Liebe, Leid und Leben von theDraco (Mamorus Jugend) ================================================================================ Kapitel 35: ------------ Nun war es schon einige Tage her, seit es sich einem Teil der Energie des Goldenen Kristalls bemächtigt hatte. Es war nach der Auseinandersetzung mit dem Ziel noch eine Weile beobachtend da geblieben und es hatte durchaus mitbekommen, was nach seinem Verschwinden mit dem Goldenen Kristall und - vor allem - mit dessen Träger passiert war. "Nun hast Du ein Stück von der Macht Deines Kristalls gekostet, Herr der Erde", bemerkte es mit sehr gemischten Gefühlen. Das konnte etwas sehr Gutes oder etwas sehr Schlechtes für den weiteren Verlauf der Mission bedeuten. "Nun hast Du eine Ahnung davon, dass man den Kristall der Erde zum Guten oder zum Bösen einsetzen kann. Du entscheidest - und nicht einmal ich kann Dir diese Entscheidung abnehmen. Du allein musst Deinen Lebensweg wählen. Willst Du die Stärke Deiner Waffe nutzen, um Deine Gier nach neuer Energie zu stillen - oder willst Du seine heilenden Kräfte und die Macht seines Schutzes verwenden? ...Du entscheidest..." Ihm war klar, dass es auch weiterhin die Macht des Goldenen Kristalls für ICTUS brauchte - vollkommen gleich, wie die Entscheidung des Ziels ausfallen würde. Es würde den Herrn der Erde von nun an noch sehr viel intensiver beobachten. Zwar war es nicht dazu in der Lage, die Entscheidung letztendlich zu fällen, aber es würde auf jeden Fall alles ihm mögliche tun, um das Ziel für die eine Entscheidung zu bewegen, die für ihn und seine Mission am günstigsten war. Doch bis zur Verkündung der Entscheidung würde wohl noch eine ganze Weile vergehen, das war ihm klar. Im Laufe der Zeit war es ihm immer leichter gefallen, einen kurzen Blick in die Welt der Menschen zu werfen, obwohl sich sein Körper noch immer in der Unendlichkeit der Finsternis befand. Nur allmählich erwachte seine alte Macht wieder zu neuem Leben. Doch es benötigte weiterhin die Lebensenergie der Menschen, solange es noch immer nicht im Besitz des Kristalls war, der ICTUS vervollkommnen würde. "Die Abenddämmerung breitet sich über der Stadt aus", stellte es fest. "Schon bald ist es dunkel. Dann sollte ich mein Werk fortsetzen, denn der alles verhüllende Mantel der Schatten wird mich beschützen. Bald - schon sehr bald - werde ich aus diesem meinem Gefängnis entfliehen können. Dann endlich kann ich auch in der Welt der Menschen leben. ...Süße Freiheit! Wie lange schon habe ich nicht mehr Deinen verzückenden Hauch eingeatmet?" Es seufzte schwer. "Vor so langer Zeit haben mich unsere verfluchten Feinde in dieser zeitlosen Hölle eingeschlossen", so erinnerte es sich. Es sinnte auf Rache für all die verlorenen Jahrhunderte. Doch all der Zorn nutzte ihm jetzt nichts. Es musste sich nun konzentrieren, denn es musste primär an seine Mission denken, die wichtiger war als alles andere. Jeder Fehltritt konnte alles zum Scheitern verurteilen; und so musste es sich noch ein wenig in Geduld üben. "Ich brauche noch etwas mehr Energie, ehe ich mich wieder Dir widmen kann, oh Herr der Erde", überlegte es. Dann brach es erneut auf in die Welt der Menschen, immer auf der Suche nach einem neuen Opfer. Denn der Preis, den es zahlen musste, um die Kraft des noch unerfahrenen Trägers des Goldenen Kristalls nutzen zu können, war hoch... Mamoru hockte im Eingangsbereich der Wohnung. Viel mehr: Er kniete da, in wartender, wenn auch respektvoll aufgerichteter Pose, und verharrte dort schon seit mehr als einer halben Stunde, wenn ihm auch so langsam aber sicher die Harnblase drückte, die Füße einschliefen und das Kreuz wehtat. Das Ganze hatte eine gewisse stolze und irgendwie traditionell anmutende Atmosphäre. Oder zumindest wirkte es so, sah man von den Rinnsalen von Schweiß ab, die dem Sechzehnjährigen langsam das Gesicht hinab liefen. Er wartete... Wartete... Und dann endlich hörte er ein vertrautes Kratzen im Türschloss. Er bemühte sich, noch mehr Respekt in seiner Körpersprache auszudrücken, indem er den Hals noch etwas mehr emporreckte, den Rücken noch etwas mehr durchdrückte, die Brust noch etwas mehr nach vorne und die Schultern noch etwas weiter nach hinten schob. Und als dann Kioku die Wohnung betrat und auf ihren Neffen blickte, da verneigte er sich tief vor ihr und begrüßte sie mit den Worten: "Willkommen zu Hause, Großmeisterin Kioku." Mit unverhohlener Skepsis betrachtete sie den Jungen, der da vor ihr am Boden kniete und fragte: "Was willst Du und wie viel kostet es?" Noch immer die Nase am Boden plattgedrückt antwortete er: "Mein Leben ist bescheiden..." Er wurde von Kioku unterbrochen, die laut losprustete, doch er fuhr unbeirrt fort: "...und ich bedarf nicht vielem. Einzig das Leben, das Glück und die Liebe sind mein Begehr. So tritt denn in mein Haus..." Jetzt konnte Kioku vor Lachen nicht mehr an sich halten. "Dein Haus???" "...und frage nicht . Denn Du sollst mein Gast heute sein, und ohne Sorge und Kummer und Schmerz die Zeit mit mir verbringen." "Oh, Herr im Himmel, das wird teuer. Ich seh's schon", meinte Kioku und wischte sich eine winzige Lachträne aus dem Augenwinkel. Sie zog die Straßenschuhe und ihre Jacke aus. Nun also richtete sich Mamoru endlich auf, ganz traditionsgemäß, zunächst noch mit dem linken Knie am Boden während er den rechten Fuß fest aufstellte, dann drückte er sich ab und streckte auch das linke Bein durch, und sowie er aufrecht dastand, machte er erneut einen Knicks. Er nahm Kioku die Einkaufstüten ab. Dann wandte er sich um und schritt seiner Tante voran in die Küche. Er bot ihr einen Platz am Esstisch an, brachte ihr zu trinken und servierte einen herrlich angerichteten Teller voll Sushi. "Sushi?", fragte Kioku erstaunt. "Das hast Du doch wohl nicht etwa..." "Doch", antwortete Mamoru mit gequältem Lächeln. "Ich hab es eigenhändig ... gekauft ... aber es ist ja der gute Wille, der zählt..." "Aber so was ist teuer...", entgegnete sie, "woher hast Du das Geld? Auf Dein Taschengeld musst Du ja schon seit einiger Zeit verzichten." Er ließ nun endlich seine ich-habe-einen-Besen-verschluckt-und-er-kommt-schon-zum-andern-Ende-wieder-raus-Haltung bleiben und hockte sich zu seiner Tante an den Tisch. Dann erläuterte er: "Bei uns ist letztens am Nachmittag der Unterricht ausgefallen, und da bin ich ein paar Stunden zu Motoki gegangen und hab seinem Vater im Geschäft ausgeholfen. Und von dem Geld will ich Dich hier bestech... äh, verwöhnen, meinte ich." "Oha." Eine bessere Antwort fiel ihr nicht ein. Mamoru stand wieder auf um zwei Paar Essstäbchen zu holen. Und dann konnte die Mahlzeit endlich beginnen. Kioku ließ sich von vorne bis hinten bedienen und genoss es sichtlich. Sie lehnte nur ab, als Mamoru ihr anbot, er könne ihr die Sushistückchen vorkauen und in den Mund legen. Schlussendlich - Mamoru hatte den Rest für Onkel Seigi im Kühlschrank verstaut und dann das Essgeschirr abgewaschen - saßen die beiden im Wohnzimmer und führten . "Wenn Du Dir schon solche Mühe gibst", so erläuterte Kioku während sie sich auf der Couch breit machte, "dann kann ich mir zumindest anhören, was Du überhaupt willst. Also? Ich lausche Deinen Worten." Mamoru räusperte sich umständlich. Dann legte er zögernd los: "Also ... es geht um Folgendes: Ich hab ... ich hab Dir ja schon öfter von Hikari erzählt..." Er bekam rote Wangen und Kioku rollte mit den Augen, ließ ihren Neffen allerdings kommentarlos fortfahren: "...In der letzten Zeit gewinne ich mehr und mehr den Eindruck, dass sie ... nun ja ... gerne mit mir zusammen ist ... Du verstehst. Und das liegt sehr in meinem Interesse! Und ich wollte ganz gern ... nen Abend mit ihr im Kino verbringen. Ich wollte Dich hiermit fragen, ob Du mir erlauben würdest, mit ihr ein paar Stunden weg zu bleiben. Und ich wollte Dich zu diesem Anlass um etwas Geld bitten. Weißt Du, ich kann ja verstehen, dass Du mich mit diesen ... Maßnamen ... nur erziehen willst. Und das gelingt Dir ja auch ganz gut. Nur ... ich finde es ein klein bisschen übertrieben, das alles so dermaßen in die Länge zu ziehen. Ich habe wirklich viel gebüßt. Viel verzichtet. Na ja, ich gebe zu, ich war in dieser Zeit der Strafe auch ungehorsam, aber ... aber ich finde, das kannst Du mir nicht den Rest meines Lebens ankreiden, hmmm?" "Nein, nicht den Rest Deines Lebens", erläuterte Kioku fröhlich, "nur den Rest meines Lebens!" "Nett." "Ich weiß." "Jedenfalls", so sprach Mamoru weiter, "Motoki ist wieder voll auf dem Damm. Nicht mal ne kleine Narbe ist übrig geblieben. Und zwischen uns hat sich alles wieder eingerenkt. Und ich meine, jetzt, wo alles wieder im Lot ist, da sollte auch wieder der normale Alltag anfangen, denkst Du nicht auch?" "Kommt drauf an ... könntest Du mich noch ein paar Mal zum Essen einladen?" Mamoru seufzte, aber er wollte noch nicht so schnell aufgeben. Er ließ seiner Tante etwas Bedenkzeit. Nach einer Weile des Schweigens konnte er die Spannung, die in der Luft lag, schier nicht mehr ertragen. "Also?", brachte er schüchtern hervor. Kioku lehnte sich zurück, lächelte und schüttelte langsam den Kopf. "Weißt Du", so seufzte sie, "ich werde diese Zeit vermissen. Selten war dieses Haus so blitzblank sauber wie in der letzten Zeit. Und es war so schön, als ich Dein Taschengeld für mich ausgeben konnte... Aber hey, vom weiteren Aufräumen und Saubermachen halte ich Dich nicht ab! Damit kannst Du auch in Zukunft gern fortfahren..." "Was?" Mamoru horchte auf. "Soll das heißen..." "Ganz genau." Kioku öffnete wieder die Augen und grinste ihn spitzbübisch an. "Ich erkläre Dich hiermit zu einem freien Mann. ...Na ja, Männchen. Das Urteil ist rechtskräftig. Der Gouverneur scheint großes Mitleid mit Dir zu haben. Hast ihn mit Deinen schönen, großen, blauen Welpenaugen überzeugt." "Großartig!" Mamoru sprang ihr in die Arme, drückte sie feste und hopste dann wie ein Gummiball durchs Zimmer. "Super, super, super! ...und das mit dem hab ich natürlich überhört..." "Ich kann's ja noch mal sagen", bot sich Kioku an. "Kein Interesse." "Dann sag ich Dir eben was Anderes: Wenn Du weiter so rumhüpfst, beschweren sich noch die Nachbarn von unten. Also lass es", mahnte seine Tante. "Ja, ja, ist gut." Freudestrahlend ließ sich Mamoru neben ihr nieder und streckte ihr seine Hand entgegen. Sie starrte seine Finger nur verwirrt an. "Gib mir Fünf?", riet sie. "Nein, gib mir Geld!", forderte Mamoru grinsend. "Sonst bekomm ich Schwierigkeiten mit dem Kinopersonal." Kioku seufzte und stand von der Couch auf. "Oh, wie schön die Zeit doch war ... kannst Du nicht vielleicht noch mal was anstellen, bitte?" "Ach, Mamoru!", seufzte Hikari. Der Enthusiasmus stand ihr förmlich in den wunderschönen, dunkelgrünen Augen geschrieben. "Ich finde es ja so wahnsinnig toll von Dir, dass Du mich so lieb ins Kino eingeladen hast! In den Film wollte ich ja sowieso schon seit einer Ewigkeit!" "Freut mich, dass es Dir gefällt." Mamoru warf ihr einen verliebten Blick zu. Sie sah einfach zu süß aus, wie sie so freudig von einem Bein auf das andere hopste wie ein kleines Kind. Ihre schönen Augen strahlten förmlich. Alles an ihr sprühte vor Leben. Und sie hatte sich - extra für ihn? - sehr sexy angezogen. Das langärmelige, weiße Shirt hatte einen tiefen Ausschnitt und ihr dunkelblauer, sehr kurzer Rock... "Junger Mann, wollen Sie nun was bestellen oder nicht?" schnauzte ihn die Frau auf der anderen Seite der Theke an. Sie hatte ihre Geduld schon vor einiger Zeit verloren. Und ihre Stimmung sank weiter im Anbetracht der langen Schlange unzufriedener Kunden, die sich schon hinter Mamoru gebildet hatte, und die allmählich mit Knurren und Brummeln reagierte. Mit rotem Kopf bestellte er endlich Cola und Popkorn. Er bezahlte und konnte schließlich damit fortfahren, Hikaris atemberaubenden Körper zu mustern... Im Schutz der Dunkelheit beobachtete es den jungen Mann und seinen Freund lachend durch die Straßen ziehen. Beide waren etwas beschickert, doch das störte ihn nicht. Dieser Zustand änderte nichts an der Energie im Leibe des Kerls. Wenn die beiden sich nur endlich trennen würden... Zwar wäre es für ihn kein Problem gewesen, sie anzugreifen und sich die Energie beider Männer einzuverleiben, doch wie es festgestellt hatte, hatten die Menschen damit begonnen, die ausgesaugten Opfer für krank zu halten. Eine neue und vor allem seltene Krankheit ... da wäre es doch eigenartig gewesen, wenn urplötzlich zwei Leute auf einmal damit zusammenbrechen würden - zur selben Zeit am selben Ort. Nein, es wollte nichts riskieren. Die Menschen könnten sich ernsthafte Gedanken machen. Sie wüssten zwar nicht wonach oder wen sie suchen sollten, aber sie würden vorsichtiger werden. Womöglich würden sie sich bald nicht mehr aus ihren Häusern trauen. Das könnte die Mission gefährden, und das durfte es nicht zulassen. Lautlos schlich es den beiden weiter nach. Es lächelte, als sie sich endlich von einander verabschiedeten und getrennte Wege entlang torkelten... Mamoru hatte von diesem Film nie etwas gehört. Hikari hatte ihn sich ausgesucht. Er wusste nicht wirklich, was ihn erwarten würde. Der Titel war absolut nichtssagend. Insgeheim hatte Mamoru gehofft, es könne sich um eine Komödie handeln. Er hätte eine kleine Aufmunterung dringend nötig gehabt. Doch weit gefehlt. Bis jetzt war eine rassige Spanierin nach New York geflogen in der Hoffnung, dort eine Karriere als Sängerin anfangen zu können und dann verliebte sie sich in ihren Gesangslehrer, der dummerweise verheiratet war - eine Schnulze hoch zehn, und kitschig ohne Ende. Doch es hatte den Anschein, als habe Hikari sowieso etwas anderes vorgehabt, als ihre kostbare Zeit dem Film zu widmen. Und sie hatte auch Mamoru schnell davon überzeugt, dass ebendieser Film nichts anderes als Mittel zum Zweck war. Ihre Argumente wirkten großartig und ohne jegliche Verzögerung - sie ergriff seine Hand, lehnte sich an seine Schulter und seufzte. Das allein reichte völlig aus, seine Aufmerksamkeit zu hundert Prozent auf sie zu ziehen. Sie gab ihm ein wenig Zeit, sich an seine Gefühle zu gewöhnen und ein wenig wieder auf den Teppich zu kommen. Dann reckte sie ihm ihr Gesicht zu und hauchte ihm einen leichten Kuss auf den Mundwinkel. Sie spürte sein erregtes Zittern und lächelte siegesgewiss. Dann lehnte sie sich ihm noch etwas mehr entgegen... Ein leises, dumpfes Geräusch ertönte, als es sein Opfer zu Boden sinken ließ. Der junge Mann war schon lange nicht mehr bei Bewusstsein. Behutsam setzte es diesen Kerl aufrecht hin und lehnte ihn mit dem Rücken gegen eine Hauswand. Innerhalb der nächsten paar Stunden würde ihn schon irgendwer finden. Hoffentlich. Es sorgte dafür, dass der Mann so weit im Schatten saß, dass man ihn nicht sofort entdeckte, er aber auch so gut sichtbar war, dass schon bald jemand über ihn stolpern musste. Denn es tötete grundsätzlich nicht. Das würde unangenehme Fragen aufwerfen. Und tot war dieser Mann für ihn sowieso nicht von Nutzen. Es hatte viel mehr von einem Lebenden, denn der konnte seine Kraft wieder regenerieren und später wieder als Energielieferant nützlich sein. Ein Blick auf sein rechtes Handgelenk verriet ihm, dass ICTUS schon bald genug Energie gespeichert haben würde. Bald würde die Kraft reichen, um auch längere Zeit ohne den gesuchten Kristall in der Welt der Menschen leben zu können. Es sehnte sich nach dem Herrn der Erde. Dessen Energie fühlte sich warm und wohlig an, und der Goldene Kristall hätte bestimmt genug Kraft, um ICTUS zu mehr Macht zu verhelfen. Doch es wollte dem Ziel lieber etwas mehr Zeit zur Erholung gönnen. Denn es wusste, dass es für die Gesundheit des Herrn der Erde nicht gut war, wenn er auf kurze Zeit hin noch einmal so viel Energie verlor - und ihm durfte nichts geschehen. Das könnte die Mission gefährden. Zufrieden mit seiner Arbeit lächelte es und verschwand wieder in der Dimension der zeitlosen Finsternis. Mamoru löste sich wieder von Hikaris süßen Lippen um leise keuchend nach Luft zu schnappen. Er lächelte überglücklich. Kaum zuvor in seinem Leben hatte er solche Gefühle zu empfinden vermocht. So lange schon hatte er sich eine Situation wie diese herbeigesehnt - und nun war all sein Hoffen endlich wahr geworden! "Du bist doch nicht schon aus der Puste?", fragte Hikari belustigt nach. Sie musste flüstern, um die anderen Leute im Kino nicht zu stören. "Nein, nein." Mamoru hob die rechte Hand und fuhr ihr damit über die zarten Wangen, die selbst im schummrigen Licht des Kinosaales einen deutlich roten Schimmer aufwiesen. Auch seine Gesichtsfarbe war ganz ähnlich. Seine tiefdunklen, blauen Augen glänzten vor Freude und Erwartung. Seine Lippen waren inzwischen angeschwollen. Seine Körpertemperatur war deutlich angestiegen. Sein Herz jagte mit wahnsinniger Geschwindigkeit. Trotz der inzwischen recht späten Stunde verspürte er nicht mal den Hauch von Müdigkeit. Alles, was er noch zu fühlen imstande war, war das Empfinden von leidenschaftlicher Gier. Er lehnte sich wieder etwas zu Hikari herunter. Seine Nasenspitze berührte die ihre. Und schon bald darauf hatten sich beider Lippen wieder vereint und die Zungen spielten im feuchten Spiel miteinander. Nur für die Dauer eines einzelnen, schnellen Herzschlages durchzuckten Mamoru wieder die Zweifel, ob das, was er gerade tat, richtig war. Wenn Chikara Wind davon kriegen würde, dass seine Freundin mit seinem größten Feind im Kino hockte und ihre Zunge in seinen Rachen steckte, würde er Mamoru wahrscheinlich mindestens zwei Köpfe kürzer machen. Doch kaum dass ein Bruchteil einer Sekunde vergangen war, hatte Mamoru jegliche Verbindung zu diesem Gedanken wieder verloren. Lächelnd sah er tief in Hikaris dunkelgrüne Augen und fühlte sich wie hypnotisiert. Er küsste ihre Lippen, ihre Wangen und ihr Kinn und empfand dabei eine bislang ungekannte Befriedigung. Wenn er daran dachte, dass dies nur eine der vielen, niederen Vorstufen zu einer wahren, körperlichen Vereinigung war, wurde ihm regelrecht schwindlig vor Glück und Vorfreude. Er konnte sich kaum vorstellen, dass dieses Empfinden noch zu toppen war. Erst, als das Licht im Saal sachte hochgedreht wurde bemerkten die beiden, dass der Film längst vorüber war. Sie grinsten sich gegenseitig an, als sie den nur spärlich ausgeleuchteten Raum Hand in Hand verließen. Inzwischen war es tiefste Nacht. Nur wenige Sterne waren über Japans Hauptstadt zu erkennen. Nur der Sichelmond schien in einer Suppe aus Düsternis dahinzudümpeln. Bunte Leuchtreklamen und weiße Straßenlampen säumten die Wege. Es waren nicht mehr sehr viele Menschen unterwegs. Ein frischer Wind kam auf. "Mir wäre es nicht recht, wenn Du frierst", meinte Mamoru und begann sich die Jacke auszuziehen. "Möchtest Du?" "Oh, ja! ... Vielen Dank, das ist wirklich lieb von Dir!" Natürlich hätte er nie zugegeben, dass er ihr das Kleidungsstück nicht nur gegeben hatte, um sie vor der Kälte zu schützen, sondern auch vor den Blicken anderer Männer. Er war der festen Überzeugung, ihm alleine gebühre, diese schier göttliche Schönheit ansehen zu dürfen; ein Privileg, das sonst keinem vergönnt war. Sie war zwar nicht seine Freundin (noch nicht! Und auch noch nicht ganz offiziell) aber es schmeckte ihm dennoch nicht, dass er diesen herrlichen Anblick teilen sollte. Er mochte die Idee, dieses reine Wesen könnte von fremden Blicken schier ausgezogen werden, so ganz und gar nicht. Er half ihr in die Jacke zu schlüpfen. Hikari strahlte ihn an und kuschelte sich tief in sein Kleidungsstück. Sie steckte sogar kurz die Nase in den Kragen um Mamorus Duft einzuatmen. Er bemerkte das mit einem gewissen Gefühl von Stolz. Aus einem Impuls heraus legte er seinen Arm um ihre Schulter. Sie begrüßte diese Geste, indem sie ihn warm anlächelte. "Ich bringe Dich jetzt nach Hause, ja?", bot Mamoru an. "Hmmm", seufzte Hikari bejahend und lehnte sich etwas mehr an ihn. Sie schritten davon. An einem weit entfernten Ort, umhüllt von fast schon greifbarer Dunkelheit, saß eine Frau auf ihrem steinernen Thron. Langes, rotes Haar wallte an ihrem Körper herunter, am dunkelblauen Kleid entlang und schmiegte sich gerade noch auf die Sitzfläche und um ihre Hüften herum. Die stechenden, gelblich glühenden Augen der Frau, die rund um die Pupille in unheimlichem Rot leuchteten, blickten in die weite Halle. Die Frau machte eine unwillige Handbewegung. Daraufhin erschien ihr langes, silbernes Zepter, das mitten in der Luft stehen blieb. Auf der Spitze dieses Zepters war eine etwa kopfgroße Kugel angebracht, in der dunkle, violettfarbene Nebel zu wabern schienen. Einige Herzschläge lang betrachtete die Frau diese Kugel und bewegte ihre Hände in rhythmischem Wallen um sie herum. Ein mürrisches Knurren glitt der unheimlichen Frau über die Lippen. Dann hob sie ihre Stimme an und rief in die Halle, die sich in Schwärze und Dunkelheit regelrecht verlor, hinein: "JEDYTE!" Auf dem mehrere Meter durchmessenden, freien Platz vor der niedrigen Tribüne, auf der ihr Thron stand, erschien ein dichter Nebel von schwarzer Farbe. Aus dem Rauch trat ein Mann von vielleicht dreißig Jahren mit kurzem, blondem Haar und stechend grünen Augen. Der Nebel verschwand, und der Mann in seiner grauen Generalsuniform verneigte sich tief vor dem Thron. "Ich repräsentiere den fernen Osten des Dunklen Königreichs. Ich bin Jedyte, der erste Prinz der vier Himmel. Ich stehe Euch zu Diensten, Königin Perilia. Euer Wunsch ist mein Befehl." "Höre, Jedyte!", donnerte Königin Perilia mit ihrer mächtigen Stimme in den riesigen Saal hinein. "Nun, wo das Königreich des Dunklen nach so langer Zeit wieder zu neuem Leben erwacht ist, brauchen wir unbedingt frische Energie, um uns manifestieren zu können. Wir müssen uns auf die Suche nach dem Heiligen Silberkristall begeben, der uns die Macht über das Universum verschaffen wird. Das soll Deine Aufgabe sein. Doch zu aller erst musst Du Energie sammeln, denn unsere dämonischen Legionen sind leider zum größten Teil immer noch im Tiefschlaf. Sammle menschliche Lebensenergie. Für unsere Truppen. Für mich. Für unsere Suche nach dem Silberkristall. Und vor allem: für unsere große Herrscherin Königin Metallia. Ich schicke Dich in Deine angestammte Region zurück: in den Osten. Dort sollst Du die Länder erkunden. Finde heraus, wer sich uns in den Weg stellen könnte und vernichte ihn. Ich kann die Anwesenheit der Feinde spüren. Auch sie werden bald damit anfangen, ihre Truppen zu erwecken. Wir müssen unbedingt vor ihnen bereit sein! Wir müssen diesmal schneller sein, um die uralte Schlacht ein für alle Mal zu gewinnen! Jedyte! Geh! Geh und erfülle Deine Mission. Nimm ein Monster Deiner Wahl mit und tu alles in Deiner Macht stehende, um unserer großen Herrscherin Deinen Respekt zu beweisen." "Sehr wohl", antwortete Jedyte. "Ihr könnt Euch auf mich verlassen, Königin Perilia. Damit verschwand Jedyte wieder in seiner schwarzen Wolke. "Hikari?" "Ja?" "Sag mal..." Mamoru zögerte kurz auf der Suche nach den passenden Worten. "...Wie geht es nun eigentlich weiter? Mit uns? Mit ... Dir und Chikara?" "Chikara? Wer's das denn?", lachte Hikari. "Das ist der Kerl, der schon seit ner Ewigkeit drauf aus ist, mich umzubringen", erinnerte sie Mamoru ernst. "Ach, Mamoru!", seufzte sie und ließ ihren Blick durch die Gegend gleiten. "Mit Chikara und mir ist es aus. Ich kann mit dem groben Klotz absolut nichts mehr anfangen. Er ... er ist so ... gefühllos. Er reizt mich einfach nicht mehr. Aber Du! Ich entdecke ständig neue Seiten an Dir. Du bist etwas Besonderes! Ich finde es ... na ja ... interessant!" "Interessant...", murmelte Mamoru, und ein gewisser Stolz schwang in seiner Stimme mit. "Ich wollte schon immer interessant für Dich sein. Seit ich Dich das erste Mal gesehen habe, konnte ich die Augen nicht mehr von Dir lassen." Wieder schlich sich die Röte auf seine Wangen, aber was er da gerade gesagt hatte war ja immerhin schon lange kein Geheimnis mehr. Er blieb stehen, lehnte sich ihr entgegen und hauchte ihr einen sanften Kuss auf die Lippen, den sie mit einem leisen Seufzer erwiderte. Als er sich wieder von ihr löste, musste er schwer schlucken. Er zog Hikari fest an sich und schlang seine Arme um ihren schmalen Körper. Dann lehnte er seine heiße Stirn an ihre und blickte ihr tief in die Augen. "Ich liebe Dich." "Mamoru...", hauchte sie fast unhörbar leise. "Ich Dich auch." Er lächelte und senkte wieder seine Lippen auf die ihren. Als er seinen Kopf wieder ein Stück zurückzog, flüsterte er ihr zu: "Gehen wir weiter?" Sie nickte. Doch nur wenige Schritte weiter blieben sie wieder stehen. "Da sitzt wer", stellte Hikari fest und eine leise Angst schwang in ihrer Stimme mit. "Beruhig Dich. Ich glaube, er ist betrunken ... oder vielleicht ohnmächtig. ...Oder ... er ist doch nicht etwa..." Mamoru kniete neben dem jungen Mann nieder und untersuchte ihn. Es dauerte keine drei Sekunden da schnappte er entsetzt nach Luft. Diesem Mann wurde die Energie entzogen! Mamoru sah sich wild um. Er konnte den unheimlichen Schatten nicht sehen, aber das musste nichts heißen. Es war tief in der Nacht, die Straße war wenig belebt und auch nur mäßig ausgeleuchtet. Seine Gedanken drehten sich wild im Kreis. Wenn das Wesen noch in der Nähe war, musste er so schnell wie möglich mit Hikari fliehen! Aber wohin? Dieses Wesen folgte ihm schon seit Tagen auf Schritt und Tritt. Es gab kein Entrinnen! Mamoru musste Hikari irgendwie beschützen ... aber er konnte auch diesen armen Kerl nicht einfach hier liegen lassen. "Was ist mit ihm?", fragte Hikari verunsichert nach. "Kannst Du ihm helfen?" "Ich...", stotterte Mamoru, "...ich..." Er fürchtete sich ein wenig, seine Fähigkeiten einzusetzen. Wenn diese Kreatur wieder auftauchte! Jeden Moment konnte genau dies geschehen! Was wäre dann? Aber was sollte er auch sonst tun? Er würde auf keinen Fall Hikari allein losschicken, um eine Telefonzelle zu suchen. Den jungen Mann mitnehmen war auch unmöglich, er war unter Garantie zu schwer. Ihn hier allein liegen lassen war auch nicht drin. Weit und breit war auf einmal keine Menschenseele mehr zu sehen. Und rings herum standen nur Geschäfte, die längst geschlossen hatten. "Also?", fragte Hikari, als sie immer noch keine Antwort bekommen hatte. Mamoru entschloss sich nach einigem Zaudern doch dazu, es eigenhändig zu versuchen. Er griff nach der Hand des Fremden und konzentrierte sich auf die Energieübertragung. Irgendwann ließ er den Fremden wieder los und lehnte sich keuchend gegen die Hauswand. Er fühlte sich unheimlich müde. Und in ihm wuchs beständig das Gefühl der Bedrohung; ganz so, als sei der Feind in gefährlicher Nähe. Mamoru musste sich unbedingt beruhigen. Er griff unter seinen Pullover und förderte die kleine, goldene Spieluhr zutage, die an seiner Halskette hing. "Was ist das?", fragte Hikari, doch diese Frage ließ er unbeantwortet. Er öffnete den Deckel und die sanfte Melodie erklang. Augenblicklich hatte das Lied eine beruhigende Wirkung auf Mamoru. Es schien ihm fast, als gäbe ihm die Spieluhr einen Teil seiner Energie zurück. Er seufzte auf. "Wir sollten verschwinden", murmelte er erschöpft. "Wir werden ein Telefon suchen und das Krankenhaus anrufen. Wir sollten besser zusammen bleiben. Ich werde Dich keine Sekunde aus den Augen lassen. Ich will nicht, dass Dir was passiert. Wir werden..." Er zuckte zusammen. Dieses Gefühl der Kälte! Dieses eindeutige Empfinden der Bedrohung! Auf der gegenüber liegenden Straßenseite materialisierte sich etwas Unförmiges... [Anmerkung des Autors] Ich weiß, es ist fies von mir, gerade hier aufzuhören. Und jetzt kommt's noch fieser: ich werde einige Wochen lang in den Urlaub fahren und komme erst am 2.Oktober zurück. Und wahrscheinlich werde ich für den Dienstag direkt danach kein Kapitel parat haben. Aber ihr werdet noch früh genug wieder von mir hören! ^-^ Draco Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)