Vier und vierundzwanzig kleine Überraschungen von abgemeldet (Der Kleine Adventskalender) ================================================================================ 18. Dezember - Ragnarok ----------------------- "Iruuuugaaa!" Judias Stimme schallte laut durch das Tal, welches von hohen schneebedeckten Bergen umsäumt war. Mit einem etwas verlassen wirkenden Blick schaute sich die Jägerin nach dem Assassin um, der sich kurz zuvor aus dem Staub gemacht hatte. Zuerst hatte sie geglaubt, es wäre gewesen, weil sich von irgendwoher Gefahr näherte, aber dann hätte Iruga es ihr sicherlich gesagt und sie nicht vermeintlich schutzlos zurück gelassen. Obwohl schutzlos es nun wirklich nicht traf. Wenn sich eine Frau wehren konnte, dann war sie es. Und das wusste auch ihr Angebeteter, der sich so gerne etwas von ihr distanzierte, obwohl sie genau wusste, dass auch sie ihm viel bedeutete. "Falcon!" Sie streckte den Arm mit der Lederschiene aus, damit sich ihr Falke darauf niederlassen konnte, was er auch tat, nachdem er ihren Ruf gehört hatte. Fragend legte er den Kopf schief und blickte seine Besitzerin abwartend an. Diese gab allerdings nicht sofort Antwort, kraulte ihn dafür aber zuerst einmal am Kopf. "Das gefällt dir, ja?" Zu diesem Schluss gelangte sie, weil er seine Federn aufplusterte und einen wohligen Schrei von sich gab. Lächelnd betrachtete Judia den Falken und ließ den Blick abermals zu den hohen Schneebedeckten Bergen gleiten, in welchen Iruga verschwunden war. "Tust du mir einen Gefallen, Falcon? Such Iruga. Er ist einfach verschwunden, ohne etwas zu sagen." Der Kopf des Falken richtete sich auf. Grazil breitete er seine Schwingen aus, hielt aber inne, als hinter Judia eine sehr tiefe und viel zu selten genutzte Stimme erklang. "Ich bin zurück." Judia drehte sich mit heftigem Herzklopfen zu ihrem Weggefährten um und betrachtete unauffällig dessen große Statur, in die man sich einfach verlieben musste. Und genau deshalb hatte sie sich in ihn verliebt. Zuerst war da nur der Blick auf seine äußere Erscheinung gewesen, dann kam sein Wesen zu tage, als er sie vor dem Tode rettete. Und letztendlich war es seine kühle und distanzierte Art gewesen, die ihren Geist benebelt hatte und sie auf Wolke sieben hatte steigen lassen. "Wo warst du, Iruga? Ich habe mir schon Sorgen gemacht." Der Assassin hob seine Arme etwas an, auf welchen ein Fell ruhte. Etwa so groß, um sie damit bedecken zu können, denn nach wie vor trug sie einen kurzen Rock, ein bauchfreies Oberteil und fror vor sich hin, während er sich in seinen Umhang einwickeln konnte. "Das ist für dich. Ich habe einen fahrenden Händler entdeckt, kurz bevor wir das Tal betreten haben." Seine Arme streckten sich ihr entgegen und boten ihr das wärmende Fell an. Sofort röteten sich Judias Wangen, und sie musste hart damit kämpfen, nicht in einen überschwänglichen Freudentaumel auszubrechen. Gefasst versuchte sie ihm also gegenüber zu treten und wollte nach dem Fell greifen, als Iruga es ausbreitete und es hinter ihrem Rücken um ihre Schultern legte. "Ich hoffe, es ist jetzt nicht mehr so kalt." Die junge Frau schüttelte langsam den Kopf und zog das Fell dichter um den ausgekühlten Körper. "Es ist wunderbar warm. Aber ist dir nicht kalt?" Ihr Blick glitt über seine Kleidung und den Mantel, den er trug, der aber nicht wirklich Kältetauglich anmutete. "Nein, es geht schon." Der Assassin zog die Arme unter den Umhang zurück und hielt diesen vorne fest, damit er durch den aufkommenden Wind nicht wieder aufgepustet wurde. Allerdings strafte sein Zittern seine Worte Lügen, was auch Judia mit einem genaueren Blick auf ihn feststellte. Suchend schaute sie sich in der Umgebung um und blickte Falcon an. Dieser erhob sich in die Lüfte, nachdem sie ihm mit einer Armbewegung mehr Schwung ermöglicht hatte. "Falcon, such eine Höhle, in der wir übernachten können. Es wird zu kalt." Kurz blickte sie dem Raubvogel nach, richtete dann aber wieder ihren Blick auf Iruga, der verstärkt versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass er fror. Judia trat näher zu ihm, blieb dicht vor ihm stehen und schaute zu ihm empor. "Lass uns gleich Feuerholz suchen. Dann wird es uns ein wenig wärmer in der Höhle. Obwohl mir zu diesem Zweck auch etwas anderes einfallen würde." Ihre braunen Augen blitzten amüsiert. Iruga blickte auf sie hinab und hob eine Braue. Da sein Mund hinter dem Mundschutz versteckt war, war es an Judia, allein aus seinen Augen die Antwort auf diesen Vorschlag zu lesen. Und diese Antwort fiel mehr als nur zufrieden stellend aus. Viel mehr als das. Der Assassin löste erst wieder den Blick von ihrem Gesicht, als Falcon einen Schrei ausstieg und zum Sinkflug ansetzte, welcher ihn auf Judias ausgestreckten Arm führte. Diese blickte ihn neugierig an und lauschte seinen Schreien. Schließlich wies sie in eine Richtung und übernahm die Führung, während Iruga hinter ihr herkam und bereits etwas Feuerholz auflas. In der Höhle angekommen ließ Judia Falcon auf einer aus der Wand ragenden Wurzel Platz nehmen, um das Fell, welches sie bisher vor der Kälte geschützt hatte auf dem Boden auszubreiten. Auf den Knien rutschend bereitete sie eine Feuerstelle vor, welche Iruga in Betrieb nahm, als er aus der Kälte mit Feuerholz bepackt hinein kam. Als das Feuer prasselte und sich Wärme in der Höhle breit machte, rutschte Judia dichter an Iruga und legte ihren Kopf an dessen Schulter. Zaghaft und ohne jede Gefühlsregung legte dieser daraufhin seinen Arm um ihre Schultern und reichte ihr etwas von den Lebensmitteln, die sie als Vorräte mit sich führten. "Wenn es nicht so verdammt kalt wäre, fände ich es wirklich gemütlich. Aber du machst das auch so wieder gut." Nachdem sie in ihre Süßkartoffel gebissen hatte, zog sie mit dem Zeigefinger langsam seinen Mundschutz hinab, nur um den Blick auf zwei blau angelaufene Lippen freizumachen. Iruga schenkte ihr ein verkniffenes emotionsloses Lächeln und neigte sich vor, als sie sich mit ihrem Gesicht seinem näherte. Mehr als nur zaghaft legten der beiden Lippen sich aufeinander und versuchten so etwas Wärme in die ausgekühlten Leiber zu bringen. Da dies allerdings nur ein kleines Feuer entfachen sollte, ließen sie sich auf das Fell zurück sinken und schenkten einander so die benötigte Wärme und Zuneigung, welche Iruga nach wie vor nicht zu formulieren in der Lage war. Falcon saß unterdes auf seiner Wurzel, aufgeplustert und in einen tiefen Schlaf gefallen, der ihm Träume von wärmeren Zeiten verhieß. ------------------------------------- © by Sandra Wronna/Merenwen Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)