Die Sonne scheint für alle von MariLuna ================================================================================ Kapitel 20: ------------ XX.     Ah, welch ein ruhiger Tag! Es ähnelt fast seinen ersten Monaten hier in der Menschenwelt, als sein König schwer im Schweiße seines Angesichtes schuftete und Alciel stundenlang allein in Apartment 201 weilte und sich um all die tausend kleinen Dinge kümmerte, die nötig sind, um dies hier in ein heimeliges Zuhause zu verwandeln. Niemand störte seine Kreise und verteilte überall seine Krümel, niemand ließ an den unmöglichsten Stellen irgend etwas liegen und alles hatte seinen rechtmäßigen Platz. Aber so ruhig und friedlich und ordentlich es damals auch war, so fühlte er sich doch auf Dauer recht einsam, so ganz allein. Und egal, wie nervtötend und frustrierend der gefallene Engel sein konnte – mit seinem Einzug in ihr sechs-Tatami-Matten-Apartment änderte sich das. Um Alciels Lippen spielt ein zufriedenes Lächeln, als er einen schmutzigen Teller ins Seifenwasser taucht und mit einem Schwamm bearbeitet. Das Gute daran, wenn man das Geschirr per Hand abwäscht, ist – jedenfalls nach Alciels Meinung - dass man dabei gut nachdenken kann. Die gleichmäßigen Bewegungen und das warme, schaumige Wasser können eine meditative Wirkung haben. Hinter sich hört er leises Tasten- und Mausklicken und auch das hat heute eine beruhigende Wirkung auf ihn. Er muss sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Urushihara … Lucifer noch genauso vor seinem Laptop sitzt wie vor einer halben Stunde. Der Anblick seiner zierlichen Gestalt, wie er sich dort in ungesunder Haltung hinlümmelt und immer mit diesen riesigen Kopfhörern auf dem violetten Haarschopf, hat sich in den letzten Wochen regelrecht in Alciels Netzhaut eingebrannt. Doch heute ist wirklich ein besonderer Tag, denn bislang kam von Lucifers Seite aus noch kein schnippisches Kommentar, kein spöttisches Schnauben und kein Augenrollen. Stattdessen umgibt ihn eine ungewohnte Aura von allgemeiner Zufriedenheit. Das letzte Mal war er so in der Dämonenwelt und vor ihrem Krieg gegen Ente Isla. Immer, wenn er von seinen kleinen privaten Ausflügen zurückkehrte. Ausflüge, die darin bestanden, dass er einfach nur so herumflog. Alciel kann diese Einstellung nicht teilen, für ihn muss es immer ein Ziel geben, ihm käme es nie in den Sinn, einfach nur so, aus Freude daran, seine Kräfte derart zu verschwenden. Die Menschen haben hier ein passendes Sprichwort dafür: Ein fleißig Mühlrad friert nicht ein. Und er ist dieses Mühlrad. Er muss aktiv bleiben, ein Ziel verfolgen. Fürs Herumlungern und unnötige Energieverschwendung ist Lucifer zuständig. Aber Alciel will sich nicht beschweren. Nicht heute. Nicht, wenn im Castle eine solch friedliche Stimmung herrscht. Und vor allem nicht, da Lucifer freiwillig seine Computerecke aufgeräumt und Alciel dabei geholfen hat, die Wäsche auf die Leine zu hängen. Ohne dass Alciel ihn darum bitten musste. Doch dann überfällt es ihn siedendheiß und ihm wäre vor Überraschung beinahe der Teller aus der Hand gerutscht. Denn das war genau das, was er sich von Lucifer gewünscht hat, nicht wahr? Alciel erstarrt und starrt sekundenlang einfach nur ins schaumige Abwaschwasser. Einerseits freut er sich natürlich darüber, andererseits verspürt er jetzt aber auch ein schlechtes Gewissen. Und … es hätte etwas viel, viel Wichtigeres gegeben, worum er ihn hätte bitten können... nein, sogar hätte bitten müssen. Vielleicht ist es noch nicht zu spät. Gründlich wiegt Alciel das Für und Wider gegeneinander ab und beschließt dann, dass es einen Versuch wert ist, auch auf die Gefahr hin, ihren momentanen Waffenstillstand … oder Frieden (?) zu riskieren. „Weißt du, Lucifer...", beginnt er gedehnt, während er sich langsam umdreht. Es ist vielleicht nicht der beste Auftakt, doch er erfüllt seinen Zweck. „Hm?" Lucifer schiebt sich den Kopfhörer in den Nacken, dreht sich zu ihm um, faltet seine Beine in den Schneidersitz und legt fragend des Kopf schief. Für einen Moment starrt Alciel ihn nur wie gebannt an - denn Herrje, ist das ein niedlicher Anblick - dann erinnert er sich wieder, was er sagen wollte. „Weißt du“, wiederholt er zögernd, „... es gab viele Dinge, die ich dir vorgestern bei unserer Aussprache noch sagen wollte, und inzwischen frage ich mich, ob ich nicht etwas anderes hätte wählen sollen." Lucifer rutscht sofort in die Devise, versucht es jedoch, mit etwas Galgenhumor zu kaschieren. „Oje, was kommt jetzt?" „Nichts Schlimmes." „Okaaay?" Lucifer klingt nicht überzeugt und er ist es auch nicht. Er befürchtet wieder eine gewaltige Kritik an seinem Charakter, dabei war er heute wirklich nett zu dem großen Dämon. Außerdem tat es gut, mal seine Hände – okay, seine eine Hand – zu benutzen und sich etwas mehr zu bewegen, es lenkte ihn von den dunklen Gedanken ab, die auch jetzt immer noch am Rande seines Bewußtseins lauern. Darüberhinaus will er den zerbrechlichen Frieden zwischen ihnen nicht gefährden. Alciel seinerseits beschließt, dass es für dieses Gespräch besser wäre, wenn sie sich eher auf Augenhöhe begegnen, also stellt er den Abwasch jetzt mal hintenan und setzt sich auf seinen bevorzugten Platz an ihrem niedrigen Tisch. Lucifer legt den Kopfhörer beiseite und rutscht zaghaft näher, bis sie sich gegenüber sitzen. Alciel schenkt ihm ein kleines, unsicheres Lächeln. „Es wäre etwas gewesen, was mir wichtig war, aber du verstehst sicher, dass das Wohl unseres Königs immer an erster Stelle kommt?" „Für dich vielleicht...", brummt Lucifer, doch da er damit nur die Wahrheit ausspricht, honoriert Alciel das mit einem ernsten Nicken. Plötzlich unglaublich verlegen, weiß er nicht, was er mit seinen Händen machen soll und faltet sie vor sich auf dem Tisch. Dann fährt er sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und räuspert sich einmal. „Ich wünschte mir“, beginnt er vorsichtig, sucht nach Lucifers Blick und hält ihn fest, „du wärst offener mir gegenüber. Du warst schon immer eher der distanzierte Typ, und das ist auch völlig in Ordnung so, aber jetzt bist du regelrecht verschlossen. Man kommt gar nicht mehr an dich heran und das gibt mir das Gefühl, du sperrst mich aus und das... schmerzt." Lucifer liegt ein sehr, sehr schnippisches Kommentar auf der Zunge, doch ein Blick in Alciels traurige Augen und er verbeißt es sich. Alciel meint es tatsächlich ernst und leidet darunter, oder? Und weil Alciel – aus welchen geheimnisvollen Gründen auch immer – sich heute noch nicht über ihn beklagt oder ihn zu irgend etwas gedrängt hat, sondern ihn, seit Mao die Wohnung verlassen hat, einfach nur in Ruhe ließ, und sich auch jedes Kommentar sparte, als Lucifer ihm freiwillig bei einigem zur Hand ging, verdient er eine ehrliche Antwort. „Alciel, schon im Himmel ist es mir zur zweiten Natur geworden, niemanden an mich heranzulassen. Das ist nichts Persönliches, es ist nur einfach sicherer. Für alle Beteiligten. Du hast doch am eigenen Leibe erfahren, wie grausam ich werden kann, wenn ich mich betrogen fühle. Ihr habt mich sterbend auf dem Schlachtfeld zurückgelassen und als ich hierherkam und sah, dass ihr innerhalb so kurzer Zeit mit völlig fremden Menschen Freundschaft geschlossen hattet, euch sogar mit der Heldin, die mich fast umgebracht hat, gut versteht – da sah ich rot. Die Erkenntnis, dass ich für euch weniger wert war als alle anderen, dass ich wieder nur ein Werkzeug war ...“ Er holt einmal tief Luft und fährt sich mit zitternder Hand durchs Haar. „Bist du nicht und warst du nie“, widerspricht ihm Alciel heftig und greift nach seiner verletzten Hand. „Hör auf, so von uns zu denken. Und hör auf, so abwertend von dir selbst zu denken.“ Nun atmet er einmal tief ein, drückt behutsam Lucifers Finger und sieht ihm dann wieder eindringlich in die Augen. „Ich kann nicht ändern, was geschehen ist und ich verstehe, dass dieser Vertrauensverlust dazu führte, dass du dich von uns entfernst, aber bitte – wenn ich das so dramatisch ausdrücken darf - komm zurück. Ich werde dich auch nie wieder Parasit oder Kellerkind nennen, das verspreche ich dir.“ Lucifer gluckst leise. „Alciel, hast du etwa gerade einen Witz gemacht?“ Zuerst will Alciel erbost aufbegehren, doch dann denkt er noch einmal über seine Worte nach und lacht ebenfalls. „Sieht so aus, nicht wahr?“ Lucifer starrt ihn verdutzt an. Es ist verdammt lange her, dass dieser leichte, heitere Unterton in Alciels Lachen mitschwang. Er senkt den Blick und starrt nachdenklich auf seine Finger in Alciels Hand. Plötzlich ist die Erinnerung an den gestrigen Abend wieder da. Es tat geradezu körperlich weh, von Mao so abrupt unterbrochen zu werden und dann wieder zur „Normalität“ zurück zu kehren. „Alciel...“ Er ertappt sich dabei, wie er seine Finger mit Alciels verschlingt und räuspert sich einmal. Ach, scheiß drauf. „Mao sagte doch, wir sollten uns darin üben, wie ein Paar zu agieren. Ich finde, das hier...“ er macht eine wedelnde Bewegung mit seiner gesunden Hand, „... kommt dem schon sehr nahe. Aber meinst du, wir könnten auch noch etwas … anderes üben?“ Um Alciels Lippen zuckt ein kleines, wissendes Lächeln. „Und was wäre das?“ erkundigt er sich betont harmlos. Lucifer lächelt verschmitzt zurück. „Verzeih mir, ich will dich wirklich nicht beleidigen, aber ich weiß nicht, wie ich das höflich verpacken kann … es war eindeutig, dass Küssen nicht dein Spezialgebiet ist. Ich weiß, dass so etwas nicht unbedingt zur Tradition deines Clans gehört, aber hier in der Menschenwelt ist es unerlässlich. Schließlich möchte keiner von uns unseren König blamieren, oder?“ „Nein, das wollen wir in der Tat nicht“, bestätigt Alciel trocken. Noch vor vier Tagen wäre er über solche Worte tödlich beleidigt gewesen, doch jetzt verspürt er nur so etwas wie eine erwartungsvolle Heiterkeit, als er Lucifer vorsichtig auf seinen Schoß zieht. „Schließ die Augen“, hört er ihn flüstern und Alciel gehorcht ohne zu zögern. Das würde er unter normalen Umständen natürlich niemals riskieren, aber dies hier sind keine normalen Umstände. Lucifer wiegt keine fünfzig Kilo, Alciel spürt sein Gewicht kaum. Instinktiv legt ihm Alciel seine Hände auf die Hüften und er spürt, wie der Engel einmal tief durchatmet und dann sind seine Finger in Alciels Haar und seine Lippen pressen sich zärtlich – oh, so zärtlich - gegen Alciels. Und plötzlich ist das Gefühl von gestern Abend wieder da und aus Alciels sanftem Griff wird eine leidenschaftliche Umschlingung, geboren aus dem Wunsch, diesen warmen Körper, in dem dieser schwierige und widerborstige Charakter und diese kämpferische Seele wohnt, nie, nie wieder los zu lassen. Ist der Kuß zuerst noch langsam und bedächtig, gewinnt er schnell an Fahrt und als sie sich wieder trennen, sind sie beide ziemlich erhitzt und atemlos. „Alciel...“ schnurrt Lucifer und glimmt ihn unter halbgeschlossenen Augen so intensiv an, dass dieser bis ins Mark erschauert. Aber es ist ein sehr angenehmes Schaudern. Sanft fährt er mit seiner linken Hand durch Alciels helle Haare. Dann tanzen seine Fingerkuppen hauchzart über seine runde, menschliche Ohrmuschel. „Verwandle dich zurück für mich, Alciel. Ich liebe deine spitzen Ohren.“ Alciel gehorcht und nachdem er in seine wahre Gestalt (die kleine, zwei Meter große Version) gewechselt ist, lächelt Lucifer zufrieden und lehnt sich dann zu ihm nach vorne, um sich zärtlich über Alciels rechte, große und spitze Ohrmuschel zu lecken und zu knabbern. Aus Alciels Kehle löst sich ein leises, tiefes Grollen und sein Griff um Lucifers Taille verstärkt sich wieder. Doch diesmal ringelt sich auch sein chitinverstärkter Schwanz dazu. Aber Lucifer gibt nur einen leisen Brummton von sich, läßt – sehr zu Alciel Bedauern – von dessen Ohr ab, lehnt sich etwas zurück und mustert ihn mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, den Alciel nur als lasziv beschreiben kann. Träge fährt Lucifer mit seiner linken Hand über Alciels Schwanz, der schon bei mehr als einer Gelegenheit seine Gegner aufgeschlitzt hat. Aber Lucifer reibt nur furchtlos über die scharfkantigen Chitinringe bis zum gegabelten Ende, das sich dann ohne Alciels bewußtes Zutun um Lucifers Handgelenk wickelt. „Lucifer...?“ „Hm?“ macht dieser nur verträumt. Alciel starrt ihn einen Moment lang einfach nur gebannt an. Ihm gefällt diese weiche, sanfte, offene Seite an seinem Engel. Die nur ihm gehört. Nur ihm. Wieder entweicht Alciels Kehle ein dunkles Grollen, seine rechte Hand löst sich von Lucifers Rücken und verkrallt sich stattdessen in einer violetten Haarsträhne. Kompromißlos zieht er ihn daran zu einem weiteren Kuss zu sich heran.     Hosted by Animexx e.V. 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