Heated von Grglmrgl (sasuke x sakura) ================================================================================ Prolog: Eine Schnapsidee ------------------------ Das war die dümmste Idee deines Lebens. Dieser Satz hallte ihr wieder und wieder durch den Kopf, als sie am Küchentisch des fremden Anwesens saß und sich die verschwitzten Hände knetete. Über dem Türbogen hing eine Uhr mit einer zentimeterdicken und über viele Jahre kultivierten Staubschicht, die mit jeder verstrichenen Minute lauter zu ticken schien und sie langsam, aber sehr sicher, in den Wahnsinn trieb. Der Seufzer, der ihr über die geschwungenen und an einigen Stellen aufgeplatzten Lippen entfloh, war durchaus als erbärmlich zu beschreiben. In den letzten Wochen hatte sie sich immer öfter dabei erwischt, an den Lippen zu nagen und hatte versucht, es zu unterbinden, doch die blutigen Rillen sprachen ihre eigene Sprache. Auch jetzt würde es ihr nur zu einfach fallen, an den losen Hautfetzen zu ziehen und ihre rasenden Gedanken auf irgendetwas zu richten, was nicht mit dem heutigen Treffen zusammenhing, doch sie besann sich eines Besseren. Sie wollte wahrlich nicht aussehen, wie das zwölfjährige, dusselige Mädchen, welches sie einst gewesen war und sich ständig seinetwegen nervös die Lippen zerkaut hatte. Das war sie nicht mehr. Sie war erwachsen. Sie hatte einen Krieg miterlebt und – was noch viel wichtiger war – überlebt. Sich die Lippen wegen ihm zu zerkauen war etwas für die alte Sakura, nicht für die, die hier saß und hart gearbeitet hatte für ihren Platz in dieser Welt. Mit dem Zipfel des Ärmels ihres weinroten Rollkragenpullovers wischte sie sich über die Stirn, um die verräterischen Schweißperlen zu beseitigen, jedoch stellte sie dabei zu ihrem eigenen Ärgernis fest, dass ihr Arm dabei zitterte. Es war egal, welche mutigen Worte sie sich in Gedanken predigte, ihr verräterisches Herz war immer noch das des zwölfjährigen, dusseligen Mädchens und genau jetzt pochte es so heftig, dass sie es in ihrem Hals spüren konnte. „Du siehst nicht besonders gut aus, sollen wir das Treffen verschieben?“ Kakashis belustigte Stimme riss sie aus dem Malstrom ihrer Gedanken. Du siehst nicht gut aus waren eine schmeichelhafte Umschreibung dafür, dass sie höchstwahrscheinlich wie ein Nervenbündel aussah. „Dir auch einen guten Morgen“, entgegnete sie brummend und rutschte auf dem Stuhl in eine etwas aufrechtere Position, in dem Versuch, wenigstens etwas würdevoller auszusehen. „Du bist pünktlich – wie kommt's?“ Sehr gut, Sakura, immer schön ablenken. Kakashi schmunzelte - es war offensichtlich, dass er genau verstand, was sie vorhatte. „Als Hokage hat man eine gewisse Verantwortung, fürchte ich. Außerdem liegt mir diese Sache ebenfalls sehr am Herzen, deswegen habe ich auf meine üblichen Spaziergänge verzichtet.“ Sakura verzog die Lippen. Hatten sie ihm früher, während ihrer Genin Ausbildung, also nicht am Herzen gelegen? Sie verkniff sich ein gespielt schnippisches Kommentar, immerhin hatte sie der grauhaarige Mann vor ihr in einem eher bescheidenen Zustand vorgefunden und sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er es ohne Umschweife gegen sie nutzen würde. „Weißt du, wann er auftaucht?“, fragte sie ihn stattdessen und verzichtete ganz bewusst auf die Nutzung seines Namens. Seit dem Krieg fühlte es sich seltsam an, ihn auszusprechen und Sakura hatte bisher noch nicht den Mut gefunden, zu ergründen, woran das wohl liegen mochte. „Sasuke?“ Sakura zuckte kaum merklich zusammen. „Er sollte jede Minute mit seinen Begleitern auftauchen. Er wirkte wenig begeistert, aber das kennen wir ja“, antwortete er belustigt. Sakura zuckte bei dem Namen kaum merklich zusammen, die Lippen zwischen ihren Zähnen. „Ist wirklich alles okay?“ Kakashi wirkte auf einmal aufrichtig besorgt. „Du machst dir Sorgen? Wegen der Vereinbarung?“ Die Andeutung eines Nickens. „Mhm.“ Mit dieser recht kargen Silbe hoffte sie ihm alles zu sagen, was ihr durch den Kopf schwirrte – viel zu viel und viel zu durcheinander. Die Stimme ihres einstigen Lehrers wurde leiser, sanfter, als er weiter sprach. „Du kannst es immer noch ablehnen.“ Sakura wich seinem Blick aus, denn sie wollte das Verständnis und Mitleid darin nicht sehen. „Habe ich die Wahl denn wirklich?“, fragte sie und die Worte fühlten sich rau an in ihrer trockenen Kehle. Als hätte sie schon Wochen nicht mehr gesprochen. Sie hasste es. Die Reaktion ihres Körpers... ihre Reaktion. „Natürlich“, antwortete Kakashi ohne Umschweife, „Du musst nicht mehr alles für ihn tun. Du hast schon genug gegeben. Genug für ein Leben und mehr.“ Das meinte er ehrlich, sie hörte es in seiner Stimme und es verstärkte den Klos in ihrem Hals. Vehement blinzelnd versuchte sie, die aufkommenden Tränen zu bekämpfen. „Es war meine Idee.“ „Das bedeutet nicht, dass es in Stein geschlagen wurde.“ Wütend rieb sich Sakura mit dem Ärmel die Tränen aus den Augenwinkeln. Wütend auf sich, wütend auf Sasuke und wütend auf die ganze götterverdammte Welt. „Wieso?“ Eigentlich erwartete sie nicht, dass Kakashi ihr antwortete, denn mit diesem einen Wort konnte sie tausend Dinge erfragen wollen, doch er schien sofort zu verstehen, was sie meinte. „Weil du ihn liebst.“ Unter seinem Pullover verzog sich sein Mund zu einer schiefen Grimasse und seine Augen funkelten, wenngleich sie nicht zu sagen vermochte, von welcher Emotion. Ein gewaltiger Seufzer entfuhr ihr und sie stellte erleichtert fest, dass er nicht zittrig klang. „Fast zehn Jahre und ich weiß noch immer nicht, ob ich nicht eigentlich wahnsinnig bin.“ Sie lachte ein freudloses Lachen. „Ich muss es sein, ganz sicher.“ „Naja...“, begann Kakashi schmunzelnd und Sakura wusste sofort, dass sie den Rest überhaupt nicht hören mochte, „Nach den nächsten Monaten bist du es auf jeden Fall.“ Kapitel 1: Gespräche und Kräutergärten -------------------------------------- Naruto Die Erinnerung an die letzten Winde des Winters waren noch frisch und doch schien die Sonne mit außerordentlicher Kraft an diesem Tag. Die Bäume vor dem Fenster des Klassenzimmers begannen bereits das Sprießen und die Sonne malte tanzende Muster auf den hölzernen Boden, dessen polierte Oberfläche bei zu intensiven Starren fast blendete. Naruto langweilte sich schrecklich. Es war schön, seine beiden besten Freunde hatten eine wichtige Unterredung mit Kakashi und einigen anderen einflussreichen Personen und er saß hier und brütete über stinklangweilige Bücher. Er hatte lesen schon immer gehasst und war dankbar dafür, dass Sakura, Yamato und Kakashi auf Missionen den strategischen Überblick behalten hatten, aber das Leben war ein Marathon, kein Sprint und so holte seine Faulheit ihn schlussendlich doch ein. Wenn er Hokage werden wollte, musste er büffeln, hatte Kakashi gesagt und ihn damit zu unendlich vielen Sitzungen mit seinem ehemaligen Lehrer, Iruka, verdammt. Er liebte den Mann, keine Frage, aber just in diesem Moment konnte er sich zahlreiche Dinge vorstellen, die er weitaus lieber unternehmen würde, als hier zu sitzen und über taktische Rückzüge zu lernen. Iruka las aus einem Kapitel vor, doch er hörte schon seit einigen Minuten nicht mehr aktiv zu, sodass er verdutzt blinzelte, als Iruka aus dem Sermon ein Gespräch machen wollte und ihn etwas fragte. „Du hast mir schon wieder nicht zugehört, nicht wahr?“, seufzte sein Lehrer. Er war ein geduldiger Mann und Lehrer und manchmal schämte Naruto sich dafür, dass er ein so miserabler Schüler war. „Nicht wirklich“, gestand Naruto, „Ich kann mich nicht konzentrieren, tut mir Leid.“ Das meinte er ehrlich. „Sasuke sollte jeden Moment bei sich zuhause ankommen und ich sitze hier, lass mich von der Sonne grillen und muss Dinge lernen, die einfach nicht in meinen Kopf gehen wollen.“ „Weil du es nicht versuchst, Naruto“, antwortete Iruka und klappte das Buch in seinen Händen zu. Staub wirbelte zwischen den Seiten auf und unwillkürlich fragte Naruto sich, ob er der erste Mensch seit dutzenden Jahren war, der es überhaupt zu Gesicht bekam. So wichtig kann der Inhalt wohl doch nicht sein, dachte er missmutig. „Kannst du es mir verdenken?“ Der Blonde zog eine Grimasse. Zeitverschwendung, das hier war richtige Zeitverschwendung. Er sollte nicht hier sein. Iruka seufzte erneut. „Du musst deine Prüfungen bestehen. Ein Genin kann kein Hokage werden, Naruto, es ist also in deinem Interesse. Ich verstehe dich, wirklich, aber deine Freunde rennen dir nicht weg.“ „Wieso muss ich überhaupt an irgendwelchen blöden Prüfungen teilnehmen“, murrte Naruto, „Ich habe in einem verfluchten Krieg gekämpft, gegen Madara und Kaguya und dann auch noch gegen Sasuke! Wie kann ich noch Genin sein? Welcher Genin würde solche Dinge zustande bringen?“ Es wurmte ihn tatsächlich, ja, dass er mit so vielen furchtbaren Dingen zurecht gekommen war, auf die ihn keine Prüfung der Welt je hätte vorbereiten können und er dennoch behandelt wurde, wie der zwölfjährige Tölpel, der einst deutlich mehr auf sein Glück als sein Können angewiesen war. Iruka nahm das Buch in der Hand und schleuderte es auf den Tisch, direkt vor Narutos Nase. „Dein Vater“, fing er wütend an, „War ein Genie und er rettete dich und unser Dorf vor der sicheren Zerstörung und dennoch hat er keine Sonderbehandlung genossen, sondern sich auf seinen Hosenboden gesetzt, gelernt und – verdammt nochmal – seine Prüfungen absolviert, wie jeder andere!“ Naruto blähte die Wangen auf und schmollte. Das war nicht die Antwort gewesen, die er hatte hören wollen. Iruka hatte ihm ein wenig den Wind aus den Segeln genommen, denn natürlich war sein Vater sein absolutes Vorbild, wenngleich er ihn eigentlich fast ausschließlich aus Geschichten kannte, die man sich immer noch mit vor Ehrfurcht leuchtenden Augen erzählte. Iruka musterte seinen ehemaligen Schützling mit einem milden Lächeln. Tatsächlich hatte sich der blonde Chaot über das letzte Jahrzehnt auf beeindruckende Art weiterentwickelt und er verstand, wie wichtig gerade der heutige Tag für ihn war. Sasuke war der Mittelpunkt seiner Ambitionen der letzten fünf Jahre gewesen und ihn endlich als quasi freien Mann in Konoha zurück zu begrüßen muss ihm unendlich viel bedeuten, deshalb... „Wir gehen jetzt das Kapitel noch zu Ende durch, das sind knapp 5 Seiten und danach kannst du abhauen, Deal?“ Narutos Lächeln war so strahlend, dass selbst die kräftige Frühlingssonne daneben verblasste. Iruka lächelte ebenfalls, so motiviert hatte er seinen Schüler wahrlich noch nie gesehen. Sakura Das Gespräch war vorbei und sie fühlte sich, als müsste sie sich übergeben. Sie war nicht gerade stolz auf sich, direkt nach dem Gespräch ohne Umschweife aus dem Anwesen der Uchihas geflüchtet zu sein, aber die Enge der Küche hatte sie zu ersticken gedroht. Sasuke hatte sie das ganze Gespräch über angestarrt, aber nicht angesprochen und es grenzte an ein schieres Wunder, dass sie nicht einfach auf ihrem Stuhl zusammen gesackt war. Die strahlende Sonne in ihrem Gesicht war ein Segen und die für diese Zeit ungewöhnlich milde Brise prickelte auf ihrer schwitzigen Haut. Beruhigen, sie musste sich beruhigen. Das letzte, was sie gebrauchen konnte, war ein Kreislaufzusammenbruch. Wenn ihr Körper derart reagiert... es musste eine wirklich schlechte Idee gewesen sein, aber nun war es zu spät. Sakura war sich fast sicher, dass Kakashi die Verantwortlichen irgendwie geschmiert haben musste, damit sie dieser Narretei zustimmen und jetzt stand sie hier, mitten auf einer ausgestorbenen Straße im Uchihaviertel und starrte Löcher in die Luft. Sakura atmete tief ein und sortierte ihre Gedanken – oder versuchte es zumindest. Nachhause, beschied sie, als Erstes sollte ich erst einmal nachhause gehen. Ihre Mutter wusste von ihrer Schnapsidee und war ihrer Meinung nach ein wenig zu begeistert davon, dass ihre noch jugendliche Tochter sich mehr oder weniger an einen ebenfalls jugendlichen Mann kettete, um ihn vor den modrigen, lichtlosen Zellen Konohas Verliesen zu retten. In einem Moment der Vernunft hatte sie ihr das Versprochen abgerungen, sie nicht zu früh mit Enkelkindern zu segnen (worüber sie nicht gelacht hatte), aber ansonsten hatte sie ihr die ganze Zeit über in den Ohren gelegen, wie romantisch ihre Geste doch war. Sie hatte die dumpfe Vermutung, dass ihre Mutter den ein oder anderen romantischen Titel zu viel gelesen hat, denn ferner von der Realität könnte ihre jetzige Situation nicht sein. Im Grunde genommen verstand sie selbst noch nicht so ganz, wieso sie diesen albernen Vorschlag gebracht hatte, sich um Sasuke zu kümmern, damit er in kein Verlies musste, zumal er sie ohne mit der Wimper zu zucken überwältigen konnte, wenn er wollte. Sie hoffte nur, dass er vernünftig blieb und es nicht tat und ihr ihr wankelmütiger Heroismus nicht am Ende ein eigenes Bein stellte. Während sie regelrecht durch Konoha stapfte, musste sie an Sasuke denken und wie er sie die ganze Zeit angesehen hatte. Leider war der Uchiha besonders talentiert darin, absolut keinerlei Gefühlsregung im Gesicht erkenntlich zu machen, sodass er genauso gut alles hätte denken und fühlen können. Schon früher hatte sie ihn dafür verflucht und irgendwie auch beneidet. Ihr selbst wäre es bestimmt oft besser ergangen, wenn man sie nicht hätte lesen können wie ein Buch. Und dennoch... er hatte sie die ganze Zeit angeschaut und sie müsste lügen, wenn sie behaupten würde, dass es ihr leicht gefallen war, ihn nicht ebenfalls die ganze Zeit anzustarren. Er war über die Jahre erwachsen geworden und es war irgendein grausamer Scherz, dass ihn die Zeit nur noch schöner gemacht hat. Jemand mit einem so kalten Herzen sollte nicht so aussehen dürfen, sollte ihr eigenes Herz nicht so schnell klopfen lassen dürfen. Sie wusste das und doch konnte sie sich ihm immer noch nicht erwehren, selbst nicht nach allem, was er (ihr) getan hatte. Sie seufzte, mal wieder, als ein gewisser blonder junger Mann in ihrem Sichtfeld auftauchte. Naruto. Unwillkürlich musste sie lächeln. Über die Jahre war er ihr so sehr ans Herz gewachsen, dass es schwer wurde, wenn sie darüber nachdachte, wie grausam sie ihm gegenüber oft gewesen war. Sie konnte die Zeit nicht zurück drehen oder ihrem jüngeren Ich eine Standpauke halten, aber sie konnte ihm eine gute Freundin sein. „Hey, Naruto“, grüßte sie ihn, als er vor ihr stand und zog ihn in eine Umarmung, ehe er reagieren konnte. Sein herzliches Lachen ließ seine Brust an ihr vibrieren, wärmte sie und sie drückte ihn noch ein wenig fester. „Du erdrückst mich, Sakura!“ „Mach dich nicht lächerlich“, antwortete sie und grinste ihn schief an. Ihn zu sehen war wie Sonne nach langen Tagen voller Regen und Nebel. Das sagte sie ihm auch, sodass Naruto rot anlief und sich verlegen die Wange kratzte. „War's so schlimm?“, fragte er nach und trat vorsichtig einen Schritt zurück. „Schlimmer“, gestand Sakura, „Ich habe mich kaum konzentrieren können. Sasuke hat Löcher in mich gestarrt, während die Männer vom Sicherheitsdienst die Auflagen für seinen Aufenthalt in seinem eigenen Anwesen erklärt haben.“ „Ich wäre gerne dabei gewesen und hätte dir geholfen, echt jetzt, aber ich konnte mich nicht eher von Iruka und diesem blöden Nachhilfeunterricht loseisen“, erklärte er und blähte erneut seine Backen auf. Sakura zuckte mit den Achseln. „Ich weiß, ich gebe dir nicht die Schuld dafür. Kakashi war keine große Hilfe, ganz ehrlich. Es schien ihm Spaß zu machen, mir dabei zuzuschauen, wie ich am liebsten im Boden versunken wäre.“ Und dann berichtete sie ihm in aller Ausführlichkeit den Rest der Unterhaltung, nachdem sie von der Hauptstraße etwas abseits gegangen waren. Sakura starrte betreten auf ihre Füße und fragte sich, wie sie die nächsten vier Wochen überleben sollte, während Naruto grüblerisch die Hauswand hinter ihr musterte. „Glaubst du, er wird Blödsinn machen?“, fragte er leise, vorsichtig. „Ich hoffe nicht. Nicht nur, weil ich dann massiven Ärger kriegen werden werde, sondern für ihn.“ Naruto grinste sie verschmitzt an. „Weil du ihm dann die Hölle heiß machst?“ „Nein, du Holzkopf, sondern weil ich nicht mehr länger dabei zuschauen kann, wie er sich selbst geiselt.“ Das meinte sie ernst. Zum Teil hatte sie Sasuke nie aufgeben können, weil es sie schmerzte, ihren guten Freund so tief in der Dunkelheit verloren zu sehen. Umgeben von nichts als Hass und dem Antrieb nach Rache. An seinem Bruder, an Konoha, an der ganzen Welt. Niemand sollte so allein auf der Welt sein. „Ich verstehe, was du meinst, Sakura“, sagte Naruto und klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter, „Ich werde so oft wie möglich vorbei schauen und ihm notfalls den Kopf waschen.“ Sakura betrachtete den lose herab baumelnden Ärmel seines rechten Armes, der nicht mehr da war. Naruto hatte bereits so viel geopfert, um Sasuke zurück zu bringen, doch sie zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass er nicht noch weiter für den Uchiha gehen würde. Eine Tatsache, die sie erschütterte. Naruto hätte alles für Sasuke aufgegeben, selbst den Titel des Hokagen und sie stand hier und heulte ihm die Ohren voll, dass selbst die eine Kleinigkeit, die sie zu tun im Stande war, ängstigte. Sie hatte sich kein bisschen verändert, stellte sie betroffen fest. Immer hinter den beiden, immer auf sie angewiesen, immer feige. „Darüber würde ich mich sehr freuen... Und Sasuke glaube ich auch“, fügte sie hinzu, „Aber nimm' dann wenigstens deine Sachen mit, dann kann ich dir beim Lernen helfen.“ Ein tiefer Atemzug und das nervöse Zittern in ihrer Stimme war verschwunden. Mut erfüllte sie beim Anblick ihres lädierten besten Freundes. Naruto stöhnte genervt auf, was Sakura zum Lachen brachte. „Nicht du auch noch.“ Doch er schmunzelte und zwinkerte ihr verwegen zu. Sasuke Das Anwesen seiner Familie war komplett verstaubt. Er stand in seinem früheren Zimmer und betrachtete die Bilder von Team 7, die er vor seiner Abreise um geschmissen hatte. Sie standen alle da, die einzigen staubfreien Gegenstände in dem ganzen riesigen Anwesen. Sakura war hier gewesen, regelmäßig, das wusste er. Ein Stich in seiner Brust. Was er bedeutete, wusste er nicht, aber er hatte ihn schon einmal gespürt. Im Tal des Ende, als er neben Naruto lag, von oben bis unten besudelt mit dem Blut beider und Sakura sie geheilt hatte. Sie hatte ihn zurecht gewiesen. Nachdenklich rieb er die Stelle der Brust, unter der sein Herz schlug. Sakura Das Packen ihrer Sachen hatte sich als mühselig heraus gestellt. Naruto hatte ihr geholfen, aber ihre Mutter hatte die ganze Zeit um sie herum geschwirrt. So still hatte sie Naruto noch nie erlebt und es schwante ihr, dass es keine gute Idee gewesen war, ihn mitzunehmen. Sie hatte ihm gesagt, dass es okay war, wenn sie alleine weiter packte, aber er hatte nur den Kopf geschüttelt und ihr stur weiter geholfen. „Ich danke dir“, seufzte sie, als sie sich auf einen der Koffer fallen ließ und sich mit den Händen das Gesicht rieb. Sie musste sich beeilen. Bevor sie aus dem Anwesen gestürmt war, hatte sie niemandem gesagt, wann sie mit ihren Sachen zurück sein würde. Sie hoffte, dass nur noch Kakashi bei Sasuke war, das würde ihr zumindest eine unangenehme Unterredung mit den Männern vom Sicherheitsdienst ersparen. Diese waren bestimmt nicht von ihrem kindischen Ausbruch begeistert gewesen, aber sie konnte es nun nicht mehr ungeschehen machen. Passiert war passiert. „Kein Problem“, antwortete Naruto. In ihrem kitschigen Zimmer wirkte er irgendwie deplatziert und Sakura fragte sich, ob er wohl das Gleiche dachte. „Ich helfe dir auch noch beim Tragen“, fügte er hinzu und grinste sein typisches Grinsen. Wenn er sich unwohl fühlte, ließ er es sich nicht anmerken. „Dafür lade ich dich die Tage mal bei Ichiraku ein“, versprach sie ihm, was sein Gesicht nur noch mehr aufhellen ließ. Manchmal, dachte sie bei sich, ist er so erwachsen und reif, dass ich ihn kaum wieder erkenne und manchmal ist er der gleiche Junge von früher. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, froh darum, dass die letzten Jahre nicht alles verändert, nicht alles kaputt gemacht hatten. „Wenn das so ist helfe ich dir sogar noch beim Ausräumen!“ „Tatsächlich habe ich einen anderen Gefallen, um den ich dich noch bitten wollte“, begann sie vorsichtig. Naruto hatte ihr heute schon viel geholfen und es wurmte sie, ihn noch weiter in Anspruch zu nehmen. Naruto zog nur die Augenbrauen hoch und wartete darauf, dass sie weiter sprach, also fing sie an sich zu erklären „Ich werde die nächsten vier Wochen nicht groß dazu kommen, das Haus zu verlassen, immerhin muss ich ja auf Sasuke aufpassen, deswegen wollte ich die Zeit nutzen, um in seinem Garten ein paar Heilkräuter zu pflanzen. Ich habe Ino bereits darum gebeten, mir einige Samen und Setzlinge zusammen zu suchen. Mir ist schon klar, dass sie in der kurzen Zeit ohnehin nicht wachsen werden, aber ich... ich wollte etwas zu tun haben.“ Dass Sasuke nicht dafür bekannt war, die aufregendste Gesellschaft zu leisten und die tiefgründigsten, langen Gespräche zu führen, bedurfte keiner weiteren Erklärung. Naruto nickte verstehend und streckte den Daumen in die Luft. „Dann geh' ich zu Ino und hol' die Sachen ab?“, hakte er nach, um sicher zu gehen und Sakura nickte zur Bestätigung. „Alles klar, das kriege ich hin.“ Noch ein verschwörerisches Grinsen, bevor er den schweren Koffer hoch wuchtete und eilig aus dem Zimmer verschwand. Er hatte sich also wirklich unwohl gefühlt. Sakura entwischte ein Kichern, ehe sie die beiden kleineren Taschen griff und ihrem besten Freund folgte. Bevor sie das Haus ihrer Eltern verließ, verabschiedete sich von beiden und versprach ihnen, so oft, wie es eben ging, vorbei zu schauen. Das begeisterte Angebot ihrer Mutter, jeden Tag vorbei zu kommen, lehnte sie dankend ab. … Sakura fühlte sich selten fehl am Platz, doch heute war so ein Tag. In dem riesigen Anwesen von Sasuke gab es zu viele Zimmer. Sie hatte sich eines im Erdgeschoss ausgesucht, nahe am Garten. Sasuke hatte sie keines Blickes gewürdigt, als sie zusammen mit Naruto aufgetaucht war, sondern leise flüsternd mit Naruto einige Worte gewechselt. Tatsächlich hatte Kakashi auf Sasuke aufgepasst, bevor die beiden angekommen waren und sich prompt mit irgendeiner wichtigen Angelegenheit von seinen ehemaligen Schülern verabschiedet. Es wurmte sie, nicht zu verstehen, was die beiden da miteinander redeten. Betont desinteressiert fing sie an, ihre Sachen auszuräumen, als Naruto sich ebenfalls verabschiedete und ihr versprach, noch heute mit den Sachen von Ino zurück zu kommen. Damit waren sie beide alleine. Sakura schluckte, doch der Klos in ihrem Hals rückte kein Stück vom Fleck. Sie spürte Sasukes Blick in ihrem Rücken, doch sie tat so, als würde sie nichts merken und räumte weiter aus. „Wieso hast du das getan?“ Er klang gewohnt gelangweilt und Sakura hatte ihre liebe Not, nicht zu fluchen. Natürlich musste er ohne Umschweife direkt mit den schlimmstmöglichen Gesprächsthemen anfangen. Sakura drehte sich extra langsam zu um ihm und stellte in der wenigen Zeit, die ihr das verschaffte, fest, dass sie keine Antwort darauf hatte. Also zuckte sie mit den Schultern und starrte auf irgendeinem Punkt in seinem Gesicht, nur um ihm nicht in die Augen schauen zu müssen. „Okay.“ Mehr sagte er nicht, ehe er sich umdrehte und verschwand. Sakura fragte sich, ob irgendjemand eigentlich erwähnt hatte, dass sie ihn wortwörtlich die ganze Zeit im Auge behalten musste und beschloss um ihren eigenen Seelenfrieden willen, dass dem nicht so war. Je weniger sie sich aktiv mit ihm auseinander setzen musste, desto besser. Die nächste Stunde verging in absoluter Stille. Nur ihre Schritte auf dem Holzboten und das Öffnen und Schließen von Schubladen und Schränken zeugten davon, dass in dem Anwesen überhaupt jemand lebte. Sasuke war wo auch immer hingegangen und war genauso still und unsichtbar wie ein Geist. Wenn die nächsten vier Wochen so verliefen, dann würde es ja gar nicht so schlimm werden, wie sie zunächst angenommen hatte. Kurz nachdem sie fertig wurde, klopfte es an der Tür und da sie nicht erwartete, das Sasuke auftauchte, ging stattdessen sie und machte Naruto auf. Dieser hob strahlend einen gewaltigen Sack voller Kräutersetzlinge und -samen hin und wirkte recht zufrieden mit sich. Auch Sakura strahlte, als sie ihn herein bat und ihm den Sack abnahm. Er war genauso schwer, wie er aussah, aber das war kein Problem. Ohne Umschweife bedeutete sie ihm, ihr in den Garten zu folgen. „Ich habe bereits ein Plätzchen dafür ausgesucht“, erklärte sie ihm, als sie auf einen Platz, der in der untergehenden Sonne im Schatten lag. „Tagsüber fällt viel Licht hier ein. Ich habe Ino gebeten, Pflanzen auszusuchen, die nicht viel... Zuwendung brauchen.“ Pflanzen, die auch gedeihen würden, wenn sie hier wieder weg war. Pflanzen, die genauso gut ohne ihre Aufmerksamkeit überleben würden, wie Sasuke. Sie schluckte diese Bemerkung herunter, aber in ihrem Kopf hallte diese Erkenntnis wider. Naruto schien ihre schlechte Laune deutlich zu spüren, denn er schlang seinen verbleibenden Arm um sie. „Neue Pflanzen für eine neue Zeit“, sagte er nur und drückte sie noch ein wenig fester. Zusammen starrten sie ein wenig auf den Flecken Erden, auf dem noch nichts außer Gras wuchs, dessen grüne Halme sanft im Wind wogten und genossen die Stille. Auch das mochte sie gern an Naruto. Schweigen war mit ihm nicht unangenehm, nicht wie mit Sasuke. Sie konnte Stunden mit ihm verbringen, ohne dass es komisch werden würde, wenn keiner sprach. Und genauso gut konnte sie stundenlang mit ihm reden. Manchmal, in stillen und einsamen Momenten fragte sie sich - fragte sie sich wirklich - warum sie sich nicht in Naruto verlieben konnte. Sie hatte es versucht, wirklich und wahrhaftig, aber es funktionierte einfach nicht. „Möchtest du zum Essen bleiben?“ Er warf ihr einen mitleidigen Blick zu. „Du schaffst das schon“, versicherte er ihr, aber Sakura war sich da ganz und gar nicht so sicher. „Ich muss nach Hause, Iruka hat mir Hausaufgaben gegeben.“ Er rollte demonstrativ die Augen. „Morgen komme ich vorbei und bringe meine Unterlagen mit, dann können wir ab sofort zusammen zu Abend essen, ja?“ „Bitte.“ Sakura begleitete ihren besten Freund zurück zur Haustür und verabschiedete sich von ihm, was ihr so schwer fiel wie sonst nie und als sie die Tür hinter ihm schloss fühlte sie sich von der gleichen Stille, die sie gerade noch so gern mit Naruto geteilt hatte, plötzlich erschlagen. Von Sasuke gab es noch immer keine Spur und kein Lebenszeichen. Sakura seufzte und ging in ihr Zimmer, um sich umzuziehen. Da Sasuke ohnehin nicht auf zwischenmenschliche Interaktion scharf zu sein schien, konnte sie genauso gut das letzte Licht des Tages nutzen, um die Erde für ihr Beet umzugraben. Das würden schrecklich langweilige vier Wochen werden. Kapitel 2: Distanz und Nähe --------------------------- Sakura Die ersten zwei Tage vergingen in absoluter Stille und Sakura, die den ganzen Tag über nichts hörte, außer ihre eigenen Gedanken, wurde langsam wahnsinnig. Naruto hatte sein Versprechen gehalten und war am nächsten Abend, zusammen mit seinen Lehrbüchern, zum Abendessen erschienen. Das war die einzige Zeit gewesen, wo sie auch Sasuke zu Gesicht bekommen hatte. Sie hatte beschlossen, deswegen nicht stinkwütend auf ihn zu sein, aber zu ihrer eigenen Schande, musste sie gestehen, dass diese Entscheidung weniger deshalb getroffen wurde, weil sie fast eine erwachsene Frau war, sondern eher, weil es dem Uchiha ohnehin vollkommen gleichgültig wäre. Kann er haben, dachte sie mürrisch, während sie mit etwas zu viel Elan den Boden vor ihren Füßen umgrub. Sie war froh, dass sie immerhin mit dieser unleidlichen Arbeit fast fertig war und auch ihre Hände würden froh sein, denn nach nur zwei Tagen Schaufelei waren sie bereits schwielig und an einigen Stellen hatten sie sogar Blasen. Es tat ihr nicht gut, den ganzen Tag nichts Besseres zu tun zu haben, als im Garten zu sitzen und zu gärtnern, denn leider war das eine Tätigkeit, bei der man sehr gut seine Gedanken schweifen lassen konnte, was aber alle paar Minuten (trotz einiger Willenskraft) darin endete, dass sie Sasuke für sein unflätiges Benehmen ihr gegenüber verteufelte. Mit einer gehörigen Portion Wut warf sie die arme Schaufel außerhalb ihres Sichtfelds und starrte auf den gepflügten Boden vor ihr. Sie hatte keine Lust mehr. Sie brauchte zwischenmenschliche Kontakte und nach nur zwei Tagen wurde es ihr bereits zu blöd! Das Problem war, dass sie das Anwesen ohne Sasuke nicht verlassen durfte und selbst mit ihm gab es die Auflage, dass sie vorher den Obrigkeiten Bescheid geben musste – wie auch immer sie das anstellen sollte. Sie seufzte, wischte sich die dreckigen Hände behelfsmäßig an ihrer Schürze ab und richtete sich auf. Die Sonne, obgleich noch recht schwach, brannte ihr seit Stunden auf den Nacken und die Arme, die sich nach etwas Schatten und Abkühlung sehnten. Dank einer vernunftbegabten Vergangenheits-Sakura stand eine Karaffe mit frischem, kühlem Wasser neben der Veranda, von welcher sie sich großzügig einschenkte und in gierigen Schlücken trank. Eigentlich war es schade, dass sie sich so in ihren Zorn hüllte, stellte sie fest. Es war so schön ruhig. Wann war es das letzte Mal so ruhig gewesen? Wann hatte sie das letzte Mal in einem Garten sitzen und dem Gezwitscher der Vögel lauschen können, ohne daran denken zu müssen, dass dieser friedliche Moment nicht lange halten würde? Sakura atmete tief ein und wieder aus und tatsächlich beruhigte sich ihr Herzschlag ein wenig, die Wut, die das Blut ihrer Adern zu vergiften schien, brannte etwas schwächer. „Was machst du da?“ Nur dank ihrer jahrelangen harten Ausbildung unter Tsunade schrak sie nicht erbärmlich zusammen, als Sasuke sie aus dem Nichts heraus ansprach. Trotzdem musste sie beschämt zugeben, dass sie ihr Herz sofort wieder im Hals pochen spürte, begleitet von einem eindringlichen Rauschen in den Ohren. „Ich lege einen kleinen Kräutergarten an“, antwortete sie mit belegter Stimme und trank noch einen kräftigen Schluck, in der Hoffnung, den elenden Kloß in ihrem Hals hinfort spülen zu können. Es half nicht. Dämliche Sakura, schimpfte sie sich in Gedanken. „Wieso?“ Er machte das mit Absicht, es musste so sein. Er wusste genau, welche Knöpfe er drücken musste und gewiss bereitete es ihm eine diebische Freude, dass sie sich noch immer unter seinem eintönigen Desinteresse wand. „Wieso nicht?“, gab sie nur trotzig zurück und biss sich auf die Zunge, um nichts Falsches zu sagen. Manchmal muss man Feuer mit Feuer bekämpfen, auch wenn die Gefahr, dass dabei ein unlöschbarer Großbrand entstand, nicht gering war. „Hn.“ Es grenzte an ein schieres Wunder, dass er sich überhaupt zu einer Antwort herab ließ, doch als er sich tatsächlich dazu herabließ, sich seine Kleidung glatt zu streifen und sich neben sie zu setzen, war Sakura fest davon überzeugt, dass sie träumte und in wenigen Momenten in dem ihr fremden Bett in einem ihr fremden Anwesen aufwachen würde. Sakura zog die Knie hoch und umschlang ihre Beine mit den Armen. Die beiden sprachen eine ganze Weile lang kein Wort miteinander und Sakura traute sich nicht, dieses Schweigen zu brechen. Seit Tagen war dies das, was einem Annäherungsversuch von Sasuke am nächsten kam und sie wollte ihn nicht vergraulen. Diese kleine, nervige Stimme in ihrem Hinterkopf erinnerte sie daran, dass Schweigen mit Naruto sich nicht annähernd so seltsam anfühlte, wie mit Sasuke. Es war Sasuke, der Schweigen als Erster brach. „Warum tust du das alles, Sakura?“ Die gleiche Frage, die er ihr schon einmal, am ersten Tag, gestellt hatte. Sie berührte Sakura unangenehm, da sie darauf nur die Antwort geben konnte, die Kakashi ihr bereits gegeben hatte, doch diese Blöße wollte sie sich nicht geben. Natürlich war ihre Liebe zu ihm der Grund, doch diese hatte in den letzten Jahren den ein oder anderen Knacks bekommen. Sie war nicht so unumwunden, wie zu ihrer Genin-Zeit. Und Sakura wusste nicht, was sie mit ihren Gefühlen nun machen sollte. Sasuke zu lieben hatte ihr bisher nichts als Kummer eingebracht. Es war, als hätte sie sich vor vielen Jahren am Feuer verbrannt und selbst nach all der Zeit warf ihre Haut immer noch Blasen. „Ich... Die Vorstellung davon, dass du in irgendeiner dunklen, modrigen Zelle festsitzt, hat mir nicht gefallen... Ich wollte etwas tun“, gestand Sakura und rutschte etwas auf den Holzdielen hin und her. Einen Grund zu lügen gab es nicht und die Wahrheit gab auch nichts weiter preis. Naruto hätte das Gleiche getan, vielleicht auch noch der ein oder andere aus ihrer alten Klasse. Vielleicht. Sasuke gab ein Schnauben von sich, was auch ein Lachen hätte sein können. „Aber wieso?“ Na toll, er wollte die Beweggründe hinter ihrer Entscheidung wissen, aber darauf konnte sie ihm keine eindeutige Antwort geben. Wollte sie ihm keine Antwort geben. „Ich weiß es nicht“, antwortete sie lahm und sie musste ihm nicht ins Gesicht sehen, um zu wissen, dass er ihr nicht glaubte, doch er hakte nicht weiter nach. Stattdessen stand er auf und verschwand wieder im Anwesen, zurück in seiner stillen Isolation. Sakura wusste, dass sie ihn erst wieder zum Abendessen sehen würde. Würde es die ganze Zeit über so weiter gehen? Würde er kommen, sie nach dem Warum fragen und wieder gehen, wenn sie ihm keine richtige Antwort gab? Sie zog die Beine näher zu sich. Schon lange hatte sie sich nicht mehr so einsam gefühlt. Naruto Das Abendessen war noch unangenehmer als sonst. Sakura, die normal gedankenverloren in ihrem Essen herum stocherte und ihm und Sasuke kaum einen Blick schenkte, verschlang ihren Reis und die Beilagen in einem solchen Tempo, dass Naruto sich fragte, ob es ihr gleich wieder zu den Ohren heraus kommen würde. Ihr bemitleidenswertes Essen wurde mit einem vernichtenden Blick bedacht, den Naruto aus früheren Jahren nur zu gut kannte. Ob er froh sein sollte, dass sie ausnahmsweise nicht ihn damit bedachte? Wahrscheinlich. Die Stimmung war so angespannt, dass er sich nicht traute, Sasuke in ein unverfängliches Gespräch zu verwickeln, aus Angst, Sakuras Zorn auf sich zu ziehen. Denn in dieser einen Sache war er sich sehr sicher: Die beiden hatten miteinander gesprochen und Sakura war nicht glücklich darüber. Die Rosahaarige stürmte ohne ein Wort zu sagen und ohne ihr Geschirr wegzustellen aus der Küche, kaum dass sie ihre Stäbchen das letzte Mal zum Mund geführt hatte. Als er Sasuke mit einem neugierigen Blick bedachte, zuckte dieser nur mit den Schultern, sein Gesicht weiterhin so unbeweglich wie die Oberfläche eines gefrorenen Sees. Naruto seufzte ergeben. Es war noch nicht einmal die Hälfte der ersten Woche um und es sah nicht so aus, als würden die beiden sich irgendwie annähern. Das konnte ja noch etwas werden. Sakura Sakuras Frust und Wut wandelte sie in eine Form ruheloser Energie um, die sie nutzte, um ihre Kräutersetzlinge und -samen zu pflanzen, das ganze Anwesen blitzblank zu putzen und eine neue Leidenschaft für das Backen zu entwickeln. Die Tage verschmolzen zu einem verschwommenen Bild, ihr Blick schien sich nie scharf zu stellen, während sie sich von einer stumpfen Arbeit in die nächste stürzte, nur um nicht mehr über Sasuke und sein befremdliches Verhalten nachdenken zu müssen. Nach zwei weiteren Tagen gingen ihr langsam die Ideen aus. Wenn sie die Böden noch einmal wischte, würde sie sie Diele um Diele ausreißen. Wenn sie noch ein erbärmlich schlechtes Brot backte, dass sie direkt in die Mülltonne befördern musste, würde sie den Ofen in seine Einzelteile zerlegen und wenn sie ihre Kräuter noch öfter wässerte und nieder starrte, als würden sie so schneller wachsen, würden sie aus purer Angst nicht zu sprießen beginnen. So also fand Sakura sich erneut im Garten, dessen Gras von der Frühlingssonne gewärmt wurde. Sie hatte sich nicht darum geschert, ob Sasuke sie von irgendwo sehen konnte, als sie sich der Länge nach im Gras ausstreckte und die Augen schloss. Eine sanfte Brise streichelte ihr über das sonnengeküsste Gesicht und es dauerte nicht lange, bis das Gezwitscher der Vögel und das sanfte Rascheln der erblühten Bäume sie in einen Schlaf lullte. Als sie einige Stunden später aufwachte, wusste sie sofort, dass sie dumm war. Ihr Gesicht brannte und sie musste ihre Finger nicht zu der Haut führen, um zu wissen, dass sie sich bereits schälte. Leise fluchend erhob sie sich und selbst die unmerkliche Bewegung ihrer Lippen führte dazu, dass ein ziehender Schmerz durch ihr ganzes Gesicht fuhr. Ohne zu zögern lief sie zurück in ihr Zimmer, nur um festzustellen, dass ihre gesamten Arzneien bei ihr zuhause waren. Ein weiterer derber Fluch entfuhr ihr, denn sie wusste, dass sie nicht ohne weiteres gehen und Sasuke allein lassen durfte. „Was machst du da?“ Sasukes Timing war denkbar schlecht, natürlich. Sakura betete stumm zu den Göttern um Geduld und Vernunft. „Ich habe ein Problem“, gestand sie zögerlich, ohne sich umzudrehen. Ihr Gesicht musste knallrot sein, ihre Nase fühlte sich an, als würde sie sich schuppen. Niemals, nicht einmal unter der Androhung von Folter, würde sie sich jetzt umdrehen. Sasuke blieb still und schien sich auch nicht davon zu bewegen, also erwartete er vielleicht mehr Informationen. Die Rosahaarige biss sich auf die Lippen, bis sie einen stechenden Schmerz spürte. „Ich...“ Sie hielt inne, schämte sich, doch schluckte ihre Zweifel dann herunter. „Ich bin im Garten eingeschlafen. Direkt in der Sonne. Mein Gesicht ist sonnenverbrannt. Und ich habe nichts da, um mir eine lindernde Creme anzufertigen“, erklärte sie schließlich und bemühte sich darum, nicht mit jedem Wort leiser und kleinlauter zu werden. Sasuke antwortete wieder nichts und mit jeder verstreichenden Sekunde fühlte sie die Hitze der Scham höher in ihr aufsteigen. Sie brannte unter ihrer Haut, weit schlimmer, als der Sonnenbrand. „Lass mal sehen“, sagte er schließlich seltsam leise und sie vernahm, wie er einige Schritte auf sie zu machte. Unwillkürlich versuchte sie, von ihm wegzurücken, aber in dem kleinen Raum gab es kein Entkommen. Kurz darauf fühlte sie seine Hand an ihrer Schulter, ganz zaghaft. Als würde er auf ihre Zustimmung warten. Es war ein Zeichen, weiter drängte er sie nicht. Er wartete auf sie. Also fasste sie sich ein Herz und drehte sich um. Sasuke Ihr Gesicht war rot wie der Himmel um die untergehende Sonne. Sie schien förmlich zu glühen und als er die Finger seiner verbliebenen Hand hob, um die Haut ihrer Wange zu berühren, zuckte sie zurück. Er konnte die Wärme ihrer Haut fühlen, die so viel intensiver war, als es normal wäre. Nachdem ihr Kopf vor ihm zurück wich, zog er seine Hand wieder zu sich. Er wollte sie nicht bedrängen, vor allem nicht, weil sie in seiner Anwesenheit immer so gehetzt und irritiert wirkte. „Kann ich dir helfen?“, fragte er nach einem weiteren Moment des Schweigens. Ihre Gesichtszüge machten einige Gefühlswandlungen durch, von denen er nur die Verwunderung klar erkennen konnte. War sie sauer auf ihn? Und wenn ja, wieso? Und wieso dachte er darüber überhaupt nach? Eine jüngere Sakura wäre ihm permanent auf die Nerven gegangen, doch die vergangenen Jahre hatten sie reifer und weniger überschwänglich werden lassen. Eigentlich war es ziemlich traurig, dass aus der einst so fröhlichen Sakura eine verschwiegene, zurückgezogene Frau geworden war. Er genoss das friedliche und stille nebeneinander Existieren, dass sie teilten, doch den Gedanke, dass die veränderte Sakura ihm fast völlig fremd vorkam, konnte er nicht abschütteln. Es war, als würde er sie überhaupt nicht mehr kennen. „Ist schon okay“, antwortete sie gedehnt und wendete den Blick ab, „Ich werde Naruto später bitten, ein paar Sachen von mir aufzusammeln.“ Beim Sprechen riss die gespannte Haut an einigen Stellen auf, nur ganz zart und kaum erkenntlich, doch es musste ihr wehtun. Vermutlich war es besser, sie sich selbst zu überlassen, damit sie sich ausruhen konnte. „Alles klar“, entgegnete er also nur und verschwand aus dem Zimmer, das warme Gefühl ihrer Haut noch immer an seinen Fingerspitzen. Sakura Naruto hatte ganz anders auf ihren Sonnenbrand reagiert, als Sasuke. Sie musste ihm einen freundschaftlichen Klaps mit Nachdruck verpassen, als er einfach nicht aufhören wollte, zu lachen. Doch er erklärte sich bereit, einige Kräuter und Medikamente von ihrem Zuhause aufzusammeln, welches sie ihm zuvor akribisch genau beschrieben und sogar aufgezeichnet hatte. Also hatte sie sich um das Abendessen gekümmert und darauf gewartet, dass Sasuke wieder aus seinem Versteck kam, doch das passierte nicht. Selbst als Naruto eine Stunde später zurück kam, mit einem kleinen Beutel voller Heilmittel im Schlepptau, und sich zu ihr setzte, blieb er der Küche fern. Sie hatte keinen Appetit und fühlte sich elend, aber Naruto zuliebe gab sie sich gewohnt leichtherzig und fröhlich. Der Abend ging zäh vorbei und als Sakura in ihrem Bett lag und an die Decke starrte, konnte sie noch immer seine Finger auf ihrer Wange fühlen. Sie war sich sicher, dass das glühende Brennen nicht von dem Sonnenbrand gekommen war. Kapitel 3: Vielleicht oder Nie ------------------------------ Sakura Der nächste Morgen brach überraschend düster an. Nachdem es die letzten Tage warm und sonnig gewesen war, wurde das Anwesen nun von dichtem Nebel umhüllt, der wie eine Projektion ihrer eigenen trüben Gedanken wirkte. Sakura saß auf ihrem Bett, die zahlreichen Decken dicht an ihren Körper gedrückt und starrte durch die bodentiefen Fenster ihres Zimmers in das undurchsichtige Meer. Sie war schon eine ganze Weile länger wach, aber irgendetwas an dem Nebel zog sie magisch an. Es war zu einfach, sich in dem endlosen Nichts zu verirren, welches der absoluten, alles verschluckenden Dunkelheit auf so krude Art glich. Es gab ohnehin nichts, was sie wirklich tun musste. Sasuke würde sich selbst etwas zu Essen machen müssen. Bei dem Gedanken an den jungen Uchiha brannten ihre Wangen. Ihr Gesicht war über Nacht beinahe gänzlich verheilt denn die zähe, dickflüssige Paste, die sie sich aus einigen Kräutern hergestellt hatte, hatte die Verbrennungen neutralisiert. Trotzdem war ihr nun heiß, sodass sie einige der Decken von sich strampelte. Eine ganze Weile lang saß Sakura einfach nur so da, genoss die friedliche Stille und starrte in den Nebel, bevor sie aufstand und zu den Fenstern hinüber trat, um eines davon zu öffnen. Die Luft, die ihr prompt über die nackte Haut ihrer Arme und Beine streichelte, war kühl und erfrischend. Ein Klopfen an der Tür ließ sie aufschrecken. Peinlich berührt wurde sie sich ihrer Aufmachung bewusst: Verstrubbelte Haare, kurze Pyjamahose und ein schlichtes, rosa farbenes Shirt. Noch nicht einmal das Gesicht hatte sie sich gewaschen. »Einen Moment!«, rief sie eilig und stolperte in dem Versuch, sich möglichst schnell präsentabel herzurichten, ständig über ihre eigenen Füße. Es dauerte nicht lang, bis sie sich, abgesehen von dem Vogelnest auf ihrem Kopf, welches sie nur notdürftig mit ihren Fingern gekämmt hatte, fertig gemacht hatte und hastig zur Tür eilte. »Guten Morgen, Sasu-« Sakura hielt inne, als ein breit grinsender Naruto vor ihr auftauchte. »Naruto? Was machst du denn so früh hier?«, fragte sie verdutzt, zog den Blondschopf aber trotzdem in eine herzliche Umarmung. »Ich hab' heute frei und dachte mir, ich statte euch einen Besuch ab“, erklärte er und kratzte sich dann grüblerisch am Kinn, „Was genau ist denn hier schon wieder los? Sasuke hat mir aufgemacht, mich angegrunzt und ist wieder verschwunden.« »Und was genau ist daran so verwunderlich?«, fragte Sakura lachend nach und hoffte, dass Naruto das nervöse Scharren ihres Fußes nicht bemerkte. Natürlich stimmte es, dass der Uchiha nicht gerade für seine Geselligkeit bekannt war, aber Naruto derart abzuwürgen war dennoch ungewöhnlich, immerhin war der blonde Chaot in den letzten Tagen der einzige gewesen, mit dem er überhaupt mehr als zwei oder drei Sätze gewechselt hatte. Nun, abgesehen von ihren peinlichen Unterhaltungen. Naruto schien sie zu mustern, was ihr mehr als unangenehm war. »Er wirkte irgendwie... angefressen? Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll.« »Angefressen?«, hakte Sakura gespielt verwirrt nach und hoffte, dass Naruto sich bei seiner Antwort nicht besser artikulieren und sie so tun konnte, als wüsste sie nicht, wovon er sprach. Zugegeben, das war nicht besonders nett von ihr, aber sie verspürte wirklich nicht die geringste Lust, mit Naruto über ihre peinlichen Gesprächsversuche reden zu müssen. Oder darüber, dass Sasuke sie im Gesicht berührt hatte. Allein bei dem Gedanken daran wurden ihre Wangen erneut heiß, sodass sie sich unauffällig zwickte, um sich davon zu lösen. Naruto seufzte und zuckte mit den Schultern. »Du, ich weiß doch auch nicht. Irgendwie seltsam halt. Ist denn etwas passiert?« Na super, er ließ nicht los. »Nein, nichts. Also nichts ungewöhnliches.« Die Lüge schmeckte bitter in ihrem Mund, aber es musste eben sein. »Nicht jede Lüge ist eine schlechte Lüge«, redete sie sich im Gedanken ein. »Willst du etwas mit mir frühstücken?«, lenkte sie ab und schenkte ihm ein möglichst offenes Lächeln, doch sie beschlich das Gefühl, dass ihre Mundwinkel verräterisch zuckten. Wenn Naruto etwas merkte, so ließ er es sich nicht anmerken, denn er nickte nur und wirkte halbwegs zufrieden. »Gerne, ich hab ein Loch im Bauch«, lachte er. Sakura ging also mit Naruto zusammen in die Küche, aber nicht ohne vorher einen kurzen Abstecher im Badezimmer zu machen, um sich das Gesicht zu waschen und die Haare ordentlich zu bürsten. Während Sakura Reis kochte – und dabei noch eine Portion für Sasuke mit einrechnete – schnitt sie frischen Fisch zurecht und dünstete diverses Gemüse. Die beiden unterhielten sich zwanglos über Narutos Unterricht, was ihm die Möglichkeit gab, sich über Iruka und den zum Gähnen langweiligen Stoff aufzuregen. Sakura warf dann und wann ein entsetztes »Nicht wirklich?« oder »Ach du meine Güte« ein, was Naruto genug Anlass gab, weiter zu plappern und ihr die Zeit, halbherzig ihren Gedanken nachzuhängen. »Wenn du hier auf Sasuke... äh... aufpasst, kannst du gar nicht beim Vorbereiten des Frühlingsfestes helfen, aber meinst du, du kannst dich irgendwie lösen und zumindest daran teilnehmen?« Mit dieser unvermittelten Frage riss er Sakura endgültig aus ihren Grübeleien. »Das Frühlingsfest findet statt?«, fragte sie erstaunt nach. Immerhin war der Krieg gerade erst vorbei und Konoha vollkommen damit beschäftigt, den Wiederaufbau voran zu treiben. Dennoch war der Gedanke an das ausgelassen Fest voller Musik und gutem Essen verlockend. »Naja, den Frühlingsanfang gibt es immer«, frotzelte er, was ihm einen entnervten Blick von Sakura einbrachte, »Aber ja, das Fest soll wohl stattfinden. Iruka hat mir davon erzählt. Als ich ihn gefragt habe, ob das aktuell überhaupt angemessen ist, meinte er nur, dass gerade jetzt der beste Grund ist, um zu feiern. Frag mich aber nicht, was er damit gemeint hat.« Er zuckte mit den Schultern und schaufelte sich mit seinen Stäbchen eine absurde Menge Reis in den Mund. Sakura verstand, was ihr ehemaliger Lehrer damit meinte, hielt es jedoch für sinnlos, das mit Naruto weiter zu vertiefen. Sie hatte ganz andere Bedenken. »Ich glaube nicht, dass ich daran teilnehmen kann, wenn ich ehrlich bin«, äußerte sie ihre Zweifel, »Selbst wenn ich jemanden finde, der für mich einspringt – was ich stark bezweifle -, dann ist es dennoch Teil unserer Abmachung, dass ich diejenige bin, die auf ihn aufpassen muss.« Traurigkeit überschattete ihre Gesichtszüge. Sie hatte das Fest des Frühlingsanfangs immer geliebt, schon als kleines Kind, als sie noch mit ihren Eltern dort gewesen war. Sehnsucht erfüllte sie, als sie an die herrlichen Kirschblüten dachte und sie die Gerüche der Buden förmlich in der Nase hatte und sie an die bunten Laternen dachte, die zum Schrein führten, in welchen sie immer ein paar Münzen geworfen hatte. Früher waren ihre Gebete albern und kindisch gewesen. Für was sie wohl heute beten würde? Naruto zwinkerte ihr verschwörerisch zu; nie ein gutes Zeichen. »Ich bin mir sicher, dass wir da etwas drehen können. Notfalls verkleiden wir Sasuke als Anti-Grisgram und schleußen ihn mit!« Die Idee schien ihm so gut zu gefallen, dass sein Grinsen sogar noch etwas breiter wurde. »Erstens«, entgegnete sie ernsthaft, wobei sie sich ein schelmisches Lächeln selbst nicht ganz verkneifen konnte, »Wenn du Sasuke dazu überredet bekommst, dann bekommst du meinen nächsten Monatslohn vom Krankenhaus!« Bei der Bemerkung funkelten Narutos Augen vor Begeisterung. »Und zweitens: Wenn wir dabei erwischt werden, bin ichdran, nicht du.« Sakura mochte sich gar nicht ausmalen, auf was für Ideen die Ältesten kommen könnten, wenn sie sich zu solch einer Narretei hinreißen ließe. Nein, sie hatte keinen Krieg überlebt, um dann von ihren eigenen Leuten gelyncht zu werden. »Du siehst das wie immer alles viel zu ernst«, lachte er, der Schalk noch immer in den Augen blitzend. Für einen Moment überlegte Sakura ernsthaft, ob Naruto es schaffen könnte, Sasuke zu so etwas zu überreden und stellte dann erleichtert fest, dass das ganz und gar unmöglich war. »Ich werde Kakashi Ende der Woche fragen, wenn er seinen ersten wöchentlichen Besuch macht, okay?« Ein Kompromiss, wenngleich das Ganze vermutlich ein zum Scheitern verurteiltes Vorhaben war. Und dennoch konnte ein Versuch nicht schaden. »Wann genau soll das Fest überhaupt stattfinden, hast du das auch schon herausfinden können?« »Weiß ich nicht, aber ich werde Iruka später mal fragen, bestimmt weiß er das auch«, antwortete Naruto, »Wann genau ist das Gespräch mit Kakashi und soll ich dabei sein?« Über den Vorschlag dachte Sakura kurz nach. Naruto könnte die angespannte Situation bestimmt besser auflösen, als Kakashi, der da eher wie Öl im Feuer war. »Ja, gerne. Ist ja nur mit Kakashi und nichts wirklich Offizielles. Ich bin mir sicher, dass er da nichts dagegen hat.« Zur Antwort reckte Naruto strahlend beide Daumen in die Luft, ehe er sich wieder mit Hingabe seinem Frühstück widmete. Sakura war schon seit einer Viertelstunde fertig. Obwohl er nicht mehr wachsen würde, schien er noch immer ein förmliches Loch im Magen zu haben. Sakura lächelte milde. Immerhin das hatte sich nie geändert. Den Rest des Morgens verbrachten die beide, indem sie ausgelassen Erinnerungen an vergangene Frühlingsfeste austauschten. Sakura hatte das Gefühl, schon lange nicht mehr so viel gelacht zu haben und als Naruto sich zum Unterricht verabschiedete, war sie richtig gehend traurig. Der Nebel hatte sich mittlerweile verflüchtigt, sodass sie Naruto in den noch immer trüben frühen Mittag laufen sehen konnte und ihm ein letztes Mal zuwinkte, als er im Begriff war, um die Ecke zu verschwinden. Die Stille, die sie prompt wieder begrüßte, fing an ihr sauer aufzustoßen. Für Gartenarbeit verspürte sie nicht die richtige Muse, aber auch auf Konfrontationskurs mit Sasuke zu gehen klang wenig verlockend, sodass sie sich nach dem Aufräumen der Küche in ihr Zimmer verkroch. Sasukes Reis war noch immer unberührt. & Die darauffolgenden Tage vergingen in zähem Trübsinn und ihre Langeweile drohte sie langsam zu überrollen und ertränken wie eine gewaltige Flutwelle. Als ein öder Freitag dem Samstag wich und Sakura den Uchiha seit nunmehr drei Tagen nicht gesehen hatte, fragte sie sich, ob er über Nacht abgehauen und sie am Arsch war. Ein Problem, für dass es eine durchaus simple Lösung gab, die Sakura nicht umzusetzen gewillt war: Ihn suchen gehen. Diesen Morgen war sie aufgewacht und hatte sich gefragt, ernsthaft gefragt, ob sie die letzte Woche vielleicht einfach nur geträumt hatte. Das würde auch erklären, wieso sie sich die ganze Zeit müde und ausgelaugt fühlte. Nun, dies rührte vermutlich eher davon, dass sie die letzten drei Tage tatsächlich nichts anderes getan hatte, als im Bett zu lesen und zu schlafen. Ihre Gelenke waren steif, als sie sich aufrichtete und streckte. Wenn ihr Magen nicht so knurren und schmerzen würde, würde sie das Bett auch jetzt noch nicht verlassen, aber sie musste etwas essen. Sie erwischte sich selbst dabei, wie sie auf ihren Zehenspitzen durch das Anwesen schlich, als fürchtete sie, Sasuke könnte sie hören und überraschen – als würde das jemals passieren. Da war es wahrscheinlicher, dass sie mit zu lautem Getrampel die Ruhe der hier Verstorbenen störte. Bei dem Gedanken schämte sie sich etwas, sodass sie kurz innehielt. Sie benahm sich wirklich albern. Seufzend setzte sie ganz mit ihren Füßen auf und lief normal und tatsächlich machte es keinen Unterschied: Die Küche war wie immer wie ausgestorben. Der Reis und auch alles andere, was sie die letzten Tage für Sasuke mitgekocht hatte, war verschwunden, was ihre Theorie, er könnte abgehauen sein, widerlegte, aber gesehen hatte sie ihn dabei nie. Mittlerweile war es so schlimm geworden, dass sie sich etwas zu essen machte und damit zurück auf ihr Zimmer verschwand. Während der Reis langsam vor sich hin köchelte, schnitt Sakura sich irgendwelche zufällig ausgewählten Zutaten zusammen und summte ein unbestimmtes Lied. Der Morgen vor dem Küchenfenster war genauso trüb und trostlos, wie die vergangenen Tage und es schien, als würde sich das Wetter der Stimmung im Anwesen der Uchihas anpassen. Es würde sie nicht wundern, wenn es morgen schneien würde. »Guten Morgen.« Sakura rechnete es sich hoch an, dass sie nicht laut aufschrie, aber ein heftiges Zucken konnte sie sich dieses Mal nicht verkneifen. Sasuke hatte sie kalt erwischt. Als sie sich umdrehte, zuckte sie beinahe noch einmal zusammen. Tiefe und dunkle Schatten lagen unter seinen Augen, als hätte er seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen. Erkenntnis brannte in ihr auf wie eine grelle Stichflamme und prompt fühlte Sakura sich noch schlimmer. Sie konnte es sich nicht einmal im Ansatz vorstellen, wie es war, wieder in dem Haus zu sein, in dem man seine eigenen leblosen Eltern vorgefunden hatte. Gewiss waren es ihre Geister, die ihn des Nachts wach hielten und bestimmt auch der Grund dafür, weshalb er sich immer mehr zurück zog. Und sie dusselige Kuh hatte gedacht, er könnte einfach nur ihr aus dem Weg gehen wollen. »Guten Morgen«, antwortete sie zögerlich und schaute sich hektisch um, »möchtest du etwas essen? Ich habe Reis für dich mitgekocht. Also... er ist noch nicht fertig, aber gleich und wenn du willst, kann ich-«, stammelte sie durcheinander, doch sie wurde von Sasuke unterbrochen. »Ich weiß. Du hast immer für mich mitgekocht... Danke.« Er betrachtete sie mit einer Intensität, die ihr schwindelig werden ließ, weshalb sie sich umdrehte und etwas zu schneiden suchte, um sich von seinem glühenden Blick abzulenken. Die verheilte Haut ihrer Wangen war gewiss dunkelrot. »Möchtest du irgendetwas bestimmtes?«, erkundigte sie sich, ohne sich umzudrehen. Der Reis war fast fertig, was bedeutete, dass sie ihm nicht mehr viel länger ausweichen konnte. Es bereitete ihr beinahe Angst, sich ihm gegenüber setzen zu müssen, ohne Naruto, der diese seltsame Stimmung zwischen ihnen überbrücken konnte. »Nein.« Er kam ihr aber auch wirklich keinen Millimeter entgegen. Mit leicht zitternden Fingern stellte sie Schüssel um Schüssel auf den Tisch, reichte Sasuke seine Stäbchen und zog anschließend den Stuhl zurück, auf dem sie Platz nahm. Kurz hatte sie überlegt, einfach mit ihrem Essen auf ihr Zimmer zu verschwinden, aber dann war der brüchige, seltsame Frieden zwischen ihnen endgültig dahin. Sie musste das hier jetzt durchziehen, wenn sie nicht wochenlang in seinem Haus vor ihm flüchten wollte. »Danke«, murmelte er noch einmal, ehe er sich stumm seinem Essen widmete. Vielleicht war es besser, einfach zu schweigen. Vielleicht war es einfacher, nichts miteinander zu reden, als ständig diese erbärmlichen Konversationsversuche zu unternehmen. Vielleicht sollte sie lernen, das Schweigen mit Sasuke nicht als so bedrohlich zu empfinden, wie sie es tat. Vielleicht konnte sie irgendwann genauso gut mit ihm schweigen, wie mit Naruto. Bei dem Gedanken entwich ihr ein leichtes Schnauben durch die Nase, was Sasuke zwar aufblicken ließ, ihn jedoch nicht dazu veranlasste, das Schweigen zu brechen. Seine tiefschwarzen Augen betrachteten sie mit einer Ruhe, die ihr unangenehm war. Gut, eigentlich war es ihr schon immer unangenehm, wenn er sie angeschaut hatte, egal auf welche Art. Sie fühlte sich seltsam entblößt unter seinem Blick, emotional nackt, als könnte er ihr jeden Gedanken von der Stirn ablesen. »Was hast du die letzten Tage so gemacht?« Du dumme, dumme Nuss. Er hob eine Augenbraue, als wollte er sie fragen, ob sie das Ernst meinte und ausnahmsweise musste sie ihm Recht geben. Das war eine wirklich komische Frage. »Nichts«, antwortete er ihr höflicherweise trotzdem, »du auch nicht, nehme ich an.« Damit erklärte er das Gespräch für beendet und aß weiter. Den Rest des Frühstücks verbrachten beide schweigend und erst als Sakura anfing, das benutzte Geschirr zu spülen, ergriff Sasuke – zu ihrem Erstaunen – erneut das Wort. »Wenn du willst, kannst du ruhig zum Frühlingsfest gehen. Du musst es nicht meinetwegen verpassen«, eröffnete er ihr, was sie verwundert aufschauen ließ. »Das hast du gehört?« »Hn.« Sie begegnete seinem Blick, in dem eine Emotion lag, die sie nicht deuten konnte. Vielleicht war es auch gar keine Emotion. Vielleicht war es einfach nur endlose Leere. Sie versuchte sich an einem Lachen, aber selbst in ihren eigenen Ohren klang es freudlos. »Wie soll ich das denn anstellen?« Sie fasste sich betont an den Kopf. Mit ihren rosanen Haaren stach sie aus der Menge hervor wie eine hell brennende Fackel. Und wenn sie mit einem Umhang herum laufen würde, wäre das nur noch auffälliger, zwischen all den hübschen und ausgefallenen Kimonos. »Naruto ist einfach... naja, Naruto. Er meint es nur lieb, aber für mich gibt es da keinen Spielraum und das ist auch okay so«, fügte sie hinzu, denn sie wollte nicht, dass es sich so anhörte, als würde sie ihm dafür irgendwie Schuld geben. »Du musst ja nicht mitten in die Menge gehen. Du könntest es dir vom Rand aus ansehen«, schlug er erstaunlich hartnäckig vor und Sakura fragte sich, was ihm wohl durch den Kopf ging. »Schon okay, wirklich. Es gibt auch noch ein nächstes Kirschblütenfest.« Darauf antwortete Sasuke nichts mehr, er starrte sie einfach nur an. »Kakashi kommt morgen vorbei, redet kurz mit mir und nimmt eine Liste für Lebensmittel mit. Möchtest du etwas bestimmtes?«, lenkte sie ab und stellte dabei fest, dass sie selbst Kakashis Besuch bis gerade komplett vergessen hatte. »Tomaten.« Damit wandte er sich ab, blieb kurz im Türrahmen stehen und verschwand dann ohne ein weiteres Wort gänzlich. Ein kleines Lächeln stahl sich auf Sakuras Lippen. Sie hatten ein ansatzweise normales Gespräch geführt. Sasuke Er fühlte sich gefangen in seinem Zimmer, nur deswegen hatte er es überhaupt verlassen. Das redete er sich zumindest ein. Mit Sakura zu reden hatte ihm gut getan, wenn er ehrlich war. Sie war so ganz anders als früher und doch auch irgendwie immer noch genau die Gleiche. Es störte ihn, dass sie seinetwegen auf das Fest verzichten musste, welches genauso gut nur für sie stattfinden könnte. Wieso er ihr und Naruto gelauscht hatte, wusste er selbst nicht so genau und auch nicht, wieso er nun versucht hatte, sie doch dazu zu bewegen, dorthin zu gehen. Seine Bettlaken waren kalt, als er sich darauf sinken ließ, ein erschreckender Kontrast zur Wärme ihrer Haut, ihrer Wärme, die ihm seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Das und dass sie ihm gegenüber bei weitem nicht mehr so aufgeschlossen war, wie früher. Er hatte sie stets als nervig empfunden und ihr das auch so gesagt, aber jetzt, wo Sakura weniger überschwänglich war, schien es ihn irgendwie auch zu stören. Eigentlich war es ein Wunder, dass sie überhaupt noch mit ihm redete, immerhin hatte er zweimal versucht, sie umzubringen. Ernsthaft versucht. Wenn Kakashi und Naruto nicht jeweils eingegriffen hätten, hätte er es wirklich getan. Sakura wäre ohne die beiden jetzt nicht mehr. Wieder dieses seltsame Stechen in seiner Brust. Nachdenklich rieb er sich die schmerzende Stelle. Bis jetzt war er diesen Gedanken immer aus dem Weg gegangen, hatte sie verdrängt, sich auf andere Dinge konzentriert. Aber hier, in diesem verfluchten Anwesen, ohne die Möglichkeit zu fliehen, gab es keine Beschäftigung und keinen Weg, um sich davon abzulenken. Sasuke versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, wenn er heute nicht mit ihr über zukünftige Ereignisse hätte reden können, weil es in ihrem Leben keine zukünftigen Ereignisse mehr gegeben hätte. Und er wäre daran Schuld gewesen. Hatte er sich eigentlich jemals bei ihr entschuldigt? Ja, im Tal des Endes, aber zählte das? Irgendwo in diesem riesigen Anwesen, in dem Sakura die letzten Tage ausschließlich herum geschlichen war, konnte er sie laut und schief singen hören. In seinen Ohren klang ihr schräger Gesang wie eine Absolution. Sakura Ihre gute Laune hielt auch bis über das Abendessen hinaus, welches sie zum ersten Mal seit Tagen wieder mit Naruto und Sasuke gemeinsam verbrachte. Sie ließ sich die Nudelsuppe, die Naruto mitgebracht hatte, ordentlich schmecken und redete und lachte so viel, wie seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr. Manchmal erwischte sie Sasuke bei einem flüchtigen Lächeln, welches stets so schnell verschwand, dass es auch nur ihre Einbildung hätte sein können. Aber daran wollte sie nicht glauben. Sie wollte, dass er lächelte, dass es ihm gut ging, zumindest manchmal und im Rahmen seiner Möglichkeiten. Als Naruto sich verabschiedete, war es bereits lange dunkel. So lange blieb er für gewöhnlich nicht, aber die Zeit war einfach so vergangen, ohne dass einer von ihnen es gemerkt hätte. Sogar Sasuke war geblieben, nachdem er mit dem Essen fertig war und hatte sich hin und wieder an der Konversation beteiligt. Sakura musste feststellen, dass Sasuke auch jetzt noch nicht auf sein Zimmer verschwunden war. Er stand im Flur neben der Tür zur Küche und schien auf sie zu warten. An diesem Tag benahm er sich wahrlich schräg. »Wollen wir noch ein wenig reden?«, fragte er zu ihrem vollsten Erstaunen. Er überrumpelte sie damit so sehr, dass sie zunächst stotterte, wie ein Trottel. »Klar, gerne«, brachte sie schließlich heraus und folgte Sasuke ins Wohnzimmer. Bisher war sie nur ein einziges Mal hier drin gewesen und das war in den ersten Tagen bei ihrem Anflug von Putzwahn. Es war schlicht, wie fast alles an dem Anwesen und voller Bücherregale. Die Sitzmöglichkeiten waren teilweise sehr alt und hustete noch immer etwas Staub, wenn man sich auf ihnen niederließ, trotz dass Sakura sie ausgeklopft hatte. Im Kamin lagen noch die Holzscheite, die sie ordentlich hinein gestapelt hatte. Eine gute Gelegenheit, um sie zu entzünden, beschloss sie, sodass sie nach einem kleinen Schächtelchen mit Streichhölzern griff. Bevor sie es aber auch nur selbst versuchen konnte, hatte Sasuke bereits ein Feuer entzündet, auf seinen Lippen so etwas wie ein arrogantes Grinsen. Für eine Sekunde sah er aus, als wäre er immer noch zwölf. »Angeber«, frotzelte sie lächelnd. Für ihn war ein Feuer zu erschaffen so einfach wie atmen. Plötzlich wurde sie sich seiner Nähe bewusst. Wenn er nur wenige Zentimeter näher kam, würde sie seinen Atem in ihrem Gesicht spüren. Es war ihr unmöglich, zu verhindern, rot anzulaufen und so musste sie ein stummes Gebet an die Götter schicken, dass er es in dem dämmrigen Licht des prasselnden Feuers nicht erkennen konnte. Sasuke Es wäre ganz einfach. Er müsste sich nur etwas vor lehnen, um ihre Stirn mit seiner zu Berühren. Im Schein des Kaminfeuers glänzten ihre Lippen. Er wollte nicht daran denken, wollte sich davon lösen, aber ihr beinahe panischer Blick, gleich der eines Rehs, hielt ihn fest an Ort und Stelle. Das alles hatte keinen Sinn. Er musste es wissen, brauchte Gewissheit. Und er musste es aus ihrem Mund hören. »Wieso machst du das hier für mich?« Er hatte ihr diese Frage schon öfter gestellt, doch war sie ihm jedes Mal ausgewichen und jedes Mal hatte danach dieses unerträglich frostige Schweigen zwischen ihnen gehangen wie ein Schneesturm. Auch dieses Mal wich sie zurück und Schmerz flimmerte in ihren funkelnden jadegrünen Augen auf. Wie instinktiv folgte er ihre Bewegung. Er wollte sie am Arm greifen und festhalten, sie daran hindern, schon wieder vor ihm davon zu laufen und ihm seine Antworten zu verwehren. Nur mit größter Mühe konnte er sich daran hindern, denn sie zu festzuhalten könnte seiner Sache eher weniger gut dienen. »Wieso fragst du mich das immer wieder?«, hauchte sie traurig und wandte ihren Blick ab. Er wollte sie anschreien, so sehr. »Sag es«, forderte er stattdessen ruhig. »Wenn du es weißt, dann muss ich es ja nicht mehr sagen!« »Sag es.« Er war erbärmlich, einfach nur erbärmlich. Flehte fast, als musste er von ihr gerettet werden. Vielleicht war es auch so. Einige Minuten (waren es Minuten?) schwieg sie beharrlich. »Ich kann nicht.« Eine ihm nur zu bekannte Kälte durchzog ihn bis in die Fingerspitzen seines heilen Arms. Da hatte er seine Antwort auf eine Frage, von der er selbst nicht gewusst hatte, dass er sie beantwortet wissen wollte. Sie war eine andere geworden. Wegen ihm. Er war der Grund, weshalb sie so verschlossen war. »Es tut mir Leid.« Kapitel 4: Bruchstellen ----------------------- Sakura »Wofür entschuldigst du dich?« Sakura blickte Sasuke mit nicht geringem Interesse an, nachdem er sich zeitgleich mit ihr entschuldigt hatte. Für eine Weile antwortete er ihr nicht, sodass nur das fröhliche Knistern des Kaminfeuers zu hören war. Die Schatten, die die Flammen erzeugten, tanzten auf seinem blassen Gesicht und machte es ihr noch schwerer, etwas darin zu lesen. Seine ebenholzschwarzen Augen schienen direkt in ihre Seele zu starren, sodass es sie wahrhaftig wunderte, wieso er sie überhaupt so auf eine Antwort drängte. Er wusste es, ganz sicher, dass sie ihn noch immer liebte, selbst nach allem, was passiert war, doch sagen konnte sie das nicht. »Du weißt, was ich meine«, raunte er leise. Sakura ärgerte diese Antwort, sehr sogar. »Also das ist wirklich nicht fair von dir! Von mir erwartest du, dass ich reinen Wein einschenke, aber selbst kannst du es nicht! Du kannst nicht immer Dinge von mir erwarten, die du nicht zurückgeben kannst. Ich kann nicht mehr...« Sakura hielt inne. Sie konnte ihn nicht mehr rückhaltlos lieben. Sich loslösen von jeder Vernunft und von jeder leisen Stimme in ihr, die ihr Warnungen ins Ohr säuselte. Er musste ihr auch etwas geben, irgendetwas. »Ich weiß«, gestand er und wandte den Blick ab. Ein leises, bitteres und freudloses Lachen entwich ihm, bei dem sich Sakuras Herz zusammenzog wie unter einem Schraubstock. »Kakashi kommt morgen, nicht wahr? Vielleicht sollten wir ihn fragen, ob er jemand anderen findet, der mich im Auge behält.« Kalt. Er war so unfassbar kalt. Für einen flüchtigen Augenblick setzte Sakuras Herz zu schlagen aus und es dauerte mehrere Atemzüge lang, bis sie ihre Fassung zurück gewann. Oder die Scherben ihrer Fassung, die sie stümperhaft zusammen gefügt hatte und in denen sich ihr blankes Entsetzen spiegelte. Sakura nahm einen tiefen Luftzug. Sie hatte sich geschworen, nicht mehr traurig wegen ihm zu sein. Also war sie wütend. Sie stapfte zur Tür des Wohnzimmers, ehe sie innehielt und ihm antwortete. »Du bist ein Arschloch, Uchiha!« Damit pfefferte sie die Tür hinter sich zu und stürmte geradewegs auf die Eingangstür zu. Sinn und Verstand setzten bei ihr aus, als sie sich Schuhe anzog und in die finstere Nacht verschwand. Selbst die kühle, klare Luft, die ihr prompt entgegenschlug, vermochte ihren lodernden Zorn nicht zu mildern und als sie sich aufmachte, um Naruto zu suchen, war es ihr herzlich egal, ob jemand sie dabei erwischte. Naruto Scheiße. Das alles war richtig scheiße. Eine aufgelöste Sakura stand vor ihm, nur dass sie nicht weinte, sondern wie wild fluchte und das mit derartig blumigen Worten, dass selbst er errötete. Er hatte immer geglaubt, mit Sakuras Tränen, die sie für Sasuke vergoss, nicht gut klar zu kommen, aber dies hier war noch eine ganze Schippe schlimmer. Sakuras Schimpftirade hielt nun schon seit einigen Minuten an in denen er keinen Versuch mehr unternommen hatte, auf ihre Vernunft zu appellieren. Sein erster Versuch hatte ihm fast eine Ohrfeige eingehandelt, der er nur dank seiner mittlerweile katzengleichen Reflexe ausgewichen war. »Ich schwöre dir, ich erschlage ihn, wenn ich ihn das nächste Mal sehe! Das muss aufhören, verstehst du mich? Aufhören! Er macht mich krank! KRANK«, schrie Sakura so laut, dass Naruto fürchtete, dass gleich jede verfügbare ANBU-Einheit vor seiner Tür auftauchte. »Er hat das nicht so gemeint, Sakura«, versuchte er es noch einmal und er musste schlucken, als sie ihn mit einem vor Gift sprühenden Blick taxierte, »Ernsthaft, Sakura, du kennst ihn doch auch! Er wollte der unangenehmen Situation aus dem Weg gehen, um nicht mit dir über so etwas wie Emotionen reden zu müssen!« Sakura schnaubte abfällig. »Und das kann er nur, indem er sich wie der größte Vollidiot aufführt?« »Sakura... Es ist Sasuke von dem wir hier reden. Er ist mein bester Freund, aber emotionale Stabilität und Empathie sind wahrhaftig nicht seine größten Stärken, echt jetzt!«, entgegnete er, was Sakura ein weiteres wütendes Schnauben entlockte. »Ganz ehrlich, ich bin es Leid, das er mit diesem Mist immer einfach so davon kommen darf, nur weil es halt er ist! Er könnte es lernen, wenn er wollte! Oder es zumindest versuchen!«, schoss sie sofort zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich verstehe ja wirklich, dass sein Leben hart war, wirklich, aber das ist langsam keine Ausrede mehr dafür, sich aufzuführen wie die Axt im Wald! Ich werde nicht mehr länger seinen emotionalen Sandsack spielen!« Seine rosahaarige Freundin schritt unruhig in seinem unordentlichen Zimmer auf und ab und wich dabei diversen Kleidungsstücken und leeren Ramenboxen aus, während er auf die dampfende Box voller Nudeln vor sich auf dem Tisch starrte und nach einer passenden Antwort suchte. Resigniert musste er feststellen, dass er das wohl nicht konnte, denn er wusste, dass Sakura Recht hatte, auch wenn seine besondere Freundschaft zu Sasuke ihn deutlich milder stimmte, als sie. Naruto musste sich aber gleichzeitig auch eingestehen, dass sein Herz nicht regelmäßig auf brutalste Art von Sasuke gebrochen wurde. Sakura hingegen hatte nun schon seit einem halben Dutzend Jahre darunter zu leiden, dass sie Sasuke einfach nicht aus dem Kopf – oder genauer gesagt: ihrem Herzen bekam. »Du siehst das alles viel schlimmer, als es ist, Sakura. Kakashi kommt morgen und ich werde auch dabei sein und dann werden wir eine Lösung finden«, schlug er vor, doch sein Versuch, sie zu beschwichtigen, ging nach hinten los. Sakura seufzte vollkommen entnervt. »Kannst du einmal sagen: »Ja, Sakura, du hast Recht« wenn es um ihn geht? Für mich gibt es gar nichts zu klären, wirklich nicht. Wenn der Arsch jemand anderen um sich herum haben will, dann bitte!«, antwortete sie mit spitzer Stimme. Sie sah wirklich wütend aus mit den roten Wangen und dem verkniffenen Mund, aber ihre glasigen Augen verrieten ihre wahren Gefühle. Naruto wusste ganz genau, dass sie das eigentlich nicht wollte, aber keine bessere Lösung fand. Keine Lösung, die ihr etwas Frieden gab. »Dann reden wir morgen eben mit Kakashi darüber, ob ich deine Aufgabe übernehmen kann«, lenkte er schlussendlich ein. Sakura hielt in ihrem ziellosen Marsch inne und starrte ihn an, als wäre er komplett entgeistert. »Und was ist mit deinem Unterricht?« Naruto zuckte mit den Achseln. »Iruka wird bestimmt nichts dagegen haben, den Unterricht zu Sasukes Zuhause zu verlagern. Und wenn er erst einmal freigesprochen ist, geht er sowieso auf Reisen.« Das »Dann hast du deine Ruhe« ließ er unausgesprochen, doch Sakuras Gesichtsausdruck zu urteilen nach hatte sie ihn genau verstanden. Vor einigen Monaten noch hatte es ihn gestört, dass Sakura ihren Gefühle für Sasuke einfach nicht entsagen konnte. Dass nicht er es war, dem sie diese Art von Zuneigung entgegen brachte. Aber die Tatsache, dass er das hatte überwinden können, bewies umso mehr, wie aufrichtig ihre Gefühle waren. Und er hatte verstanden, dass niemand sich freiwillig selbst so geißeln konnte. Sie hatte keine Wahl und deswegen tat sie ihm Leid. In dieser Hinsicht wurde er wirklich nicht schlau aus dem Uchiha. »Okay«, flüsterte sie niedergeschlagen. Sein Herz blutete angesichts ihrer Traurigkeit. Er hatte ihr versprochen, ihn zurück zu holen und beinahe alles für dieses Versprechen verloren, nur damit sich heraus stellte, dass es ihr damit nur noch schlechter ging. Die Box mit Nudeln, die schon vor langer Zeit erkaltet waren, kippte beinahe um, als er aufstand und auf sie zuging, um sie in eine lange, tiefe Umarmung zu ziehen. Ihre zarten Finger krallten sich in seine Jacke. Für lange Zeit standen sie einfach nur so da und umarmten sich und sprachen damit all die Dinge aus, denen sie keine Worte verleihen konnten. »Ich danke dir«, flüsterte sie irgendwann und löste sich von ihm, »Du bist der beste Freund, den man sich nur wünschen kann und ich bin eine dusselige Kuh, dass ich das nicht schon so viel früher erkannt habe.« In ihren smaragdgrünen Augen schimmerten immer noch einige Tränen, aber sie wirkte nicht mehr ganz so hoffnungslos. Er lachte leise und rieb sich oberhalb des Stumpfes, der sein rechter Arm war. »Wenigstens einer von euch beiden weiß das zu schätzen. Ich glaube, insgeheim verteufelt Sasuke mich noch immer dafür, dass ich ihn nie in Ruhe gelassen habe.« »Gut, dass wir geklärt haben, dass seine emotionale Reife nicht das Bemerkenswerteste an ihm ist«, entgegnete sie schmunzelnd, »Eines Tages wird er es bestimmt anerkennen. Im Grunde weiß er es schon, sonst wäre er überhaupt nicht in Konoha, vielleicht nicht einmal mehr am Leben.« »Das würde ich gerne glauben«, gestand Naruto und verzog die Lippen zu einem schiefen Grinsen, dessen Emotion nicht zu seinen Augen reichte. Sakura drückte seinen heilen Arm und lächelte ihn aufmunternd an. »Ich bin mir sicher, Naruto. Du und ich, wir sind anders. Für ihn war ich immer nur eine nervige Randerscheinung, aber dich hat er schon immer als ihm ebenbürtig anerkannt, ob er wollte oder nicht. Er ist stur, aber du bist ihm auch wichtig. Auf seine eigene Art. Vielleicht ist es wirklich so, wie du gesagt hast und er ist einfach so und kann auch nicht anders.« »Wahrscheinlich hast du Recht, ja«, räumte er ein und warf einen Blick auf die Uhr an seiner Wand. Es war spät und Sakura musste dringend zurück. Wenn jemand sie hier erwischte, dann würde es riesigen Ärger geben, ganz zu schweigen davon, dass Sasuke vielleicht auf dumme Ideen kommen konnte. Er wollte nicht daran denken, welche Höllen die Ältesten in Bewegung setzten würden, wenn er sich nur den geringsten Fehltritt erlaubte. »Ich sollte zurück, nicht wahr?«, sprach sie seine Gedanken aus und bekam ein Nicken von ihm zur Antwort. Sie seufzte ergeben, nickte dann aber zustimmend und zog ihn in eine zweite Umarmung, diesmal jedoch deutlich kürzer. »Na gut, dann verschwinde ich jetzt. Verschlaf morgen bitte nicht, ich brauche wirklich deine Hilfe bei dem Gespräch, ja?« Sie knuffte ihn freundschaftlich in die Seite. »Ich versprech's dir! Und pass auf dich auf... Lass dich nicht sehen, ja?« »Ich schaff' das schon!« Sie streckte ihm die Zunge raus und zwinkerte und Naruto war froh, dass sie deutlich besser gelaunt von seinem Zuhause aufbrach, als sie angekommen war. Auch wenn er seine romantischen Gefühle für sie begraben hatte, war sie die wichtigste Freundin, die er hatte und er konnte es nicht ertragen, wenn es ihr so schlecht ging. Sakura In der vergangenen Stunden, die sie bei Naruto verbracht hatte, war es endgültig Nacht geworden und die Temperaturen hatten noch einmal deutlich abgekühlt. Es war so kalt, dass sie fröstelte, als sie durch die verwinkelten Gassen des Dorfs huschte, immer bedacht darauf, mit den tiefen Schatten zu verschmelzen, die die Wände der Häuser im fahlen Licht des Mondes warfen. Sie hatte nicht erwartet, erwischt zu werden, da allgemein scheinbar nicht allzu viel Wert auf Sasuke und seine Unterbringen gelegt wurde und dennoch war sie erleichtert, als sie leise die Haustür aufschloss und hinter sich wieder zuschob. Flink zog sie ihre Schuhe aus und räumte sie ordentlich auf, ehe sie zum Wohnzimmer schlich. Sie hoffte, dass das Feuer noch immer im Kamin prasselte und sich ein wenig aufwärmen konnte. Auf dem Heimweg war ihr richtig bewusst geworden, dass der Winter noch nicht allzu weit zurück lag, denn die Kälte war ihr bis in die Knochen gedrungen. Tatsächlich brannte das Feuer noch munter und Wärme umhüllte sie, kaum dass sie die Tür geöffnet hatte, doch nicht nur das Feuer und die Wärme waren geblieben, auch Sasuke saß noch immer im Wohnzimmer. Er schien zu schlafen, denn sein Kopf ruhte auf der Rückenlehne und die Augen waren geschlossen. Sakura biss sich auf die Lippen. Sollte sie es riskieren und sich ans Feuer setzen oder sollte sie sich lieber mit ihren Bettdecken aufwärmen? Sie atmete dreimal tief ein und wieder aus, ehe sie sich dafür entschloss, auf ihr Zimmer zu verschwinden, doch in dem Moment, in dem sie die Türe vorsichtig schließen wollte, öffnete Sasuke die Augen und fing prompt ihren Blick ein. Er wirkte nicht, als wäre er gerade aufgewacht. »Du bist zurück«, stellte er nüchtern fest. »Tut mir Leid, ich wollte dich nicht stören!«, antwortete sie hastig und machte einen erneuten Versuch, die Türe zu schließen. Mit einer schnellen Bewegung, von der Sakura die Augen schwirrten, stand er vor ihr und hielt die Tür fest. »Warte.« Es war kein Befehl und in seiner Stimme lag weder Wut noch Ungeduld. Es war eher wie eine Bitte, viel sanfter, als sie es ihm je zugetraut hätte. »Warte«, wiederholte er, obgleich sie keinerlei Anstalten gemacht hatte, vor ihm zu flüchten. Neugierig funkelte sie ihn an und wartete wahrhaftig. Darauf, dass er sich erklärte oder zumindest irgendetwas sagte. »Bleib«, raunte er schließlich. Mit dem Blick, mit dem er sie bedachte, hätte er alles von ihr verlangen können, stellte sie verlegen fest. Sakura atmete zitternd aus und verfluchte sich direkt für dieses offenkundige Zeichen ihrer Nervosität in seiner Gegenwart. »Keine Sorge, ich bleibe«, sagte sie leise. »Wo warst du?«, fragte er und die Veränderung seiner Stimme entging ihr nicht, wenngleich sie diese nicht einordnen konnte. Etwas Dunkles lag in seinen Augen und erinnerte sie an den Nebel, in dessen Schlieren sie sich noch an diesem Morgen verloren hatte. Götter, das war an diesem Morgen erst gewesen. Es kam ihr vor, als wären ganze Zeitalter dazwischen vergangen. »Bei Naruto, wir haben ein wenig gequatscht«, antwortete sie wahrheitsgemäß, was Sasuke ein leises Schnauben entlockte. »Was denn?« Sakura verschränkte die Arme vor der Brust und blickte den Uchiha forschend an. »Nichts«, antwortete Sasuke, was Sakura mit einem entnervten Augenrollen quittierte. »Gut, wenn das alles war, dann geh' ich jetzt schlafen«, murrte sie mit einem kleinen Schmunzeln auf den Lippen, doch ehe sie sich umdrehen und in ihr Zimmer verschwinden konnte, löste Sasuke sich von der Tür und umfasste ihren Arm mit seiner Hand. In seinem Griff lag viel Stärke, ohne ihr wehtun zu wollen. Diese eine, kleine Geste machte ihr klar, dass sie nicht den Hauch einer Chance gegen ihn hatte, wenn er es darauf anlegte. Eine Gänsehaut fegte unkontrolliert über ihren Körper hinweg, wie der Wüstenwind über die sandigen Dünen und sie vermochte nicht zu sagen, ob es ein wohliger oder ein angsterfüllter Schauer war. »Ist noch etwas?« Es fiel ihr gar nicht auf, dass sie völlig unbewusst das Flüstern anfing. Ihre Blicke trafen sich und Sakuras Puls beschleunigte sich schwindelerregend. Sasuke Sein Körper hatte sich selbstständig gemacht, als er nach ihrem Arm gegriffen hatte. Und nun war sie ihm so nah, dass er fast ihren Atem in seinem Gesicht spüren konnte. Es war so dunkel im Flur, dass das Feuer, welches sich in ihren Augen fing, beinahe hypnotisierend wirkte. Wieso nur hatte er sie überhaupt festgehalten? Was sollte er ihr jetzt sagen? Ihren rasenden Puls an seinen Fingern zu spüren half ihm nicht im Mindesten dabei, seine Gedanken zu sortieren, ganz im Gegenteil. »Nun?« Sie flüsterte immer noch. Wieso nur flüsterte sie? »Ich... äh...« Stammelte er? Sasuke räusperte sich und konnte nur mit Mühe verhindern, dass er den Kopf schüttelte. Sakuras neugieriger Blick brannte sich förmlich in ihn hinein. Wenn er nicht gleich etwas Sinnvolles von sich gab, würde es noch bedeutend peinlicher für ihn werden. »Nichts. Geh' schlafen, wenn du müde bist.« Er musste schlucken, als er ihren Arm los ließ. Verwirrung flackerte in ihren Augen auf als sie einen Schritt von ihm zurück wich und sein Körper ihrem erneut folgen wollte. »O...kay?« Sie legte ihren Kopf schräg und musterte ihn eindringlich, sagte aber nichts, als sie sich umdrehte und in den dunklen Fluren seines Anwesens verschwand. Erst als sich leise eine Tür schloss und er tief ausatmete, merkte er, dass er die ganze Zeit die Luft angehalten hatte. Während er sich gegen den Rahmen der Tür lehnte, fuhr er sich mit der Hand durch Gesicht und Haare. Was genau tat er hier? Sakura Es waren nunmehr Stunden seit ihrer Rückkehr vergangen und noch immer lag sie mit sperrangelweit geöffneten Augen und rasendem Herzen in Bett. Sie lauschte dem wilden Rauschen ihres Blutes in den Ohren und versuchte vergeblich, ihre Gedanken in Richtung Schlaf zu lenken. Sie bekam seine tiefschwarzen Augen und die wenige Distanz zwischen ihren Gesichtern einfach nicht aus dem Kopf. Zum x-ten Mal drehte sie sich unter ihren Decken um und wendete das Kissen zur kühlen Seite, doch es schwante Sakura bereits, dass sie heute Nacht keinen Schlaf finden würde. & Ihre Befürchtungen sollten sich bewahrheiten. Als sie am nächsten Morgen das Gezwitscher der Vögel durch den Spalt des geöffneten Fensters vernahm, wusste sie, dass diese Nacht für sie vorbei war. Völlig übermüdet öffnete sie flatternd die Augenlider und wurde von einigen wenigen vorwitzigen Sonnenstrahlen im Gesicht gekitzelt. Wenigstens das schöne Frühlingswetter war zurück. Der Morgen wirkte sehr friedlich im Vergleich zu der offenen Kriegszone, die ihre Gedankenwelt war. Kakashi würde heute kommen und vielleicht war es, entgegen ihrer gestrigen Behauptung, zu bleiben, das Schlaueste, wenn sie doch ging. Die Nähe zu Sasuke machte sie schier wahnsinnig und auch ihre körperliche Reaktion war zermürbend. So zerschlagen fühlte sie sich sonst nur nach den extra langen Schichten im Krankenhaus, die Tsunade ihr ungnädigerweise aufbrummte. Seufzend schlug sie Decke um Decke von sich und erhob sich. Kaffee. Sie brauchte ganz dringend Kaffee. Sakura fühlte sich seltsam peinlich berührt, als sie die Flure zur Küche entlang lief, als hätte sie etwas furchtbar Unsittliches getan und fürchtete nun, erwischt zu werden. Zu ihrem großen Erstaunen saß Sasuke bereits in der Küche und trank Kaffee – und ihm gegenüber stand ein zweiter, dampfender Becher! »Morgen«, nuschelte sie verlegen und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Sasuke nickte ihr knapp zu und deutete überflüssigerweise auf dem Becher kochend heißen Kaffee. Dankbar lächelte sie ihn an und nahm Platz. Gerade als sie den ersten Schluck trank, sagte Sasuke: »Ich kann keinen Kaffee kochen.« Eine Anmerkung, die er sich hätte sparen können. Sakuras Gesichtszüge hatten sich bereits zu einer Grimasse verzogen, kaum dass die bittere Brühe ihre Lippen berührt hatte. »Wie viele Löffel Pulver hast du denn benutzt?«, fragte sie nach, ohne die Antwort darauf wirklich wissen zu wollen. »Zehn oder elf«, antwortete er achselzuckend und Sakura verschluckte sich fast an ihrer eigenen Spucke. Mit dem Gebräu konnte man Tote wecken, aber vielleicht war das genau das, was sie an diesem müden Morgen brauchte. Behutsam nippte sie erneut an der alchemistischen Meisterleistung und gab sich Mühe, nicht allzu betroffen zu wirken. »Zehn oder elf...«, wiederholte sie murmelnd und schüttelte andächtig den Kopf. »Ein guter Löffel hätte gereicht, vielleicht zwei«, erklärte sie ihm schmunzelnd und war erleichtert, dass es überhaupt nicht komisch zwischen ihnen war. Vielleicht hatte sie sich die Spannung am Abend nur eingebildet und viel zu viel hinein interpretiert. »Oh«, gab Sasuke nur zurück und wirkte ehrlich erstaunt, was Sakura ein herzhaftes Lachen entlockte. Eine Anspannung, die sie bis gerade nicht bewusst wahrgenommen hatte, fiel von ihr ab und als sie sich in ihrem Stuhl zurück lehnte und noch einen grässlichen Schluck Kaffee zu sich nahm, fühlte sie sich viel leichter. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet ihr, dass Kakashi, sollte er pünktlich kommen, in weniger als einer halben Stunde da sein würde, was sie Sasuke auch so mitteilte. »Der kommt nicht pünktlich«, schnaubte er daraufhin, »Wenn er in einer Stunde da ist, können wir uns geehrt fühlen«, fügte er hinzu und schwenkte seine Tasse misstrauisch hin und her. Die Information, dass er viel zu viel Pulver benutzt hatte, schien einige Fragen in ihm aufgeworfen zu haben. »Soll ich noch einmal richtigen Kaffee kochen?«, fragte Sakura höflich, nicht aber ohne sich ein süffisantes Grinsen zu erlauben. Dieses quittierte der Uchiha mit einem vielsagenden Gesichtsausdruck, nickte dann aber und schob ihr seine Tasse zu. Der Kaffee darin war gänzlich unberührt. Und sie hatte nicht unhöflich sein wollen. Sie konnte es sich nicht verkneifen, mit den Augen zu rollen, doch zumindest stellte sie sicher, dass Sasuke das nicht sehen konnte. Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, während Sakura Wasser aufsetzte und Kaffee in einen Filter gab. Diesmal war es jedoch anders, denn Sakura fühlte nicht den Druck, unbedingt etwas sagen zu müssen. Als sie fertig war, kippte sie Sasukes' Teufelszeug in den Abfluss und gab frischen, herrlich duftenden Kaffee in die beiden Tassen. Um ein Haar hätte Sakura erneut gelacht, als Sasuke sich argwöhnisch über die Tasse beugte, die sie ihm gereicht hatte und daran schnupperte. »Nicht vergiftet«, versprach sie ihm und erwischte sich dabei, dass sie ihm zu zwinkerte. Sasuke betrachtete sie einen Moment eindringlich, was ihr die Schamröte ins Gesicht trieb, trank dann aber widerspruchslos von seinem Kaffee. Überrascht zog er beide Augenbrauen hoch. »Schmeckt deutlich besser«, gab er zu und nippte noch einmal an dem kochend heißen Getränk. Sakura schürzte gespielt pikiert die Lippen. »Hast du denn etwas anderes erwartet?« »Ehrlich gesagt, ja.« »Du trinkst nicht besonders oft Kaffee, kann das sein?« »Nein«, kam es prompt von ihm, »du?« Bei den Erinnerungen an all die durchgemachten Nächte im Krankenhaus legte sich ein zartes Lächeln auf ihre Lippen. »Ja. Sehr oft und manchmal auch sehr viel. Wenn man eine Nacht um die andere Nacht im Krankenhaus arbeitet, kommt ohne Kaffee nicht weit. Es ist gegen den menschlichen Biorhythmus, nachts wach zu sein, weißt du. An so vielen Schichtenden konnte ich kaum noch ein Klemmbrett halten, weil meine Hände von so viel Koffein zitterten«, erklärte sie ihm, während sie ihre Finger fest um die wohltuend warme Tasse legte. Sakura hatte die Nächte stets am meisten gemocht. Meistens war es in der Nacht ruhiger, da die Patienten schliefen und es lag eine gewisse melancholische Schönheit in der Einsamkeit auf einer Station. Das Surren der schwach leuchtenden Neonröhren, das stete Piepen der Herzmonitore und die gedämpften Gespräche, die sie mit den wenigen anwesenden Kollegen geführt hatte. In diesen Nächten war besonders ihre angeknackste Freundschaft mit Ino wieder gekittet worden, worüber sie sehr glücklich war. »Hört sich nicht so gesund an«, gab er zu bedenken und Sakura musste lachen. »Ist es auch nicht, aber wenn man noch jung ist, ist es nicht so schlimm. Vielleicht wird es nach dem Krieg jetzt ruhiger und wir müssen alle nicht mehr so viel arbeiten.« »Glaubst du daran?«, fragte er sie leise und zum ersten Mal, seit er zurück war, konnte sie genau erkennen, welche Emotion sich in seinem Gesicht abspielte: Trauer. Und eine unendliche Müdigkeit. »Woran?« »An Frieden?« Er nahm einen Schluck, vermutlich, um sie nicht direkt anschauen zu müssen. Sasuke hasste es, Gefühle zu zeigen, vielleicht auch, weil er so schlecht darin war. Oder weil Gefühle zu haben für ihn immer nur Verlust und Schmerzen bedeutet haben. Sakura schluckte schwer und verdrängte den Gedanken, dass auch sie Kakashi darum bitten wollte, ihn verlassen zu dürfen. »Ich muss«, gestand sie und spielte mit dem Henkel ihrer Tasse, nur um sich mit etwas anderem zu beschäftigen, als mit ihren rasenden Gedanken, »Ich muss daran glauben, dass wir der nächsten Generation eine bessere Welt hinterlassen, als wir sie vorgefunden haben. Damit...« Ja... Damit Menschen wie er und Naruto und Gaara und so viele andere nicht mit einem unmenschlichen Schicksal klarkommen mussten. Sie waren alle kleine Kinder, als alles in ihrem Umfeld versagte und dabei breitete sich eine bleierne Traurigkeit in ihr aus. Sie konnte es nicht aussprechen. »Ich verstehe.« Damit wandte er sein Gesicht von ihr ab, sodass Sakura sich fragte, ob sie etwas Falsches gesagt hatte. Gott sei Dank erwies sich Kakashi einmal mehr als ihr Retter in der Not, denn er tauchte strahlend in der Küchentür auf und begrüßte sie. »Du bist pünktlich«, kam es nur von Sasuke und er musterte seinen ehemaligen Lehrer, der ausnahmsweise in gängiger Alltagskleidung aufgetaucht war. Nur sein Rollkragenpullover, der bis zu seiner Nasenbrücke reichte und den größten Teil seines Gedichts verdeckte, war der Gleiche wie immer. »Gut gelaunt, wie immer, wunderbar!« Kakashi klatschte überschwänglich in die Hände und ließ sich in seiner munteren Stimmung nicht beirren. Sasukes Launen waren schon immer scheinbar vollkommen wirkungslos an dem Shinobi abgeprallt. »Morgen, Kakashi«, grüßte sie ihn, »auch einen Kaffee?« Die Augen des grauhaarigen Shinobi funkelten begeistert, als er nickte und sich neben die beiden an den Tisch setzte. »Wie bist du überhaupt hier reingekommen«, wollte Sasuke mit grimmigen Unterton wissen. »Sicherheitslücken in deinem Anwesen gehörten wohl nicht zu den Dingen, über die du scherzen kannst«, vermutete Kakashi und das Schmunzeln zeichnete sich klar unter dem Stoff seines Pullovers ab. »Sag' schon«, verlangte Sasuke mit mehr Nachdruck und lehnte sich Kakashi ein wenig über den Tisch entgegen. Sakura beobachtete die beiden für eine Sekunde, ehe sie es sich anders überlegte und sich um Kakashis Kaffee kümmerte. »Ein andermal.« »Kakashi«, knurrte Sasuke. »Schon gut, schon gut«, lenkte Kakashi beschwichtigend ein, »Sakuras Fenster stand ein wenig offen und ich habe mich dann spontan selbst rein gelassen.« Sie konnte Sasukes stechenden Blick in ihrem Nacken förmlich spüren, aber sie drehte den beiden weiterhin betont den Rücken zu. Es war ja nicht so, als hätte sie es komplett offen gelassen. Sie wollte gar nicht wissen, wie Kakashi das überhaupt angestellt hatte und stellte dementsprechend keine Fragen. »Hier«, unterbrach sie schlussendlich die frostige Stille zwischen den beiden Männern und stellte Kakashi einen dampfenden Becher vor die Nase. »Danke dir, immerhin einer in diesem Haus ist ausgeschlafen und mit dem richtigen Fuß aufgestanden!« Sakura ließ den offensichtlichen Seitenhieb so stehen, da sie keinerlei Bedürfnis verspürte, Kakashi über ihre schlaflose Nacht aufzuklären, denn das würde diesen nur dazu verleiten, sie mit Fragen zu löchern. »Nun denn, dann fangen wir an!«, sprach er förmlich und richtete sich gerade auf. Sakuras Herz rutschte ihr in die Hose. Sie wollte das nicht tun, wirklich nicht, aber ihre verhasste innere Stimme sagte ihr, dass Kakashi Recht gehabt hatte. Sie hatte schon längst alles für Sasuke gegeben. Genug für ein Leben und noch mehr. Und wenn sie hier wirklich noch drei weitere Wochen mit Sasuke zusammen leben würde, wer weiß, was dann aus ihr werden würde. Seine Nähe tat ihr nicht gut, weder körperlich, noch geistig. Vielleicht sollte es einfach nicht sein. Sie biss sich auf die Lippen, ein klares Zeichen dafür, dass sie wieder zu nervös war. Seit ihrem ersten Gespräch mit Kakashi, Sasuke und den Verantwortlichen hatte sie nicht mehr an ihrer Lippe genagt. »Was ist los, Sakura?«, fragte Kakashi mit besorgter Stimme. Verflucht, es war plötzlich so heiß in der Küche. »Ich...«, begann sie zögerlich und rutschte kaum merklich auf ihrem Stuhl herum, »Ich... Ich wollte fragen, ob jemand anderes meine Aufgabe übernehmen kann. Naruto zum Beispiel.« Naruto... Wo war er überhaupt? Er hatte ihr versprochen, heute auch hier zu sein! Sie konnte nicht weiter darüber nachdenken, was Naruto gerade trieb, denn als sie Sasukes glühendem Blick begegnete, wurde ihr schwarz vor Augen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)