Fürst der Finsternis von aprileagle (Zweiter Platz Herbst-Winter-FF Wettbewerb 2003) ================================================================================ Prolog: Kinder des Zorn ----------------------- "Ich such dich in der Dunkelheit Bitte nimm den Schmerz von mir Es gibt keine Ewigkeit Doch mein Herz zieht mich zu dir Du wolltest nie ein Engel sein Ich hab die Tränen nicht gesehn Warum lässt du mich allein? Warum kann ich nicht mit dir gehn?" "Keine Ewigkeit" / Blutengel Fürst der Finsternis (April Eagle) Prolog: Kinder des Zorn Allmählich färbten sich die Blätter der alten Bäume, schimmerten golden im noch kräftigen Licht der untergehenden Sonne. Die Erde war vom letzten Sommer noch angenehm warm, Zugvögel sangen ihre Abschiedsweisen. Ein Mädchen, beinahe schon eine Frau, schritt langsam durch die bunten Alleen. Eigentlich wäre sie fröhlich gewesen an einem Tag wie diesen, der ihr alles bot, wofür es sich zu leben lohnte: Frieden, Ruhe und ein wenig Hoffnung. Hoffnung? Hier? Sanfter Wind strich durch ihre grünen Haare und vorsichtig hob sie ihre linke Hand, um die widerspenstigen Strähnen hinter ihre Ohren zu schieben. Die rechte Hand hielt sie unter ihrem dunklen Umhang verborgen, beinahe krampfartig ein kleines Objekt umklammernd. Hoffnung? Vielleicht... Leise raschelten die Wipfel der alten Bäume über ihr und reflexartig hob sie ihren Kopf, blinzelte verträumt in den Sonnenuntergang. Ja, es waren sehr alte Bäume. Alt und ehrwürdig, so wie fast alles an dem Platz ihrer Urahnen. Dem Ort, wo sich die Vergangenheit und die Zukunft trafen, wo Schicksale geschmiedet und wieder zerschlugen wurden. So wie heute... Ihre blauen Augen richtete sich auf den mächtigen Palast, der über den Baumkronen thronte. Ja, thronte war genau der richtige Ausdruck für das größte Bauwerk, das in dieser Region von Menschenhand erschaffen wurden war. Befände es sich nicht am anderen Ende Chinas, so hätte es der Großen Mauer konkurriert. Alles eitle Protzerei! Das Mädchen hatte dieses Gebäude noch nie gemocht, hatte sich als kleines Kind immer in dem Labyrinth von Gängen verlaufen, sich vor der Dunkelheit gefürchtet und die Einsamkeit der dicken Mauern gehasst. Bis ihre Eltern es nicht mehr ertragen und sie fortgeschickt hatten. Fort zu ihren Verwandten nach Südchina, wo sie die letzten zehn Winter ihres Lebens verbracht hatte. Anstrengende, aber schöne Jahre. Selbstverständlich hatten ihre Verwandten sie in der Tradition ihrer Familie erzogen und sie ihren Fähigkeiten entsprechend ausgebildet, aber nie war sie dort derart unter Druck gesetzt worden, wie sie sich schon bei dem bloßen Anblick ihrer ehemaligen Heimat fühlte. >Alles in Ordnung, Jun-chan?< Der dunkle Schatten, der mit einem Mal die Sonne bedeckte, hätte sie vor zehn Jahren noch zu Tode erschreckt, aber nun spendete er ihr die Wärme und den Trost, den ihre Eltern ihr immer verwehrt hatten. Tief holte sie Luft und drehte sich zu dem großen Mann um, der neben ihr stand und sie fragend anblickte. Jemand, der nicht zu ihrer Familie gehörte, wäre schreiend davon gelaufen, denn dieser Mann weilte nicht mehr unter den Lebenden. Seit nunmehr zehn Jahren nicht mehr. Um ihr persönlicher Zombie zu werden, hatte ihr Vater den berühmten Kampfsportler Li Pailong umbringen lassen, nur war bei der Beschwörung etwas schief gelaufen. Eigentlich sollte der Zombie nur auf ihren Befehl hin gehorchen, keinen eigenen Willen mehr besitzen. Dennoch veränderte sich mit Li Pailongs Tod nur, dass er keinen Hunger, keinen Durst und keinen Drang nach Schlaf mehr verspürte. Statt dessen hatte er ein kleines, verängstigtes Mädchen um sich, das einfach nur geliebt werden wollte. Der Kampfsportler brauchte einige Zeit, um zu begreifen, was mit ihm geschehen war, und es kostete ihn beinahe seinen Verstand, als er einsehen musste, dass er gegen sein Schicksal machtlos war. Dann aber besann er sich und tat das einzige, was ihm in seiner Situation noch blieb: er kümmerte sich um das ihm plötzlich anvertraute Wesen. Über die Jahre hinweg wurde er Juns bester - und zugleich einziger - Freund. Niemand wusste davon, nicht einmal ihre Verwandten. Jun kannte ihre Familie gut genug. Sie musste dieses Geheimnis gut für sich bewahren, sonst würde sie Li Pailong verlieren. Das hätte sie nie ertragen. >Jun-chan?< fragte der Zombie vorsichtig nach, als er keine Antwort erhielt. Behutsam hob er seine rechte Hand, um die Tränen fortzuwischen, die über das Gesicht des Mädchens liefen. >Bitte nicht weinen.< "Ich weiß, heute ist doch schließlich ein Freudentag!" Ihre zittrige Stimme ließ jedoch erahnen, dass sie sich alles andere als freute. Nein, sie fürchtete sich. Sie hatte so große Angst wie schon lange nicht mehr in ihrem Leben. "Heute werde ich ihn zum ersten Mal sehen." Sie schluckte und schlang ihren linken Arm schützend um ihren Oberkörper. Trotz der wärmenden Sonnenstrahlen fror sie mit einem Mal. Ja, heute würde sie ihn kennen lernen. Ihn, den Erben der ältesten Dynastie Chinas, der ihren Eltern vor drei Jahren geboren wurde. "Vielleicht ist er ja ganz lieb? So wie der Sohn der Nachbarin? Der kleine Fratz..." Jun holte bebend Luft und zwang sich, einen Schritt vor den anderen zu setzen. Li Pailong bezog hinter ihr Stellung, aber sie wusste, dass er da sein würde, sollte sie ihn brauchen. Kleiner Fratz? Du sprichst hier von dem Erben der Tao Dynastie! Von dem Spross deiner Eltern! Aber er ist doch erst drei Jahre alt, bestimmt ist er ganz niedlich! Sicher? Sicher? Nein... Dennoch, vielleicht gibt es Hoffnung! Jun drückte das flauschige Etwas in ihrer Hand fester an ihren zitternden Oberkörper und trat zögernd die Stufen der prächtigen Empfangstreppe empor. Wasserspeier starrten sie feindlich von allen Seiten an und sie fühlte sich seltsam beobachtet. Wie sehr sie dieses Gefühl als Kind gehasst hatte! Und wie sehr sie es noch heute verabscheute! Er ist nur ein kleiner Junge. Mein kleiner Bruder! Langsam glitt die Sonne hinter die mächtigen Berge, bescherte dem Tal einen frühen Einbruch der Nacht. Die Vögel verstummten nacheinander, zogen sich zurück in ihre Nester. Nur hier und da zirpten einige Grillen, die das nahende Ende eines warmen Sommers noch nicht bemerkt hatten. Jun hörte sie kaum. In ihren Ohren lag nur noch der rasche Schlag ihres Herzens und ihr eigener hastiger Atem. Zögernd hob sie ihre blasse Hand zum Klopfer und verharrte mitten in der Bewegung, heftig nach Luft schnappend. >Jun-chan?< Sie schluckte hart und schloss für einen Moment ihre Augen, um sich innerlich wieder unter Kontrolle zu bringen. Ihre Eltern hatten sie extra zu diesem ehrwürdigen Tag eingeladen, da ihr Bruder offiziell zum Erbe erklärt werden würde, sie würden es mehr als missbilligen, wenn ihre Tochter in einem derartig nervösen Zustand bei ihnen auftauchte. "Ist... ist schon... gut..." Das Mädchen versuchte ein Lächeln. Es schmerzte. Er ist mein kleiner Bruder! Ich wollte doch immer ein Geschwisterchen, nicht wahr? Ja, aber eine Schwester, keinen Erben! Dennoch... Tief holte sie Luft und klopfte schließlich heftig gegen die Tür aus massivem Eichenholz. Einmal, zweimal, dreimal. Ein kleiner Fratz, so wird er sein. Frech und unheimlich verwöhnt, aber ich werde ihn lieb haben. Ich werde ihn den ganzen Tag umarmen und mit ihm spielen, wenn es unsere Eltern erlauben. Genau, so wird es sein! Ihre Augen funkelten hoffnungsvoll, als die Türen sich wie von selbst öffneten. Gemächlich trat sie ein, wohl wissend, wie viel Wert ihre Eltern auf Anstand und Würde legten. Fackeln brannten zu ihrer Rechten und sie konnte in ihrem schwachen Licht eine Gestalt ausmachen. Eine kleine Gestalt, die über den roten Samtteppich stolperte, so als sei sie das Laufen noch nicht recht gewöhnt. Ist er das? Mein kleiner Bruder? Jun blieb stehen und runzelte leicht ihre Stirn. Das erste, was sie in dem dunklen Gang erkennen konnte, waren rabenschwarze Haare, genau wie die ihres Vaters. Ein wirklicher Nachfolger also. Selbstverständlich war der kleine Junge in schwarze Kleidung gehüllt. Jun konnte sich nicht erinnern, wann ihre Familie etwas anderes getragen hatte. Ja, ihre Eltern liebten die Dunkelheit... so wie Jun eben genau diese fürchtete. "Wer bist du?" verlangte plötzlich eine helle Stimme zu wissen. Das Mädchen zuckte leicht zusammen und blickte direkt in gelbe Augen. Sie erinnerten sie an eine Katze. Dieser Junge war jedoch ganz und gar nicht wie ein Kätzchen, das gestreichelt werden wollte. Dafür sah er irgendwie nicht... niedlich genug aus. Niedlich? Ein Tao? Aber er ist doch noch so klein! Dennoch schien der Junge seinen Babyspeck bereits verloren zu haben, genauso wie den kindlichen Ausdruck auf seinem Gesicht. Keine Unschuld spiegelte sich mehr in seinen Augen, als er Li Pailong skeptisch anschaute. "Ist das dein Zombie?" fragte er fordernd und zog an dem Umhang des Kampfsportlers. Dieser ließ sich nichts anmerken, aber Jun spürte, dass er ebenfalls besorgt war. "Ich will auch so einen. Aber Vater sagt, dass man meine Fähigkeiten erst mit fünf herausfindet. Ich will lieber ein Totenbeschwörer als ein langweiliger Schamane sein!" Jun wurde mit jedem Moment besorgter. Sie hatte sich damals mit fünf unglaublich vor ihrem persönlichen Zombie gefürchtet und tagelang nur geweint, wenn er ihr zu nahe kam. Ihr kleiner Bruder ging jedoch direkt auf den lebenden Toten zu und berührte ihn sogar noch! "So ein Untoter ist cool!" Der kleine Junge grinste und jagte damit seiner großen Schwester eisige Schauer über den Rücken. "Wenn ich alt genug bin, nehm ich ihn dir weg!" Nun blitzten gelbe Augen angriffslustig. Juns Stirnrunzeln vertiefte sich, dann ging sie vor dem Jungen in die Hocke. So wie sie das immer bei dem Nachbarjungen getan hatte. "Du bist Tao Ren, hab ich Recht?" fragte sie, obwohl die Antwort klar auf der Hand lag. Der Junge war das Abbild ihres Vaters. "Genau. Der Erbe der Tao Dynastie und somit der nächste Herrscher und dein Gebieter!" Ren reckte sich, aber dennoch war er nicht größer als das vor ihm hockende Mädchen. Das wurmte ihn natürlich ungemein. "Und du bist mein Untertan, also solltest du dich vor mir im Staub wälzen!" Damit wäre sie dann kleiner als er und er würde sich bedeutend besser fühlen. Sie regte sich aber keinen Millimeter, was ihn verärgerte. Wütend trat er plötzlich nach ihr, um sie umzuwerfen. "Ich hab gesagt, dass du dich in den Dreck werfen sollst. Bist du taub?" Jun blickte ihn an und für einen Moment fehlten ihr die Worte. Sie wusste mit einem Mal nicht mehr, was sie genau erwartet hatte, aber dies schien all ihre geheimsten Alpträume nur noch zu übertrumpfen. Das kann nicht wahr sein! Frecher Fratz? Von wegen... "Ich bin deine Schwester." Flüsterte sie und bemühte sich um ein Lächeln, das ihr jedoch kläglich misslang. Ihre rechte Hand zitterte so stark, dass sie beinahe den Plüschteddy fallen ließ, den sie unter ihrem Umhang hervor holte. Er sollte das Geburtstagsgeschenk an ihren kleinen Bruder sein. Ein Geburtstags- und ein Willkommensgeschenk. "Eine Schwester? Ein Mädchen? So was Nutzloses!" Der kleine Junge ergriff den Teddy und bevor Jun hatte reagieren können, blitzte ein Dolch in seinen noch tollpatschigen Händen - und köpfte das Stofftier. Sie geben einem Dreijährigen einen so scharfen Gegenstand? Juns Beine gaben nach und sie sank komplett auf ihre Knie, als der enthauptete Teddy achtlos in ihrem Schoß landete. Entsetzt starrte sie in gelbe Augen, die in dem Zwielicht des Palastes unheimlich zu leuchten schienen. "Genauso nutzlos wie dieses Vieh da!" Mit diesen Worten drehte sich der Erbe der Tao Dynastie um und stapfte auf noch wackeligen Beinchen zurück in die Dunkelheit. Zurück in die Finsternis, die ihn geboren hatte und die er einst beherrschen würde. Hoffnung? Die gab es nicht. Genauso wenig, wie Jun einen kleinen Bruder hatte, den sie umarmen, mit dem sie spielen durfte. Nein, statt dessen hatten es ihre Eltern geschafft, innerhalb von nur drei Jahren aus einem Baby einen Jungen zu machen, der brutal um sich schlug, nichts und niemanden achtete. Kleiner Fratz? Das ist ein Monstrum! Wie wird er erst, wenn er älter wird? Jun nahm den zerschnittenen Teddy in ihre Arme und drückte ihn fest gegen ihren Oberkörper, bevor sie leise zu weinen begann. Sanfte Hände legten sich tröstend auf ihre Schultern, aber Li Pailong konnte ihr nicht helfen. Vermutlich konnte niemand einem Jungen helfen, dessen ganzes Leben nur darauf basieren würde, die Finsternis und den Tod zu lieben... *** "Asakura Yoh?" Sand flog durch die Luft, als sich der angesprochene Junge umdrehte. Vor ihm thronte eine Burg, die fast genauso groß war die ihr kleiner Erbauer. "Ja?" Ein breites Grinsen lag auf einem sonnengebräunten Gesicht, dunkle Augen schauten erwartensvoll in die Leere neben sich. Die Schaufel hielt er fest in seiner Hand, so als würde er sich gleich wieder mit seinem Meisterwerk befassen, das bis jetzt mit einem unvollendeten Turm leben musste. "Hier bin ich, Dummkopf." Ertönte dieselbe Stimme plötzlich von der anderen Seite und braune Haare wirbelten herum, als der Junge nun in die andere Richtung sah. Dass dort mit einem Mal ein anderer Junge, etwa in seinem Alter, neben ihm im Sandkasten stand, obwohl der Platz vor zwei Sekunden noch leer gewesen war, beunruhigte Yoh überhaupt nicht. Er wohnte in dem Tempel seines Großvaters, deshalb erschien ihm kaum etwas auf dieser Erde auch nur annähernd merkwürdig. "Hallo, ich bin Yoh." Stellte er sich dem anderen Jungen vor, noch immer über das gesamte Gesicht strahlend, und hielt dem Neuankömmling seine Schaufel entgegen. "Das weiß ich, Dummkopf. Was soll ich damit?" Der andere Junge hob fragend seine rechte Augenbraue und wich ein wenig zurück, als Yoh aufstand und ihm die Schaufel direkt in die Hand drückte. "Na, mit mir spielen! Wir sind hier doch auf einem Spielplatz, oder? Außerdem krieg ich den Turm einfach nicht hin, der fällt immer wieder um. Kannst du mir vielleicht helfen?" Ehe der andere Junge reagieren konnte, hockte er auch schon neben Yoh im Sand und schaufelte kräftig an der Burg. Im ersten Impuls heraus wollte er aufspringen und den kleinen Jungen neben sich überwältigen, dann aber betrachtete er die Schaufel in seiner Hand eingehender, sah Yohs glückliches Lächeln und musste gegen seinen Willen eingestehen, dass ihm dieses >Spielen< Spaß machte. Eine Weile saßen sie schweigend über ihrer Arbeit, während das erste Laub des anbrechenden Herbstes auf den Sand herab schwebte. "Pass auf deinen schönen Pullover auf." Meinte Yoh, als der andere Junge sich aufrichtete und den Turm gerade klopfen wollte. Rasch griff er nach dem weißen Gewand und wollte den Sand heraus schütteln, obwohl seine Knie keinen Deut besser aussahen. Er hatte den ganzen Tag hier auf dem Spielplatz verbracht und sich überhaupt nicht um sein Aussehen geschert. Die Kleidung des anderen Jungen sah aber so schön neu aus, er wollte sie nicht ruinieren. "Was machst du da?" Im nächsten Moment stand eine Säule aus Feuer neben dem fremden Jungen und dieser wich vor Yoh zurück, ließ beinahe den neugebauten Turm einstürzen. Yoh hielt jedoch weiterhin fest an dem Pullover, wie er den Pancho nannte, und schaute mit offenen Augen in die Feuersäule. Dann legte er seinen Kopf schief und lächelte sogar noch breiter. "Cool!" meinte er und zeigte auf die Flammen, deren Knistern mit einem Mal verwirrt zu klingen schien. Aber das beeindruckte Yoh überhaupt nicht. Sein Großvater hatte ihm schon merkwürdigere Dinge gezeigt. "Du hast einen Feuergeist." Die Säule drehte sich zu dem kleinen Jungen um und zwei Augen starrten erst den fremden Jungen, dann Yoh verdutzt an. "Ich wollte schon immer einen Geist, aber mein Großvater sagt, dass ich noch zu klein bin. Na ja, meine Familie ist da etwas streng, weil sie meinen, ich bin zu tollpatschig. Aber deine Eltern sind lieber. Sie haben dir einen Geist erlaubt. Ich will auch mal einen, weißt du? Aber keinen Ele... Ele... na ja, so einen Geist eben, sondern eher einen Kämpfer. So mit Schwert und so." Yoh plapperte fröhlich vor sich hin und verzog verschmitzt seinen Mund, als er das Wort >Elementargeist< nicht aussprechen konnte. Er war ja schließlich erst drei Jahre alt! Der fremde Junge hatte ihn die ganze Zeit über mit offenem Mund angeschaut, nun aber kam er wieder zur Besinnung und räusperte sich. Ein überlegenes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, als er seine Arme vor dem Pancho verschränkte. "Na, du bist mir aber eine Plaudertasche." "Das sagt mein Großvater auch immer." Yoh trat näher an den anderen Jungen heran. Vor dem Feuergeist schien er sich überhaupt nicht zu fürchten. "Willst du mein Freund sein?" Yohs ausgestreckte Hand ließ den Jungen zurück weichen, so als erwarte er eine Maulschelle, und auch die Flammen loderten für einen Augenblick heißer. Dann erst wurde sich der fremde Junge der Frage bewusst. "Was?" "Willst du mein Freund sein? Dann könnten wir jeden Tag hier spielen." Yoh grinste erwartungsvoll in ein plötzlich bleiches Gesicht, hielt weiterhin geduldig seine sonst so zappelige Hand dem anderen entgegen. "Das wäre super!" Dunkle Augen wurden mit jedem Satz immer größer. "Du willst mein Freund sein? Mein Freund? Weißt du überhaupt, mit wem du redest?" Der fremde Junge sah sich kurz um, aber es war niemand in der Nähe. "Nö, aber du bist lieb." Yohs Grinsen war beinahe so groß wie die Überraschung des anderen. "Lieb? Sagtest du gerade lieb? Sag mal, tickst du noch richtig? Ich bin Hao! Ich..." Was immer Hao als nächstes sagen wollte, es erstarb auf seinen Lippen, als Yoh einfach seine Hand ergriff und sie mit der schmächtigen Kraft eines Dreijährigen fest hielt. "Hallo, Hao. Schön dich kennen zu lernen." Warme Hände umschlossen eisige Finger fast vollkommen. Haos Körper war schließlich auch erst drei Jahre alt. Schweigend sahen sie sich an, warmer Spätsommerwind fuhr durch braune Haare. Der Feuergeist verkam, nun vollkommen verstört, zu einem Flämmchen. "Da du jetzt mein Freund bist, lass uns weiter spielen, Hao." Yoh ersetzte seine warme Hand mit einer Schaufel und wandte sich wieder seinem Meisterwerk zu. In einer halben Stunde würde er nach Hause zum Essen laufen müssen, bis dahin wollte er wenigstens den Turm beendet haben. Sein Freund? Ich und... lieb? Hao schluckte sichtlich und sah von der Schaufel zu der knienden Person herab. Dann trat er vorsichtig zu Yoh herüber und legte seine freie Hand auf Yohs Schulter, als bestünde dieser aus Glas. Die Kinderstimme war leise, aber dennoch verständlich. "Danke, Kleiner." "Gern geschehen!" Yohs Lächeln stellte das Licht der untergehenden Sonne in den Schatten. "Lass sofort meinen Enkel los, du Ausgeburt der Hölle!" Die zornige Stimme zeriss die friedliche Stille, ließ beide Jungen vor Schreck zusammen zucken. Yoh drehte leicht seinen Kopf und erkannte den alten Mann sofort. "Opa?" fragte er erstaunt, denn er hatte selten seinen Großvater so aufgeregt - und so wütend erlebt. "Was gibt's?" Abendbrot war doch schließlich noch eine Weile hin, nicht wahr? Oder hatte er etwas angestellt? Hatte sein Großvater etwa herausgefunden, dass er seine Portion Sashimi immer an die Katze verfütterte, weil er das Essen einfach nicht mochte, die liebe Minka es dafür aber umso mehr? "Geh sofort von meinem Enkelsohn fort, du Satan!" Asakura Yohmeis Stimme überschlug sich beinahe vor Angst. Irgendwie hatte er gespürt, dass etwas nicht in Ordnung war, deshalb war er her gekommen. Dennoch hatte er nicht erwartet, seinen Enkel in Begleitung seines größten Feindes anzutreffen. Ich hätte vorsichtiger sein sollen! "Und was willst du tun, wenn ich einfach hier bleibe?" meinte plötzlich Hao und der Feuergeist kehrte in seine heißeste Gestalt zurück. "Was, du alter Mann?" Er wollte lachen, böswillig und überlegen, so wie immer, aber er konnte es nicht. Noch immer verharrte seine linke Hand auf der warmen Schulter des Jungen, der ihm blind vertraute. Der zu ihm gehörte, in mehr als des Schicksals Hinsicht. Eigentlich war er gekommen, um ihn zu vernichten, um ihn an seinen angestammten Platz zurück zu führen, aber nun, da er ihn kennen gelernt hatte, konnte er das nicht mehr. Er findet mich lieb... Yohs Großvater schien aber nicht die Meinung seines Enkels zu teilen. Sofort hob er seinen Stab, angriffsbereit. Auch der Feuergeist thronte nun mächtig hinter Hao, ließ dessen braune Haare rötlich leuchten. "Was?" Feindlich starrten sie sich gegenseitig in die Augen, jeder bereit, den anderen mit einem Schlag zu vernichten. "Das ist mein neuer Freund, Opa." Platzte Yoh in die Ruhe vor dem Sturm. "Wir haben zusammen diesen Turm gebaut." Stolz zeigte er mit seinem Ärmchen auf die Burg neben sich, sah weder das entsetzte Gesicht seines Großvaters, noch das überlegene Grinsen Haos. "Was... was redest du da?" "Das bedeutet, dass eure Familie einen Dummkopf aufzieht." Übersetzte Hao und lachte hämisch. Er verstummte jedoch abrupt, als Yoh in sein Lachen einstimmte. "Dummkopf. So nennt mich Anna auch immer." Kicherte der kleine Junge und schaute sanft zu Hao empor, völlig ignorant ob der gefährlichen Situation, in der er sich befand. Ein Wink Haos genügte, um ihn vom Feuergeist qualvoll verbrennen zu lassen. Yoh wusste jedoch, dass ihm von dem fremden Junge kein Schmerz drohte. Seltsamerweise hatte er Recht. "Yoh, geh dort sofort weg!" befahl ihm sein Großvater, der nun seinen Stab drohend über seinem Kopf hielt. Aber er wusste, dass er nicht angreifen konnte. Nicht, so lange sein Enkel zwischen ihm und dem gefürchteten Feind stand. "Warum denn? Er ist doch mein Freund! Ich will doch nur mit ihm spielen!" Yohs Stimme war trotzig. "Dein Freund? Das ist dein größter Feind, Yoh! Das ist Hao! Er will dich töten, also mach, dass du da weg kommst." "Hä?" "Geh sofort da weg, Yoh! Ich verbiete dir, mit diesem Teufel zu spielen!" Asakura Yohmei war langsam wirklich verzweifelt. Wieso gehorchte ihm Yoh nicht? Weshalb konnte er nicht einmal das tun, was man von ihm verlangte? Sah er denn nicht, dass sein Leben davon abhing? Yoh streckte seine Unterlippe vor und schmollte. Nein, offensichtlich verstand er den Ernst der Lage nicht. "Nenn ihn nicht Teufel!" Er ballte seinen kleinen Hände zu Fäusten. "Ich such mir meine Freunde selbst raus, und ich will ihn zum Freund. Er ist lieb!" bockig sah er seinen Großvater an, der erstaunt seine Augen aufriss. Hao, der gegen seinen Willen errötete, nutzte seine Chance. Asakura Yohmei war zu überrascht, er würde nicht versuchen, ihn anzugreifen, wenn er sich von seinem Schutzschild fortbewegte. Kurz beugte er sich zu Yoh hinunter, sah nun kristallklare Tränen in dunklen Augen schwimmen, die den seinen so sehr ähnelten. "Sei nicht traurig." Flüsterte er leise und konnte dem Drang einfach nicht widerstehen, durch braune Haare zu strubbeln. Ja, sie waren genau so widerspenstig, wie sie aussahen. "Wir werden uns wiedersehen, das verspreche ich." "Wirklich?" Yohs Gesicht hellte sich ein wenig auf. "Wirklich." Hao konnte nicht anders, er musste Yohs Lächeln einfach erwidern. "Bist du dann noch immer mein Freund?" Hao sah ihn für einen Moment schweigend an und sprang schließlich in die wartenden Arme seines Feuergeistes. Ihm konnten die Flammen nichts anhaben, auch nicht die Schwüre des alten Mannes, der zu seinem Enkel rannte, um ihn schützend zu umarmen. "Stell mir dieselbe Frage noch einmal in zehn Jahren, Kleiner." Yohs Tränen rannen nun offen über seine Wangen und er streckte seine Ärmchen nach dem neugewonnenen Freund aus, den er so plötzlich wieder verlieren musste. Freund? Nein, irgendwie war er mehr gewesen. Viel mehr, auch wenn sich das der Dreijährige nicht erklären konnte. "Ich werde warten!" Hao schenkte dem kleinen Jungen eines seiner arrogantesten Lächeln, das aber leicht bröckelte. Dann drehte er sich um und war zusammen mit seinem Feuergeist im nächsten Moment verschwunden. "Sicher..." *** Ist es wirklich zehn Jahre her? Die junge Frau stand hinter der Gardine und schaute schweigend hinab auf die Allee, die sie vor zehn Jahren gekommen war, um für den Rest ihres Lebens hier zu bleiben. Nun ging ein Junge unter den alten Bäumen entlang, deren buntes Laub um seinen schwarzen Mantel tanzten. Er blickte nicht zurück, aber sie wusste, dass ihm dieser Abschied schwer fiel, selbst wenn es nur für zwei Wochen war. Zwei Wochen... Blaue Augen füllten sich mit Tränen und die junge Frau unterdrückte ein Schluchzen, als sie ihre Hand gegen das kalte Glas presste, so, als wollte sie den Jungen zurück halten. Ja, ihm fiel dieser Abschied schwer, auch wenn er es nicht einmal unter Androhung von Folter zugegeben hätte. Ihr brach er das Herz. >Bist du dir sicher, Jun-chan?< Zwei starke Arme schlangen sich um ihren Oberkörper, hielten sie sanft fest, als ihre Füße nachgaben. Dennoch konnte sie den Blick nicht von der Gestalt abwenden, die sich entschlossenen Schrittes auf nach Japan machte. Noch glaubte der Junge, dass er dort lediglich seine Herbstferien verbringen würde... "Ja, Li. Er würde es nicht ertragen." Jun wischte sich mit zittrigen Händen die Tränen vom Gesicht. Langsam verschwand die dunkle Gestalt im aufsteigenden Nebel und ihr war wie Sterben bei dem Wissen, dass sie ihn nie wieder sehen würde. "Es ist besser so, Li." Flüsterte sie und musste husten. "Ich will ihm all das ersparen, es war schon schwer genug mit Mutter." Li Pailong hielt sie fester, als sie zu zittern begann und hob sie schließlich in seine starken Arme. "Außerdem ist er dort unter Menschen, die ihn lieben, Li. Sie haben innerhalb weniger Monate vollbracht, was ich in all den Jahren nicht fähig war zu tun. Es wird ihm gut bei ihnen gehen. Besser als hier bei mir..." Noch mehr Tränen rannen über ihr bleiches Gesicht. >Komm, ich bring dich ins Bett, Jun-chan.< Jun nickte nur, alle Worte waren gesagt worden. Müde vom Weinen lehnte sie sich gegen den Oberkörper ihres Beschützers und ließ sich von ihm auf ihre Couch tragen, auf der sie die letzten Nächte verbracht hatte, wenn der Schmerz zu groß wurde. Eine weiche Decke wurde um ihre Hüften gelegt und sie lächelte traurig, als sie sanfte Hände spürte, die liebevoll durch ihre offenen Haare strichen. "Hast du Angst, Li?" >Nein.< "Das ist gut." >Ich werde dich immer beschützen.< "Ja, ich weiß..." Langsam glitt sie hinüber in das Reich der Träume. Faust hatte Recht gehabt, diese Tabletten wirkten Wunder, sie spürte nicht das kleinste Unbehagen. Nur der Schmerz in ihrem Herzen wollte nicht vergehen, aber diesen konnte selbst der größte Wunderdoktor nicht behandeln. Waren es wirklich nur zehn Jahre, in denen ich seine große Schwester sein durfte? *** Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)