Eren von tears-girl (Geheimnisse der Turanos) ================================================================================ Kapitel 59: Eskalation ---------------------- Ein plötzlicher Schmerz in seinem Flügel lässt ihn scharf die Luft einziehen. Er taumelt, verliert den Rhythmus und kracht zu Boden. Lange bleibt er allerdings dort nicht liegen. Wütend springt er auf die Füße und begutachtet seinen rechten Flügel, dessen Haut drei fingerlange blutende Löcher aufweist, die mit Sicherheit vorher nicht da waren. Zornig sieht er sich nach dem Übeltäter um, Flammen züngeln wieder an seinen Armen empor. Es ist nicht schwer zu erraten, wer der lebensmüde Angreifer war: Ajax steht auf der Terrasse. Er hält mehrere Shuriken zwischen den Fingern und neben ihm liegen zwei Gewehre.   „Bist du jetzt ein Ninja oder was?“, knurrt der Dämon auf dem Weg zu seinem ehemaligen Bruder. „Ich hätte wissen müssen, dass dich so ein kleiner Kratzer nicht kampfunfähig macht. Das ist gut, vielleicht wird es dann doch noch interessant mit dir.“   „Behaupte doch was du willst. Wir werden Eren zurückbekommen“, entgegnet Ajax überraschend ruhig.   „Und dann? Löscht ihr ihm wieder das Gedächtnis, damit er weiterhin eure kleine, brave Marionette bleibt?“, faucht er aufgebracht. „Darauf haben wir keine Lust mehr!“   „Du bist Eigentum von Turano Industries. Genau wie der Engel. Genau wie Eren.“ Der junge Mann wirft alle Shuriken auf einmal auf den Dämon, der sie ohne viel Aufwand mit seinen Schattenkugeln abfängt und auf halber Strecke zum Explodieren bringt.   „Ich bin niemandes Eigentum!“, brüllt er wütend, während er blind auf Ajax zustürmt.   „Ajax!“, ruft Turano von seinem Versteck aus, hat aber nicht vor selbst einzugreifen. Ohne Waffen und Kräfte wäre das glatter Selbstmord. Es bleibt ihm nichts Anderes übrig, als seinem Stellvertreter die Sache anzuvertrauen. Plötzlich fällt sein Blick auf einen der toten Männer nicht weit von ihm entfernt. Oder doch nicht?   Ajax´ Mundwinkel zucken leicht. „Als Dämon hast du deine Gefühle noch weniger unter Kontrolle wie sonst.“ Blitzschnell hat er die Waffen zur Hand und zielt damit auf den Jungen, der trotzdem auf ihn zurast. „Wie gut, dass ich dir das noch nicht gänzlich abtrainieren konnte.“   Als Ajax den Abzug drückt und den Kugelhagel auf Eren loslässt, wird dieser zum Stehenbleiben gezwungen, um mit einem Feuerschwall aus beiden Händen zu kontern. Dabei knirscht er wütend mit den Zähnen und wartet darauf, dass die Schüsse verstummen. Keine einzige Kugel schafft es durch sein Feuer, aber dennoch spürt er plötzlich einen stechenden Schmerz im Rücken. Mehr erschrocken, als dass es wirklich wehtut, obwohl die Wunde blutet und der schwarze Mantel an der Stelle noch dunkler wird, dreht er den Kopf nach dem neuen Gegner um, ohne seine Feuerwand abzubrechen. Als er den Täter entdeckt, muss er amüsiert schmunzeln.   Nicht weit von ihm entfernt steht ein ziemlich zittriger Benedikt Turano, eine Pistole in der Hand und eine lustige Mischung aus Entsetzen, Angst, Wut und Unglauben auf den Gesichtszügen. „G-Gib meinen Sohn frei!“   „Na sieh mal einer an. Das ist das erste Mal, dass du selbst etwas unternimmst, nicht wahr? Wie fühlt es sich an, auf deinen Sohn zu schießen und ihn bluten zu lassen?“, fragt der Dämon giftig. Dabei spuckt er das Wort Sohn aus, als wäre es die größte Beleidigung der Welt.   Turano antwortet nicht. Seine einzige Reaktion besteht daraus, dass er noch stärker zittert und die Pistole fallen lässt. „Eren …“   „Wie erbärmlich“, kommentiert der Junge. „So jemand will der Oberchef zweier Firmen sein, von denen eine hauptsächlich Attentate übernimmt? Echt jämmerlich.“   „Hey, hier spielt die Musik!“ Mit diesen Worten zieht Ajax nicht nur die Aufmerksamkeit des Dämons auf sich, er nutzt den Moment ebenfalls dazu, einen Dolch im Magen seines überrumpelten Gegners zu versenken.   Abrupt erlöschen die blauen Flammen. Mit großen Augen betrachtet er den Dolch, als würde er überlegen, ob er wirklich in seinem Bauch steckt. Dass die Schüsse aufgehört haben, hat er gar nicht mitbekommen. Trotzdem, wie ist Ajax so schnell zu ihm gekommen?   „Du bist zu unaufmerksam“, beantwortet er seine unausgesprochene Frage, zieht den Dolch heraus und sticht erneut zu, sodass der Dämon schwarzes Blut spuckt. „Verschwinde. Gib uns Eren zurück.“   Der Dämon lacht. Er lacht nur, was die beiden Männer sichtlich irritiert und Ajax alarmiert die Augen verengen lässt.   „Glaubt ihr echt, ich bin so leicht zu besiegen? Dann seid ihr noch dämlicher, als ich dachte.“ Er lacht zwar immer noch amüsiert, aber sein Blick, mit dem er Ajax fixiert, ist mörderisch. „Wie gesagt, ich bin stärker als Eren. Ich halte mich nicht zurück.“   Das Feuer entfacht sich erneut, diesmal steht sein gesamter Körper in Flammen, ohne ihn selbst zu verletzen. Der flackernde Schein gibt seinem Gesicht eine unheimliche Fratze. Ajax ist gerade noch im Stande, die Warnung zu erkennen und von dem Dämon zurückzuspringen, bevor das Feuer auch ihn erfassen konnte. Schützend nimmt er wieder seine Position vor Turano ein.   Unbeeindruckt zieht der Dämonenjunge den Dolch aus seiner Magengrube und wirft ihn achtlos beiseite. Dass dadurch die Wunde nur stärker blutet nimmt er gar nicht wahr. Mit einem überlegenen Schmunzeln sieht er zu seiner ehemaligen Familie, die fieberhaft nach einer Lösung sucht. Mittlerweile hat er zwei Kugeln eingesteckt, zwei Stiche eines Dolches und drei Löcher im rechten Flügel und dennoch steht er aufrecht in Flammen gehüllt und lacht.   „Ich weiß, ich wiederhole mich, aber netter Versuch. Mit so kleinen Verletzungen werdet ihr Eren nie zurückbekommen“, höhnt er. „Wie auch immer, so langsam langweilt ihr mich. Wollen wir das beenden? Es warten nämlich noch andere darauf, meine Bekanntschaft zu machen.“   Ajax´ Gesicht verfinstert sich. Er erträgt nicht mal den Gedanken, eine Niederlage einstecken zu müssen. So leicht gibt er sich aber auch noch nicht geschlagen. Laut genug, sodass ihn alle noch lebenden Wachen im Umkreis hören können, gibt er den Befehl: „Worauf wartet ihr noch?! Schießt endlich!“   Da Ajax keine Sekunde daran glaubt, dass sie den Dämonenjungen wirklich tödlich treffen würden, spart er sich die Erwähnung, ihn nur bewegungsunfähig zu machen. Der Dämon wirbelt auf der Stelle herum, einen ganzen Schwarm an Schattenkugeln umkreist ihn mit denen er die zunächst vereinzelten, zögerlichen Schüsse abwehrt. Mit der Zeit werden es mehr, bis die verbliebenen Wachleute ihren Mut gefunden zu haben scheinen, um das Feuer auf das jüngste Turanomitglied zu intensivieren. Viele der Schattenkugeln vernichten die Angriffsversuche der Wachen, manche treffen auch den Schützen, sodass es immer weniger werden. Einfache Menschen sind keine Gegner für den Dämon.   Das war auch gar nicht Ajax´ Absicht. Er benutzt sie lediglich als Ablenkung. In der Sekunde, in der der Dämon angefangen hat, seine Aufmerksamkeit auf die Wachen zu richten, hat er sich Turano geschnappt und ist mit ihm zurück ins Anwesen gestürmt. Um ihnen mehr Zeit zu verschaffen, hat er eine Illusion von ihnen auf dem Rasen zurückgelassen. Sie wird sicher nicht reichen, um den Dämon zu täuschen, aber so haben sie ein paar Sekunden mehr Zeit.   „Ajax, was ist dein Plan?“, möchte Turano wissen, als sie sich einen Weg durch das noch immer brennende Wohnzimmer bahnen.   „Wir brauchen das AEUD-Serum. Ich hab doch gesagt, wir sollten davon auch einen Vorrat im Anwesen haben“, erklärt und wirft ihm Ajax zeitgleich vor, ohne sich zu ihm umzudrehen.   „Wir hatten aber auch nie vor, hier Verwandlungstraining abzuhalten und wenn die Male zu groß wurden, gab es ja noch immer die Zelle im Bunker. Wer hätte ahnen können, dass er ausgerechnet hinter der Couch hockt, wenn wir solche Themen besprechen?“ Wütend auf sich selbst spannt Turano den Kiefer an. „Das war leichtsinnig von uns.“   Ajax führt ihn weiter hinter das Gemälde und hinunter in den geheimen Tunnel zum Bunker, wo seltsamerweise kein Fahrzeug auf dieser Seite wartet. „Ist eine der Wachen in den Bunker geflüchtet?“   „Wenn ich herausfinde, wer das war, wird diese Person auf der Stelle getötet“, verspricht Turano. Er drückt auf den Knopf und kurze Zeit später sind sie auch schon auf dem Weg in den Bunker.   „Wir werden ihm doch das Gedächtnis löschen, nicht wahr?“, fragt Ajax nach einer Weile, während er sich notdürftig die Wunden auf seiner Brust mit dem Erste-Hilfe-Koffer im Wagen verbindet. „Du siehst ja was passiert, wenn er die Wahrheit kennt. Er ist emotional einfach zu instabil für unsere Pläne.“   Schwer seufzend sieht Turano nach vorne, wo schon das Ende des Tunnels in Sicht kommt. „Ja, das wird wohl das Beste sein.“   ~~~   Sobald der Dämon jeden Schützen erledigt hat, streckt er seine Arme nach oben, bis sie knacken. Dabei meldet sich die ein oder andere Wunde, von denen er zu seiner Schande doch ein paar von diesen nutzlosen Wachen kassiert hat. Schuld daran war seine gerissene Flügelmembran, die er ständig vergessen und sich gemeldet hat, als er in den Luftkampf wechseln wollte. Mit einem Schmollmund mustert er seine Klamotten und die Löcher darin.   „Ach, verdammt. Seht ihr, was ihr mit meinen Klamotten angestellt habt?“ Empört dreht er sich um, um Ajax und Turano den Schaden zu zeigen, doch sobald er sie erblickt, fangen seine Augen an mörderisch zu glühen. Er bemerkt sofort, dass die beiden Illusionen sind. Der Grund ist einfach, sie haben keinen Herzschlag. Seine Wut darüber explodiert wortwörtlich in Form blauer Flammen, die im Umkreis mehrerer Meter alles verbrennen, egal ob Leichen, Waffenteile oder Pflanzen.   „Sie sind abgehauen!“, brüllt er auf dem Weg ins Wohnzimmer, nachdem er draußen alles überflogen hat, was mit einem löchrigen Flügel gar nicht so einfach ist. „Wo seid ihr Feiglinge?!“   Auch im Wohnzimmer sind sie nicht, weshalb er erneut eine blaue Explosion verursacht, die einen Teil der Wände und Decke schmelzen lässt. So allmählich wäre die Sprinkleranlage mit dem Feuer klargekommen, jetzt hat sie noch mehr zu löschen. Dann fällt sein Blick auf das Gemälde, das nicht ganz auf seinem Platz hängt. Er geht darauf zu, schiebt das Bild beiseite und klettert die Leiter hinab, um sich zu vergewissern. Es ist kein Fahrzeug hier.   „So-so. Ihr seid also in den Bunker geflohen.“ Ein hochmütiges Grinsen kräuselt seine Mundwinkel. „Meinetwegen. Dann ändern wir den Schauplatz eben.“   Er wirbelt auf dem Absatz herum, steigt die Leiter wieder hinauf und verlässt das Anwesen. „Aber ich werde sicher nicht so dumm sein und in eine Falle tappen.“ Am Ende der Terrasse bleibt er stehen und sieht über den Wald und die Mauer hinweg zur hell beleuchteten Skyline von Haikla City. „Es gibt mehr als einen Weg in den Bunker.“   Der Dämon breitet die Flügel aus und schwingt sich in den Himmel. Sein Ziel ist der TuranoTower in der Stadt. Das Hindernis dabei ist nur, er hat keine Ahnung, wo genau der steht. Er kennt sich in der Stadt nicht aus und in den Bunker fährt er immer mit dem Tunnelfahrzeug. Na ja, so schwer kann ein Gebäude mit einem großen T darauf doch nicht zu finden sein. Und falls er es tatsächlich nicht finden sollte, macht er einfach die gesamte Stadt dem Erdboden gleich.   Mit diesem Plan im Kopf steigt er höher, um einen guten Überblick über Haikla City zu haben. Der Wind pfeift um seine Ohren, zerrt an seinen Haaren und lässt den Mantel flattern. Es ist das erste Mal, dass er die Stadt aus der Vogelperspektive sieht, was die Suche nicht unbedingt vereinfacht. Außerdem erkennt er aus der Wolkenhöhe nur ein typisches Stadtlabyrinth aus Straßen, Fabriken und Wolkenkratzern. Aber kein T. Deshalb und weil diese Höhe und Kälte seinem verwundeten Flügel gar nicht guttut, gleitet er tiefer und beschließt die Taktik zu ändern. Er wird wohl doch die Stadt strategisch absuchen und Pausen einlegen müssen, um nicht zu riskieren, irgendwann abzustürzen.   Mit lodernden Augen sieht er zu den schwerfälligen Bewegungen seiner Schwingen und wünschte - auch wenn er es niemals vor dem Engel oder Eren zugeben würde - er hätte in dieser Gestalt dieselben starken Heilkräfte wie der Engel. Aber da er das nun mal nicht ändern kann, bleibt ihm nichts Anderes übrig, als vor sich hin fluchend den TuranoTower zu suchen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)