Vier und vierundzwanzig kleine Überraschungen von abgemeldet (Der Kleine Adventskalender) ================================================================================ 6. Dezember - Chrno Crusade --------------------------- Unter der Regierung von Präsident Coolidge war es möglich, dass das einst so gebeutelte Amerika endlich wieder aufblühen konnte. Die Industrie blühte in nur jeglicher erdenklicher Weise auf. Mitte der zwanziger Jahre fuhr bereits jeder fünfte Amerikaner ein eigenes Automobil und hegte und pflegte es mit stolz geschwellter Brust. Durch den Aufschwung der Auto-Industrie wurde auch die Infrastruktur Amerikas vollkommen umgestellt. An jeder Ecke erhoben sich gepflasterte Straßen aus den Städten, deren vertikale Bauweise nun das Bild prägten. Zusätzlich erlebten Großkonzerne, die Öl förderten, einen Aufschwung, da dieses dringend für die Autos benötigt wurde. Arbeitsplätze konnten in Massen geschaffen werden, so dass die Wirtschaft erblühte und erstrahlte, wie eine Blume im Frühling. Durch die gute wirtschaftliche Lage fanden auch Konsumgüter fortan reißenden Absatz. Parfum und Pralinen aus Frankreich, feinste Stoffe und Gewürze aus dem Orient, feinster Tee aus Großbritannien, Musikinstrumente aus Italien und Deutschland eroberten binnen weniger Jahre die Herzen der Amerikaner. Der Wehrmutstropfen blieb allerdings, dass nach dem großen Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wurde - trotz florierender Wirtschaft. Immer mehr Amerikaner gaben den Afroamerikanern die Schuld an ihrem eigenen Elend, so dass binnen weniger Jahre, der Ku Klux Klan den Höhepunkt seiner Macht erreichte. Da dies allerdings alles vornehmlich auf dem Lande geschah, wo der Unterschied zwischen arm und reich noch größer war als in den Städten, gaben sich die Städter an einem 6. Dezember im Jahre 1926 den Herrlichkeiten der vorweihnachtlichen Stimmung in den langen Einkaufspassagen hin. Neben hell erleuchteten Weihnachtsbäumen, Lichterketten, Engeln in den Schaufenstern standen auch die Helfer der Wohlfahrt und Ordensmitglieder diverser Klöster an verschiedenen Standpunkten und läuteten ihr Glocken, um Spenden für die Bedürftigen zu sammeln, um diesen eine schönes Weihnachtsfest zu ermöglichen. Unter ihnen auch die 14-Jährige Rosette Christopher und der kleine Dämon Chrno, dem man nur mit einem Blick auf seine Ohren ansehen konnte, dass er kein normaler kleiner Junge war. "Warum heute? Es ist so verdammt kalt." Die Novizin des Magdala-Ordens bibberte in ihrem dicken Mantel und trotz der dicken Handschuhe an den kleinen Händen heftig vor sich hin. Der Dämon an ihrer Linken fror zwar auch, allerdings hielt es sich bei ihm einigermaßen in Grenzen, so dass er dichter zu ihr rückte, um ihr etwas von seiner Körperwärme abzugeben. "Weil heute Nikolaus ist und jeder ein Recht auf ein kleines Präsent hat." "Ich wäre aber lieber mit zu dem Exorzismus gefahren. Nächstes Jahr darf ich ja auch endlich anfangen." Die blonden Haare, die unter Rosettes dicker Mütze hervor hingen, waren bereits ganz nass und steif gefroren. Chrno kicherte leise, wobei sich kleine Dampfwolken aus Mund und Nase erhoben. "Erst einmal bei einem Exorzismus dabei gewesen und schon Blut geleckt..." "Ich fand es toll." In den Augen des jungen Mädchens leuchteten wahre Sterne auf, die mit den Lichterketten an den Geschäften um die Wette zu leuchten schienen. Der Dämon an ihrer Seite schenkte ihr einen sanften Blick und schaute dann zu den Sternsängern, die sich an einer Bankreihe aufgebaut hatten und "Stille Nacht" sangen. Ein leichtes Lächeln huschte über seine Lippen, da dieses Lied so im Kontrast zu Rosettes Wunsch stand. Und dennoch... Rosette konnte auch anders. Sie war nicht anders als die Menschen, die hier ihrer Wege gingen. Sie war genauso wie sie, nur hatte sie ein Leben gehabt, das von ihr forderte, dass sie nun über kurz oder lang auf die Jagd nach Geistern und Dämonen ging. Immerhin wurde ihr Bruder von einem Dämon festgehalten. Von Aion... Erst als Rosette mit ihrer Glocke bimmelte und anfing, die Leute nach etwas Geld für die Bedürftigen zu fragen, riss sich der Dämon wieder aus seinen Überlegungen. Mit wachen Augen beobachtete er das Mädchen, das er nun schon einige Jahre kannte, und das er aus tiefstem Herzen liebte. So wie er einst eine andere Frau geliebt hatte. Zu einer anderen Zeit... In einer anderen Form. "Chrno, hilf mir doch mal. Die hören nicht auf mich." Rosettes rotes und leicht angefrorenes Gesicht nahm einen unwilligen Ausdruck an, als die zehnte Person an ihr vorbei ging, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. "Was soll ich denn machen?" Der kleine Damön mit dem langen Zopf hob fragend eine Braue. Rosette winkte allerdings bereits ab und setzte zu einem schiefen und krummen "Twelve Days of Christmas" an, welches dazu führte, dass die Leute sie bezahlten, damit sie zu singen aufhörte. Natürlich tat das junge Mädchen keinem diesen Gefallen, nachdem sie gemerkt hat, wie fruchtbar das Geschäft gegen den schiefen Gesang doch war. Allerdings entging ihr dabei ganz, dass die Sternsänger auf der anderen Passagenseite bereits reichlich schief und verstimmt zu ihr sahen, da sie das ganze Geld einheimste, welches die Sternsänger zuvor in ihren Beutel hatten wandern sehen. "Ro... Rosette..." Chrno begann daraufhin erst vorsichtig und dann immer energischer an dem Ärmel des Mädchens zu zupfen, welches sich allerdings partout nicht von seinem Tatendrang abbringen lassen wollte und immer weiter und noch viel lauter die schiefen Zeilen schmetterte. "Rosette, wir kriegen gleich Ärger. Sogar ziemlich heftig." Die Augen des kleinen Dämons weiteten sich mit einem Hauch von Panik, als ein großer bullige Sternsänger auf sie beide zugestapft kam. "Wie meinen?" Rosette öffnete die Augen und folgte Chrnos Kopfnicken in die Unheilverheißende Richtung. Auch ihre Augen vergrößerten sich urplötzlich ein wenig panisch. Mit der Glocke in einer Hand wedelte sie heftig mit den Händen. "Sir, es tut mir leid, wenn ich sie verärgert haben sollte. Das war... das war nicht... meine..." Da der Mann wirklich finster dreinblickte, entschied Rosette sich binnen Nanosekunden für einen Standortwechsel und schleifte Chrno im Eiltempo hinter sich her. Dieser legte beide Handflächen aneinander, neigte ständig den Kopf vor dem Mann und formte mit den Lippen immer und immer wieder das Wort "Entschuldigung". Erst als Rosette ihn hinter eine uneinschaubare Ecke gezogen hatte, entließ sie ihn aus ihrem Griff, lehnte sich erleichtert ausatmend an die Mauer und schüttelte energisch den Kopf. "Das mache ich nie mehr. Nie mehr werde ich Geld sammeln. Das ist ja gefährlich..." "Nur wenn man sich unbeliebt macht..." Abschätzende Augen glitten über das Gesicht des Mädchens, welche aber recht bald wieder einen freundlichen Glanz annahmen. "Lass und jetzt wieder zurück zum Orden fahren. Für heute haben wir sicherlich genug gesammelt." Er nickte auf die Büchse, die prall gefüllt war. Rosette folgte seinem Blick und nickte. "Stimmt, das reicht. Vielleicht sogar für einen Kakao..." "Rosette..." Chrnos Stimme wurde drohend etwas lauter, doch das Mädchen winkte ab. "War nur ein Scherz. Und nun komm. Meine Füße sind schon Eisklumpen." Abermals zerrte sie ihn hinter sich her. ------------------------------------ © by Sandra Wronna/Merenwen Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)