Auf den eisigen Straßen von Severodvinsk von Nesuki ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Yuriy war erschöpft... und verzweifelt. Ihm war kalt und er war allein. Seit seine Mutter nicht mehr da war, lebte er mit seinem Vater allein. Das einst harmonische Familienbild von damals verblasste allmählich in seiner Erinnerung. Mittlerweile war ihm fast so, als wären es die Erinnerungen eines Anderen. Wie so oft war er weggeschickt worden, um etwas Essen und Alkohol zu besorgen. Oder besser gesagt: Zu stehlen; denn Geld hatten sie nie. Sein Vater war dem Suff verfallen und verließ kaum die kalte, zugige Wohnung, in der es schon lange keinen Strom mehr gab. An diesem rauen Novembertag fegte ein erbarmungsloser Wind durch die Straßen Severodvinsks, welcher durch die Löcher seines viel zu großen, alten Parkas pfiff. Er hatte den Stoff enger um seinen mageren Körper geschlungen und die Vodka-Flasche fest an sich gepresst während er die Straßen entlang hastete. Unter den wachen Augen des Ladenbesitzers hatte er zwar nicht auch noch etwas zu Essen mitgehen lassen können, doch lieber hungerte er, als seinem Vater ohne den Sorgenbrecher unter die Augen zu treten. Er bog mit dem Diebesgut in eine schmale Seitengasse ein, rutschte dabei auf den glatten Pflastersteinen aus und fiel. Seine Ellbogen schmerzten vom Sturz, mehr noch schmerzte allerdings der Anblick der Scherben vor ihm auf dem Boden. Die Flasche war zu tausend Teilen zerbrochen und der Inhalt lief in Rinnsalen durch die vor Eiskristallen glitzernden Fugen des Untergrunds. Was sollte er nun tun? Er konnte nicht mit leeren Händen nach Hause zurückzukehren. Er wusste, wozu sein Vater in der Lage war. Was er nicht wusste, war, wohin er sonst gehen sollte. Verzweifelt ließ er sich zwischen zwei Mülltonnen zu Boden sinken und sah durch seine wässrigen Augen den ersten Schnee dieses Winters fallen. Als seine Mutter ihn und seinen Vater zurückließ, hatte er sich fest vorgenommen, stark zu bleiben. Trotz all der körperlichen und seelischen Angriffe seines Vaters hatte sich versprochen, nicht zu weinen. Dieses Versprechen brach er heute. Heiße Tränen liefen ihm über die kühle Haut die Wange hinab. Er konnte einfach nicht mehr weiter. Aus dem Augenwinkel bemerkte er eine Silhouette, die sich zu ihm in die Gasse hinein schob. Dann hörte er eine junge, fremde Stimme sagen: "Hey, ist alles ok?" Als daraufhin nach kurzer Zeit keine Antwort kam, ergriff der andere Junge wieder das Wort: „Mann, du siehst übel aus... Ich heiße übrigens Boris!“ Der Rothaarige schaute nun zum ersten Mal zu seinem Gegenüber hinauf. Er war in etwa im gleichen Alter wie er selbst, ein kleines Stück größer gewachsen vielleicht, und trug silbriges Haar. „Tzes, Geschniegelt siehst du auch nicht grade aus...“ spottete Yuriy und richtete seinen Blick wieder geradeaus. Boris schaute daraufhin an sich herunter und strich mit den Handflächen über seine dreckige Jacke, so als ob das irgendetwas an dem ärmlichen Zustand seiner Kleidung ändern würde. Er lehnte sich an die Hauswand gegenüber Yuriys und steckte die Hände in die Taschen. Er zögerte kurz bevor er fortfuhr: „Da ist so ein Laden in dem sie Jungs aufnehmen. So welche wie du und ich! Da soll's was zu futtern geben und wohnen kann man da auch. Hab ich gehört. Soll so eine Art... Sport-Förderungsprogramm sein. Da will ich hin...“ Gespannt blickte er zu Yuriy und wartete auf eine Reaktion. „Vielleicht kommst du ja mit? Dann muss ich nicht alleine gehen...“ Boris trat zu ihm herüber und reichte ihm die Hand. „Sieht nicht so aus, als hättest du heute noch was Besseres vor, oder? “ Aus Yuriys Zwiespalt wurde Entschlossenheit. Er wischte sich mit dem Handrücken die Wangen trocken, nahm Boris' Hand und stand auf. „Okay“ sagte er „Wo ist dieser Laden?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)