Lost in Nothingness von abgemeldet (Kai x Rei) ================================================================================ Kapitel 2: Helplessness ----------------------- Beta: Taji-Nami ~*~ Als ich aufwache, ist es schon hell. Die Vorhänge sind zwar zugezogen, doch ein kleiner Lichtstrahl, der sich durch sie durch gemogelt hat, verrät die aufgegangene Sonne. Verschlafen wische ich mir den Schlaf aus den Augen und gähne einmal herzhaft. Doch dann stocke ich inmitten meiner Bewegung. Auf einmal kommt mir alles wieder in den Sinn... Der Anruf! Reis Zusammenbruch! Hektisch sehe ich mich um. Er ist weg. Nur sein rotes Stirnband liegt noch auf dem Bett. Ich bin wohl gestern einfach neben ihm eingeschlafen; doch das ist jetzt unwichtig. Nervös fahre ich mir durch meine zerzausten Haare. Ohne auf meine zerknitterte Hose zu achten gehe ich schnellen Schrittes durch alle Zimmer. Erst ins Badezimmer, dann in Takaos, Mizuharas und Kyōjus Zimmer, in dem die drei noch mehr oder weniger friedlich schlafen und zum Schluss ins Wohnzimmer. Erleichtert atme ich aus. Da sitzt er. Vor der geöffneten Balkontür im Schneidersitz auf dem Fußboden, den Kopf gesenkt und eine dampfende Tasse mit Tee in der Hand. Das sehe ich zumindest, als ich mich vorsichtig und langsam neben ihn setze. Sofort kriege ich eine Gänsehaut. Es ist Mitte November und ziemlich kühl. Wortlos hält Rei mir mein T-Shirt von gestern entgegen. Er hatte es immer noch bei sich. "Danke." Ich wundere mich über mich selber. Meine Stimme klingt furchtbar. Gebrochen, rau und irgendwie fremd. Dabei ist er es doch, der gerade einen gewaltigen Verlust ertragen muss. Langsam und aus irgendeinem Grund darauf bedacht keine allzu hektischen Bewegungen zu machen, streife ich mir mein T-Shirt wieder über. Nervös kaue ich auf meiner Unterlippe herum. In meinem ganzen Leben war ich noch nie so unruhig wie ich es jetzt bin. Warum sagt er denn nichts? Und warum sieht er mich nicht an? Ohne dass ich es verhindern kann rollt eine einsame Träne über meine Wange hinab zu meinem Kinn. Doch bevor sie abperlt, spüre ich, wie Reis von der Teetasse gewärmte Hand verhindert, dass sie zu Boden tropft. Langsam drehe ich meinen Kopf in seine Richtung. Und erstarre. Sein Blick ist schlicht weg emotionslos. Kalt, abweisend und wenn man sein sonst so fröhliches Lächeln kennt, direkt Angst einflößend. Sicher. Ich selber beherrsche diesen Blick ebenso gut, aber bei mir ist es bloß eine Fassade und nicht so ernst wie bei Rei... Aber das schlimmste sind seine Augen selber. Sie haben aufgehört zu strahlen. Abgestumpft sehen sie aus und ohne jeglichen Glanz. Es ist als hätten seine Freunde und seine Familie mit ihrem Tod auch seine Freude und seinen Lebensmut mit sich genommen. Die Hilflosigkeit überfällt mich, wie eine Welle im Sturm ein Boot mit sich in den Untergang reißt. Wie kann ich ihm helfen? Kann ich ihm überhaupt helfen? Hilflos nehme ich seine Hand, die immer noch an meiner Wange ruht, in die meine. Langsam schließe ich die Augen und konzentriere mich nur noch auf die Wärme die sie ausstrahlt. Ich öffne sie erst wieder, als ich spüre, wie Rei sich vorsichtig an mich lehnt. Etwas erstaunt sehe ich zu ihm hinab. Damit hatte ich nicht gerechnet. Sein Blick ist unverändert, doch ich habe das Gefühl, dass er Nähe sucht. Meine Nähe... Wie schon am Tag zuvor streiche ich ihm so sanft wie möglich über den Rücken. Ich weiß einfach nicht was ich sonst für ihn tun kann. Erst jetzt fällt mir auf, dass Rei noch seine alten Sachen trägt und sich auch nicht die Mühe gemacht hat, seine Haare zu richten. Aber wer denkt in einer solch unwirklichen Situation auch daran, wie man aussieht? Langsam ziehe ich die zwei roten Bänder, die sein Haar noch teilweise zusammenhalten aus eben diesem heraus und entferne danach noch das weiße Wickeltuch, das zwischen den zwei Haargummis befestigt war. Eigentlich bräuchte ich noch eine Bürste, aber ich traue mich einfach nicht aufzustehen und ihn auch nur für eine Minute alleine zu lassen. Denn noch immer lehnt er schweigend, da ich mich ja etwas gedreht habe, um seine Haare zu machen, gegen meinen Oberkörper. Etwas ungeschickt versuche ich seine Mähne mit meinen bloßen Händen etwas zu ordnen. Wie Seide fühlen sie sich an... Und trotz des ramponierten Zopfes und der durchwühlten Nacht ist nicht eine Klette in ihnen zu finden. Ich muss mich regelrecht zwingen nicht weiterhin nur diese Berührungen zu genießen und binde Rei mit einem der roten Haarbänder einen Pferdeschwanz, der ihm nun locker über seinen Rücken fällt. Gerade als ich fertig bin, höre ich wie jemand leise das Zimmer betritt. Als ich meinen Kopf leicht drehe, sehe ich, dass Mizuhara, immer noch in Schlafsachen, im Türrahmen steht und ein "Wie geht es ihm?" mit den Lippen formt. Ob es genau diese Worte waren weiß ich nicht. Aber was sollte man in so einer Situation anderes fragen? Leicht unsicher zucke ich nur mit den Schultern... Weiß ich denn wie es ihm geht? Kann ich das überhaupt wissen? Die Antwort ist nein. Obgleich ich dachte, Rei vielleicht ein wenig verstehen zu können...ich kann es nicht. Ich kann nicht nachvollziehen, wie es ist, auf einen Schlag seine gesamte Existenz zu verlieren. Alles zu verlieren...außer uns. Schlagartig wird mir bewusst, dass wir alles sind, was dieser nun so zerbrechlich wirkende Chinese noch hat... Unbewusst fahre ich erneut mit meiner Hand durch Reis Haarschopf und lehne meinen Kopf seitlich gegen den seinen. Mizuhara sieht mich leicht verwirrt an. Das kann ich aus dem Augenwinkel sehen. Aber das ist mir in dem Moment egal. Doch als Takao und Kyōju auch noch ins Zimmer kommen, wird es mir allerdings etwas unangenehm von ihnen beobachtet zu werden. Und Rei scheint das auch zu stören, denn er steht vorsichtig auf, wankt noch leicht dabei und geht mit einem kleinen, fast nicht wahrzunehmenden, Bogen um die anderen drei verwirrten Bladebreaker in unser gemeinsames Schlafzimmer. Nachdem die Tür hinter ihm mit einem leisen ‚Klick’ zugefallen ist, wenden sich die Blicke, die eben noch auf ihm geruht haben, wieder auf mich. Kurz betrachte ich schweigend die Tasse Tee, die Rei einfach hat stehen lassen. Als Takao zu einer Frage ansetzen will, hebe ich nur die Hand, um ihm zu bedeuten still zu sein. "Mizuhara, du bereitest schon mal das Frühstück vor, Takao und Kyōju, ihr geht einkaufen. In einer halben Stunde seid ihr wieder da." "Aber..." "Nein, kein aber Takao. Macht euch auf den Weg." Auch wenn das derselbe Befehlston ist, den ich auch sonst an den Tag lege, so fällt mir doch auf, dass in meiner Stimme die sonstige Genervtheit fehlt. Sie klingt einfach ruhiger und besonnener, als vor kurzem noch. Takao, Mizuhara und Kyōju machen sich derweil daran meinen Anweisungen zu folgen, auch wenn es ihnen deutlich anzumerken ist, dass sie lieber mit Rei sprechen würden. Kurz überlege ich was ich machen soll, doch dann entschließe ich mich dem Schwarzhaarigen zu folgen. Langsam öffne ich die Tür, die Rei vor kurzem durchschritten hat. Als ich sie wieder leise hinter mir schließe, gibt sie ein knarrendes Geräusch von sich, das seine Aufmerksamkeit auf mich lenkt. Rei sitzt, immer noch bei zugezogenen Vorhängen in der Dunkelheit auf meinem Bett, hat die Arme um seine Beine geschlungen und sieht mich nun genau wie vorhin aus ausdruckslosen Augen an. "Wieso...? Wieso sie...?" Seine Stimme ist sehr leise und heiser. Fast hätte ich ihn nicht verstanden. Langsam gehe ich auf ihn zu und setze mich ebenfalls auf das Bett. Seinen Tee stelle ich auf den Nachttisch und auch das Wickeltuch und das zweite Haarband, das ich noch bei mir hatte, lege ich dort ab. "Ich weiß es nicht, Rei." Etwas Besseres fällt mir wirklich nicht ein. Ich bin kein Mensch, der Gedanken und Gefühle, wie Verständnis und Sorge, gut in Worte fassen kann. Das konnte ich noch nie... Aber was würde es ihm auch nützen, wenn ich jetzt anfange ihm zu erklären wie leid es mir für ihn tut, dass seine Familie und Freunde gestorben sind? Gar nichts. "Was ma...che ich denn je...jetzt…?" Seine Stimme bebt unter erneut aufkommenden Tränen und er versteckt sein Gesicht nun in seinen Händen. Immer wieder höre ich ihn verzweifelt aufschluchzen. Dieses ungeheure Gefühl der Hilflosigkeit überfällt mich erneut... Wie von selbst nehme ich ihn wieder leicht in die Arme. Auch wenn er jetzt weint, so bin ich doch unendlich erleichtert, dass er wenigstens etwas gesagt hat. Kurz hatte ich die Befürchtung gehabt, das Rei vielleicht so schnell gar nicht mehr reden könnte. Eine Zeit lang sitzen wir so da, bis er sich langsam beruhigt hat "Kai?" Seine Stimme klingt nun wieder ein wenig fester und nicht mehr ganz so leise. "Lässt du mich etwas allein, ja? Nur eine halbe Stunde oder so." Ich nicke leicht und stehe auf. Als ich durch die Tür gehe drehe ich mich noch einmal um. Rei hat sich mit dem Rücken zu mir auf das Bett gelegt und sich in meine Decke eingekuschelt. Warum er nicht in sein eigenes Bett gegangen ist weiß ich nicht. Aber vielleicht hat er ja auch einfach nicht darüber nachgedacht. Wer weiß das schon. In der Küche ist Mizuhara schon fertig mit Tisch decken und sitzt nun fertig angezogen und etwas ratlos am Frühstückstisch. Als ich das Zimmer betrete, sieht er auf. "Und?" Ich seufze. "Er will etwas für sich sein..." Mizuhara sieht mich unbeirrt weiterhin an und verfolgt mich mit seinem Blick während ich mich schwerfällig auf dem Stuhl im gegenüber fallen lasse. "Was ist?" Ich bin etwas genervt. "Warum kommt Rei ausgerechnet zu dir?" Ich sehe auf. Direkt in Mizuharas himmelblaue Augen. "Keine Ahnung." Das war gelogen. Eigentlich weiß ich warum. Rei will keine Fragen hören, will keine beantworten müssen und sich erst recht kein ‚Es tut mir alles so leid’ Gesäusel anhören müssen – auch wenn dies ernst gemeint wäre. Deshalb hat er sich wohl instinktiv mir und nicht einem von den anderen anvertraut. Sicher, ich bin zu ihm gekommen und nicht umgekehrt. Aber ich bin nicht so gefühlskalt, dass ich nicht weiß, wann man unerwünscht ist. Außerdem hat Rei den Kontakt zu Mizuhara, Kyōju und Takao gemieden, als er aus dem Wohnzimmer ‚geflüchtet’ ist. In einer gewissen Weise macht mich das stolz. Wo ich doch immer dachte, genau der falsche für so etwas zu sein... "Daitenji-san hat angerufen." Mit einem Satz reißt mich Mizuhara aus meinen Gedanken. "Und?" "Er hat gesagt, dass er auf dem Weg hier her ist." Mizuhara atmet nun einmal tief durch und fährt sich leicht nervös durch seine blonden Haare. "Denkst du, Rei muss in ein Heim?" Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ihn diese Frage schon länger auf der Zunge brannte, denn Mizuhara sieht mich nun schon fast ängstlich an. "Nein." Ich schüttle den Kopf. "Rei ist fast volljährig und ich glaube kaum, dass wirklich alle seine Verwandten bei diesem Unglück gestorben sind." Ich mache eine kurze Gedankenpause. "Soweit ich weiß, hat er eine recht große Familie." Mizuhara seufzt erleichtert auf. "Ein Glück. Nicht auszudenken, was wäre wenn nicht..." Ja, nicht auszudenken... Nur am Rande nehme ich wahr, wie nach einiger Zeit die Zimmertür unserer Suite aufgeschlossen wird und ein bis oben hin voll bepackter Takao die Küche betritt und sich den Schweiß von der Stirn wischt. Verwirrt blicke ich auf das Thermometer am Küchenfenster. 21° Celsius. Da regnet es gestern in Strömen, hagelt und gewittert und am nächsten Tag scheint die Sonne bei herrlichen Temperaturen. Nur dass mir jetzt absolut nicht mehr nach Sonnenschein zu Mute ist... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)