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Das Leben danach

Magister Magicae 12
von

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Die harte Wahrheit

Die nächsten Tage verliefen reichlich sonderbar. Olha war immer noch stinksauer auf ihn. Wann immer er versuchte, in ihr Zimmer zu kommen, um endlich mit ihr zu reden, schleuderte sie so lange hysterisch Gegenstände nach ihm, bis er die Flucht antrat. Danach hörte er sie für gewöhnlich drinnen weinen, wusste aber, dass es aussichtslos war, einen erneuten Versuch zu unternehmen, das Zimmer zu betreten. Nach dem fünften Durchgang dieser Art hatte er es ganz aufgegeben. Er schlief in seinem eigenen Zimmer, statt bei ihr, und ging auch der gemeinsamen Frühstücksrunde sorgsam aus dem Weg. Er war immer regelrecht froh, wenn er auf Arbeit gehen konnte, oder wenn sie auf Arbeit ging, weil er ihr dann endlich aus den Augen kam.
 

"Wouw. Dir geht´s heute besonders schlecht, oder?", konnte Katerina sich nicht verkneifen, als sie eines Abends in Waleris Zimmer hereinplatzte, um ihm einen Brief zu bringen, den sie beim Heimkommen aus dem Briefkasten gezogen hatte. Er war an Waleri direkt adressiert, daher war es selbstverständlich, dass sie ihn an den rechtmäßigen Empfänger weitergab. Aber was sie hier vorfand, machte ihr Sorgen.

Waleri saß apathisch auf dem Bett, starrte Löcher in die Luft und nur eine Leselampe über seinem Kopf sorgte für ein wenig depressives Licht.

Sie setzte sich zu ihm, nahm ihm die Vodka-Flasche aus der Hand und schüttelte den letzten Rest darin vielsagend. "Ich hoffe, die war nicht voll, als du damit losgelegt hast", meinte sie mitfühlend. Katerina war die Situation spürbar nicht egal. Sie verbrachte seit Olhas Ausraster sehr viel mehr Zeit mit Waleri, um ihn abzulenken, und ging dabei mitunter auffallend sanft mit ihm um. Sie machte sich wirklich Sorgen um ihn und ließ ihn deutlich spüren, dass sie in diesem skurrilen Streit auf seiner Seite stand.

Waleri zog nur schniefend die Nase hoch. Er wirkte wie kurz vor´m Heulen.

"Was ist los?", wollte Katerina sachte wissen.

"Das Übliche."

"Olha? Denkt sie immer noch, du hast sie betrogen?"

"Vorhin ging es wieder richtig hoch her ...", erzählte der Hühne und klang dabei wesentlich nüchterner als der Füllstand der Vodka-Flasche es vermuten ließ.

"Und? Hast du sie betrogen?"

"Nein ...", gab Waleri jammernd zurück und sprang fluchtartig aus dem Bett hoch. "Das hab ich dir schon fünfmal gesagt. Warum fragst du mich das immer wieder!?"

"Weil man dich offensichtlich immer wieder daran erinnern muss, dass du gar nichts getan hast", hielt Katerina betont warmherzig dagegen. "Es schmerzt mich, mit anzusehen, wie du hier mit eingezogenem Kopf rumschleichst und ein Gesicht machst, als wärst du schuldig. Und das völlig zu Unrecht. Du bist ja psychisch schon ein halbes Wrack." Sie seufzte leise und erhob sich ebenfalls wieder aus dem Bett, langsamer und beherrschter als er. Sie ergriff ihn kraftvoll an den Schultern. Deutete an, ihn schütteln zu wollen, damit sie seine Aufmerksamkeit hatte. "Waleri, du bist ein guter Mann. Sieh dich nur mal an. Deine mächtige Statur. Dein wacher Verstand. Wir alle hier lieben dich. Du bist wundervoll!" Sie sah ihm ernst in die Augen. "Und du solltest aufhören, deine Zeit und deine Nerven an Leute zu verschwenden, die dir was Gegenteiliges einreden wollen."

Sein Gesicht wurde kurz noch leidender. Und in einem regelrechten Verzweiflungsakt schlang Waleri plötzlich die Arme um sie und gab ihr einen langen, dankenden Kuss. Direkt auf die Lippen.

Katerina erwiderte die Umarmung nur sachte, gab dem Kuss aber ungeniert nach.

Erschrocken über sich selbst rückte Waleri sofort wieder von ihr ab. Schaute sie verdutzt an. Er versuchte sichtlich zu begreifen, was gerade in ihn gefahren war. Schockiert realisierte er, dass er wirklich langsam dazu überging, die störrische Olha einfach in den Wind zu schlagen und sich stattdessen Katerina zuzuwenden. Noch riet ihm sein Verstand zwar davon ab. Eigentlich war er ja immer noch der Meinung, mit Olha eine feste Beziehung zu führen und ihre sonderbare Wahnvorstellung noch irgendwie aufklären zu können. Aber auch wenn er bestimmt nicht das sein wollte, was Olha ihm nachsagte, wurde Katerina in seiner Vorstellung mehr und mehr zur ernsthaften Option. Er atmete erschüttert durch und wandte sich halb ab. "Entschuldige. Hier war gerade entschieden zuviel Alkohol im Spiel. Du solltest lieber gehen."

Katerina nickte einverstanden. "Ist okay", gab sie sanft zurück und drückte ihm noch einen zärtlichen Kuss auf die Stirn, um ihm zu beweisen, dass sie nicht böse auf ihn war, wenn er sie jetzt rausschmiss.

Als die Tür hinter Katerina leise wieder ins Schloss klickte, fuhr Waleri sich überfordert mit beiden Händen durch das Gesicht. Nach einem Moment Bedenkzeit schnappte er den Verschluss seiner Vodka-Flasche und schraubte diese entschlossen wieder zu. Er fand, dass er für heute genug intus hatte.
 

Etwas ratlos stand Waleri am nächsten Morgen in Olhas Zimmer. Sie war nicht da und auf dem Bett stand eine halb gepackte Reisetasche. Beides kam ihm sehr seltsam vor, ohne dass es für ihn gleich ein schlüssiges Bild ergeben hätte. Irritiert ging er weiter in die Küche, wo er Geschirr klappern hörte.

Serhii verteilte gerade Tassen auf dem Frühstückstisch, grüßte ihn ungewöhnlich kühl und wies ihn dann regelrecht an, sich zu setzen.

"Hör mal, weißt du ob Olha letzte Nacht nach der Arbeit überhaupt nach Hause gekommen ist?", wollte Waleri wissen. "Oder ist sie etwa heute früh schon wieder ausgeflogen? Sie ist gar nicht da."

Serhii griff ernst nach der Kaffeekanne und goss ihm zunächst einen Pott voll ein. "Ich habe mit dir zu reden, Kollege", meinte er, während er die Kanne wieder zur Kaffeemaschine zurücktrug. Ob das eine Antwort auf Waleris Frage darstellen sollte, blieb der individuellen Interpretation überlassen.

Waleri goss seinen Kaffee mit einem guten Schluck kalter Milch auf, wodurch das Zeug auf eine trinkbare Temperatur abkühlte. Dabei verfolgte er verstohlen jede von Serhiis Bewegungen, bis der sich ebenfalls mit am Tisch niederlies.

"Ich kannte Vladislav", warf Serhii ihm ohne jeden Kontext an den Kopf.

Waleri schenke ihm aus dem Augenwinkel einen verunsicherten Blick. Diesen Namen aus Serhiis Mund zu hören, verpasst ihm eine Gänsehaut. "Du kanntest Vladislav, aber ich kannte dich nicht? Das halte ich für ein Gerücht." Der Hühne nippte an seinem Kaffee, um die Ungewissheit zu überspielen.

"Na, vielleicht kannte ich ihn nicht persönlich. Aber ich stell einfach mal den Begriff 'Motus' in den Raum."

Waleri verlor kurz die Kontrolle über seine Mimik, fing sich aber wieder. Er schluckte hart an seinem Mund voll Kaffee, stellte selbstbeherrscht seinen Kaffeepot weg und drehte sich auf dem Stuhl in Serhiis Richtung. "Die Motus, ja? Bist du etwa einer von denen?", wollte er bedrohlich ruhig wissen. "Wenn ja, dann stelle ICH mal den Begriff 'Victor Akomowarov' in den Raum. Ich bin sicher, er würde sich freuen, dich kennenzulernen."

Serhiis verständnisloses Gesicht war zu glaubhaft, um gespielt zu sein. Er kannte diesen Namen offensichtlich wirklich nicht. "Keine Ahnung, wer das sein soll. Aber ich weiß sehr gut, wer DU bist! Du und dein Schützling, ihr wart die Chefs von diesem Haufen."

Da er gerade seitlich verdreht auf dem Stuhl saß, ließ Waleri sich mit der Schulter gegen die Rückenlehne fallen und verschränkte die Arme. "Und wenn schon. Mit der Motus kannst du mich nicht mehr erpressen. Ich war im Knast, wegen der ganzen Geschichte. Ich hab meine Strafe abgesessen."

"Aber nicht komplett. Ich weiß, dass ihr getürmt seid. Die Bullen suchen euch. Soweit ich höre, haben die noch gar nicht gemerkt, dass dein Schützling inzwischen tot ist. Und ich bin sicher, dass es die Bullen auch brennend interessieren würde, wie der eigentlich gestorben ist."

Waleri ließ frustriert den Kopf in den Nacken fallen. Der Kerl war echt gut informiert, verdammt. Nun, im Gegensatz zu Vladislav hatte Waleri seine offizielle Strafe tatsächlich mehr als abgesessen. Vladislav hatte lebenslänglich bekommen, Waleri nicht. Aber da er als Schutzgeist nicht von Vladislav weg gekonnt hatte, hatte er notgedrungen über sein eigenes Strafmaß hinaus mit ihm im Gefängnis bleiben müssen. Das alles würde aber weder Serhiis wie auch immer geartetes Problem lösen, noch ihn überhaupt interessieren, vermutete Waleri. Und die Tatsache, dass Vladislavs Tod nicht mit den hiesigen Gesetzen konform ging, war in der Tat nicht ganz von der Hand zu weisen. "Na schön", gab er sich geschlagen. "Ihr habt mich einstimmig überredet, in eure Wohnung mit einzuziehen und mich eurer Herde anzuschließen. Die Mädchen haben sich mir an den Hals geworden. Du hast mir sogar die Herdenführer-Position angeboten. Sprich, ihr habt euch von Anfang an ne Menge Mühe gegeben, damit ich bleibe. Wenn ihr so genau wusstet, wer ich bin, dann muss ich wohl annehmen, dass da ein Plan dahintersteckt", meinte er düster. "Also was willst du von mir?"

"Ich will, dass du gegen den 'Hammerhai' kämpfst! ... Nein, anders! Er will, dass du gegen ihn kämpfst!"

"Ich.", machte Waleri tonlos.

"Ja."

"Gegen den Hai."

"Ja."

Waleri seufzte leise. Das war doch wohl nicht zu fassen. "Und was soll das irgendwem bringen?"

"Ich rede hier nicht von einem legalen Kampf nach Regeln, du Superhirn. Er wird dich totschlagen. Und es wird kein Ringrichter da sein, der ihn davon abhält."

"Hat der Typ etwa noch eine Rechnung mit mir offen, von der ich nichts wüsste?"

"Allerdings. Deine tolle Motus hat seinen Vater auf dem Gewissen."

Waleri zog ungläubig die Augenbrauen zusammen und überdachte das. "Es wäre mir neu, dass die Motus jemals Elasmotheriums gejagt hätte."

"Nein, das nicht. Aber sein Vater war ein Augenzeuge. Er hat zuviel gesehen. Darum wurde er aus dem Weg geräumt."

"Verstehe ...", kommentierte Waleri nur verbittert und wusste nicht mehr recht, was er darauf noch sagen sollte. Er selber war da ganz sicher der falsche Ansprechpartner. Er hatte in seinem Leben noch nie jemanden umgebracht. Er war also definitiv nicht der Mörder von diesem besagten Vater. Wahrscheinlich war er aber der einzige Motus-Wichser, den der 'Hammerhai' namentlich kannte. Oder zumindest der einzige, den er jetzt noch irgendwie in die Finger kriegte.

"Was glaubst du, woher ich von deiner Motus-Vergangenheit weiß", grinste Serhii ihn siegessicher an, als Waleri selbst nichts mehr sagte. "Nachdem du in meinem Fitti aufgekreuzt bist und mich so knallhart K.O. gehauen hast, obwohl du angeblich noch nie Kampfsport gemacht hast, wollte ich natürlich wissen, wer du bist. Ich habe den Hai noch in der gleichen Nacht angerufen. Er ist ja über unsere Untergrund-Szene bestens informiert. Und er kennt dich gut. Er hat mir interessante Sachen über dich erzählt. Zum Beispiel, dass du in deiner Jugend sehr wohl mal im Kampfsport aktiv warst, aber wegen exzessiven Betrugs rausgeschmissen wurdest. Und in Japan dann auch wieder. Du kannst einfach nicht aufhören, unfair zu kämpfen."

"Mh. Was das angeht, haben der Hai und ich durchaus was gemeinsam", presste Waleri zähneknirschend hervor. "Ich werde zusehen, mich mit dem Kerl zu einigen. Ich denke nicht, dass er mich umbringen muss, um die Sache mit seinem Vater beizulegen." Er erhob sich von seinem Stuhl und schickte sich an, schlecht gelaunt aus der Küche zu spazieren. So ein Mist. Er hatte wirklich geglaubt, mit dem Anschluss an diese Elasmotherium-Herde, einem lieben Mädchen bei der Hand und seinem Dachverband-Projekt jetzt endlich einer besseren Zukunft entgegensehen zu können. Aber das war wohl blauäugig gewesen. Das alles hier wäre ja auch zu schön gewesen um wahr zu sein. Vielleicht wäre er gut beraten gewesen, sich im Vorfeld gleichfalls ein paar Erkundigungen über Serhii einzuholen.

"Waleri!?", rief Serhii ihm drohend hinterher und brachte ihn damit noch vor Erreichen der Tür wieder zum Stehen.

Waleri schaute unwillig zu ihm zurück.

Der Fitti-Besitzer deutete herrisch auf den Stuhl. Allein der Fingerzeig war schon ein in Gesten gegossener Befehl. "Setz dich wieder hin. Wir sind noch nicht fertig."

Mit hasserfülltem Blick kam Waleri also zurück und pflanzte sich wieder auf seinen Sitzplatz. Wortlos wartete er auf mehr.

"Du WIRST kämpfen", prophezeite Serhii ihm düster. Dabei fummelte er an seinem Smartphone herum und schob es ihm dann über den Tisch. Darauf war ein Video zu sehen, das Waleri übergangslos das Gesicht einschlafen ließ. Olha war darin in einem abgedunkelten Raum auf einen Stuhl gefesselt, wie in einem dieser schlechten Horrorfilme, die nachts im Free TV liefen. Ihre Augen waren verheult und die Wangen tränenverschmiert. Sie sah zwar unverletzt aus, war aber eindeutig eingeschüchtert worden. "Waleri", heulte sie flehend in die Kamera. "Egal was Serhii von dir verlangt: tu es nicht! Er wird dich umbringen! Hörst du? Komm nicht nach mir suchen, Waleri! Komm nicht her! Ich hasse dich zwar, aber, ich will nicht, dass sie dir was antun! Er-" Die Aufzeichnung endete abrupt.

Serhii verschränkte selbstgefällig die Arme. "Du bist ein kluges Köpfchen. Ich schätze, du wirst nicht lange raten müssen, wo sie ist", kommentierte er. Dann schüttelte er unterschwellig den Kopf. "Ich hätte mir das hier anders gewünscht. Es liegt mir fern, meinen eigenen Herden-Mitgliedern was anzutun. Aber wir MUSSTEN Olha aus dem Verkehr ziehen. Sie war in den Plan eingeweiht. Sie wusste, was wir mit dir vorhaben. Und obwohl sie aus irgendeinem Grund so sauer auf dich ist, war sie letzte Nacht drauf und dran, ihre Sachen zu packen, dich zu schnappen und mit dir von hier abzuhauen, um dich zu retten. Mir war fast klar, dass sowas passieren würde, nachdem du sie flachgelegt hast. Dieser dumme, kleine Kindskopf ist einfach noch zu jung und zu gutmütig, um ihre Hormone im Zaum zu halten. - Naja, was soll´s. So habe ich jetzt wenigstens ein Druckmittel in der Hand, damit du den Kampf gegen den 'Hammerhai' auch wirklich antrittst."

Waleri starrte weiter auf das inzwischen ins Standby gefallene Smartphone und brauchte mehrere Atemzüge, bis er sich für eine zielführende Reaktion entscheiden konnte. Am liebsten wäre er ausgerastet und hätte einfach die Küche kurz und klein geschlagen. Aber was hätte es ihm oder Olha gebracht? "Dass ich das richtig verstehe ... Dass der 'Hai' eine Rechnung mit mir offen hat", begann er verbissen, "kann ich noch irgendwo nachvollziehen. Aber warum lässt DU dich da mit einspannen? Was genau haben wir beide miteinander für ein Problem?"

"Wie ich schon sagte, ich kannte Vladislav. Als du durch meine Tür gefallen bist, wusste ich nur noch nicht, dass dein Gesicht zu diesem Namen gehört."

"Und?", hakte Waleri unbeeindruckt nach. "Was für´n Problem hast du mit Vladislav?"

"Der Vater vom 'Hammerhai' war mein Trainer und ein guter Freund. Sein Tod war auch mir nicht gleichgültig. Oh, VIELEN von uns war er nicht gleichgültig! Nur im Gegensatz zu mir hat der 'Hammerhai' keine Skrupel, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Also überlasse ich die Drecksarbeit natürlich gerne ihm, wenn er sich so drum reißt."

"Dir ist schon klar, dass auch Mitwisserschaft und Beihilfe strafbar sind, oder?", merkte Waleri zynisch an und raffte sich etwas schwerfällig von seinem Sitzplatz auf. "Ich werde jetzt Olha holen gehen."



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