DestROYed von Platan (Side Stories: Roy) ================================================================================ Kapitel 1: [Jahr 3] Ich muss das kitten --------------------------------------- Das Stadion bebte. Pausenlos prasselten von allen Seiten begeisterte Jubelschreie auf Roy ein, jedoch galten sie nicht ihm, sondern der Siegerin: Raelene, die den Ausgang des Kampfes, drei gegen drei, augenscheinlich noch nicht richtig realisieren konnte. Goldenes Scheinwerferlicht war auf sie gerichtet und mehrere Kameras fingen den Moment live für die Zuschauer vor den Bildschirmen ein. Laute Musik dröhnte aus den Boxen in jeder Ecke des Stadions und verlieh der Szenerie die passende Dramatik. Hin und weg beglückwünschte der Moderator des heutigen Schaukampfes Raelene zu ihrem grandiosen Sieg über Roy, den sie noch dazu in seinem eigenen Revier erlangt hatte. In Claw City. Unbeholfen versuchte Raelene die Fragen des Moderators zu beantworten. Allmählich wandelte sich ihre irritierte Mimik und versprühte nun die Freude, die man von einem Sieger erwartete. Da sie aktuell noch voll und ganz im Fokus stand, rief Roy derweil Duraludon zurück in den Pokéball. Bis auch Roy einige Worte zu diesem Kampf äußern müsste, blieb ihm nur zu warten. Auf der abgedunkelten Seite des Kampfplatzes, wo es nichts zu feiern gab. Wie immer zeigte Roy sich aber über seine Niederlage gelassen und zuckte nur unbewegt mit den Schultern. Sein Smart-Rotom schwirrte um ihn herum und vibrierte dabei bereits ununterbrochen – mit Sicherheit trudelten in dieser Sekunde haufenweise Nachrichten von seinen Fans ein, mit tröstenden Worten. Mitfühlend sah Rotom ihn an und spielte einige kurze Klingeltöne ab, als wolle er mit Roy kommunizieren. Sacht klopfte Roy mit den Fingerknöcheln gegen das Gehäuse des Smart-Rotoms. „Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du mich nicht so mitleidig ansehen musst? Alles gut. Es war ein super Kampf. Solange du ein paar tolle Schnappschüsse machen konntest, haben wir auch gewonnen.“ Rotom versprühte einige Funken und sein Gesicht wirkte äußerst zufrieden, also hatte er während des Kampfgeschehens tatsächlich einige sehenswerte Fotos schießen können. Darauf war Roy schon gespannt, denn diesmal hatte er bewusst die Sicht mit einem noch dichteren Sandsturm manipuliert. Falls dabei wirklich der eine oder andere Schnappschuss aufgenommen worden war, konnte man Rotom wahrlich als genial bezeichnen. Leider war der Sandsturm nicht genug gewesen, um Raelene endlich zu schlagen. Irgendwie hatte sie schon wieder gewonnen. Einfach unglaublich. Einer der Scheinwerfer schwenkte schließlich in Roys Richtung und das Licht blendete ihn unangenehm, als es ihn einhüllte. Trotzdem grinste er unbekümmert und winkte den Zuschauern mit einer Hand zu, wofür er nun ebenfalls reichlich Applaus erhielt. Anschließend richtete er einige nette Worte an die Siegerin und lobte ihr Team, bis der Moderator zufrieden war. Bald darauf wurde das Ende der Veranstaltung angekündigt. Das Zeichen für Roy, sich vom Schauplatz zurückzuziehen. Raelene wurde noch von einigen Mitarbeitern und ein paar ausgewählten Fans eingekesselt, Roy dagegen konnte problemlos zu einem der Seitengänge laufen. Sein Smart-Rotom folgte ihm, ohne jegliche Aufforderung. Auch als er in den Schutz der Innenräume verschwand und somit nicht mehr für irgendwelche Kameras sichtbar war, blieb Roys Miene unberührt. Nach und nach ließ mit jedem weiteren Schritt der Lärm aus dem Herzstück des Stadions nach. Bald waren nur noch die hastigen Schritte einiger Mitarbeiter zu hören, die durch die Gänge liefen. Roy steuerte eine der Umkleidekabinen an und schloss bemüht leise die Tür hinter sich. Erst als er sich mit dem Rücken gegen die nächstbeste Wand lehnte, verfinsterte sich sein Gesicht schlagartig. An sich machten ihm Niederlagen absolut nichts aus, denn sie gehörten bei einem Pokémon-Kampf dazu. Wo bliebe der Reiz an der ganzen Sache, wenn man andauernd nur als Sieger hervorging? Womit er aber ein großes Problem hatte, war die Tatsache, dass er Delion nicht hatte schlagen können. Egal, wie oft er diesen herausgefordert hatte. Obendrein kam ihm dann noch eines Tages, wie aus dem Nichts, dieses zehnjährige Mädchen zuvor, eine frisch gebackene Trainerin und somit eigentlich noch eine blutige Anfängerin, und stahl ihm den Sieg gegen den einst unbezwingbaren Champ. Noch ärgerlicher war, dass Roy nun gegen Raelene jedes Mal verlor, womit sich dieser Fluch fortsetzte. Seit drei verdammten Jahren. Das kann doch einfach nicht sein! Angespannt ballte er die Hände zu Fäusten und knirschte mit den Zähnen, den Blick starr auf den Boden gerichtet. Einzig der Bildschirm von Smart-Rotom erhellte in diesem Moment den Raum ein wenig, weil Roy nicht danach war, den Lichtschalter umzulegen. In der Dunkelheit der Umkleidekabine fühlte er sich wesentlich wohler als im Schatten des Champs von Galar zu stehen. Schon wieder. Jedes Mal. Sie ist nur ein Kind! Warum gelang es ihm also nicht, sie endlich zu schlagen? So schwer konnte das nicht sein. Alles, was er wollte, war, wieder gegen Delion anzutreten und zu gewinnen. Nur ein einziges Mal. Mehr wollte er gar nicht. Sonst würde er für immer und ewig nur auf der Stelle treten, ohne sich weiterzuentwickeln. Zumindest kam es Roy so vor, als hätte er sich jahrelang umsonst abgerackert. Nach all der Zeit wollte er einfach mal etwas mehr sein. Nicht nur der angeblich stärkste Arena-Leiter, dem aber traurigerweise das nötige Etwas fehlte, um Champ zu werden. Fluchend stieß Roy sich von der Wand ab und schrie seinen Frust heraus. Etwas, das er niemals öffentlich zu tun plante – und auch nicht wollte. Wie könnten ihn diese ständigen Niederlagen gegen dieselbe Person nicht frustrieren? Jeder käme sich wie ein Loser vor, wenn man alles gab, aber nicht vorwärts kam. Wenn er wenigstens wüsste, woran es genau lag. Was für einen Fehler machte er? Nervös hatte Rotom ein wenig Abstand eingenommen und sah ihn aus sicherer Entfernung besorgt an. Außer ihm und Roys Pokémon gab es niemanden, dem er diese Seite von sich zeigte. Sie waren die einzigen, denen er vertraute. Darum entschuldigte Roy sich leise bei seinem Smart-Rotom und rieb sich mit den Fingern über die brennenden Augen. „Ich weiß, ich bin ein Idiot“, murmelte er zerknirscht. „Mir gefällt mein Posten als Arena-Leiter und ich liebe meine Fans. Ich habe echt viel Spaß bei dem, was ich tue. Aber ...“ Zögerlich schwebte Rotom wieder auf ihn zu und zog einige beruhigende Kreise in der Luft. Roy beobachtete seine Bewegungen eine Weile schweigend. Eigentlich konnte er nicht mal wirklich sagen, warum genau ihn das Ganze so mitnahm. Selbst wenn er Champ werden würde … was änderte sich dann? Hätte er mehr Fans? Aufregendere Kämpfe? Mehr Ansehen? Im Grunde hatte er das alles schon. Wollte er sich einfach nur selbst beweisen, dass er so schwierige Gegner wie Delion und Raelene besiegen konnte, wenn er sich nur genug anstrengte? „Ich bin müde.“ Seufzend griff Roy nach seinem Smart-Rotom. „Gehen wir heim. Heute werden die meisten eh nur Autogramme und Fotos von dem Champ haben wollen.“ Normalerweise ließ Roy keine Gelegenheit aus, um mit seinen Fans in Kontakt zu treten, auch nicht nach einer Niederlage. Heute kam er sich allerdings selbst zu dünnhäutig vor, ganz und gar nicht wie ein stolzer Drache. Nur ein falsches, unbedachtes Wort eines Außenstehenden könnte genügen, um ihm sein wahres Gesicht zu entlocken. Das wollte Roy um jeden Preis vermeiden. Halbherzig klopfte er sich einen Teil des Sandes von seiner Kleidung, den er aus dem Kampf mitgenommen hatte. Libelldra sollte er später ausgiebig für die heutige Leistung loben. Mit dieser meisterhaften Wetterkontrolle hatten sie sich diesmal eindeutig selbst übertroffen. Zumindest dieser Punkt sorgte dafür, dass Roys Lippen sich zu einem leichten Lächeln formten. Zu guter letzte zog er die Kapuze seiner Jacke über den Kopf. Somit hatte sein bewährter Schutzschild einen höheren Level erreicht und wirkte, hoffentlich, noch effektiver als vorher. „Das muss reichen. Richtig frisch machen kann ich mich zu Hause.“ Von Rotom folgte ein zustimmendes Surren. Daraufhin atmete Roy kurz durch, bevor er sich umdrehte und die Umkleidekabine wieder verließ. Jedes Stadion besaß mehr als einen Ein- und Ausgang. Also könnte er durch ein Hintertürchen verschwinden, ohne vorher nochmal irgendwem zu begegnen. In diesem Augenblick müssten nämlich alle eher beim Eingangsbereich beschäftigt sein, also war sein Fluchtweg gesichert. Zügig lief er durch die Gänge und tippte unterwegs auf dem Smart-Rotom herum, eine Hand in die Jackentasche vergraben. Tatsächlich brannte das Internet aktuell, was nach einem Schaukampf relativ normal war. Viele Fans lobten Roy und seine Pokémon für ihre Leistung im Kampf – er verteilte einige Likes, während er unbeirrt weiterging. Dummerweise waren auch wieder Trolle aus ihren Löchern gekrochen gekommen, mit dem Ziel, allen ihre Weltanschauung aufzudrängen. Sofort fielen Roy jene Postings ins Auge, in denen darüber diskutiert wurde, dass Raelene nur eine billige Kopie von Delion war und sie zu unrecht ihren Titel trug. Manche Aussagen klangen ziemlich gemein, selbst für Roys Geschmack. Und doch konnte er nicht anders, als sich zu fragen, ob an diesen Behauptungen vielleicht etwas dran war. Falls Raelene mit irgendwelchen Tricks arbeitete, eventuell sogar betrog, würde das alles erklären. Bevor er sich tiefer in dieses Gedankenspiel verlieren konnte, riss ihn etwas abrupt in die Realität zurück. POFF! Etwas war gegen Roy gestoßen. Der Zusammenprall war, zumindest für ihn, kaum spürbar gewesen, weshalb er irritiert blinzelte und sich umdrehte. Sofort kam es ihm so vor, als hätte jemand einen Eimer mit Eiswasser über ihn ausgeschüttet – und diese Attacke war bei Drachen sehr effektiv. Ausgerechnet der Champ, Raelene, hatte ihn soeben angerempelt, gemeinsam mit ihrem Liberlo. Statt Roy umzureißen, hatte sie der Zusammenstoß nach hinten geworden und ihnen einen kurzen Schmerzenslaut entlockt. Beide hielten sich die Nase und kniffen die Augen zusammen. Entweder war Roy so standhaft wie eine Salzsäule oder die beiden hatten etwas mehr körperliches Training bitter nötig. „Oh, na toll“, brummte Roy vor sich hin. „Was treibt ihr denn bitte hier?“ Blinzelnd hob Raelene den Kopf und kaum erblickte sie ihn, schien sie zutiefst irritiert zu sein. Vermutlich lag es an dem finsteren Gesichtsausdruck, mit dem er auf sie hinab sah. Unter seiner Kapuze müsste das aber eigentlich nur schwer zu erkennen sein, jedenfalls baute er darauf. Ausgerechnet Raelene wollte er nicht offenbaren, dass er nicht immer der unerschütterliche Drachen-Trainer war, für den ihn Galar hielt. Angespannt stellten sich der Champ und sein Partner möglichst aufrecht hin. Sofort bemerkte Roy, wie viel Sand auch noch überall an den beiden haftete. Dieses Souvenir würden sie also ebenfalls aus ihrem heutigen Schaukampf mitnehmen. „Äh, wir“, begann sie, nuschelnd, „sind auf dem Weg zum Hintereingang.“ Roy schnaubte zurückhaltend. „Wieso das? Keine Lust auf Fangejubel und Autogramme im Eingangsbereich? Du verpasst gerade garantiert ein paar geniale Schnappschüsse mit deinen Anhängern.“ „Also, ehrlich gesagt, kann ich mich daran einfach nicht so richtig gewöhnen ...“ Zu recht machte Raelene einen reumütigen Eindruck, kaum dass sie diese Worte ausgesprochen hatte. Besonders der Kontakt mit den Fans war mit das Beste, sobald man in Galar gefeiert wurde. Und genau das trat sie mit Füßen? Darüber konnte Roy nur verständnislos seufzen und zog, zur Vorsicht, die Kapuze noch tiefer in sein Gesicht. Sonst könnte sie doch noch sehen, wie der Frust ihn innerlich zerfraß. „Wow“, entgegnete Roy, sicher etwas zu abweisend. „Delion hatte damit nie Probleme.“ Seltsam erschrocken wich Raelene einen Schritt zurück. „Wie?“ „Ich meine ja nur. Macht keinen guten Eindruck, wenn der Champ sich heimlich über den Hintereingang hinaus schleicht, während einige treue Fans da draußen sicher auf ein Treffen hoffen.“ Gerade als Champ sollte sie sich mehr zusammenreißen … aber eigentlich war Roy in dieser Sekunde kein bisschen besser als sie. Schließlich plante er auch sich heimlich aus dem Staub zu machen und ließ seine Fans somit im Stich. Manche Leute warteten vielleicht schon seit Stunden vor dem Stadion, darauf hoffend, wenigstens einen kurzen Blick auf ihr Idol erhaschen zu können. Bestimmt waren sie enttäuscht, sobald sie merkten, dass weder Raelene noch Roy sich blicken lassen würden. Nun nagte das schlechte Gewissen an ihm. Sein Verhalten ihr gegenüber war nicht fair, zumal sie noch ein Kind war. Für sie musste der ganze Trubel oft etwas zu viel sein. Nicht mal Roy konnte sich davon freisprechen, dass die ganze Aufmerksamkeit am Anfang manchmal anstrengend gewesen war. Erfüllend, keine Frage, aber es konnte auch erschöpfend sein. Und wenn er sie sich etwas genauer ansah, wirkte sie tatsächlich erledigt. Roy öffnete den Mund, gewillt, sich zu entschuldigen und ihr anzubieten, gemeinsam die Kurve zu kratzen, doch sie kam ihm zuvor. „Es ist nicht so, als wäre das der einzige Grund“, warf Raelene hastig ein. „Ich bin auch total erledigt und dachte deshalb, ich gehe besser direkt nach Hause. Du hast heute echt noch härter gekämpft als sonst. Du hättest mich fast besiegt.“ Ihre Worten trafen einen extrem wunden Punkt bei ihm, schnürten ihm die Kehle zusammen. Ja, wie oft war er schon kurz davor gewesen, gegen Delion zu gewinnen? Auch bei Raelene war es schon mehrmals recht knapp gewesen. Fast hätte er gewonnen. Fast hätte sich die ganze Arbeit ausgezahlt. Fast wäre er mal nicht wieder der Verlierer gewesen. Der Versager. Fast. Fast war einfach bei weitem nicht genug. Die Atmosphäre wurde schlagartig von einem frostigen Schleier eingehüllt, der ihn selbst zu lähmen versuchte. In dieser Sekunde kam so etwas wie Hass in ihm hoch. Obwohl er Raelene regelrecht mit seinem Blick durchbohrte, konnte er selbst nicht sicher sagen, ob dieses Gefühl ihr galt oder er sich selbst gerade nicht ausstehen konnte. „Fast“, wiederholte Roy, mit knirschenden Zähnen. „Dann dürftest du gegen Delion eigentlich absolut keine Chance haben. Mysteriös, dass du ihn damals überhaupt schlagen konntest.“ Etwas in Raelene schien zu zerbrechen. Nervös zupfte sie am Zipfel ihrer Uniform herum und ließ den Blick sinken. Auch Liberlo behagte die Stimmung nicht. Er hatte längst hinter seiner Trainerin Schutz gesucht, als könnte ihn sonst eine Lawine zu Boden reißen. Falls Raelene am liebsten selbst ein Schild gehabt hätte, um sich vor Roys stechendem Blick zu schützen, versteckte sie das unheimlich gut. Wahrscheinlich war sie aber schlicht naiv. „W-wie meinst du das?“, hakte Raelene nach, richtig kleinlaut. „Das wüsstest du, wenn du dich selbst mal etwas mehr um Social Media bemühen würdest.“ In einer fließenden Bewegung warf er sein Smart-Rotom in die Luft, das anschließend zögerlich um ihn herum flog, und schob die nun freie Hand in die andere Jackentasche. „Der Großteil der Leute verlangt schon lange nach einem Rematch von dir und Delion. Viele glauben, du hättest damals unter fairen Bedingungen sicher nicht gewinnen können.“ Das hatte gesessen. Entgeistert hielt Raelene die Luft an und starrte ihn mit großen Augen an. Zitterte sie etwa? Auf einmal sah sie so ängstlich aus, dass sich jeglicher Groll in Roy in Luft auflöste. Hiermit war er eindeutig zu weit gegangen. So etwas hätte er nicht sagen dürfen. Raelene war noch so klein – sie hatte ihre Worte sicher nicht so abwertend gemeint, wie sie bei ihm angekommen waren. Rasch wandte Roy sich ab und murmelte sich selbst eine strenge Verwarnung zu. Er musste weg von ihr. In seinem jetzigen Zustand konnte er nicht mit ihr reden, ohne noch mehr Schaden anzurichten. Also schritt er zügig davon und winkte ihr über seine Schulter hinweg zu. „Vergiss es einfach!“, betonte er. „Du hast mich echt auf dem falschen Fuß erwischt, Kleine.“ Durch seine großen Schritte gewann Roy schnell den Abstand, den er benötigte. Erst als er davon überzeugt war, sich nicht mehr in ihrem Sichtfeld zu befinden, verfiel er in einen Sprint, um das Stadion endlich zu verlassen. Gerade, als er den Hintereingang erreichte, schrieb Delion ihm eine Nachricht, mit der Frage, wo er abgeblieben sei. Darauf konnte Roy aber gerade beim besten Willen nicht antworten, ohne sich direkt zu verraten. Also schnappte er sich das erste Krarmor-Taxi, das ihm ins Auge sprang, und ließ sich nach Hause fliegen.   ***   „Scheiße!“, schrie Roy aufgebracht. Seit er in seiner Wohnung angekommen war, lief er unruhig hin und her. Seine Jacke hatte er sich förmlich vom Leib gerissen und auf das übergroße Sofa im Wohnzimmer geworfen. Überfordert vergrub Roy eine Hand in sein Bandana. Er wusste, dass er Mist gebaut hatte. Deswegen vermied er es in der Regel, sich mit irgendwem zu treffen, wenn er zu aufgewühlt war. „Das ist nicht gut. Ich muss das kitten.“ Ziellos lief Roy weiter durch die einzelnen Räume, Rotom folgte ihm auf Schritt und Tritt. Seine Wohnung war sehr modern eingerichtet, obwohl das Gebäude an sich einen altertümlichen Touch besaß. Diese Gegensätzlichkeiten mochte Roy an Claw City. Es strahlte den Anmut und die Stärke vergangener Zeiten aus, blieb jedoch technisch auf dem neuesten Stand. Ähnlich war es mit seinen eigenen vier Wänden. Nur traute ihm sicher kaum jemand zu, dass er gut darin war Ordnung zu halten und regelmäßig sauberzumachen – Frauen reagierten darauf überaus positiv, was er ab und zu vielleicht mal zu seinem Vorteil nutzte. Für Einzelpersonen war die Wohnung, realistisch betrachtet, viel zu groß. Bedachte man aber, dass auch seine Drachen-Pokémon genügend Raum für sich benötigten, besaß er sogar noch viel zu wenig Platz. Zumindest in seinen Augen. Bei Möbelstücken wie das Sofa oder das Bett, auf das Roy sich im Schlafzimmer soeben seufzend fallen ließ, wählte er daher stets die Familien-und-Party-Deluxe-Edition. Immerhin wollte er seinen Pokémon die Möglichkeit bieten bei ihm zu sein, sofern ihnen danach war. Und oft wollten sie das alle gleichzeitig. „Heute ist echt kein guter Tag.“ Plötzlich leuchtete einer seiner Pokébälle auf, was ihn kurz zusammenzucken ließ. Viscogon materialisierte sich aus eigenem Willen, nur um sich direkt auf Roy zu stürzen und ihn innig zu umarmen. Das sie dabei ihren Schleim überall auf ihn verteilte, war er gewöhnt. Daran hatte er sich noch nie gestört. Vielmehr verwunderte es ihn, warum sie einfach eigenmächtig ihren Pokéball verließ. „Hey, hey~“, grüßte Roy Viscogon und tätschelte liebevoll ihren Kopf. „Was ist los? Bist du nicht noch erschöpft vom Kampf?“ Viscogon gluckste nur leise und drückte sich fest an ihm, beinahe als hätte sie Angst, er könnte sich sonst in Luft auflösen. Ein trauriges Lächeln huschte über Roys Lippen. Schon als sie noch ein kleines Viscora gewesen war, suchte sie immerzu Roys Nähe und war sehr anhänglich. Wenn sie aber sogar von selbst aus ihrem Pokéball herauskam, nur um ihn zu umarmen, bedeutete das, sie machte sich Sorgen um ihn. Seine Pokémon spürten es jedes Mal sofort, sobald seine Stimmung im Keller war. „Weißt du, eine Umarmung hab ich heute aber trotzdem nicht verdient. Ich hab etwas echt Blödes getan.“ Ohne ihn anzusehen gab Viscogon einen fragenden Laut von sich, weshalb er eine Erklärung hinzufügte. „Ich hab dem Champ Angst eingejagt. Und mich wie ein Troll aufgeführt. Du weißt schon, diese Idioten, die gemeine Dinge behaupten, nur damit andere sich schlecht fühlen und sie sich darin suhlen können.“ Roy machte eine kurze Pause. „Uncool, oder?“ Bevor Viscogon darauf etwas erwidern konnte, leuchteten auch seine anderen Pokébälle allesamt auf und einer nach dem anderen materialisierte sich auf dem Bett – das unter dem Gewicht von Duraludon, Libelldra, Tortunator, Qurtel und Brockoloss mit einem lauten Krachen in sich zusammenbrach. Erschrocken hielt Roy sich an seinen Pokémon fest, als er nach unten sackte. Stille kehrte ein. „Wow“, kommentierte er, zunächst mit trockener Stimme. Dann musste er aber lauthals lachen. „Und das war das dritte Bett diesen Monat. Das ist ein neuer Rekord!“ Amüsiert drückte Roy seine Pokémon an sich, die sich besorgt an ihn schmiegten. „Wisst ihr, das Modell hat mir eh nicht gefallen.“ Während Brockoloss schuldbewusst von den Trümmern des Bettes stieg, rückte Duraludon noch dichter an Roy heran und musterte ihn streng, ohne sich daran zu stören, dass unter ihm das Lattenrost eine Melodie der Zerstörung spielte. Dabei war Duraludon gar nicht so schwer, wie manche dachten. „Ja, ist schon gut. Ich weiß Bescheid.“ Beruhigend strich Roy über das helle Metall, aus dem Duraludon bestand. „Ihr mögt es nicht, wenn ich mich nicht mal euch anvertraue. Sorry~.“ Roy wies seine Pokémon an, ihm etwas Freiraum zu geben, damit er aufstehen könnte, und riet ihnen das gleiche zu tun. Sicher, sein Team war robust und hielt einiges aus, dennoch konnten kleine Splitter den größten Schmerz verursachen. Und er wollte nicht, dass sich jemand an den kümmerlichen Einzelteilen des Bettes verletzte. Ein wenig Vorsicht schadete nie. Da Viscogon ihn als einzige nicht loslassen wollte, hielt Roy sie fest, als er vorsichtig aufstand. „Tja, also schlafen wir heute wohl wieder auf dem Sofa.“ Seltsamerweise war das noch nie unter ihnen zusammengebrochen. Lastete auf Roy auch noch ein Fluch, der sich speziell gegen Betten richtete? Zu schade, dass die Firma, von der er das Sofa gekauft hatte, außer solchen Wohnzimmergarnituren nichts anderes herstellte. Sonst würde er glatt von ihnen sein Schlafzimmer neu einrichten lassen. „Duraludon, Libelldra, Viscogon“, sagte Roy streng, wobei er eine Hand in die Hüfte stemmte. „Ich will, dass ihr drei euch schön ausruht. Schließlich habt ihr einen harten Kampf hinter euch.“ Nach diesen Worten grinste er stolz. „Ihr wart heute übrigens echt klasse~! Macht euch keine Gedanken um mich. Ich spring schnell unter die Dusche und dann ruhen wir uns zusammen aus.“ Auf seine Ansage erhielt er zustimmende Rufe, was Roy zufrieden nicken ließ. Sobald er sich frisch gemacht hatte, konnte er sich immer noch bei seinen Pokémon ausheulen. Daran waren sie gewöhnt, sie forderten es sogar ein. Sobald sie merkten, dass er alles in sich hineinfraß, überfielen sie ihn regelrecht mit Aufmerksamkeit, wie gerade eben. Also gab es sowieso kein Entkommen. Lächelnd schüttelte Roy den Kopf und zog sein Bandana aus, das er spontan Viscogon überzog – die sich darüber sichtlich freute. „Und macht euch wegen dem Bett keine Sorgen, das ist nicht so schlimm“, betonte er, um Brockoloss zu beruhigen, der deswegen geknickt wirkte. Scheinbar dachte er, es wäre zum Großteil ihm zu verschulden, dass das Möbelstück unter ihnen nachgegeben hatte. „Wie ich schon sagte, mir gefiel das Modell eh nicht. Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe. Nächstes Mal nehmen wir dieses stahlblaue Doppelbett. Das sah cooler aus.“ Roy bat Tortunator, Qurtel und Brockoloss darum, dafür zu sorgen, dass die anderen sich wirklich ausruhten, solange er im Bad wäre. Nur mit viel Geduld und ruhigen Worten gelang es ihm, Viscogon davon überzeugen, sich kurz von ihm zu trennen, so dass er in Ruhe duschen könnte. Danach dürfte sie ihn sofort wieder für sich haben – das hatte sie letztendlich überzeugt. Auch Rotom musste für die nächsten Minuten, schweren Herzens, bei den anderen bleiben. Klar, Roy konnte nie genug Fotos von sich haben, aber unter der Dusche war sogar er mal lieber ganz gerne nur für sich. Auf dem Weg ins Badezimmer geriet er bereits wieder ins Grübeln. Was sollte er nun wegen der Sache mit Raelene machen? Eine Entschuldigung war fällig, mindestens. Nicht nur bei Raelene, sondern auch bei Delion. Schließlich hätte Roy ihn darüber in Kenntnis setzen müssen, dass er nach dem Schaukampf einfach direkt nach Hause gehen wollte. Irgendwie hatte Roy aber befürchtet, dass Delion nachhaken könnte, weshalb er sich diesmal nicht freudestrahlend auf die Fans stürzte. So wie man es von Roy gewohnt war. Dafür bräuchte er eine glaubhafte Ausrede. Während Roy duschte würde er auf jeden Fall schon mal darüber nachdenken, was wohl der beste Schritt wäre, um seine heutigen Fehler möglichst schnell zu bereinigen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)