Beautiful Behavior von Varlet ================================================================================ Kapitel 9: Rückkehr nach New York --------------------------------- Ed hielt sein Versprechen. Während Jodie weiterhin in ihrer Wohnung hockte – und auch daran dachte, wieder wegzulaufen – brachte er ihren Vermieter zur Polizei. Sie wusste allerdings nicht, was dort besprochen wurde. Aber was es auch wahr, es sorgte dafür, dass ihr Vermieter für mindestens 24 Stunden in Gewahrsam blieb. Sie war froh, denn so konnte sie mit diesem Leben abschließen, ohne ihm erneut gegenübertreten zu müssen. Trotzdem war Jodie weiterhin verunsichert und brauchte Zeit, um ihre Gedanken zu ordnen. Ihr Gefühlsausbruch war ihr peinlich, aber nun musste sie das Beste daraus machen. Und leider hieß dies, dass sie wieder nach New York zog. Weder Roy noch James hatte sie informiert, da ihre Angst die Beiden enttäuscht zu haben, zu groß war. Roy hatte wegen ihr seinen Job riskiert und letzten Endes war dies umsonst. Dafür würde sie von James mit offenen Armen empfangen und von seiner Liebe erdrückt werden. Die ganze Nacht hatte Jodie damit verbracht, verschiedene Kündigungsschreiben aufzusetzen. Da Ed sie am nächsten Morgen abholen wollte, hatte sie ein schlechtes Gewissen, einfach nicht zur Arbeit im Diner zu erscheinen. Sie wusste zwar, dass sie nicht die Erste sein würde, die so was tat, aber für ihren Boss und ihre Kollegen tat es ihr dennoch Leid. Aber es musste nun einmal sein. Glücklicherweise sah es bei der Wohnung anders aus. Sie hatte noch nicht so viele Sachen in ihrer Wohnung und alles, was nicht in die Tasche passte, würde sie später holen. Oder jemanden für das Ausräumen der Wohnung engagieren. Aber auch nachdem sie damit fertig war und endlich ins Bett gehen konnte, lag sie wach. In ihrem Kopf lief ein Film mit verschiedenen Szenarien, wie ihre Rückkehr nach New York aufgenommen werden würde. Obwohl sie keine Angst haben musste, hatte sie sie. Und so wurde aus der kurzen Nacht eine schlaflose Nacht. Am nächsten Morgen war sie vollkommen übermüdet in Eds Wagen gestiegen und nach zehn Minuten Fahrt eingeschlafen. Eine Stunde bevor sie in New York ankamen, wurde die junge Frau wieder wach. Verschlafen blickte sie aus dem Fenster. „Mhm…wo bin ich…?“ Ed schielte zu ihr. „Wir sind auf dem Weg nach New York. Es dauert nicht mehr lange.“ Jodie rieb sich die Augen. „Verstehe. Glauben Sie, es war richtig…meine Zelte in London und Wilmington einfach so abzubrechen?“ „Bitte versteh das nicht falsch“, begann er. „Aber du hast das auch schon vor einem Jahr gemacht. Hattest du damals auch ein schlechtes Gewissen?“ Jodie schluckte, dann nickte sie. „Es war…nicht einfach. Aber…es war besser so.“ Ed blickte auf die Straße. „Ich werde mich um die Auflösung deiner Wohnung kümmern. Und wenn du möchtest, rede ich mit deinen Kollegen im Diner. Ich habe die halbe Nacht gegen deinen Vermieter ermittelt. Du musst keine Aussage machen, ich habe da bereits andere Opfer im Auge. Um den Rest kümmer ich mich von New York aus.“ „Danke“, wisperte Jodie und lehnte ihren Kopf gegen die Fensterscheibe. „Allein schaff ich das alles nicht. Ich war noch nie gut im Alleinsein.“ „Denk so was nicht. Du hast ein paar schlechte Tage gehabt, aber irgendwann scheint auch wieder die Sonne.“ „Stand das in einem Glückskeks?“ „Nein, das hat dein Vater mal zu mir gesagt, als es mir nicht so gut ging.“ Jodie kämpfte mit den Tränen. „Dad…ich vermisse ihn…und Mom…jeden Tag…“ Ed nickte verstehend. „Irgendwann wird es leichter.“ „Es ist schon fast 20 Jahre her“, warf Jodie ein. „Und es ist noch nicht leichter geworden.“ „Natürlich nicht“, entgegnete Ed ruhig. „Die Mörderin deiner Eltern ist noch nicht gefasst worden. Und solange dies der Fall ist, kannst du nicht damit abschließen. Wir finden sie, ich werde alles tun was ich kann. Du kannst dich auf mich verlassen.“ „Ich weiß nicht einmal was damals genau passiert ist“, gab sie leise von sich. „Erzähl mir davon. Bitte.“ Er sah wieder zu ihr. „Nur wenn du willst. Wir können aber auch später darüber reden. Aber wenn ich dir helfen soll, muss ich es wissen.“ Jodie schluckte. Egal wie oft sie es einer Person erzählte, es wurde nicht einfacher. „Wie ich mittlerweile weiß, hatte mein Vater einen Fall beim FBI übernommen. Was er genau gemacht hat, wollen sie mir bis heute nicht sagen. Ich war klein und hab…geschlafen. Als ich Stimmen gehört habe, bin ich wach geworden. Mein Vater hatte mir eine Gute-Nacht-Geschichte versprochen, deswegen habe ich mein Zimmer verlassen und bin runtergegangen. Als ich im Wohnzimmer war…war da diese Frau. Damals habe ich nicht gewusst, in welcher Gefahr ich mich befand und…sie wirkte nett. Wir haben geredet und sie gab mir sogar die Brille meines Vaters zurück. Natürlich habe ich sie dem FBI gegeben wegen der Fingerabdrücke. Sie war es auch, die mir sagte, dass mein Vater schläft.“ Jodie wischte sich die Tränen weg. „Ehrlich gesagt, war ich sogar etwas wütend auf meinen Vater. Er hatte mir eine Geschichte versprochen und dann schlief er selbst. Seitdem kann er mir keine Geschichten mehr vorlesen. Ich habe…dann bei ihm gewartet, bis er aufwacht. Irgendwann wurde mir langweilig und ich wollte ihm Saft aus der Küche holen. Er war alle und ich bin rausgegangen, um eine neue Packung zu kaufen. Die Therapeuten haben gesagt, dass ich wohl mehr mitbekommen habe und mich der Schock dazu gebracht hat, das Haus zu verlassen. Allein oder ohne Erlaubnis durfte ich das Haus nicht verlassen, aber damals… Draußen habe ich dann James getroffen. Er brachte mich nach Hause und dort stand das Haus in Flammen. Ich erinnere mich noch daran, wie zwei schwarze Säcke aus dem Haus getragen wurden.“ „Leichensäcke…“ Jodie nickte. „Meine Eltern lagen darin.“ Sie schloss ihre Augen. „Ich erinnere mich nicht mehr daran, wo meine Mutter war. Sie war zu Hause, aber nicht im Wohnzimmer und auch nicht in der Küche. Aber sie ist in dem Haus gestorben. Sie haben mir gesagt, dass ich nicht nur unter Schock stand, sondern mich auch schuldig fühlte, weil ich überlebt habe und…meine Eltern nicht. Mittlerweile stimme ich dem zu. Wäre ich nicht rausgegangen, wäre ich jetzt auch tot.“ „Jodie. Du musst dich nicht schuldig fühlen. Du hast überlebt, weil es dein Schicksal war.“ „Das sage ich mir auch immer…und das ich die Mörderin hinter Gittern bringen soll.“ „Möchtest du später zum FBI gehen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann kein Blut sehen. Mir wird sofort schlecht und mein Kreislauf bricht zusammen. Das ist wohl…seit diesem Abend…“ „Aber du versuchst trotzdem die Wahrheit herauszufinden, weil es das FBI nicht schafft.“ „Hat Ihnen das James gesagt?“ „Er sagte, dass du die Akten einsehen wolltest.“ „Ja“, nickte sie. „In den Nachrichten hieß es, das der Brand ein Unfall war, aber FBI intern weiß jeder, dass er in Ausübung seiner Pflicht gestorben ist. Und meine Mutter war ein zusätzliches Opfer…ein Kollateralschaden, wenn man es so will. Ich bin regelmäßig zum FBI und habe…versucht Einsicht in die Akten zu bekommen. Ich wollte unbedingt lesen, was mein Vater damals alles getan hat und…was das FBI zum Tod meiner Eltern ermittelt hat. Ich hatte die Hoffnung, dass ich etwas finde, was die anderen übersehen haben. Sehr unrealistische Vorstellung, ich weiß. Aber ich habe die Akten nicht bekommen, obwohl ich zur Familie gehöre. Sie sagten, es wäre, weil es sich um interne Akten handelt.“ Ed nickte. „Das ist auch richtig. James hat mir von damals erzählt und ich habe auch versucht an die Akten zu kommen. Ich habe ihnen meine Hilfe angeboten, aber das hat mir auch nichts gebracht. Die einzige Möglichkeit wäre Diebstahl, aber das ist keine Option.“ „Ich weiß“, murmelte Jodie. „Ich habe auch daran gedacht. Diebstahl der Akten wird schwer geahndet. Und wenn man eine Akte aus dem Archiv entnimmt, muss man sich in eine Liste eintragen. Selbst, wenn man eine Akte im elektronischen Archiv liest, wird das vermerkt. Und aufgrund des Arbeitsvertrages darf man nichts an Außenstehende verraten. Selbst wenn man das wollte, bestimmte Akten sind nur wenigen Agenten zugänglich.“ Ed fuhr weiter. „Was ist dann passiert? Du hast die Akten nicht bekommen, aber deswegen verlässt man nicht die Stadt.“ Natürlich hatte er einiges von James erfahren, aber er musste es mit ihren eigenen Worten hören. „Nein, nicht deswegen…“ Jodie öffnete ihre Augen und sah auf die Straße. „Ich habe beim FBI einen Agenten kennengelernt. Er hat mich getröstet und mir zugehört. Wir haben uns…verliebt und es tat mir gut, mit ihm über alles zu reden. Irgendwann hab ich auch gar nicht mehr daran gedacht, die Akten lesen zu wollen. Die Beziehung tat mir gut, aber dann…dann war ich auf einer Studentenfeier. Ein Mädchen wurde von einem Typen bedrängt und ich wollte ihr helfen. Dabei ist er gestürzt und im Krankenhaus gelandet.“ Jodie seufzte. „Es gab einen Deal und ich musste Schmerzensgeld zahlen. Danach war ich das Gespräch der ganzen Uni und…ich wurde ausgegrenzt. Eigentlich wollte ich es durchstehen…irgendwie wäre es schon gegangen, aber es war schwerer als gedacht. Mir ging es immer schlechter und dann hat R…mein Freund vorgeschlagen, dass wir zusammen weggehen. Es klang plausibel und ich dachte, dass mir der Ortswechsel gut tut. Das Problem war nur James. Ich hatte Angst, es ihm zu sagen und vor seiner Reaktion. Selbst wenn ich weggezogen wäre, er hätte oft angerufen oder wäre vorbei gekommen und so…wären die Wunden immer wieder aufgerissen. Deswegen haben wir entschieden, dass es besser wäre, wenn ich ihm nicht sage, wo ich hingehe. Er bekam einen Abschiedsbrief von mir und wir organisierten es so, dass ich nicht zu finden bin. Das hieß aber auch, dass ich erst einmal unter einem anderen Namen Leben musste. Und wenn Gras über die Sache gewachsen wäre, hätte ich wieder als Jodie Starling Leben können. Aber James hat leider trotzdem nach mir gesucht.“ Sie seufzte. „Wie haben Sie mich gefunden?“ Ed lächelte. „Ich bin Privatermittler und schon lange im Geschäft. Ich weiß, wie ich jemanden finden kann, der nicht gefunden werden will. Es war eine gute Idee, dass dir ein FBI Agent geholfen hat, das hat die Sache schwerer gemacht. Aber wenn man tiefer wühlt, findet man immer was. Am Ende musste ich einfach nur meine Mitarbeiterinnen mit der Suche betrauen. Sie riefen bei Versicherungen und Banken an und gaben sich als du aus. Sie verwickelten die Leute in ein Gespräch und können mit gezielten Fragen die richtigen Antworten herausfinden. Außerdem habe ich ein paar…Bekannte, die mir noch einen Gefallen schulden. Über deine Sozialversicherungsnummer konnte ich deine Arbeitsstelle herausfinden. Und mit den Angaben der Versicherung und der Bank konnten wir den Ort gut eingrenzen. Und dann musste ich nur noch ins Diner.“ Jodie sah zu ihm. „Durch meinen Abschiedsbrief hätte man das auf offiziellem Weg nicht in Erfahrung bringen.“ „Genau, aber deswegen gibt es uns Privatermittler. Wir bewegen uns in einer Grauzone. Wir müssen uns zwar auch an das Gesetz halten, haben aber mehr Spielraum als die Polizei und das FBI.“ Jodie rutschte auf dem Sitz hin und her. „Verstehe. Ich habe noch niemanden gesagt, dass ich wieder nach New York komme. Ich möchte nicht, dass mein Freund Ärger bekommt, weil er mir geholfen hat.“ „Das können wir gern verschweigen. Allerdings wird James sicher wissen wollen, wie du es geschafft hast, ein Jahr unterzutauchen.“ „Das dachte ich mir schon“, murmelte Jodie und atmete tief durch. „Ich weiß nicht, was ich James sagen werde, wenn wir uns wiedersehen. Mit einem Es-tut-mir-Leid wird es wohl nicht genügen.“ „Das seh ich anders. Black würde dir alles verzeihen, solange er dich nur wiedersieht. Wie hast du dir eigentlich dein weiteres Leben vorgestellt?“ „Ich wollte erst einmal…ein wenig Geld verdienen…im Diner. Und dann in ein oder zwei Jahren mein Studium wiederaufnehmen. „Literaturwissenschaften. Entweder an einer anderen Uni oder per Fernstudium. Und…“ Jodie sah auf ihre Hände. „…auch wenn ich eigentlich ein neues Leben beginnen wollte, wollte ich irgendwann doch die Mörderin meiner Eltern finden. Ich weiß, das ist total widersprüchlich.“ „Manchmal sind wir Menschen eben widersprüchlich“, gab Ed von sich. „Ich kann dich sehr gut verstehen und wie ich es dir gestern schon sagte, ich helfe dir gern bei der Suche.“ „Ja, das sagten Sie“, entgegnete Jodie. „Glauben Sie, das wäre im Sinne meiner Eltern?“ Ich glaube, deine Eltern hätten gewollt, dass du glücklich wirst. Weißt du, was mir dein Vater mal erzählt hat?“ „Was?“ „Du hast ihm irgendwann mal erzählt, du würdest später auch FBI Agentin werden. Er fand es zwar sehr gefährlich und wollte nicht, dass du diesen Berufsweg ergreifst, aber er hatte auch davon berichtet, wie er sich die Arbeit mit dir vorstellte. Ihr wäret Partner und könntet euch immer aufeinander verlassen.“ Jodie kamen wieder Tränen. Sie wischte sich diese weg, ehe sie nicht mehr aufhören konnte. Ed nahm die Ausfahrt nach New Jersey und bog dann in eine kleine Straße ein. „Hier geht es nicht zum FBI“, murmelte Jodie. „Und auch nicht zu James nach Hause.“ „Ich weiß.“ Ed hielt vor einem Gebäude und zeigte auf dieses. „Hier ist mein Büro. Ich habe mich entschieden, dir zu helfen. Und…ich kann verstehen, warum du James nichts gesagt hast. Das heißt nicht, dass ich es gut finde. Und wenn…du wirklich die Mörderin deiner Eltern finden willst, müssen wir uns einen guten Plan überlegen. Mit deiner Rückkehr würdest du beim FBI für Furore sorgen. Sie alle würden wieder mehr auf dich achten und darauf, dass du nicht an die Akten kommst. Außerdem…“ Er runzelte die Stirn. „Außerdem?“ „Ich mache mir Sorgen um dich. Wenn ich der Mörder deiner Eltern wäre und aus der Zeitung erfahren hätte, dass an jenem Abend nur zwei Leichen gefunden wurden, hätte ich dich entweder sofort beseitigt, später oder ich hätte dich im Auge behalten.“ Jodie schluckte. „Sie glauben, sie…“ „Es könnte sein, muss aber nicht. Ich bin mir sicher, dass dich davor das FBI auch nicht aus den Augen ließ…oder Black. Und wenn sie seitdem die Füße stillgehalten hat, kann das auch was anderes bedeuten. Aber das sollten wir rausfinden. Und ich möchte dich nicht in Gefahr bringen. Dein Vater hätte gewollt, dass ich auf dich aufpasse und beschütze. Deswegen…habe ich mich entschieden, dass wir deine Rückkehr verschweigen, auch vor Black.“ Jodie blickte ihn überrascht an. „Meine Mitarbeiterinnen werden auch schweigen. Wir werden uns um dich kümmern und du kannst bei uns arbeiten. Du wirst keine Klienten betreuen und bleibst in deinem Büro, auch wenn Black kommt. Außerdem wirst du dein Studium wieder aufnehmen. Wir werden schauen, ob ein Fernstudium möglich ist. Ich werde dir eine Wohnung besorgen. James wird nicht auf die Idee kommen, dass du wieder in New York bist, dennoch solltest du vorsichtig sein, wenn du raus gehst. Deinem Freund sagst du auch nichts. Er wäre nur ein Risiko. Am besten du behältst das mit der Perücke und den Kontaktlinsen ebenfalls bei.“ Jodie biss sich auf die Unterlippe. Sie wollte Roy nicht belügen, aber die Argumente waren eindeutig. „Danke“, wisperte Jodie. „Heute bin ich mir sicher mit der Entscheidung, aber…falls ich meine Meinung doch ändere…oder du deine, dann reden wir darüber, in Ordnung?“ Jodie nickte. „Jodie?“ … „Jodie?“ Ihre Kollegin seufzte und tätschelte ihre Schulter. „Mhm? Milena…entschuldige…“ „Ist alles in Ordnung?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)