Liebe, Leid und Leben von theDraco (Mamorus Jugend) ================================================================================ Kapitel 42: ------------ Als es hörte, was der Herr der Erde sagte, da war es höchst zufrieden mit sich selbst. Es würde sich nun wieder eher auf die Mission als auf den Herrn der Erde konzentrieren können. Und so sammelte es seine Macht an, verließ die Dimension der zeitlosen Finsternis und betrat die Welt der Menschen, diesmal in einer Stadt im Osten von Australien, direkt an der Küste zum Pazifischen Ozean. Hier wollte es damit beginnen, die Energie zu sammeln, die für den weiteren Verlauf der Mission erforderlich sein würde. Schon jetzt spürte es, wie sein Energielevel bisher angestiegen war. Es hatte in den letzten Tagen viel Zeit damit verbracht, Energie von überall auf der Welt heranzuschaffen. Inzwischen stand es kurz davor, mithilfe dieser Energie endlich wieder einen Körper aus fester Materie zu erschaffen; einen lebensfähigen, echten, warmen Körper aus Fleisch und Blut! Wie sehr sehnte es sich danach, endlich wieder zu leben, zu atmen und einen Herzschlag zu besitzen! Unweit vor seinem Versteck im Schatten zwischen den Häusern schleppte eine Frau gerade an ihren Einkaufstüten. Trotz der Nachmittagshitze pfiff sie fröhlich ein Lied vor sich hin. Sie war allein. Ein perfektes Opfer. Es verharrte lautlos im Schatten, bis die Frau an ihm vorüber war. Als es dann aber einen Schritt vorwärts machte, hatte es für einen kurzen Moment vergessen, dass sein Körper schon beinahe vollkommen war und nun nicht mehr schwerelos über den Boden glitt. Sein Fuß knirschte leise im Sand. Die Frau schien wohl ein gutes Gehör zu haben. Erschrocken wandte sie sich um und fragte leise: "Who's there?" Und als sie es sah, das aufgrund seiner Schwingen sehr groß und bedrohlich wirkte, da stieß sie einen kurzen, spitzen Schrei aus. Doch zu mehr war sie nicht mehr fähig. Irgendwie fand Mamoru keine Lust, schon nach Hause zu gehen. Es war ihm lieber, noch ein wenig in der Stadt herumzustreunen (solange er noch eine Stadt in seiner unmittelbaren Nähe hatte) und zu warten, bis es Abend war. Sein Onkel Seigi würde wohl in wenigen Stunden von der Arbeit nach Hause kommen. Bis dahin wollte Mamoru die Zeit nutzen um etwas nachzudenken. Immerhin hatte er in den letzten Tagen und speziell in den letzten Stunden eine ganze Menge erlebt. Schon jetzt dachte er sich hundert Sachen aus, die er besser machen wollte, sobald er in Amerika war. Was davon er hinterher auch wirklich realisieren würde, war eine andere Frage. Als er dann endlich zu Hause ankam, war es doch erheblich später, als er eigentlich beabsichtigt hatte. Es begann allmählich richtig düster zu werden und die Straßenlaternen waren bereits vor einiger Zeit angesprungen. "Ich bin wieder zu Hause!", tönte Mamoru den Flur entlang, während er sich die Schuhe auszog. "Hey, Kurzer!", begrüßte ihn Kioku, die ihm schon entgegenkam. "Wo bist Du so lange gewesen? Ich hab Dir schon tausendmal gesagt, Du sollst Bescheid geben, wenn Du länger weg bleibst. Also wenn Du so weitermachst, dann dauert es nicht mehr lange, und ich fessele Dich auf irgend einem Stuhl fest. Dann weiß ich wenigstens, wo Du bist." "Ja, ja", brummelte er vor sich hin. "Es tut mir Leid. Ist Onkel Seigi schon zu Hause?" Kioku nickte. "Er sitzt gerade in der Küche und mampft sein Abendessen. Sag mal, hast Du nicht auch langsam Hunger?" Mamoru verschwand geradewegs in seinem Zimmer. "Ja, ... ich komme gleich nach. Ziehe mich nur noch schnell um." Er knöpfte sein Hemd auf und streifte es sich von den Schultern. Während er seinen Gürtel öffnete, ging er zum Kleiderschrank und suchte sich etwas heraus. , dachte er so bei sich. Er tat es trotzdem. Und wie er unter großer Kraftanstrengung seinen Kopf durch die obere Öffnung seines Pullovers zwängte und danach auch noch bemerkte, dass ihm die Ärmel allmählich etwas kurz waren, stellte er zufrieden fest: Er war wohl wieder um einiges gewachsen. Er würde wohl mit Tante Kioku zum Einkaufen gehen... Dieser Gedanke behagte ihm mit einem Male überhaupt nicht mehr. Sie würde wahrscheinlich wieder die buntesten und peinlichsten Sachen raussuchen und sagen "Oh, ist das süß" und "probier das hier doch mal an". Dann würde er sich mit ihr streiten, weil sie Berge von Klamotten kaufen wollen würde, die er noch nicht mal im Dunklen anziehen wollte. Schlussendlich würden sie Stunden oder gar Tage mit shoppen verbringen, seine Tante würde ihn ein Duzend mal zur Weißglut treiben und er würde im Irrenhaus enden. , dachte er mit grimmigem Gesichtsausdruck. Schlussendlich, als er fertig war mit umziehen, verstaute er seine silberne Halskette unter seinem Pullover, zog seine Hausschuhe an und schlurfte in die Küche, wo er zuallererst nach seinen Tabletten griff, um etwas gegen das unangenehme Ziehen zu tun, dass wieder einmal seinen Bauch plagte. Sowohl sein Onkel als auch seine Tante saßen am Esstisch und stopften das Abendbrot in sich rein. "Hier! Hol Dir!", bot Kioku an. Mamoru nickte. Doch als er an den Tisch trat, hielt er noch mal inne. "Tante Kioku, Onkel Seigi, ich hab euch beiden was zu verkünden." "Ja?", sagte Seigi und lächelte ihn aufmunternd an. "Dann leg mal los." Auch Mamoru lächelte jetzt als er bekannt gab: "Ich habe mich entschieden. Ich ziehe mit euch nach Amerika." Kurze Zeit herrschte angespannte Stille. Dann erhob sich Seigi, ging um den Tisch herum und umarmte Mamoru. "Das freut mich", flüsterte er. "Es ist großartig, dass Du Dich so entschieden hast. Danke, Mamoru. Das finde ich ganz toll!" Zu solch später Stunde wurde es immer schwerer für ihn ein Opfer zu finden. Doch es hatte sowieso nicht mehr sehr viel Energie nötig, um die Vollendung zu erreichen. Gerade eben noch war es wieder in die Dimension der zeitlosen Finsternis zurückgekehrt, um dem Tier etwas von seiner frisch gesammelten Energie abzugeben. Nun befand es sich schon wieder in der Welt der Menschen, auf der Suche nach neuer Energie. Sehr schnell war ein passendes Opfer gefunden: Ein alter, mufflig riechender Penner mit langem Bart lag im Park auf einer Bank und schnarchte, dass man es weithin noch hören konnte. Eigentlich besaßen solche Leute recht wenig Kraft, weil sie Tag für Tag hart um ihr Überleben kämpfen mussten, und außerdem waren sie gewöhnlich unter seiner Würde. Doch die Zeit drängte ihn und so war es nicht sehr wählerisch. Außerdem fehlte ihm nur noch ein geringes Maß an Energie, und jedes Quäntchen konnte womöglich von Bedeutung sein. Also legte es einen Finger an den Hals des Schlafenden und ließ ihm gerade noch die Kraft, die nötig war, den nächsten Tag zu überstehen. Eine sonderbare Wandlung ging mit ihm vor. Wo gerade noch ein schwarzes Wesen von nicht näher erkennbarer Form mitten in der Dunkelheit des Parks gestanden hatte, das stand nun ein Körper, der Farbe und Dichte besaß, wie es das letzte Mal vor etwa tausend Jahren der Fall gewesen war. In gewisser Weise hatte dieser Körper etwas menschliches an sich. Es hatte die langen, muskulösen Beine und die schlanken Arme mit den filigranen Fingern eines Menschen. Doch in gewisser Weise war da andererseits etwas, das es eindeutig von den Menschen unterschied. Die gigantischen Schwingen, zum Beispiel, die aus seinen Schulterblättern heraus wuchsen. Diese gewisse Aura, die von seiner ganzen Erscheinung ausging. Oder die blasse Haut, die nur von dünnem Stoff bedeckt war. Nach einigen ersten, tiefen Atemzügen fuhr es zunächst einmal mit den langen Fingern über das dunkle Holz der Parkbank. Endlich hatte es wieder ein richtiges Gefühl in den Fingerspitzen! Keine ewige, ungewisse Taubheit mehr! Es spürte allmählich die kühle Nachtluft um sich herum, und es begann damit, die Gravitation des Planeten endlich wieder im vollen Ausmaß zu spüren. Behutsam legte es einen Finger an seinen Hals und fühlte das gleichmäßige Pulsieren eines lebenden Herzens. Nach langer, sehr langer Zeit floss wieder rotes Blut durch seinen Körper. Welch ein erhebendes Gefühl! Es fühlte auch einen leichten Schmerz, als es seine Hand wieder zurückzog und sich ungelenk mit seinen langen, scharfen Fingernägeln eine längliche Wunde in die Haut riss. Doch daran störte es sich nicht im Geringsten. Binnen weniger Sekunden war der Riss wieder verheilt. Hinter ihm erscholl ein leises Klatschen; der Beifall einer einzelnen Person. Nicht frenetisch, eher mit einem leicht zynischen Klang und langsamem Rhythmus. "Na, sieh mal einer an", ertönte die Stimme eines jungen Mannes hinter ihm. "Du besitzt doch tatsächlich noch Deine alte Macht. Oder sollte ich besser sagen: Du besitzt wieder Deine alte Macht?" Langsam wandte es sich der Quelle dieser Stimme zu. Es sah sich einem hochgewachsenen Kerl gegenüber, mit extrem hellen, blonden, sehr kurzen Haaren und einem sauberrasierten Bart. Seine dunklen Augen im stark gebräunten Gesicht funkelten ungewöhnlich in der sonst so düsteren Umgebung. Der Mann trug eine Art Uniform, wie man sie vielleicht zu besonderen Anlässen im Militär tragen mochte; von hellblauer Farbe und mit goldenen Kettchen verziert, die horizontal über die Brust hinweg gespannt waren. "Ich kenne Dich", sprach es langsam. Dies war das erste Mal seit etwa tausend Jahren, seit es wieder eigene Stimmbänder besaß und sie auch einsetze. Die Stimme klang rau. "Dein Name ist Amethysyte. Im Königreich des Dunklen bist Du der Repräsentant für Australien. Du hast mich wiedererkannt?" "Natürlich", antwortete Amethysyte im amüsierten Unterton. "Selbstredend wäre ich dazu nicht in der Lage gewesen, hätte mir Meister Neflyte nicht erzählt, dass Du Dich mit Jedyte angelegt hast. Das hat in unseren Reihen großes Aufsehen erregt. Auch Deine Aktionen, mit denen Du den Menschen die Energie stiehlst, sind nicht unentdeckt geblieben. Und als ich gemerkt habe, dass in meinem Teil dieser Welt etwas nicht so ganz in Ordnung ist, da habe ich mir gleich gedacht, dass Du dahinterstecken musst. Sag mal, was bezweckst Du damit eigentlich? Das alte Königreich des Silbermondes ist vernichtet. Das Dunkle Königreich wird zu neuer Macht auferstehen. Was spielst Du in diesem Spiel für eine Rolle?" "Ich habe Dir nicht Rede und Antwort zu stehen, Amethysyte!", giftete es ihn an. "Du und ich, wir haben uns seit tausend Jahren nichts mehr zu sagen. Wir mögen damals vielleicht auf der selben Seite gekämpft haben, aber dann..." Die Hände zu Fäusten geballt stand es da und sprach nicht mehr weiter. "Bitte?", erkundigte sich Amethysyte. Das selbstsichere Lächeln war von seinen Lippen verschwunden. "Wovon redest Du..." Doch er bekam nicht mehr die Zeit, seine Frage auszusprechen. "Oh, doch. Du weißt es nur nicht. Aber Du und ich, wir kämpften dereinst für die gleichen Ziele." "Tatsächlich?", machte Amethysyte. Das selbstsichere Lächeln kehrte wieder auf seine Lippen zurück. Er fuhr mit der Hand über seinen Bart und zwirbelte ein wenig die Spitze an seinem Kinn. "So was. Und nun bist Du also wieder aktiv, reist in der Weltgeschichte herum und raubst den Menschen ihre Energie. Die Frage stellt sich nur: Für welche Seite tust Du es? Für welches Ziel?" "Ich könnte es Dir erklären." Es lächelte bitter. "Aber ich denke, in Deiner jetzigen Verfassung würdest Du es ja doch nicht verstehen. Die Macht, die über Dich herrscht, blendet Dich zu sehr." "Hmmm." Der Herr von Australien machte ein nachdenkliches Gesicht. Nach einer Weile antwortete er: "Ich verstehe eines sehr gut: Solltest Du gegen uns agieren, wird Dir das nicht gut bekommen. Niemand kann das Königreich des Dunklen aufhalten. Wenn Du allerdings für uns arbeiten würdest..." Er lachte auf. Es klang irgendwie kalt. "Du und ich, wir tun doch so oder so das Gleiche. Wir sammeln Energie. Doch das Königreich des Dunklen tut nützliche Sachen damit. Die ganze Erde wird uns gehören und von Dunkelheit erfüllt werden. Reizt Dich nicht auch der Glanz der absoluten Macht? Kämpfe für unsere Seite! Und auch Du sollst Anteil haben am Ergebnis!" Ein leises Kichern kam über seine Lippen. Es ließ sich auf der Bank neben dem Penner nieder und starrte sein Gegenüber an. "Sag mir, Amethysyte, wessen Idee ist es eigentlich, mich zu so was zu überreden? Kam etwa Neflyte auf diesen glorreichen Gedanken? Weiß Deine Königin davon? Denn so, wie ich sie einschätze, wird Königin Perilia wohl etwas dagegen haben, wenn ich plötzlich unter ihr stehen wollte ... wo es mir damals doch beinahe gelungen war, Kunzyte auszulöschen..." "Aber...", versuchte der Herr Australiens einzuwerfen, doch es sprach ungerührt weiter: "...und außerdem ... selbst, wenn wir nun die selben Ziele hätten, so bin und bleibe ich doch ein Einzelgänger. Es gibt nur einen, der über mir steht. ...Und dann gibt es da noch etwas, was mich davon abhält, unter den euren zu weilen: Kunzyte war es, der mich damals in diesem höllischen Gefängnis eingesperrt hat. Liefere ihn mir aus, und Du wirst seine zerfetzte Leiche in alle Winde verstreut finden. Hab ich mich klar ausgedrückt?" Amethysyte wich einen Meter zurück und knurrte boshaft. "Du wagst es, so über Lord Kunzyte zu reden??? Vielleicht war es doch ein Fehler, Dich zu fragen. Vergiss es. Ich habe nie ein Wort an Dich verloren, abgemacht? Nur eines noch: Verschwinde aus meinem Land! Sollte ich Dich hier noch ein mal erwischen, drehe ich Dir den Hals rum!" "Du willst mir drohen?" Es kicherte amüsiert. "Dass ich nicht lache! Auch, wenn meine Macht noch nicht den alten Stand wieder erreicht hat, so vermag ich Dich dennoch allemal fertig zu machen! Du gehörst immerhin nicht zum Stand der Prinzen der vier Winde! Du bist nur ein einfacher Soldat, dem man ein Stück Land gab, damit er brav auch weiterhin das tut, was man von ihm verlangt. Jeder Hund, der unter der Sohle seines Herren kriecht, ist besser dran als Du! Du bist nichts als ein Diener. Ein niederer Speichellecker. Du stehst in Deinem Ansehen kaum über den Monstern und Dämonen, die Dein Königreich für seine Ziele so bereitwillig opfert. Du hältst Dich für wichtig? Den Tag möchte ich erleben, an dem sich Deine Königin für Dein Wohl entscheidet und es über das Wohl der Prinzen der vier Winde setzt! Verschwinde aus meinem Blickfeld, Du Wurm! Oder ich werde Dich zertreten!" "Das wirst Du bereuen!", kreischte Amethysyte. Doch dann verschwand er wieder im Basislager des Königreichs des Dunklen. Es bliebt lachend alleine zurück in der Finsternis der Nacht. "Verdammt noch mal, halt still!", schimpfte Kioku. "Vergiss es! Darauf kannst Du lange warten!", fauchte Mamoru und wich noch einen Schritt zurück. Er hatte es nicht wirklich lange geschafft, vor seiner Tante geheim zu halten, dass ihm sogar ein ganzer Berg von Klamotten inzwischen nicht mehr passte. Und Kioku, das Alpha-Weibchen des Hauses, hatte beschlossen, am nächsten Tag zum Shoppen zu gehen. Und da zum einen Kiokus Wort dem Gesetz gleichbedeutend war und besagter nächster Tag nun angebrochen war, hatte Kioku ihren Neffen nach dem Unterricht von der Schule abgeholt und seitdem waren die Beiden seit anderthalb Stunden unterwegs, von Geschäft zu Geschäft laufend. Mamoru hatte an und für sich nichts dagegen, dass Kioku ihm neue Sachen kaufte. Aber musste er deshalb gleich mitkommen? Na gut, auf der anderen Seite hatte er sie so davon abhalten können, diesen Pullover mit diesem süßen Bärenkopf vorne drauf zu kaufen... Warum konnte er nicht einfach nur etwas aussuchen, es kaufen und damit war die Geschichte fertig? Nein, stattdessen hatte er jedes einzelne Teil anprobieren müssen. Und seine Tante gab sich erst zufrieden, wenn sie überall dran herum gerüttelt hatte, mit ihren Fingern in jede noch so kleine Ritze gefahren war und mit kritischem Blick jeden Zentimeter gemustert hatte. Und genau das war es, was dem Herrn der Erde allmählich zuviel wurde. "Stell Dich nicht so an", meckerte Kioku. "Es wird keine Hose gekauft, die Dir nicht passt." "Mir passt bloß nicht, dass Du mich behandelst wie ein kleines Kind!", giftete Mamoru zurück. Er war mittlerweile müde und grantig. Ihm war eigentlich fast egal, was er auf dem Leib trug, solange es ihn nur warm hielt. Doch Kioku war noch putzmunter und hatte die Energie, noch viele weitere Stunden lang durch die Läden zu stiefeln. , dachte Mamoru grimmig, aber diese Idee setzte er dann doch nicht in die Tat um. "Wenn Du jetzt brav bist", schnurrte Kioku mit einem Zwinkern, "dann gehe ich nachher mit Dir ins Café, um Dein gutes Zeugnis zu feiern. Du kannst so viel Schokoladenkuchen haben, wie Du essen kannst. Na, ist das ein Angebot?" <...> "Schokoladenkuchen, sagtest Du?" Dieses eine Wort reichte völlig aus, um sein Denkvermögen und seine schlechte Laune mit einem Mal wegzuwischen. "Einverstanden!" Es dauerte doch eine ganze Weile, bis Mamoru zu seinem wohlverdienten Schokoladenkuchen kam. Er verdrückte tatsächlich einige Portionen davon, und Kioku vertrieb sich die Zeit damit, in einer Zeitung herumzublättern, die sie für Seigi gekauft hatte. "Krieg ich auch nen Teil?", fragte Mamoru und deutete auf die neuesten Nachrichten. "Klar doch." Mamoru beugte sich über den Tisch und griff nach dem nächstbesten Artikel, den er in die Hand bekam. "Mal sehen...", murmelte er und überflog die Überschriften. Irgendwas mit Politik... Irgendwas mit Wirtschaft... Noch was mit Politik... Langweilig... Langweilig... Noch langweiliger... "Was?", murmelte Mamoru verstört, "Dreiköpfiges Schaf heiratet außerirdischen Yeti-Klon? Was ist das hier denn für ne Zeitung, bitteschön?" Politik... Politik... Wieder Wirtschaft... Am langweiligsten... Leere Versprechungen... "Hmmm?", machte Mamoru und seine Augen blieben an einem Artikel kleben. "Was ist denn?", fragte Kioku und sah von ihrem Teil der Zeitung auf. Er legte die Zeitung auf den Tisch und wies auf den Bericht, den er soeben entdeckt hatte. "Ach", machte Kioku. "Schon wieder so eine Reportage über diese merkwürdige Krankheit. Anscheinend breitet es sich über die ganze Welt aus, dass Leute einfach umkippen und dann wirres Zeug reden, wenn sie wieder zu Bewusstsein kommen. ...Du machst Dir Sorgen deswegen, was, Kurzer?" Der Kurze zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll", gestand er. "Mach Dir mal keinen Kopf." Beruhigend klopfte Kioku ihm auf die Schulter. "Es ist anscheinend nichts wirklich Schlimmes. Bisher ist noch keiner daran gestorben. Ich denke, im Moment sollten Dich wirklich andere Dinge interessieren." , dachte Mamoru. Und dabei wusste auch er so gut wie gar nichts. Er seufzte auf. Aber was sollte er tun? Was konnte er schon ausrichten in dieser Schlacht, in der er den Gegner nicht mal richtig kannte? "Kurzer...", sagte Kioku, "halt mal grad still, Du hast da anscheinend ein paar Krümel am Kinn hängen..." Sie wischte ein paar Mal über besagte Stelle hinweg und zog dann verwirrt die Augenbrauen zusammen. "Himmel, was hast Du da nur? Das geht ja gar nicht ab!" "Tante Kioku!", entrüstete sich Mamoru. "Das ist ein Bart!" "Bitte?", fragte Kioku erstaunt nach. "Was soll das sein?" "Ein Bart!" "Was denn, dieser Flaum?", prustete Kioku los. Sie verfiel bald in meckerndes Lachen. "Was willst Du damit machen, den Fliegen die Augen auspieksen? Also, dafür ist das da aber nicht dick genug!" "Was willst Du denn damit sagen?", maulte Mamoru vor sich hin. "Kurzer ... mal ehrlich ... das, was Du da im Gesicht hast, das haben andere, die sich nen Vollbart wachsen lassen wollen, schon nach drei Stunden erreicht, und nicht erst nach drei Tagen!" "Du bist gemein", beschwerte er sich nuschelnd. "Die ganze Welt ist groß und gemein", antwortete Kioku schulterzuckend. "Ich schlage vor, wir gehen jetzt heim, Du machst Dir diesen rudimentären Mikro-Urwald ab und suchst Dir dann ein anderes Hobby, einverstanden?" "Pöh!" "Glaub mir, Kleiner, Du würdest Dich wundern!", prophezeite Kioku. "Was meinst Du wohl, was Du für Probleme kriegst, wenn Du das nächste Mal Schnupfen hast? Das ist was echt Ekliges, mein Kurzer. Du weißt ja, dass Dein Vater Keibi einen Oberlippenbart hatte. Er hat mir regelmäßig was vorgejammert, wenn er sich schnäuzen musste. Er hat zwar immer gesagt, das Ding käme ab, aber dran gehalten hat er sich nie. Ich rate Dir: Fang gar nicht erst damit an. Und jetzt komm. Es wird Zeit, nach Hause zu gehen." Nach dem Treffen mit Amethysyte kehrte es zufrieden lächelnd wieder in die Dimension der zeitlosen Finsternis zurück, um sich wieder um das Tier zu kümmern, das immer noch in tiefem Schlummer gefangen war. "Sieh mich an", flüsterte es leise. "Ich habe wieder einen lebensfähigen Körper! ...Bitte, mach Deine Augen auf und sieh mich an! ...Bitte..." Doch das Tier war zu tief im Schlaf versunken. "...Ist schon gut...", wisperte es in die Stille hinein. "Ich weiß, Du kannst noch nicht. Ich bitte Dich nur darum, so bald als möglich zu erwachen. Bitte..." Es kniete neben dem Tier nieder. Es legte seine Hände auf das Fell des Tieres und übergab ihm seine Kraft. Allmählich spürte es, wie sein Körper wieder an wertvoller Lebensenergie verlor. Doch das musste nun sein. Es wollte nicht ohne seinen alten Partner in dieser neuen Welt der gegenwärtigen Zeit gegen die uralten Feinde kämpfen. Es fühlte die langsam aufkeimende Müdigkeit in sich aufsteigen, je mehr Kraft es an das Tier abgab. Die Energie von gewöhnlichen Menschen reichte nun mal nicht aus für den gigantischen Bedarf, der von ihm und von dem Tier gedeckt werden musste. Plötzlich fuhr ein Zucken durch den Leib des Tieres. Es bewegte sich unter immer ungleichmäßigeren und schwereren Atemzügen. Das weiche Fell über der Brust weitete sich aus und fiel wieder zusammen mit jedem Atemstoß. Und dann hob das Tier ein Augenlid. Zum ersten Mal seit tausend Jahren erwachte es aus seinem tiefen Schlaf. Es schlug die Hände vor dem Mund zusammen. "Du bist wach", flüsterte es fassungslos. "Du bist endlich vollends erwacht! Wie geht es Dir? Beweg Dich nicht, bleib noch liegen. Schone Dich noch. Sammele Energie, damit Dein neu erwachtes Bewusstsein schon bald einen neuen Körper erschaffen kann, der auch in der Welt der Menschen zu leben imstande ist. Oh, wie sehr ich mich freue, zu sehen, dass Du wohlauf bist! Du hast mir so sehr an meiner Seite gefehlt!" Das Tier hob schwerfällig den Kopf und nickte ihm zu. Dann legte sich das Tier wieder flach hin und ruhte sich aus. Auch ihm war es so ergangen, vor ungefähr zehn Jahren, nach Menschenzeit berechnet, die sich für ihn allerdings sehr viel länger angefühlt hatten. Zu diesem Zeitpunkt war sein Bewusstsein in dieser Dimension erwacht. Eingeschlossen in einem materielosen Körper, der nicht wirklich existiert. Nach langem Kampf im Alptraum der Unendlichkeit war es damals endlich in dieser Dimension der zeitlosen Finsternis erwacht, und konnte unter großer Anstrengung von hier aus in die Welt der Menschen reisen; als konturloser Wind, als Alptraum, als Schrecken in der Nacht. Zehn geschlagene Jahre hatte es gebraucht, um heute zum ersten Mal nach eintausend Jahren seinen Körper neu zu materialisieren. Und auch das Tier, das bis zu diesem Zeitpunkt geschlafen hatte, war endlich in dieser Zwischendimension zwischen dem Tod und der Welt der Menschen erwacht. Bald würde es auch die letzte Hürde nehmen und sich einen Körper beschaffen; denn das Tier benötigte dazu nicht annährend so viel Energie, wie es nötig gehabt hatte, um diesen Schritt in die Welt der Menschen zu tun. Von nun an waren beide nicht mehr auf die Dimension der zeitlosen Finsternis angewiesen. Wenn sie ständig neue Energie beschafften, konnten sie durchaus in der Welt der Menschen weiterexistieren. Alles, was sie brauchten, um diesen letzten Schritt in die Freiheit tun zu können, war Energie ... viel Energie. "Ich bitte Dich, Herr und Meister, gib uns Deine Macht, damit wir dieses Gefängnis endlich verlassen können", betete es in die Stille hinein. Auch das Tier öffnete die Lippen, doch es brachte noch keinen Ton heraus. "Bleib ruhig", flüsterte es dem Tier zu. "Ich weiß, woher wir genug Energie bekommen werden. Doch Du wirst Dich noch ein paar Tage gedulden müssen, mein Partner. Bis dahin werden wir mit der Energie der gewöhnlichen Menschen auskommen müssen. Doch dann, wenn die Zeit gekommen ist, bin ich mir sicher, dass der Herr und Meister uns genügend Energie zukommen lassen wird." Inzwischen waren einige Tage vergangen. Tage, in denen vieles vorbereitet wurde. Tage, in denen vieles geregelt wurde. Tage, in denen viele wichtige Einkäufe getätigt wurden. Tage, in denen viele wichtige Entscheidungen getroffen wurden. Tage der Neugierde auf die Zukunft. Aber auch Tage der Ungewissheit und des Zweifels. Und irgendwann war der eine Tag da... Der letzte Tag vor der Abreise. Die Wohnung war nicht mehr wiederzuerkennen. Überall standen Umzugskartons herum, und Taschen, und Koffer... Einiges von dem Zeug war schon in Amerika angekommen, einiges war wohl gerade unterwegs, einiges würde erst später nachkommen. Seigis Firma kümmerte sich um den gesamten Ablauf des Umzuges. Nur das Packen hatte die Familie Chiba selbst übernommen, zusammen mit der tatkräftigen Unterstützung von Motoki. Der wollte auch am Flughafen sein und Abschied nehmen... Doch das alles fand erst am nächsten Tag statt. Mamoru vermochte seine Gedanken kaum unter Kontrolle zu bringen. Er zog sich seinen Schlafanzug an und legte sich mit einem leisen Seufzer ins Bett. Er war müde wie selten zuvor in seinem Leben und hatte schon fast den ganzen Abend lang leichte Kopfschmerzen. Alles, was er sich wünschte, war eine lange, erholsame Nacht für den langen, höchstwahrscheinlich weniger erholsamen Flug morgen. Doch so müde er auch war und so sehr er sich auch hin und her drehte, um einen gemütlichen Platz zu finden, er konnte einfach nicht einschlafen. Tausend Gedanken kreisten in seinem Kopf umher. An erster Stelle stand die Frage: Mamoru drehte sich zu seinem Nachttisch um und tastete blind nach seiner silbernen Halskette. Er strich sanft mit den Fingern an den Konturen der Spieluhr entlang. Das kleine, sternförmige Schmuckstück schmiegte sich so perfekt an seine Handfläche an, als sei sie nur dafür gemacht. Der Herr der Erde fuhr über den runden Deckel und öffnete ihn endlich. Ein sanftes, blaues Licht erstrahlte aus dem Inneren und leise erklang die Melodie der goldenen Spieluhr. Bei diesen wunderschönen Tönen spürte Mamoru, wie sein Herz etwas schneller schlug. Er war selbst immer wieder aufs Neue beeindruckt, welche Macht das kleine Schmuckstück über seinen Körper zu haben schien. Die Melodie erklang auch weiterhin leise, als er von der Spieluhr abließ und seine Aufmerksamkeit dem silbernen Ring widmete, der ebenfalls an dieser Halskette befestigt war. Das rosafarbene, etwa fingernagelgroße Herz aus Rosenquarz schimmerte leicht in dem sanften Licht, das aus der Spieluhr heraus leuchtete, solange die Melodie noch spielte. Die winzigen, silbernen Drähte, aus denen der Ring bestand, glitzerten, als sie den Glanz der Spieluhr reflektierten und in Mamorus Zimmer verstreuten. Der Herr der Erde öffnete vorsichtig die Halskette und streifte den Ring herunter. Er legte die Kette samt der Spieluhr wieder auf seinem Nachttisch ab und drehte dann den Ring zwischen seinen Fingern hin und her, während er ihn eingehend betrachtete. Dann steckte er sich den Ring an den Ringfinger seiner linken Hand. Er saß ein wenig locker, aber er passte noch. Mamoru besaß die langen, schlanken Finger seiner Mutter. Und das, obwohl er die meisten seiner Gene von seinem Vater geerbt hatte. Besonders Tante Kioku bezeichnete ihn immer als ein Abziehbildchen seines Vaters. Er strich sanft über den Ehering seiner Mutter und lächelte dabei. Ihm war jedes Mal aufs Neue, als gebe ihm dieser Ring Kraft. Genau das Gleiche galt auch für die Spieluhr. Ohne diese beiden wertvollen Schmuckstücke wäre er in der letzten Zeit wohl so manches Mal verzweifelt. Sachte zog er sich den Ring vom Finger, fädelte ihn wieder auf die Kette und schloss dann den silbernen Verschluss, damit seine beiden kostbarsten Stücke nicht verloren gehen konnten. Er fuhr noch ein letztes Mal sanft mit den Fingerspitzen über die Spieluhr und schloss die Augen, während er der Melodie lauschte. Mit einem Seufzen schloss er den Deckel, die Musik verstummte, und er öffnete die Augen wieder. Sein Kopf ruckte herum. Seine Finger tasteten nach dem Schalter seiner Nachttischlampe. Er war sich sicher, gerade eben, als das Licht seiner Spieluhr geleuchtet hatte, war da noch nichts gewesen. Seine Fingerkuppen fanden endlich den Lichtschalter und legten ihn um. Mamoru erschrak zutiefst, als da plötzlich mitten in seinem Zimmer eine schwarze Gestalt mit schwarzen Flügeln stand, den Kopf in seine Richtung gewandt. "Du hier?", fragte Mamoru verängstigt. Sein Herz jagte in seiner Brust und hämmerte schmerzhaft in seinen Rippen. "Was willst Du?" Das schwarze Wesen erhob langsam den rechten Arm, streckte ihn aus und wies mit dem Finger auf Mamoru. "Was, mich willst Du? Was soll..." Das Schattenwesen schüttelte den Kopf. Es trat einige Schritte auf Mamoru zu, streckte erneut den Arm aus und berührte mit einer seiner langen, scharfen Krallen Mamorus Brust, genau über dem viel zu schnell klopfenden Herzen. Der Junge wurde ganz blass, als der Schatten ihm so nahe kam. Er wich ängstlich zurück und drückte sich tiefer in sein Kissen hinein. Doch irgendwann begriff er. "Du willst ... die Energie des Goldenen Kristalls, hab ich Recht?" Das Wesen zog seinen Arm wieder zurück und nickte. Dann streckte es dem Herrn der Erde die offene Handfläche hin, als wolle es sagen gib ihn mir. "Warum?" Die Kreatur der Finsternis legte den Kopf schief. "Okay, okay, ich weiß. Du kannst nicht reden." Mamoru seufzte auf. Er warf einen flüchtigen Blick auf die Tür, die auf den Gang hinaus führte. "Ich willige ein. Aber Du lässt dafür meinen Onkel und meine Tante in Frieden, ja? Die haben damit nichts zu tun!" Das Wesen nickte und hob ihm fordernd seine Hand etwas näher entgegen. Mamoru schloss die Augen, hob beide Hände an seine Brust und flüsterte leise: "Macht des Goldenen Kristalls..." Zuerst erschien ein goldenes Licht zwischen seinen Händen. Dann formte sich allmählich ein fast faustgroßes Gebilde heraus. Schließlich hielt der Herr der Erde den Goldenen Kristall in den Händen. Zögerlich streckte er dem Wesen den Kristall hin. "Du wirst mich doch nicht sterben lassen, oder?", wisperte er tonlos. Das Wesen ergriff den Kristall und entzog ihm die Energie. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis Mamoru bewusstlos zurücksackte und reglos auf dem weichen Kissen liegen blieb. Er bekam gar nicht mehr mit, wie der Körper des Wesens an Materie und Farbe zunahm und im goldenen Licht des Kristalls strahlte. Es legte den nun schwächer scheinenden Kristall auf Mamorus Brust zurück, wo er verschwand. "Ich brauche Dich noch, Herr der Erde", flüsterte die Kreatur. Dann deckte sie Mamoru behutsam zu, löschte das Licht und verschwand wieder. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)