A thousand words or less von -Red-Karasu ================================================================================ Kapitel 4: 04. The Boys Time Can't Capture (D'espairsRay) --------------------------------------------------------- The Boys Time Can't Capture „Hey! Psssst! Tsukasa!“ Eine Hand packt dich unsanft an der Schulter und schüttelt dich kräftig durch. Dein erster Instinkt ist, dich einfach in deiner Schlafkoje umzudrehen, um der nächtlichen Störung zu entkommen, aber wie so oft in deinem Leben hast du deine Rechnung offensichtlich ohne Hizumi gemacht. „Tsukasa, komm schon! Ich will dir was zeigen!“ Deiner Kehle entkommt lediglich ein gequälter, tierähnlicher Laut, als du dich geschlagen gibst und blinzelnd die Augen öffnest – im selben Moment, in dem er beschließt, seine Taschenlampe anzuschalten. „Oh Gott, nimm das Ding aus meinem Gesicht oder ich tu dir was.“ „That’s what she said.“ Du kannst das Feixen in seiner Stimme hören, noch während du das Gesicht wieder in deinem Kopfkissen vergräbst. „Ich weiß nicht, ob der Witz so funktioniert“. Ganz abgesehen davon, dass bei seiner Aussprache eh kein Amerikaner verstehen würde, worauf er hinaus will. „Auch egal.“ Die beinahe kindliche Ungeduld in seiner Stimme lässt dich widerwillig lächeln, weil sich manches eben nie ändert. „Kommst du jetzt endlich?“ Du seufzt, beginnst umständlich damit, dich aufzusetzen. Zum einen bist du jetzt sowieso wach und zum anderen würde er dir ohnehin keine Ruhe lassen, selbst wenn du versuchen würdest, ihn zu ignorieren. Allerdings musst du durch die plötzliche Bewegung feststellen, dass du noch ein gutes Stück mehr Restalkohol im Körper hast, als erhofft. „Was ist eigentlich los?“, willst du deswegen wissen, um noch etwas Zeit zu schinden, bevor du dich ganz in die Senkrechte hieven musst. „Komm einfach mit.“ Hizumis warme Finger verschränken sich mit deinen und wäre es dafür nicht schon ein paar Jahrzehnte zu spät, würde dich der bittende Ausdruck in seinen tiefbraunen Teddybäraugen spätestens jetzt zum Schmelzen bringen. Als ob du ihm jemals etwas abschlagen könntest. Also stehst du schwerfällig auf und stolperst hinter ihm her durch den Tourbus. Wie so oft in deinem Leben folgst du einfach dem Weg, den er dir vorgibt und fühlst dich dadurch unwillkürlich in eure Kindheit zurückversetzt. Du weißt nicht einmal, ob er sich noch an diesen einen Sommer erinnert, in dem ihr zusammen im Ferienlager wart, aber für dich war er ein einschneidendes Erlebnis. Ihr wart gerade zwölf und auch damals hatte er dich mitten in der Nacht aus dem Bett gezerrt, weil er der Meinung war, dass ein Sommercamp ohne Nachtwanderung kein richtiges Sommercamp ist. Und schon damals fandest du es nicht wirklich schlimm, der Leidtragende seiner Ideen zu sein. Im Nachhinein betrachtet, hättest du wohl eher erkennen können, dass sich dieser Trend für den Rest deines Lebens fortsetzen würde. Während du jetzt nur den Parcours bis ans hintere Ende des Busses schaffen musst, seid ihr damals im Licht einer mickrigen Taschenlampe querbeet durch den Wald gestolpert, ohne zu wissen, wo ihr eigentlich genau wart oder wie wir wieder zurück ins Camp kommen würdet. Wie genau ihr es geschafft habt, pünktlich kurz vor der Weckzeit wieder in euren Doppelstockbetten zu liegen, hast du vorsichtshalber verdrängt. Es kostet dich erhebliche Mühe, diesen Gedanken beiseitezuschieben und dich stattdessen darauf zu konzentrieren, was dir sein neuster Plan abverlangen wird. Und was du siehst, stimmt dich nicht wirklich positiv, was deine körperliche Unversehrtheit betrifft. Du siehst ihm stumm dabei zu, wie er die Leiter hinauf klettert, die auf das Dach des Busses führt und dein Magen meldet vorsichtshalber deutliche Bedenken an, als du danach greifst, um ihm zu folgen. Eigentlich kann das nur schiefgehen. Aber du bist wach und hast ganz offensichtlich nichts Besseres zu tun als mitten in der Nacht irgendwo in den schier unendlichen Weiten der USA auf ein Busdach zu krackseln, weil er sagt, dass du genau das machen solltest. Immerhin hält er dir von oben eine Hand entgegen, um dir den Aufstieg zu erleichtern und wenn du sie danach einfach in deiner behältst, muss das sonst niemand erfahren. Du versuchst – und scheiterst kläglich – ein herzhaftes Gähnen zu unterdrücken, während du dich umsiehst. Euer Bus steht in der wortwörtlich menschenleeren Einöde auf einem Parkplatz, der dich an das letzte dutzend Horrorfilme denken lässt, die anzusehen er dich gezwungen hat. Am anderen Ende der Reihen von asphaltierten Stellplätzen befindet sich ein Diner, dessen flackernde Neonbeleuchtung die einzige Lichtquelle weit und breit ist. Davon abgesehen gibt es die nur kahle Weite des verbrannten Graslandes, das sich bis zum Horizont hinzieht. „Also wenn du mir zeigen wolltest, dass wir hier definitiv ermordet werden könnten, ohne dass es jemand merkt, darauf hätte ich gern verzichtet“, stellst du schließlich fest und wünschst dich in das warme Bett zurück, das nur wenige Meter entfernt auf dich wartet. „Nein, du Blödmann“, Es ist fast lustig, dass das Wort aus seinem Mund wie ein Kosename klingt. Seine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln und dein Herzschlag stolpert kurz, als er seine Hand aus deiner befreit und dann beide an deine Wangen legt. „Ich wollte dir das hier zeigen.“ Wenig sanft bringt er dich dazu, den Kopf in den Nacken zu legen und nach oben zu sehen. „Oh. Okay.“ Mehr kannst du gerade tatsächlich nicht sagen und kann es nicht mal auf den Restalkohol schieben, weil sich über euch der unfassbarste Sternenhimmel spannt, den du je gesehen hast. Der Mond hängt nur als schmale Sichel in der Nachtluft, aber je länger du nach oben siehst, desto unwirklicher wirken die Sterne, die dir entgegenfunkeln und mit jeder Sekunde nur mehr zu werden scheinen. Es ist schwindelerregend, als würdest du den Boden unter den Füßen verlieren und Hizumis warme Hände sind alles, was dich daran hindert, einfach ins Universum davonzuschweben. „Ich wusste nicht, dass man die Milchstraße irgendwo ohne Teleskop so deutlich sehen kann.“ „Wahnsinn, oder?“ Für einen Moment ignorierst du die Sterne und siehst nur ihn an, umgeben vom seltsamen Leuchten der Nacht. Und du hattest nicht Unrecht mit deinen Gedanken. Es war schon immer so, dass er es war, der dich im Hier und Jetzt gehalten hat, der das Funkeln der Sterne für dich eingefangen hat. Seine Lippen verziehen sich zu einem sorgenfreien Grinsen und vielleicht liegt es nur am Restalkohol, aber für einen Moment siehst du euch, wie in einer Rückblende, mit zwölf im Wald stehen, umgeben von einem ganzen Schwarm Glühwürmchen, den ihr versehentlich aufgescheucht habt. „Ziemlich.“ Deine Antwort kommt so verspätet, dass er seinen Blick mit hochgezogenen Augenbrauen einfängt und dann noch breiter grinst. „Spinner.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)