Vier und vierundzwanzig kleine Überraschungen von abgemeldet (Der Kleine Adventskalender) ================================================================================ 16. Dezember - Golden Boy ------------------------- Mein Name ist Kintaro Oe. Ich bin 25 Jahre alt und habe gerade mein Jura-Studium abgeschlossen. Ich gönne mir eine Auszeit und bereise mit meinem Fahrrad Japan, um in der Schule des Lebens zu lernen. Auf meiner bisherigen Reise habe ich schon viele Jobs übernommen und habe angepackt, wo ich nur konnte. Und obwohl man mich letztendlich immer anflehte, zu bleiben, habe ich mich wieder auf mein Fahrrad geschwungen und bin dem Horizont entgegen gefahren. Das große Einkaufszentrum in Osaka war ein stets viel besuchter Ort, da es in ihm nicht nur Geschäfte, sondern auch Restaurants, Spielhallen und Kinos gab, welche die Besucher aus aller Welt anlockten und mit ihren Reizen gefangen hielt. Auch Kintaro Oe, ständig auf der Suche nach einem Job, um sich im Leben zu beweisen, verschlug es eines Tages in dieses Kaufhaus, als er an einem Schaufenster ein Schild mit der Aufschrift "Weihnachts-Aushilfe gesucht" entdeckte. Kurzerhand schwang er sich von seinem Fahrrad, schloss es an und begab sich zum Personalbüro, vor welchem sich Schüler, Studenten und auch Rentner tummelten, um den Job zu erhalten. Beinah schon entmutigt, wollte der junge Mann den Rückzug üben, doch da vernahm er ein Geräusch, welches ihm stets heftiges Herzklopfen einbrachte. Hohe Absätze klickten auf dem Linoliumboden, welcher so stark poliert war, dass die langen Beine der dazugehörigen Frau noch länger wirkten. Kintaros auf den Boden gerichteter Blick hob sich langsam. Seine Augen glitten über schlange lange Beine, einen wohl proportionierten Po, eine schlanke Taille und einen Busen, der ihm das Wasser im Mund zusammenfließen ließ. Mit vor dem Mund hängender Zunge setzte sein Blick den Weg fort bis in das blasse Gesicht einer rothaarigen großen Frau mit grünen Katzenaugen, deren offnes Haar ihr bis unter die Schulterblätter reichte. Sofort weiteten sich seine Augen und sein Herz begann noch heftiger zu schlagen. Sein Gesicht verzerrte sich binnen Sekunden in eine irre Fratze, während er eine Pose zu Kampfansage - rechter Arm angewinkelt und linke Hand auf dem rechten Bizeps - vollführte. Besagte Frau blickte ihn in diesem Augenblick an und wisch kurz erschrocken zur Seite, obgleich dies mehr als nur sinnlos war. Denn Kintaro setzte ihr bereits nach und blickte sie aus großen bettelnden und gutgläubigen Augen an. "Bitte... bitte lassen Sie mich für Sie arbeiten. Sie werden es nicht bereuen. Ich scheuere ihre Toilette, ich kochen Ihnen Kaffee, koche und mache Botengänge. Aber bitte, bitte stellen Sie mich ein." Das verwirrte Gesicht der jungen Frau wurde noch verwirrter, bis sich ein Lächeln auf ihre Lippen stahl. Sie tippte den unterwürfig auf den Boden starrenden Kintaro auf die Schulter und wies mit einem Nicken zu der sich öffnenden Bürotür. "Sie sollten unseren Personalchef anbetteln. Und nicht mich. Ich bin nur die Sekretärin." Damit huschte sie an ihm vorbei durch die Reihen der Wartenden und verschwand im Büro, dessen Tür sich abermals schloss. Erschlagen und mit Schnodder, der ihm aus der Nase lief, blickte Kintaro ihr nach. Allerdings fiel sein Blick recht bald auf die Massen, die vor ihm an der Reihe waren. Massen, die ihm seinen Job vor der Nase wegschnappen konnten. Und das konnte er nicht zulassen. Nicht einmal im Traum. Deshalb ging er zum Angriff über, schnappte sich einfach ein paar Prospekte, die auf einer Fensterbank lagen und drängelte sich durch die Wartenden, welche lautstark protestierten. Nur ließ Kintaro sich nicht im Geringsten davon abhalten und huschte schließlich in das Büro, dessen Tür er hinter sich zudrückte. Sofort richteten sich die Augen des Personalchefs und seiner Sekretärin auf ihn. Letztere lächelte kurz amüsiert und blickte dann fragend zu ihrem Chef. "Kann ich dann noch etwas für Sie tun? Ansonsten erledige ich den Rest." Sie griff nach einigen Unterlagen, während Kintaro sie auf großen Augen anstierte, die beinah schrieen, dass er diesen Job wollte. "Nein, Sie können gehen, Hanae." Die junge Frau nickte erst ihrem Chef und dann Kintaro zu, dem sie auch noch einen gedrückten Daumen zeigte, was bei dem jungen Mann abermals zu Herzklopfen führte. Als seine Sekretärin aus dem Raum war, wendete sich der Personalchef an Kintaro und zog eine Fotografie hervor, die er sich abwechselnd mit Kintaro betrachtete. Aus einer Schublade zog er eine rote Nase hervor und warf sie dem jungen Mann zu. "Aufsetzen." Der übermotivierte Kintaro tat, wie ihm geheißen und setzte die rote Nase auf. Der Chef nickte und legte den Kopf schief. "Versuchen Sie einmal intelligent zu gucken." Kintaro tat wie ihm geheißen, überhörte dabei aber vollkommen, die Boshaftigkeit in der Stimme des Personalchefs, der plötzlich krachend auf den Tisch haute und begeistert nickte. "Perfekt. Wenn sie wollen, können sie direkt als Rudolph das Rentier anfangen." "Ru.... Rudolph?" Die Augen des Juristen in spe weiteten sich irritiert, bis der Personalchef aufstand, nach einem Karton griff und ihm diesen in die Hand drückte. Langsam öffnete er die Kiste und erkannte, was es war. Sein Kostüm. Ein Rentier-Kostüm. Kurz verfluchte KIntaro sich, aber bei dem Gedanken an Hanae verflüchtigten sich auch solche Flüche. Immerhin tat er das ja, um auch ihr zu helfen. So redete er es sich zumindest ein. "Ja, Rudolph. Und hier ist der Vertrag." Der Chef der Personalabteilung schob ihm das Papier hin, welches er misstrauisch betrachtete, letztendlich nach dem Durchsehen jeder Klausel aber doch unterschrieb. Abschließend schüttelte sein neuer Chef ihm noch die Hand und rief über das Telefon nach seiner Sekretärin, die Kintaro vor der Tür abholte und zu den Umkleiden führte. "Dann Glückwunsch zum neuen Job. Und immer daran denken, auch wenn die Kinder treten, lächeln." Die Rothaarige wartete vor der Umkleide bis Kintaro heraustrat und kicherte sofort leise. Kintaro rieb sich seinerseits verlegen hinter dem Geweih. "Naja, was man nicht alles tut." "Stimmt... Hier geht es lang." Abermals übernahm die Sekretärin die Führung und brachte den neuen Mitarbeiter zu einem große Schlitten, welcher unter dem riesigen Dom des Einkaufszentrums stand. Mit geschickten Fingern spannte sie den jungen Mann ein, der freudig schnurrte und sich bereits nette Zusammenkünfte mit ihr ausmalte. Als aber das erste Kind mit großen Augen vor ihm stand und ihn auslachte, vergingen auch ihm seine Tagträume. Denn die von ihm so verehrte Sekretärin war bereits wieder verschwunden. Aber lange würde das nicht vorhalten. Er würde sie finden und ihr behilflich sein. So wie er es immer war. ------------------------------------- © by Sandra Wronna/Merenwen Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)