Das Leben danach von Futuhiro (Magister Magicae 12) ================================================================================ Kapitel 7: Der große Hai ------------------------ Aufgewühlt saß Waleri in der Tiefgarage in seinem Auto, den Laptop auf dem Schoß, und suchte im Internet herum, so gut der Empfang es hier unten eben zuließ. In ihm gingen gerade die wildesten Dinge vor. Den 'Hammerhai' und Olha zu finden, war das geringste seiner Probleme. Auf der Internetseite seines Sportnahrungshandels war sein bürgerlicher Name nebst Adresse ja groß und breit im Impressum abgebildet. Die eigentliche Not bestand darin, welche Optionen Waleri jetzt noch hatte. Tolja 'der Hammerhai' Alexandrov würde nicht mit sich verhandeln lassen. Durch seine Bemühungen, einen Dachverband auf die Beine zu stellen, hatte Waleri ja selbst schon Kontakt zu ihm gehabt. Der Mann war ein Psychopath, wie er im Buche stand. Der wusste nichtmal, wie das Wort 'Fairness' geschrieben wurde. Bereits zu seinen Profisport-Zeiten hatte es die einen oder anderen Ringrichter gegeben, die sich geweigert hatten, seine Kämpfe zu schiedsrichtern. Aber seit der Hai in den illegalen Sektor ausgewichen war, musste das noch viel schlimmer geworden sein. Und er hatte inzwischen die komplette Szene unter sich, wenn Waleri mit seinen Recherchen richtig lag. Im ganzen Großraum Moskau schien kein einziger Straßenkampf mehr stattzufinden, ohne dass der Hai seine Finger dabei im Spiel hatte. Wenn er jetzt sogar Geiseln nahm, um seinen Gegnern ans Bein pinkeln zu können, dann war mit ihm definitiv nicht mehr sachlich zu reden. Die Polizei war ebenfalls keine Hilfe. Die illegalen Straßenkämpfe hatten ein bisschen Narrenfreiheit, aus verschiedensten Gründen. Viele Polizisten freuten sich, die 'schweren Jungs' in einem Auffangbecken gebündelt zu wissen, um die Szene besser im Auge behalten zu können. Einige Polizisten nahmen sogar selbst an den Kämpfen teil, denn ein besseres Training für den Ernstfall gab es nicht. Und natürlich waren auch die nennenswerten Schmiergelder ein nicht gänzlich zu vernachlässigendes Detail. Ihr Interesse an Waleri selbst, und am Verbleib seines Schützlings Vladislav, würde größer sein als ihr Interesse am 'Hammerhai'. Für einen Moment spielte Waleri gar mit dem Gedanken, ein paar alte Freundschaften aus Motus-Zeiten wieder aufleben zu lassen. Mit Cord und Third Eye beispielsweise hatte er sogar im Gefängnis noch stehenden Kontakt gehabt. Aber in dieses Leben wollte Waleri eigentlich nicht mehr zurück. Vieles deutete also darauf hin, dass Waleri nicht drum herum kommen würde, diesen Kampf tatsächlich auszutragen. Die bloße Tatsache, zu kämpfen, machte Waleri auch kein sonderliches Kopfzerbrechen. Er war fit und trainiert, er KONNTE kämpfen. Zur Not auch ohne vorherige technische oder mentale Vorbereitung. Er hätte nichtmal ein Problem damit gehabt, sich verdreschen zu lassen, wenn der 'Hammerhai' sich dann gut gefühlt hätte und seinem Gerechtigkeitsempfinden damit Genüge getan wäre. Was ihm Sorgen machte, war ein völlig übergeschnappter Gegner, der gar keine Regeln kannte und es offenbar auch nicht bloß bei 'krankenhausreif' belassen wollte. Trotz dieses unguten Gefühls von Unberechenbarkeit klappte Waleri den Laptop zu, drehte den Zündschlüssel seines Autos und rammte den Gang ins Getriebe. Am Ziel seiner Reise, kaum zwanzig Minuten später, blieb Waleri noch eine Weile im Auto sitzen. Er hielt sich am Lenkrad fest wie an einem Trainingsgerät und schaute durch die Frontscheibe auf das Gebäude vor sich. Er hatte die Adresse ins Navi eingegeben, ohne zu wissen, wohin es ihn führen würde. Mit einer Sporthalle hatte er jedenfalls nicht gerechnet. Der Gebäudekomplex vor seiner Nase umfasste eine typisch genormte Ballsporthalle, einen größeren Zuschauerparkplatz davor, sowie einen seitlichen Anbau mit Rolltoren, von dem Waleri nicht recht wusste, ob es eine große Garage oder eine kleine Lagerhalle darstellen sollte. Die winzigen Fenster unter dem Dachsims waren vergittert, damit man beim Ballspielen nicht die Scheiben zerschoss. Waleri spielte noch einen Moment unschlüssig mit der Zungenspitze an seinen Schneidezähnen herum, dann zog er irgendwann den Zündschlüssel ab und stieg aus seinem Auto aus. Es half ja nichts. Mit den Händen in den Hosentaschen steuerte er zunächst direkt auf das Hauptportal der Halle zu, denn andere Türen sah er auf die Schnelle nicht. Der Eingang war zwar versperrt, aber da er direkt daneben eine Klingel sah, betätigte er diese einfach mal. Als er nach einer ganzen Weile der Meinung war, lange genug gewartet zu haben, und schon weitergehen wollte, wurde die Tür doch noch von innen aufgerissen. Ein schlanker, aber durchtrainierter Typ mit Piercings im Gesicht steckte halb fragend, halb abfällig die Nase heraus. Dem Körperbau nach war er kein Elasmotherium. "Was willst du?" "Ich möchte zu Tolja Alexandrov", meinte Waleri ruhig. "Ist er da?" "Und wer bist du, Mann?" "Waleri Konjonkow. ... Ich glaube, Tolja wollte mich sehen." Der gepiercte Kerl verengte verstehend die Augen. "Ah ja. Du bist also dieser besagte Kerl." Er musterte Waleri nochmal etwas interessierter von oben bis unten. Dann trat er zur Seite und hielt dem Gast überbetont höflich die Tür auf. "Na, dann rein mit dir. Der 'Hammerhai' erwartet dich schon." Waleri wurde drinnen durch die Gänge geführt, vorbei an den Umkleidekabinen und Zuschauertoiletten. Ihm kam ein junger Mann mit kurzen Boxer-Hosen und bandagierten Händen entgegen, den er freundlich grüßte, dann wurde er weitergelotst. Aus den Tiefen der Halle hörte man schon Kampfschreie, die befehlenden Zwischenrufe eines Trainers und die Gewichte an bewegten Trainingsgeräten, die rhythmisch angehoben und wieder fallen gelassen wurden. Hinter einer offenstehenden Tür auf der rechte Seite sah Waleri kistenweise Protein-Pulver und andere Präparate in Kartons. Schien ein Lager zu sein. Der Hai führte seinen Versandhandel augenscheinlich wirklich von dieser Sporthalle aus. Gut möglich, dass er sogar wirklich hier wohnte. Solche Hallen hatten immer Hausmeister-Wohnungen. Die nächste Tür, zur Linken, war geschlossen. Es stand groß "Wettkampfbüro" daran. Das war für gewöhnlich der Technikraum, von wo aus man die Sound-Anlage und die große, elektronische Anzeigetafel in der Halle steuerte. Meist gab es da drin auch Schreibtische, damit man während einer Meisterschaft in Ruhe Punkte auswerten und Urkunden schreiben konnte. Hinter dem Fenster in der Tür regte sich etwas. "Waleri!!!!", drang es gedämpft aus dem verschlossenen Raum heraus. Waleri hielt inne als er Olhas Gesicht hinter dem vergitterten Sichtfenster entdeckte. Er drehte sich erleichtert der Tür zu, wollte gar die Richtung ändern, wurde von dem Sportler, der ihn begleitete, aber erbarmungslos weitergeschubbst. "Da geht´s lang, Kumpel", stellte der gepiercte Typ drohend klar und schob ihn vor sich her. Schweren Herzens gab Waleri nach und ging weiter. Aber zumindest war er froh, dass Olha hier und scheinbar auch wohlauf war, selbst wenn man sie offenbar in dem Wettkampfbüro eingeschlossen und weggesperrt hatte. Dann wurde er durch eine doppelflügliche Tür geschoben und fand sich auf dem Spielfeld in der eigentlichen Sporthalle wieder. Die große Halle war mit etlichen Kraftsportgeräten, Boxsäcken und zwei Boxringen vollgestellt. Es trainierten gerade mehrere Leute hier. Trotzdem musste Waleri nicht lange suchen, um den Baum von einem Mann zu entdecken, wegen dem er hier war. "Sieh an. Der große Konjonkow!", rief das Muskelpaket schon durch die halbe Halle und klang dabei eher sarkastisch als grüßend. Er hatte eine dunkle, rauhe Stimme, die verdächtig nach Hormonen, Steroiden, Anabolika und anderen unerlaubten Muskelaufbau-Substanzen klang, was bei einem Elasmotherium gelinde gesagt ziemlich unnötig war. Elasmotherium hatten diese Statur von Natur aus. Aber Tolja 'der Hammerhai' Alexandrov hatte halt noch einen drauflegen wollen. Und das sah man ihm auch an. Der Hulk aus den Marvel-Filmen wäre blass vor Neid geworden. Zudem hatte sich Tolja die Zähne spitz anfeilen lassen, hatte furchteinflößende Tätowierungen im Gesicht und trug eine sonderbare Irokesen-Frisur, die an eine Haifischflosse erinnerte. Ob die ihm seinen Kampfnamen "Hammerhai" eingebracht hatte, oder ob er sich erst aufgrund des Namens für die Frisur entschieden hatte, interessierte heute niemanden mehr. "Hast mich ganz schön warten lassen!", brüllte Tolja durch die Halle. "Serhii hat schon vor über ´ner Stunde angekündigt, dass du kommst." Waleri erwiderte nichts darauf. Inzwischen hatte der Kerl die Distanz quer durch die Halle komplett zurückgelegt und baute sich vor ihm auf. Mit seinen 2 Metern Größe überragte er sogar Waleri noch um eine Handbreit. Waleri maß Toljas Statur mit einem schnellen Blick, bevor er ihm wieder fest in die Augen sah. In Gedanken ging er Kampftechniken durch, die ihm gegen so einen körperlich überlegenen Gegner helfen könnten. So überlegene Gegner bekam man nur mit Technik klein, mit purer Kraft nicht. Hebel, Clinsche, Klammern, Würfe, Fixierungen, alles was ihm einfiel. Er war noch nie ein besonders guter Techniker gewesen. Er hatte ja bisher auch nie Gegner gehabt, bei denen er das nötig gehabt hätte. Eine harte Rechte hatte ihm bisher auch immer ganz ohne jede Technik weitergeholfen. "Cool, dich mal persönlich zu sehen. Bisher hatten wir ja nur e-mail-Kontakt", fuhr der Hai fort und boxte Waleri hart ins Schultergelenk. Waleri wurde von dem Schlag halb herumgerissen und keuchte schmerzhaft auf. "Ich glaube, 'cool' ist nicht das richtige Wort dafür ...", presste er etwas dünnhäutig hervor und hielt sich die Schulter. Er verwarf den Plan, eine auf Toljas Körperstatik zurechtgeschnittene Technik zu konstruieren. Techniken waren ohnehin nicht dazu gedacht und auch nicht dazu geeignet, jemanden zu töten. In sportlichen Wettkämpfen sollte man seine Gegner ja möglichst nicht ernsthaft verletzen. Tolja ließ ihn einfach an Ort und Stelle stehen und ging brüllend durch die Halle, dass das Training beendet sei und sich alle verkrümeln sollten. Wer nicht schnell genug die Beine in die Hand nahm, bekam von Tolja nachgeholten. Und da war auch keiner, der murrte oder Fragen stellte. Die Fighter sahen durchweg zu, dass sie Land gewannen. Förmlich binnen weniger Augenblicke hatte der Hai die Location auf diese Weise komplett geräumt. Ehe Waleri sich´s versah, stand er mit dem Typen völlig allein in der großen Halle. Ihm wurde mulmig, als Tolja seine Aufmerksamkeit endlich wieder ihm widmete. "Hör mal ... was hältst du davon, wenn wir ... erstmal reden!?", versuchte Waleri noch den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, obwohl der Gesichtsausdruck des 'Hammerhais' ihm diese Hoffnung schon von vorn herein austrieb. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)