Kleine Weihnachtswunder von KiraNear ================================================================================ Kapitel 3: Die kleine Blume im Schlafzimmer ------------------------------------------- „Frisk, vielen Dank, dass du mir zugehört hast. Aber jetzt solltest du zurück zu deinen Freunden gehen, ok? Oh, und bitte … wenn wir uns … ähm … uns später wieder sehen sollten … verwechsle Es bitte nicht mit meinem wahren Ich, ok? Mir wäre es lieber, wenn du mich so in Erinnerung behalten könntest, wie ich im Augenblick gerade bin. Als jemand, der dein Freund war, wenn auch nur für eine ganz kurze Zeit…“ …. ... .. . Liebe. Zuneigung. Mitgefühl. All dies waren Emotionen, die für einen kurzen Augenblick in seinen Körper zurückgekehrt waren. Er hatte sie mit einer Intensität gespürt, die ihm zuvor bisher unbekannt gewesen war. Es hatte ihn überwältigt. All die Liebe, die die Seelen mit ihm geteilt hatten, es war nahezu unbeschreiblich gewesen. Die Liebe zu sich selbst, zu Frisk, zu ihren Freunden und Verwandten – es hatte sein Herz erwärmt. Wie lange war es her, dass er seine eigenen Eltern lieben konnte? Seine eigenen Freunde? Es war ein schönes Gefühl, er hatte jede Sekunde davon genossen. Doch nun war dieses schöne Gefühl wieder weg. Seine Beine waren weg, stattdessen hatte er Wurzeln. Seine Arme waren weg, stattdessen hatte er Blüten. Sein Fell war weg, stattdessen hatte er Blütenblätter. Sein Körper hatte erneut keine Seele mehr und seine Liebe war weg. Geblieben waren ihm nur noch Hass, Trauer, Verbitterung. Die Welt um ihn herum war wieder grau, trostlos, langweilig. Da änderte auch der Umzug an die Oberfläche nicht, zu welcher Frisk ihn genötigt hatte. Wie konnte ein Kind so dermaßen penetrant sein? Hatte er ihr nicht gesagt, dass er, Flowey, sich um die Blumen in den Ruinen kümmern möchte? Dass er den anderen nicht noch weiteren Kummer bereiten wollte? Vor allem jetzt, da es ihn wieder an Liebe und Mitgefühl mangelte? Vor allem jetzt, obwohl er nicht zu retten war? Die Tränen seiner Eltern, das Mitgefühl seiner Freunde, all das hatte ihn nur genervt. Er kannte all das zur Genüge; er hatte viele Wörter zu hören bekommen, die ihm bereits schon einmal gesagt worden waren. Es waren Worte aus Zeitlinien, die schon lange nicht mehr existierten. Es war nur wenig neues dabei und am liebsten hätte Flowey sie dabei nur zu gerne unterbrochen, doch Frisks Blicke allein hatten ihn zurückgehalten. Denn das war der Unterschied. Frisk war sein moralischer Kompass, seinen eigenen hatte Flowey schon vor langer Zeit verloren. Sie war sein Leuchtturm in einem Meer aus Unwissenheit, an welchem sich Flowey nach Herzenslust orientieren konnte. „Sieh es doch so, nun lebst du auch an der Oberfläche. Die Blumen dort unten werden auch ohne deine Pflege zurechtkommen, da bin ich mir sicher. Und auch du kannst einen Neuanfang starten.“   Einen Neufang? Flowey schüttelte bei dem Gedanken den Kopf. Wie naiv dieses Kind nach wie vor war! Wenn Frisk das Gleiche wie er durchgemacht hätte, dann würde sie nicht solch einen Unsinn von sich geben. Natürlich, auch Frisk hatte mehrere kleinere, sowie größere Resets hinter sich. Flowey konnte noch nicht einmal sagen, in der wievielten Zeitlinie sie sich nun befanden. Wie oft hatte das Kind die Monster aus dem Untergrund befreit? Nur einmal? Oder doch öfters? Wie oft war es vorgekommen, dass Frisk ihn aus der Erde geschaufelt und in einem kleinen, farblosen Tontopf aus dem Berg hinausgetragen hatte? Und überhaupt, was sollte das denn? Spricht da über Freiheit und Neuanfang, spuckt große Töne, dass Flowey nun fast alles tun könnte, was er wollte – nur um ihn dann in einem kleinen Topf gefangen zu halten. Flowey hätte fast angefangen zu lachen, wenn es ihm nicht im Hals stecken geblieben wäre. Frei und doch gefangen. Welch Ironie. Chara hätte sicherlich Gefallen daran gefunden.   Chara… Flowey sah aus dem Fenster, beobachtete, wie Frisk zusammen mit Toriel den Einkauf aus dem Auto lud und ins Haus hineintrug. Wie sie ihre Arme und Beine benutzten, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Flowey sah an sich herab. Klar, er konnte seine Wurzeln benutzen, doch damit kam er nur durch weichen Erdboden. Der Tontopf war seine Grenzen und das gefiel ihm nicht. Was nur musste er ihnen einflüstern, damit Sie ihm wenigstens einen größeren Topf gaben? Oder ihn mal für ein paar Stunden Auslauf im Garten geben würden? Auslauf? Flowey begann zu grinsen. Auslauf … als wäre er ein Hund. Oder was auch immer Menschen sich im Haus hielten und nur kurzzeitig an die frische Luft ließen. Er hörte ein Geräusch, jemand ging langsam die Treppe hinauf. Flowey erkannte die Schritte, es konnte sich dabei nur um Toriel handeln. „Ah, du siehst dir wieder die Umgebung an – sehr schön. Wenn du möchtest, kannst du uns nachher auf unseren Spaziergang begleiten“, sagte Toriel mit sanfter Stimme. In ihrer Hand trug sie eine bunte Packung, Flowey kannte sie bereits zu gut. Pflanzendünger, genau die richtige Sorte für die Art von Blume, die er nun war. Er erwiderte nichts, und sah nur zu, wie ihre Pfote eine großzügige Menge rund um seinen Stängel im Topf verteilte. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn auf einen Spaziergang eingeladen hatte, und würde auch nicht das letzte Mal sein. Sie würde es ihm wieder anbieten, immer wieder und wieder. Doch was sollte ihm das bringen? Er würde nur einen leichten Luftzug in seinen Blütenblättern spüren, und das sehen, was Frisk oder Toriel ihm zeigen würden. War das erstrebenswert? Warum vertrauten sie ihm nicht? Warum ließen sie ihn nicht einfach in die Erde versinken und die Welt auf seine Art erkunden? Warum sollte er auf ihre Gnaden angewiesen sein müssen? Die Zeiten der elterlichen Abhängigkeit war vorbei, er konnte auf seinen eigenen Wurzeln stehen, wenn es sein musste. Warum also diese Beschränkung? Die Kälte des Winters machte ihm nichts aus und mit ein wenig Druck würde er auch durch den gefrorenen Boden kommen. Es wäre nichts, was er nicht aus seiner Zeit aus Snowdin nicht bereits kennen würde.    Flowey verstand es nicht. Er wollte nicht ihr Mitgefühl, es würde ohnehin nichts an seiner Situation ändern. Er wäre immer noch eine seelenlose Blume. Oder war genau das der Grund, warum sie ihn hier gefangen hielten? Eben weil er keine Seele, keine Moral, keine Hemmungen hatte? Dabei hatte er doch seine Lektion gelernt … Und selbst wenn er seiner Langeweile nachgehen wollte, die Zeit für Experimente war längst vorbei. Er hatte keine Kontrolle mehr über die Zeitlinien, Frisk war nun die Person mit der höchsten Menge an Entschlossenheit. Ihre Entschlossenheit war größer als die seine. Seit Frisk in den Untergrund gefallen war, hatte Flowey nicht einen einzigen Reset mehr tätigen können. Daher war schon lange Schluss mit derartigen Dingen. Wozu das also alles? Was war der Sinn, was war der Zweck? Flowey zog es schon lange vor, allein zu bleiben. Warum sollte er wieder versuchen, mit seiner Mutter zu leben? Er hatte es oft genug versucht, doch er hatte ihre Liebe niemals erwidern können. Ihr Mitgefühl niemals spiegeln können. Auf der anderen Seite – der Dünger sorgte dafür, dass er sich kräftig fühlte, lebendig und aus irgendeinem Grund nagten auch viel weniger Schädlinge an ihm herum. Früher hatte er ihnen einen saftigen Tod durch seine Samen verpasst, jetzt schienen sie ihn gänzlich zu meiden. Auch bekam er deutlich mehr Sonne ab, was ihm bei der Photosynthese unterstützen würde. Damit würde er nicht nur sich selbst mit Energie versorgen, sondern auch seine Umgebung mit frischem Sauerstoff. Zumindest hatte er diese Schlüsse aus Toriels langatmiger Erklärung ziehen können. Dennoch, Flowey vermisste es, seinen Blütenkopf jederzeit in die Erde zurückziehen zu können und an einem anderen Ort wieder auftauchen zu lassen. Dies war der Inbegriff der wahren Freiheit und er vermisste sie. Seufzend wand er seinen Blick aus dem Fenster. „Wir können dich natürlich nicht dazu zwingen, Flowey, aber ich denke, es könnte dir guttun. Ein bisschen frische Luft bekommen, mal was anderes zu sehen als unseren Vorgarten – wir können dir auch gerne etwas zu essen oder trinken auf dem Weihnachtsmarkt kaufen.“ Flowey verdrehte die Augen und war gleichzeitig froh, dass Toriel sein Gesicht nicht sehen konnte. Wenn sie nur wüsste… vermutlich zog sie wieder die falschen Schlüsse, aber Flowey hatte keine Lust, sie zu korrigieren. Es hatte ihn immerhin mehrere Wochen und sehr viele Nerven gekostet, sie dazu zu bringen, seinen neuen Namen zu verwenden. Asriel gab es nicht mehr, dieser Name hatte nichts, absolut nichts mit seiner neuen Existenz zu tun. Asriel war ein kleines Monster, er selbst eine kleine Blume. Asriel war zu Emotionen in der Lage, die für Flowey unerreichbar waren. Nein, diese Leben hatte er hinter sich gelassen und dazu gehörte auch der alte Name. „In Ordnung, ich werde dich wieder in Ruhe lassen“, sagte Toriel und er konnte den verletzten Unterton hören, den sie so sehr zu unterdrücken versuchte. Er konnte ihn hören – und in ihm regte sich nichts. Kein Mitleid, kein schlechtes Gewissen, nichts. Es war ihm vollkommen egal, so wie es ihm immer egal war. Als Kind hätte er es gar nicht erst so weit kommen lassen, doch dieses Kind war er nicht mehr. Es gab jedoch etwas anderes, dass in ihm ein kleines Flämmchen zum Lodern brachte. Viele würden Flowey als gefühlsloses Etwas bezeichnen, doch das stimmte nicht. Damit lagen sie so weit von der Wahrheit entfernt, wie Asgore vor seiner zweiten Chance, wieder mit seiner Frau in eine Beziehung kommen zu können. Nein, Flowey kannte, spürte sämtliche Emotionen und Gefühle. Es waren nur genau zwei, die ihm abhandengekommen waren. Die mitsamt seiner Seele in tausend Stücke zersprungen waren. Freude, Glück, Zufriedenheit, Dankbarkeit. All das war ihm nach wie vor nicht fremd. Und gegen eine Tasse mit leckerem Fruchtpunsch konnte er selbst er nichts sagen. Besonders, wenn er dafür nicht bezahlen müsste? Mal ganz von der Tatsache abgesehen, dass er ohnehin kein Geld besaß. „Sag mal, Toriel, wenn ich mit euch mitkomme … könnte ich dann eine Tasse mit Fruchtpunsch haben?“ Toriel, die den Raum bereits vollständig verlassen hatte, drehte sich wieder um und spähte durch die offene Tür hinein. „Aber natürlich, Flowey, du kannst auch gerne zwei Tassen bekommen. In letzter Zeit warst du so brav und ein so guter Zuhörer, ich denke, du hast dir das mehr als verdient.“ Ja, das habe ich! Immerhin musste ich mir all deine langweiligen Geschichten aus der Schule anhören! Ich musste all das Garn halten für diese kleinen Untersetzer, die du unbedingt nähen wolltest! Ich musste all das Geweine und deine sonstigen emotionalen Ausbrüche ertragen, seit du die Wahrheit über mich erfahren hattest. Flowey kämpfte gegen den Drang, auch nur einen dieser Sätze auszusprechen. Es kitzelte ihn auf der Zunge und nur zu gerne würde er seine Gedanken in Worte fassen. Ihm selbst würde es ja nicht wehtun und was Toriel empfand, lag jenseits seiner Vorstellungskraft. Dennoch, er hielt sich zurück. Seine Mutter würde nur erneut in Tränen ausbrechen, zumal sie ihn gerade erst für sein Betragen gelobt hatte. Damit würde er nur jegliche Bemühungen der letzten Wochen zunichtemachen. Flowey war vielleicht nicht in der Lage, Liebe zu empfinden. Aber er war nicht auf den Blütenkopf gefallen. Mittlerweile wusste er, wann er seine scharfe Zunge für sich behalten sollte. Egal, wie viel Spaß es ihm bereiten würde. Manchmal musste er weiterdenken, an sein langfristiges Wohl und nicht an den kurzfristigen Spaß, der oft nicht sonderlich zielführend war. Dann noch dieser vorwurfsvolle Blick von Frisk und die lange Zeit, die er in Toriels Trost investieren müsste… nein, da waren zwei Tassen mit Fruchtpunsch doch viel besser! „Das freut mich sehr, Toriel!“, sagte Flowey stattdessen, als diese sich ihm näherte, seinen Topf hochhob und aus dem Zimmer trug. Er lächelte, und er freute sich schon auf den Geschmack von warmen Äpfeln und Orangen, die sich auf seiner Zunge ausbreiten würden. Denn dies war ein wahrer Ausdruck von Köstlichkeit und wer würde jeden einzelnen Schluck davon genießen. Jeden Einzelnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)