Der Fund von Arcturus ================================================================================ VI -- „Wir sollten ihn Beule nennen“, sagte Jesper später, während er seinen W20 ein letztes Mal ins Kerzenlicht hielt und die glitzernden Ziffern betrachtete. „B für Bär und eule für, ach, du weißt schon.“ Wylan seufzte. Da hatte er ja etwas angestellt. Und das nur, weil er sich darauf eingelassen hatte, die Nat1 auszuspielen. „Wir wissen noch nicht einmal, ob wir ihn adoptieren werden, Jes.“ „Er hat dich angepickt.“ Über seinen Würfel hinweg zwinkerte Jesper ihm zu. „Du gehörst dem Kleinen quasi!“ Eigentlich mochte Wylan die Ruhe nach einer Session, die auf den Abschied der anderen folgte. Nur er, Jesper, und der Salon, der für den nächsten Tag wieder - ja, salonfähig gemacht wurde. Heute jedoch? Er rieb sich über die Schläfen und murrte: „Ich dachte, wir wollen ihn adoptieren, nicht umgekehrt.“ Heute jedoch wünschte er sich, dass zumindest Colm sich noch nicht zur Nachtruhe verabschiedet hätte. Oder Inej zufällig etwas vergessen hatte und just in diesem Moment wieder lautlos zur Tür hereinkam, um Jespers Enthusiasmus über Beule zu unterbrechen. Aber nein. „Also wollen wir ihn adoptieren.“ Grinsend ließ Jesper seinen Würfel zu den anderen in ein Ledersäckchen fallen. „Das habe ich nicht–“ Wylan stützte die Arme auf den Tisch und starrte seinen Freund finster an. „Jes!“ Zur Antwort lachte Jesper nur. Ergeben hob er die Hände. „Schon gut. Schon gut! Ich weiß sowieso noch nicht, welche Vorstellung mir mehr Angst macht. Dass Kaz nein zu Beule sagt oder dass er ja sagt.“ Sie tauschten einen Blick und seufzten schließlich zusammen auf.  „Dass er ja sagt“, sagte Jesper. „Dass er ja sagt“, stimmte Wylan zu. Einen Moment lang schwiegen sie beide. Wylan nutzte die Gelegenheit, um sich wieder dem Aufräumen zuzuwenden. Behutsam griff er nach der Höhlenkarte und rollte sie zusammen.  „Vielleicht sollten wir einfach abwarten“, sagte er, während er nach einem Band fischte, um die Karte zu verschließen. „So, wie Inej vorhin klang, stehen die Chancen gut, dass er noch vor der nächsten Sitzung selbst in diesem Kanal landet, über den er seine Zwischenhändler so gerne hält.“ Jesper prustete. „Ich glaube, als Inej von Teamstärkungsmaßnahmen sprach, meinte sie das anders.“ „Ja, aber da hat er sich auch noch blicken lassen“, hielt Wylan dagegen. „Vielleicht sollten wir einfach Nina rekrutieren.“ „Nina.“ Auf der anderen Seite des Tisches zuckte Jesper mit den Achseln. „Zumindest wäre unsere Abenteurertruppe wieder vollständig. Außerdem könnten Kaz und Inej sich dann offiziell nach den Sessions treffen. Ohne, dass er sich davor von seiner sozialen Seite zeigen muss.“ „Schon.“ Wylan legte die Karte beiseite. Er blickte auf. „Aber wie stellst du dir das vor? Sollen wir einen Brief nach Ravka schicken? Euer Majestät, bitte sendet Nina Zenik zurück nach Ketterdam. Wir benötigen unsere Hexe, um Kerker und Katastrophen zu spielen. Grüße und Küsse?“ Jesper zuckte mit den Achseln. „Warum nicht? Ich meine, was ist das Schlimmste, das passieren könnte? Dass Nikolai Blut leckt und sie für seinen eigenen Tisch anwirbt?“ Er stockte. Statt nach dem Regelwerk zu greifen, das Colm hatte liegen lassen, ließ er die Hand sinken und starrte Wylan an. „Urgh, nein. Du hast recht. Besser nicht.“ Wylan nickte klamm. So wenig er Nikolai auch kannte, eines war ihm doch klar: Wenn irgendein Zar von Ravka etwas von Teamstärkungsmaßnahmen hielt, dann er. Und wenn nicht er, dann einer seiner Generäle. „Ich meine, wir können ihr trotzdem schreiben“, schlug er vor. „Ich bin mir sicher, die Idee wird ihr gefallen.“ „Natürlich wird sie das“, sagte Jesper im Brustton der Überzeugung. „Verdammt, die Idee gefällt ja sogar mir. Ich bin immer noch überrascht, wie gut euer Plan aufgegangen ist.“ Wylan erstarrte. „Unser was?“ „Jetzt tu nicht so.“ Jesper schnaubte, aber er klang nicht verärgert dabei. „Wir wissen alle, dass ihr mich in erster Linie deshalb zu Kerker und Katastrophen eingeladen habt, um mich von den Spielhallen fernzuhalten.“ „Wir spielen Kerker und Katastrophen nicht nur, um dich von irgendwelchen Spielhallen fernzuhalten.“ „Bingo. Nicht nur.“ Jesper schenkte ihm ein Grinsen, während er die Würfelsäckchen zusammensammelte. „Weißt du, was das Gruselige daran ist? Es funktioniert. Und zwar erschreckend gut. Es macht mir Spaß. Und damit meine ich nicht nur die Sessions selbst.“ „Heißt das, dass du dich spätestens morgen Abend wieder in deinem Arbeitszimmer verkriechen wirst, um die nächsten Miniaturen zu machen?“, fragte Wylan und warf Jesper unter hochgezogenen Augenbrauen einen herausfordernden Blick zu. „Ja.“ Jesper strahlte förmlich. „Vater hat mir vorhin das Monsterhandbuch in die Hand gedrückt. Ich soll mich austoben, hat er gesagt.“ Wylan riss gespielt-schockiert die Augen auf. „Muss ich Angst haben?“ „Du? Nein“, flötete Jesper und tätschelte ihm aufmunternd die Schulter. „Pax? Oh ja.“ „Jes!“ Sie tauschten einen Blick, dann lachten sie beide. „Hey“, sagte Jesper schließlich, „willst du mitkommen? Wir könnten uns gemeinsam verkriechen.“ „Wirst du dann überhaupt noch dazu kommen, an irgendwelchen Miniaturen zu arbeiten?“ „Vielleicht.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)