Die Sonne scheint für alle von MariLuna ================================================================================ Kapitel 10: ------------ X.   „Es...“ Suzuki Rika zögert kurz und schenkt ihm dann ein nervöses Lächeln, bevor sie sich kurz vor ihm verbeugt, „...es war schön. Lass uns das beizeiten wiederholen, Ashiya-san.“ „Mir hat es auch sehr gefallen. Komm gut nach Hause, Suzuki-san." Alciel verbeugt sich höflich und sieht ihr nach, wie sie in ihr Auto steigt und losfährt. Ob er ihr Angebot, ihn nach Hause zu fahren nicht doch lieber hätte annehmen sollen? Uh. Nein, das wäre nicht angemessen gewesen, außerdem ist seine Fahrkarte noch eine Stunde gültig, das wäre doch Verschwendung. Zügig begibt er sich Richtung Metro und sinniert darüber nach, wie wenig er Menschenfrauen versteht. Warum wurde sie immer so rot, wenn sie sich miteinander unterhielten? Und ständig diese verstohlenen Seitenblicke. Wieso griff sie während der Kinovorstellung nach seiner Hand? Was erwartete sie von ihm? Er hielt mit ihr Händchen, genau wie sie es wollte, aber irgend etwas war wohl doch nicht richtig, denn sie wirkte jetzt beim Abschied sehr enttäuscht. Hat er etwas falsch gemacht? Als er an diesem Punkt seiner Überlegungen angekommen ist, fährt sein Zug in den Bahnhof ein. Als er sich in den vollen Waggon quetscht und dabei versucht, sich zu beherrschen und nicht seine Magie einzusetzen, um sich Abstand zu verschaffen, denkt er daran, was er heute unerwarteterweise herausgefunden hat. Gruselfilme. Sie sollten öfter in solche Kinovorstellungen gehen. Die Furcht der Zuschauer ist exquisit. Sie ist zwar nicht ausreichend, um wirklich etwas zu bewirken, aber es ist ein kleiner, durchaus belebender Energiestoß. Und wenn sie zur Nachtvorstellung gehen, um eine Uhrzeit, wo weniger Menschen unterwegs sind, könnten sie sogar Lucifer mitnehmen. Lucifer... ohne es wirklich zu wollen, muss er wieder an ihn denken. Das geht quasi schon den ganzen Abend so. Er lauerte immer irgendwo in seinem Hinterkopf. Vielleicht konnte er sich deshalb nicht so gut auf Suzuki-san konzentrieren? Aber er wird dieses Bild nicht mehr los. Wie er unten im Hof lag. Blutend. So still. So … so reglos. Sein gebrochener Arm... die Knochen so weiß. Nur einen Hauch weißer als sein Gesicht. Lucifer. So klein und zierlich. Wie es sich anfühlte, als er ihn auf Maos Befehl ein paar Meter weiter trug. Totes Gewicht. Schwer. Leblos. Alciel fuhr im Krankenwagen mit. Wieso, weiß er nicht. Es war nur so ein Gefühl, dass er ihn nicht alleine lassen konnte. Seinen (wortwörtlich) gefallenen Engel. In einem der ersten uralten Bücher, die er las, nachdem Lucifer ihm und Mao das Lesen beigebracht hatte, stand, er sei die Original-Sünde. Zuerst dachte er, er hätte sich verlesen, weil das gar keinen Sinn ergab, aber dann fragte er Lucifer danach und dieser erklärte ihm nur mit dem für ihn so typischen, bitteren Lächeln, das bedeute nur, dass er als erster Engel der zweiten Generation ein geborener Unsterblicher sei. Wobei unsterblich nur bedeutet, dass ihm weder Alter noch Krankheit etwas anhaben könnten, etwas, was die Dämonen mit ihm gemein hätten. Würden sie aufhören, sich gegenseitig zu töten, könnten sie gewiß auch zehntausend Jahre alt werden wie er. Und an dieser Stelle hatte Mao-sama begeistert genickt und verkündet, dass genau dies sein Ziel für die Dämonen wäre. Weder Alter noch Krankheit … um Alciels Lippen zuckt ein bitteres Lächeln. Bevor er in den Krankenwagen durfte, fragten sie ihn, ob er ein Verwandter sei. Ja, sagte er ohne zu zögern, sein Bruder. Warum hat er das gesagt? Er weiß es nicht, aber es fühlte sich in diesem Moment einfach nur richtig an. Und dann wieder auch nicht, denn Lucifer ist mehr als nur ein Bruder. Alciel kennt kein Wort, das das Gefühl auch nur annähernd beschreibt, das ihn überkommt, wann immer er an Lucifer denkt oder in seiner Nähe ist. Alciel vertraut ihm auf eine merkwürdige, verrückte Art und Weise. Lucifer ist nicht loyal, das hat er bewiesen, aber das hat er auch nie behauptet, also war es kein Betrug. Er ist brillant und witzig und einzigartig und Alciel bewundert ihn für all das. Und alles was zwischen ihnen in den letzten Wochen passiert ist, ändert gar nichts daran. Lucifer ist Lucifer und als er da im Krankenwagen lag und später in diesem großen Bett, da hätte Alciel ihn am liebsten festgehalten. Ihn nie wieder losgelassen. Natürlich hat er es nicht getan, wie er vieles nicht tut, was er gerne täte. Aber Lucifer war so blass und er starrte die ganze Zeit nur so leer vor sich hin und dieser Anblick ließ Alciel zusätzlich an Ort und Stelle erstarren. Mit genau diesem leeren Blick erwischt Alciel ihn manchmal vor seinem Laptop. Als wäre er nicht da. Als wäre er irgendwo anders, an einem Ort, wohin ihm Alciel nicht folgen kann. Und das macht ihn dann immer so wütend. Wie sehr ihn die Gedanken an Lucifer gefangennahmen, fällt ihm erst auf, als er fast über die erste Stufe hoch zu ihrer Wohnung stolpert. Oh. Die Bahnfahrt und den Fußweg hierher hat er offensichtlich zurückgelegt, ohne es wirklich zu bemerken. Wie nachlässig von ihm. Zutiefst beschämt über seine mangelnde Disziplin, geht er die restlichen Stufen hinauf, betritt den Korridor und dann Apartment 201. „Ich bin wieder da.“ „Willkommen zurück, Ashiya“, begrüßt ihn Mao vergnügt. „Wie war's? Hattest du viel Spaß?“ „Es war ganz interessant, Mylord“, erwidert Alciel, während er aus Jacke und Schuhen schlüpft und sich dann zu Mao und Lucifer an den Tisch setzt. „Auch wenn ich bezweifle, Suzuki-sans Erwartungen erfüllt zu haben. Ich muss zugeben, dass mir die menschlichen Frauen noch Kopfzerbrechen bereiten.“ Lucifer, der sich bei seinem Eintreten nur widerwillig von seiner schlaffen Position auf der Tischplatte aufgerichtet hat, stützt nun das Kinn in die Hand und blinzelt ihm müde entgegen. „Das ist doch gar nicht so schwer. Suzuki Rika sieht in dir einen potentiellen Ehemann, genau wie Chiho einen in Mao sieht.“ „Urushihara, ich verbiete dir, Suzuki-san oder Sasaki-san weiterhin solch niedere Beweggründe zu unterstellen“, rügt Alciel ihn schon fast automatisch. Und noch im selben Moment tut es ihm leid, denn Lucifer hat recht. Er hat immer recht, wenn es um das Lesen von Menschen geht. Außer, wenn es ihn selbst betrifft – wie der Vorfall mit diesem windigen Vertreter vor ein paar Tagen deutlich gezeigt hat. Lucifer starrt ihn aus seinen violetten Augen nur einen Moment lang ausdruckslos an und zuckt dann mit den Schultern. „Was auch immer … können wir endlich anfangen, Mao?“ Fragend sieht Alciel zu seinem König. „Mylord?“ Mao richtet sich unwillkürlich etwas auf und sieht ihm ernst in die Augen. „Wir können so nicht weitermachen, Ashiya. Wir leben hier auf engstem Raum zusammen und müssen unsere Probleme endlich lösen.“ Alciel nickt und vermeidet es krampfhaft, zu Lucifer hinüber zu sehen. Er weiß, dass Lucifer das Problem ist und Lucifer weiß, dass er es weiß, aber Alciel hat nicht vor, den Engel irgendwie zu provozieren. Ein Streit würde das hier nur unnötig vertagen und wenn sein König sich endlich mal dazu entschlossen hat, ein Machtwort zu sprechen, wird er das nicht sabotieren. „Und daher...“, fährt Mao fort, greift neben sich und legt drei Blätter Papier und drei Stifte auf den Tisch. „Wann immer es bei mir auf der Arbeit Probleme zwischen den Mitarbeitern gibt, ruft meine Chefin sie zu einem vertraulichen Gespräch zu sich ins Büro. Jeder muss drei Dinge aufschreiben, als erstes etwas, was er an den anderem mag oder bewundert. Als zweites, was ihn am anderen so stört. Und drittens dann, was er sich von dem anderen wünscht, was dieser ändern soll, damit sie besser miteinander auskommen. Das lesen sie sich gegenseitig vor und dann haben sie zehn Minuten, um darüber zu diskutieren und sich zu einigen. Die Zettel tauschen sie aus und kleben sie an das Innere ihres Spinds, damit sie jeden Tag daran erinnert werden, wo ihre Stärken liegen und was sie an sich ändern müssen. Und sei es nur am Arbeitsplatz.“ Er reicht jedem von ihnen ein Blatt und einen Stift. „Ich soll jetzt also diese drei Dinge in Bezug auf Urushihara aufschreiben?“ versichert sich Alciel nachdenklich. Das Ganze klingt ziemlich absurd, aber wenn Mao darauf besteht... Mao nickt. „Und ich schreibe drei auf und Urushihara zu jedem von uns ebenfalls drei, ja, genau so.“ „Drei Punkte werden da nicht ausreichen“, murmelt Alciel mehr zu sich selbst, aber doch laut genug, dass jeder ihn verstehen kann. Um Maos Lippen zuckt ein kleines, verständnisvolles Lächeln. „Die Wichtigsten reichen erst einmal, Ashiya. Wir gehen es langsam an und sehen, wohin es uns führt. Und bitte spart euch irgendwelche Beleidigungen.“ Lucifer rollt nur mit den Augen und beginnt zu schreiben. Ganz offensichtlich scheint er nicht einmal darüber nachdenken zu müssen. Es wirkt ungelenk wegen der Schiene, aber sein Stift fliegt nur so übers Papier. Während er mit den Stäbchen eindeutig seine Schwierigkeiten hatte, trifft dies nicht aufs Schreiben zu. Alciel dagegen starrt die ersten paar Sekunden nur auf dieses weiße Blatt Papier. Sein Kopf ist wie leer gefegt. Und dann purzeln seine Gedanken nur so durcheinander. Es gibt so unendlich viel, was er niederschreiben könnte, wo soll er nur anfangen? Langsam senkt er den Stift auf das Papier. Mao neben ihm hatte Stunden, um sich ganz genau zu überlegen, was er schreiben will und bringt seine Gedanken in schönster Kalligraphieschrift aufs Papier. „Fertig“, vermeldet Lucifer als erster und wirft seinen Stift auf den Tisch. Mao wirft ihm einen ungläubigen Blick zu. „So schnell? Nimm das bitte ernst, Urushihara.“ „Lass mich das erstmal vorlesen, bevor du mich verurteilst, ja?“ schnappt dieser beleidigt zurück. Daraufhin schenkt Mao ihm ein versöhnliches Lächeln, während er seinen eigenen Stift behutsam beiseite legt.. „Willst du anfangen?“ Lucifer wirft einen kritischen Blick zu Alciel hinüber, der immer noch eifrig beim Schreiben ist. Und beim Ausradieren. „Ich lasse mich nicht hetzen“, erklärt Alciel, der diesen Blick sehr wohl spürt, aber wild entschlossen ist, sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Aber trotzdem benötigt er nicht mehr als noch zwei Minuten, bevor auch er den Stift beiseite legen kann. „Fang an, Ashiya“, auffordernd nickt Mao ihm zu. Lucifer runzelt die Stirn und für einen Moment huscht ein enttäuschter Ausdruck über seine Miene, doch er schweigt. Alciel räuspert sich einmal und holt tief Luft. „Also, Punkt eins: was ich an Urushihara mag: seinen brillanten Verstand und es ist eine Schande, wie wenig er ihn jetzt benutzt.“ „Oi. Keine Beleidigungen. Mao?“ „Das war nicht nett, Ashiya.“ Alciel ist anderer Meinung, doch er nickt gehorsam. „Gut, Punkt zwei“, er hebt den Blick und sieht Lucifer eindringlich an, „mich nervt dein Desinteresse an allem, was nicht in deine kleine Blase aus Internet und Spielen passt. Punkt drei: respektiere unseren König und mich endlich und leiste deinen Anteil. Ich habe es satt, hinter dir herzuräumen oder dir alles hinterherzutragen ohne dass du auch nur einmal daran denkst, ebenfalls einen Finger zu rühren. Eigentlich hätte ich noch hundert andere Dinge, aber das sind die Wichtigsten.“ Es fühlt sich so gut an, das endlich mal auszusprechen! Lucifer selbst nimmt alles mit völlig unbewegter Miene zur Kenntnis und das verunsichert und verärgert Alciel zu gleichen Teilen. Mao räuspert sich und zieht damit alle Aufmerksamkeit auf sich. „Gut, jetzt ich. Punkt eins: Urushihara, ich bewundere dein Talent, wie schnell du dich an eine fremde Kultur, Sprache und Technologie anpassen kannst. Und genau deshalb verstehe ich nicht, Punkt zwei: wieso du dich weigerst, dich in unser Leben hier angemessen zu integrieren. Punkt drei: kannst du Ashiya nicht ein wenig zur Hand gehen? Ab und zu wenigstens? Es genügt ja schon, wenn du mal deinen Müll wegräumst oder dein benutztes Geschirr in die Spüle stellst.“ „Danke, Mylord.“ Alciel ist über soviel Schützenhilfe wirklich gerührt. „Ashiya, du hälst mir hier seit einem Jahr den Rücken frei und ich finde, du brauchst nicht noch mehr Sorgen als du dir ohnehin schon machst.“ „Wow, wirklich süß“, kommentiert Lucifer gedehnt. Seine Stimme trieft nur so vor Spott. Doch bei seinen nächsten Worten klingt sie erstaunlich neutral und sachlich. „Darf ich jetzt? Mao, ich bewundere deinen Optimismus. Ich hasse es, wie du mit unserer ärgsten Feindin interagierst als wäre sie deine beste Freundin. Was ich mir von dir wünsche: lass mich in Ruhe. Ich kann nicht mehr fliegen, vielleicht nie wieder, das hast du mir gestern genommen, also lass mir wenigstens mein Internet und meine Spiele und zwar ohne Einschränkungen.“ Ohne wirkliche Atempause wendet er sich dann Alciel zu. „Alciel: du kochst wirklich gut, du solltest darüber nachdenken, einen eigenen Ramen-Shop zu eröffnen. Ich hasse es, dass du selbst vor den Menschen nie ein gutes Haar an mir lässt. Und von dir wünsche ich mir auch, dass du mich in Ruhe lässt. Hör auf, mich zu einem Klon von dir machen zu wollen.“ „Du findest, ich koche gut?“ bricht es aus Alciel verblüfft heraus. „Ja.“ Überrascht darüber, dass dies das einzige zu sein scheint, was ihn interessiert, runzelt Lucifer die Stirn. Über die ganze Entwicklung mehr als zufrieden, lehnt sich Mao zurück. Niemand ist ausgeflippt, es wurde nicht herumgeschrien und die Einrichtung ist auch noch intakt. „Nun, damit kann man doch arbeiten...“ Doch da unterbricht ihn Alciel plötzlich. Es dauerte eine Weile, bis alles, was Lucifer sagte, bei ihm angekommen ist. Aber jetzt ist er wirklich entsetzt. „Was heißt das, du kannst vielleicht nie wieder fliegen?“ „Wenn ihr mir meine Magie nicht mehr zurück geben könnt, bekomme ich sie vielleicht auch nicht mehr durch Furcht oder Verzweiflung oder...“ Lucifer zögert kurz und spuckt sein nächstes Wort dann geradezu hervor. „... Lust zurück. Ich müsste es erst ausprobieren.“ Alciel starrt ihn einen Moment lang einfach nur fassungslos an, doch dann ereilt ihn so etwas wie ein Geistesblitz. „Oh“, meint er an Mao gewandt, „das erinnert mich daran, was ich heute herausgefunden habe: ein Gruselfilm setzt bei den Zuschauern eine geringe Menge negative Energie frei.“ Maos Augen leuchten regelrecht auf. „Das wäre vielleicht eine Möglichkeit an Magie zu kommen ohne die Menschen in Gefahr zu bringen.“ Lucifer blinzelt einmal hart. Er hat echte Probleme mit diesem abrupten Themenwechsel, aus irgend einem Grunde fühlt es sich heute noch schmerzhafter an als sonst, mittendrin ignoriert zu werden, aber je länger er über Alciels Entdeckung nachdenkt ... Im Grunde genommen ist das gar keine schlechte Idee. Wieso ist er nicht darauf gekommen? „Ich kann ja mal ins Pornokino gehen...“, überlegt er laut. Ja, doch, er kann sich wirklich langsam dafür erwärmen. „Da passiert nicht nur auf der Leinwand, sondern auch auf den Sitzen so einiges. Wär jedenfalls einfacher als das Love Hotel. Und bequemer als ein Baum.“ „Das wirst du nicht tun!“ fährt Alciel ihn völlig unvermittelt an. „Ashiya?“ fragt Mao besorgt. Lucifer zuckt nur überrascht zusammen, vor allem, als Alciel auch noch zu ihm herumwirbelt und mit den Finger auf ihn zeigt. Ein Finger, der sich langsam in eine Klaue verwandelt und zu einer Hand und einem Arm gehört, deren eben noch weiche Haut sich langsam in hartes Chitin verwandelt. „Du hasst es, berührt zu werden. Wieso lässt du dich dann von Menschen … besudeln?“ „Ashiya?“ Mao klingt jetzt zunehmend irritierter, doch wieder hört sein General ihm gar nicht zu – etwas, was er von ihm wirklich nicht gewohnt ist. Alciel, der sich inzwischen vollständig in seine Dämonenform verwandelt hat, beugt sich so weit nach vorne, dass seine Nasenspitze fast Lucifers berührt. Sein schwarzer Scorpionschwanz peitscht dabei so unruhig hin und her wie der einer nervösen Katze. „Von Menschen!“ zischt er Lucifer mitten ins Gesicht. „Du bist ein Engel! Kein Mensch hat das Recht, dich so … so sündig anzusehen, geschweige denn, dich zu berühren!“ Lucifer starrt ihn nur aus geweiteten Augen an. Er ist kalkweiß geworden und der Schock steht ihm überdeutlich ins Gesicht geschrieben. Und trotzdem ist er wie erstarrt. „Al-Alciel?“ würgt er stotternd hervor. Mao fühlt sich plötzlich zurückversetzt zu einem ähnlichen Ereignis und erhebt sich unwillkürlich. „Ashiya! Stop!“ Ein schneidender Befehl, verstärkt mit Macht und Magie, doch der einzige, der wimmernd zurückzuckt, ist Lucifer. Die Augen weit aufgerissen und beide Arme abwehrend ausgestreckt, wirkt er wie ein verängstigtes Kaninchen vor der Schlange – oder besser gesagt: vor dem Skorpion. Alciel dagegen nutzt diese Gelegenheit nur, um Lucifer an den Oberarmen zu packen und festzuhalten. „Ich gestatte es nicht, dass irgend einer dieser Menschen je wieder seine Hand an dich legt!“ Lucifer beginnt zu hyperventilieren. Zu nah. Zu nah! Viel zu nah! Alciel ist ihm so nahe, dass er jeden einzelnen hellen Fleck in seinen Augen erkennen kann. Sie schimmern und leuchten wie flüssiges Gold. Er kann den Blick nicht abwenden. Seine ganze Welt scheint auf diese Augen zusammenzuschrumpfen. Am Rande seines Bewußtseins spürt er Alciels Hände um seine Oberarme und er hört das Dröhnen seines Herzens in seinen Ohren, aber alles, was er sieht, sind diese goldenen Flecken, die heller werden, je dunkler der Rest seines Sichtfeldes wird. „Ashiya!“ Mit einem Satz ist Mao bei ihnen und versucht, den Iron-Scorpion von Lucifer zu trennen. „Stop! Er hat eine Panikattacke!“ Alciel knurrt genervt. Das ist ihm auch klar! Lucifers Furcht ist sprunghaft angestiegen und hält sich auf einem Level, das selbst für ihn unerträglich wird. Es ist einfach zuviel. Außerdem weigert er sich, auch nur einen Tropfen von Lucifers Furcht anzunehmen. Er hat noch nie die magische Energie, die aus Angst und Verzweiflung geboren wird, abgelehnt, und es ist irritierend, gegen die eigenen Instinkte anzukämpfen, aber er kann doch nicht von Lucifer... „Alciel, lass ihn los!" „Damit er wieder aus dem Fenster springt?" Mao gerät ins Stocken und zieht seine Hand, mit der er Alciel stoppen wollte, zurück. Plötzlich sieht er Alciels Griff um Lucifers Oberarme in einem völlig neuem Licht. Für die Dauer zweier Herzschläge sind Lucifers gequälte Atemzüge die einzigen Geräusche im Raum. Dann schnalzt Mao missbilligend mit der Zunge. „Ich wollte nur, dass wir uns zusammensetzen und vernünftig darüber reden." Genau wie Alciel widersteht er der Versuchung, sich an Lucifers Panik zu nähren. Nach gestern traut er sich selbst nicht mehr und fürchtet, wieder zu weit zu gehen. Plötzlich ist irgend etwas anders. Es dauert eine Weile, bevor Mao dahinterkommt, was das ist: Lucifer atmet nicht mehr so laut. Und dann sackt Lucifer in Alciel Griff zusammen und Mao begreift schlagartig: Lucifer atmet überhaupt nicht mehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)