Zum Inhalt der Seite

Von Wölfen und Menschen

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Begegnungen - Teil I

10. Oktober 2015, früher Abend, Tokyo-3

 

Die Bewohner von Tokyo-3 staunten nicht schlecht, als der Trubel um das NERV-Hauptquartier im Licht der untergehenden Sonne ungeahnte Ausmaße annahm. Von ihren Balkonen und Hausdächern aus sahen die Bewohner, wie auf dem eigens eingerichteten Rollfeld im Minutentakt neue Transportmaschinen mit dröhnenden Motoren zur Landung ansetzten. Es wirkte fast wie bei der Berliner Luftbrücke mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor. Der kleine Flughafen erschein wie ein gigantischer Bienenstock, als mehrere hundert Techniker und Sicherheitskräfte begannen, mit Hubwagen, Gabelstaplern und teilweise purer Muskelkraft das in den Laderäumen der Flugzeuge verstaute Equipment ins Hauptquartier zu bringen. Die Versorgungszüge wurden für ihren Weg unter Tage bis zum letzten Platz befüllt, Behälter wurden auf abenteuerlichste Art und Weise gestapelt, sogar die normalen Personenaufzüge fand man an diesem Abend vollgestellt mit Umzugskisten, wenn ein armer Mitarbeiter des Hauptquartiers am Ende seiner Schicht verzweifelt versuchte, einen Weg hinaus zu finden.

 

Ritsuko, Misato und Kaji standen an einer der großen Fensterfronten an der Oberfläche und starrten auf das Flugfeld.

 

„Hui, das sieht mir nach einem ziemlich gut organisierten Umzug aus“, bemerkte der Mann mit dem Dreitagebart. Er zündete sich eine Zigarette an und blickte auf eine äußerst schlecht gelaunte Wissenschaftlerin.

 

„Das ist kein Umzug. Das ist eine Invasion“, gab diese mürrisch zurück.

 

„Ach komm schon, so schlimm wird’s schon nicht werden“, beschwichtigte er. „Seid doch froh, ab jetzt bleibt nicht mehr die ganze Arbeit an euch hängen. Ich denke, dass wir in der jetzigen Situation jede Hilfe gebrauchen können.“

 

Ritsuko drehte sich um und ging, etwas Unverständliches vor sich hin murmelnd, in Richtung ihres Büros.

 

Kaji schaute auf Misato. „Hast du’s gewusst?“

 

„Was? Dass meine Nachbarn EVA-Piloten sind? Nein.“ Sie schüttelte den Kopf und nahm ihm die Zigarette ab. Nachdem sie einige Male daran gezogen hatte, gab sie ihm diese zurück. „Ich komme mir so dumm vor. Sie haben mich an der Nase herumgeführt! Und dabei haben wir beide vor einigen Tagen noch mit ihnen zusammengesessen und Shochu getrunken! Wusstest du etwa was davon?!“

 

Kaji starrte mit unbewegtem Gesicht in die Ferne. „Nein, woher sollte ich auch? Commander Ikari hätte mich bestimmt auf sie angesetzt, wenn er etwas davon geahnt hätte. Ich wette, seine Laune ist im Moment auch nicht die beste…“ Er grinste schelmisch.

 

***

 

Zeitgleich, Antarktischer Ozean, Flugzeugträger Shinano

 

Vizecommander Fuyutsuki stand mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor Commander Ikaris provisorischem Schreibtisch. Durch die Scheiben im Hintergrund konnte er erkennen, wie die Sonne langsam am Horizont des roten Meeres versank. Die gigantische Zeltplane, die das Artefakt, das sie aus der Antarktis geholt hatten auf dem Flugdeck verdeckte, wehte leicht im Fahrtwind.

 

Er hatte dem Commander gerade die weiteren Ereignisse des Tages in Japan mitgeteilt. Eine seltsame Stille hatte sich über den Raum gelegt, keinerlei Regung ging von Ikari aus.

 

„Niemals hätte man die Evangelions und die komplette Niederlassung NERV-04 in wenigen Tagen verlegen können“, sagte dieser mit ruhiger Stimme.

 

„Ich stimme zu, der logistische Aufwand einer solchen Operation wäre viel zu groß, um dies so kurzfristig durchzuführen.“ Fuyutsuki legte einen Stapel Akten auf den Schreibtisch. „Dies sind die Auswertungen der deutschen Evangelions, die Dr. Akagi in Auftrag gegeben hat. Zu Ihrer Kenntnis.“

 

„Dann betreten sie also in diesem Moment das NERV-Hauptquartier.“ Gendo griff nach der obersten Akte.

 

„Korrekt. Die Evangelions sind in den entsprechenden Rückhaltebuchten verstaut worden, die übrige Fracht wird gerade entladen. Mit den zusätzlichen Mannschaften wird es voll im Hauptquartier.“

 

Sechs Evangelions in einem Land. Unter normalen Umständen hätte man erwartet, dass Gendo Ikari zusätzliche Kampfkraft gerne angenommen hätte. Seine Pläne waren jedoch für die drei Evangelions ausgelegt, deren Eigenarten und Entwicklung er genau kannte. Dies hier jedoch bedeutete Probleme und viele Unbekannte in der Gleichung für die weiteren Pläne. Zu viele Leute, die an Informationen herankommen konnten, die sie nichts angingen.

 

Er klappte den Aktendeckel wieder zu. „Wir können ihnen im Moment nichts Negatives nachweisen. Bis jetzt folgen sie alle nur den Befehlen des Komitees. Also spielen wir mit. Übermitteln Sie Glückwünsche zum Einsatz. Wenn wir in einigen Tagen zurück sind, will ich ein persönliches Gespräch mit den Verantwortlichen von NERV-04 führen. Dann sehen wir weiter.“

 

Fuyutsuki drehte sich um und wollte gerade den Raum verlassen, als Ikari noch einmal die Stimme erhob. „Und setzen Sie den Sicherheitsdienst in erhöhte Alarmbereitschaft. Wenn sich einer unserer Gäste zu neugierig verhält, will ich davon wissen. Aktivieren Sie auch Agent Ryoji Kaji.“

 

***

 

NERV-Hauptquartier, Aufzug B 36

 

Die Aufzugstüren schlossen sich leise, als die fünf Männer eingetreten waren. Thaddäus und Phil hatten es sich nicht nehmen lassen, die drei Piloten persönlich abzuholen, nachdem die Evangelions in ihren entsprechenden Buchten in dem bis jetzt ungenutzten D-Flügel des Hauptquartiers platziert worden waren.

 

„Wir ziehen also quasi in diesen Bereich von NERV ein, ja?“, fragte Janko und studierte die vielen Schalter des Aufzugs. Die Feuchtigkeit und der Geruch des LCL klebten noch immer an seinem Plugsuit.

 

„Exakt“, gab Phil zurück. „Die hier liegenden Buchten und sogar ein Testzentrum und ein paar Labore stehen uns zur Verfügung. Sieht so aus, als ob hier jemand vor einiger Zeit richtig groß geplant hat. Einzig die Kantine und die sanitären Anlagen teilen wir mit dem Rest der ursprünglichen Crew im B-Flügel. Oh, und natürlich das Kommandozentrum. Davon abgesehen könnten wir hier durchaus unsere Ruhe haben. Wenn uns Ikari und Co. lassen…“

 

„Ziehen wir unser Abendprogramm noch durch?“, wollte David wissen.

 

„Selbstverständlich. Wenn es heute keinen Grund dazu gibt, wann denn dann?“, antwortete Phil. Er strich über die Arme seiner von dem langen Flug leicht zerknautschten Uniform. „Ich hoffe, ihr seid nach diesem Einsatz noch gesellschaftsfähig.“

 

David lächelte schief. „Naja, dank des LCL stinke ich wie ein Iltis und in diesem Anzug sehe ich aus wie eine Presswurst…“

 

„Also alles wie immer“, stellte Ben trocken fest und blickte starr geradeaus.

 

David verzog das Gesicht zu einer wutentbrannten Fratze. Er fuhr die Hände in Richtung von Bens Hals aus. „NA WARTE, DU MIESER KLEINER…!!!!“

 

Janko stellte sich lachend zwischen die beiden, als Thaddäus ruckartig den Arm hob, ohne sich umzudrehen. „Haltung annehmen, Männer! Wir wollen uns doch von unserer besten Seite präsentieren. Wir werden schließlich die nächsten Monate hier verbringen.“ Doch auch er musste leicht schmunzeln.

 

Die Aufzugtüren öffneten sich und gaben den Blick in einen langen Gang mit mehreren Abzweigungen frei. Am Ende des Weges war eine gigantische Metalltür zu sehen, auf der das Logo und der bekannte Schriftzug von NERV zu erkennen waren. Einige Leute von NERV-04, erkennbar an den dunkelgrünen Uniformen, warteten bereits. Je näher sie dem Ende des Ganges kamen, desto mehr ihrer Mitarbeiter strömten aus den Seitengängen und schlossen sich ihnen an. Sally Anderson gratulierte den drei Piloten kurz, als sie zu ihnen aufschloss. Auch die Brückencrew aus Deutschland sowie die Techniker schienen vollzählig eingetroffen zu sein.

 

„God’s in his Heaven, all’s right with the world“, las Janko das Motto auf der Tür vor, als sie darauf zumarschierten.

 

„Nee...“ Ben schüttelte den Kopf. „Ich bin da eher bei Nietzsche. Gott ist tot, Mann. Wir sind nicht mehr als seine ungewollten Kinder. Und wir balgen uns um sein Erbe.“

 

Die Stahltür öffnete sich langsam, als die Gruppe nahe genug herangetreten war. Sie konnten eine andere gigantische Halle erkennen, ähnlich der, in der sie ihre eigenen Evangelions geparkt hatten. Von den Wänden blickten die drei ursprünglichen EVAs auf sie herab. Eine große Menschenmenge hatte sich auch bereits in dieser Halle versammelt und schien auf sie zu warten. Ein Großteil der NERV-Mitarbeiter hier trug augenscheinlich khakifarbene Uniformen, sodass eine Unterscheidung für die Zukunft wohl leichtfiel.

 

An der Spitze der Menge standen Major Katsuragi und Kaji sowie Dr. Ritsuko Akagi, dicht dahinter die drei Teenager. Flankiert wurden sie von einer ganzen Armee von gleich aussehenden Männern mit Sonnenbrillen und schwarzen Anzügen. Erst weiter hinten wartete das restliche Personal.

 

„Ui, was wird’n das?“, flüsterte David. „Ein Angriff der Klonkrieger?“

 

„Klappe, Pilot!“, zischte Thaddäus zurück. „Überlass mir jetzt mal das Reden!“ Mit diesen Worten legte er einen schnelleren Schritt ein und trat in die Halle. Phil folgte ihm, dann der Rest.

 

„Dr. Ritsuko Akagi!“, sagte der Wissenschaftler lächelnd und streckte die Hand aus. Nachdem Ritsuko diese zögernd geschüttelt hatte, fuhr er fort. „Ich bin Dr. Thaddäus Weber, wissenschaftlicher Leiter von NERV-04. Es freut mich, Sie endlich persönlich kennenzulernen. Ich habe schon so viel von Ihnen gehört.“

 

„Das kann ich von Ihnen nicht behaupten“, gab die blonde Leiterin der Forschungsabteilung mit zusammengebissenen Zähnen zurück. Dann atmete sie einmal tief ein und aus. Ihr Gesicht entspannte sich ein wenig. „Dennoch heiße ich Sie alle im Namen von NERV hier willkommen. Commander Ikari und Vizecommander Fuyutsuki sind im Moment nicht im Haus. Ich bin aber sicher, dass meine Kollegin Major Katsuragi und ich alle Ihre Fragen fürs Erste werden beantworten können.“

 

„Vielen Dank für den Empfang“, stieg Phil ein und schüttelte der anwesenden Führungsriege ebenfalls die Hände. „Ich bin Captain Phil Sammons, taktischer Leiter der Einsatzabteilung. Anscheinend ihr Äquivalent, Miss Katsuragi“. Er setzte ein breites Lächeln auf, das von Misato jedoch nicht ganz in der Form erwidert wurde. „Ich gehe davon aus, dass wir gut zusammenarbeiten werden. Im Kampf gegen die Engel gilt schließlich: Mehr ist mehr!“

 

Die drei Piloten traten vor. „Hi, Misato“, sagte David und zeigte sein breitestes Grinsen. „Nicht böse sein, aber Befehle sind nunmal Befehle.“ Er beugte sich zur Seite und winkte zu den Teenagern.

 

Misato gab sich einen Ruck. „Dann gratuliere ich mal zu dem erfolgreichen Einsatz. Ich muss sagen, dass das gute Arbeit war. Wir können mit Sicherheit viel voneinander lernen.“

 

Thaddäus ergriff wieder das Wort. „Davon gehe ich aus. Wichtiger ist aber, aus Sicht der Teambildung, dass sich unsere zwei Mitarbeitergruppen erst einmal besser kennenlernen.“ Er drehte sich zum Rest des Stabs von NERV-04 um und nahm die Finger in den Mund. Dann pfiff er zwei Mal kräftig. Die Menge teilte sich und mehrere Hubwagen, beladen mit Paletten, wurden durchgelassen.

 

„Was wird denn das?“, fragte Asuka überrascht und trat vor.

 

„Na, nach einem so erfolgreichen Tag halten wir eine kleine Vereinigungsfeier für die beste Gelegenheit, damit sich unsere Teams nicht mehr wie Fremde begegnen. Zeit für eine kleine Party!“ Thaddäus klatschte freudig in die Hände.

 

Ein wohlwollendes Raunen ging durch die wartende Menge.

 

Ritsukos Mund stand leicht offen, als sie überrascht zu stottern begann. „Eine… eine Party?!“

 

Phil machte einen Schritt auf sie zu. „Na sicher! Heute ist unter Garantie kein weiterer Angriff zu befürchten. Man muss die Feste feiern wie sie fallen!“ Er drehte sich zu den Leuten um, die die Hubwagen hereingefahren hatten. „Ok Leute, auspacken! In einer Stunde will ich hier Partystimmung haben!“

 

Asuka kratzte sich am Kopf. „Aber für eine Feier braucht man Musik, Equipment, Getränke…“

 

„Alles dabei“, sagte Phil und legte den Kopf leicht quer. „Wenn wir in Deutschland schon unsere Sachen packen, dann richtig!“

 

Shigeru Aoba drehte sich in der Menge zu seinen Kollegen von der Brücke um. „Hab ich richtig gehört, eine Party? Das ist ja großartig! Und verdient haben wir uns das nach den letzten Wochen wohl allemal!“

 

Makoto Hyuga lachte leise vor sich hin. „Wie gut, dass Ikari und Fuyutsuki nicht hier sind. Sonst gäbe es jetzt ganz bestimmt ein Donnerwetter.“

 

„Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch“, stimmte Maya Ibuki mit ein.

 

***

 

Die Crew von NERV-04 machte sich mit geschickten Händen daran, die Paletten abzuladen. Bierfässer, Musikboxen und sonstiges Equipment wurde in der großen Halle verteilt, während erfreute Hauptquartiersmitarbeiter sich daranmachten, notwendige Stromleitungen zu verlegen und bereitzustellen. Im Nu hatten sich mehrere gemischte Grüppchen gebildet, die Bierbänke und Stehtische aufstellten, Dekoration verteilten und die mitgebrachte und noch komplett zerlegte Cocktailbar aufbauten.

 

Darius Kocurek und Sally Anderson waren zusammen mit Shigeru Aoba und Maya Ibuki dabei, eine riesige Diskokugel per Flaschenzug unter der Decke zu befestigen. Maya musste lachen. „Vor einigen Tagen haben wir diese Gerätschaften noch gebraucht, um die EVAs manuell startklar zu machen. Bei dem Stromausfall hab ich gedacht, mein letztes Stündchen hätte geschlagen!“ Sally und Darius warfen sich kurz einen vielsagenden Blick zu. Dann antwortete die Pilotin des VTOLs: „Ja, wir haben davon gehört. Krasse Geschichte, aber es ist anscheinend ja nochmal gut gegangen. Sonst hätte ich nie das Vergnügen gehabt, dich kennenzulernen!“

 

Maya wurde leicht rot, musste aber lächeln. Etwas unsicher suchte sie sich schnell eine andere Aufgabe bei der in die Höhe wachsenden Cocktailbar.

 

Der Computerexperte von NERV-04 beobachtete Sally, wie sie der jungen Technikerin nachschaute. Er verschränkte die Arme. „Ich weiß genau, was du denkst!“

 

Sally stemmte die Hände in die Hüften. Sie grinste. „Rrrrrrrr!“, war alles, was sie dazu sagte.

 

***

 

Janko hatte die letzte halbe Stunde zusammen mit seinen Kollegen dazu genutzt, um duschen zu gehen. Und, zugegeben, sich ein wenig vor dem Aufbau zu drücken. Da aber die Feier ohne ihren unermüdlichen Einsatz heute ja gar nicht hätte stattfinden können, fand er das schon gerechtfertigt. Er zog die ihm wohlbekannte Uniform an und betrat mit den David und Ben wieder die große Halle. Oder eher den Festsaal, wie sie erleichtert feststellen mussten. Auf einer kleinen Anhöhe, errichtet aus den nun leeren Paletten, machten sich mehrere Mitarbeiter daran, die umfangreiche Verkabelung zu verlegen.

 

„Wow, wird das sogar ein DJ-Pult?“, fragte Asuka und trat zu den drei Piloten. Sie schien ganz hibbelig. „Ist lange her, dass ich mal ausgiebig getanzt hab!“ Dann setzte sie einen gespielt empörten Gesichtsausdruck auf. „Ihr Ärsche! Ihr hättet echt mal was sagen können!“ Shinji im Hintergrund nickte eifrig. Nur Rei war nirgends zu sehen.

 

Ben lächelte und legte ihr die Hände auf die Schultern. „Liebe Asuka, wenn ich die Erlaubnis gehabt hätte, dann hättest du es auch erfahren. Aber Thaddäus und Phil werden ungemütlich, wenn man sich ihnen widersetzt. Ich bin nur ein einfacher Soldat. Befehle sind Befehle…“

 

„Jaja!“ Sie wischte seine Hände weg und reckte ihm den Zeigefinger entgegen. „Dann erwarte ich aber, dass das ne gigantische Party wird, ist das klar!?“

 

„Oh, das wird es, vertrau mir“, warf David grinsend ein und rieb sich die Hände. „Du hast keine Ahnung, wie die Weihnachtsfeiern von NERV-04 so ausgesehen haben!“

 

Janko trat nah an Shinji und Asuka heran. „Als ob der davon noch viel wüsste“, flüsterte er und zwinkerte ihnen zu.

 

„Eben, dann kann’s ja nur großartig gewesen sein!“, entgegnete David.

 

Das Klopfen einer Hand auf einem Mikrofon riss sie aus ihrem Gespräch. Sie drehten sich zu der improvisierten Bühne aus Paletten um und sahen Phil, der sich dort oben hingestellt hatte.

 

„Guten Abend! Ich weiß nicht, welche miserablen Entscheidungen in Ihrem Leben dazu geführt haben, dass Sie sich NERV angeschlossen haben. Aber da Sie heute schon mal hier sind, kann Ihnen versichern, dass Sie im Begriff sind, Großes zu vollbringen! Die Entscheidungen der letzten Tage mögen für einige Anwesende überraschend und verwirrend gewesen sein, aber lassen Sie mich eines deutlich machen: Wir von NERV-04 haben die gleichen Ziele wie Sie! Unsere Aufgabe ist es, die Menschheit vor ihren Feinden zu beschützen. Mögen diese von außen oder von innen kommen!“ Er betonte die letzten Worte besonders nachdrücklich und schaute kurz zu Thaddäus und den Piloten hinüber. „Auch ich kann Ihnen keinen Sieg versprechen. Aber im Laufe ihrer Geschichte hat die Menschheit immer und immer wieder gezeigt, dass sie auch unter den größten Widrigkeiten in der Lage ist, zu bestehen. Und was soll ich Ihnen sagen? Wir sind, trotz all der Katastrophen, trotz all der Angriffe, immer noch hier! Mögen die Feinde Engel heißen, mögen sie Kaijus heißen, das ist nicht wichtig! Wichtig ist, dass wir bereit sind, füreinander einzustehen! Uns zu unterstützen!“

 

Leichter Jubel im Publikum brandete auf.

 

„Aber, wenn das hier das Ende der Geschichte ist, dann lassen Sie mich eines klarstellen: Wenn diese Viecher uns von diesem Planeten fegen wollen, dann werden sie hart dafür arbeiten müssen! Denn vorher werden WIR IHNEN die Hölle bereiten!“

 

Der Jubel nahm weiter zu. Janko musste grinsen. So kannte er Phil, nie um eine große Ansprache verlegen.

 

„Aber ich bin zuversichtlich! Der heutige Tag ist nicht zum Grübeln da! Heute feiern wir die Zusammenkunft der letzten Verteidiger der Menschheit! Genießen wir für einen Abend das Leben als sei es unser letzter! Lasst uns anfangen, Leute!“ Phil zeigte auf die fertig errichtete Bar und gab ein Handzeichen. Mit einem großen Hammer wurde das erste Bierfass angeschlagen. Eine Fontäne aus Schaum ergoss sich über den Bereich vor der Theke. Eine Woge aus Geschrei und Applaus wallte auf, als die Mitarbeiter der zwei Fraktionen an den Tresen stürmten. Die ersten Stöße des Schlagzeugs von Manowars „Warriors of the World United“ schepperten wie zur Unterstreichung von Phils Worten aus den Musikboxen.

 

***

 

Als bereits einige Zeit vergangen war, saßen Ben, Misato und Phil auf einer der großen Metallkisten am Rande der improvisierten Tanzfläche. Das deutsche Bier schien bei der Japanerin gut anzukommen. Sie beobachteten Janko und Sally bei ihren Tanzversuchen. Nachdem die beiden sich aber gegenseitig mehrmals auf die Füße getreten waren, ließen diese lachend davon ab und gingen zurück zur Theke. Misato schaute ihnen hinterher.

 

„Die beiden scheinen ja ziemlich eng miteinander zu sein. Läuft da etwas?“, fragte sie interessiert an Ben und Phil gerichtet.

 

„Bei Janko und Sally? Niemals. Die beiden kennen sich einfach schon ewig. Die haben lange gemeinsam bei der UN gedient, bevor sie NERV beitraten. Ne Ladung schiefgegangener Einsätze schweißt wohl zusammen…“, antwortete Ben.

 

„Klingt nicht gerade nach einer glorreichen Vergangenheit“, wand Misato ein.

 

„War’s auch nicht“, ergänzte Phil. Er drehte das Bierglas in seiner Hand und schaute zu Misato hinüber. „Der Kerl hat anscheinend sieben Leben. Deswegen macht er sich auch so gut im Evangelion. Er weigert sich einfach, zu sterben.“

 

Darius gesellte sich zu ihnen und hielt einen riesigen Cocktailbecher in der Hand. Er spielte mit dem Strohhalm und nickte in Richtung der Pilotin. „Aber was Sally Anderson angeht: Eure Technikerin Maya Ibuki sollte sich vielleicht vorsehen! Ich glaube, da hat jemand die Angel ausgeworfen.“ Er grinste und widmete sich wieder seinem Long Island Iced Tea.

 

***

 

In einer anderen Ecke der großen Halle hatten Shinji und Asuka sich mit David und Thaddäus zusammengefunden. Der deutsche Pilot musterte die gigantischen Evangelions, die starr auf sie herabblickten.

 

„Die berühmten Einheiten 01 und 02…“, setzte er an.

 

Asuka unterbrach ihn. „Die TEST-Einheit 01!“, stellte sie fest. „Einheit 02 ist der erste voll funktionsfähige Evangelion!“

 

David seufzte übertrieben, dann blickte er zu ihr herüber. „Für dich ist alles ein Wettbewerb, oder?“

 

„Hey, Ehre wem Ehre gebührt! Ich bin nun mal die Pilotin mit den höchsten Synchronwerten! Du bist doch nur neidisch!“ Sie grinste. „Ich wette, mein Wert ist auch höher als deiner!“

 

David zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, hab meinen nie erfahren… Das Ding springt an, wenn ich drinsitze, das ist alles was ich wissen muss.“

 

„WAS?!“, antworteten Shinji und Asuka zeitgleich. Der Junge hakte nach. „Ihr… wisst eure Werte gar nicht?“

 

„Sie werden nicht dauerhaft protokolliert“, schaltete sich Thaddäus ein. Er hatte sein erstes Bier fast aus. „Ich vertrete die Auffassung, dass es, solange es keine massiven Abweichungen von der Norm gibt, keinen Grund gibt, diese Werte ständig zu thematisieren. Sorgt nur für zu viel Wettbewerb unter den Piloten und lenkt von der eigentlichen Aufgabe ab.“

 

Ritsuko trat an das Grüppchen heran. Sie hatte mitgehört und zog skeptisch eine Augenbraue hoch.

 

Thaddäus setzte nach. „Außerdem sind die Werte eh nur begrenzt aussagefähig. Jeder Pilot ist anders, jeder Evangelion ebenso. Es kommt also immer auf das Zusammenspiel zweier Individuen an. Beispielsweise kann eine Einheit mit seinem Piloten und einem Synchronwert von 60 Prozent trotzdem bessere Ergebnisse im Kampf erzielen als eine andere Einheit mit Pilot und einem Wert von 75 Prozent.“

 

Ritsuko sagte immer noch nichts. Dafür schüttelte Asuka den Kopf. „Also für mich klingt das nach einer faulen Ausrede, um sich nicht mehr anstrengen zu müssen!“

 

Thaddäus lächelte. Er schaute zu der Wissenschaftlerin herüber. „Sie können das natürlich handhaben, wie Sie wollen. Aber unserer Auffassung nach sind die Piloten eh schon genug psychischem Stress ausgesetzt, da muss man nicht noch ein Wettrennen veranstalten.“ Dann wandte er sich an David. Tadelnd zeigte er mit wippendem Zeigefinger auf ihn. „Was nicht heißt, dass ich nicht mitkriege, wenn du während der Tests ein Nickerchen machst!“

 

David zog lachend die Schultern hoch. „Hey, das ist nur ein Mal passiert! Und das war an dem Tag nach der Weihnachtsfeier! Da hätte ich nicht mal Auto fahren dürfen! Und du zwingst mich in den Entry-Plug! Selbst schuld!“

 

Thaddäus zählte durch. „Das ist übrigens ein gutes Stichwort. Wie sieht’s aus? Neue Runde? Fünf Bier?“

 

Die Gesichter von Shinji und Asuka begannen zu strahlen. Sie nickten eifrig. Die Wissenschaftlerin jedoch schnaubte erbost. „Wie bitte? Das sind Teenager! Sie können Minderjährigen doch keinen Alkohol anbieten!“ Die Mienen der zwei Piloten verfinsterten sich augenblicklich.

 

Thaddäus räusperte sich, dann blickte er in die Augen seines Gegenübers. „Wie jetzt? Es stellt für Sie kein Problem dar, dass sich Vierzehnjährige da draußen im Zweifel von Engeln zerfetzen lassen müssen, aber bei einem Bier gilt auf einmal der Jugendschutz? Ist das nicht ein wenig heuchlerisch?“ Er betonte mit Vergnügen das letzte Wort.

 

Die blonde Frau überlegte kurz. „Der Punkt geht an Sie, Dr. Weber. Aber wenn hier volltrunkene Piloten rumlaufen, ziehe ich Sie persönlich dafür zur Verantwortung.“ Sie nickte ernst in die Runde, dann drehte sie sich um und ging.

 

„Uuh, welch böser Blick“, dachte Thaddäus und schaute ihr nach. „Sie hasst mich jetzt schon. Großartig.“ Ein eiskaltes Lächeln umspielte seinen Mund.

 

„Da waren’s nur noch vier Bier“, stellte David trocken fest. „Also, die Dame, die Herren, wenn Sie mir bitte zur Theke folgen würden.“ Er fuhr die Arme aus. Die beiden Teenager hakten sich an den Seiten ein.

 

„Mit dem größten Vergnügen!“, antwortete Shinji. Auch Asuka kam freudestrahlend mit.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück