeichnen weigerte sich sein Verstand. Vielleicht war sie es früher mal gewesen, doch von der alten Pracht war nichts mehr als ein kleines, nettes Häuschen geblieben. Er kontrollierte nochmals die Anzeige auf dem Energindikat, näherte sich dann vorsichtig dem Stall und blieb in dessen Schatten stehen. Es war zu still. Er war sich sicher, dass es keine Pferde oder sonstiges Vieh auf dem Gelände gab. , moserte er in Gedanken. Doch er scherte sich sehr bald nicht weiter drum. Er hatte Wichtigeres zu tun, als sich um das Wohlergehen einiger unbedeutender Menschen zu kümmern. Moymo grub sich zu seinen Füßen aus dem Erdboden und meldete: "Ich habe mich mal vorne an der Straße umgesehen, Meister. Auf dem Schild an der Einfahrt steht der Name des Anwesens: ." "Was interessiert mich das?", keifte Amethysyte. "Kümmere Du Dich lieber mal um die Energiequelle, die irgendwo hier ... Still!", zischte er, drückte sich hastig tiefer in den Schatten des Stallgebäudes und zog sich hinter eine der Ecken zurück. Moymo verschwand einfach wieder in seinem Erdloch, doch seine Augen funkelten noch knapp unter der Erdoberfläche ins Freie. Die Tür des größeren der beiden Wohnhäuser schwang auf und eine Frau trat heraus. Sie war klein und schlank. Amethysyte konnte auf die Entfernung erkennen, dass sie müde wirkte; ja, geradezu krank. Ihre Bewegungen waren fahrig, langsam und kraftlos. Sie schwankte ein wenig beim Gehen, als sie einen Eimer Wasser vor sich her schleppte, den sie einige Schritte weiter auf der Veranda abstellte und damit begann, die Fenster zu putzen. "Was zum Teufel soll das werden, wenn es fertig ist?", wisperte Amethysyte verständnislos vor sich hin. Er würde diese Menschen nie verstehen. Wie konnte jemand, der offensichtlich so entkräftet war, sich nur um etwas so Unwichtiges wie den Hausputz kümmern?! Jedenfalls, so beschloss er, würde ein Energieraub bei diesem ausgemergelten Klappergestell da vorne mehr Schaden als Nutzen einbringen. Doch offensichtlich sah sein Diener das etwas anders. "Ich werde mich sofort um sie kümmern!", wisperte es triumphierend und begann schon in rasender Geschwindigkeit damit, einen Tunnel in ihre Richtung zu bohren. "Nein!", zischte Amethysyte, "bloß nicht!" Doch er hatte diese drei Worte lauter ausgesprochen als er eigentlich beabsichtigt hatte. "Ist da jemand?", kam es unsicher von der Frau, die sich in die Richtung des Geräusches gedreht und auch prompt den Krieger aus dem Königreich des Dunklen erblickt hatte, wie er sich halb um die Ecke des Stalles lehnte. Ihre Stimme verwandelte sich in ein wütendes Keifen. "Was in drei Teufels Namen tun Sie denn hier auf meinem Grundstück, Sie Affe? Schwingen Sie Ihre goldgelockte Matschbirne mal bitte dahin zurück, wo sie herkommt, bevor hier alles voller Fruchtfliegen ist!" Amethysytes Gesicht färbte sich dunkelrot vor Zorn. Er änderte seine Entscheidung von gerade eben schlagartig. "Moymo", so wandte er sich an seinen Diener, der irgendwo auf halbem Wege zwischen ihm und der Frau unter der Erde stehen geblieben war und verharrte. Er wusste, der Dämon würde ihn durch den Tunnel hindurch hören. "Stopf diesem Weibsbild gefälligst das Maul!" Die Fremde setzte erneut zu einer schnippischen Bemerkung an, doch ihr blieben die Worte im Halse stecken, als die Erde nur knapp vor ihr aufbrach und zusammen mit einigen Steinchen und Erdklumpen ein hässliches Vieh mit spitzer Schnauze und scharfen Nagetierzähnen ausspie. Moymo überwand so flink, wie es seine Stummelbeinchen zuließen, die Treppe zur Veranda und richtete sich dann auf. Ein Satz scharfer Krallen erschien aus seinen Pfotenspitzen. Einen Schreckensschrei ausstoßend taumelte die Frau wenige Schritte weit weg und stolperte über ihren Wassereimer. Sie landete unsanft auf dem Holzboden und krabbelte rückwärts davon, den entsetzten Blick nicht von dem Monster nehmend. Mit kleinen Schrittchen trippelte Moymo auf sie zu, das hässliche Gesicht zu einem triumphalen Grinsen verzerrt. Seine Krallen näherten sich langsam aber stetig den Beinen seines Opfers. Mit einem Kreischen trat die Frau nach ihm, doch sie schien zu geschwächt zu sein, um wirklich etwas gegen ihren zwar kleinen aber dennoch massigen Gegner ausrichten zu können. Amethysyte hatte mit seiner Einschätzung, sie sei nicht gerade in kräftigster Verfassung, Recht gehabt. Spielend leicht konnte Moymo die lächerlichen Attacken abwehren. Es packte irgendwann kurzerhand zu und hielt das Fußgelenk seiner Kontrahentin einfach fest. Der türkisfarbene Stein auf seiner Stirn begann heller zu strahlen, als der Dämon damit begann, sich die Kraft der Frau anzueignen. Sehr bald schon hatte diese kaum noch die Kraft, sich zu wehren. Viel würde es allerdings nicht sein, was das Monster an Stärke aus ihr gewinnen könnte, das spürte es schon nach wenigen Sekunden. Doch es würde nicht ein Quäntchen davon verschwenden, und so viel mitnehmen, wie es nur kriegen konnte. Doch ließ es überrascht von der Frau ab, als es ein Geräusch hörte und sich fragend umsah. Von der Straße her bog gerade ein alter, blauer Pick-Up in den Hof ein. Der Motor jaulte hoch, als das Gaspedal bis zum Anschlag durchgetreten wurde. Erst kurz vor der Veranda wurde das Steuer herumgerissen und die rostigen Bremsen gaben ein unwilliges Quietschen und Knirschen von sich. Der Wagen schlitterte noch eine kurze Strecke durch den Staub und kam zum Stehen. Der Fahrer riss die Tür auf, stieg aus dem Pick-Up und brüllte in Moymos Richtung: "Wage es, ihr auch nur ein Haar zu krümmen, und ich mache mir ein Paar Pantoffeln aus Deinem Fell!" Mamoru traute seinen Augen nicht, als er sich der SilverStar-Ranch näherte und da dieses unförmige ... Ding ... sah, welches seine Tante angriff. Erbarmungslos jagte er sein Auto die Einfahrt hinauf, legte ein scharfes Bremsmanöver hin, riss die Tür auf und schrie das Monster an. Er dachte nicht nach und warf nur wild mit Drohungen und einem guten Dutzend Flüchen um sich, um den Dämon davon abzuhalten, seine grausame Tat zu Ende zu bringen. Und es wirkte. Das Monster ließ von Kioku ab und wandte sich Mamoru zu. Unschlüssig stand es da und wusste offensichtlich nicht, was es nun tun sollte. Um ein paar weitere Schritte näherte sich Mamoru und blieb dann in wenigen Metern Sicherheitsabstand stehen. Er wollte dieses Viech nicht dazu provozieren, Kioku etwas anzutun. Seine Hände zitterten leicht vor Aufregung. Fieberhaft dachte er nach, was er nun tun sollte. "Ziemlich überheblich für einen Bengel wie Dich", tönte es hinter Mamoru. "Du hättest Dich lieber nicht einmischen sollen. Kannst Du überhaupt schon Deine Schuhe zubinden?" Ruckartig wandte Mamoru sich um und entdeckte erst jetzt den Krieger aus dem Königreich des Dunklen, der bislang in einem so ungünstigen Winkel hinter dem zur Garage umfunktionierten Stall gestanden hatte, dass er ihn bisher noch nicht entdeckt hatte. Triumphierend zwirbelte Amethysyte an seinem Bart herum, als er sein Gegenüber nun musterte. Zorn ließ die Augen des Herrn der Erde aufblitzen. "Ziemlich überheblich für einen Yeti wie Dich", antwortete er trocken. "Aus welchem Zoo bist Du denn ausgebrochen? Weißt Du, ich schau meinem Gegenüber gerne ins Gesicht, also rasier erst mal diesen Wildwuchs an Deinem Kinn ab, ehe Du es wagst, jemand Zivilisiertes wie mich anzusprechen." Amethysyte erbleichte, doch Mamoru konnte nicht wissen, dass dies nicht an seiner Beleidigung lag. Nun, wo der Junge ihm nicht mehr den Rücken zugekehrt hatte, sondern ihn direkt ansah, erkannte Amethysyte ihn. Er fragte sich, welchen üblen Scherz das Schicksal mit ihm spielte, dass er nun ausgerechnet auf den Kerl traf, der regelmäßig in der Tenebrae sein Gast war. Nicht, dass es schade darum wäre, ihn zu töten und seine Lebenskraft der großen Herrscherin zu opfern, deswegen hatte Amethysyte nun wirklich keine Skrupel. Doch allein die Tatsache, dass die Spur des Energindikat ausgerechnet zu ihm geführt hatte... Der Energindikat! Kaum, dass der Gedanke durch Amethysytes Kopf geschossen war, hob er das Gerät vor seine Augen ... und erstarrte. Die dünne, grüne Linie hüpfte wie wahnsinnig geworden über den Bildschirm. Eine gewaltige Energie musste das empfindliche Instrument völlig durcheinander bringen. Aber woher sollte so plötzlich ... der Junge?! Der Krieger des Königreichs des Dunklen sah irritiert auf. Was war das? Es war doch unmöglich, dass ein gewöhnlicher Sterblicher wie dieser Junge da... Amethysyte weigerte sich, seinen Gedanken zu Ende zu denken. Er musste unbedingt herausfinden, was dahinter steckte. Doch nicht nur seine Gedanken rasten wie irr im Kreis. Auch Mamoru überlegte fieberhaft, wie er seinen Gegner von hier weglocken konnte. Er musste seine Tante außer Gefahr bringen, um jeden Preis. Er war sich nicht sicher, ob sie noch bei Bewusstsein war oder ohnmächtig ... oder schlimmeres. Er wusste nur, dass er sich schnell etwas einfallen lassen musste, ehe der Dämon neben ihr auf die Idee kam, sie zu benutzen um Mamoru unter Druck zu setzen. Doch was sollte er tun? Was, was, was? Er sah wieder zu Amethysyte zurück. Er hatte keine Ahnung, wer dieser Bursche war, auch, wenn es ihm vorkam, als sollte er ihn kennen. Doch das war nun nebensächlich. Ohne zu wissen, wie ihm diese Idee hatte kommen können, schoss ihm mit einem Mal der Gedanke durch den Kopf: Und ihm kam ein Einfall. Langes Nachdenken hätte ihn zu viel Zeit gekostet, also handelte er nur noch rein instinktiv. Er setzte das breiteste Grinsen auf, zu dem er nur fähig war, wies mit ausgestrecktem Arm auf seinen Feind und rief: "Jetzt mal ehrlich: Was soll dieses verwahrloste Bärtchen da eigentlich in Deiner Fresse? Siehst Du ohne etwa noch scheußlicher aus? Oder brauchst Du dieses ... dieses Fusselgewirr da ... um damit den Boden aufzuwischen, wenn jemand wegen Deiner Hässlichkeit gekotzt hat?" "WAS?!", fauchte Amethysyte. Sein Gesicht nahm eine dunkelrote Farbe an. So eine Unverschämtheit war ihm nie untergekommen. "Ach, und schwerhörig bist Du wohl auch noch?", stichelte Mamoru weiter. "Wenn ich Du wäre, würde ich mich lachend in einen Fleischwolf stürzen! Aber Du würdest Dich wohl noch auf dem Weg vom Trichter zum Schnitzelwerk verlaufen." "Das reicht!", brüllte der Herr Australiens und wandte sich an sein Monster, das die ganze Zeit über nur wie eine zu fett geratene Puppe aus einer Geisterbahn dagesessen war und Löcher in die Luft gestarrt hatte. "Moymo! Kümmere Dich um dieses Großmaul! Sorg dafür, dass nie wieder ein Piepton über seine Lippen kommt!" "Piep!", rief Mamoru und hüpfte wieder in seinen Wagen. Mit aufjaulendem Motor wendete er und brauste davon. Er kannte seine Feinde zwar noch immer nicht so gut, dass er all ihre Fähigkeiten genau einschätzen konnte, aber er ging davon aus, dass ein Mitglied eines Volkes, das durch schwarze Tore in diese Welt hineingehen und auch wieder daraus entfliehen konnte, auch keine Probleme hatte, ihm zu folgen, obwohl er seinen Wagen mit mehr als halsbrecherischer Geschwindigkeit über die Straße hinweg jagte. Jedenfalls hatte er diese Dimensionssprünge bei Jedyte kennen gelernt – er zweifelte nicht im Geringsten daran, dass sein jetziger Gegner auch so tolle Tricks auf Lager hatte. Er riss unvermittelt das Steuer herum und lenkte den Pick-Up auf offenes Gelände, in der Hoffnung, so die Wahrscheinlichkeit weiter zu verringern, dass er – selbst in dieser Einöde – auf unschuldige Fremde treffen und sie unwillentlich mit in den Schlamassel ziehen würde. Eine riesige Staubwolke folgte seinem Weg quer durch die Prärie und mehr als nur einmal fragte sich Mamoru, wie lange die Stoßdämpfer noch mitmachen würden auf seiner holprigen Fahrt über Stock und Stein, durch Löcher und über dorniges, vertrocknendes Gestrüpp hinweg. Er zermarterte sich verzweifelt das Gehirn auf der Suche nach der Antwort darauf, wie er ganz alleine gegen diesen übermächtigen Gegner bestehen sollte. Im allerletzten Moment sah er, wie sich nur knapp vor der Kühlerhaube seines Wagens irgendetwas aus der Erde bohrte. Aus einem Reflex heraus riss er das Steuer herum und trat auf die Bremse, dass das Fahrzeug gefährlich ins Schlingern kam und schließlich stehen blieb. Den Dämonen hatte er so wirklich nur um haaresbreite nicht erwischt. Er hätte nun wohl wieder das Gaspedal durchtreten und seine wilde Flucht fortsetzen können, doch Mamoru sah ein, wie sinnlos das gewesen wäre. Das Monster hatte gerade bewiesen, dass es unter der Erde schneller war. Es war egal, wohin der Junge auch flüchten mochte, dieser Ort war genauso gut wie jeder andere. Kioku war außer Gefahr, das war alles, was zählte. Zitternd streckte er die Hand aus und stellte den Motor ab. Sein Herz klopfte wie wild, denn er fürchtete sich vor dem bevorstehenden Kampf, und der Aufprall, den er soeben gerade noch hatte verhindern können, tat sein Übriges. Seine Ruhe, seine Kaltblütigkeit, das war alles nur Fassade gewesen, die nun abbröckelte wie eine Maske aus dünnem, trocknendem Lehm. Er zog die Spieluhr unter seinem Hemd hervor – das Einzige, was ihm nun noch Hoffnung und Mut spenden konnte. Als der Deckel aufsprang und die leise Melodie durch die Fahrerkabine zog, spürte Mamoru für einen kurzen Augenblick ein absurdes Gefühl der Geborgenheit, doch er wusste tief im Inneren, dass es nur Einbildung war. Ein letztes Mal atmete er tief durch. Dann öffnete er die Wagentür und stieg aus. Moymo saß noch immer genau da, wo es aufgetaucht war und verharrte halb in seinem Tunnel. Grinsend entblößte es seine scharfen Nagetierzähne. "Nag! Es ist eine gute Wahl, Dich mir hier und jetzt zu stellen, Menschling. Nag-nag! Du ersparst mir damit eine unnötige und zeitraubende Hetzjagd." Die letzten Töne der Spieluhr verklangen, als Mamoru in einer entschlossenen Bewegung den Deckel wieder schloss und einen zornigen Blick auf das Monster warf. Trotz der immer stärker werdenden Furcht in seinem Inneren bemühte er sich um eine ruhige Stimme: "Wie wäre es, wenn Du mir auch etwas ersparen und Dich einfach in Luft auflösen würdest?" "Tut mir Leid, dass ich Deinen Vorschlag leider ablehnen muss. Aber – nag-nag – ich verspreche Dir, es wird Dir nicht allzu sonderlich weh tun." Damit krabbelte Moymo endlich ganz aus seinem Tunnel heraus und trottete auf allen Vieren in lächerlich wackelnden Bewegungen auf seinen Gegner zu. Als es angekommen war, richtete es sich auf seinen Hinterbeinchen auf und streckte seine krallenbewährte Pfote in Mamorus Richtung. "Und nun halt still, während ich – nag-nag – Deine Kraft an mich nehme..." Das war genau der Moment, auf den der Junge gewartet hatte. So, wie Moymo jetzt vor ihm stand, war es ein perfektes Ziel. Mamoru nahm mit seinem Bein Schwung und trat so heftig zu, dass sein Fuß unter dem Aufprall schmerzte. Moymo gab ein überraschtes und peinerfülltes Quieken von sich und rollte wie ein pelziger, überdimensionierter Fußball davon. Wäre es ein gewöhnliches Tier gewesen, so wären ihm dadurch bestimmt die Rippen gebrochen worden. Doch so rollte der Dämon nur weiter, bis er zum Stehen kam, blieb einen kurzen Moment auf dem Boden liegen und richtete sich dann wieder mit einem wütenden Zischen auf. Aber ehe Moymo diese Bewegung ganz zu Ende hatte bringen können, war Mamoru bereits heran und setzte mit einem präzisen Faustschlag nach. Die Haut über den Knöcheln platzte auf und fing zu bluten an, als sie den Schädel des Monsters berührte, und Mamoru prallte mit einem schmerzerfüllten, nur halb unterdrückten Schrei zurück. Als Moymos Hinterkopf wieder Bekanntschaft mit dem harten Boden machte, blieb der Dämon einen Augenblick lang benommen liegen. Dann erhob er sich erneut langsam und mit einem zornigen Zischeln. "Naaaaag! Das wirst Du bereuen, Menschenkind!" Es stellte sich auf seine Hinterbeine und senkte den Schädel, als wolle es ihn wie einen Rammbock benutzen. Mamoru machte sich auf alles gefasst. Doch er hatte nicht damit rechnen können, dass die Attacke seines Gegners ganz anders ausfallen würde: Das türkisfarbene, runde Juwel auf seiner Stirn begann zu glühen und schoss nur zwei Sekunden später einen grünlich-bläulichen Lichtstrahl ab, der sich in Mamorus Brust grub und ihn meterweit davonschleuderte. Der junge Herr der Erde schlug so hart mit dem Rücken auf dem Boden auf, dass ihm die Luft aus den Lungen gepresst wurde und feurige Schmerzpfeile durch seinen Rücken schossen. Einen endlosen Augenblick hatte er Schwierigkeiten, Luft zu holen. Keuchend blieb er einen Moment liegen und wartete, bis die Welt um ihn herum aufhörte, sich zu drehen. Dann stützte er sich auf seine Ellenbogen und arbeitete sich daraufhin langsam wieder auf die Beine. "Die Diener des Königreichs des Dunklen sind eben nicht zu unterschätzen!", rief eine spöttische Stimme hinter Mamoru. Als er den Kopf in die Richtung drehte, schwebte Amethysyte dort knapp über dem Boden, die Beine übereinandergeschlagen und dieses komische Gerät in seiner Hand haltend. Hinter ihm zerfaserten die letzten Reste des schwarzen Nebels vom Raum-Tor, durch das er diesen Ort betreten hatte. Triumphierend hielt er den Apparat etwas höher und erzählte seinem Diener: "Stell Dir vor, so ganz kaputt ist der Energindikat wohl doch nicht. Er hat mich zielsicher hier her geführt, als ihr beiden verschwunden seid." Vergnügt drehte er an einem Knopf und fuhr dann fort: "Wahrscheinlich ist bloß die Feineinstellung noch nicht perfekt ... aber ansonsten scheint das Gerät intakt zu sein. Und wenn..." Er setzte ein breites Grinsen auf und taxierte Mamoru mit seinen dunklen Augen. "...ich diesem Gerät glauben darf – was ich einfach mal tue – dann trägt dieses Bürschchen mit der großen Klappe eine enorme Menge an Energie in sich!" Mamorus Gesicht verlor mit einem Schlag alle Farbe. Ein Gerät, mit dem man Energien messen konnte? Das hieße, selbst wenn ihm heute die Flucht gelänge, würden ihn die Feinde immer und immer wieder finden können, solange er den Goldenen Kristall in sich trug. Er musste das Gerät zerstören – aber wie sollte er zuerst an diesem Dämonen und dann auch noch an dessen Herren vorbei? Indes murmelte der Adjutant aus dem Königreich des Dunklen weiter mit selbstsicherem Unterton vor sich hin: "Ich sehe es schon direkt vor mir! Ich – der große Amethysyte von Australien – werde den Ruhm und die Ehre von unserer Königin erhalten, die mir gebühren! Wenn ich diese immense Energie, die mir dieses Gerät verspricht, unsrem Königreich opfere, wer weiß – vielleicht werde ich sogar befördert! Dann werde ich es Karneolyte und Sardoyxyte zeigen, diesen aufgeblasenen Wichtigtuern!" "Nag-nag! Großartige Idee, Meister!" Moymo versuchte zu klatschen, aber selbst, wenn ihm seine Speckrollen nicht im Weg gewesen wären, hätten seine Ärmchen bloß gerade noch so genug Länge dazu besessen. So wedelte es bloß wild mit seinen Krallen herum, was einfach nur lächerlich aussah. Amethysyte verzog die Lippen und kommentierte den übermütigen Ausbruch seines Dämonen nur mit den Worten: "Spar Dir die Heuchelei und kümmere Dich lieber darum, dass unser ... Gast..." Er grinste höhnisch. "...heute Nacht so müde ist, dass er ganz besonders gut schlafen kann ... für immer!" Das war für Moymo das Stichwort, sich innerhalb weniger Sekunden in die Erde zu buddeln, um dann kurz hinter Mamoru wieder hervorzubrechen und sich auf sein Opfer zu stürzen. "Etwas ist nicht in Ordnung", wisperte es. Das Tier legte seine Stirn in Falten. "Was meinst Du?" "Den Ruf des Herren", erklärte es mit wachsender Unruhe. "Ich höre ihn. In der letzten Zeit hat er uns nur schlechte Nachrichten gebracht." "Du meinst ... das Ziel...?", fragte das Tier nach. Es wusste genau, was ihm sein Freund mitteilen wollte und nickte. "Ja, das Ziel. Es ist in Gefahr." Ein versöhnliches wie auch spöttelndes Lächeln huschte über die dünnen Lippen des Tieres. "Dieser Junge ... er scheint uns wirklich nichts als Ärger zu machen ... wie immer." Geflissentlich überging es diesen Kommentar, wie das nun mal seine Art war. Stattdessen meinte es nur kühl: "Wir sollten uns vergewissern, ob der Herr uns tatsächlich braucht." "Wenn er das tut", antwortete das Tier nun ebenso ernst, "solltest Du alleine zu ihm gehen. Ohne mich bist Du schneller – beeile Dich!" Einen kurzen Moment lang blickte es das Tier an, dann drehte es sich brüsk um und machte sich auf den Weg. Erst, als das Tier alleine war, seufzte es in die Stille hinein: "Alles Gute ... mögest Du Erfolg haben, mein Freund, damit der Herr der Erde erwachen und für unsere Ziele kämpfen kann. Und vielleicht ... vielleicht wird sogar Dein Traum wahr. Denn in der Tat – auch Du hast Dir etwas Glück verdient nach all den Jahrtausenden des Leids." Moymo hatte sich mit seiner Attacke gewaltig verschätzt. Es griff Mamoru zwar von einer Seite an, die dieser nicht hatte vorausahnen können, aber was es nicht wusste war, dass er ein geübter Karatekämpfer war, und dass man einen solchen, der sich auch noch voll und ganz auf seinen Kampf konzentrierte, nicht wirklich leicht überraschen konnte – und dieser Umstand wurde dem Dämon zum Verhängnis. Mamoru erahnte seinen Gegner eher, als dass er ihn sah, aber er reagierte rein instinktiv richtig. Er knickte mit seinem linken Bein ein und ließ sich fallen, vollführte aber noch in der gleichen Bewegung eine halbe Umdrehung und ließ sein rechtes Knie in den Körper seines Kontrahenten krachen. Durch eine komplizierte Drehung konnte er zum größten Teil sein eigenes Gewicht abfangen, ehe er auf dem Boden aufkam. Er warf sich herum und kam sofort wieder auf die Beine, gerade noch rechtzeitig, um sich mit einem gewaltigen Sprung vor einer weiteren Lichtblitzattacke Moymos in Sicherheit zu bringen – offensichtlich konnte der Dämon gut einstecken. Vielleicht waren es auch die Fettpolster, welche die gröbste Wucht aus den Angriffen nahmen. Doch davon ließ sich Mamoru nicht entmutigen. Einem weiteren Energiestrahl ausweichend machte er einen Satz zur Seite, stieß sich dort sofort ab und landete mit beiden Füßen genau in der Magengrube seines Feindes. Moymo wurde in den Boden gerammt, wo er röchelnd und mit wild rudernden Ärmchen um sich schlug. Vom Schwung nach vorne gerissen machte Mamoru noch ein paar Schritte weiter, doch sein Gleichgewicht hatte er rasch wiedergefunden. Mit drohend erhobenen Fäusten baute er sich auf und beobachtete das vor ihm liegende Fellknäuel skeptisch. Seine Hand schmerzte höllisch an der Stelle, wo die Haut bei dem Schlag vorhin aufgesprungen war, doch er versuchte es zu ignorieren. Er konnte die Wunde auch später irgendwann noch verheilen lassen, wenn er außer Gefahr war ... falls es ein Später gab... Keuchend und würgend rollte sich Moymo herum und kämpfte um Atem. Es war erstaunlich, welch harte Mittel nötig waren, um es endlich so zu treffen, dass es zumindest für einen winzigen Moment lang kampfunfähig war. Doch genau dieser Moment war viel zu schnell vorüber. Als Moymo sich wieder aufrichtete, reckte er seine scharfen Krallen hervor und ein drohendes Zischen erklang aus seiner Kehle. Einen endlosen Augenblick lang musterten sich die beiden Kontrahenten, belauerten einander, wollten den nächsten Schritt des jeweils Andren abschätzen. Aus Sekunden wurden Minuten. Mamorus Muskeln waren zum Zerreißen angespannt. Er wartete. Sein Instinkt würde ihm sagen, wann der passende Moment gekommen war. Seine Sinne, die in diesem Kampf ums nackte Überleben überdurchschnittlich scharf waren, registrierten jede kleinste, verräterische Bewegung seines Feindes. Er musste sich gedulden. Nur noch einen Augenblick. In schweren Schlägen pulsierte das Herz in seiner Brust. Der Schweiß rann in Strömen über sein Gesicht. Er lauerte ruhelos. Und schließlich wurde seine Geduld belohnt: Ein rasches, heftiges Muskelzucken fuhr durch das Fell des Dämonen und kündete seine neue Attacke an. Während Moymo sich kräftig abstieß und auf Mamoru zusteuerte, hatte dieser bereits die richtigen Schlüsse gezogen und eine entsprechende Gegenmaßnahme eingeleitet. Sein Fuß, mit gewaltiger Kraft gelenkt, schnellte vor und seinem Feind entgegen. Doch es waren ausgerechnet die langjährig geschulten Reflexe eines Kämpfers, die ihm zum Verhängnis wurden: Er war schlicht und ergreifend Gegner gewohnt, die mehr als doppelt so groß waren wie Moymo. Der Schuh glitt pfeifend durch die Luft und zischte nur knapp am Kopf des Dämonen vorüber, während dieser mit den Vorderpfoten auf den Boden kam, um sich ein letztes Mal zu seinem eigentlichen Angriff abzustoßen. Sein massiver Körper prallte mit dem Mamorus zusammen. Der Herr der Erde, der nach seiner missglückten Attacke noch nicht sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, fiel nun hintenüber, konnte nur durch eine geschickte Bewegung das Gröbste des Sturzes abfangen und wurde sodann halbwegs zerquetscht von dem Zentnergewicht der Fellkugel über ihm. Moymo stieß indes einen triumphierenden Kampfschrei aus und grub seine spitzen Klauen in Mamorus Arme. Sie rissen Kleidung und Haut auf und hinterließen blutige Striemen. Der Junge brüllte vor Schmerz auf und warf sich herum, in der Hoffnung, der grausamen Pein so zu entgehen, doch er bewirkte damit nur, dass sich die Krallen tiefer in seinem Fleisch vergruben. Keuchend sammelte er den letzten Rest seiner Kraft und Konzentration zusammen. Ein Ruck ging durch seinen Körper, als er die Muskeln anspannte und seine Beine anzog; sie schlangen sich um Moymos Körper und zogen ihn blitzschnell von Mamoru herunter und in eine Beinschere, aus der sich der wütend fauchende Dämon so schnell nicht wieder befreien konnte. Bei dieser Aktion waren einige neue tiefe Kratzer entstanden, in denen sich der beißende Sand eingrub, der stets vom Wind mitgetragen wurde. Nun war es Mamoru, der seinen Feind durch eine kompliziert anmutende Haltung seiner Beine strangulierte und so in die Schranken wies. Er gewann so etwas Zeit, zu Atem zu kommen und seiner Konzentration das Letzte abzuverlangen, damit er die höllischen Schmerzen in die hinterletzten Ecken seines Geistes verdrängen konnte. Moymo warf sich solange hin und her, rang um Luft und kämpfte um seine Freiheit. Er krallte seine Pfoten in Mamorus Beine, bis dieser die erneute Pein nicht mehr aushalten konnte und locker lassen musste. Der Dämon entwand sich seiner Falle, rollte sich ein Stück weiter weg in die geglaubte Sicherheit und nahm einige tiefe Atemzüge. Doch so leicht wollte Mamoru sich nicht geschlagen geben. Er grub seinen Fuß halb in den Wüstensand hinein und katapultierte den Dreck in das Gesicht seines Gegners – und verharrte ungläubig starrend, als Moymo nicht mal Anstalten machte, sich den Staub aus den Augen zu wischen. Hinter den beiden erscholl ein gehässiges Lachen. "Das meintest Du doch wohl nicht ernst?!", rief Amethysyte aus. "Moymo ist ein Dämon der Erde. Ich hätte doch gedacht, das sei ein nicht zu übersehender Fakt. Du könntest ihn mit Erdboden nur so überhäufen – er würde sich pudelwohl fühlen!" , schoss es Mamoru durch den Kopf. Er hätte von selbst drauf kommen sollen – drauf kommen müssen! Doch das ganze Ausmaß seines Fehlers wurde ihm erst eine Sekunde später bewusst ... denn er hatte seinen Feind so auf eine Idee gebracht. Noch ehe er seinen Arm hätte schützend vor das Gesicht halten können, hatte ihm Moymo seine Attacke von gerade eben gleichgetan. Staub und Sand rieselten in dicken Schwaden auf ihn nieder, gruben sich in seine frischen Wunden, verklebten ihm die Augen und hinterließen einen unangenehmen, knirschenden Geschmack in Mund und Rachen. Würgend wischte er sich über das Gesicht, was das brennende Gefühl nur verstärkte und ihm die Tränen in die Augen trieb. Und als ob das noch nicht genug war, wurde Mamoru nun auch noch von einem weiteren Energiestrahl Moymos getroffen und davongeschleudert. Er landete hart auf felsigem Untergrund und blieb liegen, schweratmend, blind, hilflos und von übermächtigem Schmerz erfüllt. Wenn nicht bald ein Wunder geschah, war es aus mit ihm. Zäh wie Sirup floss der Gedanke durch seinen Kopf. Doch diesen Satz brachte er nicht mehr zu Ende, denn der Dämon war bereits herangewatschelt, streckte seine Pfote nach ihm aus, und begann hämisch grinsend damit, ihm seine Lebensenergie zu stehlen. Es dauerte nur einen winzigen Augenblick und Mamoru verlor das Bewusstsein. "Ich bin mal gespannt, was es denn nun mit dieser sagenhaften Energie auf sich hat, die uns der Energindikat angezeigt hat", erklärte Amethysyte und warf einen zufriedenen Blick auf das Gerät in seinen Händen, während sein Diener das pure Leben aus dem jungen Herrn der Erde saugte. Noch immer hüpfte die grüne Linie auf dem Display auf und ab und verhieß ein immenses Maß an Energie in unmittelbarer Nähe. Wenn Amethysyte auf einige Knöpfe drückte, konnte er den Fokus des zu überprüfenden Objektes verändern. Anstatt nun die ganze Umgebung zu scannen, stellte er fest, welche Menge an Energie auf den Dämon überfloss. Ein schmieriges Grinsen legte sich auf seine Lippen. Doch schon nach wenigen Augenblicken gefror es ihm wieder, als er merkte, mit welcher Geschwindigkeit der Strom an Kraft zwischen dem Jungen und dem Monster nachließ. Stirnrunzelnd erweiterte der Herr von Australien das zu untersuchende Gebiet wieder und stutzte. Wo war die unglaubliche Energie abgeblieben, die er zu Anfang noch gemessen hatte? Da war ... irgend etwas ... das Kraft abstrahlte, aber es war ... weit weg? Der Junge trug nun wirklich kein Quäntchen mehr davon im Körper. Alles, was Moymo gerade noch daraus aussaugte, war die letzte Reserve an Lebensenergie, die der Mensch nur noch für Notfallsituationen in sich trug. Bald würde er sterben. Doch darum kümmerte sich Amethysyte gerade einen feuchten Dreck. Der Energindikat schlug ihn ganz in seinen Bann, denn er gab Informationen von sich, die sich der Adjutant nicht erklären konnte. Da war tatsächlich Energie, noch dazu ein nicht unwesentliches Maß daran, doch es lag nicht bei dem Jungen... Ungläubig weitete er den zu scannen Bereich noch weiter aus. Tatsächlich, die Kraft war da ... sie schien von der ganzen Umgebung gleichmäßig ausgestrahlt zu werden. Als stamme sie aus jedem Stein, jedem einzelnen vertrockneten Grasbüschel, jedem noch so kleinen Staubkorn. Was gab diesen Dingen eine solche Energie? Aber so gründlich er sich auch umsah, er entdeckte nichts und niemanden. Ein Messfehler? Ein unsichtbarer Feind? Oder konnte man sich womöglich doch kein bisschen auf die Ergebnisse von Zoisytes unsäglichem Energindikat verlassen? "Von wegen eine ungewöhnlich hohe Energie bei diesem Jungen!", knurrte Amethysyte durch die Zähne hindurch. "Moymo! Ich vertraue diesem Gerät nicht mehr weiter, als ich es werfen könnte!" "Ihr könntet es sicherlich sehr weit...", setzte der Dämon an, doch sein Meister unterbrach ihn unwirsch: "Hör verdammt noch mal mit Deiner Arschkriecherei auf! Lass uns abhauen, unsre Arbeit ist getan." "Ich bitte um Vergebung, Meister..." "Was ist denn noch?", blaffte Amethysyte ihn an. "...Nun..." Etwas verlegen wies Moymo mit seinem Stummelfinger auf den reglos daliegenden Mamoru. "Ein winziger Rest an Kraft ist noch in ihm übrig. Wenn Ihr erlaubt, Meister... Unsre Königin wird uns sicherlich dankbar sein, selbst für jedes kleinste Bisschen an Energie, das wir ihr liefern..." Augenrollend redete ihm Amethysyte dazwischen: "Meinetwegen; Tu, was Du nicht lassen kannst." Er wollte sich nicht extra die Mühe machen, seinem Diener zu erklären, dass es nicht mehr drauf ankam, ob die abgelieferte Energie um einen Promillepunkt höher war oder nicht. Ein Raum-Tor öffnete sich vor Amethysyte und er trat hindurch, wohlwissend, dass sein verblödeter Diener ihm nach vollendeter Arbeit ins Basislager folgen würde. Hinter ihm verschwand der dunkle Nebel wieder. Indessen hatte Moymo seine Krallen wieder an den Leib des Jungen gelegt und fuhr nun damit fort, ihm die Kraft zu stehlen. Als er den letzten Rest Energie gesammelt hatte, der sein Opfer vom Tod trennte, spürte der Dämon einen deutlichen Ruck im Energiegefüge seiner Umgebung ... und die Kraft im Inneren des Jungen war höher, als sie es zu Beginn der Auseinandersetzung gewesen war. "Hmmm? Nag-nag? Was ist das denn nun?" Moymo verstand es nicht. Wie hätte es auch? Es wusste immerhin nichts von der Existenz des Goldenen Kristalls, der im Körper des Jungen verharrt hatte. Nun, da ebendieser Körper keine eigenen Energiereserven mehr besaß, sprang das Selbsterhaltungssystem des Kristalls an, das den Wirt zu schützen versuchte, indem die fehlende Energie durch die des Kristalls ersetzt wurde. Ein wenig verwirrt stand Moymo noch so da und schüttelte verständnislos den Kopf. Doch dann zuckte es mit den Schultern und nahm den Effekt von der positiven Seite: Es konnte nun umso mehr Energie sammeln, um diese dann Königin Perilia darzubringen. Wenig zaghaft streckte es seine Finger wieder in die Richtung des Jungen, wobei seine Krallen unachtsam leicht in die Haut des Jungen eindrangen und sich ein dünner, blutiger Rinnsal aus der frischen Wunde ergoss. Der Dämon störte sich nicht daran. Er war nur erstaunt über die unglaubliche Menge an Energie, die sich ihm so plötzlich geöffnet hatte. Doch seine Freude wurde sehr schnell getrübt, als Moymo einen schrillen Aufschrei hinter sich vernahm: "NEIN!!!" "Ich muss mich beeilen!", sprach es zu sich. Mit schnellen Flügelschlägen sauste es durch die flirrende Hitze der Wüste. Nur zu deutlich spürte es, dass das Ziel in Gefahr sein musste. Seine Instinkte hatten es in diesem Punkt noch nie betrogen. Mit verbissenem Gesichtsausdruck trieb es sich zu noch höherer Geschwindigkeit an. , fragte es sich. Doch schon bald entdeckte es etwas, das ihm alle Gedanken auf einmal aus dem Kopf fegte. Dort vorne lag der junge Herr der Erde, regungslos, dem Tode schon näher als dem Leben. Unermesslicher Zorn kochte in ihm hoch. Mit einem Ruck faltete es seine Flügel zusammen und ließ sich im Sturzflug niedersausen. Die Wut ließ es seine Selbstbeherrschung völlig verlieren. "NEIN!!!" Mit diesem durchdringenden Gebrüll jagte es heran und fegte den Dämon, lange noch ehe dieser reagieren konnte, von den Füßen... Moymo hatte nicht einmal die Zeit, sich herumzudrehen und das Etwas anzusehen, das da auf ihn zugerast gekommen war, da fühlte der Dämon schon, wie mit ungeheurer Wucht etwas Schweres mit seinem Körper zusammenstieß, ihn meterweit über den Boden schleifte und ihn dann gnadenlos in einen Felsen hinein rammte. Der Stein splitterte sogar unter dem wilden Aufprall. Es konnte gerade noch verhindern, selbst durch den eigenen Schwung in den Brocken hinein getrieben zu werden, indem es sich rechtzeitig mit einigen kräftigen Flügelschlägen schräg nach oben katapultierte. Wie ein Pfeil sauste es durch die Luft und beschrieb dort einen engen Bogen, um dann genau zwischen seinem Schützling und dem Monster zu landen. Der Diener des Königreichs des Dunklen brauchte nicht lange, um sich von der Überraschung zu erholen. Er arbeitete sich unter den Trümmern hervor. Ganz unbeschadet war er nicht davongekommen: Er hatte sich am scharfkantigen Gestein eine langgezogene Wunde am Rücken aufgeschrammt, und noch weitere kleine Verletzungen verunzierten die Haut unter dem dichten, dunklen Fell. Angriffslustig bleckte er seine Nagetierzähne. "Naaaaaaaag! Wer bist Du, und warum beschützt...?" Doch es ließ Moymo nicht ausreden: "Du..." Mit finstrer Mine zeigte es auf seinen Gegner und fuhr fort. "...Du kleines, unbedeutendes Biest bist es nicht wert, dass ich Dir irgendwelche Fragen beantworte! Du bist nicht mal die Zeit wert, die ich mit Dir verschwende! Du wirst bitter bereuen, Dich jemals in Angelegenheiten eingemischt zu haben, die Dich nichts angehen. Nun wirst Du die Konsequenzen dafür tragen..." "Nicht, wenn ich es – nag-nag – verhindern kann!", rief Moymo aus. Es hatte sich in einigen Metern Entfernung vor ihm aufgebaut und senkte nun den Schädel. Das Juwel auf seiner Stirn begann zu strahlen. Als hätte es geahnt, was der Dämon vorhatte, machte es einen gewaltigen Satz in die Luft und breitete die Schwingen aus. Doch Moymo folgte der Bewegung. Ein türkisgrüner Strahl gebündelter Energie zuckte aus seinem Juwel hervor und bahnte sich seinen Weg in seine Richtung. Doch was Moymo nicht wusste war, dass es diesen Sprung nicht getan hatte, um sich selbst aus der Schusslinie zu bringen, sondern im Gegenteil den Strahl auf sich zu lenken ... fort von dem reglos daliegenden Jungen hinter ihm. Es nahm in Kauf, getroffen zu werden. Im letzten Moment riss es noch seine Arme hoch und positionierte sie schützend vor seinem Körper, da erfasste ihn die Attacke auch schon und schleuderte ihn höher in den Himmel empor, ehe es wieder mit den Beinen auf dem Boden aufkam. Der dünne Stoff über seinen Handgelenken hing in Fetzen, die Haut darunter war blutig. Doch sonst hatte es keinen Schaden davongetragen. "Ist das alles, was Du kannst?", fragte es mit eiskalter Stimme. Ängstlich keuchend wich Moymo einen Schritt zurück. Es hatte mit allem gerechnet ... mit einem direkten Gegenangriff, oder damit, dass sein Gegner ihn beleidigte, oder auslachte, oder abwertend ansah ... doch was es in den Augen seines Feindes sah, war ... nichts. Leere. Absolute Gefühlskälte. Ein fast schon magisch wirkender, bläulich-silbriger Schimmer leuchtete ihm aus den Augen des Wesens entgegen, doch wirkte eben dieser Schimmer eher, als sei das Licht selbst in dieser Kälte, aus der es stammte, bis in alle Ewigkeit eingefroren. Selbst in der Dunkelheit und dem ewig währenden Hass, aus dem Moymo stammte, hatte es nie eine solche Abwesenheit jeglicher Emotionen kennen gelernt. Da war kein Zorn, keine Rache im Ausdruck der fremdartigen Augen, nur ... greifbare, erdrückende, absolute Leere. Als der Dämon auch nach einem langen Augenblick noch keine Antwort gegeben hatte, gab es das Warten auf. "Dann bin ich nun wohl am Zug", erklärte es. Mit diesen Worten hob es seinen rechten Arm empor. Dort am Handgelenk erschien ein silberner Schimmer, und nur Sekunden später materialisierte sich dort etwas, das entfernt aussah, wie der Handschuh einer Rüstung, nur dass er nicht aus einer durchgängigen Fläche bestand. Er sah eher aus, als hätten sich Rosenranken um den Arm geflochten und seien dann zu Metall erstarrt. Als es nun den Arm vorstreckte, sodass sich die Handfläche dem Dämonen entgegenreckte, sah Moymo das nicht ganz handtellergroße, kreisrunde Loch darin, und genau an dieser Stelle begannen winzige, grünlich-bläuliche Blitze zu zucken, deren Intensität allmählich zunahm. Inzwischen hatte der Dämon seinen Schrecken soweit überwunden, dass er sich wieder mehr auf das konzentrieren konnte, was er vor sich sah, und er verstand, dass dies sein Ende bedeuten konnte. Doch so leicht wollte er sich nicht ergeben. "Nimm das!", rief Moymo, sammelte wieder Energie und feuerte einen weiteren Strahl aus seinem Juwel ab. Zeitgleich nahmen die zuckenden Lichter um seinen Handschuh zu, formten sich zu einem großen Blitz und wurden dem Dämonen entgegen geschleudert. Die beiden Strahlen trafen sich in der Mitte zwischen den Kämpfenden und ein explodierender Lichtball entstand, der von beiden Seiten weiter und weiter mit neuer Energie gespeist wurde, während er Sand und Steine davonschleuderte und schwarze, verkohlte Löcher in den Boden brannte. Dampf wallte auf, wo das grelle Feuer die Umgebung berührte. Ein immer mächtiger werdender Wind, erzeugt von den Explosionen zwischen den beiden Kontrahenten, strömte unkontrolliert an den beiden Kämpfern vorüber und zerrte an Fell und Stoff und heulte mit einem ohrenbetäubenden Pfeifen davon. "Naaaaaaaaag!", gab Moymo triumphierend von sich, "wie lange kannst Du meiner Kraft noch standhalten?" Doch es büßte wieder an Siegesgewissheit ein, als es den Ausdruck auf dem Gesicht seines Gegners sah: Da war keine Reaktion. Keine abfällige Antwort. Kein überflüssiges Muskelzucken. Nicht mal das Anzeichen einer Anstrengung oder von vollster Konzentration. Nichts. Eisige Leere. Und da wusste Moymo, dass es verloren hatte. Das Wesen gab dem Dämon noch einen kurzen Augenblick Zeit, um das volle Ausmaß der Niederlage zu begreifen. Dann, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, verdoppelte es die Energie seiner Waffe. Moymo ging in einer Explosion aus Staub und Lärm und Licht unter. Alles, was von ihm übrig blieb, war ein kokelndes, tiefes Loch im Boden. Die Blitze verebbten und hörten schließlich ganz auf. Es hob sich seinen Handschuh vor Augen und musterte ihn. "Meine treue Waffe ICTUS...", murmelte es noch vor sich hin. Doch dann wandte es sich um und trat in ruhigen, fast schon majestätischen Schritten auf den Jungen zu. Der Handschuh verblasste derweil wieder und verschwand dann im Nichts. Zaghaft kniete es sich neben dem Herren der Erde nieder, fast so, als schliefe dieser nur ruhig und solle nicht gestört werden. In sachten Bewegungen streckte es seinen Finger nach dem Jungen aus und fühlte seinen Puls. Der war etwas langsam, doch nicht besorgniserregend. Als nächstes überprüfte es den verbliebenen Energiehaushalt von Mamoru. Es konnte feststellen, dass der Goldene Kristall ein gewisses Maß seiner Kraft eingebüßt hatte. Das war nicht lebensbedrohlich, doch wäre es nur einen einzigen Moment später gekommen, hätte der Goldene Kristall sicherlich all seine Pforten geöffnet und versucht, das Energiedefizit seines Herren durch die eigene Kraft auszugleichen. In diesem Fall hätte das Wesen Mamoru nicht mehr helfen können. Aber nun, wo die Gefahr überwunden war, würde der Kristall seine eigene Energie und die seines Herren alleine regenerieren können. Er brauchte nur etwas Zeit ... und sein Träger brauchte Ruhe und ärztliche Versorgung. Mit routinierten Bewegungen überprüfte das Wesen die Verletzungen: Kratzspuren an Armen und Beinen, die aufgeplatzte und inzwischen halbverkrustete Stelle an den Fingerknöcheln und etliche Punkte, die in Kürze zu ausgewachsenen blauen Flecken mutieren würden. Sand hatte sich in den Wunden eingenistet und war mit Schweiß und Blut an die Haut geklebt. Einzeln betrachtet waren die Risse und Schrammen nicht lebensbedrohlich, doch es machte sich Sorgen, ob deren Gesamtheit gefährlich werden könnte, besonders unter dem Aspekt betrachtet, dass der Schmutz in den Wunden Entzündungen würde verursachen können. Doch es wusste um die Fähigkeiten, die in diesem Jungen schlummerten. Es beschloss, sich zukünftig intensiver in der Nähe von Mamoru aufzuhalten, um ihn zu unterstützen, sollte er mit seinen Verletzungen alleine nicht zurechtkommen. Und um ihn von nun an rechtzeitig vor den Dämonen des Königreichs des Dunklen zu beschützen. Das Wesen erhob sich und sah sich zögernd um. Der einzige Ort, wo sein Schützling vor dem Staub der Wüste in Sicherheit war, mochte wohl nur der alte Pick-Up sein. Rasch war die Fahrertür bis zum Anschlag geöffnet, woraufhin es die Arme unter den Körper des Herrn der Erde schob, ihn vorsichtig anhob und dann sachte in den Fahrersitz des Wagens setzte. Als es sich davon überzeugt hatte, dass keine der Wunden neu aufgebrochen war, dass der Junge nicht im Schlaf verrutschen und sich erneut verletzen konnte, und dass er wirklich nicht mehr in Lebensgefahr schwebte, da blieb das Wesen noch einen Moment lang neben ihm stehen und betrachtete ihn eingehend. Mamorus Brustkorb hob und senkte sich unruhig im Takt seiner Atemzüge. Kalter Schweiß perlte ihm von der Stirn. Die Haut wirkte blass trotz der Sonnenbräune, die er sich im Laufe der Zeit angeeignet hatte. Behutsam strich das Wesen ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Wenn man es so ansah, konnte man fast meinen, all die Kälte und Erbarmungslosigkeit, die es sonst wie eine zweite Haut trug, würden von ihm weichen, um Platz zu machen für eine unbeschreibliche Fürsorglichkeit und Vertrautheit. Doch es steckte noch etwas ganz anderes hinter dieser Berührung: Als das Wesen seine Finger auf die Stirn des Herren der Erde legte, empfing dieser wieder einen wunderschönen Traum, in dem eine Prinzessin mit goldenen Haaren vorkam, die mit ihrer lieblichen Stimme lockte und mit traurigem Blick um den Silberkristall und um das Herz der Erde bettelte. "Nicht mehr lang...", wisperte es lautlos, "...und Du wirst Dich unserer Sache anschließen. Schon bald wird Dein Geist soweit sein..." "Wo, zum Teufel, bleibt dieses hirnrissige Vieh bloß?", knurrte Amethysyte vor sich hin und marschierte weiter durch die endlosen, düsteren Gänge. "Ich habe Moymo doch gesagt, es soll nicht ewig in der Menschenwelt rumgammeln. Verflucht, so viel Energie kann dieser Bengel doch gar nicht mit sich rumtragen! Oder hat sich diese Mistmade von einem Dämon in der eigenen Hosentasche verlaufen?" Er kochte innerlich vor Wut. Egal, welchen Diener man ihm unterstellte – keiner von ihnen war zu etwas nütze. Er konnte mit diesem unterbelichteten Pack von Bediensteten einfach nicht arbeiten. Als Amethysyte hinter sich eine Verzerrung im Raum wahrnahm, drehte er sich schnaubend in die Richtung des neu entstehenden Raum-Tores um und begann bereits zu zetern: "Da bist Du endlich, Du Flohtüte! Wieso hast Du so lange...?" Er stockte, als er sah, dass es nicht sein Diener war, der da aus dem Raum-Tor geschritten kam. Stattdessen stand nun Karneolyte vor ihm. Das schmierige Grinsen, das dieser sonst auf seinen Lippen trug, war verschwunden. "Du suchst etwas, mein Bester?", fragte er im spöttischen Ton. "Was ich mit meinen Dämonen anstelle, geht Dich einen feuchten Dreck an!", blaffte ihn der jüngere Adjutant an. "Ich fürchte, ich muss Dir da wiedersprechen." Der ungewohnt ernste Ton in seiner Stimme ließ Amethysyte aufhorchen. "Was ist geschehen?", fragte der Blonde also skeptisch. Karneolyte zögerte etwas mit der Antwort. Trotz der offenbar so ernsten Situation liebte er es, sein Gegenüber zappeln zu lassen. Erst, als Amethysyte kurz vorm Explodieren zu sein schien, ließ sich der Mann mit den feuerroten Locken zu einer Erklärung herab: "Ich habe in Erfahrung bringen können, dass der Ordnungshüter unter den Dämonen kein Lebenszeichen mehr von Deinem Haustierchen erhält. Und der Energiefluss ist auch unterbrochen, schlimmer noch: Dein Diener scheint wohl gekämpft zu haben, denn er hat plötzlich weit mehr Kraft verbraucht, als er überhaupt geliefert hat. Erkläre mir dieses Defizit. Und wo Du schon dabei bist, erläutere mir doch mal, wozu Du ihn überhaupt gebraucht hast in der Menschenwelt! Unser Auftrag war doch klar und deutlich! Wir haben Dir unmissverständlich befohlen, den Energindikat zu testen. NUR – EIN – VERDAMMTER – TEST! Und Du Scherzkeks hast offenkundig nichts Besseres zu tun, als die sauerverdiente Energie zu verballern, die wir Andren mit Müh und Not für unsere große Herrscherin gesammelt haben. Also, Blondchen, möchtest Du Dich zu der Sache äußern? Wo zum Geier warst Du eigentlich, als Dein Diener mit wehenden Fahnen untergegangen ist?" Moymos Tod ärgerte Amethysyte. Nicht etwa, weil es schade um den Lakaien gewesen wäre, sondern nur aus dem Grund, weil dieser Fellklumpen sogar zum Überleben zu dämlich gewesen war. Und weil es an seinem Ego kratzte, dass Karneolyte nun die Schuld für das Versagen Moymos auf ihn übertrug. "Hab keine Ahnung, gegen wen er gekämpft hat", knurrte er nur knapp. In ebenso säuerlichem Ton fügte er hinzu: "Es bleiben da aber nicht viele übrig." Mit Zeigefinger und Daumen massierte sich sein Gegenüber die Nasenwurzel, als wollte er damit eine anwallende Migräne verhindern. "Du spielst auf die Sailorkrieger an." "Diese verfluchte Pest!", nickte Amethysyte übellaunig. "Ich glaube zumindest nicht, dass er so dermaßen bescheuert gewesen ist, dass er sich auf einen Kampf mit einem Starkstromzaun eingelassen hat. Obwohl, man weiß ja nie." "Und Du lässt so was alleine da oben rumrennen?" Karneolyte zog eine Augenbraue nach oben. Amethysyte zuckte mit den Schultern. "Unser Test war beendet. Es war seine Idee, noch eine kleine Weile dort zu bleiben. Wieso sollte ich denn unbedingt länger in der Jauchegrube stehen, als unbedingt nötig? Deswegen hab ich mich wieder hier her zurück gezogen. Das willst Du mir doch wohl jetzt nicht ankreiden?" Das breite Grinsen war auf Karneolytes Lippen zurückgekommen, als er spöttisch antwortete: "Wahrscheinlicher ist doch, dass Du die Hosen voll hattest und Dich nicht getraut hast, Dich mit diesen Kriegern anzulegen! Du könntest ja von einer Horde Weiber verdroschen werden!" "Ich sagte doch, ich bin da weg, ehe dieser Vollidiot sich mit wer-weiß-wem angelegt hat!", jaulte Amethysyte stocksauer. Sein Gesicht nahm allmählich eine leuchtendrote Farbe an. Sein Gesprächspartner machte eine wegwerfende Handbewegung. "Unwichtig! Was nun noch zählt, ist das Ergebnis des Tests! Was habt ihr beiden Mädels denn rausgefunden, oben an der Oberfläche?" "Dass die Menschenwelt Scheiße ist, aber das ist ja nichts Neues", grummelte Amethysyte in seinen Bart. Dann berichtete er zähneknirschend, dass der Energindikat sich noch immer sehr seltsam verhielt, dann und wann korrekt ausschlug und im nächsten Moment doch wieder einen totalen Blödsinn maß. Schließlich einigten sich die beiden Männer darauf, dass dieses Gerät wohl noch nicht so einsatzbereit war, wie es wünschendwert gewesen wäre. Karneolyte seufzte schlussendlich theatralisch auf. "Na gut", meinte er noch und wandte sich zum Gehen um. "Dann werde ich Meister Zoisyte eben beibringen müssen ... dass Du es mal wieder vergeigt hast!" "Dass ... WAS, BITTE? Ich hör wohl nicht recht!" Doch Karneolyte hörte den Einwand schon nicht mehr. Er war in einem Raum-Tor verschwunden und ließ Amethysyte in den weiten, einsamen Gängen des Königreichs des Dunklen alleine zurück. Sollte dieser doch so lange Zeter und Mordio schreien, wie er lustig war! Nur sehr langsam und zögerlich hob Mamoru seine Augenlider wieder. Verwundert blickte er sich um. In seinem Kopf schwirrten die Gedanken und Erinnerungen umher und er versuchte zunächst erfolglos, sie wieder zu ordnen. Es fiel ihm schwer, Realität von Traum zu unterscheiden, doch sein schmerzender Körper zeigte ihm auf, dass er sich zumindest den Kampf gegen den Dämon nicht eingebildet hatte. Er fuhr tastend über seinen Körper und machte sich so ein Bild von seinem Zustand. Er war genauso lädiert, wie er sich fühlte. Aber da Selbstmitleid alleine keine Veränderung brachte, konzentrierte er sich lieber auf andere Dinge. Zum Beispiel auf die Frage, wo der Dämon inzwischen abgeblieben war. Und warum er wieder in seinem Auto saß, angeschnallt und mit geschlossener Tür ... und vollkommen allein. Er löste den Sicherheitsgurt wieder, öffnete die Tür und machte sich daran, aus dem Auto wieder herauszuklettern. Das war einfacher gedacht als getan, seine Muskeln schmerzten höllisch und hätten ihm beinahe den Dienst versagt, hätte er sich nicht noch rechtzeitig an den Türgriff geklammert. Mit zusammengebissenen Zähnen verharrte er, bis die bunten Kreise, die vor seinen Augen tanzten, wieder verschwanden. Nichts wünschte er sich sehnlicher, als auf der Stelle nach Hause zu fahren und sich ins Bett zu legen, doch er musste zuerst sicher sein, dass die Gefahr gebannt war ... oder ob der Dämon noch hinter einer Ecke auf ihn lauerte. Auf wackeligen Beinen arbeitete er sich voran und stützte sich dabei unentwegt an der Karosserie seines Wagens ab. Was er da vor sich sah, verschlug ihm den Atem. Wenige Dutzend Schritte entfernt erstreckte sich vor ihm ein pechschwarzes, verkohltes Loch im Boden von sicherlich guten drei Metern Durchmesser. Unerbittliche Gewalten hatten es in die Erde gerissen und zugleich Steine und Staub hinfort gewirbelt. Mamoru fragte sich, welch ein Kampf hier gewütet haben musste – und vor allem: wer gegen wen? Einen langen Augenblick stand er einfach da und betrachtete verwirrt die Szenerie. Er versuchte sich einen Reim auf die Dinge zu machen, die er da vor sich sah, doch er wurde nicht wirklich schlau aus den verwaschenen Spuren im Sand. Irgendwann gab er es auf und wandte sich um. So weit er auch sah, die Gegend schien ihm so verlassen zu sein, wie irgend ein Ort auf diesem blauen Planeten nur sein konnte. Kein Dämon. Kein feindlicher Soldat. Aber auch keine Mitstreiter. Keine Menschenseele, die ihm erklärt hätte, was geschehen war. Niemand, der sich um seine Wunden kümmern oder die wirren Gedanken aus seinem Kopf vertreiben konnte. Kein Mensch, der ein Wort des Trostes für ihn gehabt hätte. Selbst das sonst so penetrante Jaulen des Windes schien wie auf magische Weise verstummt. Selten zuvor in seinem Leben hatte Mamoru eine so erdrückende Einsamkeit verspürt. Seufzend schleppte er sich zur Fahrerkabine seines Pick-Ups zurück. Wenn er wenigstens wie sonst auch zu seiner Tante könnte, um sich abzulenken. Nie könnte er ihr all die Dinge erklären, die in letzter Zeit so sehr auf seiner Seele lasteten, doch ihr sonniges Gemüt konnte ihn immer zum Lachen bringen, egal wie düster die Welt auch immer war. Ob es ihr überhaupt gut ging? Bei seiner überstürzten Flucht von der SilverStar-Ranch hatte er nicht die Zeit gehabt, sich um sie zu kümmern. Er wusste nicht einmal, ob sie den Angriff des Dämons überhaupt überlebt hatte. Doch daran wollte er gar nicht erst denken. Kaum hatte er sich hinters Steuer gesetzt, schlug er in seiner Verzweiflung gegen das Armaturenbrett, das hilflos knarrte, dem Zorn seines Fahrers aber dennoch verbissen standhielt. Mamorus Hand schmerzte höllisch, aber er hatte etwas gebraucht, um endlich mal Luft abzulassen. All seine Muskeln begannen vor Qual und Müdigkeit zu zittern, doch er verdrängte diese Tatsache mit aller Gewalt aus seinem Bewusstsein. Es gab nun nur noch eins, woran er denken sollte, und das war seine Tante Kioku. Er drehte den Zündschlüssel herum, schnallte sich an, ließ den Motor hochjaulen und trat auf das Gaspedal. Dass sich ein fremdartiges Wesen nur einige Dutzend Schritte entfernt in den Schatten eines Felsens gedrängt und ihn lautlos beobachtet hatte, sollte er nie erfahren. "Das Ziel hat überlebt", wisperte es, als es dem Staub aufwirbelnden Wagen nachsah. "Den nächsten Schritt wird wieder das Schicksal bestimmen." Als es sich sicher sein konnte, dass der Herr der Erde es nicht mehr würde entdecken können, breitete es seine Flügel aus, hob sich in die Luft und machte sich auf den Weg zu seinem Versteck. Es wusste, jetzt konnte dem Ziel nichts mehr geschehen. Sein Auftrag war für heute getan. Mit zusammengebissenen Zähnen kletterte Mamoru aus dem Wagen. Er fühlte sich wie von einer Elefantenherde übertrampelt. Mit einem lauten Knall schlug er die Tür zu und wandte sich den Gebäuden der SilverStar-Ranch zu. Der reglose Körper seiner Tante lag noch genau dort, wo er sie zuletzt gesehen hatte. Er humpelte auf sie zu und ließ sich dann schwer neben ihr auf die Knie fallen. "Tante Kioku?" Ängstlich zitternd streckte er die Hand aus und tastete nach ihrem Puls. Ein eiskalter Schauer überkam seinen Körper, als er keine Bewegung unter seinen Fingerspitzen fühlte, da war nur unnatürliche Kälte. Er grub seine Finger tiefer in ihre Haut am Hals ... und vernahm endlich das sanfte, langsame Pochen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich auch nur unmerklich. Doch sie lebte. Mamoru atmete erleichtert auf. Er wusste nicht mehr, wie lange der Kampf überhaupt gedauert hatte, wie lange er danach bewusstlos gewesen war. Doch ihm wurde bewusst, dass seine Tante in dieser Gluthitze wohl nur deshalb überlebt hatte, weil sie im Schatten der überdachten Veranda gelegen hatte. Doch sie war viel zu kalt... Ihr Körper hatte wohl nicht mehr die Energie, sich selbst auf der normalen Temperatur zu halten, geschweige denn, das Fieber zu erzeugen, das Kioku am Morgen noch gehabt hatte. Mamoru öffnete die Haustür, schlang dann seine Arme um den ausgemergelten Leib und zog seine Tante in das Haus hinein. Im Wohnzimmer angekommen, fehlte ihm beinahe die Kraft, sie auf die Couch zu heben. Erst deckte er sie zu, dann holte er eine Schüssel Wasser und ein Tuch und begann, sie vorsichtig von Staub und Schweiß zu befreien, tupfte ihr Gesicht und den Hals ab und wusch ihre Arme und Beine. Dann hockte er sich neben sie auf den Boden und hielt ihre Hand fest. Bedrückt schaute er in ihr blasses Gesicht. Die eine Hand löste er von der ihren und fuhr sich damit über die Brust, als wolle er nach dem Goldenen Kristall tasten. Lange saß er so da und dachte nach. Und dann fasste er einen Entschluss. Als er die Hand wieder von seiner Brust löste, rief er den Goldenen Kristall zu sich und ein blasses Leuchten erschien in seiner Hand. Sachte drückte er den Kristall gegen Kiokus Handfläche und umschloss ihre Finger mit den seinen. Das sanfte Leuchten tauchte in ihre Haut ein und durchdrang von dort aus ihren Körper. Ein unangenehmes, schmerzhaftes Pochen im Rhythmus seines Herzschlages machte ihm klar, dass er Energie hergab, die sein eigener Körper genauso dringend benötigte, doch er ignorierte es mit zusammengebissenen Zähnen. Er traute dem Goldenen Kristall inzwischen so einiges zu, und er war sich sicher, trotz des Angriffs des Dämons war noch so viel Kraft in ihm, dass der Kristall sowohl seine Tante als auch ihn retten konnte. So verharrte er weiter, wartete, hoffte, und schwankte hin und her zwischen Verzweiflung, Vertrauen, Angst und Zuversicht. Er verfluchte sich selbst und den vergangenen Abend, verfluchte seine eigene Schwäche, verfluchte die Feinde, verfluchte seine Ohnmacht und verfluchte das Schicksal, das ihm all das angetan hat und fluchte schließlich auf die ganze Welt, in der er lebte. Und als ihm nichts mehr einfiel, was er noch hätte verwünschen können, hob er seine freie Hand und strich sachte über Kiokus Gesicht ... und es hatte endlich wieder die Temperatur angenommen, die für eine kranke Frau normal war: ein wenig erhöht, aber zum Glück nicht mehr am Rande des gesundheitlichen Abgrunds. Vorsichtig entfernte Mamoru den Goldenen Kristall aus ihrer Hand und ließ ihn in seinem Brustkorb verschwinden. Ein letztes Mal kontrollierte er, ob mit seiner Tante wirklich alles – den Umständen entsprechend – in Ordnung war, dann erhob er sich und wankte dem Ausgang entgegen. Ihr ging es gut genug, dass er sich einen Moment entfernen konnte, um sich um sein eigenes Wohlergehen zu kümmern. Er humpelte mehr zu seiner Wohnung als dass er ging und seine Wunden brannten höllisch unter seiner Haut, aber er getraute sich einfach nicht, die Kraft des Goldenen Kristalls zu nutzen, um seine eigenen Wunden zu behandeln. Zu sehr fürchtete er sich davor, dass er dann einfach kraftlos zusammensacken und nie wieder aufwachen könnte. Das konnte er immer noch nachholen, wenn er einmal ordentlich geschlafen hatte. Doch zunächst brauchte er eine kalte Dusche. Der Wüstensand brannte wie Feuer in seinen Wunden und scheuerte selbst die wenigen unverletzten Stellen seiner Haut auf. Bei dieser Gelegenheit konnte er endlich auch andre Klamotten anziehen. Was er nun auf dem Leib trug, hing größtenteils in Fetzen. Wenn Kioku endlich aufwachte, sollte sie nicht sofort vor Schrecken in Ohnmacht fallen, wenn sie ihn ansah. Das Wasser, das Augenblicke später über seinen geschundenen Körper perlte, biss unsäglich in den Wunden, aber die Abkühlung tat gleichzeitig auch gut. Doch im gleichen Maße, in dem sich sein Körper langsam von den Strapazen erholte, verhedderten sich Mamorus Gedanken in seinem Kopf, kreisen immer wieder um die vergangenen vierundzwanzig Stunden und führten einen wilden Veitstanz hinter seiner Stirn auf. Sie ließen sich nicht abschütteln. Immer und immer wieder flammte ein Gefühl von Schuld in ihm auf, wie ein böser Geist, der in seinem Kopf saß und ihn fortwährend daran erinnerte, was geschehen war. Er wusste, wenn seine Tante nicht bald aufwachen und ihm verzeihen würde, dann würde er wahnsinnig werden. Er musste zu ihr, musste bei ihr wachen, musste sich vergewissern, dass es ihr gut ging. Es war ein innerer Zwang, eine laute Stimme, deren Ton immer drängender wurde, bis sein Schädel zu zerplatzen drohte und er es keine Sekunde länger in der Dusche aushielt. Er trocknete sich ab und legte frische Kleidung an, nur Augenblicke später saß er wieder neben Kioku. Sie war noch immer nicht erwacht, aber sie machte schon einen sehr viel gesünderen Eindruck. Doch was sollte Mamoru ihr sagen, wenn sie denn endlich mal aufwachte? Wie erklärte man, warum einer von einem pelzigen Dämon angegriffen worden ist? Und was sollte er auf die Frage antworten, wohin das Biest inzwischen verschwunden war? Mamoru verkniff es sich, grübelnd im Kreis zu rennen, das würden seine Beine in diesem Moment wirklich nicht mitmachen. So blieb er da hocken, wo er war, am Boden, neben der Couch, auf der Kioku schlief. Er verließ seinen Platz nur dann und wann, um frisches, kühles Wasser zu holen, in dem er wieder und wieder einen Waschlappen tauchte, um die fiebrige Stirn seiner Tante zu kühlen und den Schweiß abzuwischen. Irgendwann – nach Stunden, wie es ihm schien – wurde ihm der Boden doch zu ungemütlich, und er zog sich einen Sessel heran. Das weiche Polster förderte nicht gerade seine Versuche, wach bleiben zu wollen. Genaugenommen war es schon ein kleines Wunder, dass er nicht schon vor einer Ewigkeit eingeschlafen war. Es gab wohl im Moment nur eines, das ihn aktiv am Schlaf hinderte, und das waren die Schmerzen. Ihrer überdrüssig starrte Mamoru auf die verkrustete Haut seiner Fingerknöchel. Er hatte inzwischen einen Punkt der Verzweiflung und Erschöpfung erreicht, der ihn seine Angst, den Goldenen Kristall einzusetzen, vergessen ließ. Er wollte nur noch schlafen. Tage- und nächtelang schlafen. Eine kleine Weile sah er zu, wie die verkrustete Haut sich wie in Zeitraffer erholte, bis nicht mal eine Narbe übrig geblieben war. All die größeren und kleineren Wunden an seinem Körper schrumpften auch allmählich zusammen, doch sie ganz verheilen zu lassen, dazu fehlte ihm nun doch endgültig die Kraft. Das Letzte, was er sah, ehe er einschlief, war Tante Kioku. "Du musst das Herz der Erde finden, bitte! Und suche nach dem Silberkristall! Du musst diese beiden Steine finden, Herr der Erde! Bitte, finde sie ... Kurzer..." Irgendetwas an diesen Worten kam Mamoru seltsam vor. Er schlug die Augen auf und fand sich im Wohnzimmer des Haupthauses der SilverStar-Ranch wieder. Er erinnerte sich dunkel daran, dass er in seinem Traum wieder die Prinzessin des Mondes gesehen hatte, und... "Kurzer? Alles klar bei Dir?" Die Stimme von Kioku. Es tat so gut, sie zu hören. Und wie lange war es her, dass sie ihn das letzte Mal beim Kosenamen gerufen hatte? Es schien ihm eine Ewigkeit zu sein. Er war noch ein wenig schlaftrunken, und er spürte ein leichtes aber nervtötendes Stechen in seinem Körper wie von einem Muskelkater; Der letzte Rest seiner Verletzungen meldete sich bei ihm. Aber von all dem abgesehen fühlte er sich nun schon wesentlich besser. Letzteren Eindruck hatte er auch von Kioku, als er in ihre Richtung sah. Sie lag noch auf der Couch, so blass und von einem feinen Schweißfilm überzogen, wie er sie zuletzt gesehen hatte, aber in ihre Augen war Leben eingekehrt. Sie stützte sich auf einen Ellenbogen und sah ihm verwirrt entgegen. Sie wirkte etwas verloren, fast so, als wisse sie nicht, ob das, was geschehen war, nur einem langen Fiebertraum entsprungen sein konnte oder pure Wirklichkeit war. Mamoru lächelte sie müde an, auch wenn ihm – fast schon schmerzhaft – zu Bewusstsein kam, dass er noch immer nicht wusste, wie er ihr all die seltsamen Geschehnisse erklären sollte. "Klar ist alles klar", antwortete er und hoffte, sie würde ihm das abkaufen. Ihre sonst so scharf ausgebildete Fähigkeit, Lüge von Wahrheit zu unterscheiden, schien tatsächlich durch ihren geschwächten Zustand beeinträchtigt zu sein. "Wie fühlst Du Dich?" "Als hätte mich ein Zug überfahren. Fünf Waggons, mindestens. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen", erwiderte sie und fasste sich an den Kopf. "Wie bin ich hier rein gekommen?" Mamoru verzog gequält das Gesicht, als sie diese Frage stellte. Er wusste noch immer nicht, wie er ihr beibringen wollte, was sie gesehen und erlebt hatte. "Wir zäumen das Pferd mal von hinten auf", schlug er also vor, "was ist das Letzte, an das Du Dich erinnern kannst?" Einen Moment lang sah sie ihn schweigend an. Sie dachte konzentriert nach, aber sie konnte sich auf ihre Gedanken wohl keinen Reim machen, denn sie schüttelte dabei verwirrt den Kopf. "Ich wollte draußen die Fenster putzen", erklärte sie dann zögernd. "Und dann war da dieses Vieh. So was wie eine Bisamratte oder so. Ich ... bin mir nicht mehr sicher, was dann passiert ist. Es ist so, als würde ich einen Traum sehen, der sich wie eine Decke über der Wirklichkeit ausbreitet..." Sie brach den Satz ab. Ihr schien die eigene Aussage so verworren zu sein, dass sie diese selbst nicht glauben wollte. "Ich habe Fieber", lenkte sie deswegen ab und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. "Meinst Du, ich habe nur einen merkwürdigen Traum gehabt?" Ihr Neffe wusste nur allzu gut, dass nichts davon nur ein Traum gewesen ist. All das war so real wie das unangenehme Gefühl, das sich gerade in ihm ausbreitete. Doch er musste nun so tun, als wisse er nicht, wovon sie gerade sprach. Darum antwortete er: "Ich weiß nur, dass ich Dich ohnmächtig auf der Veranda gefunden habe." Auf diese Aussage folgte eine lange, angespannte Stille voller unausgesprochener Gedanken. Er fragte sich, ob er jemals würde aufhören können, ein Lügengeflecht nach dem andren zu stricken. Aufregung wallte in ihm hoch, wenn er sich vorstellte, er würde all seine Lügen eines Tages nicht mehr aufrecht erhalten können; wenn er sich ausmalte, er könnte sich selbst durch eine Unachtsamkeit verraten und die ganze Wahrheit über ihn würde ans Licht kommen. Als ihm die Stille unerträglich wurde, wollte er sie mit einer Frage auflockern: "Wie kommst Du überhaupt auf die Idee, in Deinem Zustand Fenster zu putzen?" Er bereute die Frage in der Sekunde, in der er sie gestellt hatte, denn die unendlich tiefe Trauer und Verletztheit, die seit dem gestrigen Abend in ihren Augen gelegen hatten, kehrten nun wieder zurück. "Ich wollte mich ablenken", erklärte sie. "Von dem, was gestern Abend..." Abermals unterbrach sie sich selbst. Nachdenklich zog sie ihre Augenbrauen zusammen und sah ihren Neffen schief von der Seite an. Diesem ging ein eiskalter Schauer den Rücken runter. Das Letzte, was er nun gebrauchen konnte, war dass sie sich erinnerte, was er ihr angetan hatte. Wenn er nur gekonnt hätte, er hätte sich in diesem Augenblick am liebsten den Kristall aus der Brust gerissen und mit solchem Volldampf gegen die Wand gepfeffert, dass der Stein in tausend Stücke zerschellt wäre. Doch der größte Schock überkam ihm, als Kioku die folgende Frage stellte: "Was war eigentlich gestern Abend?" Fieberhaft dachte er nach. Das war die Frage. Die eine Frage, vor der er sich mehr gefürchtet hatte als vor dem größten Feind dieser Welt. Tausendmal war er in Gedanken durchgegangen, wie er ihr erklären konnte, weshalb er nach ihrer Lebensenergie getrachtet hatte. Doch von all diesen tausend Gedanken war nicht einer in seiner Erinnerung zurückgeblieben. Sein Kopf war völlig leer. Je mehr er sich zu konzentrieren versuchte, desto weniger wollten ihm die Gedanken gehorchen. Nach einem endlosen Augenblick der Stille konnte er ihrem Blick nicht mehr standhalten und richtete seine Augen dem Boden entgegen. Was sollte er ihr nur sagen? Was bloß? "Ich meine", nahm Kioku nun doch zögernd wieder das Wort auf, "Du bist doch gestern Abend hier gewesen ... oder?" Die Denkerfalten auf ihrer Stirn vertieften sich. "Oder?" Das war der Moment, wo Mamoru seinen Kopf langsam wieder hob und seine Tante verwirrt anstarrte. Sie konnte doch nicht ... hielt sie etwa all das, was da gestern gewesen ist...? Ein wahnwitziges Funkeln trat in Mamorus Augen. Er befand sich – metaphorisch – blind am Rande eines Abgrundes, und wenn er einen Schritt rückwärts gehen konnte, war er gerettet. Wählte er aber die falsche Richtung, war alles umsonst gewesen. Deswegen wählte er seine Worte nun sehr bedacht: "Natürlich war ich gestern hier. Ich lasse Dich doch nur sehr ungern alleine, wenn Du krank bist. Weißt Du etwa schon nicht mehr? Du hast früh am Abend Fieber bekommen und Dich nicht wohl gefühlt. Ich habe mir Sorgen um Dich gemacht und wollte mich ein wenig um Dich kümmern, deswegen habe ich die Zeit bei Dir verbracht. Du hast allerdings sehr unruhig geschlafen." Er wusste nicht, ob er sein Theater auf die Spitze trieb, doch er fügte trotzdem nach kurzem Zaudern – und mit stark beschleunigtem Herzschlag – den Satz hinzu: "Hattest Du etwa einen Alptraum?" "Es kam mir aber gar nicht vor wie ein..." Doch Kioku beendete ihren Einwand selbst und schüttelte den Kopf. Stattdessen legte sie ein Entschuldigung heischendes Lächeln auf und erklärte: "Aber das ist doch typisch für einen Fiebertraum, oder?" Erleichtert seufzte Mamoru auf. "Japp ... lästige, kleine Viecher. Kommen einem öfters mal realer als die Realität vor." "Das wird es sein", nickte auch sie. Die Angelegenheit schien endlich erledigt. Doch einen aller letzten Schritt musste Mamoru noch gehen, damit er sein Gewissen endgültig beruhigen konnte: "Sag mal, wenn es Dir wieder besser geht ... magst Du dann mit Onkel Seigi zu mir kommen, auf ein Abendessen? Ich würde euch dazu ganz gern mal einladen." Endlich setzte Kioku wieder eines ihrer spitzbübischen Grinsen auf, als sie fragte: "Dosenfraß und selbstgekaufte Hamburger?" Mamoru mimte den Eingeschnappten und verschränkte die Arme vor der Brust. "Was denkst Du eigentlich von mir? ...Wofür gibt es denn den Pizza-Service?" "In dieser Einöde?" Kioku zog eine Augenbraue hoch. "Bis da einer kommt, sind wir verhungert." Beide lachten herzlich. Es war Mamoru, als sei ihm ein ganzes Gebirge vom Herzen gefallen. Ihm tat es so gut, so unermesslich gut, endlich wieder mit seiner Tante lachen zu können. Und genau in diesem Moment ging die Tür auf und ein wohlbekanntes Gesicht erschien darin. "Ihr lacht? Ohne mich?", fragte Seigi im Scherz, als er eintrat. "Oder lacht ihr gar über mich?" "Immer", meine Mamoru. "Ununterbrochen", kam es von Kioku. "Du bist quasi unsere Zielscheibe Numero Uno.", ergänzte ihr Neffe wieder. "Ein ganzes Repertoire an Zielscheiben." "Die Mutter aller Zielscheiben." "Wenn mich einer nach DER Zielscheibe schlechthin fragen würde, dann würde ich ihm ein Bild von Dir zeigen." "...und dann drauf schießen." "...und DANN auf Dich selber schießen", beendete Kioku eifrig nickend. Kopfschüttelnd, aber noch immer mit einem sanften Lächeln auf den Lippen, antwortete Seigi: "Ich hab euch beide auch lieb." "Willkommen zu Hause", lachte Mamoru. Und als er einen Blick durch das Fenster warf und feststellte, dass es draußen längst dunkel war, fügte er hinzu: "Apropos ... es ist schon reichlich spät. Ich würde mich unglaublich gerne ins Bett machen, heute war ein anstrengender Tag." "Für mich auch", erwiderte sein Onkel und fuhr sich durch das Gesicht, um die Müdigkeit zu vertreiben. "Bist Du morgen zum Frühstück hier? Dann könnte ich euch beiden von meiner Reise erzählen! Oklahoma City ist wirklich eine interessante Stadt!" "Gerne!", nickte Mamoru. Er küsste seine Tante zum Abschied auf die Stirn, wünschte seinem Onkel eine gute Nacht und verschwand schließlich durch die Haustür, um sich in seine eigene Wohnung zurückzuziehen. "Du bist heute krank?", fragte Seigi besorgt, als er sich neben seine Frau hockte und ihr sachte über das Gesicht strich. "Mir geht es schon wieder besser", lächelte sie darauf tapfer. "Morgen wird alles nur ein böser Spuk gewesen sein." "Das hoffe ich", nickte Seigi. Auch er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. "Ich bringe schnell den Koffer hoch, dann komme ich noch mal zu Dir." "Brauchst Du nicht", winkte Kioku ab, "ich gehe nun auch schlafen. Geh schon mal vor, ich hole mir nur noch schnell etwas zu trinken." "In Ordnung." Er stand auf, schnappte sich seinen Koffer, nickte ihr noch einmal zu und verschwand dann in Richtung Treppe. Kioku indes hievte sich von der Couch hoch und schlurfte müde in die Küche, wo sie sich ein Glas mit Saft befüllte. Es war ihr ein seltsames Gefühl, hier zu sein. Hier war es, zumindest laut ihrem seltsamen Traum, wo ihr eigener Neffe sie angegriffen haben soll ... doch das war vollkommener Blödsinn. Er würde das nie tun, das wusste sie. Dennoch war sie den ganzen Tag über so kindisch gewesen, dieses Zimmer nicht zu betreten. Sie hatte in all der Zeit nichts gegessen, hatte aber auch keinen Hunger gehabt aufgrund ihrer Krankheit und wegen all des Schwachsinns, den sie sich selbst eingeredet hatte. Sie hatte sogar nur Leitungswasser im Bad getrunken, um nicht in die Küche zu müssen. Wie sie sich doch angestellt hatte, und das nur, weil sie einen Traum nicht von der Wirklichkeit hatte unterscheiden können! Sie stellte das leere Glas in die Spüle und wandte sich zum Gehen um, da verharrte sie noch einen Moment und schaute auf den Boden. Da lag doch etwas. Sie beugte sich vor und sah genauer hin. Ihr Gesicht verlor alle Farbe. Blut. Eine winzige Lache geronnenen Blutes. Bilder überkamen ihre Erinnerungen, wie Mamoru über sie hergefallen war, und wie sie ihm daraufhin im verzweifelten Kampf die Suppenkelle gegen die Schläfe geschlagen hatte. Doch vorhin war ihr an ihm nicht ein Kratzer im Gesicht aufgefallen. Wie um alles in der Welt konnte nur...? "Schatz?", tönte Seigis Stimme leise aus dem oberen Stockwerk zu ihr. "Kommst Du?" Einen Moment schloss Kioku die Augen. Sie versuchte wie wild, die Gedanken hinter ihrer Stirn zu ordnen, doch diese wollten einfach kein logisches Muster ergeben. "Ich bin gleich da!", rief sie schließlich zurück. Da nahm sie schnell etwas Küchenpapier, befeuchtete es am Wasserhahn und wischte das Blut vom Boden auf. In der Sekunde, als sie das schmutzige Tuch in den Mülleimer katapultierte, beschloss sie, niemals wieder an den vergangenen Abend zu denken. Sie entschied, gerade eben ein Puzzleteil aus einem fremden Spiel gefunden zu haben, das in ihrem Satz an Puzzleteilen nichts verloren hatte. Also warf sie es weg und verschwendete nie wieder einen Gedanken daran, welches Bild sich aus diesem Teil ergeben hätte. [Anmerkung des Autors] Ich lebe noch! ^^ Tut mir Leid, dass ich so lange gebraucht hab, das neue Kapi zu schreiben. ^^°°° Ich bleibe dabei: Diese Story wird nicht abgebrochen! Die schreib ich fertig, und wenn es das Letzte ist, was ich tu! (Und wenn es hundert Jahre dauert...) Ich kann aber nicht versprechen, dass neue Kapis regelmäßig kommen. VERSUCHEN werd ich es ... Aber wie heißt es so schön? Ich verspreche nichts - doch das halte ich auch. Jedenfalls... Dieses Kapitel widme ich ganz besonders meiner guten Freundin , weil sie heut Geburtstag hat. ^^ Happy Birthday. Bleibt mir treu! ;) Euer theDraco Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)