Nadira von Amalia-chan (und das Erbe der Finsternis) ================================================================================ Prolog: Das ungeschriebene Naturgesetz -------------------------------------- Spärlich warfen die flackernden Laternen ihr Spotlight auf das dunkle Kopfsteinpflaster. Die Feuchtigkeit des vergangenen Tages hing immer noch in der Luft und legte ihre schweren Nebelbänke über die düsteren Strassen der Metropole. Tief im Schatten einer kleinen Seitengasse verborgen vermischte sich ein dünnes Rinnsal aus tiefem Rot mit dem ockerfarbenen Schlick und Matsch, den der Regen aufgeschwemmt hatte. Kräftiges Waldgrün floss in geschmeidigen Wellen über den Dreck des Pflasters. Leises Wimmern verflüchtigte sich im Dunst der Finsternis. Zittrig entwich dem hellen Fleisch allmählich alle Farbe und pulsierte in dem blassen Alabaster direkt daneben. Zierliche Hände von edlen Rüschen umschmeichelt hatten das hautfarbene Fleisch in ihrem erbarmungslosen Griff. Tief bohrten sich die messerscharfen Krallen in die zarte Haut, während hellbraune Kringellöckchen den Anblick auf die erschrockene Totenmaske verwehrten. Einzig der rabenschwarze Schopf lag bebend in den zierlichen Armen, als ein Ruck durch den Körper ging. Ein letztes Aufbäumen. Da ließ die schlanke Frauengestalt von ihrem Opfer ab und der Rumpf sackte leblos in sich zusammen. Schlaff lag er unbeachtet in der anmutend zärtlichen Umklammerung, als die Angreiferin den Blick vor sich hob. Tiefes Rot tropfte auf die alabasterfarbenen Brüste, die sich vor Erregung heftig gegen das straffe Mieder drängten und befleckte das goldene Amulett, welches im Fokus eines weit aufgerissenen, tiefblauen Augenpaares lag. „Trinke niemals vom Tod“, lenkte das flackernde Augenpaar dann auf die rotumrandeten Lippen, über die sich immer noch die scharfen Eckzähne spannten. Wild sprangen die hellblonden Löckchen auf und ab, als ihre Besitzerin zustimmend nickte. Sorgsam wurde der leblose Rumpf dann aus der tödlichen Umarmung entlassen, während das große Augenpaar neugierig über die aschfahle Haut glitt. Dann beorderte das seidige Rascheln des aufgebauschten Stoffes diesen wieder hin zu der zierlichen Frau ihr gegenüber. Die augenscheinlich Ältere erhob sich in einer katzenartig geschmeidigen Bewegung und streckte den zarten Arm nach dem blonden Mädchen aus, das erstarrt im Halbdunkel unter der Laterne stand. Einen letzten Blick warf sie dann doch noch auf den regungslosen Leichnam, da brach auch schon ausgelassenes Gackern durch die Stille der Nacht. Erschrocken wandte sich die Ältere sofort um und fand sich konfrontiert von einer zuvor noch heiteren Gesellschaft, die umgehend verstummte und gebannt das Bild, das sich ihnen bot bestaunte. Schmerzhaft dröhnte die Stille in den Ohren des kleinen Mädchens, das angsterfüllt die Augen aufriss, als es sich der genauen Musterung der fremden Männer und Frauen bewusst wurde. Binnen Sekunden huschten die Augen der Unbeteiligten mehrmals von ihr zu dem Leichnam über die Ältere und wieder zurück zu ihr, ehe die Mienen der Männer sich grimmig verzogen und einer sogar umgehend ein Holzkreuz aus seinem Umhang zerrte. Das Mädchen begann zu zittern, während der zarte Rücken ihr die weitere Sicht auf das beängstigende Symbol versperrte. „Weiche von ihr, Dämon!“, spie der bullige Kerl mit dem christlichen Abbild aus. „Verschwindet und euch wird kein Leid widerfahren“, warnte die Braunhaarige in Waldgrün, während sie sich vor dem verängstigten Mädchen positionierte. „Lass das Kind gehen und wir verschaffen dir einen schnellen Tod“, forderte ein Weiterer. Besagtes Kind verfolgte die Szene konzentriert, so dass ihr der Fremde in ihrem Rücken erst auffiel, als er sie urplötzlich von hinten packte und wegzerrte. Angsterfüllt kreischte sie auf und strampelte in der festen Umklammerung. Die Ältere fuhr augenblicklich herum, fletschte die Zähne und stürmte auf den Angreifer zu. Das Folgende rann wie in Zeitlupe vor den panisch geweiteten tiefblauen Kulleraugen ab, als sie die Braunhaarige abrupt in ihrer Bewegung innehalten sahen. Ekstatisch drückte die ihre Wirbelsäule durch, als sich die stark verzerrten Gesichtszüge schmerzerfüllt verspannten. Blankes Entsetzen trat in die raubtierartigen Pupillen, als sie auf die angstgelähmt Tiefblauen trafen. Im Augenwinkel erkannte sie die hölzerne Spitze, die sich durch die zarte Erhebung ihrer Brust bohrte. Da warf die Ältere ihren Kopf in den Nacken und öffnete ihre blutunterlaufenen Lippen zu einem für die Menschen unhörbar hellen Kreischlaut, der der Jüngeren in den Ohren brannte. Erst als sich die Glut der Asche bis hinauf in ihr schmerzverzerrtes Gesicht gefressen hatte verstummte dieser, dann fiel das teure Kleid hüllenlos zu Boden, während der Staub in feinen Körnern darüber rieselte. Das blonde Mädchen hatte aufgehört sich zu wehren und hing jetzt schlaff und schockiert in den kräftigen Armen des bärtigen Mannes, der so widerlich nach Alkohol und Bordell roch. Lethargisch ließ sie sich behutsam auf ihre kleinen Füßchen stellen, während ihr Blick wie erstarrt vor sich auf dem ausgebreiteten Grün haftete. Ihre Unterlippe bebte, dennoch entrang sich ihrer zarten Kehle kein einziger Laut. Sie fuhr heftig zusammen, als sie kurz darauf eine sanfte Last auf ihrer Schulter vernahm. Dann sah sie sich warm flackerndem Braun gegenüber. „Keine Angst, petit ange“, flüsterte ihr die Schwarzhaarige mit dem tiefen Ausschnitt beruhigend zu, während ihre Hand ihr eine der blonden Löckchen zart zurückstrich. „Es ist ja vorbei.“ Das Mädchen starrte einfach nur fassungslos in das fremde Augenpaar, offensichtlich zutiefst schockiert. Immer noch zitterten ihre zarten Ärmchen, die träge an ihr hinabhingen. Einen weiteren Moment zeigte sie keine deutliche Regung, kein Anzeichen dafür, dass sie sie verstand Dann, von einem Moment zum anderen, hörte sie auf zu zittern, als sich die Kerze der Strassenlaterne im zarten Windhauch bog und ihnen ihr warmes Licht so für einen Augenblick versagte. In der kurzzeitigen Finsternis leuchteten die blauen Augen wie Saphire, welche sich urplötzlich schimmernd in die tiefe Dunkelheit in ihrem Rücken richteten, ohne einen Funken Angst darin. Irritiert kräuselte die Schwarzhaarige ihre Nase, als sie meinte, kurz zu frösteln. Das dumpfe Geräusch hinter sich bewegte sie dann dazu, verwirrt den Blick des Bärtigen zu suchen. Der starrte längst angsterfüllt und kreidebleich durch sie hindurch. Das Weiße bereits deutlich hervortretend aus seinen Augen. Schnell erhob sie sich und drehte sich mit mehr als nur einem mulmigen Gefühl um. Totenstille empfing sie, so dass selbst ihr ihr wild klopfendes Herz in ihrer Brust dröhnend laut vorkam. Ausdrucksloses Rot begegnete ungerührt ihrem ängstlich flackernden Rehbraun. Ihr Herzschlag war verstummt wie eingefroren unter den unmenschlich tiefroten Iriden. Selbst das warme Orange des Lichtspenders über ihnen schien, sobald es mit der makellos hellen Haut des Fremden in Berührung kam zu ersterben, einfach von dem kühlen Silber erstickt zu werden. Samtenes Hellblond umrahmte die engelsgleich geschmeidigen Züge des augenscheinlich jungen Mannes. Sein leuchtendes Rot hatte derweil von ihr abgelassen und huschte rasch über den leeren Stoff am Boden hin zu der Blondhaarigen, als es aus ihr herausbrach: „Der Gefallene.“ Sie erlangte wieder seine volle Aufmerksamkeit, als sich endlich der erlösende Schrei aus ihrer zarten Kehle entrang, sobald sie ihre Begleiter zu seinen Füßen erkannte. In einer unmenschlich schnellen Bewegung schlossen sich da die blassen langen Finger um den Hals der dunkelhäutigen Schönheit und beendeten den schrillen Laut in einem geräuschvollen Knacken, als das Genick wenige Zeit später unter der unnatürlichen Belastung brach. Der Bärtige war bereits auf halbem Weg davon und doch ereilte ihn das Schicksal seiner Freunde, als sich blitzartig ein Schatten aus dem Rücken des ganz in edles Schwarz bekleideten Blonden löste und ihm in atemberaubender Geschwindigkeit nachsetzte. Der erstickte Schrei erfolgte wenige Zeit später und blieb doch weitestgehend ungeachtet, als einzig das Mädchen schreckhaft zusammenzuckte. Akribisch verfolgte das fremdartig leuchtende Augenpaar die blutrote Träne, die allein und verlassen über ihre bleiche Wange perlte, während ihr tiefes Blau seinem Blick standhielt. Keine weitere Regung zeichnete sich auf beiden Mienen ab, als das leise Knirschen von der Rückkehr des Zweiten kündete. Erst da ließ der blasse Schönling von dem blonden Engel ab, die ihn aus großen Kulleraugen ansah und blickte zu dem Dunkelblonden, der aus dem Schatten in das künstliche Licht trat. „Lass uns gehen, Nadira“, beugte sich der Zweite, der in einen beigen Gehrock gekleidet war zu dem Mädchen hinab. Widerstandslos ließ sich diese von ihm auf den Arm nehmen und umschlang sogleich seinen Hals. Zärtlich wanderten die hellen Finger durch ihr lockiges Gold, während er sie behutsam vom Ort des Grauens wegtrug. „Es ist ja alles gut, Kleines“, redete er besänftigend auf sie ein und streichelte immer wieder über den zartrosa umhüllten Rücken der Jüngeren. Deren Kulleraugen lagen nach wie vor Schock geweitet auf dem Haufen Asche, der weich gebettet vom seidenen Waldgrün umgeben war. „Maman“, vernahm sie der Ältere wispern, als die Kindgestalt beobachtete, wie sich der Hellblonde in ihrem Rücken hinabbeugte und das goldene Amulett aus den Überresten fischte. Es existiert seit Anbeginn der Zeit ein ungeschriebenes Naturgesetz, dem selbst wir, die wir unsterblich sind, folgen. Wie diese ahnungslosen Menschen in dieser verhängnisvollen Winternacht in Paris, als sie einzig ein unschuldiges Kind in den gefährlichen Fängen einer furchteinflössenden Bestie der Nacht sahen. Sie hatten keine andere Wahl, als ihm zu folgen. So wie auch letztlich meine Mutter keine andere Wahl hatte. Selbst in meinen Kreisen nennen sie mich den dunklen Engel. Sehen doch auch sie das väterliche Erbe in mir. Das Erbe, das meiner Mutter in dieser Nacht zum Verhängnis wurde. Als sich die engelsgleiche Unschuld meines Vaters mit der schutzsuchenden eines Kindes paarte und in eben diesen Menschen einen uralten Instinkt aktivierte. Menschen sagen, die Zeit heile alle Wunden. Was sie damit eigentlich meinen, ist, dass sie zu wenig davon haben, um ewig zu trauern. Doch was, wenn dir die Ewigkeit gegeben ist? Wir sagen, der Schmerz eines Unsterblichen ist unsterblich… Es existiert seit Anbeginn der Zeit ein ungeschriebenes Naturgesetz. Auch wir folgen ihm. Auch wir, die wir unsterblich sind, sind den Gesetzen der Natur unterworfen. Ich kenne nur einen Einzigen, der ihnen trotzt. Den Einzigen, der sich von eben diesem Schutz nährt. Den Einzigen, dem wir alle folgen: Meinen Vater. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)