Hoch hinaus und tief hinab von Staubfeder (Kurzgeschichten) ================================================================================ Kapitel 2: Valerie ------------------ Ich spürte noch jedes einzelne Wort um meinen Kopf kreisen, wie sie zitterten, sich regten, sich anschließend jedoch wieder in mein Gedächtnis brannten, als sei ich ein Sünder zu Mittelalterzeiten. Vielleicht bin ich es auch? Wieder und wieder hörte ich noch all das, wie es Tag für Tag auf mich niederschmetterte, mich erdrückte. Jeder Schmerz rang in diesen Moment über die Haut auf mein Gesicht, fraß sich in das Fleisch, tiefer, ätzender, wie Schwefeldioxid und später erreichte es meine Organe, mein Herz. Oft hatte ich das Gefühl, es würde brechen, doch es gibt doch immer wieder kleine Trostpflaster, oder nicht? In diesem Moment schien es nicht so. Der Moment, als die Person, die mir am Nahesten stand, schwieg. Kein Satz wollte ihre Lippen übergleiten, so geschmeidig, wie ich es von anderen immer gewohnt war. Anderen Müttern, die ihren Kindern sanfte und beruhigende Worte zu flüsterten, wenn sie sich beim Sturz weh getan hatten. Sie küssten die Tränen weg, die das Wehgefühl verursachten und sie hielten ihr Kind einfach in den Arm. Einfach so, als sei es das Natürlichste der Welt. Das ist es wohl auch, ja. Ich würde es gerne erfahren. Doch nun ist es zu spät, zu spät um alles rückgängig zu machen, zu spät um Reue zu zeigen, zu spät für Elternliebe. Sie verwies mich. Sie, die Frau, die mich gebahr. Die Frau, die mir das Licht der Welt schenkte. Sie lies mich kriechen, kauern, auf stinkend grauen Asphalt, es interessierte sie nicht, dass meine Knie' wund wachen. Sie legte nicht ihren kühlen Atem darüber, wie die anderen es tun. Auch, dass wegen ihm Blut über mein Gesicht floss, schien sie nicht im Geringsten zu erweichen. Ja, verdammt, ich war nunmal anders. Was konnte ich denn für meine Augen? Ich entdeckte einen spitzen Stein zu meiner Rechten und nahm ihn in die Hand. Sollte ich es wagen? Ich hielt in mir mit der Spitze vor das rechte Auge, bis ich zu zittern began. Was nützte mir das? Der Stein fiel wieder zu Boden. Das war doch genau das, was sie wollte. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Was dachte diese Frau auch, wer ich bin? Dachte sie, ich würde sie um Aufmerksamkeit und Liebe anbetteln? Da hätte sie lange warten können. Ich stand auf. Ohne eine Stütze, ohne Hilfe, so wie ich es immer tat. Immer. Ich kann stark sein, ich werde für mich selbst stark sein, mich selber trösten. Das schwor ich mir. Ich nahm mir das was mir noch blieb, mich selbst und brachte mich in eine gerade Standposition. Nein, das lies ich nicht mit mir machen. Ich drehte mich nicht um, blickte nur in das Licht, der aufgehenden Sonne. Die Sonne, Inbegriff des ewigen Lichtes, Licht ist Denken, Denken ist Wissen, ich wollte über mich wissen, alles. Ich habe mich nicht umgedreht, nicht zu der Dunkelheit des indirekten Gebährmutterknotens. Ich erkannte, das kein Herz mit der Geburt ausgewachsen ist und auch nie auswachsen wird. Wir nähren es nur mit unseren Lebenserfahrungen. Und so trat ich dem Sonnenrotsfest mit einem Lächeln entgegen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)