Die Sonne scheint für alle von MariLuna ================================================================================ Kapitel 3: III. --------------- III.   Emilia Justina oder Emi Yusa, wie sie hier heißt, in ihrer Welt als die legendäre Heldin bekannt, derzeit Angestellte in einem Call Center, kann nicht glauben, was sie sieht, als sie aus der U-Bahn steigt. Sie ist müde und hat einen kleinen Schwipps, weil ihre Arbeitskollegin und Freundin Suzuki Rika unbedingt noch mit ihr einen Trinken gehen wollte. Und Emi kann nicht immer absagen – schon gar nicht bei jemanden, der so nett ist wie Rika. Eigentlich will sie nur nach Hause und in ihr Bett, aber wenn der Dämonenfürst und sein General in die U-Bahn steigen (aus der sie gerade kommt), und das um halb zwölf in der Nacht, kann sie das doch nicht einfach ignorieren. Wer weiß denn, was die beiden wieder im Schilde führen? Also heftet sie sich an ihre Fersen und folgt ihnen unbemerkt, bis sie im Bahnhof von Shinjuku wieder aussteigen. Huh? Was wollen die beiden denn bitteschön im bekanntesten Homosexuellenviertel ganz Tokyos? Sie sind doch nicht etwa... Oh, aber, das würde vieles erklären. Vor allem, wie sie es zu dritt in ihrer winzigen Bude aushalten. Und immerhin sind sie Dämonen, Anstand und Moral sucht man bei ihnen vergebens. Wer weiß, welche ekelhaften, ausschweifenden Orgien sie in der Dämonenwelt immer feierten? Sie folgt Mao und Ashiya zu einem Park und jetzt fällt ihr auf, dass sie sich wirklich, wirklich seltsam benehmen. Ja, geradezu verdächtig. Sie drücken sich bei den Sträuchern herum, als würden sie ebenfalls jemanden beschatten, stellen sich dabei aber so ungeschickt an, dass man fast Mitleid bekommt. Sie sieht sich das eine Weile an und fasst dann einen Entschluss. Leise schleicht sie hinter sie. „Was lauert ihr hier so herum? Welch dämonischen Plan heckt ihr jetzt schon wieder aus?" Die beiden machen vor Schreck fast einen Satz nach vorne ins Gebüsch. „Emi!" Mao fasst sich als erster. „Was machst du hier?" „Ich habe zuerst gefragt!" „Wo kommst du denn her?" keucht Ashiya, sich theatralisch die Hand auf die Brust pressend. „Ich bin euch gefolgt, was sonst?" „Stalkerin“, schnaubt Mao. „Ich bin keine Stalkerin. Ihr seid Dämonen, es ist meine Pflicht als Heldin, euch im Auge zu behalten!" „Sag ich ja. Stalkerin." „Du -“, sie beugt sich vor und tippt ihm mit dem Zeigefinger auf die Brust, hält dann jedoch inne, als ihr Blick zum ersten Mal über Maos Schulter wandert und sie sieht, was auf der anderen Seite des Gebüsches liegt. Es ist nur ein kleiner Platz mit Bänken, aber um diese Zeit ist er gut frequentiert. Die Laternen sind sogar hell genug, dass man die Gesichter deutlich erkennen kann. Nicht, dass sie Probleme hätte, diese Gestalt nicht schon unter weitaus schlechteren Lichtverhältnissen wieder zu erkennen. „Ist das Urushihara?“ Ungläubig starrt sie auf den Teenager, der allein durch seine zierliche Figur unter all den Erwachsenen dort auffällt wie ein bunter Hund. Die Hände lässig in den Hosentaschen, lehnt er an einer der Laternen. „Wir sind ihm gefolgt“, erklärt Ashiya im Flüsterton. „Er hat sich heimlich aus der Wohnung geschlichen“, ergänzt Mao. „Das hat er letzte Nacht schon getan und kam dann mit einem dicken Geldbündel zurück." Sie starrt die beiden für einen Moment lang fassungslos an, während sich in ihrem Hirn allmählich die Rädchen zu drehen beginnen. Doch, ah, nein, das kann nicht sein. Es muss eine andere Erklärung dafür geben. Unwillkürlich gleitet ihr Blick wieder hinüber zu Urushihara. Er ist nicht mehr allein. Er redet mit einem adrett erscheinendem Mann in einem Anzug. Ein Salariman. Und der Kleidung nach zu urteilen ein ziemlich gut betuchter. Sie hat ein gutes Auge für so etwas. „Ein Sugardaddy?" murmelt sie, als sie sieht, wie der Mann Urushihara, der ihm gerade mal bis zum Kinn reicht, besitzergreifend einen Arm um die Schultern legt. „Ein was?" will Mao verwirrt wissen. „Was hat Urushihara mit diesem armen Mann vor?" fragt Ashiya zur selben Zeit. Emi runzelt die Stirn. Es ist wohl eher die Frage, was hat dieser Mann mit Urushihara vor? Sind die beiden wirklich so ahnungslos? Haben sie überhaupt einen blassen Schimmer, wo sie sich hier befinden? „Wieviel Geld hat er euch denn gegeben?" fragt sie, um ihre eigenen Gedanken zu zerstreuen, bevor sie in eine Richtung abdriften, die sie lieber nicht nehmen sollten. Mao und Ashiya wechseln einen schnellen Blick. „Genug, um unsere Schulden zu bezahlen", erwidert Mao vage. Emi nickt nur. So ausweichend, wie diese Antwort eben war, war es bestimmt eine größere Summe, aber deswegen zu diskutieren lohnt sich nicht. „Sie gehen", vielsagend deutet sie zu Urushihara und dem Unbekannten hinüber. Sie nimmt die Verfolgung auf, achtet aber auf einen angemessenen Abstand. Mao und Ashiya folgen ihr dicht auf den Fersen. Der Salariman hält Urushihara an der Hand und hat es plötzlich sehr eilig, von hier fort zu kommen. Und ja, verdammt, sie halten genau auf dieses Gebäude zu. Urushihara ist klein, gerade mal einsfünfundfünfzig, was ihn zu einer selbst für hiesige Verhältnisse zierlichen Person macht. Außerdem sieht er aus wie ein Teenager. Kleidet sich wie ein Teenager. Versteckt die Hälfte seines Gesichts immer unter seinen Haaren. Wirkt dadurch auf eigenartige Art und Weise jung und verletzlich. Na ja, bis man ihn genauer kennt und erkennt, welch ein fauler, hinterhältiger Nichtsnutz er doch ist. Es ist ihr ein Rätsel, wie sich der gefürchtete General Lucifer, dessen Dämonenarmee ihre Heimat niederbrannte, in so etwas verwandeln konnte. Aber die Männer hier, die auf ein Abenteuer aus sind, wissen das alles natürlich nicht. Sie sehen nur einen zierlichen Teenager. Kein Wunder, dass er nicht lange warten musste, bis er Aufmerksamkeit erregte. „Ich weiß nicht, was ich machen soll", murmelt sie zu sich selbst, während sie beobachtet, wie die beiden hineingehen. „Eigentlich ist er gewiß hunderte von Jahren alt, aber hier gerade mal achtzehn. Minderjährig. Normalerweise wäre es meine Pflicht als Heldin, da jetzt dazwischen zu gehen, aber er ist immer noch ein Dämon. Und alt genug, um genau zu wissen, was er da tut." „Was ist ein Love Hotel?" liest Mao das Schild über dem Eingang, während er neben sie tritt. Aufstöhnend klatscht sich Emi mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Seid ihr wirklich so ahnungslos? Was seid ihr denn bitteschön für Dämonen?" Die beiden verschränken nur die Arme vor der Brust und starren sie abwartend an. Das kann doch alles nicht wahr sein! Verlangen die jetzt wirklich eine Erklärung? „Das ist ein Stundenhotel. Urushihara hat einen reichen Gönner gefunden, einen Sugardaddy, der ihn dafür bezahlt, dass er ihm Gesellschaft leistet“, umschreibt sie es möglichst vage. Das Thema ist ihr unangenehm. So ganz ist es ihr eben noch nicht gelungen, ihre Erziehung durch die Heilige Kirche abzuschütteln. „Ach so", erwidert Mao gelassen, „ich dachte schon, es ginge um Sex." „Mylord!" entsetzt schnappt Ashiya nach Luft. Ob wegen der direkten Ausdrucksweise oder des Skandals an sich, bleibt sein Geheimnis. Emi dagegen spürt, wie ihr das Blut in die Wangen steigt. Zornig ballt sie die Hände zu Fäusten. Doch dann atmet sie einmal tief ein und langsam wieder aus. Okay, Mao hat sie veräppelt, aber davon lässt sie sich doch nicht provozieren. „Mylord", aufgeregt packt Ashiya Mao am Arm, „wir sollten sofort dort hinein und diesen armen Mann aus Urushiharas Klauen befreien, bevor er ihm noch etwas antut." Emi blinzelt verdutzt, öffnet den Mund, klappt ihn dann aber wieder zu. Der Ruf ihres Bettes wird plötzlich immer lauter. „Auf Wiedersehen. Ich muss in neun Stunden im Büro sein und habe noch einen langen Heimweg." Mit diesen Worten wirbelt sie auf dem Absatz herum und eilt davon. Denn das hier geht sie wirklich gar nichts an und sie will auch nicht mit hinein gezogen werden. Das sollen die drei mal schön unter sich ausmachen. „Mylord?“ drängt Ashiya ungeduldig. Mao wendet den Blick von Emis entschwindender Gestalt ab, sieht kurz zum Hotel und dann in die erwartungsvolle Miene seines Generals. „Ich glaube nicht, dass Urushihara diesem Mann etwas antun wird. Gehen wir zurück und stellen ihn zur Rede, wenn er nach Hause kommt.“ Ashiya zieht eine zweifelnde Miene, nickt dann aber gehorsam.     Es ist drei Uhr morgens und Mao nippt schon an seiner zehnten Tasse Tee. Er sitzt am Tisch und seine Augen brennen vor Müdigkeit, doch Alciels Rastlosigkeit sorgt auch bei ihm für eine gewisse Unruhe. „Ashiya. Die Küche glänzt schon. Hör auf und geh endlich schlafen. Du weckst sonst Bell.“ Crestia Bell, oder Kamazuki Suzuno, wie sie hier heißt, stammt aus Emis Heimat und ist eine Attentäterin im Dienste der Heiligen Kirche von Ente Isla und seit ein paar Wochen auch ihre Nachbarin. Ursprünglich wurde sie hierher geschickt, um Emi – die auf Ente Isla inzwischen als Ketzerin gilt – zu richten und die Dämonen zu vernichten. Doch die Erde verfügt über eine merkwürdige Magie – sie verändert jeden aus ihrer Welt, der einen Fuß auf sie setzt. Vielleicht liegt es an der Friedfertigkeit Japans, die einem geistig und seelisch jene Ruhe schenkt, auf die man selbst in Ente Islas Klöstern vergebens wartet oder auch nur daran, dass die Erde über kaum Magie verfügt – jedenfalls begann Crestia Bell auf einmal über ihre Gegner nachzudenken. Sie zog neben ihnen ein, erschlich sich ihr Vertrauen als gute Nachbarin und genießt es jetzt als Gelegenheits-Verbündete. Ob sie inzwischen Feind oder Freund ist, wissen sie nicht, aber sie neigt dazu, neugierig mit den Ohren an der Wand zu hängen. „Ich kann nicht, Mylord“, kommt es in einem ungewohnt weinerlichen Tonfall zurück, während Alciel zum hundertsten Mal die Spüle putzt. „Ich finde keine Ruhe, so lange ich weiß, dass Urushihara dort draußen ist und vielleicht einen unschuldigen Menschen ausnutzt. Ihn vielleicht sogar foltert. Mylord, wir hätten ihn stoppen sollen.“ In Wirklichkeit ist ihm dieser Mensch total egal, viel eher dreht sich ihm bei dem Gedanken der Magen um, wie dieser Mensch Urushihara anfasst. Aber das kann er vor Mao nicht zugeben. Und vor sich selbst erst recht nicht. „Und woher sollten wir wissen, in welches Hotelzimmer er mit ihm gegangen ist?“ erwidert Mao, der sich mehr um Alciels Gemütszustand sorgt als um alles andere. Logische Argumente, hat er schon vor Jahrhunderten gelernt, helfen seinem General, auf den Boden der Tatsachen zurückzufinden. „Ich bezweifle, dass der Portier uns das gesagt hätte. Verschwiegenheit gehört schließlich zu seinem Job. Hätten wir in jedes Zimmer stürmen und die Paare dort dadurch zu Tode erschrecken sollen?“ „Natürlich nicht, Mylord“, protestiert der andere sofort. Obwohl der Gedanke daran, auf diese Art ihre magische Energie aufzuladen, etwas Verlockendes an sich hat. „Wir wissen auch nicht, wann Urushihara da wieder herausgekommen wäre, dort blöd in der Gegend herumzustehen hätte uns auch nicht weitergebracht.“ „Dem stimme ich zu, Mylord.“ Mal ganz davon abgesehen, dass sie dann höchstwahrscheinlich ebenfalls eindeutige Angebote erhalten hätten. Schon allein der Gedanke daran, sich von einem Menschen derart berühren zu lassen, löst in Mao tiefstes Unbehagen aus. Wahrscheinlich hätte er seinen Abscheu über diese Unverfrorenheit nicht herunterschlucken können und wer weiß, wieviel von seinem dämonischen Wesen er dann instinktiv offenbart hätte? Uh nein, auf diese Art von Aufmerksamkeit kann er gut verzichten, das wieder gerade zu biegen und die Erinnerungen der Zeugen zu löschen, kostet ihn mehr magische Energie als es die ganze Sache wert ist. „Aber irgendwann muss Urushihara ja wieder nach Hause kommen. Wir können hier also in aller Ruhe auf ihn warten.“ „Das klingt vernünftig, Mylord, wie immer. Ich wage es mir nur gar nicht auszumalen, was er mit diesem armen Menschen alles anstellt.“ Alciel erschaudert sichtlich. Mao runzelt die Stirn. Sicher, Alciel reagiert oft etwas übertrieben und es fällt ihm auch nach über einem Jahr in dieser Welt schwer, gewisse Dinge zu begreifen, aber diese Reaktion erscheint ihm noch doch etwas extrem. Er fragt sich, ob das Konzept, wieso Menschen ein Love Hotel aufsuchen, bei Alciel wirklich angekommen ist. Denkt er wirklich, das wäre nur eine andere Art der Folter? Mao seufzt einmal innerlich tief auf. Nicht, dass er viel von dieser käuflichen Liebe verstünde, aber er liest und hört viel – vor allem, wenn seine Kolleginnen den neuesten Tratsch verbreiten. Alciel dagegen verläßt die Wohnung nur, wenn er einkaufen geht und dann ist er nur auf seine Einkaufsliste konzentriert. Und für solche Dinge interessiert er sich schon mal gar nicht. Wer weiß also, was er sich in seiner Fantasie jetzt ausmalt? Aber wenn Mao ehrlich sein soll, dann versteht er auch nicht, wie so etwas dem Vergnügen dienen kann. So sehr, dass man dafür auch noch bezahlt. In der Dämonenwelt dient der Sex nur einem einzigen Zweck – dem, Nachwuchs zu zeugen. Und das Konzept der Liebe ist auch eher selten. Lieben sich die Eltern? Eher nicht. Und was den Nachwuchs betrifft: natürlich wird dieser gehegt und gepflegt, aber geliebt? Das ist eher eine typisch menschliche Eigenschaft. Und nach allem, was er im Laufe der Jahrhunderte über Engel erfahren hat, sieht es bei denen auch sehr mau mit diesem Liebeszeugs aus. Engel sind arrogante und egoistische Bastarde, das sieht man ja deutlich an Lucifer. „Ashiya, beruhige dich. Ich bin sicher, Urushihara macht ihm, wenn es hoch kommt, schöne Augen und stiehlt ihm dann das Geld aus der Brieftasche. Und weil das so peinlich ist, wird der Typ auch keine Anzeige erstatten. Genau genommen wird es ihm eine Lehre sein, niemals wieder mit einem Fremden so einfach mitzugehen.“ Doch Alciel regt diese Vorstellung offensichtlich nur noch mehr auf. „Mylord, das ist furchtbar! Das ist kriminell. Bitte erlaubt mir, diesen Parasiten angemessen zu bestrafen, sobald er nach Hause kommt.“ „Sicher, gerne.“ Mao seufzt schwer, nimmt einen Schluck von seinem Tee und starrt dann versonnen in die grünliche Flüssigkeit. Er erinnert sich an Lucifers merkwürdiges Benehmen am Morgen. Zweifellos hat er letzte Nacht schon einmal so etwas durchgezogen. Und wahrscheinlich wäre er dabei fast geschnappt worden. Er beschließt, kein Mitleid zu zeigen, sollte es diesmal schief gehen. Ein paar Tage in einer Zelle tun ihm bestimmt mal gut. Und wenn die Polizei dann herausfindet, was er noch so auf dem Kerbholz hat, geschieht es ihm recht. „Wir sind viel zu nachsichtig mit ihm. Internet ist für ihn erstmal gestrichen. Und er wird dir zukünftig im Haushalt helfen, dafür werde ich sorgen.“ Alciel stößt einen erleichterten Seufzer aus und schenkt ihm ein dankbares Lächeln. „Endlich, Mylord.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)