Love against all Reason von Ukiyo1 (Liebe gegen jede Vernunft) ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Mimi Rücken! Oh Gott, ich habe Rücken! Habe ich schon erwähnt, wie sehr ich Langstreckenflüge hasse? Vor allem, wenn man stundenlang zwischen zwei schnarchenden, dicken, alten Männern eingequetscht ist, die einem während des Fluges ständig ihre Tageszeitung um die Ohren hauen. Oder in den Ausschnitt glotzen. Ich bin so froh, dass das vorbei ist. In der Business Class wäre mir das nicht passiert. Aber da alle Konten meines Vaters eingefroren sind und somit auch meine Kreditkarte, musste ich mein letztes Geld zusammenkratzen und Economy-Class buchen. Ein Erlebnis, was ich nicht so schnell wiederholen möchte. Ächzend drücke ich mich aus meinem Sitz hoch und höre meine Wirbel gefährlich knacken. Ich fühle mich wie eine alte Frau. Aber wenigstens sehe ich heiß aus! Spätestens nachdem meine Mutter mit mir shoppen war und meine Garderobe für den Besuch bei den Kidos zusammengestellt hat, war mir klar, dass ich meine alten Kleider vermutlich alle verbrennen kann. So etwas wie heute werde ich nie wieder tragen. Ab heute tausche ich Minirock gegen Rollkragenpullover. Aber zumindest ein letztes Mal wollte ich in meiner Haut stecken und habe mir mein Lieblingsoutfit aus L.A. angezogen: ein bauchfreies Top, das meinen Busen mega gut zur Geltung bringt und einen Jeans Minirock. Das Bauchnabelpiercing, was ich mir dort habe stechen lassen, rundet das ganze ab. Natürlich wird das nie jemand von den Kidos zu Gesicht bekommen und ich bin froh, dass ich nicht irgendwelche Tattoos habe. Ich trotte der Menschenmenge hinterher, die nach und nach das Flugzeug verlässt und spüre bereits wie sich Aufregung in mir breit macht. Heute Nachmittag treffe ich meinen Verlobten. Wie verrückt ist das denn? Ein Blind Date mit einem Mann, den ich heiraten werde – das hoffe ich zumindest. Für den Übergang habe ich mir ein Hotelzimmer gebucht, ebenfalls von meinem letzten Geld. Längerfristig gesehen hoffe ich natürlich, dass ich woanders unterkommen kann. Da wird mir schon noch was einfallen. Erst einmal muss ich einen guten ersten Eindruck hinterlassen. Selbstverständlich werden später auch seine Eltern anwesend sein, da muss ich alles geben, was ich habe. Meine Mutter hat mir vorher noch ein wenig berichtet, wie es in Japan traditionell gesehen in solchen Familien so zugeht. Aber um ehrlich zu sein, mache ich mir da wenig Gedanken. Wie schwer kann das schon sein? Ich setze auf Charme und gutes Aussehen – das hat schließlich noch jeden überzeugt. Es dauert noch gut eine Ewigkeit, bis ich meine Koffer habe. Darüber, wie ich zum Hotel komme, habe ich mir auch noch keine Gedanken gemacht, aber das muss ich auch nicht mehr, wie ich soeben feststelle. Denn als ich den Ausgang des Flughafens durchquere, sehe ich bereits meinen Namen, dick und fett auf einem Schild stehen. Meine Augen wandern sofort zu dem Typen, der es festhält und man … vor mir steht niemand geringerer als MC Dreamy – der Arzt meiner Träume – mein Verlobter. Ja, er muss es einfach sein! Und er sieht umwerfend aus! Ich hatte noch kein Bild von Joe gesehen, aber er übertrifft alle meine Erwartungen. Und er sieht gar nicht wie ein spießiger, langweiliger Arzt aus. Wer hätte das gedacht? Er ist groß und muskulös und hat breite Schultern und braune, wilde Haare, in die ich sofort meine Finger vergraben möchte. Und oh mein Gott, diese Augen … ich hätte es wirklich schlechter treffen können, Mutter, ich hab’s dir doch gesagt. Als er mich erblickt, nimmt er das Schild runter und kommt direkt auf mich zu. Natürlich kennt er mein Gesicht bereits von dem Foto, was ihm mein Vater zugeschickt hat. Nur das Outfit ist ein wenig anders. Fuck! Das Outfit!!! Schnell schiebe ich meinen Koffer vor mich wie einen Schutzschild, aber ich glaube, es ist bereits zu spät. Nach traditionell japanisch sieht das ja nicht gerade aus. „Bist du Mimi?“, kommt mein Verlobter direkt zur Sache und schenkt mir nicht mal ein Lächeln. Ich schlucke schwer, weil mir dieses erste Aufeinandertreffen jetzt doch etwas unangenehm ist und nicke nur. „Gut, dann komm.“ Ohne zu fragen packt er meinen Koffer, den ich erst gar nicht hergeben will und verfrachtet ihn in einer … scheiße! Ist das eine Limousine? Kurz klappt mir ein wenig der Mund auf, obwohl das natürlich nicht das erste Mal ist, dass ich eine sehe oder in einer fahre, meine Familie hatte bis vor kurzem schließlich auch mehr als genug Geld. Aber so vom Flughafen abgeholt zu werden ist doch etwas extravagant. I like it! Und man, mein MC Dreamy hat sogar super gute Manieren, denn er hält mir bereits die Tür auf und wartet darauf, dass ich einsteige. Ich rutsche durch, er folgt mir und gibt dem Fahrer ein Zeichen, dass wir losfahren können. Etwas unbeholfen sitze ich nun tatsächlich neben meinem Verlobten und weiß gar nicht so recht, was ich sagen soll. „Es ist nett von dir, dass du mich vom Flughafen abholst“, beginne ich nach ein paar Minuten des Schweigens. Starr ist sein Blick nach vorne gerichtet. „Klar, kein Thema.“ „Ist schon eine Weile her, dass ich in einer Limousine gefahren bin.“ „Hmm.“ Okay. Der Gesprächigste scheint er ja nicht zu sein. „Warum dieses Outfit? Du siehst gar nicht so aus wie auf dem Foto“, fragt er plötzlich nach einer Weile und ich sehe, wie seine Augen auf meine nackten Beine schielen. Mein Blick folgt seinem und erst jetzt fällt mir auf, dass mein eh schon kurzer Rock mir gefährlich hochgerutscht ist. Peinlich berührt ziehe ich ihn schnell ein Stück runter. „Ähm, das ist nur, weil ... ich wollte einfach nur was Bequemes anziehen. Wenn ich gleich im Hotel bin, mache ich mich frisch und ziehe mir etwas anderes an.“ Einen Kartoffelsack vielleicht. „Wir fahren nicht ins Hotel.“ „Wie bitte, was?“ „Ich meine damit, du wirst keine Gelegenheit haben, dich umzuziehen. Wir fahren direkt zu dem Anwesen der Kidos. Sie wollen dich so schnell wie möglich kennenlernen.“ Ich fühle mich, als hätte er mich angeschossen. Nun wendet er endlich seinen Kopf in meine Richtung. „So sprachlos?“ Ich schlucke schwer. „N-nein. Überhaupt nicht. Ich wusste es nur nicht, sonst hätte ich mir was anderes angezogen.“ Plötzlich lacht er doch allen Ernstes auf. „Das kann ich mir vorstellen. Die Kidos stehen überhaupt nicht auf derartige Outfits.“ Ich verziehe das Gesicht. Als wüsste ich das nicht selber. Und warum nennt er sie eigentlich immer die Kidos? Warum spricht er so förmlich von seinen eigenen Eltern? Na gut, wahrscheinlich ist ihre Beziehung durchaus etwas distanzierter als die zu meinen Eltern. „Warum hast du mich nicht informiert, dass ich gleich deine Familie kennenlernen werde, sobald ich gelandet bin? Das ist mir jetzt wirklich unangenehm“, sage ich und versuche nicht eingeschnappt zu klingen. Eine kurze Info vorab wäre durchaus sinnvoll gewesen. „Meine Familie?“, ist jedoch alles, was er sagt. „Ja, deine Mutter und deinen Vater. Was sollen sie denn jetzt von mir denken?“ Ein breites Grinsen legt sich auf sein hübsches Gesicht und sogleich es mich doch umhaut, würde ich nicht darauf wetten, dass es etwas Gutes zu bedeuteten hat. „Oh, keine Sorge. Sie werden begeistert von dir sein.“ Irritiert ziehe ich die Augenbrauen zusammen. Meint er das ernst? Na, wie auch immer. Da mein Outfit schon mal nicht überzeugen kann, muss ich umso mehr meinen Charme spielen lassen. Wir fahren ziemlich lange zum Anwesen seiner Eltern und reden kaum. Joe scheint nicht der gesprächige Typ zu sein. Aber das macht mir im Moment nichts aus. Ich bin so nervös, dass ich sogar vergesse, wie müde ich eigentlich von diesem furchtbaren Flug bin. Als die Limousine die Einfahrt durchquert und Joe mir kurz und knapp mit einem „Wir sind da“ erklärt, dass wir angekommen sind, staune ich nicht schlecht. Meine Eltern sind selbst reich, oder waren es zumindest, und auch wir haben das Luxusleben in New York genossen. Aber das hier übertrifft bei weitem alles, was ich mir vorgestellt habe. Wie viele Krankenhäuser besitzen sie noch mal? Fünf? Nun, auf jeden Fall genug, um sich eine Villa leisten zu können, die einem Palast gleicht. Diese Familie könnte die Schulden meines Vaters wahrscheinlich aus der Spardose bezahlen. Und sofort habe ich kein schlechtes Gewissen mehr. Wie praktisch. Während ich immer noch wie gebannt aus dem Fenster starre, ist mein Verlobter schon längst ausgestiegen und hält mir die Tür auf. „Kommst du endlich?“, fragt er ungeduldig und ich springe sofort auf. „Natürlich.“ Ich steige aus und muss den Kopf in den Nacken legen, um das Gebäude vor mir in all seiner Pracht erblicken zu können. „Hör auf zu gaffen.“ „Äh … wie bitte?“ Wachgerüttelt starre ich Joe an, der neben mir steht. „Das gehört sich nicht“, setzt er nur recht unfreundlich hinzu und auch ich frage mich, wo meine guten Manieren geblieben sind. Ich bin schließlich nicht irgendein Mädchen von der Straße, die so was noch nie gesehen hat. „Entschuldige“, entgegne ich peinlich berührt und folge ihm ins Haus. Die Bediensteten halten uns die Tür auf und einer von Ihnen geleitet uns durch die Eingangshalle hindurch, die durch ihre wertvollen Kunstwerke und Gemälde nur so glänzt. Er bringt uns in einen menschenleeren Raum, in dem wir warten sollen. Wir setzen uns beide nebeneinander auf eine Couch und sind schon wieder allein. Schweigen. Ich höre die Uhr an der Wand ticken und mein Herz pocht mit jeder Sekunde die vergeht schneller. Plötzlich sind Schritte zu vernehmen, viele Schritte. Oh man, sie kommen! Mit einem Mal fühle ich mich wie betäubt. Meine Kehle wird staubtrocken und mir wird schlagartig bewusst, was ich hier gerade tue. Ich gerate in Panik. So sehr, dass ich nach Joes Hand greife, die neben mir liegt und sie fest drücke. Verwundert schaut er mich an. „Tut mir leid“, bringe ich nur krächzend heraus. „Aber könntest du vielleicht kurz meine Hand halten? Ich bin verdammt nervös.“ Die Schritte kommen immer näher. Seine Verwunderung verwandelt sich in ein schiefes, diabolisches Grinsen. „Klar doch. Wenn es dich nicht stört, dass ich gar nicht dein Verlobter bin?“ „WAS?“ Mein Kopf schnellt in seine Richtung, während sich meine Augen weiten. Was hat er da eben gesagt? Er grinst immer noch. Dieser miese, kleine … Auf der Stelle will ich ihm meine Hand entreißen, aber er hält sie weiter und drückt sie noch fester, so dass ich keine Chance habe. „Lass los!“, fordere ich, als die Schritte näher und näher kommen. „Warum? Gibt doch ein schönes Bild ab, wenn wir beide gleich Händchen haltend von deinem richtigen Verlobten gesehen werden.“ Ich ziehe und reiße an meiner Hand, aber dieser Mistkerl will sie einfach nicht loslassen. Erst in allerletzter Sekunde, als sich die Türklinke nach unten drückt und sie sogleich aufschwingt, gibt er meine Hand frei. Mit einem Ruck lande ich in den Kissen, weil ich so sehr gezogen habe und schaue eine Sekunde später in die verdutzten Augen meiner Schwiegereltern. Ich springe von meinem Platz auf. „Herr Kido … äh, ich meine Dr. Kido. Frau Kido. Wie schön, Sie endlich kennenzulernen.“ Ich mache eine tiefe Verbeugung und würde am liebsten gleich in dieser Position bleiben, damit ich nicht die Enttäuschung in ihren Gesichtern sehen muss. „Fräulein Tachikawa, wie schön, dass Sie den Weg zu uns gefunden haben“, erhebt der Herr des Hauses nun das Wort. Er klingt nett. Aber als ich mich wieder aufrichte und mich nun doch traue, ihn anzusehen, sehe ich bereits die Entrüstung in seinem Gesicht. Er mustert mich von oben bis unten und ich kann ihm an der Nasenspitze ansehen, dass ihm das nicht gefällt. Verdammt. Ich hätte mich einfach in der Limousine umziehen müssen. Scheiß egal, ob dieser, wer auch immer das ist, mir dabei zugesehen hätte. Frau Kido hingegen lächelt nur leicht verlegen. „Ich hoffe Ihr Flug war gut?“ Ich nicke eifrig. „Ich kann mich nicht beklagen.“ Lüge. „Und Tai hat sie sicher zu uns geführt?“ Sie deutet mit einer Kopfbewegung auf den Mistkerl, der mich hergebracht hat. Anklagend werfe ich einen Blick in seine Richtung. Tai also, hm? Was für ein schadenfroher Drecksack, er besitzt doch allen ernstes die Frechheit und grinst immer noch. Dieses Grinsen würde ich ihm am liebsten mit meiner Faust aus dem Gesicht wischen. Wie konnte er mich in dem Glauben lassen, er sei … „Das ist unser Sohn, Joe“, höre ich Frau Kido sagen, was mich sofort von meinen Mordplänen abbringt und zurück in die Realität katapultiert – und die sieht gar nicht so schlecht aus. Joe, mein echter Verlobter, tritt hinter seinen Eltern hervor und er ist genau so, wie ich ihn mir vorgestellt habe: groß, schlank, gutaussehend – wenn auch ein bisschen zu brav. Kurz durchflutet mich Erleichterung. Er haut mich nicht von den Socken, aber er ist definitiv ansehnlich. „Hallo Mimi, es freut mich, dich kennenzulernen“, sagt er und kommt noch einen Schritt auf mich zu, ehe er sich verbeugt. „Äh … hallo“, stammle ich, viel zu aufgeregt, verbeuge mich aber ebenfalls. Irgendwie erscheint mir das zu wenig, er ist schließlich mein Verlobter und mein Hirn hat vermutlich eine Kurzschlussreaktion … Ehe ich mich versehe, schnellt mein Kopf nach vorne und drückt ihm ganz New-York-like zwei Küsschen auf die Wangen – auf jede eines. Hmm, was ist das für ein Duft? After Shave? Völlig perplex sieht er mich an und ich hätte nicht gedacht, dass es in diesem Raum noch stiller werden kann, als es eh schon ist. Schockiert über mich selbst und meine Distanzlosigkeit reiße ich die Augen auf und schlage mir die Hände vor den Mund. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, kribbelt meine Nase auch noch so heftig von seinem After Shave, dass ich niesen muss – laut – und wie ein Elefant. Alle starren mich an. Oh nein. Oh nein. OH NEIN. „Ich … äh … also, ich …“ Verdammt, warum glotzen die alle so? Haben die noch nie jemanden niesen sehen? „Ähm, entschuldigen Sie bitte. Aber hat vielleicht jemand ein Taschentuch für mich?“, frage ich frei heraus und rümpfe die Nase, da sie schon wieder kribbelt. Keiner bewegt sich, alle sind wie versteinert. Sie schauen mich an, als hätte ich gerade vor ihren Augen einen Mord begangen. Nur Joe befreit sich irgendwann aus seinem Schockzustand und zieht ein Stofftaschentuch aus seiner Jacketttasche. Ich verkneife es mir, geräuschvoll rein zu schnäuzen und tupfe mir stattdessen nur ganz leicht die Nase ab, wie eine echte Lady. Kurz denke ich, damit die Situation gerettet zu haben, doch als ich das Gesicht von Dr. Kido sehe, weiß ich, dass es nicht so ist. Grimmig drein blickend setzt er sich in einen Sessel. Nun habe ich doch ein wenig Angst vor ihm. Mit einer Handbewegung bittet er uns Platz zu nehmen. Ich setze mich so weit weg wie möglich von Tai und überlasse Joe den Platz. Was macht dieser Kerl überhaupt hier? Er gehört doch wohl nicht ernsthaft zur Familie. „Wir sind froh, dass du es so kurzfristig einrichten konntest, deine Heimat zu verlassen“, sagt Frau Kido, während uns Bedienstete Gebäck und Tee anreichen. „Ihre Einladung war eine große Ehre für mich“, trage ich direkt ganz dick auf und zeige mein schönstes Lächeln. „Nun, für uns kam das alles auch etwas überraschend. Nicht wahr, Liebling?“, meint Frau Kido und sieht zu ihrem Mann, dessen Augen mich fixiert haben. Ich komme mir vor wie ein Mäuschen, dass ins Visier eines Adlers geraten ist. „Allerdings“, nickt er zustimmend. „Wie kamen Sie auf die Idee sich mit unserem jüngsten Sohn zu vermählen?“ „Bitte, Sie können ruhig Du zu mir sagen. Ich kam auf die Idee, weil …“ Weil mein Vater in den Knast muss, wenn ich nicht reich heirate und seine Schulden begleiche. Alles andere würde meine Familie zerstören. „… weil mein Vater stets in den höchsten Tönen von Ihnen und Ihrer Familie gesprochen hat. Er hatte es gar nicht darauf angelegt, aber er schätzt und achtet Ihre Familie wirklich sehr und da ich schon länger bereit bin, mich zu vermählen, kam ich nicht umhin, ihn zu bitten, diese Verlobung zu arrangieren.“ Wow, Mimi! Du kannst ja lügen ohne rot zu werden. Wer hätte das gedacht? „Mich mit Ihrem Sohn zu verloben und in Ihre Familie einzuheiraten, wäre das größte Glück, dass ich mir vorstellen kann.“ Okay Mimi, fahr einen Gang zurück. Der alte Kido sieht mich unverwandt an und ich kann nicht die Regung einer Emotion in seinem Gesicht ablesen. „Nun, bevor das passiert, hätten wir zunächst noch einige Fragen an dich“, offenbart er mir. Wie auf Kommando zückt Frau Kido einen Stift und einen Notizblock. Wo hat sie den denn so schnell her? War ja klar, dass sie mich ins Kreuzverhör nehmen. „Ich bemühe mich, alle Ihre Fragen zu Ihrer Zufriedenheit zu beantworten.“ „Gut. Hast du noch Geschwister?“, beginnt Dr. Kido ohne Umschweife. „Nein, ich bin Einzelkind.“ „Welche Schule hast du besucht?“ „Die Constance, eine Privatschule für Mädchen in New York.“ „Studiert?“ „Bei der School of Visual Arts, inzwischen arbeite ich als freiberufliche Visagistin.“ „Hmm, interessant.“ Ach wirklich? Dr. Kido rümpft die Nase und rutscht ein wenig in seinem Sessel hin und her. Ich habe die Befürchtung, dass er sich grad erst warm gemacht hat. Ich werfe einen kurzen Blick zu Joe, der brav schweigend neben Tai sitzt. Schon komisch, dass ich hergekommen bin, um ihn kennenzulernen und nun seine Eltern alle Fragen stellen, die eigentlich er stellen sollte. „Würdest du für eine Heirat dein zu Hause in New York verlassen?“, setzt Kido nun seine Fragerunde fort. Ich nicke sofort. „Selbstverständlich, sonst wäre ich nicht hier.“ „Du klingst ziemlich entschlossen“, stellt er nüchtern fest. „Das bin ich.“ Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr. „Das freut mich zu hören“, sagt er zwar, aber ich sehe absolut keine Freude in seinem Gesicht und ehrlich gesagt auch sonst nichts. „Willst du Kinder, Mimi?“, spricht Frau Kido mich nun an und schenkt mir wenigstens ein aufrichtiges Lächeln, trotzdem löst sie mit dieser Frage Unbehagen in mir aus. „Ähm, also ich …“ „Wenn ihr Kinder bekommt, müssen wir zunächst wissen, ob ihr chronische Krankheiten in der Familie habt“, fügt Herr Kido hinzu und ich schaue wieder zu ihm. „Gibt es Allergien?“ „Was? Nein, wieso …“ „Herzfehler? Krebserkrankungen?“ „Ähm, ich weiß nicht … ich …“ „Hattest du schon mal einen langwierigen Krankenhausaufenthalt?“ „Ich …“ „Warst du schon mal in einen Unfall verwickelt?“ „Was? Wieso sollte ich …“, aber ich komme gar nicht dazu, den Gedanken zu Ende zu führen, da Dr. Kido weiter seine imaginäre Liste abarbeitet. „Hast du alle Kinderkrankheiten durchgemacht? Bist du geimpft? Gibt es Epileptiker in der Familie? Haben deine Eltern …?“ „Fünf!“, platzt es einfach so aus mir heraus, weil mein Puls rast und mein Kopf qualmt. Alle starren mich an. „Wie bitte, Liebes?“, fragt Frau Kido verwirrt. „Fünf! Ich möchte fünf Kinder!“, sage ich einfach, damit endlich diese Fragerei aufhört. Die Augen aller Anwesenden weiten sich, nicht zuletzt die von Joe, der mich nun erschrocken anstarrt. Mist, war das etwa die falsche Antwort? Ich habe doch auch keine Ahnung, was sie hören wollen. Ich habe das erste gesagt, was mir eingefallen ist. Aber alles ist besser als Dr. Kidos Anamnese-Fragebogen zu beantworten. Frau Kido lacht kurz auf und schreibt dann kopfnickend etwas in ihr Notizbuch. „Fünf, das ist ganz schön viel, meine Liebe.“ Ich schlucke schwer. Finde ich auch. Hoffentlich nageln sie mich nicht darauf fest. „Dann fang schon mal an zu üben“, lacht Tai, der Idiot, plötzlich auf und schlägt Joe auf die Schulter, dessen Gesicht mit einem mal ganz blass aussieht. Ich werfe ihm einen warnenden Blick zu. Soll er doch einfach die Klappe halten. „Und ich habe keine chronischen Krankheiten, weder ich, noch meine Eltern“, sage ich schwer atmend an Dr. Kido gerichtet. Er nickt zwar, aber zufrieden sieht er nicht aus. „Welche Schuhgröße hast du, Mimi?“, will Frau Kido wissen und ich sehe sie verwundert an. „Für die Brautschuhe“, erklärt sie mir, als sie mein fragendes Gesicht sieht. „Achso, 38 denke ich.“ „Und die Kleidergröße? Wenn ihr, sagen wir, im Spätsommer heiratet, müssen wir bald ein Brautkleid aussuchen.“ Kurz leuchten meine Augen auf, weil ich mich schon immer mal in einem echten Brautkleid sehen wollte, doch dann redet Frau Kido einfach weiter. „Das übernehme natürlich ich für dich. Du musst dich um nichts kümmern, meine Liebe. Weder um die Location, noch um die Torte. Das kannst du getrost in meine Hände legen, genauso wie das Kleid.“ „Oh … okay. Ich habe die 36.“ Ich versuche nicht all zu enttäuscht zu klingen, aber ich dachte, wenn ich schon jemanden heirate, den ich nicht liebe, kann ich mich wenigstens bei der Hochzeitsfeier so richtig austoben und meine Mädchenträume ausleben. „Aber meine Körbchengröße wollen Sie nicht noch wissen, oder?“, lache ich auf, aber mal wieder lacht keiner mit. Frau Kido sieht mich nur fragend an. „Welches Körbchen?“ Innerlich Ohrfeige ich mich. Gott, diese Familie geht wohl zum Lachen in den Keller. „Ach, schon gut“, kichere ich und selbst mir fällt auf, dass ich in ihren Augen vermutlich ein bisschen verrückt rüber kommen muss. „Da du lange nicht mehr in Japan gelebt hast, wäre es sinnvoll noch ein paar japanische Gepflogenheiten aufzufrischen“, sagt Herr Kido und mustert mich plötzlich auffallend und ich hätte jetzt wirklich gerne einen Kartoffelsack, den ich mir überstülpen könnte. „Ist das deine gewohnte Kleidung, Liebes?“, spricht Frau Kido das aus, was hier wohl alle seit der ersten Sekunde denken. Sie starrt auf mein Bauchnabelpiercing und legt den Kopf dabei schief, als hätte sie so was noch nie in ihrem Leben gesehen. Ich spüre, wie mir die Hitze in die Wangen schießt und ich nur noch betreten zu Boden sehen kann. „Also, nein. Ich hätte mich gerne noch umgezogen, aber es war leider nicht möglich, vorher noch ins Hotel zu fahren“, gestehe ich, weil ich keine Ahnung habe, wie ich meinen freizügigen Look sonst rechtfertigen soll. „Warum nicht? Ihr wart schließlich zwei Stunden zu früh hier. Genug Zeit wäre gewesen“, entgegnet Frau Kido, was mich überrascht aufsehen lässt. Dann schiele ich zu Tai rüber, der sich auf seinem Platz prächtig zu amüsieren scheint. Dieser hinterhältige Mistkerl! Er hat mich von vorn bis hinten angelogen! Die Blicke aller haften mal wieder auf mir und sie erwarten eine Erklärung für das hier. „Mein Hotel ist leider abgebrannt“, schießt es mir durch den Kopf und ehe ich die Lüge überdenken kann, ist sie auch schon ausgesprochen. Erschrocken sieht mich Frau Kido an. „Oh mein Gott, wie bitte? Das ist ja entsetzlich“, entrüstet sie sich und ich beschließe mit einzusteigen. „Oh jaaa, das ist es wirklich. Es ist nicht das ganze Hotel abgebrannt, nur die oberen Etagen und dann hatten sie kein Zimmer mehr für mich. Es war also nicht möglich, mich vor meiner Ankunft noch umzuziehen. Und wenn Sie sich wundern, warum meine Kleidung so knapp geschnitten ist: meine Mutter ist schuld. Ich habe ihr schon so oft gesagt, sie soll die Finger von meinen Klamotten lassen. Diese Frau hat wirklich viele Talente, aber Hausarbeit gehört nicht dazu. Sie hat meine Wäsche gewaschen und die Sachen sind alle eingelaufen. Sie müssten mal meinen Koffer sehen – nur Kindergrößen, überall. Nichts passt mehr richtig. Es ist schrecklich!“ Wow. Jetzt habe ich ihnen aber ein Märchen aufgetischt, astrein! Frau Kido sieht mich leicht irritiert an und weiß nicht so recht, was sie dazu sagen soll, so wie alle anderen auch. Doch plötzlich fängt der alte Kido an zu lachen. Er lacht so laut, dass ich regelrecht davor erschrecke und mich frage, ob noch derselbe Mann wie eben vor mir sitzt, der mich wie ein Adler mit seinen Blicken durchbohrt hat. Außer ihn lacht niemand, weil sie wahrscheinlich alle gemerkt haben, dass diese Geschichte unmöglich stimmen kann, aber er hört einfach nicht auf. Alle starren ihn an, als hätte er den Verstand verloren, besonders Joe, der aussieht, als würde er nicht wissen, ob er wach ist oder träumt. „Köstlich“, lacht er und hält sich den runden Bauch. „Sehr erfrischend, ich muss schon sagen, Fräulein Tachikawa.“ Ich grinse unsicher. „Ich sagte doch, nennen Sie mich einfach Mimi.“ „In Ordnung“, sagt er und beruhigt sich allmählich wieder, ehe er sich von seinem Platz erhebt. Seine Frau und ich stehen ebenfalls auf. „Es kommt gar nicht in Frage, dass du in einem Hotel übernachtest. Du wirst hier wohnen. So können wir dir dabei helfen, dich wieder mit den japanischen Bräuchen vertraut zu machen“, eröffnet er mir schließlich und ich schlucke schwer. Hier schlafen? Hier leben? In diesem Haus? „Traditionen sind uns sehr wichtig, Mimi. Aber das weißt du sicher. Die Etikette muss unter allen Umständen gewahrt werden. Joe? Du hilfst ihr dabei, sich hier einzuleben und sich wie eine zukünftige japanische Ehefrau zu verhalten“, ordnet er an, woraufhin sein Sohn sofort aufspringt und sich verbeugt. „Natürlich, Vater.“ Zweifelnd beobachte ich ihn. Gott, was für ein Schoßhündchen. „Kaori, meine Schwiegertochter kann dir ebenfalls behilflich sein. Ihr habt 2 Monate, dann wird die Verlobungsfeier sein. Bis dahin müssen wir aus Mimi eine vorzeigbare, elegante Frau machen, das erwartet die Gesellschaft von uns. In 4 Monaten wird die Hochzeit stattfinden.“ Frau Kido klatscht plötzlich in die Hände und grinst übers ganze Gesicht, während ich wie angeschossen dastehe. „Heißt das etwa … heißt das …?“ „Herzlichen Glückwunsch, zukünftige Schwiegertochter. Du wirst in unsere Familie einheiraten. Joe wird dein Ehemann werden und ihr werdet ein wunderschönes Paar abgeben“, schließt Herr Kido seinen Vortrag ab. Ich kanns nicht fassen. Ich habe es geschafft! Ich werde Joes Frau, das ist unglaublich! Gott, ich muss sofort meine Eltern anrufen. Ich würde dem alten Herrn am liebsten um den Hals fallen, aber diesmal halte ich mich zurück und verbeuge mich stattdessen nur. Joes Eltern verlassen das Zimmer und lassen uns allein. Kurz legt sich Stille über uns, bis Joe mit einem leisen Lachen das Schweigen bricht. „Ich glaube, ich habe meinen Vater seit mindestens 10 Jahren nicht mehr lachen sehen. Ich wusste gar nicht, dass er das noch kann“, sagt er. Ich zwinkere ihm zu. „Gern geschehen.“ „Ich hoffe, dein Hotel ist nicht wirklich abgebrannt.“ „Nein“, antworte ich und sehe betreten zu Boden, doch dann zeige ich mit dem Finger auf den Verräter hinter ihm. „Das ist alles seine Schuld!“ „Seine?“, fragt Joe und sieht nun ebenfalls zu Tai, der inzwischen gar nicht mehr grinst. Die Freude ist ihm anscheinend vergangen. „Ich habe da wohl was falsch verstanden und mich in der Uhrzeit vertan, tut mir leid.“ „Du lügst doch“, unterstelle ich ihm, aber er geht gar nicht weiter drauf ein. „Wie gesagt, mein Fehler.“ „Na, wie auch immer“, meint Joe und will das Thema anscheinend ruhen lassen. Aber ich bin immer noch wütend. „Ich freue mich darauf, dich bald näher kennenzulernen, Mimi.“ Joe klingt aufrichtig, was es mir leichter macht, ihm ein ehrliches Lächeln zu schenken. „Leb dich erst mal in Ruhe ein. Ich werde versuchen, mir ein paar Tage frei zu nehmen, um dir mehr über die Traditionen meiner Familie zu erzählen, damit du gut vorbereitet bist. Fühl dich hier ganz wie zu Hause.“ Joe macht eine tiefe Verbeugung und wie auf Kommando kommt eine Bedienstete herein, die mich auf mein Zimmer begleitet. Oben angekommen, stehen meine Koffer bereits in dem riesigen Gästezimmer mit eigenem Bad und großen Himmelbett. Ich gehe zum Fenster und werfe einen Blick auf den großen Garten, wo sicher im Sommer viele Feste und Feiern stattfinden. Dann gehe ich ins Badezimmer, um mich frisch zu machen und um mich ein wenig einzurichten. Nachdem ich meine Koffer ausgepackt habe, setze ich mich müde aufs Bett und starre ins Leere. Es ist so ruhig hier und doch kann ich jetzt nicht schlafen. Alles ist noch so ungewohnt und fühlt sich fremd an. Mein neues zu Hause. Wie merkwürdig das alles einfach ist. Schlagartig bekomme ich Heimweh. Am liebsten wäre ich jetzt zu Hause, bei meiner Familie und würde mit ihnen essen und reden, ohne dabei über Geldschulden und irgendwelche arrangierten Ehen zu sprechen. Ich seufze. Dieses verlogene Theater hat mich alle Kraft gekostet. Wie soll ich das die nächsten 4 Monate durchstehen? „Das war wirklich bühnenreif“, höre ich eine Stimme sagen und fahre erschrocken zusammen. Tai lehnt im Türrahmen, die Arme vor der Brust verschränkt und durchbohrt mich mit seinen braunen Augen. „Schon mal was von Anklopfen gehört?“, entgegen ich unfreundlich. „Schon mal was davon gehört, dass man nicht lügen darf?“, kontert er, doch ich verziehe keine Miene, sondern stöhne stattdessen genervt auf. „Sag mir nicht, du wohnst auch hier. Wer bist du überhaupt? Gehörst du zur Familie?“ „Das wüsstest du wohl gern.“ Vollidiot. „Schön, dann eben nicht.“ Ich stehe auf, gehe zu meinem Kleiderschrank und tue so, als hätte ich dort irgendwas zu tun. Ich bin nicht daran interessiert, mich weiter mit diesem Verräter zu unterhalten. Was hat er eigentlich gegen mich? „Ich weiß genau, dass du Joe nur heiraten willst, um an sein Geld zu kommen“, wirft er plötzlich in den Raum und ich halte kurz in meiner Bewegung inne. Dann mache ich unbeirrt weiter und sortiere ein paar Sachen. „Bei arrangierten Ehen spielt Geld immer eine Rolle“, antworte ich unbeeindruckt. „Hab ich gehört“, sagt Tai und ich frage mich, ob er nun endlich einen Fuß in mein Zimmer setzen wird oder da weiterhin dumm rum steht, wie der ungebetene Gast, der er nun mal ist. „Trotzdem. Ich bin zwar Joes Assistent, aber in dieser Angelegenheit bin ich vor allem sein Freund und ich werde es nicht unterstützen, dass er eine fremde Frau heiratet, die ihn nach der Hochzeit ausnimmt wie eine Weihnachtsgans.“ Okay, das reicht. Wütend schlage ich den Schrank zu. „Ich denke nicht, dass du in der Sache was zu melden hast. Außerdem hast du Dr. Kido gehört. Die Verlobung ist beschlossene Sache, also … was willst du dagegen machen?“ Wir beide funkeln uns an und mir ist klar, dass ich Tai gegen mich habe und dass ich verdammt aufpassen muss, dass er meine Pläne nicht durchkreuzt. Dann, völlig unerwartet, legt sich ein schiefes Grinsen auf seine Lippen. „Mach dich nicht lächerlich. Wir wissen beide seit der ersten Sekunde, dass du so gut in diese Familie passt, wie ein Paradiesvogel in einen Käfig. Du wirst niemals eine traditionelle, japanische Ehefrau.“ Dann hebt er die Hand zum Abschied und stößt sich vom Türrahmen ab. „Ich wünsche dir schöne Tage bei den Kidos. Genieß es, solange du noch kannst.“ Ich stürme nach vorne und knalle die Tür hinter ihm zu. Soll er sich doch verpissen! Was weiß er schon? Ich werde das schon packen, das steht fest. Ich habe gar keine andere Wahl als genau das zu werden, was sie von mir verlangen. Aufgeben ist keine Option! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)