Liebe, Leid und Leben von theDraco (Mamorus Jugend) ================================================================================ Kapitel 37: ------------ Die weiße Farbe war überall; an den Wänden, auf dem Boden, an der Decke ... verdammt noch mal, selbst die Möbel waren weiß! Mamoru fühlte sich mehr als unbehaglich in diesem kleinen Zimmer, das so schneeweiß gestrichen war, dass es blendete. Er versuchte seine Abscheu gegen diese allgegenwärtige Farbe so weit wie möglich zurückzudrängen, doch es wollte ihm nicht wirklich gelingen. Besonders, wenn draußen die Sirenen der ankommenden oder abfahrenden Wagen ertönten, wurde ihm wieder und wieder bewusst, wo er sich befand: in dem unliebsamsten Gebäude, das er sich vorstellen konnte; einem Krankenhaus. Er hasste diesen Geruch nach Desinfektionsmitteln und Medikamenten, ebenso wie er überhaupt alles hier hasste. Doch das nahm er auf sich. Für sie. Für Hikari. Sie war der einzige Farbklecks hier, zwischen weiß, weiß, und noch mehr weiß. Sie, und der Strauß roter Rosen, den ihr Mamoru mitgebracht hatte, und der nun in einer hohen, blauen Vase auf dem weißen Tischchen neben dem Bett stand. Vorsichtig strich Mamoru eine schwarze Haarsträhne aus Hikaris Stirn. Selbst ihr Gesicht wirkte bleich und hatte jegliche Farbe verloren. Wie sie so dalag, die fahle Haut auf dem weißen Kissen und schon fast erdrückt von der weißen Decke, hätte man sie für tot halten können. Nur das Pulsmessgerät neben ihr piepste leise und langsam vor sich hin und bezeugte das Leben, das noch durch ihren Körper floss. Mamoru seufzte erschöpft. Seit zwei Stunden hockte er schon hier und wusste nicht recht was zu tun sei. Er hatte ihr bereits einen Gutteil seiner Energie gegeben, doch sie hatte darauf nicht reagiert. Das war es nicht, was ihr Körper brauchte. Seit sie am heutigen Tag in aller Frühe ins Krankenhaus eingeliefert worden war, hatte sie nur noch geschlafen. Ihr Körper war wieder regeneriert, ihm bedurfte es keiner neuen Energie. Und dennoch wachte sie nicht auf. Vielleicht würde sie morgen aufwachen. Vielleicht aber auch erst nächstes Jahr. Oder nie mehr. Wer weiß das schon? , dachte Mamoru betrübt. Er wusste zwar nicht genau zu sagen, was konkret seine Schuld gewesen sein soll - immerhin hatte er weder Jedyte eingeladen, noch das dunkle Wesen dazu gedrängt, sich Hikaris Energie zu bemächtigen - aber dennoch fühlte er sich unsagbar schuldig. "Wach auf! Wach doch bitte endlich wieder auf!", bettelte er, doch Hikari blieb stumm und regungslos. Der Tag ging allmählich seinem Ende zu; so langsam begann es schon dämmerig zu werden, als Mamoru sein Jackett überstreifte, seinen Schulranzen auf seine Schultern setzte, einen letzten Blick auf Hikari warf und mit einem tiefen Seufzer das Zimmer verließ. Er schloss die Tür sachte hinter sich, lief gesenkten Blickes den langen Flur entlang, stieg in den Aufzug, fuhr damit ins Erdgeschoss, durchquerte die riesige Eingangshalle und kaum draußen angekommen atmete er erst mal auf. Im Krankenhausgebäude selbst wurde er einfach das Gefühl nicht los, jeden Moment erdrückt zu werden. Dennoch hatte er vor, auch weiterhin hier her zu kommen, um Hikari zu besuchen. Vielleicht würde ihr das ja helfen. Er zog seine goldene Spieluhr hervor, öffnete sie und lauschte ihrer sanften Musik, während er sie mitsamt dem Ehering seiner Mutter an seinem schlichten, silbernen Halskettchen baumeln ließ. Die leise Melodie beruhigte ihn ungemein. Sie war wie das ermutigende, trostspendende Flüstern einer geliebten Person. Doch erst, als er schon einige hundert Meter zurückgelegt hatte, wich die Beklemmung völlig von ihm. Was blieb war ein Gefühl der Hilflosigkeit. Es durfte doch nicht wahr sein! Kaum, dass er zu Hikari gefunden hatte, schon wurde er so von ihr getrennt! Es war einfach nicht fair! Er ballte seine Hand zur Faust und hämmerte auf den nächstbesten Laternenpfeiler ein. Er nahm seine Spieluhr wieder auf und sah sie lange an. Das kleine, goldene Schmuckstück war ungewöhnlich warm, dafür, dass er es vor einigen Minuten schon aus seinem Hemd gezogen und seitdem der kühlen Luft ausgesetzt hatte. Die Melodie stoppte, als er den Deckel zuklappte und das wertvolle Kleinod wieder sicher in seinem Hemd verstaute. Ein letztes Mal noch ließ er seine Faust auf das Metall des Pfeilers krachen, dann ließ er es gut sein. So konnte man an der Situation auch nichts ändern. "Hey, Chiba! Was tust Du da? Bereitest Du Dich schon mal mental auf das vor, was ich gleich mit Dir machen werde?" "Och, nö!", seufzte Mamoru. Schlimmer konnte es wirklich nicht mehr kommen. Er hob den Blick und starrte Chikara an, der sich breitbeinig vor ihm aufgebaut und die Arme vor der Brust verschränkt hatte. "Was willst Du?" Ohne jegliches Zögern packte Chikara Mamoru am Kragen und stieß ihn mit aller Kraft gegen den Laternenpfahl. In der selben Bewegung ließ er seine Faust in das Gesicht des Kleineren krachen, der daraufhin nähere Bekanntschaft mit dem Boden machte. Und dann erst antwortete er: "Du kleiner, verfluchter Scheißer weißt ganz genau, was ich will! Du wirst von nun an nicht mehr in Hikaris Nähe kommen, hast Du mich verstanden?" Stöhnend hielt sich Mamoru die blutende Nase. Noch im Aufstehen spie er etwas Blut aus. Dann strafte er sein Gegenüber mit einem trotzigen Blick. "Ich hätte es mir nicht anders denken können", meinte Mamoru indem er ein Taschentuch aus der Hosentasche zog und damit begann, sich das Blut vom Mund zu wischen. "Es war ja so klar, dass Du es nicht kapieren würdest. Okay, jetzt mal für ganz Dumme, zum Mitschreiben: Sie ist nicht mehr Deine Freundin!" "Du kleiner Bastard hast dazu gar nichts zu sagen!", brüllte Chikara. Er holte erneut mit der Faust aus und schleuderte sie Mamoru entgegen. Der aber machte einen schnellen, geschickten Sprung zur Seite. Die Faust seines Gegners donnerte ungebremst in das harte Metall der Straßenlaterne. Die Knöchel rissen auf und das Blut hinterließ einen roten, feucht schimmernden Flecken auf dem Pfeiler. Chikara keuchte vor Schmerz auf und fluchte wild, während er sich die Hand hielt. Mamoru ließ ihn gewähren, damit er sich austoben konnte. Er drehte sich einfach wortlos um und ging seines Weges. "Chiba!" "Chiba, verdammt noch mal! Ich bin noch nicht fertig mit Dir!" Mamoru blieb abrupt stehen und wandte sich noch einmal um. "Aber ich bin fertig mit Dir! Hikari geht Dich nun nichts mehr an. Ich rate Dir, die Finger von ihr zu lassen, sonst werde ich nämlich ungemütlich. Verstanden?" Er wollte weitergehen, doch er wurde von Chikara grob an der Schulter gepackt und herumgerissen. "Du nimmst den Mund ganz schön voll!", flüsterte der Größere drohend. "Wäre Dein Gehirn auch nur halb so voll wie mein Mund, würdest Du langsam einsehen, dass es gesünder für Dich wäre, mich jetzt loszulassen", fauchte Mamoru. "Du wagst es?", brüllte Chikara. Sein Zorn wuchs dermaßen in die Höhe, dass er Mamoru mit nur einer Hand am Kragen packte, ihn hochhob und ihn mit Wucht gegen den Boden donnerte. In einer fließenden Bewegung kniete er sich neben seinem Kontrahenten nieder, griff dann - diesmal mit beiden Händen - an Mamorus Kehle und drückte mit aller Kraft zu. Ruckartig hob es den Kopf, als es die Stimme seines Herrn und Meisters vernahm, die ihm leise zuflüsterte, dass es sich um das Ziel kümmern sollte. Und es gehorchte. Als es die Welt der Menschen betrat, musste es sich zuerst orientieren. Es befand sich ganz in der Nähe des Ziels, das spürte es. Sein schattenhafter Körper machte einen gewaltigen Satz in die Höhe, und dann schwebte es zielsicher und graziös über einige Häuserdächer. Als es dem Ziel nahe genug war, um es beobachten zu können, aber andererseits noch vor der Entdeckung geschützt war, ließ es sich nieder und musterte das Geschehen. Es war hin und her gerissen, als es den Fremden sah, der sich dem Herrn der Erde genähert hatte und ihn attackierte. Es fasste einen Entschluss. Es musste unbedingt eingreifen! Mit einem leisen, raschelnden Geräusch entfaltete es seine gewaltigen Schwingen und machte sich bereit, herabzusegeln und seine Mission zu erfüllen. Doch im letzten Moment zögerte es. Und das gerade noch rechtzeitig, um zu beobachten, wie das Ziel auf den Angriff reagierte. Es traute seinen Augen kaum... Mit der wilden Entschlossenheit ungebändigten Zornes drückte Chikara weiterhin die Kehle seines Widersachers zu. Mamoru blieb nicht mehr viel Zeit, er benötigte dringend frischen Sauerstoff. Dennoch zwang er sich mit aller Macht dazu, sich zu konzentrieren. Er legte seine Hände auf die Arme seines Feindes, aber anstatt sie zu ergreifen und daran herumzurütteln, wie es wohl jeder in seiner Situation getan hätte, ließ er seine Finger nur sachte auf den Armen seines Gegners ruhen. "Na, Chiba? Schon aufgegeben?", flüsterte Chikara in heiserer, an Wahnsinn grenzender Stimme. Er ließ den Griff so weit locker, dass Mamoru wieder einigermaßen Luft bekam und antworten konnte. "Ich will Dir nur eine letzte Chance geben, ehe ich Dir zeige, was ich wirklich drauf habe...", keuchte der Herr der Erde. "Ha! Dass ich nicht lache! Dich zertrete ich wie einen Wurm!", wisperte Chikara und erhöhte den Druck wieder. Doch die kurze Verschnaufpause hatte Mamoru schon gereicht. Noch während Chikara siegessicher grinsend geredet hatte, war der Herr der Erde mit der Vorbereitung schon fast fertig. Nun schlug er mit aller geistigen Macht zu, die er besaß. So vorsichtig, dass Chikara es nicht sofort bemerken konnte, doch zugleich so schnell, dass er selbst nicht vorher am Sauerstoffmangel zugrunde ging, entzog er seinem Widersacher die Energie. Sehr schnell begann der Blonde vor Anstrengung zu zittern und sein Griff ließ merklich lockerer. Bald saß er da und konnte sich nur noch mit Mühe aufrecht halten. Mit einer Bewegung, mit der man eine lästige Fliege verscheuchen mochte, wischte Mamoru die Arme des Anderen von seiner Kehle weg; dennoch hörte er nicht damit auf, auch Chikaras letzte Reserven anzuzapfen, bis dieser schließlich zusammensackte und um Atem ringend am Boden liegen blieb. "Was ... hast Du ... mit mir gemacht...?", stöhnte er. Mit versteinertem Gesicht stand Mamoru vom Boden auf, klopfte sich gelassen den Staub aus dem Jackett und versetzte seinem Gegner erst mal einen Tritt in die Magengrube, ehe er endlich antwortete: "Du kleines, gelecktes Stück Dreck verdienst von mir keine Erklärungen." Ohne eine Miene zu verziehen schnappte er sich seine Schultasche, setzte sie sich wieder auf und verließ den Ort des Geschehens. Um Chikara musste er sich keine Sorgen machen; der würde für längere Zeit keine Bedrohung mehr sein. Auf ein Gefühl hin, das tief aus seinem Inneren heraus kam, hob er seinen Blick und starrte auf das Häuserdach auf der anderen Straßenseite. Seine Intuition hatte ihn nicht betrogen; dort stand - dunkel, reglos, mit halbwegs ausgebreiteten Schwingen - das dunkle Wesen und starrte auf ihn herab. Doch ihn kümmerte das nicht. Der Herr der Erde wandte seinen Blick wieder ab und ging seines Weges. Auch dieses Biest war für ihn keine Gefahr; das wusste er einfach. Niemand konnte ihm in seinem jetzigen Zustand gefährlich werden. Doch als er sich nach einigen Minuten Fußmarsch herumdrehte, bemerkte er, wie die Kreatur ihm folgte. Sie kam ihm nie bedrohlich nahe, und sie zeigte sich nicht so offen, dass Passanten sie hätten sofort entdecken können, doch Mamoru wusste irgendwie, wohin er seinen Blick richten musste, um sie zu sehen. Sie gab sich auch keine große Mühe, sich vor ihm zu verbergen. Er wusste ja nun immerhin mit Sicherheit von ihrer Existenz. "Was ist los, suchst Du Streit?", murmelte Mamoru leise vor sich hin. Wenn das Wesen menschlich wäre, so wäre es ihm unmöglich, die Worte auf diese Distanz hin zu hören. Doch der Herr der Erde war sich nicht ganz sicher, ob dieser Schatten nicht vielleicht Fähigkeiten besaß, die - mit menschlichen Sinnen betrachtet - ein Wunder waren. Doch gleichgültig, ob dieses Wesen ihn nun gehört hatte oder nicht, es regte sich jedenfalls um keinen Millimeter. Brummelnd wandte sich Mamoru wieder um und ging weiter. Doch dabei blieb es nicht; der Herr der Erde konnte sich umschauen, so oft er wollte - der Schatten verfolgte ihn, als sei er sein eigener. Irgendwann, als es dem Jungen zu bunt wurde drehte er sich dem Schattenwesen entgegen, das sich zwischen zwei Häusern auf der anderen Straßenseite verschanzt hatte, und brüllte es an: "Was zum Teufel willst Du von mir???" Es rührte sich nicht und starrte nur unverwandt vor sich hin. "Verdammt noch mal, lass mich endlich in Ruhe!", schrie Mamoru unter dem vollen Einsatz seiner Stimmbänder. Er griff nach dem nächstbesten Stein, der ihm zu Füßen lag, und schleuderte ihn mit lautem Wutgebrüll der Kreatur entgegen. Der Schuss saß - oder er hätte es getan, wenn das Wesen aus fester Materie bestanden hätte. Das Geschoss flog einfach durch den materielosen Schatten hindurch. Mamoru hatte auf diese Art und Weise zwar nur eine streunende Katze verschreckt, aber anscheinend hatte die Kreatur dennoch verstanden, dass sie absolut unerwünscht war. Sie zögerte noch kurz, dann deutete sie ein leichtes Nicken an und trat dann zurück in die Dunkelheit zwischen den beiden Häusern. Mamoru stand einfach da und atmete schwer. Die Aufregung der letzten Tage wurde allmählich zu viel für ihn. Das Atmen wurde zum Keuchen. Das Keuchen zu einem unregelmäßigen Stocken. Das Stocken zu einem leisen Schluchzen. Mamoru sank auf die Knie nieder und vergrub das Gesicht in den Händen. Er wusste nicht mehr, was er tat, noch was er als nächstes tun sollte. Die kalte, wie versteinert wirkende Fassade, die er vorhin auf seine Gesichtszüge gelegt hatte, bröckelte allmählich und wich einer bislang ungekannten Hilflosigkeit. "Was hab ich da getan?", flüsterte er mit bebender Stimme. "Was hab ich da denn bloß getan?" Als er vorhin gegen Chikara gekämpft hatte, war er wie ausgewechselt gewesen. Er hatte jeglichen Respekt vor seinem Gegenüber und vor dem Leben selbst gänzlich verloren. Er hatte sich in dieser kurzen Zeit gefühlt, als ob ... nein, er hatte gar nichts gefühlt. Nicht Gnade, noch Rücksicht oder Skrupel. Es war fast, als hätte etwas von seiner Seele Besitz ergriffen, das ebenso schwarz war wie die dunkle Kreatur, die er gerade zu vertreiben versucht hatte. Er wusste, er war sie noch nicht ganz los. Vielleicht würde sie nie mehr verschwinden. Vielleicht war sie die Wurzel allen Übels. Womöglich hatte dieses Wesen Mamoru nur benutzt, um an die Energie zu gelangen, und nun wartete sie auf den passenden Augenblick, um Mamoru zu überfallen? "Nein", wisperte Mamoru. Er wusste, dass das nicht stimmte. Wäre das wirklich der Fall gewesen, so hätte die Kreatur schon längst viele Möglichkeiten gehabt, ihn anzugreifen. Das war es also nicht. Nein, alles, was Mamoru tat, hatte er von sich aus getan. Auf jeden Fall hatte es nichts mit dem Schatten zu tun gehabt. Aber warum dann, warum? Weshalb benahm er sich immer so bösartig, wenn er sich der Energie anderer bemächtigte? Allmählich verstand er, weshalb die Schattenkreatur immer und immer wieder zuschlug, und wehrlosen Leuten die Lebenskraft stahl. Es war einfach ein erhebendes Gefühl der Macht. Aber es war auch das Empfinden von bodenloser Enttäuschung, wenn die Wirkung nachließ. Mamoru wischte sich immer und immer wieder durch das Gesicht, in der Hoffnung, so endlich wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Er erhob sich wieder und blickte sich betrübt um. Und dann erst bemerkte er, dass direkt neben ihm die Schattengestalt stand. "Du? Du bist doch noch da?", fragte Mamoru und zog seine Nase hoch. Das Wesen nickte und machte zur gleichen Zeit ein Schulterzucken. Dann hob es den Arm und wies in die Richtung, in der Mamorus Zuhause lag. "Willst Du mich nach Hause begleiten?" Das Wesen zögerte kurz, machte aber dann doch ein leichtes Nicken. "Ich schätze mal, ich werde lernen müssen, mit Dir auszukommen, was? Ob es mir nun passt oder nicht." Mamoru setzte sich in Bewegung. Er ging ein paar Schritte weit. Dann sagte er: "Kannst Du mir vielleicht sagen, was mit mir los ist? Ich meine, was zum Geier geschieht nur mit mir, dass ich auf einmal so heftig reagiere, wie vorhin mit Chikara?" Er drehte sich um, damit er so auf das Wesen schauen konnte, das hinter ihm geblieben war. Doch der Gehweg war leer. Mamoru sah sich suchend um und entdeckte dann eine Bewegung hinter einer Häuserecke. Nicht mehr als ein Huschen von etwas, das schwärzer war als der dunkle Schatten zwischen den Gebäuden. "Ach, verstehe. Du magst nicht gern von anderen gesehen werden." Tatsächlich bestand die des Wesens darin, in Mamorus Nähe zu bleiben, indem es von Schatten zu Schatten schlich. Und das den ganzen Weg bis Heim. Als Mamoru vor der großen Eingangstür zum Hochhaus stand, drehte er sich noch ein letztes Mal um und suchte mit Blicken nach der Kreatur. Und er fand sie auch. "Tja, tut mir Leid für Dich, aber hier drinnen sind Haustiere nicht erlaubt." Das Wesen starrte ihn nur an und rührte sich nicht. "Das sollte ein Witz sein. Ich hatte gehofft, wenn Du schon nicht reden kannst, dann könntest Du doch zumindest lachen? Nein? Schade. Tja ... mach's gut." Daraufhin zog er seinen Schlüssel hervor und öffnete die Tür. Eine kurze Fahrt mit dem Aufzug später öffnete er auch die Wohnungstür, trat ein und zog sich die Schuhe aus. "Hey, Kleiner!", tönte Kiokus gutgelaunte Stimme durch die Wohnung. "Herzlichen Glückwunsch! Du hast doch tatsächlich den Weg nach Hause gefunden! Hast diesmal dafür aber lange gebraucht! Hast Du mir auch ein Souvenir aus Spanien mitgebracht, oder wo Du auch immer die ganze Zeit über gewesen sein magst?" Mamoru kommentierte dies nicht. Er verschwand zuerst in seinem Zimmer, um dort seine Schultasche abzulegen, aus der Uniform zu schlüpfen und seine gewöhnlichen Alltagsklamotten anzuziehen. Dann erst kam er in die Küche, holte sich ein Glas, füllte es mit Saft und nahm seine Tabletten. Das schmerzhafte Ziehen in seinem Bauch hatte in den letzten paar Minuten wieder deutlich zugenommen. "Was is los, Kurzer? Schlecht gelaunt?", fragte Kioku und hockte sich zu ihm an den Tisch. "Ach, was!", antwortete der in sarkastischem Unterton. Eigentlich war ihm gerade nicht sonderlich nach Gesellschaft. Er hatte große Lust, sich einfach ins Bett zu legen und jahrelang zu schlafen. "Kleiner, was is verdammt noch mal los? Spuck's aus!" "Wirst Du es dann auch hinterher aufwischen?", fragte er nach, jetzt schon mit leicht gereiztem Unterton. Dann atmete er erst mal tief durch. Wieso wurde er jetzt schon wieder so patzig? Er fühlte sich seit dem kurzen ... ... mit Chikara so unwohl in seiner Haut. Sein schlechtes Gewissen meldete sich und trampelte mit größter Freude auf ihm herum. "Es tut mir Leid, Tante Kioku", erklärte er und schaute beschämt in sein inzwischen nur noch halbwegs volles Glas. "Ich will gar nicht so bockig sein. Es ist einfach ... Heute ist nicht mein Tag. Ich bin vorhin bei Hikari im Krankenhaus gewesen. Dort habe ich ein paar Stunden verbracht. Ich weiß, ich hätte anrufen und Bescheid sagen müssen. Es tut mir wirklich Leid." "Schon okay, Kurzer. Es hat jeder mal nen schlechten Tag." Sie strich ihm fürsorglich durch das Haar. Er seufzte daraufhin schwer. Die sanfte Berührung beruhigte ihn ungemein. Da erkundigte sich Kioku: "Wie geht es ihr? Ich meine Hikari." "Hmmm." Mamoru hatte Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden. Wie geht es jemandem, der einfach nicht mehr aufwacht? "Sie ... sie liegt im Koma. Die Ärzte wissen nicht, wann sie wieder aufwachen wird. Oder ob überhaupt." Er verschwieg, dass er sich deswegen ziemlich schuldig fühlte. Er verschwieg auch, dass er sich vorhin dank Chikara eine blutige Nase geholt hatte, die er inzwischen wieder verheilen gelassen und so gut als möglich sauber gewischt hatte. Nun ja, aber er hatte ja auch verschwiegen, was sich tatsächlich letzte Nacht zugetragen hatte; ebenso, wie er die Existenz eines gewissen Schattens verschwieg, der ihm auf Schritt und Tritt hinterher lief und nicht unbedingt einen Schönheitswettbewerb gewinnen würde. Er fragte sich nur, wie lange er dieses Gefüge von Lüge und Schweigen noch aufrecht erhalten konnte. Irgendwann würde er sich verplappern. Und dann? Da all die eigenartigen Vorkommnisse der nahen Vergangenheit mit einander in Verbindung standen und er selbst weniger als die Hälfte dessen, was passiert war, verstand, würde er wohl echte Schwierigkeiten bekommen, sollte es tatsächlich mal dazu kommen, dass er mit der vollen Wahrheit rausrücken sollte. "Och, Kurzer...", murmelte Kioku leise mit einem unüberhörbaren, mitleidigen Unterton. Sie konnte es nicht ertragen, ihren einzigen Lieblingsneffen so niedergeschlagen zu sehen. Vorsichtig schlang sie ihre Arme um ihn und zog ihn an sich heran. "Du kannst doch nichts dafür", flüsterte sie, fast so, als hätte sie seine Gedanken gelesen. "Solche Dinge passieren einfach. Ich bin mir ganz sicher, bald ist alles wieder gut. Sie wird wieder aufwachen; das wird bestimmt nicht lange dauern." , fragte sich Mamoru bestürzt. "Tante Kioku!", flüsterte Mamoru leise und erwiderte nun endlich ihre Umarmung. Er zog sie fest an sich und drückte sein Gesicht auf ihre Schulter. Liebevoll fuhr ihm seine Tante immer wieder durch die Haare und über den Rücken, während sie ihm tröstende Worte zusprach. Es dauerte eine Weile, aber schlussendlich ging es Mamoru wieder ein gutes Stück besser. "Danke", flüsterte er ihr zu. "Du hast mir wirklich sehr geholfen. Was würde ich nur ohne Dich tun?" "Du wärst absolut verloren, ich weiß", meinte sie und zwinkerte ihm zu. In weitaus weniger schnippischem Ton, dafür aber mit einem warmen Lächeln auf den Lippen meinte sie: "Nein, eigentlich finde ich sogar, dass Du Deinem Alter weit voraus bist. Ich bin mir sicher, wenn es unbedingt sein müsste, dann könntest Du auch auf Dich aufpassen. Aber ich bin dennoch gerne für Dich da, wenn Du was brauchst, mein Kleiner. Und weißt Du was? Ich hab da was, das wird Dich unter Garantie aufmuntern!" Sie stand auf, eilte zu einem Plastikkasten, der auf der Arbeitsplatte stand, öffnete ihn und präsentierte ihrem Neffen stolz den Inhalt. "Schokoladenkuchen", stellte Mamoru erstaunt fest. Kioku nickte. "Den hab ich vorhin erst gebacken. Man könnte fast meinen, ich hätte gespürt, dass Du eine kleine Aufmunterung nötig hast." Damit brachte sie sogar ein kleines, tapferes Lächeln auf Mamorus Lippen zustande. "Genau was ich jetzt brauche. Du bist die Beste, Tante Kioku!" [Anmerkung des Autors] *nach oben schau* *Kopf schüttel* Irgendwie bin ich unzufrieden. Chikara entwickelt sich zum Psychopaten, Mamoru steht am Rande eines Nervenzusammenbruchs und ein schwarzer Schatten latscht durch Tokyo und macht die Leute unsicher. Was hab ich mir da bloß eingebrockt? Ein Gutes hat die Sache allerdings! So langsam nähere ich mich nämlich den Szenen, wo es richtig heiß hergeht! Hab schon einen grandiosen Plan für die Zukunft geschmiedet! ...Allerdings ... befürchte ich, dass genau das bedeuten wird, dass man der Prozentanzeige dieser FF nicht mehr glauben kann. Ich fürchte, was ich bisher geschrieben habe, ist doch weniger als die Hälfte des Ganzen... -.-° *drop* Ich bin ja selber mal gespannt, wie es weiter geht. Denn genau wie mein großes Vorbild Wolfgang Hohlbein liebe ich es, meine Figuren ins kalte Wasser zu werfen. Das heißt, ich weiß meistens selber nicht wirklich, was im nächsten Kapitel vorkommt! Aber das wird schon; solange ich mich an den groben Faden halte, den ich mir zurechtgesponnen hab. Ach, das werdet ihr ja selber bald feststellen! Bis dann! Draco Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)