Der Edelig-Mord von Futuhiro (Magister Magicae 8) ================================================================================ Kapitel 1: Die Vision --------------------- Mit einem genervten "Fuck ey!" und einem groben Ruck zog Victor am Saum seines Ledermantels, mit dem er sich in einem Dornengebüsch verfangen hatte. Er war gerade einem ehemaligen Motus-Jäger auf den Fersen, befand sich auf seiner Spurensuche aber inzwischen in der tiefsten Pampa. Langsam hatte er keine Lust mehr, den Kerl noch weiter zu verfolgen. Wo in aller Namen wollte der bitte hin? Hier draußen gab es doch absolut gar nichts!? Velibor war ein eher ungewöhnlicher Fall. Er war ein ganz normaler Mensch. Dass solche Typen als Genius-Jäger arbeiteten, war untypisch, da sie den magisch begabten Genii in der Regel im Kampf nichts entgegenzusetzen hatten. Dennoch hatte sich Velibor gut auf sein Handwerk verstanden. Er hatte ein Talent dafür gehabt, Succuben zu finden und ihnen vor allem nicht auf den Leim zu gehen. Eine recht nette Gabe für den Sklavenmarkt, wo Succuben viel Geld einbrachten, mehr aber auch nicht. Nur hielten sich Succuben, soweit Victor wusste, nicht hier draußen in der Wildnis auf, wo sie gar keine Opfer fanden. Er fragte sich, was der Jäger sonst hier suchte, so fernab jeglicher Zivilisation. An sich lohnte es kaum, Velibor überhaupt zu verfolgen. Er war ein zu kleiner, unbedeutender Fisch. Er hatte es in der Motus nie zu viel Einfluss gebracht und sich auch nie durch überdurchschnittliche Skrupellosigkeit hervorgetan. Aber Victor war nicht wählerisch. Wenn er gerade nichts Besseres zu tun hatte, jagte er alle Motus-Handlanger, die ihm vor die Nase kamen, vor allem wenn sie trotz des Niedergangs der Motus heute immer noch aktiv waren. Jeder Wichser, der aus dem Verkehr gezogen wurde, war ein guter Wichser. "Ach, takoje dermo!", fluchte er ungeniert vor sich hin. "Leck mich doch am ..." Als der Gestaltwandler sich aus dem Dornengestrüpp befreit hatte und wieder nach vorn schaute, hatte er Velibor in der Ferne aus den Augen verloren, was ihn dazu veranlasste, seinen Fluch unvollendet hängen zu lassen. So ein Mist. Wohin war der so schnell verschwunden? Hier gab es zwar genug Verstecke, aber welchen Grund sollte der Kerl haben, sich zu verstecken? Er konnte unmöglich gemerkt haben, dass er verfolgt wurde. Dafür hatte Victor viel zu viel Abstand gehalten. Irgendetwas anderes musste ihn in die Deckung getrieben haben. Der schwarzhaarige Russe wollte gerade weitergehen, um Velibor zu suchen, doch als er das am Himmel kreisende Wesen bemerkte, warf er sich selbst schnell in das nächstbeste Gebüsch. Dabei war er trotz seiner Reflexe glücklicherweise noch bei genug Verstand, um sich nicht erneut für die Dornenhecke zu entscheiden. Alles weitere beobachtete er zunächst aus diesem Versteck heraus, bis er die Lage wieder besser einschätzen konnte. Victor hatte die Kreatur anhand der Form ihrer Schwingen zunächst für einen Greif oder Mantikor gehalten. Als sie näher kam, offenbarten sich jedoch eher menschliche Proportionen, woraufhin Victor kurz auf einen Tengu tippte. Das wäre unschön gewesen, denn Tengus waren als Gedankenleser im Ernstfall nicht so leicht zu übertölpeln. Doch dann sah er den langen Dämonen-Schwanz und erkannte endlich eine Succubus in dem Neuankömmling. Unglaublich, hier draußen auf eine Succubus zu treffen. Aber es erklärte, was Velibor hier wollte: der Motus-Handlanger war auf der Jagd. Velibor kam wieder aus seiner Deckung gekrochen und platzierte sich gut sichtbar auf einer Freifläche, offensichtlich um die Succubus auf sich aufmerksam zu machen. Die geflügelte Frau mit den langen, weinroten Haaren nahm auch sofort Kurs auf ihn, landete in der Nähe und begann augenscheinlich ein Gespräch mit ihm. Da sie beschäftigt und ausreichend abgelenkt schien, wagte auch Victor sich wieder aus seinem Versteck und versuchte, möglichst unbemerkt näher heranzukommen. Selbst über diese Entfernung konnte er beobachten, wie Velibor sie plötzlich packte und die schreiende, sich wehrende Frau zu Boden rang. Irgendwoher hatte er ein Seil zur Hand und begann sie grob zu verschnüren. Obwohl sie wild mit den Flügeln schlug, ließ er sie nicht mehr vom Boden hochkommen, geschweige denn abheben. Schließlich zog er sich auch noch einen Schal vom Hals, den er zuvor selbst getragen hatte, und wickelte ihn der Succubus mehrfach auf Kieferhöhe um den Kopf, um sie mundtot zu machen. Ihr Gezeter verschwand unter der dämpfenden Wolle. Victor, der inzwischen nah genug herangekommen war, um einen Waffeneinsatz zumindest endlich in Erwägung ziehen zu können, zog eine Pistole hinterrücks aus seinem Hosenbund und marschierte forschen Schrittes los. Auf Deckung achtete er von hier an nicht mehr. Stattdessen ballerte er im Vorwärtsgehen sein erstes Magazin leer. Velibor zog reflexartig seine eigene Waffe, warf sich aber angesichts des Dauerbeschusses zunächst mit eingezogenem Kopf auf den Boden und robbte auf allen Vieren davon. Victor folgte ihm, ununterbrochen weiter schießend, bis die Waffe nur noch im Leerlauf klickte. Das Magazin auszutauschen, kostete Victor lediglich zwei Handgriffe, dann schoss er weiter. Wieder klickte der Leerlauf. "jo-majo", fluchte er frustriert. Das Ding KONNTE noch nicht leer sein. Die Waffe musste aufgrund der viel zu schnellen Schussfolge, für die sie nicht ausgelegt war, wohl Ladehemmung haben. Er ließ die Pistole einfach zu Boden fallen und zog seine zweite aus dem Hosenbund. Und ballerte weiter, um seinen Gegner an Kontermaßnahmen zu hindern. Dabei bekam er den Motus-Jäger schließlich so ins Visir, dass er ihn trotz der Entfernung auch endlich traf. Eigentlich wäre es ihm lieber gewesen, seinen Gegner mit einem einzigen, vernünftigen Schuss umzunieten. Aber das Gelände war zu unübersichtlich für einen goldenen Blattschuss, und zu voll mit Sichtschutzen. Der Gestaltwandler ging ohne viel Umschweife hin und sah nach, dass der Kerl auch wirklich tot war, bevor er sich um dessen Opfer kümmerte. "Alles okay bei dir?", wollte er stoisch wissen, während er der gefesselten Dämonin den Knebel vom Mund zog. "Ja. Danke", keuchte sie, als sie wieder reden konnte. Victor sah sich die Fesseln an, entschied, dass er jetzt keine Lust hatte, diese Knoten per Hand aufzufummeln, und kappte das Seil einfach mit seinem Taschenmesser, um sie zu befreien. „Du hast mir das Leben gerettet!“, meinte sie, vor Aufregung noch ganz außer Atem. „Wie kann ich dir das jemals danken?“ „Das musst du nicht. Wenn ich helfen konnte, reicht mir das schon“, schmunzelte Victor. Das Leben gerettet hatte er ihr vermutlich nicht, aber sie immerhin vor einem sehr unschönen Sklaven-Dasein bewahrt. Er musste sich hart am Riemen reißen, sie nicht zu genau anzuschauen. Die Frau war überwältigend sexy und betörend, wie alle ihrer Art. Succuben waren Verführer. Sie waren heiß und fesselnd. Man konnte sich ihren erotischen Reizen kaum entziehen. Diese hier war da keine Ausnahme. Auch Victor fühlte sich massiv von ihr angezogen und verlockt, kämpfte aber mit dem Verstand bewusst dagegen an, um dem von ihr ausgelösten Trieb nicht zu erliegen. „Doch, doch, ich will mich erkenntlich zeigen!" "Jetzt hör schon auf, deine Pheromone zu versprühen. Ich will wirklich nichts von dir", bat er nochmals. "Nagut", lenkte sie etwas enttäuscht ein. Tatsächlich lies Victors Begehren daraufhin nach, was ihn etwas beruhigte. Sie hatte aufgehört, ihre sexuellen Reize gewollt einzusetzen. Natürlich war sie für ihn immer noch attraktiv, aber er konnte nun wieder besser damit umgehen. "Aber ich weiß was anderes", meinte sie euphorisch. "Ich werde dir zum Dank einen Blick auf die Zukunft gewähren. Was hältst du davon? Und zwar nicht nur auf irgendeine allgemeine. Sondern auf eine, die dich auch wirklich persönlich betrifft.“ Victors Schmunzeln blieb. „Du kannst die Zukunft sehen?“ „Besser! Ich kann DICH sehen lassen!“ Ohne viel Federlesen schnappte sie nicht nur Victors Hand, sondern förmlich seinen ganzen Unterarm, als bräuchte sie möglichst viel Körperkontakt für ihre Fähigkeit. Und ehe er noch etwas einwenden konnte, geschah es auch schon. Gelassen schaute er zu, wie die Welt um ihn herum in dunkelgrauem Dunst versank. Victor hatte keine Angst vor ihr. Auch wenn Succuben als "Dämonen" betitelt wurden, waren sie keine Dämonen im theologischen Sinne, die mit irgendeiner Art Hölle oder einem Teufel in Verbindung gestanden hätten. Sie waren ganz normale Genii wie alle anderen Fabelwesen auch. Velibors Leiche und die Landschaft ringsum verschwanden. Es blieb nur knöchelhoher, träger, dunkler Bodennebel. Und mittendrin drei Personen: Ruppert Edelig und zwei Motus-Jäger. So sahen also Zukunfts-Visionen aus. Interessiert schaute Victor sich um. Er erkannte die zwei Jäger wage wieder. Es waren Cord, ein menschlicher Bann-Magier, und sein Schutzgeist Third Eye, eine Banshee. Third Eye hatte die Gabe, hinter die Maske von Genii zu schauen, die gerade in ihrer menschlichen Tarngestalt herumliefen. Das war bei der Motus eine hoch gefragte Fähigkeit gewesen und hatte ihm seinen Namen eingebracht. Beide kannte Victor nur flüchtig, und auch nur deshalb, weil Vladislav sie mal wegen irgendeines Fehltritts zusammengestaucht hatte. Sie hatten beide lange, verfilzte, blonde Haare und man brauchte kein Hellseher zu sein, um ihnen die Verbrecher-Natur anzusehen. Der Cord aus dieser Zukunfts-Vision hob eine Pistole und gab Ruppert einen Kopfschuss, was Victor und die Succubus, die noch an seinem Arm hing, gleichsam zusammenzucken ließ. Beide schauten fassungslos zu, wie Ruppert zu Boden ging. Mit einem entsetzten Keuchen brach die Dämonin die Vision ab und holte Victor ins Hier und Jetzt zurück. Auch der Russe schnappte erschüttert nach Luft. „Du hast das auch gesehen, oder?“ „Ja ...“ „Wann passiert das?“, wollte er aufgebracht wissen. „In wenigen Tagen schon.“ „Ist dieses Schicksal noch änderbar?“ Die Succubus schüttelte bedauernd den Kopf. „Nein. Falls die beiden aufgehalten werden sollten, werden andere kommen und es vollenden.“ „Scheiße …“ „Es tut mir leid“, meinte sie leise und mit schlechtem Gewissen. „Ich hab vorher nicht gewusst, was wir zu sehen kriegen würden. Ich wünschte, ich hätte dir eine glücklichere Zukunft schenken können.“ „Ist schon gut. Ich danke dir trotzdem dafür“, hielt er mit etwas verbissenem Gesicht dagegen. Dabei zog er Zettel und Stift aus seiner Manteltasche und zeichnete ein Symbol auf das Papier. Dieses drückte er der verdutzten Frau mitten auf die Stirn. „Du wirst diese Vision wieder vergessen. Du hast das nie gesehen“, trug er ihr dabei auf. Es war sein bester und irreversibelster Gedächtnislösch-Zauber. Das letzte, was er brauchen konnte, war, dass sie jetzt auch noch zur Polizei ging. Das machte es nur noch komplizierter. Mechanisch und kaum ganz bei klarem Verstand stand er dann auf und ging sich um Velibors Leiche kümmern, die er wie immer spurlos verschwinden lassen musste. Er war gar nicht mehr ganz bei der Sache. In seinem Kopf überschlug sich alles. Die Succubus blieb auf dem Boden sitzen, schaute ihm zwischen verständnislos und beleidigt nach, und rieb sich die Stirn. Sie fragte sich sichtlich, was das gerade gesollt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)