Des Nachts sind die Labore still von mikifou (Wie Josh zu Mael fand) ================================================================================ Prolog: Mailbox --------------- Piiiip „Guten Tag. Hier ist Joshua Fritz. Zu sagen, dass ich nicht zu Hause bin, sollte sich erübrigen. Dennoch bestand man darauf, diesen unnützen Hinweis hier zu hinterlassen.“ „Was machst du da?“ „Das worum du mich gebeten hast.“ „Huh? Aber … nimmst du das immer noch auf?“ „… Scheint so.“ „Oh man Josh, ich sagte, du sollst dir `n coolen Spruch ausdenken! Das ist doch Null Acht Fufzehn.“ „…“ „Machs nochmal, ja? Aber was cooles diesmal.“ „… … …“ Piiiip Piiip „Guten Tag. Hier ist Joshua Fritz. I-“ „Wah!“ Lautes Poltern und Krachen zu hören. „Ahhh, verdammte Scheiße! Die schöne-“ Weiteres Geschepper. „Neiiiiin!“ gefolgt von verbalen Fluchtiraden. „Ich kann leider derzeit nicht ans Telefon gehen. Es gibt einen Code red in der Küche.“ Piiip Kapitel 1: Das Stellenangebot ----------------------------- Kapitel 1: Das Stellenangebot Nach meinem Studium hatte ich viele Möglichkeiten. Das zu erwähnen klang vielleicht überheblich, aber verglichen mit anderen Kommilitonen, hatte ich wirklich viele Möglichkeiten. Zwar wurde meine Abschlussarbeit nicht so hoch gelobt wie die anderer Mitstreiter, aber zumindest erhielt ich von drei Unis eine Einladung zum Vorstellungsgespräch. Drei von den fünf Laboren taten dasselbe und von den sechs Gesprächen boten mir drei sofortige Zusagen an. Vielleicht lag es an meinen Fähigkeiten in der Forschung. Oder an meinem Charisma? So schlecht sah ich nun auch nicht aus. Mein Bruder sagte, ich hätte einfach nur Glück gehabt. Wie man es nahm, ich hatte wahrscheinlich wirklich nur Glück. Die Entscheidung wohin ich nun ginge, traf ich hingegen sehr spontan. Natürlich verwies ich öffentlich dafür auf allerlei Gründe, welche wohl zutrafen wie die Lage des Labors oder die Vorzüge der Forschung statt der Lehre. Ich konnte mich oft gut rausreden ohne den wahren Grund zu nennen. Nun ... der eigentliche Grund war ein Werbespot. Ich fuhr gerade mit der Tram einige Besorgungen machen, als ein Transporter vorbeifuhr. Darauf zu sehen waren glücklich wirkende Menschen verschiedener Altersgruppen, Aussehens und Ethnien. Dazu die wichtigsten Fakten zum Anwerben von Bewerbern und der Spruch: „Sie können ihre Arbeitszeiten frei wählen! Garantiert!“. Das hatte mich ziemlich beeindruckt. Passenderweise stand das Gespräch mit diesem Labor noch aus. Es war das größte der Stadt und hatte mehrere Standorte für unterschiedliche Forschungsbereiche. Die ersten Minuten im Vorstellungsgespräch verliefen gut. Schließlich durfte ich Fragen stellen. Zunächst meine Standardfragen zu Gehalt, Urlaub und Überstunden. Schließlich: „Eine Frage hätte ich noch.“ „Bitte sehr. Nur raus damit“, scherzte der Leiter. Ich lächelte charmant und beugte mich leicht vor. „Ich habe neulich Werbung ihrer Uni gesehen. Dort hieß es, ich könnte mir meine Arbeitszeiten selbst wählen. Garantiert.“ „Mhm“, stimmte der Leiter zu und war ganz aufmerksam. Ich lehnte mich entspannt zurück. „Sind damit Gleitzeiten gemeint? Von … bis …? Oder gibt es tatsächlich die Möglichkeit, sagen wir mal… Ich möchte vorzugsweise an drei bestimmten Tagen arbeiten und das 24 Stunden oder nur Freitag bis Sonntag oder eben nur nachts?“ Der Leiter lachte laut auf. „Sie sind mir einer. Die Freiwählung der Arbeitszeiten bezieht sich nur auf einige Mitarbeiter in den Laboren. Jene, die im Büro tätig sind, betrifft es leider nicht. Schließlich würde es nichts bringen mitten in der Nacht den Dienst anzufangen und den Schreibtisch leer zu arbeiten. Die meisten anderen Ämter haben zu der Zeit geschlossen.“ „Verständlich.“ „Da wir Sie im Labor einsetzen würden, könnten sie wie gesagt die Zeiten selbst wählen. Sie bekommen eine Chipkarte, mit der sie sich ein- und auschecken. Die moderne Version einer Stempelkarte. Und dann können Sie ihre Zeiten so wählen, wie es ihre Arbeit und die Projekte verlangt.“ „Das klingt interessant. Wie kamen sie auf diese Idee?“, fragte ich. „Mit den Jahren ist uns aufgefallen, dass die Mitarbeiter oft zu lange arbeiten. Bei einer großangelegten Befragung kam heraus, dass viele über die normale Arbeitszeit blieben, weil sie Projekte oder Versuchsproben nicht allein lassen konnten. Oder es käme während des eigentlichen Arbeitsschlusses zur kritischen Phase eines Experiments. Daraufhin begannen wir das neue System einzuführen und ich muss sagen, unsere Erfolge sprechen für sich.“ Selbst nach dem Gespräch und Tage danach gefiel mir dieses System. Auch ich hatte während des Studiums Projekte und darin wichtige Versuchsproben und Kulturen gehabt, welche sich nicht an den zeitlichen Ablauf normaler Schlaf- und Wachphasen hielten. Wenn man Pech hatte, arbeitete man drei Nächte durch und hatte dann eine Klausur. Im Nachhinein fragte ich mich wirklich, wie ich das überlebt hatte. Zudem konnte ich mir in diesem Labor aussuchen, ob ich die Stunden ausgezahlt bekam oder abbummeln wollte. Ja, die Entscheidung war spontan, aber ich war immer noch zufrieden damit. Und um ehrlich zu sein, hatte ich nicht erwartet, es jemals in Anspruch zu nehmen… „Max?“ „Der ist gerade bei den Proben.“ „Danke.“ Elias fand mich als ich gerade ein zeitliches Problem versuchte auszurechnen. „Hey Max. Was machen die Proben?“ „Die sind gut. Zu gut, wenn du mich fragst“, antwortete ich noch im Rechnen vertieft. „Wie können sie zu gut sein?“ Ich warf den Stift auf den Tisch und lehnte mich zurück. Gähnend strich ich über meine Augen. „Weil sie unerwartet gut gedeihen. Wenn meine Prognose stimmt, dann werden sie einen Tag und 10 Stunden früher fertig.“ Elias ging zum Probenschrank und starrte hinein. „Wie cool! Dann wirst du vor dem Wochenende noch fertig. Ich bin schon auf deinen Bericht gespannt.“ „Danke dir.“ „Was ist? Freust du dich nicht?“ „Doch schon. Zumal ich am Wochenende zu einer Familienfeier muss.“ „Na, ist doch prima! Dann kannst du wenigstens komplett abschalten!“ Elias freute sich für mich. Ja, das tat er wirklich. Er war so ein Mensch, der sich auch bei Kleinigkeiten mit oder für andere freute. Allerdings freute es mich nicht im geringsten zu meiner Familie zu gehen. Wir hatten keinen Zoff oder so. Ich wollte einfach nicht hin. Würden die Proben planmäßig fertig werden, hätte ich den Besuch dort verkürzen können. Aber nun? Hach, manchmal nervte mich meine Pflichtbewusstheit… Aber Elias brauchte nichts davon zu wissen, also griff ich auf mein bewährtes Mittel der Wahrheitsvertuschung zurück. „Ja, das ist schon cool. Aber ich muss dafür die nächsten Nächte kommen.“ „Oh~“ Elias verstand mich. Wir beide nutzten unsere Nächte lieber für andere Dinge als Arbeiten. Schlafen, zocken, einen Trinken gehen. Die Palette war breit gefächert. Jedoch klang dieses „Oh~“ nicht nach einem „Oh, verdammt, unsere Kneipennacht!“ sondern mehr nach „Oh, mein Beileid für ihren Verlust.“ „Was?“, fragte ich deshalb irritiert. „Naja… Ich habe gehört, dass der Graf aus dem Urlaub zurück ist. Also ist es ziemlich wahrscheinlich, dass du ihm über den Weg läufst.“ „Echt jetzt? Der Graf?“ „Ja, man… Tut mir voll leid, man.“ Elias nahm es wirklich mit. Er legte mir seine Hand auf die Schulter und bemitleidete mich. „Äh, ja, schon klar. Ich mein, ich kenne die Gerüchte über den Grafen, aber wer sagt denn, dass ich ihm tatsächlich über den Weg laufe? Das Labor ist riesig.“ „Ja, das schon, aber…“ Elias deutete auf den zweiten Probenschrank. Auch dieser war vollgestellt mit Nährschalen. „Er lagert seine Proben zurzeit bei uns.“ „Willst du mich verarschen? Das sind zu viele Proben für einen alleine! Wie viele Experimente macht der Typ denn?“, fragte ich völlig zurecht aus der Fassung. Normalerweise bekam man ein Fach für ein Experiment zur Verfügung gestellt. Das umfasste zehn bis zwanzig Proben, je nach Größe des Gefäßes. Aber einen ganzen Schrank?! Das waren mindestens sechzig Proben, die der Graf verwalten musste. Zu viele für ein einziges Experiment! „Ich glaube, drei oder vier“, mutmaßte Elias. „Das neuste Gerücht geht ja dahin, dass er die Leitung um die Erlaubnis gebeten haben soll, bis zu zehn Experimente gleichzeitig führen zu dürfen.“ Mir fiel wirklich die Kinnlade runter. „Das ist zu viel! Ist der Typ Da Vinci oder was?“ „Vielleicht“, scherzte Elias. „Letztes Jahr hat er eine Abhandlung veröffentlich. Es war ein Zwischenergebnis seiner Forschung und ich muss zugeben, es war wirklich brillant! Aber zehn Experimente gleichzeitig, ist echter Wahnsinn. Er entwickelt sich mehr zu einem Dr. Frankenstein als einem Da Vinci.“ „Bist du sicher, das Gerücht ist glaubhaft?“, insistierte ich. „Schon. Manuel hat es von Maria und die hat mit Eva zusammen genau gehört, wie die Sekretärinnen gesagt hätten „zehn Experimente sind zu viel“.“ „Uuund der Rest des Gespräches?“ Ich hob fragend beide Augenbrauen. Elias zuckte mit den Schultern. „Mehr hätten sie wohl nicht lauschen können. Und keiner hat nachgefragt.“ „Findest du das dann nicht etwas dürftig für ein Gerücht?“ Elias lachte nur. „Du wieder! Es ist ein Gerücht, Max, ok? Da ist es egal, ob es valide oder signifikant nachgewiesen werden kann. Der Graf gilt eh schon als Hauptgesprächsobjekt und mal ehrlich. Wenn du erstmal ein paar Jahre in diesem Labor gearbeitet hast, wirst du verstehen, warum wir so auf Gerüchte stehen. Immerhin arbeiten wir den gesamten Tag daran, Dinge zu belegen, Beweise zu erbringen und alles fundiert genau zu beschreiben und zu beobachten. Warum nicht etwas haben, dass mal jeglicher Logik entbehrt?“ Zugegeben, ein bisschen verstand ich schon, was Elias mir damit sagen wollte. Die Gerüchte über den Grafen der Nacht, wie er genannt wurde, waren zahlreich. Er trüge einen schwarzen Umhang und schritt böse lachend durch die Gänge. Er hasste andere Mitarbeiter, weil sie ihm angeblich mal ein Experiment versaut hätten, durch bloßes Zusehen! Ein Kollege berührte ihn einmal am Rücken und daraufhin sei diese Stelle in Flammen aufgegangen. Doch angeblich blieb nicht mal eine Narbe auf seiner Haut zurück! Natürlich trank er auch immer blutrote oder schwarze Getränke! Gruuselig, wenn man den Frauen hier zuhörte. Für mich klang das nach einer billigen Version von Dracula. Doch die Damen hier schienen für ein bisschen Mystik und Verruchtheit zu schwärmen. Ich selbst hatte den Grafen der Nacht bisher noch nie gesehen und kannte auch seinen Namen nicht. In den wenigen Monaten, die ich hier tätig war, war ich nur tagsüber im Labor. Der Graf hingegen arbeitet nur nachts. Es war wie der Leiter damals gesagt hatte. Die Meisten arbeiteten tagsüber und innerhalb der Woche. Es gabt viele die am Wochenende lieber bei ihrer Familie und den Kindern blieben. Manche hatten Teilschichten, weil sie es sonst nicht geregelt bekämen, die Kinder vom Kindergarten oder Schule abzuholen. Aber selbst bei diesen wenigen Personen arbeitete keiner länger als acht Uhr abends. Der Graf der Nacht begann seinen Dienst meist gegen neun, halb zehn. In diesem Fall konnte ich gespannt sein. Die nächsten drei Tage, vier, wenn es doch länger dauerte, würde auch ich zu neun Uhr hier erscheinen. Ungewollt zupfte ein Lächeln an meinen Lippen. Ich freute mich schon etwas auf diese Zeit. Und den mysteriösen Grafen der Nacht. Den Dienstagmorgen nutzte ich um meine Wohnung aufzuräumen. An meinen freien Tagen bürgerte sich das schon so ein, dass ich alles Unliebsame gleich zu Anfang erledigte, um den restlichen Tag nur noch Zeit für die wirklich guten Dinge zu haben. Wie immer verging der Tag zu schnell und schon war ich auf dem Weg ins Labor. Sandwiches und einen Latte vom Starbucks an der Ecke in der Hand, checkte ich ein und blieb stehen. Das Foyer, welches sonst, bereits voller Stimmen und Gewuhle war, wurde nur von einigen wenigen Gestalten passiert, die eilig nach Hause hechteten. Es war schon etwas merkwürdig. Ach was soll’s. Ich ging die Flure entlang zu meinem Laborbereich. Die Kaffeeküche hatte ihre Nachtbeleuchtung bereits angeschaltet und wirkte wie eine einsame Lichtinsel. Die Flure hatten einen automatischen Lichtsensor. Doch um Energie zu sparen, gingen keine grellen, weißen Neonröhren an, sondern nur wenige Spots, die ausreichten um seinen Weg zu finden. Das Licht war angenehm und blendete müde Augen nicht. Waren die Spots aus, weil sich keiner im Flur befand, leuchteten die an der Fußleiste angebrachten Notleuchten in einem verschwörerischen Grünton. Alle Notfallleuchten waren Grün und verliehen verwaisten Fluren und Räumen etwas Gespenstisches. Ich fand es eher malerisch. An Gespenster habe ich noch nie geglaubt. Auch Horrorfilme ließen mich grundlegend kalt. Warum vor etwas fürchten, dass dich entweder nicht erreichte oder berühren konnte. Oder aber so schnell war, dass du bei Berührung sofort tot wärst. Sich vor etwas so Ungewissen zu fürchten, war meiner Meinung nach ziemliche Verschwendung von Gehirnzellen. 90% aller paranormalen Phänomene konnten noch nicht bewiesen werden. Garantierte Tode fand ich schon viel erschreckender. Wie beim Autofahren, Fliegen im Flugzeug oder alle handwerklichen Tätigkeiten. Ich mein, wie viele hatten sich schon beim Holzfällen in die Hand gehackt und machten trotzdem weiter?! Oder die statistische Relevanz von Autounfällen aufgrund von zu hoher Geschwindigkeit oder Übermüdung. Selbst in eine Entführung verwickelt zu werden, war wahrscheinlicher als von einem Geister zu Tode erschreckt zu werden. Hinzu kam meine naturgegebene Art alles eher positiv zu sehen. Im Fall von einem gruseligen Labor mit einem Grafen der Nacht, fragte ich mich daher, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass ich ihn jetzt schon sehen könnte? Es bestand ja auch die Möglichkeit, dass wir uns die ganzen Tage nicht sehen würden, weil wir dauernd aneinander vorbei liefen. Ich trank meinen Latte aus und warf den Becher in den Müll. Gemütlich zog ich meinen Laborkittel an und prüfte, ob ich alles zusammen hatte. Unterlagen, Stifte, Notizzettel. Dann schmiss ich den Laptop an und begann zu arbeiten. Es war nicht nur ruhig, sondern still. Die einzigen Geräusche kamen von der Tastatur. Ein paar Mal von meinen Schritten, der Tür zum Probenschrank, dem Klappern von Utensilien aneinander, das klare Klirren von Reagenzgläsern oder dem leisen Surren vom Mikroskop. Ich wusste nicht mal, dass ein Mikroskop Geräusche machen konnte! Wenn ich mich zum Denken im Stuhl zurücklehnte, hörte ich gar nichts. Es war einfach nur still. Zeitweise war es ok, sogar angenehm. Aber Großteils war es einfach nur stinkend langweilig. Es war kurz vor zehn Uhr. Die Ankunftszeit des Grafen war lange vorbei. Vielleicht kam er wirklich nicht oder arbeitete woanders? Ich lehnte mich wieder zurück, Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Dann hörte ich leise Schritte. Das Rascheln von Kleidung. Es kam näher und ich blieb einfach sitzen, lauschte. Die automatische Tür öffnete sich mit einem leisen Wusch und die Schritte waren ganz deutlich zu hören. Wenn er verwundert war, dass Licht brannte, tat er es leise. Wieder Schritte, die dann verstummten. Ich rührte mich nicht. Ein Lachen zu verkneifen fiel mir schwer. Aber hey! Ich kann auch tief in Gedanken oder eingeschlafen gewesen sein. Wahrscheinlich kam der Graf der Nacht zum selben Schluss und setzte seinen Weg fort. Kleidung raschelte. Ich grinste innerlich, setzte mich dann wieder auf und rieb mir den Nacken. So lange in einer Position zu verharren, tat schon wieder weh. Als ich mich umdrehte, stand vor mir der Graf. „Oh“, entkam es mir überrascht. Er trug einen weißen Laborkittel, genau wie ich. Keinen schwarzen Mantel, in dem er seine Opfer einwickelte, ehe er ihnen in den Nacken biss. Der Graf drehte sich um und musterte mich. Er war groß und ziemlich adrett für einen Mann. Er trug den Schatten eines Bartes, elegant gestutzt und seinem Gesicht zum Vorteil gereicht. Seine Augen waren hellgrau wie Schneewolken, die Gesichtskonturen klar und männlich, die Haare dunkelbraun und leicht zur Seite frisiert. Selbst ich musste gestehen, dass seine Haare so weich aussahen, als würden sie eine geschmeidige Welle nachahmen. Herrgott dieser Graf war ein Bild von einem Mann! Kein Wunder, dass die Damenwelt so viele Gerüchte streute. Als Frau würde ich auch auf solche Männer stehen. „N Abend“, grüßte ich und lächelte. „Guten Abend“, erhielt ich als Antwort zurück. Seine Stimme war melodisch mit einem seichten Bass. Jupp. Die Damenwelt war entzückt! Überhaupt nicht unter Druck stehend, eine gute Figur machen zu müssen, stand ich elegant auf und trat auf den Grafen der Nacht zu. „Ich bin Maximilian Finnigan und noch relativ neu hier“, sagte ich und streckte ihm die Hand zum Gruß hin. Erstaunlicherweise ergriff er sie und schüttelte sie mit einem sanften, zugleich festen Händedruck. Wieder kam ich mir unterlegen vor, denn seine Hände waren größer als meine. Hatte ich wirklich so feminine Hände? Oh man… „Freut mich. Ich bin Joshua Fritz. Seit wann sind Sie denn eingestellt, wenn ich frag darf?“ Der Händedruck mit der angenehmen Stimme zusammen, bescherte mir eine Gänsehaut, die mir den Rücken hinab lief. Wahrlich ein Graf, dachte ich für mich. „Klar dürfen Sie. Und duzen reicht mir aus. Die Förmlichkeiten hebe ich mir gerne für höherrangige Chefs auf.“ Ich war nur ehrlich! Aber der Graf hob eine seiner Augenbrauen und wirkte so lässig ohne auch nur ein Wort zu sagen. Mal ehrlich, ich beneidete Leute die nur eine Augenbraue heben konnten. Ich konnte das nur mit beiden Augenbrauen. Wenn ich versuchte nur eine anzuheben, wirke ich wie jemand kurz vor einem Schlaganfall. Und obwohl der Graf seine Frage nicht einmal ausgesprochen hatte, fügte ich schnell hinzu. „Wenn Sie es bevorzugen, Sieze ich sie gerne, nur mich dürfen Sie eben auch gerne duzen.“ Joshua ließ die Augenbraue sinken und hob dafür einen seiner Mundwinkel. Dieses Grinsen war das Schlichteste und Hämischste, dass ich je gesehen hatte. Wie konnte ein Mann nur so viel Ausdruck in so wenig Mimik legen? „Schon ok. Du kannst mich auch gerne duzen.“ Irgendwie war es mir jetzt peinlich überhaupt einen Nachsatz gebracht zu haben. Erst nach einigen Sekunden ging mir auf, dass ich ihm noch eine Antwort schuldete. „Gut, das freut mich“, überspielte ich gekonnt. „Also, ich bin Max. Freut mich sehr den Grafen der Nacht mal persönlich kennen zu lernen. Ich bin seit fast einem halben Jahr hier angestellt. Meistens arbeite ich tagsüber. Aber mein aktuelles Experiment verläuft so gut, dass es früher fertig wird und meinen Berechnungen zu folge wird es irgendwann nachts fertig. Darum bin ich die nächsten Nächte mal Nachtarbeiter. Ich wünsche gute Zusammenarbeit.“ Wenn ihm die Bemerkung zum „Grafen der Nacht“ gewundert hatte, so hatte er es nicht gezeigt. Aber vielleicht kannte er seinen Spitznamen und die damit verbundenen Gerüchte ja schon? Mir hingegen war es abermals peinlich, so was Unnützes erwähnt zu haben, obwohl es nur die Wahrheit war. Ich, der so ungern die Wahrheit aussprach... In der Hoffnung, das alles überspielen zu können, hatte ich mehr erzählt, als ich eigentlich wollte. Die meisten Menschen vergaßen den Anfang eines Monologs und besannen sich auf die letzten wichtigen Fakten. Ein befreundeter Sozialstudent und angehender Psychologe hatte mir mal erklärt, dass nur 20% aller Menschen wirklich zuhören konnten. Die Meisten nickten nur höflich und griffen das zuletzt Gesagt auf. Es gab sogar Studien über dieses Verhalten. Den meisten der Probanden war ihr Verhalten im Anschluss peinlich, da sie sich selbst als unhöflich erachteten. Allerdings soll es mehr eine Schutzfunktion des Gehirns gewesen sein, wichtige Dinge gefiltert zu haben. So zumindest mein Kommilitone damals. Joshua Fritz hingegen gehörte zu den 20% die sich alles merkten und jedes Gespräch mit voller Aufmerksamkeit wahrnahmen. Diese Fähigkeit würde ich später noch entdecken. Jetzt zumindest war ich froh, dass wir jeder zurück an unsere Arbeit gingen. Es war gegen ein Uhr als mich die Müdigkeit einholte. Scheinbar hatte ich mir doch einen zu regelmäßigen Schlafrhythmus antrainiert. Müde kniff ich die Augen zusammen und massierte die Stelle zwischen meinen Augenbrauen. Ein Tick von mir. Mein Bruder zog mich zu gerne damit auf. Ich speicherte meine Arbeit und klappte den Laptop zu. Ein Kaffee würde mir guttun. Das Sandwich nahm ich auch gleich mit. „Ich mach Pause“, sagte ich aus Gewohnheit. Sekunden später ging mir auf, dass Joshua mir sogar mit einem „Hmhm“, darauf geantwortet hatte. Ehrlich, diese Gerüchte um ihn, mussten haltlos sein. Ich wette, wenn ich nachforschen würde, von wem die Gerüchte ausgegangen oder wie sie entstanden waren, würde ich nur Frauennamen erhalten. Verübeln konnte ich es ihnen nicht. Die Fantasie zu beflügeln und etwas zu träumen war nicht verkehrt. Ich fand es nur nicht fair, dass es auf Grundlage eines echten Menschen passieren musste. Joshua schein ein gewissenhafter Forscher zu sein. Gutaussehend, wohlgemerkt, aber vom ersten Eindruck her nicht sonderlich verschroben oder eigenbrötlerisch. Wahrscheinlich waren die Gerüchte auch nur aus dem Zusammenhang gerissen worden. Auch das mit den zehn Experimenten, war schwer zu glauben. Wer weiß, wie das Gespräch der Sekretärinnen weiter ging? Dennoch fand ich es unangebracht. Träumereien sollten den Ruf eines Menschen nicht beeinflussen. Im Moment schien der Ruf des Grafen der Nacht gut zu sein, aber würde das auch so bleiben? In meiner Schulzeit hatte ich einige Mobbingopfer im Jahrgang gehabt. Klar, das waren andere Zeiten würde man heute sagen, aber die betroffenen Personen sahen das womöglich anders. Und nicht jeder hatte ein so dickes Fell, dass er darüber hinwegsehen konnte. Ich war keiner der mobbte oder Gerüchte verbreitete, allerdings war ich auch niemand, der sie aufhielt. Leben und leben lassen, fand ich als Devise ziemlich gut. Aber wie schon gesagt, waren es nur Schwärmereien von einigen Frauen, die ich nachvollziehen konnte. Ich goss den Kaffee auf und starrte mit gerunzelten Augenbrauen in die Tasse. Warum störte es mich dann, dass es diese Gerüchte überhaupt gab? Schwer seufzte ich und stellte den Wasserkocher zurück. Aus den Augenwinkeln erblickte ich jemanden hinter mir und erschrak fürchterlich. „Wah!“ „Entschuldige, aber du warst in Gedanken.“ Der Graf stand hinter mir und mir rutschte das Herz in die Hose. Himmel, ein Geist wäre mir lieber gewesen! „Ach, schon gut. Hattest du was gesagt?“ „Ich habe gefragt, ob du mir auch einen Kaffee machst?“ Sein Finger deutete auf den Wasserkocher in meiner Hand. Zu lange brauchte mein Hirn um das zu verarbeiten. Als es endlich so weit war, lachte ich verlegen auf. „Ja, klar. Verzeih. Ich habe wirklich geträumt.“ Ich nahm eine Tasse aus dem Schrank und tat etwas Kaffeesatz rein. „Zwei Löffel?“ „Drei bitte.“ „Wow, ein Starkkaffeetrinker. Gerade würde ich das auch gerne trinken, aber zu starker Kaffee schlägt mir immer auf den Magen.“ „Bist du müde geworden?“, fragte Joshua. Verlegen lächelnd rührte ich beide Tassen um, eh ich ihm seine reichte. „Etwas. Liegt vielleicht auch daran, dass es hier so ungewohnt still ist.“ Vielleicht sollte ich mir morgen meinen Mp3-Player mitnehmen? „Danke. Wenn du zu müde wirst, beweg dich etwas. Wenn du eine Runde durch die Flure gehst, macht das recht munter.“ „Durch die Flure?“, fragte ich nach und blickte ihn überrascht an. „Ja. Durch die Labore zwei bis fünf. Es gibt auch eine Zwischenverbindung zu den oberen drei Laboren. Dann kannst du noch mal zehn Minuten mehr rausschlagen.“ „Haha, ach, deshalb.“ Wieder hob sich Joshuas eine Augenbraue. Scheinbar hatte er nicht erwartet, dass seine so ernsthafte Aussage von mir belächelt wurde: „Was meinst du?“ „Entschuldige. Ich wollte nicht lachen. Ähm … kennst du die Gerüchte, die hier kursieren?“, fragte ich vorsichtig nach. Er nickte. „Ja. Ziemlich lächerlich. Ich habe noch nie etwas davon hier gesehen. Nachts ist es hier sehr ruhig und es verirrt sich eher selten ein anderer Kollege hierher.“ Ich wähnte mich im sicheren Glauben, dass Joshua meinen Kommentar mit dem Grafen der Nacht von vorhin nicht auf sich bezogen hatte oder besser noch, überhört hatte. „Ha ha“, entkam es mir trocken. „Na ja, die meisten der Gerüchte beziehen sich auf dich“, gestand ich ihm. Die Augenbraue blieb diesmal unten, dafür breitete sich eine längere Stille aus. „Auf mich?“ Ich nickte. „Wie viele davon?“ Das hatte man davon, dass man Themen anschnitt, von denen andere nichts wussten oder sie nicht auf sich bezogen hatten. Ich hätte ihm in diesen Glauben lassen sollen. Ihm jetzt reinen Wein einzuschenken, war mir unangenehm. Leider konnte ich mich diesmal nicht geschickt herausreden. Innerlich seufzte ich schwer. Warum nur fiel es mir gerade heute so schwer, meine Gedanken zurückzuhalten? Mir blieb nur, mich über meine Gestik vom eigentlichen Sachverhalt zu distanzieren. Ich gab mich verhalten und lächelte entschuldigend. „Eigentlich… alle.“ Wieder breitete sich Schweigen aus. Ich erwartete, dass er sauer wurde und wetterte oder einen abfälligen Kommentar über diese Gerüchteverbreiter von sich geben würde. Aber er nickte nur, sah sich um und legte den Kopf etwas schief als er mich ansah. Es war nur ein Mü, kaum wirklich auffällig. „Welches Gerücht bezieht sich auf den Spaziergang durch den Flur?“ Joshua wirkte neugierig. Sein Blick eher lauernd. Wie eine Katze, die ihr Spielzeug fixierte. Das helle Grau blieb trotz allem eher sympathisch als angsteinflößend. Es lockte und ich ließ mich locken. Entspannter nahm ich meine Tasse und hielt sie mit beiden Händen fest, lehnte mich dabei an die Küchenzeile. „Es heißt, dass der Graf von Zeit zu Zeit durch die Gänge der Labore schwebt. Er trägt einen schwarzen Umhang und ist auf der Suche nach etwas“, begann ich. Es machte mir sogar Spaß diese Geschichte zu erzählen, als sei es der Beginn einer Schauergeschichte. „Manchmal soll er tief in Gedanken seine Runden drehen. Manchmal wirkt er ausgelassen und manchmal würde er wie ein Bösewicht lachen. Es heißt, wenn er ausgelassen ist, hat er gerade das Blut einer Jungfrau getrunken, die er unter seinem schwarzen Mantel gezogen hat, ehe er ihr in den Hals biss.“ Kapitel 2: Gerücht um Gerücht ----------------------------- Kapitel 2: Gerücht um Gerücht Die Gerüchte klangen wirklich arg nach Dracula, wenn man es laut aussprach. Joshua hatte mich danach nur verdutzt angeguckt. „Einer Jungfrau das Blut ausgesaugt?“ Ich nickte ernsthaft, meinen Kaffee in der Hand. „Mit einem schwarzen Mantel?“ „Umhang.“ „So oder so, im Labor trägt man weiße Kittel. Wie kommen die denn auf schwarz?“ Er klang nicht ungehalten oder sauer. Ein bisschen erinnerte er mich an mich selbst, dem Versuch nahe einem Mysterium auf die Schliche zu kommen, dem zu wenige Fakten zur Verfügung standen. „Ich weiß. Das klingt mehr nach einer Szene aus Dracula als nach einem Gespenst des Labors, finde ich.“ Joshua schwieg eine Weile, den heißen Kaffee in der Hand. Seine nachdenkliche Art war hübsch anzusehen. Wieso arbeitete so jemand immer nur nachts? „Diese Gerüchte sind haltlos. Mir fällt zu keinem eine begründbare Erklärung ein.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Na, wenn du das sagst, wird es schon stimmen.“ „Mich würde aber interessieren, wie die Leute auf solche Dinge kommen“, überlegte Joshua laut weiter. „Bei den alten Gerüchten, weiß ich es nicht. Aber das Neuste stammt wohl von zwei Sekretärinnen.“ „Das Neuste?“ „Hmhm“, machte ich und verfluchte den zu heißen Kaffee. Ich wollte lässig daran nippen, denn ich konnte mir vorstellen, dass ich keine so gute Figur machen würde, wenn ich einfach nur nachdenklich in der Gegend rumstehen würde. Stattdessen sabberte ich den halben Minischluck zurück in die Tasse und leckte prüfend über meine Oberlippe. „Ich hörte es gestern. Es heißt, du wünscht einen ganzen Probenschrank für dich, weil du zehn Experimente gleichzeitig machen möchtest.“ Ich hatte wenigstens diesmal gehofft ein verständnisloses Gesicht bei Joshua sehen zu können. Leider verharrte er mehr wie eine Salzsäule, eh er in schweigendes Grübeln verfiel. Von Gesichtsentgleisung keine Spur. „Zehn Experimente sind zu viel. Wissen diese Bürotippsen eigentlich, was da an Arbeit hinter steckt? Die haben echt zu viel Freizeit.“ Scheinbar hatte ihn dieses Gerücht nun doch verärgert. Elegant verließ der Graf die Küche und ich konnte anhand der Flurlichter seinen Weg nachverfolgen. Ich biss mir immer noch auf die Lippen, als ich mich in den Türrahmen der Küche lehnte. Die Labore waren zwar irgendwie labyrinthartig angelegt worden, aber eigentlich handelte es sich um einen schlichten viereckigen Bau. Es gab mehrere Segmente und die meisten besaßen einen Innenhof. Rund um diesen gab es Fenster, um direktes Sonnenlicht in die Flure zu leiten. Wegen besserer Arbeitsleitung und so was. Nachts wirkte das eigene Spiegelbild schon etwas gruselig, dafür konnte ich von der Küche direkt rüber in mein Labor schauen. Als Joshua im Labor war und die Tür hinter ihm zuging, prustete ich laut los und hockte mich hin. Ich musste so lachen, dass ich die Kaffeetasse abstellen musste. Wenn ich demnächst erzählen würde, dass der Graf der Nacht die Sekretärinnen „Bürotippsen“ nannte, wäre was los. Ich dachte erst, ich hätte mich verhört! Jemand der so verdammt elegant still dastehen konnte, würde seine Abneigung doch nie und nimmer in solch einem Wort ausdrücken. Aber Joshua verbesserte sich nicht. Also kein Fehler? Ich hielt mir den Bauch und beruhigte mich. Ich war wirklich gespannt, was ich die nächsten Nächte noch alles entdecken würde. Ich blieb noch etwas in der Küche und aß meine Sandwiches. Die Tasse spülte ich aus und stellte sie zum Trocknen hin. Ich konnte es nicht leiden einen Arbeitsplatz dreckig zu hinterlassen. Weder in der Küche noch im Labor. Und Essen war im Labor sowieso verboten. Viele hielten sich nicht daran. Dabei war die Wahrscheinlichkeit sein Essen durch das eigene Experiment zu verunreinigen oder anders herum viel höher als einem Geist zu begegnen. Ich kehrte ins Labor zurück. Im Flur war es still gewesen. Hier vernahm ich nur das leise klimpern von Pipetten an Glas. Joshua schien seine Nährböden zu bearbeiten. „Präparierst du neue Nährböden?“ „Drei Kulturen waren eingegangen“, antwortete er ohne aufzusehen. Ich stellte mich neben ihn und beobachtete wie geschickt seine viel größeren Hände die dünne Glasschale und das feine Stäbchen hielten. Als der Nährboden vorbereitet war, legte er das Stäbchen weg und griff nach seiner Probe. Vorsichtig trug er diese auf. Es war faszinierend ihm zuzusehen. „Ist was?“ Die Frage kam unerwartet. „Nein. Ich beobachte nur gerne wie Kollegen das machen.“ „Wozu?“ Ich lehnte mich etwas zurück und schenkte ihm ein Lächeln. Diese Frage bekam ich oft zu hören. „Einfach nur so. Man kann immer etwas lernen, wenn man anderen zusieht.“ Joshua legte die Probe beiseite und stellte die Nährschale ab. Viel zu direkt sahen mich diese grauen Augen an. „Und dich hat dabei noch keiner weggescheucht?“ Hätte ich es gekonnt, würde ich auch elegant eine Augenbraue heben, aber da ich es war, hoben sich beide Augenbrauen synchron nach oben. „Warum sollten sie mich wegscheuchen? Etwa aus Angst, ich gucke mir etwas von ihrer Arbeit ab und verwende es selbst?“ Joshua nickte. Sein Ernst? Ich lachte kurz und sah ihn verwundert an. „Das ist doch dämlich. Nur an der Art wie sie die Materialien verwenden, kann ich nicht erkennen woran sie genau forschen. Oder hast du jetzt Angst ich habe dir etwas abgeguckt, was ich nicht sollte?“ Joshua schnaufte. Es klang amüsiert. „Nein, das nicht. Aber Forscher sind eigen. Manche lassen sich nicht gerne über die Schulter gucken.“ „Oh … eh, das tut mir leid. Ich lass es, wenn es dich stört.“ „Schon gut. Es stört nicht. Es ist eher ungewohnt. Sonst ist hier kaum einer“, erklärte er, während er seine Proben in den Probenschrank stellte und seinen Arbeitsplatz aufräumte. „Jedenfalls sehr selten. Die Meisten die ich abends antreffe, haben verschlafen oder wollen nur die Stunden voll bekommen.“ Ich hatte mich derweil auf meinen Stuhl gesetzt und lauschte interessiert. Ganz so verschwiegen wie ich dachte, war er wohl doch nicht. Amüsiert sah ich ihm zu. „Dann ist es ja richtig ungewohnt für dich, wenn ich die nächsten Tage ebenfalls hier bin“, sagte ich und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Joshua entgegnete nichts. Sein Blick schweifte zur Seite. Also fuhr ich fort. „Sag mal, woran arbeitest du, wenn ich fragen darf.“ Joshua setzte sich auf seinen Stuhl und öffnete eine Schublade. Er holte einen Stapel Papiere heraus und reichte mir das oberste Blatt. Interessiert las ich eine Zusammenfassung seiner Arbeit. Es war das übliche grobe Skript, das jeder für sein eigenes Projekt anzufertigen hatte, ehe er es beim Vorstand einreichte. Andernfalls wurde das Experiment nicht bewilligt. Tja, selbst mit den besten Hightechgeräten konnte man nicht einfach wild drauf los forschen. „Das … ist ziemlich gut. Brilliant sogar. Auf die Idee kommt man zwar schon, aber auf solch einen Weg der Überprüfung, wäre ich nicht gekommen. Wow“, lobte ich überschwänglich. „Aber das ist auch verdammt viel Arbeit! Und das soll in dem kurzen Zeitraum passieren? Ist das nicht schon bald?“ „Ja. Der erste Teilschritt soll in drei Wochen fertig sein.“ „Krass.“ Joshua war ohne Zweifel ein genialer Forscher! Ich fragte mich wirklich, wie man bei solch einem Projekt und diesem enormen Arbeitsaufwand, darauf kommen sollte, dass er zehn Experimente forderte. Unmöglich! Jetzt war bewiesen, dass diese Bürotippsen keine Ahnung hatten und nur vor sich hinredeten. Ein bisschen tat mir Joshua deswegen leid. „Hm? Warte, hast du nicht gerade neue Proben angefertigt?“ Ich gab ihm sein Skript zurück. Er verstaute es ordnungsgemäß und nickte. „Das ist schon das zweite Mal. Ich nehme an, dass irgendwer versehentlich die Probe verunreinigt hatte.“ „Du meinst von den Tagschichtlern?“ „Genau.“ „Aber … warum arbeitest du dann nicht tagsüber und beaufsichtigst die Proben, damit sowas nicht nochmal passiert?“ Das wäre der einfachste Weg, aber Joshua verzog den Mundwinkel und wirkte als hätte er etwas Saures gegessen. War er etwa solch eine Nachteule? „Stört es dich so sehr tagsüber zu arbeiten?“ Joshua seufzte und schüttelte den Kopf. „Die Tageszeiten sind mir egal. Ich habe nur gerne meine Ruhe beim Arbeiten und das ist tagsüber beinahe unmöglich.“ „Schade. Dabei würde ich gerne sehen wie du den ganzen Damen den Kopf verdrehst.“ „So was albernes.“ Joshua schüttelte den Kopf und lächelte dabei. Es war ein schönes Lächeln. Charmant und etwas ungläubig. Aber war es so abwegig? Ich für meinen Teil war schon der Meinung, dass er einigen Kolleginnen bereits den Kopf verdreht hatte. Insgesamt bewerte ich meine erste Nachtschicht als erfolgreich. Ich konnte mich wachhalten, war mit meiner Auswertung ein Stück weitergekommen und habe ganz nebenbei mit dem Grafen der Nacht einige angenehme Gespräche geführt. Joshua ging eine halbe Stunde bevor der allgemeine Ansturm der Tagschicht begann. Ich selbst blieb bis Elias kam. Er hatte gesagt, er käme überpünktlich und wolle alles erfahren. Elias kam genau Punkt halb sieben. Ich saß voller Ungeduld auf meinem Stuhl. Mein Bein hatte derweil diesen nervösen Tick aufgenommen in rasantem Tempo auf und ab zu wippen. Einige Kollegen kamen und fragten ob ich auf‘s Klo müsse. Natürlich musste ich! Aber deswegen wippte ich nicht. Ich war so verdammt müde und das Warten machte mich nervös. „Hi, du noch hier?“, begrüßte Elias mich überrascht. Ich schenkte ihm einen vernichtenden Blick. „Was?“ „Du sagtest, du wärst heute überpünktlich hier.“ Ich konnte richtig sehen wie es bei ihm Klick machte. „Shit. Das habe ich voll vergessen. Mein Sohn hat gestern nicht schlafen wollen. `Tschuldige.“ Dafür zog er sich jetzt einen Stuhl heran und setzte sich rittlings drauf, dass er sich bequem mit den Unterarmen auf der Lehne abstützen konnte. „Erzähl. Wie war er so?“ Meine Laune war wirklich mies. Ich mochte es zu schlafen! Vor allem dann, wenn ich müde war. Trotzdem steckte seine leicht verschwörerische Miene mich an und beim Gedanken an Joshua musste ich etwas Grinsen. „Ganz anders als erwartet“, begann ich und erzählte was ich in Erfahrung bringen konnte. „Scheint als hättest du Recht gehabt, was die Sekretärinnen angeht. Ich sag Maria, sie soll nächstes Mal länger lauschen.“ Elias grinste verschlagen. Ich sah ihn nur skeptisch an. „Das war nicht das, was ich damit gemeint hatte. Vielleicht sollten sie ihn einfach in Ruhe lassen?“ „Ach Max … nimm uns nicht den Spaß, ja?“ Diesen Morgen hatte ich noch zwei Dinge gelernt. Erstens: Elias war ein guter Kollege und liebender Vater, aber unheimlich vergesslich was spontane Absprachen anging. Zweitens: Die Langeweile langjähriger Kollegen schien so enorm zu sein, dass es mehr brauchte als belegbare Beweise, dass sie vom Grafen der Nacht abließen. Es war nicht so, dass ich es mir groß auf die Fahne schrieb Joshuas Image aufzupolieren. Wenn diese Nachteule in Erscheinung treten würde, schaffte er das von ganz alleine. Bei seiner Ausstrahlung?! Es war auch nicht so, dass es schlechte Gerüchte waren. Einfach nur Phantasien von Frauen und die Neugierde von Männern, die etwas Pep in ihren Alltag bringen wollten. Trotzdem wurmte es mich. Ich hatte das Gefühl, Joshua würde missverstanden werden. Dabei, logisch betrachtet, war dem gar nicht so. Die Leute, welche sich die Gerüchte ausdachten, wollten Joshua nicht verstehen oder kränken, sondern idealisierten ihn einfach. So wie Groupies es mit Stars machen. Nur im weniger krassen Ausmaß. Erschöpft fiel ich in mein Bett und verschob sämtliche Denkleistungen auf später. Meine zweite Nachtschicht begann weniger aufgeregt. Ich zog meine Karte durch und verweilte einen Moment im Foyer. Es war sogar noch stiller als gestern. Ich sah mich um. Drehte mich um mich selbst und grinste unvermittelt. Es hatte wirklich etwas so spät allein im Gebäude zu sein. Vielleicht sollte ich öfters nachts arbeiten. Immerhin war ich gestern Nacht weitergekommen als die Tage zuvor. Zumindest zum Schreiben und Auswerten wären die Nächte besser geeignet. Wie oft hing ich Ideenlos über meiner Stuhllehne, weil der geniale Gedanke, den ich just gehabt hatte, verflogen war, weil irgendwer im Raum mich aus meinen Gedanken gerissen hatte. In aller Ruhe starte ich meinen Arbeitstag. Kittel an, Latte Macchiato ausgetrunken und zuerst nach den Kulturen sehen. Die Stille hielt an, bis Joshua das Labor betrat. Deutlich früher als gestern schritt er durch die Tür und das mit einer eleganten Lässigkeit die sagenhaft war. Ich hatte nur aus den Augenwinkeln das Licht im Flur bemerkt und verwundert aufgesehen. Genau in diesem Moment schritt mein neuer Nachtkollege auch schon durch die automatische Tür. Sein Blick leicht stoisch, etwas heroisch. Wie ein Krieger der bereit ist, sich jedem Feind zu stellen. „Guten Abend.“, begrüßte er mich. „Abend“, grüßte ich zurück und nickte. Ich lächelte ihn zwar an, aber sobald er mir den Rücken zugedreht hatte und ich auf meine Notizen starrte, verging es mir. Herrje, was dachte ich mir denn, ihn so schwärmend zu umschreiben?! Meine eigenen Gedanken waren mir so peinlich, dass ich die nächste Zeit akribisch meine Auswertung fortführte. Irgendwann vergaß ich diesen Fauxpas, von dem nur ich wusste, und lehnte mich im Stuhl zurück. Leicht massierte ich mir den Nacken und blickte zur Decke. Gleichmäßige weiße Vierecke. Langweilig, dachte ich bei mir. „Kommst du voran?“ „Hä?“ Die Frage überraschte mich etwas. Noch mehr da ich, den Kopf überstreckend, Joshua auf mich zukommen sah. Weit war sein Weg nicht. Zwei Schritte und er war bei mir. Ruckartig setzte ich mich ordentlich hin. Zu schnell, sodass ich Sternchen sah. Da war es nicht hilfreich, wenn dieses Gesicht in mein Sichtfeld kam und diese kleinen grellen Punkte, die sich zu schnell von außerhalb meines Sichtfeldes nach innen bewegten, wirkten, als umschwirrten sie Joshua. „Du sahst so aus, als kämst du nicht weiter.“ „Haha. Ach so? Eigentlich dachte ich gerade, dass unsere Decke ziemlich langweilig aussieht.“ Joshua sah nach oben. „Inwiefern langweilig?“, fragte er mit leicht zusammengekniffenen Augen. Ich winkte ab. „Die Auswertung läuft gut. Soweit bin ich fertig. Nachher muss ich die Daten noch in die Grafik übertragen.“ Diesmal war es Joshua der sich über meine Arbeit beugte und sie begutachtete. Es störte mich nicht. Ich war froh, keine Sterne mehr zu sehen. „Hm, schaut gut aus.“, bestätigte mich Joshua. „Danke“, ich grinste. „Weißt du überhaupt wofür die Werte stehen?“ Ich stützte meinen Kopf ab und sah zu ihm rauf. Er war ein Genie, das verstand sich von selbst. Trotzdem konnte etwas triezen nicht verkehrt sein. „Nun ja, du warst gestern ein bisschen laut bei deinen Formulierungen. Also denke ich mal, wenn dieser Wert hier weiter steigt, bist du auf dem richtigen Weg, oder?“ Verblüfft blinzelte ich. Verdammtes Genie! Schnell überspielte ich meine Verblüffung und griff in meine oberste Schublade. „Hier.“ Ich reichte ihm mein Skript. War ja nur fair und es würde ihm die Zeit ersparen zu lauschen. „Ein gutes Projekt“, sagte Joshua nach einer Weile und gab das Skript zurück. „Danke.“ „Baut es auf deiner Abschlussarbeit auf?“ „Nein, nicht ganz. Einige Punkte sind anders. Das liegt aber daran, dass ich im Studium nicht so tolle Geräte zur Verfügung hatte.“ „Und du wirst diese Woche fertig?“, fragte Joshua immer noch interessiert nach. „Ja, wenn nichts dazwischen kommt schon.“ „Darf ich es lesen, wenn du fertig bist?“ Überrascht legte ich den Kopf schief. „Warum willst du es lesen?“ „Darf ich nicht?“ Es war nur eine Nuance, die seine Augen sich verengten und doch wirkte es als hätte er eine Ablehnung erhalten. Schnell ruderte ich zurück. „Nein, nein, das meinte ich damit nicht. Ich war nur überrascht. Du bist so viel kompetenter als ich und das Thema ist nicht gerade spannend.“ Und könntest du das mit der Mimik lassen! Das ist unheimlich! Joshua hatte erst eine Augenbraue gehoben und anschließend nur einen Mundwinkel, was zu einem siegessicheren Grinsen führte. Irgendwie kam ich mir manipuliert vor… „Danke, aber so viel kompetenter bin ich nicht, vielleicht etwas erfahrener.“ Selbst dann! „Ich hatte früher mal ein ähnliches Projekt. Es unterschied sich in einigen Punkten und die Überprüfung war anders, aber ich frage mich gerade, ob es mit deinem Weg nicht vielleicht anders ausgegangen wäre.“ „Ha! Hätte ich nicht gedacht, dass du mal Fehlschläge hattest.“ Joshua begab sich zu seinem Platz und kehrte mir den Rücken zu. Das Gespräch ließ er nicht abreißen. „Wie kommst du darauf? Ich war auch mal jung.“ Ich lachte und schüttelte den Kopf. „Ach was, so viel älter bist du doch nicht! Und selbst wenn es mal Fehlschläge gegeben hatte, dann ist es nicht bei den Leuten hängen geblieben. Alles was ich höre, seit ich hier bin, ist deine Genialität. Für uns Neulinge wirst du zum Beispiel für Erfolg suggeriert.“ „Wie albern“, kommentierte er trocken. „Nicht wahr?“ Ich nahm mir vor Joshua nach jener Arbeit zu fragen, wenn ich meine beendet hatte. Es interessierte mich brennend zu sehen, woran jemand gescheitert sein sollte, der allein von wenigen Bruchstücken beim Schreiben einer Auswertung das Ziel erkannte, auch wenn er einiges an Vorwissen zu haben schien. Für den Moment jedoch kehrten wir zu unseren Projekten zurück. Übrigens etwas was ich an ihm zu schätzen wusste. Seine Konzentration und Zielgerichtetheit. Ich scherze ja auch gerne Mal beim Arbeiten und lockere mir den tristen Tag auf. Aber produktives Arbeiten schätze ich eben auch. Das ist das Gleiche wie abgewaschenes Geschirr. Etwas worauf nicht jeder Wert legte. Unsere Pausenküche beinhaltete ein Abwaschbecken und einen Geschirrspüler. Beides war voll und der Spüler nicht mal angestellt! War es denn zu viel verlangt? Ich murrte für mich selbst und krempelte die Ärmel hoch. In weniger als fünf Minuten war der Geschirrspüler angestellt und das Kaffeewasser aufgesetzt, sowie der halbe Abwasch erledigt. Ich hatte nicht eine saubere Tasse gefunden. Ich ließ gerade das Abwaschwasser ab, als Joshua die Küche betrat. „Was machst du da?“ „Wonach sieht es aus?“, fragte ich noch leicht patzig. Ich drehte mich nicht um. Wahrscheinlich würde er nur wieder eine Augenbraue heben und ich mich darüber ärgern, dass ich es nicht konnte. Und ich wollte meinen Ärger wegen der unordentlichen Kollegen, nicht an ihm auslassen. „Ich würde meinen du wäscht ab. Waren keine Tassen mehr da?“ Ich säuberte das Waschbecken und wrang den Lappen etwas zu kräftig aus. „Was denkst du denn? Würde ich mir sonst die Mühe machen und abwaschen? Natürlich war keine einzige Tasse mehr sauber. Oder ein Löffel! Nein, wie immer schaffen es die Kollegen eine Küche zu hinterlassen, die an Liederlichheit nicht zu überbieten ist!“ Nun platzte mein Ärger doch aus mir heraus. Ahhhh, was solls… War ja nicht so, dass ich was von ihm wollte. Sollte er doch ruhig meine nerdige Seite sehen. „Ja, ab und an wirkt die Küche wie ein Schlachtfeld. Vor allem nach Besprechungen und Geburtstagen.“ Joshua kam näher. Ich wollte ihn ignorieren, aber als er anfing einfach so abzutrocknen, war ich doch etwas überrascht. „Ich verstehe dich da. Ich kam schon einige Male nachts in die Küche und fragte mich, was genau ihr hier tagsüber eigentlich veranstaltet. Am schlimmsten war es, als die ganze Küche voller Mehl war.“ Ich erinnerte mich. Das war der dreißigste Geburtstag von Michael gewesen. Da er ledig war und selbst gerne Streiche spielte, musste nun er ran. Erst hatte er in jedes Labor gemusst um eine bestimmte Anzahl an Kronkorken zu sammeln, dann hatte er jede Kollegin darum bitten müssen, sie mit einem Stück Kuchen füttern zu dürfen und zum Schluss hatte er die Küche fegen müssen. Das miese war, dass wir alle Tische, Stühle und den Boden vorher mit Mehl, Reis und Linsen präpariert hatten. Als Michael die Küche betrat, löste er die älteste Falle der Welt aus. Er bekam Mehl auf den Kopf und verstreute es den restlichen Tag auch noch in den Fluren. Reis und Linsen ließen sich ja gut wegfegen, aber das Mehl? Die Reinigungskräfte beschwerten sich bei der Leitung und wir bekamen eine belustigte Abmahnung mit der Bitte es beim nächsten Mal nicht so zu übertreiben. Amüsiert erzählte ich Joshua, was er verpasst hatte. „Ein bisschen albern, findest du nicht?“ Ich wollte protestieren. Zumindest bis ich das Schmunzeln auf seinen Lippen sah. Gut, schien so als verstünde er doch Spaß. „Aber drei Fragen hätte ich da noch.“ „Klar nur zu!“ Ich lehnte mich gegen die Spüle und trockene selbst eine Tasse ab, um sie dann mit Kaffeepulver zu füllen. „Wer kam auf die Idee zu dem Streich?“ „Hehe, eigentlich Michael selbst. Er war so unachtsam, dass er einige Wochen zuvor erzählte, was er alles schon für Streiche gespielt hatte. Wir haben uns die Besten davon rausgepickt.“ „Aha.“ Er reichte mir die getrocknete Tasse. Ich füllte sie für ihn mit Kaffeepulver und goss beide Tassen mit heißem Wasser auf. „Und was ist Liederlichheit?“ „Hmm? Kennst du das nicht?“, fragte ich überrascht. „Doch. Nur heißt es Liederlichkeit und nicht -heit.“ Ich starrte ihn einen Moment an. Natürlich hatte er Recht, aber wer gab schon gerne Fehler zu! Also tat ich das was am naheliegendsten war und schlug ihn leicht mit dem Abtrockentuch. „Wer achtet bitte schön darauf! Tss, ich nutze gerne selbstkreierte Wörter. So ab und an mal.“ Ich schielte zu ihm und erkannte, wie ernsthaft er versuchte sein Schmunzeln nicht zu unterdrücken. Hey! Er hätte wenigstens vertuschen können, dass ich mich lächerlich gemacht hatte! „Und deine dritte Frage?“ Wehe das war wieder so ein Fettnäpfchen. Joshua faltete das Handtuch und hing es ordentlich auf. Schließlich deutete er auf meine rechte Hand. „Was hast du da gemacht?“ „Hm? Ach. Das war die Nachbarskatze. Die streunert oft bei mir rum und ich spiele dann mit ihr. Letztens bellte ein Hund, als ich sie streichelte. Das hat sie so erschreckt, dass sie mich angegangen ist.“ Ich betrachtete die Wunde und fand sie nicht weiter schlimm. Die Kratzer waren zu drei parallelen Strichen über meinen Handrücken gezogen. Einige Ältere an den Knöcheln und den Fingern verrieten, dass ich nicht allzu sanft mit der Katze spielte. Oder sie mit mir, wie man es nahm. Noch während ich mir die Kratzer ansah, wurde meine Hand gegriffen und der Arm inspiziert. Da ich die Ärmel noch hochgekrempelt hatte, bot sich Joshua freie Sicht auf mein Handgelenk und den Unterarm. Vorsichtig drehte er meine Hand und begutachtete die Ober- und Unterseite. Meine Haut wirkte im fahlen Licht extrem bleich, während die größere Hand eine scheinbar natürlichere Färbung hatte. Wie ich gestern schon dachte, waren meine Finger viel filigraner als seine. Joshua besaß gute, kräftige Männerhände. Keine Pranken, wie manch einer, aber ausdrucksstark. Und sie waren so vorsichtig! Ich meine, alles was er in Händen hielt war meine Hand. Nichts Besonderes. Und trotzdem strichen seine Fingerkuppen sanft über die rotgeränderten Wunden, alte wie neue. Ich redete mir ein, dass mir das Herz nicht bis zum Hals schlug. Es war schließlich nur meine Hand und seine. Ich meine … was meinte ich eigentlich? „Du solltest das verbinden“, war sein gutgemeinter Rat. „Hm“, war meine leicht kratzige Antwort. „Findest du das nicht etwas übertrieben?“ „Wenn da irgendwelche Flüssigkeiten oder Gefahrenstoffe rankommen, könnte das böse enden.“ Er hatte ja Recht, aber wenn dann trug ich Handschuhe und die sogar über den Ärmeln, sodass mir nichts reinlaufen konnte. Die Anderen machten sich zwar darüber Lustig, weil es nicht besonders hübsch aussah, aber wie gesagt: die Wahrscheinlichkeit sich mit den alltäglichen Werkzeugen zu verletzen war größer als einen Geist zu sehen. Ungewollt stimmte ich ihm brummend zu und betrachtete seine Hände. Wie lange hielt er meine Hand eigentlich schon? Bekam ich sie zurück? Das genaue Timing war wichtig. Zu lange und es würde peinlich oder beklemmend werden. Zu kurz war auch nicht gut. Zöge ich sie zu schnell zurück, würde ihn das vielleicht aufstoßen. Und zu langsam könnte ihn sonst was denken lassen. Timing. Timing. Warum war dann alles woran ich denken konnte, dass seine Hände verdammt warm und zärtlich waren? Ein leichter Neid pickte mich, als ich an die Probenschale dachte, die er vorhin noch in Händen gehalten hatte. Dieser Gedanke riss mich aus meiner Trance. Neidisch auf eine Probenschale! „Bekomme ich meine Hand zurück?“ „Ich würde es dennoch verbinden.“ „Sicher. Morgen dann.“ Die Antwort schien Joshua wenig zuzusagen. Er wirkte verstimmt, irgendwie grummelig. Der Grund erschloss sich mir leider nicht. Die Verletzungen meiner Hand gingen nur mich etwas an. Ich war derjenige der Schuld daran war, sie bekommen zu haben, sowie ich auch selbst dafür verantwortlich war, sie gesund zu pflegen. Sicherlich hatte ich auch schon gesehen wie Freunde sich verletzt hatten, aber ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, es mir nahe gehen zu lassen. Ich meine, so lange ich nicht selbst daran beteiligt gewesen war. Warum sollte sich Joshua meine Verletzungen zu Herzen nehmen? Er trug keine Schuld daran. Oder mochte er Wunden im Allgemeinen nicht? Vielleicht konnte er ja kein Blut sehen und damit auch keinen Schorf oder so? Oder er war Hobbydoktor und versuchte sich in der Medizin? Hach … es war zu vertrackt. Es gab zu viele Variablen und zu wenig Anhaltspunkte. Ich ließ das Grübeln sein und konzentrierte mich, auf eine elegante Art heißen Kaffee zu trinken, um mein Malheur vom gestrigen Abend zu revidieren. Es gelang mir nur bedingt. Denn obwohl ich den Kaffee diesmal mit Bravour meisterte, bekleckerte ich mich beinahe mit dem Sandwich. Der Großteil landete auf dem Teller. Dennoch… Ich tröstete mich damit, dass Joshua mich niemals Döner essen sehen würde. Jupp. Ein schwacher Trost. Wir waren schon einige Zeit zurück im Labor. Mitternacht war vorüber und der neue Tag begann in quälend langsamen Schritten. Ich kam mit den Formulierungen nicht weiter. Alles hörte sich irgendwie platt und zu lang an. Darum nahm ich mir meine Probeschalen nochmal vor. Da ich hierbei kaum etwas reißen konnte außer zu warten, beobachtete ich Joshua. Er war dabei einige Proben zu überprüfen. Dabei nahm er sie einzeln aus dem Probenschrank, stellte sie vor sich hin und entnahm der Kultur eine winzige Menge. In dem Reagenzglas träufelte er etwas Indikatorflüssigkeit auf die Probe. Es zischte kurz und verfärbte sich dann meist lila. Schon ein erstaunliches Farbspiel. Ich erinnerte mich an meine erste Chemiestunde. Unser Lehrer war streng gewesen, doch mit seiner Vorführung von entflammbaren Materialien und wie man die Farbe von Flammen ändern konnte, hatte er mich vollends erwischt. „Wozu wolltest du einen ganzen Probeschrank haben?“ Die Frage platze einfach aus mir heraus. Aber hey. Irgendwann musste ich ja mal anfangen den Ursprung der Gerüchte zu erforschen. Vielleicht könnte ich die Wahrheit unauffällig in den Alltag der Gelangweilten mischen. „Geht es wieder um dieses Gerücht?“ Scharfsinnig, dachte ich nur. „Jupp. Ich habe aus unserer gestrigen Unterhaltung bereits geschlossen, dass es dir nicht um die Quantität von Experimenten geht. Also ist meine nächste Annahme, dass du vielleicht etwas zu den Probeschränken gefordert haben könntest. Vielleicht einen Abschließbaren oder einen, wo nicht zehn andere noch ihre Proben reinstellen können. Wegen der Verunreinigung …“ Ich maß ihn bei meinen Aussagen und sein hochkonzentriertes Gesicht zeigte mir den flüchtigen Anflug eines Lächelns in seinen Augenwinkeln. Ich wartete, bis er antwortete. Schließlich befand er sich mitten beim Testen. Dabei konnte man schon mal Abgelenkt werden, aber gute Kollegen übertrieben es nicht und übten sich in Geduld. Nachdem Joshua die Probe in den Ständer zurückgestellt hatte, bekam ich meine Antwort. „Ziemlich nah dran. Ich weiß von einem leeren Probenschrank in Labor 3. Der ist zwar nicht abschließbar, aber er wird nicht genutzt. Leider war der Chef nicht da und die Sekretärin … nun ja, sie versteht vielleicht was von Zeitmanagement und Büroverwaltung, aber nicht vom Forschen. Ein Gespräch mit der Wand wäre sinnvoller gewesen. Alles was sie tat war zu lächeln und dümmlich mit den Wimpern zu klimpern. Sie hörte überhaupt nicht zu und gab mir dreimal dieselbe Antwort. „Verzeihen Sie, der Chef ist gerade nicht anwesend, aber sie können gerne hier warten“.“ Joshua atmete lange aus. Ich konnte mir seinen Frust vorstellen. „Wie … kann man so vollkommen abschalten?“ Ich grinste und revidierte ihn. „Du meinst, wie kann man so dumm sein? Gute Frage. Ich glaube, die Frau legte weniger Wert darauf, was du sagtest, als dass sie dir auf die Lippen oder sonst wo hingestarrt hat. Und später hat sie es brühwarm dem Rest deines Fanclubs erzählt.“ „Wie albern“, kommentierte Joshua. Seinen Frust spürte man deutlich. Mir war mittlerweile klar, dass er dem Zirkus um den Grafen herum nichts abgewinnen konnte und auch nicht den schwärmenden Damen. Zumal sein Problem wirklich dringlich war! Ich würde ihm gerne dabei helfen, nur lag es nicht in meiner Macht zu entscheiden, wer welchen Probeschrank nutzten durfte und wer nicht. Da man sich mit Joshua gut unterhalten konnte, beschloss ich das Thema um den Grafen fallen zu lassen. Wir arbeiteten gemächlich und kamen trotzdem zügig voran. Gegen sechs Uhr packten wir beide ein und gingen ins Foyer. „Bleibst du nicht länger?“, fragte Joshua. „Heute nicht“, bestätigte ich gähnend. Die Morgenluft war frisch und klarte meine Gedanken für einen Moment auf. „Wo musst du lang?“ Joshua neigte seinen Kopf zu den Parkplätzen hin. Die meisten Kollegen kamen direkt mit der Bahn. Nur wenige fuhren mit Auto, weil sie von weiter her kamen. „Dann eine gute Fahrt. Bis heute Abend.“ Ich winkte und machte mich auf zur Tram. Die Straßenbahn war um diese Uhrzeit noch schön leer. Nach fünf Stationen stieg ich aus und ließ mich Minuten später in mein Bett fallen. Ich wachte gegen Mittag auf und war irgendwie aufgekratzt. Meine Unterlagen hatte ich mitgenommen und las mir nach dem Mittagessen alles noch mal durch. Ich machte Notizen, wo noch etwas unklar war, die Formulierung, ein Vermerk, ein Beweis fehlte oder verbessert werden musste. Leider konnte ich mir die Stunden daheim nicht als Arbeitszeit anrechnen lassen, aber das war mir egal. Es juckte mir in den Fingern mein erstes Projekt fertig zu bekommen. Als ich das nächste Mal auf die Uhr sah, war ich schon reichlich spät dran. Ich zog mich flott an und kaufte mir zwei Brötchen mehr beim Bäcker. Meine Aufregung wuchs. Ich war super gespannt auf das Ergebnis der letzten Probe. Trotz meiner Eile kam ich etwas zu spät an. Zu meiner Überraschung brannte im Labor bereits Licht. Kapitel 3: Heimatwochenende --------------------------- Kapitel 3: Heimatwochenende Etwas abgehetzt betrat ich das Labor. Ich hatte vorher schon versucht meinen Atem zu beruhigen und nicht wie ein abgekämpftes Huhn zu keuchen. Beim Anblick von zwei grauen Augen blieb mir der Atem jedoch gänzlich weg. „Guten Abend“, begrüßte Joshua mich. „Abend“, grüßte ich zurück und grinste. Dann hatten wir wohl alles mal durch. Er kam zu spät, wir kamen pünktlich und ich kam zu spät. Obwohl… es würde noch fehlen beide zu spät. Noch in Gedanken stellte ich meine Sachen ab. Dass Joshua mich musterte, bemerkte ich erst danach. Fragend sah ich ihn an. „Hast du verschlafen?“ HA! War er nicht herzallerliebst! Ich mochte Menschen, die auf subtile Art ihre Sorgen bekundeten. „Nein. Ich hab zuhause noch an meiner Arbeit geschrieben.“ Zum Beweis holte ich meine Unterlagen hervor und einen Wust an pinken und gelben Notizzetteln. „Darüber hab ich die Zeit vergessen und bin zu spät los.“ Eine Augenbraue hob sich. Hach, ich neidete ihm das immer noch. „Warum machst du dir so einen Stress? Du hast doch Freitag und am Wochenende noch genügend Zeit zum Schreiben.“ Ich setzte mich hin und nahm meinen Kaffee to go in die rechte Hand. „Nicht wirklich. Ich muss am Wochenende zu meiner Familie fahren. Da habe ich wenig Ruhe dazu. Außerdem freue ich mich das Projekt abschließen zu können.“ „Wenn du Hilfe brauchst, frag ruhig.“ „Hast du heute nicht zu tun?“, fragte ich verwundert. „Nicht sonderlich viel. Den Rest kann ich auch am Wochenende erledigen.“ „Hä? Wie arbeitest du denn?“ „Dienstag bis Donnerstag nachts und am Wochenende meist tagsüber.“ Interessante Einteilung. So konnte man es also auch machen. „Ist hier am Wochenende viel los?“ Joshua schüttelte nur den Kopf. War irgendwie klar. Es war offensichtlich, dass er nicht gerne mit vielen Leuten zusammenarbeitete. Allerdings würde mich der Grund interessieren. Joshua wirkte nicht wie der verschlossene Typ. Ich wette, er könnte tagsüber das Regime anführen und trotzdem eine Abhandlung schreiben. So interessiert ich auch war, musste ich diesen Gedanken beiseiteschieben. Ich tröstete mich damit, dass ich ja nun wusste wie er am liebsten arbeitete. Zudem wollte ich auch einige Nachtschichten bei mir mit einbauen. Vielleicht nicht gerade jede Woche. Aber von Zeit zu Zeit. Vielleicht könnte man sich wirklich noch anfreunden! Die Arbeit begann zügig. Joshua schien wirklich nicht viel zu tun zu haben. Er schaute bei der Analyse der letzten Probe zu, schieb für mich die Ergebnisse auf und half mir bei einigen Formulierungen. Als die Eieruhr klingelte, machte sich Josh wieder an seinen eigenen Proben zu schaffen. Ich verlor für einen Moment meinen Gedankenfaden und blickte ihm nach. Seine Hilfe war wirklich Gold wert. Allerdings wurmte es mich etwas, dass er noch nichts zu meiner bandagierten Hand gesagt hatte. Ich hatte sie sogar mit Heilsalbe eingecremt! Zugegeben der Verband war sehr liederlich angebracht. Links war nun mal meine schwächere Hand. Ich schaffte noch einige Absätze, ehe ich mich im Stuhl zurücklehnte und streckte. Joshua war immer noch bei seinen Proben. Das Verfahren zur Überprüfung schien doch komplizierter zu sein. Ich wartete ein paar Minuten. Schließlich stand ich auf und trat hinter ihn. Die Erlaubnis zuzusehen hatte ich ja. Es standen eine Reihe von Kolben, Reagenzgläsern, Pipetten und weitere Schalen und Tiegelchen aufgereiht vor ihm. Dazu notierte er sich jeden kleinen Schritt. Ich kam nicht umhin seine akribische Art zu bewundern. Ich huschte auf seine linke Seite, um besser sehen zu können. Er hielt ein Reagenzglas mit einer leicht getrübten Flüssigkeit vor sich und schrieb seine Beobachtung nieder. Ich sah zu dem Reagenzglasständer neben mir. Dort waren schon einige andere Proben versammelt, alle mit einer leicht unterschiedlichen Trübung oder Einfärbung. Dann spürte ich nur einen Ruck und wie es feucht über meiner rechten Hand wurde. Durch den Verband durch. Überrascht sah ich hin. Joshua wollte scheinbar die Probe zu den anderen stellen. Wie auch immer, er hatte mich wohl nicht gesehen oder vergessen. Jedenfalls blieb er mit dem Reagenzglas an meinen Fingern hängen und kippte noch in Gedanken den Inhalt über meine Hand. Mich durchflutete gleich Scham und Schuld. Ich wollte zwar zusehen, aber seine Proben nicht ruinieren! Joshuas Reaktion hingegen war noch derber. Sein Gesicht verlor die Farbe, die Augen weiteten sich. Meine Schuld wuchs. Schnell trat ich einen Schritt zurück und hob entschuldigend die Hände. „Tut …. Tut mir leid. Ich wollte dir nicht im Weg stehen.“ Verwirrt blickte er mich an. „Ich hoffe, die Probe war nicht zu wichtig…“ Anbieten zu helfen, würde jetzt wohl fehl am Platz sein... „Bist du bescheuert?!“ Sein Ton war scharf und ließ mich zusammenzucken. Scheinbar war die Probe wichtig gewesen. Verdammt! „Was stehst du so blöd da rum? Geh deine Hand abspülen!“ „Hä?“ Joshua hatte mich schon längst zum Wachbecken gezogen und hielt meine Hand samt Verband unter fließendes Wasser. Dabei schalt er mich weiter. „Das Erste, was man im Chemiegrundkurs lernt, ist doch, dass man sich alles, was die Haut berührt, abwäscht, wenn es möglich ist! Wie kannst du so dämlich dastehen und nichts tun. Am besten wartest du noch, bis alles durch diesen liederlichen Verband gesuppt ist und auf deine Wunden trifft!“ Ich war nicht überrascht, sondern komplett überrumpelt. Also hatte er den Verband doch bemerkt! Das freute mich schon, aber ihn liederlich zu nennen, war doch wieder gemein. Mit der Erste-Hilfe-Maßnahme hatte er natürlich Recht. Das hatte ich schlicht vergessen. „Ich dachte … da wird schon nichts Schlimmes drin gewesen sein“, war mein dummer Kommentar dazu. Nach dem, was ich in seinem Skript gelesen hatte, arbeitete er weder mit ätzenden noch giftigen oder entzündlichen Materialien. „Ist das nicht ganz egal? Woher willst du wissen, dass deine Haut nicht doch darauf reagiert?“ Ich schwieg. Er hatte ja Recht. Aber war das ein Grund, so zu reagieren? Geduldig sah ich zu, wie Joshua den Verband löste und meine Hand gefühlt noch eine weitere halbe Stunde unters Wasser hielt. „Reicht das nicht langsam?“, fragte ich. Sein Griff verstärkte sich nur noch. Hatte ich mich gerade getäuscht oder zitterte seine Hand? Sicherlich nur vom kalten Wasser. Zumindest war meine Hand schon gefroren. „Meine Hand wird kalt“, bemerkte ich. Erst jetzt drehte er den Hahn zu und zog mich zum Handtuch neben dem Waschbecken. Mit getrockneter Hand bugsieret er mich auf meinen Stuhl und holte den Erste-Hilfe-Kasten. Ich hatte keine Ahnung wie ich mich fühlen sollte. Ein bisschen hilflos, weil Joshua so aufgelöst wirkte. Schuldig wegen des Experiments. Denn nicht nur war seine Probe hin, sondern auch sein Timing. Ich machte mir ernsthafte Sorgen, dass ich seinen Zeitplan zunichte gemacht hatte! Andererseits fühlte ich meinen Puls überdeutlich und wie mir bei all der Aufmerksamkeit etwas die Luft wegblieb. An diesem Dilemma war eindeutig ich schuld, also stand es mir nicht zu mich auf irgendeine Weise zu freuen. Trotzdem bemerkte ich wie seine Miene beim Betrachten der Kratzer weniger mürrisch wurde. Scheinbar hatte er festgestellt, dass nichts Gravierendes passiert war. Und ich genoss auch ein kleines bisschen seine Fürsorge. Das hatte zwei Gründe. Der Bedeutendere jedoch war, dass ich wahrscheinlich der erste Kollege war, der von Joshua angeschnauzt und verarztet wurde. Und das machte mich auf eine verdrehte Weise ziemlich stolz. Trotzdem würde ich all das wohl für mich behalten. Erinnerungen an etwas oder jemanden zu haben, die nicht jeder kannte, waren wundervoll. Ein Geheimnis an dem nur ich mich erfreuen konnte. Joshua holte einen frischen Verband heraus und umwickelte damit meine Hand und das Handgelenk. Es wirkte nicht nur professionell, sondern sah auch so aus. „Viel besser als meiner“, murmelte ich erstaunt und etwas gekränkt. Ich hatte mir wirklich Mühe gegeben. „Was ist besser?“ Ich sah auf, doch Joshuas Blick galt dem Verbandbinden. Dennoch klang seine Stimme nicht mehr so gereizt. „Dein Verband!“ Ich lächelte. Nicht weil ich den Ernst der Lage nicht erkannte, sondern weil ein Lächeln, auch wenn es nur flüchtig war, die eigene Mimik und Stimme heben konnte. Auch wenn Joshua nicht mehr gereizt war, wirkte er geknickt. So betrübt gefiel er mir nicht… „Du hast ja meinen vorhin gesehen. Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, aber mit der linken Hand und dann noch in Eile… das war wirklich schwierig.“ Ich beobachtete ihn genau, konnte aber nicht viel sehen. „Der Verband war wirklich liederlich. Lass dir lieber helfen, wenn es mit einer Hand nicht funktioniert.“ „Ha ha, sicher. Ich lass den hier einfach dran. Der sieht perfekt aus. Und wenn er unordentlich wird, bitte ich dich demütig um eine Erneuerung.“ Warum sollte ich mich mit einer Hand abmühen, wenn Joshua es mit zwei Händen deutlich besser hinbekam! Joshua fixierte den Verband und hob endlich seinen Kopf. Er wirkte weder mürrisch noch geknickt. Ein gutes Zeichen. Ich tauschte mein Lächeln gegen ein ernstes Gesicht und neigte meinen Kopf. „Es tut mir wirklich leid. Entschuldige. Ich hoffe, ich habe dein Experiment nicht gestört.“ Vorsichtig lugte ich hoch. „Und danke.“ Joshua schnaubte hörbar aus. „Schon gut. Das war nur eine periphere Überprüfung einer Nebenprobe.“ Das war erleichternd zu hören! Ich hatte wirklich Sorge, dass ich ihm eine wichtige Probe ruiniert hätte. Sein Zeitplan war eh schon straff. Wenn noch mehr Proben verunreinigt werden würden, würde sein Zeitplan kaum einhaltbar sein. Die Kulturen brauchten alle unterschiedlich lange um ein Ergebnis zu erzielen. Bei manchen Experimenten wusste man im Vorfeld gar nicht, wie lange eine Probe wirklich brauchen würde. Joshua hatte sich beide Arten eingebaut. Einen sicheren, bewährten Weg mit neuen Methoden zur Überprüfung, was die Aussage früherer Experimente belegen oder widerlegen würde. Da dies nur bedingt auf Freude bei den Obrigkeiten stieß, enthielt seine Arbeit auch einen neuen Weg. Hierbei wurden bestimmte Variablen neu gesetzt, was zu einem völlig anderen Ergebnis führen könnte oder dem Gleichem. Im Skript beschrieb er kurz, dass er die Proben bearbeiten würde. Das hieß im normal Fall Nährböden und Probenstamm wurden ausgetauscht. Das führte zu ungewissen Entwicklungen. Joshua hatte sich auf drei gleichzeitig auszuführende Versuche festgelegt. Für den zweiten Teil seiner Arbeit bekam er mehr Zeit eingeräumt. Schließlich mussten auch Kontrollgänge durchgeführt werden, um die eigenen Daten zu belegen. Das konnte einige Monate in Anspruch nehmen. Das Problem war der kurze Zeitraum, den Joshua für seinen ersten Teil bekommen hatte. Natürlich wäre es eine Möglichkeit den Obrigkeiten zu sagen, dass etwas schiefgelaufen war. Ich schätzte Joshua als jemanden ein, der Fehler eingestehen konnte. Auch wenn die meisten Menschen dazu neigten Dinge zu vertuschen. Wie Kinder die ins Bett gemacht haben. Es wäre keine Schande anzugeben, dass man die festgelegte Zeit nicht hatte einhalten können, jedoch konnten Labore eigen sein. Und wir waren in einem großen Labor. Viele Kollegen nutzen die gleichen Geräte. Teilweise gab es Wartelisten. Je nach Aufwand und Gebrauchsgegenständen konnte man mit viel Pech sehr lange warten müssen. Zeit war Geld. Es war immer eine Fünfzig-Fünfzig-Chance, ob man von den Obrigkeiten Verständnis oder Ärger bekam. Die Stimmung hatte sich indes nur bedingt gebessert. Ich hatte keine Ahnung, ob Joshua sauer war oder einfach nur konzentriert. Beide waren wir an unsere Arbeit zurückgekehrt. Ich tippte die Ergebnisse in meine Tabellen ein und Joshua beendete seine Kontrolle. Immer wieder schielte ich rüber. Er sagte kein Ton. Trotzdem wirkte die Luft dicker als vorher. Ich seufzte. Ich hing fest. Mein Kopf war nicht frei und die Sätze fing ich dauernd neu an. Entnervt ließ ich meinen Kopf auf den Tisch knallen. Es tat nicht weh, aber der Ton war lauter als beabsichtigt. „Alles in Ordnung?“, fragte Joshua. Ich fühlte mich ertappt und verkrampfte mich nur noch mehr. „Ja, sorry.“ Ich hob meinen Kopf und sicherte alle Dateien. Dann stand ich auf und blickte nur flüchtig zu ihm rüber. Er sah nicht zu mir, sondern auf seine Unterlagen. Komisch, dabei hatte ich mich eben noch beobachtet gefühlt. „Ich mach mir einen Kaffee, du auch?“ „Nein, danke. Es ist zu früh für eine Pause.“ Unelegant hob ich beide Augenbrauen und bewunderte seine Ausdauer. Der Flur war gespenstisch und still. Meine Schritte hallten als einziges durch die Gänge. Ich konnte sogar das leise Klicken irgendwelcher Schalter hören, wenn das Licht anging. Ein Flurspotlight flackerte, fünf andere summten beständig. Ob das schon mal jemanden aufgefallen war? Tagsüber sicherlich nicht, da war hier zu viel los und die Lichter aus. Die Küche war ausnahmsweise sauber. Ich nahm eine Tasse aus dem Schrank und kochte mir Kaffee. Am Tisch sitzend breitete ich meine pinken und gelben Zettel aus. Ich legte sie so hin, wie ich gleich weiterarbeiten wollte. Diese gehörten zum Text, diese zu den Proben. Zwei wollte ich nur im Anhang belassen und ein Zettel blieb übrig. Ich überlegte hin und her. Schob die Ordnung nochmals um, aber dieses eine Puzzleteil passte nirgends recht rein. Mein Kaffee war schneller alle, als ich eine Lösung gefunden hatte. Frustriert fiel mein Kopf wieder auf den Tisch. Diesmal tat es weh… Der Kaffee machte mich auch nur müder. Vielleicht war es keine so gute Idee gewesen den ganzen Tag an der Arbeit zu sitzen. Oder die Nachtschichten machten sich einfach bemerkbar. Mir wurden die Augen schwer und schneller als gedacht, war ich eingeschlafen. Mein Glück war, dass ich mir den Wecker gestellt hatte. Er sollte mich daran erinnern, dass ich jemanden zum Geburtstag gratulieren wollte. Einer meiner ältesten Freunde durfte sich heute ein Jahr älter schimpfen. Ich schrak regelrecht hoch. Zum Glück war es erst Null Uhr. Verpeilt strich ich mir durchs Gesicht. Wie konnte ich nur einschlafen?! Es war nur eine knappe halbe Stunde, aber trotzdem. Das war das erste Mal auf Arbeit. Egal. Ich stellte den Wecker aus und schrieb einen überschwänglichen, vor gute Laune strotzendem Gruß. Das erledigt, wappnete ich mich für den Kampf mit den Zetteln. Es dauerte einige Momente bis ich registrierte, dass an meiner Anordnung etwas anders war. Ich starrte und las. Starrte weiter. Eilig stapelte ich die Zettel und lief zurück ins Labor. Die andere leere Tasse neben der Spüle bemerkte ich nicht. Joshua saß auf seinem Stuhl und schien tief in Gedanken zu sein. Er starrte auf anmutige Weise seinen karierten Block an. Jedenfalls nur so lange, bis ich in die Tür gestürmt kam. „Josh“, ich brach den Namen ab und verfluchte die Langsamkeit der automatischen Türen. Sie waren nicht für spontanes Reinstürmen gemacht worden… Fast, wirklich nur fast, wäre ich gegen die Glastür gerannt. Als ich endlich genügend Platz zum Durchzwängen hatte, sprach ich weiter. „Joshua, warst du das?“ Er drehte sich vollends zur mir und blickte fragend. Es reichte aus, sodass ich mit einem breiten Grinsen weiter plapperte. „Das hier. Ich meine die Zettel. Du hast die Reihenfolge geändert, nicht wahr?“ „Ja“, sagte er und nickte bestätigend. „Hätte ich nicht“, ich unterbrach ihn mit wildem Kopfschütteln. „Nein, nein, nein! Das war genau das, wo ich nicht weitergekommen bin! Dieser eine pinke Zettel wollte sich nicht einfügen.“ Überschwänglich setzte ich mich auf meinen Stuhl und legte den Zettelhaufen beiseite. „Vielen Dank.“ „Nicht dafür.“ Die Antwort war schlicht, aber ich hatte das Gefühl, er freute sich auch etwas. „Konntest du dich etwas ausruhen?“ Die Frage war mir peinlich. Ich hoffte, ich wurde nicht so rot, wie ich mich fühlte. Verlegen startete ich meinen Laptop. „Ähä, ja. Powernapping. Aber dafür habe ich daheim viel vorgearbeitet.“ Das war für einen Wissenschaftler selbstverständlich und wurde in der Regel nicht angerechnet. Ahhh, verdammt! Meine Laune war gerade so gut, ich wollte nicht in dasselbe Schweigen wie vorhin zurückfallen. Ich starrte kurz an die Decke, dann schielte ich über meine Schulter. „Ich würde das erstmal einfügen und eh… dürfte ich dich wieder als Formulierungshilfe in Anspruch nehmen? So wie gestern?“ Man könnte jetzt meinen, ich hätte keinen Stolz, meine Arbeit allein fertigzustellen. Ich würde es als strategischen Schachzug bezeichnen, um einen potenziellen neuen Freund zu gewinnen. Klar, ich hatte auch meinen Stolz. Aber wer immer nur auf sich selber achtete, kam sozial nicht weit. Meine Oma meinte früher immer, ich sein empathisch. Es hatte noch zehn Jahre gedauert, bis ich endlich verstanden hatte, was das bedeutete. Von da an glaubte ich daran, dass das meine Stärke wäre, auch wenn ich mein Ego mal zurückstecken musste. Zu meiner Freude und Verblüffung lächelte Joshua. „Sicher, frag nur.“ Ich beschlagnahmte Joshua von zwei bis vier Uhr vollständig. Danach nur noch teilweise. Die letzte halbe Stunde erzählten wir einfach. Ich erfuhr, dass Joshua alleine wohnte, Single war und keine Haustiere besaß. Er wohnte in der Innenstadt in einem Altbau. Zusammengefasst klang es nicht viel, doch ich hatte hart für diese Infos gekämpft. Allein, dass er Single war, könnte ich unter den Kolleginnen teuer verkaufen. Hauptsächlich hatte ich geredet. Joshua stellte immer wieder Fragen, sodass ich aus meinem Monolog gar nicht hinausfand. Ich erzählte ihm von meinem bevorstehendem Heimatwochenende. Die Familie kam zusammen, um den Abschluss meines Bruders zu feiern. Er hatte endlich sein Abitur nachgeholt. Das war ein Zusatzangebot in seiner Fachausbildung gewesen. Dafür hatte er in der Woche vier Stunden mehr als seine Mitschüler. Ein enormes Pensum für meinen Bruder, der nach der zehnten Klasse keine Anstalten gemacht hatte, irgendwas zu lernen. Meine Eltern waren stolz wie Bolle auf ihn. Das wurde getoppt von der Freundin, die er meinen Eltern vorstellen wollte. Endlich ein Sohn, der eine feste Freundin hätte und auch noch religiös war. Um die Tragweite zu verstehen, erzählte ich Joshua von meiner Mutter. Sie war streng gläubig und das lebte sie. Zwar stellte sie ihren Kindern und Mann und der ganzen Welt frei, an das zu glauben, was sie wollten, ließ uns aber jeden verdammten Feiertag zelebrieren, vor jeder winzigen Mahlzeit beten und für alles und jeden dankbar sein. Es war anstrengend. Nun war ihr Sorgenkind endlich ausgereift, hatte eine Lehrstelle, das Abi, eine religiöse Freundin und besuchte die Eltern jedes Wochenende. Was könnte ein Mutterherz sich mehr wünschen? Ach ja, dass der Erstgeborene es seinem Bruder gleichtat. Die Feier war beschlossene Sache und die nahe Verwandtschaft war eingeladen. „Und du willst es nicht?“, unterbrach Joshua meinen Gedankengang. „Hm, was?“ „Es deinem Bruder gleichtun?“ Ich lachte nur und verdrehte die Augen. „Mein Abitur hatte ich beim ersten Anlauf geschafft mit 1,3. Und an Religion habe ich leider kein Interesse mehr. Sonst wäre ich kaum Wissenschaftler geworden.“ Wobei alle religiösen Wissenschaftler der Welt mir diese Aussage verzeihen mögen. Joshua schien ähnliches zu denken, schmunzelte aber nur. „Und was ist mit einer Freundin?“ Ich winkte ihm ab und schüttelte meinen Kopf. Mehr war mir dieses Thema nicht wert. Ich wollte nicht darüber reden. Es war … kompliziert. Joshua fragte nicht weiter. Ich griff meinen Faden wieder auf und berichtete von dem gebuchten Gemeinderaum, dem Catering und dass es leider einen Fernseher im Nebenzimmer gab. Joshua war verdutzt, fragte auch gleich nach. So kam ich dazu, dass die große Liebe meines Vaters das Wetten war. Pferderennen. Er hatte einige Glückstreffer, was meinen Eltern ein mittleres Vermögen eingebracht hatte. Es wäre mehr, würde er endlich aufhören zu spielen. Alles in allem redete ich mehr als Joshua und gab natürlich auch viel mehr preis. Es zeigte nur, dass ich mich in seiner Nähe recht wohl fühlte. Nachdem wir uns verabschiedet hatten, stieg ich mit dem guten Gefühl in die Tram, einen neuen Freund gefunden zu haben. Leider wusste ich zu wenig von Joshua, um sagen zu können, dass ich Fähigkeiten besaß, die ihm nützen könnten. Auch wenn sich eine Freundschaft vor allem dadurch auszeichnete, dass man sich ohne Bedingungen und Gegenleistungen leiden konnte und sehen wollte. Dennoch konnte es nicht schaden, wenn ich etwas besaß, dass mich für meine Freunde wertvoll machte. Am Samstagmorgen kam ich bei meinen Eltern an. Sie wohnten nur eine halbe Stunde mit dem Bus entfernt, etwas außerhalb der Stadt. Als ich aus dem Bus stieg, wurde mir doch etwas nostalgisch zumute. Das Dorf war zu nah an der Stadt und zu klein, sodass es nur eine einfache Haltestelle mit einem kleinen Häuschen gab. Früher war das hier nur eine kleine Nische neben der Straße gewesen. Bei schlechtem Wetter musste man aufpassen nicht von Schlamm oder Pfützen vorbeifahrender Autos bespritzt zu werden. Ich glaube, es war in der sechsten Klasse, als die Eltern gemeinsam dafür gesorgt hatten, dass hier ein ordentlicher kleiner Haltesteg errichtet wurde. Wir Kinder waren stolz darauf, auch wenn unsere Interessen damals eher den Personen galten, mit denen wir im Bus zusammensaßen. Heute quoll aus den Fugen zwischen den Steinen Gras und Unkraut hervor. Das Häuschen war mit Graffiti besprayt, dass ich nicht entziffern konnte. Vom Mülleimer war nur noch die Halterung da, welche schwarze Rußflecken aufwies. Wahrscheinlich hatten einige der Halbstarken den Mülleimer gesprengt. Ich schulterte meinen Rucksack und ging ins Dorf. Früher lebten hier bis zu zweitausend Menschen. Heute waren es weniger als tausend. Einige alte Höfe standen leer, ebenso wie ein paar der Plattenbauten. Ich kam an dem Spielplatz vorbei, auf welchem wir so viel Zeit verbracht hatten. Auch hier wuchs alles wie Kraut und Rüben. Meine Nostalgie verflog so schnell wie sie gekommen war. Das hier war eher traurig. Vor meinem Elternhaus angekommen, klingelte ich. Sozusagen als Ankündigung. Dann schloss ich mir selbst auf. Der Vorgarten meiner Eltern war geleckt und akkurat. Kein Unkraut, kein schiefer Stein. Jedes Blatt war an seinem rechten Platz. „Maximilian? Hast du geklingelt? Warum kommst du nicht endlich herein und lässt diese Unart sein? Ich bin extra vom Herd hergerannt!“ Die übliche Begrüßung meiner Mutter. „Bin da.“ „Das sehe ich auch. Komm beeil dich und hilf mir beim Tischdecken.“ Ich stellte meinen Rucksack ab und betrat die Küche. Natürlich war sie am Wuseln. So wie es hier aussah, bereitete sie einen Brunch vor. „Wo essen wir?“ „Auf der Terrasse.“ Ich nahm mir ein Tablett und stellte Teller, Besteck und Tassen darauf. Meine Mutter hatte eine strenge Vorgehensweise. Keinem war erlaubt etwas zu tun, was ihr nicht zusagte. Ein Beispiel: einen Tisch deckte man ein, indem man Teller, Besteck, Untertassen, Tassen platzierte. Dann die Kerzenständer, dann die Aufstriche. Brötchen und Eier, aber die nur mit Eierwärmern. Und Soßen immer zum Schluss. Ehe alle am Tisch saßen, mussten die Kerzen an sein. Würde ich erst die Tassen, Kerzen und dann die Teller aufdecken, würde ich mir ihren Zorn zuziehen. Alles hatte eine bestimmte Reihenfolge von Gottes Gnade gegeben. Als Kind nahm ich das alles so hin. Als Jugendlicher hinterfragte ich ein paar Mal ihre Monarchie. Keine gute Idee. Als ich die Terrasse betrat, sah ich meinen Vater und Bruder bei einer Zigarette. Sie redeten über den Ablauf am Nachmittag und wann Vater sich zum Fernsehen gucken verziehen könnte. „Hi“, begrüßte ich beide. „Ah. Hallo Maximilian. Schön, dass du deiner Mutter hilfst“, antwortete mein Vater. „Max! Schön, dass du da bist! Alter ich freu mich so! Ich muss dir nachher noch was erzählen“, sagte Andreas und feixte sich verschwörerisch in die Hand. Mein Bruder war fünf Jahre jünger als ich und heißt mit vollem Namen Andreas Matthäus. Im Gegensatz zu mir war er stolz wie Bolle auf seinen Namen und trug die Erwartungen unserer Eltern in die Welt hinaus. Die Umarmung meines kleinen Bruders nahm ich so hin. Auch wenn es nett gewesen wäre, mich erst das Tablett abstellen zu lassen. War schließlich schwer. Als die Begrüßung vorbei war, kehrten beide zu ihrem Gespräch zurück. Keine Hilfe beim Tischdecken. Ach, warum auch. Max machte das schon. Später zum Brunch sah ich die Freundin meines Bruders zum ersten Mal. Sie war ein typisches, aufgestyltes Mädchen. Das Kilo Make-up sah ich deutlich in ihrem Gesicht. Trotzdem war es nicht so übertrieben, dass es meiner Mutter hätte aufstoßen können. Ihr Haar roch unheimlich parfümiert. Es war mir schleierhaft, wie Andreas das aushielt, geschweige denn, wie die Puderquaste selbst es aushielt? Meine Eltern schien es nicht zu stören. Mich hingegen schon. Immer wenn der Wind kam, mischte sich zu dem köstlichen Duft von Bacon und Kaffee der strenge Geruch von Petunien. Das war das erste Mal, dass ich mir in Erinnerung rief, dass ich hier nicht lange bleiben müsste. Das Essen meiner Mutter schmeckte wie immer sehr gut! Trotz allem blieb sie eine hervorragende Köchin. Die Gesprächsthemen meines Vaters beschränkten sich auf seine Arbeit, den Erfolg seines jüngsten Sohnes (wenn es gewünscht war darüber zu reden) und die neusten Neuigkeiten zu seinen Lieblingspferden und -jockeys. Meine Mutter fragte mich aus, ob ich auch immer brav nach Gottes Regeln leben würde. Sie betete jeden Sonntag für mich. Sogar ihren Bibelkreis bat sie manches Mal um wohlwollende Gebete für mich. Andreas verstand es mit seiner Freundin unterm Tisch zu flirten und mir ausführlich von seinem Werdegang zu erzählen. Er lebte zwar nicht mehr unter dem Dach meiner Eltern, dafür aber hier im Dorf. Daher war es nur natürlich, dass Mutter oder Vater sich mehr für ihn eingesetzt hatten, als es damals bei mir der Fall gewesen war. Sei es das Zahlen der Kaution, weil er beim Autoknacken erwischt worden war. Sei es das Einschreiben in eine sehr gute Universität mit theologischem Hintergrund, für die mein kleiner Bruder sich weder interessierte noch das Studium ernst nahm. Sei es, dass ihm der Führerschein und das erste Auto gekauft und bezahlt wurden. Als ich nachfragte, in wie vielen Raten er den Führerschein abbezahlen müsste, wurde ich der Reihe nach schief angesehen. „Maximillian, wieso sollte Andreas das Abzahlen müssen?“, fragte meine Mutter. „Genau? Du hast deinen doch auch nicht abbezahlt?“, warf Andreas ein. Verärgert blickte ich ihn an. „Natürlich habe ich abbezahlt. Vater“, wandte ich mich an ihn, „du hast den Vertrag doch mit mir aufgesetzt. Mit Zinsen, erinnerst du dich. Du hattest den Zinssatz zufällig aus einer Wettstatistik genommen und-“ „Maximillian, bitte. Willst du mich vor unserem Besuch hier beschämen?“ Vater war ungehalten. Seine Stimme ernst. Und ich kuschte wie ein kleines Kind. „Als ob ich für so etwas Wichtiges wie einem Vertrag eine so pauschale Sache nutzen würde.“ „Und mir hast du erzählt, du musstest nix bezahlen“, insistierte Andreas erneut. „Ich sagte dir, du sollst dich nicht von den beiden dazu verleiten lassen etwas zahlen zu müssen.“ Mutter klatsche aufgeregt in die Hände. Das war ihr Zeichen für Stress und besser als jedes gebrüllte Reinrufen. Es sah affig aus und sie bekam rote Flecken auf der Stirn. „Nun reicht es aber. Maximillian, nun beruhige dich wieder. Ich dachte du lebst ruhig und gesittet? Aber diese Arbeit scheint dir langsam doch die Seele zu vergiften.“ „Eher den Verstand“, sagte Andreas. „Mein Kleiner. Bitte verdrehe keine Tatsachen“, bat Mutter. „Ich … ich verdrehe die Tatsachen?“ Ich war nicht mehr sauer. Das was ich empfand, war weit über normale Wut hinausgestiegen. Gerade war ich zu empört und perplex um adäquat zu reagieren. Das passierte mir leider zu oft. Dass ich in einer Situation nicht reagieren konnte, aber im Nachhinein wusste ich so einiges zu sagen! Jetzt gerade geschah allerdings das, was mein Leben bis heute zeichnet: Meine Sprachlosigkeit veranlasste andere Schlüsse zu ziehen. Mutter fuhr indes fort. „Nie würden wir von unseren Kindern Geld verlangen. Gott spricht sich auch dagegen aus. Eine Familie sollte zusammenstehen und sich aufbauen. Wir leben miteinander, nicht gegeneinander. Wie oft hatte ich dich gebeten nicht in die Stadt zu ziehen und nicht dieses heidnische Zeug zu lernen. Ohh, der Pastor weiß wie sehr mich deine Entscheidungen verletzt haben. Und habe ich es dir ausgeredet? Nie war ich dagegen. Auch jetzt bete ich dafür, dass du deinen Weg finden mögest. Du bist immerhin mein Sohn. Auch wenn ich mich frage, wann du vom rechten Weg abgekommen bist. Wissenschaft… Laborarbeit. Mein Junge sei ehrlich zu mir. Geht es dir gut? Brauchst du Geld? Ich bin mir sicher, dass die Leute in der Stadt furchtbar gemein zu dir sein müssen. Immerhin arbeitest du als frommer Gläubiger in einem solch heidnischem … Fachgebiet.“ „Wenn er Geld bräuchte, hätte er es sicher gesagt. Aber erinnerst du dich? Er tönte doch, er wolle keine Unterstützung von uns“, erinnerte mein Vater meine Mutter an den Streit den wir bei meinem Auszug ins Studentenwohnheim hatten. Das war vor fast fünf Jahren gewesen. Sie sprachen weiter. Redeten über mich und meine Überzeugungen, als wäre ich nicht anwesend. Selbst die Freundin meines Bruders mischte sich mit ein. Mein Blick haftete auf meinem Getränk. Mir wurde schlecht, dann schwindlig, dann doch wieder übel. Ich blickte mich in der geselligen Runde um. Da ich nichts weiter zum Gespräch beisteuerte, sah mich auch keiner an. Warum sagte ich nichts? Ganz einfach. Ich habe es oft genug versucht. Oft genug… Das Ergebnis war immer dasselbe. Ich hatte Unrecht. Egal, ob es meine Leistungen in der Schule, meinen Wunsch für eine Uni oder meinen allgemeinen Werdegang ging. Ich hatte Unrecht. Ich konnte schweigen, laut werden, sie beschimpfen, schreien, argumentieren, Fakten und Sicherheiten darlegen. Ich hatte Unrecht. Wenn sie also über mich reden wollten, sollten sie doch. Ich hörte nicht hin. Zu diesem Punkt zu gelangen, hatte lange gedauert. Es war hart gewesen. Vor allem als mir klar wurde, dass weder mein Wort noch meine Person noch meine Wünsche etwas zählten. Manchmal kam ich mir nicht vor wie ihr Sohn, sondern wie ein Huhn, dass zum Verkauf stand. Ich hatte daher keine Ahnung wie Andreas es schaffen konnte, sich den Respekt meiner Eltern zu verdienen. Mir tat er nur leid. In solchen Situationen ließ ich gerne meine Gedanken schweifen. Beim Thema Arbeit schaltete ich ab und griff es zugleich auf. Wie gerne würde ich jetzt auf Arbeit sein. In den verlassenen Gängen des Labors. Selbst eine verwüstete Küche wäre mir jetzt lieber. Und vielleicht wäre Joshua auch da?! Er hatte doch erwähnt, dass er am Wochenende tagsüber arbeitete. Mir vorzustellen meinen Samstag mit ihm zu verbringen, war so viel schöner als das, was ich real vor mir hatte. Ähnlich wie der Brunch lief es das restliche Wochenende auch. Aber zunächst wurde es noch schlimmer. Meine Verwandten kamen alle zu der Feier ins Gemeindehaus. So gesehen war das ganze Dorf eingeladen worden und das halbe war tatsächlich erschienen. Ich musste über zwanzig Mal erklären, was ich jetzt eigentlich genau arbeitete. Dreißig Mal rechtfertige ich mich für die Wahl meiner Uni und über sechzig Mal entschuldigte ich mich beinahe dafür, noch keine Frau und keine Kinder zu haben. Diese Leute verstanden es vortrefflich jemandem ein schlechtes Gewissen zu machen. Nach meinem zweiten Sekt jedoch fing ich an, das Ganze aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Ich vertrug keinen Sekt. Ein Grund mehr ihn heute zu trinken. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht wäre dieses Dorf ein toller Experimentenpool. Die Altersgruppen reichten von sechs bis neunzig Jahren. Es gab Ausländische und der Glauben war sicherlich nicht bei allen so gefestigt, wie sie es vorgaben. Im Laufe des Abends überlegte ich mir ein Thema, eine Hypothese und eine Thesis. Ich suchte nach dem geeigneten Testverfahren und einer Möglichkeit der Überprüfung. Sollte es eine kurze Studie sein oder eine längere? Wie viele Wiederholungen müsste ich ansetzen, damit das Ergebnis verifiziert werden würde? Ich machte mir Notizen in meinem Handy und überstand die Feier mit einem leichten Kater. Am Sonntagmorgen brach ich noch vor dem Frühstück auf. Meine Mutter protestierte. Nicht, weil sie ihren Sohn nicht ohne ein ordentliches Frühstück gehen lassen wollte, sondern weil ich somit die Chance vertat, bei ihrem Gebet dabei zu sein. Von dem Kirchgang mal abgesehen, hatte Mutter dem Priester um eine Salbung gebeten und dass er mal mit mir reden würde. Ich ließ ihr ihren Monolog und sagte dann schlicht, dass ich umgehend losmüsste. Experimente und so. Sofern ich einige Fachwörter einwarf, hörte Mutter schon gar nicht mehr zu. „Oh mein Sohn, ich werde den Priester um Unterstützung bitten. Halte nur durch. Es wird gut werden.“ Ich nickte ihr zu und schloss die Tür hinter mir. Der Weg zum Bus war so befreiend. Als die Bustüren hinter mir zuschlugen und wir losfuhren, fielen nochmal zwanzig Tonnen Ballast von mir ab. Ich steckte mir Kopfhörer in die Ohren und summte vergnügt zu meiner Musik. Kapitel 4: Die Verschwörung --------------------------- Kapitel 4: Die Verschwörung „Was hast du denn gemacht?“ Elias deutete auf meine rechte Hand. Sie war immer noch ordentlich bandagiert. Ich betrachtete den Verband und lächelte vor mich hin. „Die Nachbarskatze hat mich erwischt. Ich wollte nur sicher gehen, dass ich auf Arbeit die Wunden nicht doch noch verunreinige.“ „Hach Max. Manchmal bist du einfach zu süß. Sehr korrekt und manchmal zu ernst, aber süß. Ich gebe dir noch ein halbes Jahr. Du wirst schon noch lockerer“, sagte er und lachte. „Mal was anderes. Wie läuft es mit der Literatur?“ „Ich bin fast fertig. Ich muss noch einen Absatz kontrollieren.“ „Wolltest du nicht Hilfe bei den Formulierungen?“, fragte Elias nach. Ich erinnerte mich, dass ich ihn zu Beginn meiner Recherche und beim Durchwühlen der Literatur gefragt hatte, ob er mir hier und da helfen könnte. Damals wusste ich jedoch nicht, dass ich den Abschluss meiner Arbeit mit dem Grafen der Nacht durchgehen würde. „Ja, aber ich hab‘s schon fertig. Danke trotzdem.“ Ich musste mich echt beherrschen nicht wie blöd zu grinsen. Ein Klirren und Fluchen half mir, mein Grinsen zu unterdrücken. Elias und ich sahen uns um. Johannes stand vor dem Probenschrank und fluchte. Es wirkte sehr gekünstelt. Neugierig, da auch meine Proben vor wenigen Tage noch in diesem Schrank geruht hatten, ging ich hin und sah ihm über die Schulter. „Sag mal, was machst du hier überhaupt? Deine Proben stehen doch dort hinten.“ „Ja, stimmt. Aber ich hatte hier noch welche zwischengelagert, da hier noch Platz war. Jetzt ist mir eine runtergefallen und bei der anderen bin ich mir nicht sicher, ob sie verunreinigt wurde.“ Skeptisch hob ich eine Augenbraue. Die Schale kannte ich doch. Ein mulmiges Gefühl beschlich mich. Ich nahm ihm seine vielleicht verunreinigte Probe ab und besah sie mir im Licht. „Räum erstmal die Scherben weg. Elias, was meinst du? Ist die Probe noch zu retten?“ Elias trat hinzu und begutachtete die Schale genau. „Eigentlich sollte es bei deinem Projekt keine Rolle spielen. Markiere sie und stell sie zurück in den Schrank. In ein paar Tagen wissen wir mehr.“ Ich nahm einen pinken Notizzettel, schrieb Datum und Uhrzeit rauf und das Wort „verunreinigt“. Dann stellte ich sie in die freie Nische, wo vorher meine Proben gestanden hatten. „Ich stell sie hier hin“, meinte ich zu Johannes. „Beobachte sie die nächsten Tage.“ „Vielen Dank ihr zwei. Mach ich.“ Er schweig kurz, ehe er sich abmeldete, da er sich auf den Schreck einen Kaffee holen wollte. Ich sah ihm noch eine Zeit lang hinterher. Erst als er den Flur ein Stück entlanggelaufen war, wandte ich mich an Elias. „Sag mal, vielleicht täusche ich mich, aber war das nicht eine Probenschale von Joshua?“ „Das glaube ich auch“, bemerkte Elias mit einem deutlich ernsteren Ton als ich. „Letzten Montag ist ihm ein ähnliches Missgeschick passiert. Es hat mich gewundert, da er sich sonst nicht einfach so im Schrank irrt. Er ist ebenso genau und penibel wie Joshua, darum wollte ich es vorerst für einen Zufall halten.“ Elias‘ blickt streifte mich. „Du scheinst dich die letzten Nächte mit ihm ja gut amüsiert zu haben.“ Der Themenwechsel überraschte mich. „Wie kommst du darauf?“ Hatte ich ihm Mittwochfrüh, als er mich versetzt hatte, nicht schon alles erzählt? Natürlich hatte ich Spaß. Elias' Grinsen wurde breiter. „Du weißt, dass ihn tagsüber alle nur den Grafen nennen. Seinen Namen zu hören ist eher selten.“ „Ich habe ihn nur so genannt, weil ich nicht wusste wie er richtig heißt.“ Und zu derzeit auch keine Notwendigkeit bestand mein Wissen diesbezüglich aufzufrischen. Johannes kam indes wieder ins Labor. Seine Laune deutlich gehoben. Mit einem Lächeln ging er zurück an seinen Arbeitsplatz. Mir war immer noch mulmig zu mute, also wollte ich was ausprobieren. „Sagt mal, weiß eigentlich jemand an was Joshua arbeitet?“ Ich war laut genug, dass auch Johannes sich angesprochen fühlte. Elias zuckte nur mit den Schultern. „Woher? Aber Johannes, du weißt es doch oder?“ Elias war ein schlauer Kopf. Er war nicht umsonst unser Vizeabteilungsleiter. Als ich vor einem halben Jahr anfing, war ich erstaunt über sein Fachwissen und noch mehr beeindruckte mich, wie weit gefächert sein Wissen war. Damals meinte er zu mir, wenn ich eine Frau und Kinder hätte, käme das ganz automatisch, da man sich für die Interessen der Anderen auch interessieren würde. Dazu kam sein Lebensalter, was schon alt war, aber nicht sooo alt wie er sich darstellte. Jetzt gerade hatte er mich für einen kurzen Moment beäugt und zog sofort mit. Ich meinte wir hatten gerade darüber geredet, dass ich mit Joshua scheinbar gut klar kam und so neugierig wie ich war, war es nur logisch, dass ich den Grafen bereits nach seinem Experiment gefragt hatte. Demnach war meine scheinbare Unwissenheit eine klare Finte für Johannes! Und ich liebte Elias, dass er erstmal mitzog. „Klar, weiß ich das. Aber ihr könnt es einfach nachlesen. Guckt mal dort in seinem Fach nach. Oben links. Da liegt sein Skript.“ Weder ich noch Elias rührten uns. Es gehörte sich einfach nicht an die Arbeitsbereiche eines Kollegen zu gehen, wenn er nicht anwesend war. Für Johannes galt das offenbar nicht. Er stand auf, griff zielsicher nach der Schublade und zog das Skript heraus. Dafür gab es nur zwei mögliche Erklärungen. Erstens: Johannes hatte die Erlaubnis seines Kollegen erhalten, an dessen Sachen zu gehen oder war irgendwie als Assistent eingeweiht worden. Zweitens: Er scherte sich nicht um allgemein gültige Grenzen. „Ehm… Das ist doch Joshuas Tisch. Gehst du immer so einfach an andere Arbeitstische?“, fragte ich und war nicht mal gespielt verwundert. „Was soll schon passieren?“, fragte Johannes schlicht zurück und drückte mir das Skript in die Hand. Ich las es durch und hob beide Augenbrauen. So lässig wie bei Joshua ging es nicht. Das hatte ich am Sonntag noch mal vor dem Spiegel geübt! „Und was macht er?“, fragte Elias und trat an mich heran. Ich reichte ihm nur das Skript, sodass er es selbst lesen konnte. „Ah, interessant. Wusste gar nicht, dass er sich mit so was beschäftigt.“ „Tja, selbst der tolle Graf hat auch mal unwichtige Projekte“, verkündete Johannes und winkte grinsend ab. „Ich geh zum Mittag. Kommt ihr mit?“ „Keinen Hunger“, antwortete ich. Elias schüttelte den Kopf. Johannes ging und Elias legte das Skript zurück in die Schublade. Ich fand es interessant, dass Johannes scheinbar immer nach dem Gespräch um oder über Joshua den Raum verlassen musste, sagte aber nichts. „Was denkst du?“, fragte Elias mich. „Ich frage mich gerade, ob unser Graf vielleicht doch nicht nur Fans hat.“ „Ha ha. Und das mag ich so an dir Max. Es stimmt schon. Die beiden waren schon zu Unizeiten eher sowas wie Konkurrenten. Obwohl ich vermute, dass das nur Johannes so sah. Joshua war eher der Typ Überflieger, der sich um solcherlei Nebensächlichkeiten nicht scherte.“ Mein mulmiges Gefühl verschwand nicht, aber ich konnte jetzt auch nichts weiter tun als beobachten und abwarten. Darum legte ich das Thema gedanklich beiseite und widmete mich dem Groschen, den Elias mir gerade vor die Füße geworfen hatte. „Ihr wart zusammen auf der Uni?“ Elias lachte nun ungeniert meiner Neugierde wegen. „Ja, waren wir. Joshua, Johannes, Magdala und ich belegten den gleichen Studiengang und hatten uns zufällig alle hier wiedergetroffen.“ „Wie lange kennst du Joshua dann schon?“ „Hmm, das müssten jetzt an die zehn Jahre sein. Oh man … bin ich alt. Als Kommilitonen hatten wir mehr miteinander zu tun als heute. Joshua und ich gingen sogar einige Mal aus, einen Trinken. Ich habe ihn nur einmal besoffen erlebt, ansonsten hat er mich immer unter den Tisch getrunken.“ Ich lachte etwas. Das klang irgendwie nach Joshua. Mich hätte es auch gewundert, wenn er nicht trinkfest wäre. „Manchmal hatten wir sogar Doppeldates. Das waren noch Zeiten“, schwelgte Elias in Erinnerungen. „Aber nur, wenn er gerade eine Frau am Start hatte. Einmal waren wir sogar zu viert in einem Vergnügungspark! Leider hat das seiner Freundin gar nicht gefallen. Sie hat sich dauernd übergeben. Hahaha, im Nachhinein erfuhren wir, dass sie von ihrem Ex schwanger war. Darum wurde aus den beiden nichts. Schade eigentlich. Sie stand ihm.“ „Was meinst du damit, nur wenn er eine Frau am Start hatte?“ Ich blendete aus, dass mich diese alten Kamellen interessierten und zugleich unwohl fühlen ließen. Ich schob es darauf, dass ich für gewöhnlich nicht so gerne in anderer Leute Vergangenheit wühlte, wenn diese nicht anwesend waren. „Ach. Josh ist bi. Er wechselte ziemlich regelmäßig. Wenn er dann mal einen Mann am Start hatte, hielt ich mich etwas ferner.“ „Warum das?“ War ja nicht so, dass Schwulsein nicht bekannt wäre. „Ich steh einfach nicht drauf, wenn Männer sich küssen“, erklärte Elias mit einem Schulterzucken. Ich machte den Fehler und stellte es mir prompt vor. Rot werdend schob ich den Gedanken beiseite. Ich war nicht prüde, aber Joshua jemand anderen küssen zu sehen, selbst in meiner Vorstellung, gefiel mir nicht. Elias sinnierte indes laut weiter. „Ich weiß gar nicht … hat er derzeit eine Freundin oder einen Freund? Hmm“, in Gedanken versunken musterte er den Fußboden, dann mich. „Sag mal, kannst du das nicht rauskriegen? Ich kann nachts nicht arbeiten wegen der Lütten und tagsüber ist er kaum zu sehen.“ Zu sagen, dass ich mich unbehaglich fühlte, brächte mir auch nichts, oder? „Er ist ledig.“ Ich erzählte Elias von unserem Gespräch kurz vor Feierabend. Die wenigen Fetzten, die ich mir mühsam von Joshua erkämpft hatte und teuer verkaufen wollte. Nun gut, Elias würde nichts zahlen. Sie waren ja mal befreundet. Dieses Gespräch beschäftigte mich noch eine ganze Weile. Bi passte irgendwie zu Joshua und ich fragte mich insgeheim, woran er wohl derzeit interessiert wäre. Ich machte mir keine Hoffnungen, dass ich in Frage käme. Auch wenn ich nicht leugnen konnte, dass es mich stören würde jemand anderes an seiner Seite zu sehen. Dabei war das durchaus wahrscheinlich. Joshua sah gut aus und war groß. Einen halben Kopf größer als ich, das machte ihn groß. Seine Figur war schlank, aber nicht schlaksig. Vielleicht trainierte er ja? Oder er gehörte zu denjenigen, die einfach so einen Hammer Körper hatten. Seine Hände waren groß und sanft, seine Haare lang genug, um sich mit den Fingern rein krallen zu können. Die hellgrauen Augen wirkten geheimnisvoll und anziehend, sein Gesicht war die perfekte Mischung zwischen schlank und kantig und seine Lippen nicht zu schmal. Wenn er dann mal lächelte, war es als bräche ein Sonnenstrahl durch eine dicke Wolkendecke. Ich seufzte schwer. Als ich mich daheim im Spiegel betrachtete, wichen meine schwärmerischen Gedanken schnell der Realität. Selbst wenn ich mich für ihn interessierte, würde es wie immer ablaufen. Obwohl das auch etwas hochgegriffen war. So viel Erfahrungen in Beziehungen hatte ich gar nicht. Mein erster Crush hatte mir so gesehen die Beine gebrochen. Ich konnte nicht glauben, dass ich mich immer noch damit aufhielt! Davon mal ab, ich war auch nur Durchschnitt. Klar stylte ich mich mal und sah dann ziemlich gut aus! Aber hauptsächlich lief ich eher langweilig durch die Gegend. Die Arbeit verlangte eben ein praktisches Outfit und nicht jeder sah in einem weißen Laborkittel gut aus. Ich sah mich im Spiegel an. Das einzige interessante waren meine Augen. Sie waren grünlich mit einem Stich ins helle Braun. Aber grundsätzlich eher Grün. Mein Großvater hatte auch grüne Augen gehabt und ihm standen sie wirklich gut. Mir hingegen… ich fände mich mit braunen Augen schöner. Damit würde ich mehr in der Masse untergehen. Meine Haare lagen vom Wind verwurschtelt kreuz und quer auf meinem Kopf. Mein Undercut war schon lange rausgewachsen und die restlichen Haare könnte ich mit Haargel locker zu einem Iro verkleben. Es war keine auffällige Frisur, aber sie stand mir. Das Deckhaar war immer etwas heller als das untere. Ich wusste, dass Frauen mir das neideten. Eine gute Freundin hatte mal erzählt, dass manche Frauen sich das extra so färben ließen! Das war, glaube ich, in der Mittelschule gewesen. Seit damals ließ ich mir das Deckhaar länger wachsen, damit „meine Maserung“, wie sie es nannte, besser zur Geltung kam. Sie betonte zu gerne wie gemein und cool sie es fand, dass ich solche Haare von Natur aus hatte... Damit hatte ich also Haare, die mir Frauen neideten, aber war das auch attraktiv? Mein Körperbau war normal. Ich hatte ein paar wenige Armmuskeln und meine Beine waren vom Laufen gut im Training. Trotzdem nahm ich schnell zu, wenn ich nicht aufpasste was ich aß. Während ich mich so betrachtete, zog ich mich aus und posierte. Im Endeffekt schnaufte ich und lächelte mich selbst etwas selbstironisch an. „So wie immer. Und es reicht um Freunde zu bekommen. Und ab und an ein Date“, sagte ich zu mir selbst. Zufrieden war ich dennoch nicht. Um nicht zu deprimiert zu werden, zog ich mir schlampige Hausklamotten an und machte mir was zu essen. Anschließend warf ich mich auf die Couch und sah mir die nächsten Folgen von Vikings an. Weit nach Mitternacht ging ich ins Bett. Planmäßig kam ich erst zu zehn Uhr auf Arbeit an. Elias hatte ich vorab Bescheid gegeben. Ich ging zum Probenschrank und sah nach der verunreinigten Probe. Um meine Scharade aufrecht zu halten, machte ich Johannes Mut, dass „seine“ Probe vielleicht noch durchkommen würde. Johannes reagierte etwas zu spät und etwas zu lässig. Jeder Forscher kämpfte um seine Proben. Sie waren das Kernelement unserer Arbeit! Aber für jemanden, dessen eigene Probe nicht verunreinigt wurde, war seine Reaktion angemessen. Der Tag zog sich und ich beendete meinen Forschungsbericht. Ich würde ihn zwei Tage liegen lassen, dann noch mal lesen und kontrollieren, ehe ich ihn nächsten Montag abgeben musste. In der Zwischenzeit half ich Elias und machte mir Gedanken um mein nächstes Projekt. Ab fünf Uhr leerte sich das Labor. Es wurde ruhiger und mich holte der wenige Schlaf ein. Was mussten die Folgen auch so spannend zum Schluss werden! Es war gegen halb sieben als unser Labortrakt leer wurde und mir der Kopf auf den Tisch fiel. Meinen Wecker hatte ich auf halb zehn gestellt. Letzten Dienstag kam Joshua auch erst zu um zehn, also würde ich wach sein, wenn er ankommen würde. Ein beständiges Vibrieren neben mir ließ den ganzen Tisch wackeln und weckte mich. Schon halb zehn. Ich streckte mich, gähnte und ließ meinen Kopf in den Nacken fallen. Gedanklich war ich sofort wach und ging meine Vorgehensweise durch. Als ich die Augen öffnete, bemerkte ich das jemand neben mir saß. Besser gesagt, an meinen Tisch auf meinem Stuhl. Ein Bein breit überschlagen, den Kopf auf den Fingerknöcheln abgestützt und ein lässiges Grinsen auf dem Gesicht. Ich hatte Recht. Wenn er lachte, wirkte es wie ein Sonnenstrahl, der durch dicke Schneewolken bricht. „Du bist schon da!“, rief ich erschrocken aus. „Schon seit einer halben Stunde.“ „Warum weckst du mich nicht!“ Ich war empört und es war mir peinlich. Schließlich war ich auf Joshuas Tisch eingeschlafen und hatte ihn somit vom Arbeiten abgehalten. Und dann beobachtete er mich auch noch für eine halbe Stunde! Ich sah Joshua an, dass er am liebsten Lachen würde, doch er hielt seine Coolness aufrecht. „Ehrlich. Du hättest mich wecken können! Nächstes Mal weck mich“, forderte ich ein. „Gut, ich merk es mir. Nächstes Mal wecke ich dich.“ Ich schnaufte laut aus und verschränkte die Arme. Machte allerdings keine Anstalten aufzustehen. „Bist du mit deiner Arbeit fertig geworden?“ „Ja, heute. Ich les die Tage noch mal Kontrolle. Montag ist erst Abgabe.“ Joshua nickte. „Wie war dein Wochenende?“ Es freute mich, dass er sich erinnerte. Auch wenn er es wieder verstand die eigentliche Frage nicht zu stellen. Ich sah ihm an, dass er neugierig war, was ich hier machte. Gut, ich würde mitspielen. Ich lehnte mich in seinem Stuhl zurück und betrachtete die Decke. „Ach ging so. Es geht allen gut und sie waren wie immer. Die Feier war auch wie immer. Typisch, wenn die Verwandten kommen und dich mit Fragen löchern. Bin Sonntagfrüh gleich wieder heimgefahren.“ „Das klingt eher nach einer anstrengenden Familie.“ Ohh, er hatte ja keine Ahnung! „Es geht. Ich konnte mir den Abend vertreiben in dem ich mir ein sozial-ethnisches Projekt ausgedacht habe.“ Ich lachte bei der Erinnerung. Joshua fragte nach und ich erzählte ihm die Details meiner Idee mit Hypothese und allem Drum und Dran. „Das solltest du vielleicht den Soziologen vorstellen“, erwiderte Joshua im vollen Ernst. Ich lachte und winkte ab. Für einen Moment legte sich Schweigen über uns. Ich betrachtete Joshua genau und grinste nur breiter. Schließlich lenkte ich ein. Keine Ahnung was das war, dass er nicht direkt fragte, was er wissen wollte. „Sag mal, kann ich noch mal dein Skript lesen?“ Verwundert hob sich eine Augenbraue. Ich würde es nie zugeben, aber ein bisschen habe ich dieses Schauspiel schon vermisst. Joshua stand auf und griff in die rechte Schublade. Zweite von unten. Neben mir stehend hielt er es mir hin. Wortlos griff ich in seine linke, oberste Schublade und holte ebenfalls ein Skript heraus. Die eben noch verwunderte Augenbrauen, zogen sich nun tief nach unten. „Was soll das?“, fragte er grimmig. „Das habe ich mich gestern auch gefragt.“ In wenigen Sätzen berichtete ich ihm von dem Vorfall mit Johannes. Joshua ging sofort zum Probenschrank. Meine gekennzeichnete Probe stand immer noch an Ort und Stelle. Elias und ich passten seit gestern abwechselnd darauf auf. Nur für den Fall, dass Johannes versuchen sollte, die Markierung aufzuheben oder ähnliches. Joshua sah auf den ersten Blick, dass die Probe hin war. Er schlug mit der flachen Hand gegen den Schrank. DAS war die richtige Reaktion auf eine verunreinigte Probe. Ich sah mir das falsche Skript nochmal an. „Ich versteh bloß nicht, warum er das machen sollte?“ Es gab unzählige Gründe jemanden nicht zu mögen, zu hassen oder ihm zu neiden. Da konnte ich mich nicht rausnehmen, geschweige denn voreilige Schlüsse ziehen. Wie so oft gab es viel zu viele Variablen zu beachten. Nichtsdestotrotz fand ich es schon bemerkenswert mit welcher Akribie Johannes das alles tat. In den letzten zwei Wochen, vielleicht sogar schon davor, verunreinigte er immer nur eine Probe, sodass Joshua nie ein abschließendes Ergebnis erhalten würde. Er würde schlicht seinen Zeitplan nicht einhalten können! Und falls einer fragte, legte Johannes dem Fragenden dieses falsche Skript vor, bei dem ersichtlich wurde, dass Joshua scheinbar an nichts Besonderen arbeitete. Nichts mit Zeitdruck. Das falsche Skript beschrieb eine Standardüberprüfung bewährter Studien, wie sie jeder Forscher dann und wann erhielt, wenn er nichts Eigenes am Laufen hatte. Keiner würde vermuten, dass das was Johannes mit den Proben tat, wenn man ihn erwischte, schlimm für Joshua sein könnte. Sein Pech, dass weder Elias noch ich ihm geglaubt hatten. Und dass ich das echte Skript bereits gelesen hatte. Joshua hatte sich auf meine Frage hin wieder seinem Tisch zugewandt. Er nahm mir das falsche Skript ab und starrte es bitter böse an. „Johannes war schon immer so.“ „Ah, Elias erzählte, dass ihr so was wie Konkurrenten an der Uni wart! Meinst du das?“ Joshua legte das Blatt Papier zur Seite und seufzte. „Das wollte er immer gerne. Fakt war aber, dass ich in allem, worin er sich als mein Konkurrent verstand, besser war.“ Klingt ziemlich eingebildet, aber vielleicht war es wirklich so? „In den letzten Studienjahren begann er ähnliche Themen zu wählen und schließlich haargenau die Gleichen. Es wurde etwas anstrengend. Nicht nur für mich, sondern auch für die Professoren.“ „Wie meinst du das?“ Joshua erzählte, dass Johannes im Abschlusssemester damit begonnen hatte, über das gleiche Thema und These wie Joshua zu forschen. Bis dato waren sie zwar Freunde gewesen, aber nun war auch dieses freundschaftliche Verhältnis sehr angespannt. In jeder nur möglichen Situation brachte Johannes einen Vergleich zu Joshua an. Gerade so als wollte er ihn mit aller Macht übertrumpfen. Und sei es nur bei der Art elegant Kaffee zu trinken. (Das konnte Joshua definitiv besser. Johannes trinkt so schnell als wäre es schädlich das Getränk länger als fünf Sekunden in der Tasse zu lassen.) Wenn es um Forschungsergebnisse ging, wurde es noch abstrakter. Johannes wählte teilweise völlig ungeeignete Methoden zur Überprüfung, da diese schneller, zeitsparender oder weniger aufwendig waren. Er wollte scheinbar beweisen, dass Joshua nicht immer den richtigen Weg finden würde. Seine Abschlussarbeit wäre deswegen beinahe ein kompletter Fehlschlag geworden. Mit der Hilfe einiger Professoren gelang es Johannes seine Arbeit umzudrehen und darzulegen, dass es keine schnellere oder weniger aufwendige Art und Weise gab, das gewählte Thema zu überprüfen. Somit hatte er zumindest seine Forschungsergebnisse nutzen können und hatte nicht komplett von vorne anfangen müssen. Für Johannes, der zwar seinen Abschluss sicher hatte, war es dennoch eine totale Niederlage. Er musste seine These und die Fragen ändern, somit war er nicht mehr gleichauf mit Joshua. Nein, er war durch seine Unfähigkeit und Übereifrigkeit dazu genötigt worden drei Schritte zurück zu gehen. „Das heißt er ist immer noch sauer, weil er es damals verbockt hat und lässt es jetzt an dir und deiner Arbeit aus?“, fasste ich fragend zusammen. „Denkbar. Er konnte es nie ab gegen mich zu verlieren. Als er hier anfing, waren Elias und ich schon über ein Jahr beschäftigt und haben natürlich bessere Aufträge bekommen als ein Neuling. Das hatte ihn wieder getriggert und als es darum ging, wer diesen Auftrag übernimmt, hatte er sich gemeldet.“ „Aber du wurdest ausgewählt?“ „Meine Überprüfung war neu und interessanter.“ Ich lachte etwas. Eher verzweifelt als belustigt, denn je mehr ich über Johannes erfuhr, desto mehr kam er mir wie ein armes Würmchen vor. Wie sollte ich ihm demnächst begegnen? So eine verschrobene Art löste bei mir eher Bedauern als Mitleid aus. Und überhaupt! Dieses „Joshua-hinter-her-Laufen“ war so abstrakt, dass man meinen könnte, es wäre das Wichtigste für Johannes gewesen von Joshua für seine Arbeit anerkannt zu werden. Ich hielt einen Moment inne und führte meinen Gedanken laut zu Ende. „Sag mal, kann es nicht auch sein, dass Johannes was von dir wollte?“ Joshua sah mich leicht verwirrt an. „Ich meine. Er rennt dir die ganze Zeit hinterher, will sich mit dir messen und dich schlagen. Das spricht für mich nach einem ziemlichen Mangel von Anerkennung. Wenn man nun bedenkt, dass du ziemlich attraktiv bist und auf beide Geschlechter stehst, könnte es doch sein, dass er einfach … mehr gewollt hatte. Findest du nicht?“ „Du findest mich attraktiv?“ Joshua blinzelte einmal, ehe ein wissendes und sehr attraktives Lächeln über sein ganzes Gesicht zog. Natürlich wehrte ich ab. „Ah, verdreh nicht den Sinn des Satzes! Sag schon, kann das sein?“ Joshua überlegte und schob das falsche Skript hin und her. „Vielleicht. Ich denke schon, dass ich ziemlich attraktiv bin.“ Ich zog eine Schnute und hätte ihm am liebsten wieder mit dem Geschirrtuch gehauen. Da ich keines zur Verfügung hatte, verdrehte ich demonstrativ die Augen. In aller Ernsthaftigkeit fuhr Joshua fort: „Was Johannes angeht, das könnte schon sein. Zumindest machen einige seiner Aktionen Sinn, wenn ich sie aus diesem Blickwinkel betrachte.“ Etwas überrascht über die Aussage neigte ich meinen Kopf. „Ist dir das noch nie in den Sinn gekommen?“ Joshua schüttelte nur den Kopf. „Zu der Zeit hatte ich kaum Beziehungen.“ Aha… dachte ich und spürte dieses bekannte Missfallen. Ich mied seinen Blick, eher unbewusst, doch ihm entging es nicht. „Das müsstest du doch auch kennen, oder?“ Komplett irritiert richtig gehört zu haben, blinzelte ich ihn mit großen Augen an. „Was?“ „Verehrer zu haben, aber keine Zeit dich mit ihnen zu beschäftigen.“ Meine Augen wurden noch größer, ehe ich in wirklich lautes Gelächter ausbrach. Es tat mir leid, aber … nein, tat es mir nicht. Allein die Vorstellung ich stände mit Joshua auf einer Stufe oder ich hätte Verehrer gehabt! Ich konnte nicht mehr. Ich hielt mir den Bauch und legte meinen Kopf auf seinem Tisch ab. Noch kichernd sah ich zu ihm auf. „Bitte, was hast du für ein Bild von mir?“ Ich kicherte immer noch. „Ich bin normaler Durchschnitt. Du hingegen könntest für einen Männerkalender posieren.“ Es war schwer mit dem Kichern auf zu hören. Ich riss mich zusammen und setzte mich auf. Die Tristheit meines Liebeslebens half dabei ziemlich gut. „Du kannst kein Fünf-Sterne-Essen mit Pommes vergleichen. Ich hatte nie so viele Verehrer oder Verehrerinnen, dass ich mich nicht hätte entscheiden können.“ Joshua musterte mich die ganze Zeit über genaustens. Als ich fertig war, hob er seine Hand und berührte vorsichtig meine Wange. Die Berührung war so fremd, dass meine Haut sofort zu Kribbeln begann. Die Finger erfassten meinen Kiefer, strichen an ihm entlang zum Kinn und hoben es um einen Hauch an. Mir klopfte das Herz sonst wo. Dazu sein Blick. Als sähe er sich mit aller Ernsthaftigkeit ein bekanntes Kunstwerk an. Ich hoffte so sehr, dass ich nicht rot wurde! „Drei Sterne“, sagte er schließlich. „Ich würde dir mindestens drei Sterne geben. Obwohl Pommes auch etwas für sich haben. Die esse ich zumindest öfter als ein Fünf-Sterne-Essen.“ Joshua lächelte und neigte den Kopf dabei etwas, sodass ich ihm besser in die Augen sehen konnte. Mein Herz schlug mir bis in den Hals, mein Puls raste vor Freude über das Kompliment. Nur mein Kopf kam nicht hinterher. Sekunden später zog ich meinen Kopf zur Seite, weg aus seinen warmen Fingern. Mein Gesicht glühte. „So ein Blödsinn. Jeder isst gerne Pommes.“ In meiner Kaffeepause ging ich jene Szene nochmals durch. Ich wollte wissen, ob es nicht eine coolere Art gab bei so was zu reagieren. Natürlich hatte ich seinen Kommentar auf das Essen reduziert. „Drei Sterne“, hallte seine Stimme in meinem Kopf nach. Ich könnte glatt nochmal weiche Knie bekommen. Und ja! Ich gestand mir ein, dass ich wirklich sehr, sehr gerne für mich in Anspruch nehmen würde, dass Joshua mir damit nicht nur ein Kompliment machen wollte, sondern auch mit mir geflirtet hatte. Erst Bauchpinselte er mein Ego, dann verwies er darauf, dass er auch schlichte Typen gern vernaschte! Bei so was konnte selbst ich nicht ruhig bleiben. Ich hatte zwar schon einige Verehrerinnen gehabt, hier und da mal ein One-Night-Stand, aber das war alles sehr übersichtlich. Ein Typ wie Joshua war nicht darunter. Selbst mein Crush war nicht so gutaussehend wie Joshua. Das mir das wirklich passieren könnte, war demnach gänzlich undenkbar und galt in jeder validierten Studie als zufälliges und sehr seltenes Verhalten oder Phänomen, dass nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,00001% auftrat. Ich nahm diese kleine, verirrte Fantasie mit und behielt sie für mich. Das Problem war, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass sich jemand auf romantische Art für mich interessierte. Plus, wenn es um Privates und Körperliches ging, war ich übervorsichtig und zog mich vorsichtshalber zurück. Plus, ich kam nie über den Korb meiner ersten Liebe hinweg. Und dann war da noch diese Sache … Aber wie es mit Geheimnissen war, wenn man sie zu lange hütete, glaubt man die Falschheit, welche man drum herum aufgebaut hatte, irgendwann selbst. Dabei war die Wahrheit heutzutage nichts Besonderes mehr. Nur ... hatte ich diese Wahrheit so fest verschlossen, dass ich nicht mehr die nötige Courage fand, sie zu öffnen. In der Zwischenzeit erneuerte Joshua seine Probe. Anschließend dachten wir uns einen Konterschlag aus. Es war leicht Joshua dazu zu überreden, auch wenn er mich erst unverständlich angesehen hatte. Warum sollte man auch solchen Kinderkram machen, wenn man erwachsen war? Aber hey, das war meine Art mit dem Grafen der Nacht zu spielen. Als wir erstmal anfingen und ich ihm meine Idee erläuterte, begann auch er sich dafür zu begeistern. Natürlich war es etwas riskant, aber im Notfall würde ich mich beim Chef für das Versagen persönlich entschuldigen und die Strafe auf mich nehmen. Gegen zwei Uhr morgens schlief ich auf meinen Stuhl an Joshuas Tisch ein. Ich war seit über sechszehn Stunden auf Arbeit und hatte eine kurze Nacht gehabt. Joshua war nur kurz raus gegangen und ich wollte ein Powernapping machen. Dabei driftete ich so sehr ab, dass ich weder Joshuas Wiederkommen noch irgendwas sonst bemerkte. Gegen fünf weckte mich mein neuer Mitverschwörer. Müde blinzelte ich ein Auge auf und sah hellgraue Augen. Eigentlich kein schlechter Anblick. „Wie spät ist es?“ Ich gähnte und streckte mich. „Fünf. Willst du heute wirklich zur Arbeit?“ „Klar“, ich gähnte nochmal und war schließlich wach. „Ich schreib Elias, dass ich später komme. Reicht ja, wenn ich mittags hier bin.“ Joshua nickte schlicht. „Ist das immer noch der Verband vom Donnerstag?“ Mal ehrlich… Themenwechsel kamen bei Joshua wie Elias sehr prompt. Ich fühlte mich erwischt und stolz. Diesmal entschied ich mich dafür stolz drauf zu sein. „Japp. Ich konnte ihn nicht abmachen. Hätte ich ihn wieder selbst rumgebunden, sähe es wieder so wüst aus wie letztes Mal.“ „Du solltest den Verband aber nicht so lange dran lassen. Er wird dreckig und deine Haut muss auch mal atmen. Deine Eltern hätten dir doch helfen können.“ Ich schnaubte nur abfällig. Meine Eltern hatten nicht mal bemerkt, dass meine Hand bandagiert gewesen war! „Schon gut, schon gut. Ich mach ihn ab“, willigte ich ein. Doch Joshua war bereits dabei meine Hand zu befreien. Zum Vorschein kam ein bleiches, schmales Handgelenk mit zerknitterter Haut und vielen Kratzern. Trotzdem hielt Joshuas Hand meine, als sei sie so zerbrechlich wie ein Reagenzglas. Das gefiel mir ziemlich gut. „Die Kratzer sehen gut aus. Da du ja gerade nicht mehr mit Proben arbeitest, kannst du es ruhig offenlassen. Das heilt dann schneller“, erklärte Joshua fachmännisch. „Wenn es an der Luft besser heilt, warum sollte ich es dann verbinden?“ „Weil du mit Gefahrenstoffen gearbeitet hast“, erklärte er ernst. Ich grinste. Klar wusste ich das. Es machte trotzdem Spaß ihn aufzuziehen. Leider bemerkte Joshua die Finte und kehrte den Spieß um. Darin war er nämlich echt gut. Er nahm meine Hand und schenkte mir einen Handkuss. Direkt auf meinen Handrücken, der noch immer total zerknittert aussah! Ich war so erschrocken, dass ich meine Hand zurückzog. „W-was soll das? Ich hab mir nicht mal die Hand gewaschen! Was wenn du deine Lippen jetzt kontaminiert hast!?“ „Nicht so schlimm. Ich bin sehr robust.“ Kapitel 5: Wer Anderen eine Grube gräbt... ------------------------------------------ Kapitel 5: Wer Anderen eine Grube gräbt … Nachdem ich ausschlafen hatte, fragte ich mich mehrfach, ob ich die Sache mit dem Plan nicht nur geträumt hatte. Ich hoffte irgendwie, dass es nur ein Traum war. Auch wenn es in dem Fall schade um die verschwörerischen Bilder von Joshua und mir in meinem Kopf wäre. Einmal ins Bett gefallen, war ich samt Klamotten eingeschlafen. Der gestrige Tag war lang gewesen und ich hatte die Nacht davor schlecht geschlafen, da ich mir doch mehr Gedanken um Joshuas Projekt gemacht hatte, als nötig gewesen wäre. Immerhin kannte ich ihn kaum und er war erwachsen genug, sich selbst um seine Anliegen zu kümmern. Ich hätte uns derzeit als gute Bekannte eingeordnet. Somit hatte ich nicht mal das Recht eines Freundes mir seinetwegen Sorgen zu machen. Leider war es eine meiner wohl schlechteren Eigenschaften, dass ich manche Menschen mehr und schneller ins Herz schloss als andere. Demnach nahm ich mir auch Sachen zu Herzen, die mich gar nichts angingen. Wie hatte ich nur so vorwitzig sein können und Joshua so einen Plan vorgeschlagen?! Noch wichtiger. Warum hatte Joshua zugestimmt? Und warum zum Geier hatte Elias zugestimmt?! Ich hielt im Zähneputzen inne und schaute mich so missfallend wie möglich an. Was bin ich doch für ein Idiot… Ich war nicht wirklich ausgeschlafen, erschien dennoch pünktlich zum Mittag im Labor. Mittwochs Mittag … ich grinste für mich nur wegen des Wortlautes und schüttelte zu gleich den Kopf. Müde dachte ich an die dämlichsten Dinge… Heute würde ein kurzer Tag werden. Das war meine einzige Hoffnung den Tag zu überstehen. Ich war eben keine Zwanzig mehr. Meine Planidee kam mir immer idiotischer vor. Vor allem, wenn es stimmte, dass Johannes etwas für Joshua empfand, empfunden hatte, empfinden könnte … wie auch immer! Wenn ich es runterbrach, spielte ich aufs Gemeinste mit den Gefühlen eines Anderen und das, wo ich ein Verfechter von „Unschuldig bis die Schuld erwiesen wurde“ war. Aus Erfahrung wusste ich, wie schnell man missverstanden werden konnte und wie schnell andere sich ein falsches Bild zurechtlegten. Oft war es nur ein Mangel an Informationen. Aber dem gemeinen Volk reichten oft schon Bruchstücke, um zu entscheiden, ob jemand gut oder böse war. Anderseits ging es gar nicht was Johannes abgezogen hatte. Er ging ohne Erlaubnis an den Schreibtisch eines Kollegen. Er fertigte ein falsches Skript an, um seine Sabotage zu verschleiern. Er verunreinigte mindestens drei Proben eines Kollegen. Ob vorsätzlich oder absichtlich, konnte ich nicht sagen. Aber allein diese drei Punkte reichten aus, um mein Gefühlsleben von mitleidig auf leicht genervt mit Gerechtigkeitssinn umzuswitchen. Letzte Nacht kamen Joshua und ich zu dem Schluss, dass es am Wichtigsten war, die restlichen Proben zu schützen. Die neuangesetzten Proben würden gerade noch zur Zwischenabgabe fertig werden. Da es zu auffällig sein würde, wenn Joshuas Proben einfach fort wären, präparierten wir Probenschalen mit einem harmlosen, schnellwachsenden Pilz. Dieser sah in seinen Anfangsstadien den eigentlichen Proben recht ähnlich. Wir platzierten die Finten in Joshuas Probenschrank und die echten Proben in einem ganz anderen Labor. Witzig war, dass es jener Probenschrank war, um den sich letzte Woche noch die Gerüchte gerankt hatten. Nun hatte der Graf der Nacht ihn doch bekommen! Ob ich das den werten Damen von Sekretariat berichten sollte? Das war Teil Eins des Plans. Teil Zwei sah vor, dass wir Johannes dazu brachten von selbst zu gestehen. Daraus war letzte Nacht noch eine recht tiefgreifende Diskussion erwachsen. Joshua hatte gleich zum Chef gehen wollen, um ihm alles zu berichten. Er sah die reinen Fakten: Johannes verstieß gegen mehr als eine Regel und Sabotage wurde im Labor ziemlich geahndet. Selbst mit einer sehr guten Begründung (obwohl es für so was keine Begründung geben konnte), würde Johannes suspendiert werden. Im schlimmsten Fall kündigte man ihm. Ich hingegen war zarter besaitet. Ich wollte, dass Johannes gestand und seien Fehler einräumte. Bestraft werden konnte er danach immer noch. Auf diese Weise könnte er auch mit Joshua reinen Tisch machen und klar sagen, was ihm missfallen hatte. Ich sah Joshua an, was er denken musste, denn ich tat es selbst, nachdem ich mich das laut hatte sagen hören. Ich war ein Tagträumer! Warum um den Feind oder eine schlechte Person Gedanken machen? Johannes hatte all das schließlich alleine verursacht, also sollte er auch für seine Fehler haften. Was aber wenn hinter all seinen Aktionen mehr steckte? „Du willst ihm die Möglichkeit einräumen, sich zu entschuldigen und zu Kreuze zu kriechen. Gut, machen wir. Aber was machst du, wenn er nicht einlenkt? Wenn er deutlich macht, dass er einfach ein schlechter Kerl ist?“, fragte mich Joshua abschließend. „Dann … das überlege ich mir, wenn es so weit ist. Aber ich finde es nicht schlimm, ihm diese Möglichkeit einzuräumen. Und ehe du fragst, dass würde ich auch bei dem nächsten Idioten machen, der sich so verhält.“ Teil Eins Komma Fünf des Plans sah vor, dass wir Elias einweihten. Ich rief ihn gegen halb sechs am Mittwochmorgen an, doch er drückte mich weg. Trocken lachte ich und erklärte, dass er sicherlich mit seinen Kindern zu tun hatte oder gerade nicht rangehen konnte. Ich versicherte Joshua, dass Elias gleich zurückrufen würde. Wir warteten fünfzehn Minuten, dann griff Joshua nach seinem Handy und wählte eine Nummer. „Du kennst seine Nummer auswendig?“, fragte ich verblüfft. „Habe sie gerade bei dir gesehen. Scheinbar hat er sie seit zehn Jahren nicht geändert.“ Er lauschte kurz und ich hörte wie der Hörer abgenommen wurde. Ich verstand nicht was Elias sagte, aber er klang überrascht. Joshua hingegen: „Morgen. Seit wann gehst du nicht ans Handy, wenn ein Arbeitskollege anruft, der unter dir arbeitet? Hatte ich dir nicht mal eingeschärft jeden Anruf ernst zu nehmen? Er- Unterbrich mich nicht. Er hätte auch einen Unfall haben können, zwei Straßen von dir entfernt und wäre vielleicht mittlerweile verblutet.“ Ich war baff. Joshua so autoritär zu erleben war faszinierend und beängstigend. Zumal er mit meinem Vorgesetzten, einem Vizeabteilungsleiter, redete. Er lauschte kurz. Dabei glättete sich seine eben noch düstere Miene. „Du schiebst deine Kinder vor? Ist deine Frau da? Na also. Ihr redet doch miteinander. Du hast also keinen Grund gehabt Max wegzudrücken. … Du weißt schon, dass wir längst fertig sein könnten, wenn du nicht alles verkomplizieren würdest?“ Meine Ohren fingen an zu kribbeln, als er meinen Namen ausgesprochen hatte. Das war das erste Mal gewesen, dass er meinen Namen sagte! Da das Gespräch länger zu dauern schien, hatte ich angefangen mich für die Kordeln meines Pullis zu interessieren. Kurz darauf schritt ich demonstrativ langsam durch den Raum und bemühte mich dieses aufwallende, tuffige Gefühl in meinem Magen zu beruhigen. Richtig gelang es mir das erst, als ich Joshuas Handy an meinem Ohr hatte und Elias‘ Stimme hörte. Kurz und bündig hatte ich ihn in den Plan eingeweiht. Elias war nicht begeistert. Zunächst war er derselben Meinung wie Joshua. Ich versuchte zu argumentieren. Schließlich war es Joshua der Elias dazu brachte zuzustimmen. Trotzdem … je mehr ich mit halbwegs ausgeschlafenen Synapsen darüber nachdachte, desto irrsinniger fand ich all das. Was war das nur mit dem Vize und dem Grafen? Es interessierte mich brennend, was früher zwischen ihnen gelaufen war. Immerhin klangen Elias‘ Erzählungen alle positiv. Auch wenn sie sich lange nicht mehr wirklich unterhalten oder getroffen hatten, wie ich vermutete. Aber selbst dann sprach es für eine sehr feste Freundschaft, dass Joshua einfach nur anrufen musste und Elias ging ran. Und gehorchte. Wie dem auch sei. Diesen Tag passierte wenig. Elias begrüßte mich zerknirscht und musterte mich mit solchen Argusaugen, dass ich eine Gänsehaut bekam. „Ist was?“ „Hast du etwas geschlafen?“, fragte Elias. „Ja, ich bin sofort ins Bett gefallen.“ „Bei dir zuhause?“, fragte er weiter und verwirrte mich damit etwas. „Jaaaa… Oder hätte ich im Labor schlafen sollen?“ Ich blickte in skeptisch an und konnte mich gerade noch davon abhalten einen Schritt zurück zu gehen als er einlenkte. „Na dann ist ja gut. Pass auf dich auf, wenn du nachts unterwegs bist.“ Immer noch verwirrt legte ich meinen Kopf schräg und verschränkte die Arme. Irgendwas lief falsch mit Elias. Ob das an dem Anruf von Joshua lag? Oder waren seine Kinder zu anstrengend? Ich ließ das Thema fallen und ging zum Probenschrank. Die Fälschungen sahen verblüffend echt aus. „Sehen gut aus“, meinte Elias neben mir. Im selben Moment öffnete sich die Tür und Johannes kam herein. „Ja, ne?“ Ich wandte mich vom Schrank ab und meinem Kollegen zu. „Moin Johannes. Hast du schon gesehen? Deine Probe scheint durchzukommen.“ Ich klang verdammt fröhlich und optimistisch. Ein Hoch auf meine Schauspielkunst. Elias war derweil zu seinem Schreibtisch gegangen und hatte sich wieder vor den Rechner gesetzt. „Du kannst die Probe jetzt auch zu deinen anderen stellen. Ich habe meine vorhin alle rausgenommen. Für ein paar Tage hast du also genügend Platz um alle Schalen unterzubringen.“ Johannes wirkte verwirrt, bedankte sich aber schnell. Ich fand seine Schauspielkünste auch ziemlich gut. Insgesamt hielten Elias und ich das Thema Joshua und Grafen der Nacht den ganzen Nachmittag aufrecht. Wir gingen sogar soweit und verließen zusammen das Labor. Leider tat, noch sagte Johannes irgendwas, was ihn verraten könnte. Ich vermutete, dass seine Schmerzgrenze extrem hoch war und er ein ziemlich dickes Fell besaß. Zugegeben, es frustrierte mich etwas, dass wir mit Teil Zwei so schleppend vorankamen. Aber noch mehr als mein Frust, verunsicherte mich Elias mit seinen Fragen. Man bedachte bitte, dass ich erst ein halbes Jahr unter ihm arbeitete und er quasi mein Chef war. Ich mochte ihn echt gerne, wie einen großen Bruder, den ich nie hatte, da er einfach so freundlich und beständig war. Heute jedoch glänzte er durch Fragen, die ich persönlich sehr ungerne hörte und beantwortete. Wir hatten uns einen Kaffee aus der Mensa geholt, um länger aus dem Labor raus zu sein. Die Sonne schien und wir flanierten durch die schlichte Grünanlage um die Gebäude herum zurück zu unserem Trakt. „Sag mal Max, bist du eigentlich vergeben?“ Ich verschluckte mich volle Kanne an meinem Kaffee. Als ich mit Husten fertig war, blickte ich ihn zurückweichend an. „Du bist verheiratet, das weißt du ja? Und ich fange grundsätzlich nichts mit verheirateten an.“ Elias lachte mich aus. Das war schon gemein, aber beruhigte mich auch. Scheinbar ging es ihm um etwas anderes, was mich wiederum beunruhigte. „Und ich werde meine Frau auch nie für dich verlassen. Sorry.“ „Keine Ursache“, bestätigte ich ihn. Ich nahm einen Schluck und schielte aus dem Augenwinkel zu ihm rüber. „Warum fragst du?“ Elias blieb lässig und zuckte mit den Schultern. „Nur so. Wir hatten gestern über Joshua geredet und da hab ich mich gefragt, was mit dir ist.“ „Das eine hat mit dem anderen doch nichts zu tun.“ „Findest du? Josh hat mich seit Jahren nicht mehr angerufen. Und so wie heute Morgen hab ich ihn lange nicht mehr erlebt“, sagte Elias. „Aha? Und wie war er da?“ Autoritär? Cool? Heroisch? Elias bemaß mich mit einem amüsierten Lächeln, das beinahe unheimlich wirkte. Noch eine Taschenlampe von unten an sein Gesicht gehalten und die Fratze wäre perfekt. „Er hat sich für dich eingesetzt. Das habe ich bei ihm lange nicht mehr erlebt. Ich wollte nur herausfinden, ob da was zwischen euch läuft.“ Mir war die Sache schon komisch vorgekommen. Nun war der Sinn dahinter klar. Ich schüttelte langsam meinen Kopf. „Hast du nicht eben selbst erzählt, dass du ihn seit Jahren nicht mehr gesprochen hast? Zumindest nicht so privat? Kann es nicht auch einfach sein, dass er sich in den Jahren etwas geändert hat und du weißt es nur noch nicht?“ Obwohl ich mir das nicht vorstellen konnte. Selbst wenn man sich geändert hatte, verfiel man aufgrund alter, neuronal-eingeprägter Verhaltensweisen immer zurück in den Zustand, den man einer bestimmten Person gegenüber früher eingenommen hatte. Das war sogar wissenschaftlich belegt und besaß einen Namen, den ich mir nun wirklich nicht merken konnte. „Er war sicherlich nur müde, schließlich hat er die Nacht durchgearbeitet.“ Ich nahm einen Schluck Kaffee und spürte Elias‘ bohrenden Blick. „Bist du sicher, dass es nur das ist?“, fragte der Vize nach. Ich nickte. „Bestimmt. Außerdem stehe ich auf Frauen“, bekundete ich mit meiner perfekt geübten Lässigkeit. Ich dachte, damit wäre das Thema vorbei. Aber Elias fragte munter weiter. Wann meine erste Beziehung war, das erste Date und was ich an Frauen so toll fände. Warum ich gerade ledig war und so weiter und so fort. Ich wiegelte alles mit Bravour ab und gab ihm Antworten, die er hören wollte. Meist waren es Halbwahrheiten. Echte Lügen wurden zu schnell durchschaut und so vergesslich wie ich manchmal war, würde ich mich selbst verraten. Bei Halbwahrheiten war diese Gefahr um ein Vielfaches gemildert. Ein Beispiel: Elias fragte, was ich an Frauen mochte. Ich erwiderte, dass ich ihre Bewegungen mochte. Viele erscheinen sinnlich und fließend. Ihre Konturen waren weich. Natürlich setzte das meine Vorliebe für schlanke Frauen voraus. Diese Fakten entsprachen der Wahrheit und lenkten durch die Länge meiner Antwort vom eigentlichen Sinn seiner Frage ab. Anders Beispiel: Elias fragte, wenn du nicht vergeben bist, warum suchst du dir hier niemand festes? Ich antwortete, dass ich aufgrund meiner Arbeit erstmal nicht dazu kam. Dazu kannte ich mein Viertel und die Stadt noch nicht so gut. Gute Bars oder Lokale zum Flirten hatte ich mir noch nicht angesehen. Zudem sei ich jung und vielleicht lief mir ja jemand in der Tram über den Weg. Auch das stimmte alles. Aber … Wäre ich wirklich ehrlich gewesen, hätte ich Elias erzählt, dass ich mich schwer tat neue Bekanntschaften zu schließen, die von vornherein auf Liebe und Beziehungen aufbauten. Das ich Nähe zu anderen Menschen nur suchte, wenn ich ihnen vollends vertraute, und auch damit tat ich mich schwer. Wenn ich das so formulierte, fand ich mich selbst ein bisschen soziophob. Dabei mochte ich es unter Leuten zu sein, auszugehen und Spaß zu haben. Dumm nur, dass ich mir angewöhnt hatte, meine Neigungen nicht zu zeigen. Meine Eltern hätten sich dafür auch nicht interessiert. Wahrscheinlicher wäre es gewesen, dass sie den Pastor gebeten hätten, mich zu exorzieren. Schließlich bewohnte der Teufel die Aufsässigen und Andersartigen. Mir war das nie wirklich aufgefallen. Erst als ich ins Studentenwohnheim gezogen war, bemerkte ich, dass ich mich belogen hatte. Ich ließ mich von meinen Mitbewohnern anstecken, allerlei Blödsinn zu machen. Mentos in Cola zu stecken und über den Kopf eines schlafenden Mitbewohners zu halten, war das Harmloseste, was wir getan hatten. Es gab viele Geschichten, große und kleine. Jeder probierte sich aus und auch ich fand zu mir. Alles konnte ich nicht bereinigen und gelegentlich verfiel ich in meine defensive Haltung zurück. Im Gespräch mit Elias blieb ich standhaft. Ich vertrat meine Meinung im Moment ziemlich glücklich mit meinem Singlestatus zu sein. In jenem Moment glaubte ich an das, was ich ihm erzählte. Auf dem Weg nach Hause verlor sich mein Lächeln und als die Haustür hinter mir ins Schloss fiel, brach dieses klapprige Gefühlsgebilde zusammen. Ich wusste nicht mal genau, was mich runterzog. Die Halbwahrheiten? Dass Elias alles geglaubt hatte? Dass Johannes nicht gestanden hatte? Dass ich Joshua nicht aus meinem Kopf bekam? Wer gab schon gerne zu, dass er sich alleine fühlte? Diese Freundschaft zwischen Elias und Joshua machte mich neidisch. Meine besten Freunde lebten in einem anderen Stadtteil. Sie waren nicht aus der Welt, aber auch nicht nahe bei. In dem letzten halben Jahr hatte ich mir alle Mühe gegeben, den Kontakt aufrecht zu erhalten. Tobias und Shin waren mit ihrer Arbeit vollends ausgelastet. Marcel hatte eine neue Freundin und keine Zeit. Jene die bereits verheiratet waren, bekamen Kinder oder hatten einfach zu viel mit ihrem Alltag zu tun. Ende vom Lied war, dass keiner Zeit fand und ich nach dem dritten Versuch aufgab mich zurück in andere Leben zu drängeln. Ich sprach mir zu, dass ich mein Bestes gegeben hatte und wenn meine Freunde wollten, könnten sie sich ja bei mir melden. Leider hielt mich das nicht von ziemlich langen Abenden daheim ab. Umso dankbarer war ich, ein Experiment zu haben und stürzte mich mit allem was ich hatte hinein. Jetzt endete mein Experiment. Ich war fertig mit Schreiben und hatte Freizeit. Die Nächte mit Joshua und dem Grafen der Nacht lenkten mich gut ab. Inzwischen sah ich die beiden nicht mehr als eine Person an. Der Graf war eine Tratschgestalt und Joshua war Joshua. Aber das Leben war grausam. Wenn ich dachte, es ginge mir gut und mir machte es nichts aus, sah ich Leute wie Joshua und Elias, die sich Jahre nicht gesehen hatten und binnen von Sekunden wie früher waren. Ich war so neidisch. Mir fehlte die turbulente Gesellschaft meiner Freunde. Umso weniger wollte ich vor Elias zugeben, dass ich privat gerade nicht glücklich war. Obwohl ich früh zu Bett ging, grübelte ich bis spät in die Nacht hinein und fühlte mich am nächsten Morgen matter als zuvor. Meine Laune war wirklich nicht die Beste. Aber sich schlecht fühlen und schlecht geben, waren zwei Paar Schuhe. So schob ich meine Bedenken zur Seite. Mit dem durchziehen meiner Chipkarte, legte sich ein Lächeln auf meine Lippen. Es war kurz nach acht Uhr und ich schritt durch das Foyer. Es war belebt und wuhlig. Ich fühlte mich gleich viel wohler. „Heute keinen Kaffee?“, fragte mich jemand von hinten. „Nein. Ich werde auch ohne wa-ach.“ Beim Antworten drehte ich mich um und wollte dem vorwitzigen Kollegen mein überlegenes Lächeln zeigen. Mit Joshua hatte ich nicht gerechnet. „Guten Morgen“, begrüßte er mich nachträglich. „Ist was?“ Mir war vor Schreck das Herz stehen geblieben! Ich bemerkte, dass ich ihn immer noch anstarrte wie einen Fisch den Mond und rief mich zur Räson. „Nein, gar nicht. Eh… was machst du hier, wenn ich Fragen darf?“ „Ich habe gehört, dass ihr gestern mit Teil Zwei nicht weit gekommen seid. Da es um meine Arbeit geht, dachte ich mir, komme ich persönlich her.“ Es war eine logische Erklärung und eine strategisch gute Maßnahme. Trotzdem starrte ich noch immer. „Ist wirklich nichts?“, fragte Joshua nach. „Ah, du … weißt du, ich … hatte nicht damit gerechnet dich tagsüber zu sehen. So im Sonnenlicht und so. Irgendwie…“ …redete ich mich um Kopf und Kragen! Joshua grinste beifällig und es stand ihm ausgezeichnet. „Etwa wegen dieser Gerüchteküche-Grafensache?“ Ich blinzelte perplex. „Schon … ein kleines bisschen.“ Er schnaufte amüsiert. Nun starrte nicht nur ich ihn an. Einige waren stehen geblieben und für das Foyer war es für wenige Sekunden erstaunlich ruhig geworden. „Magst du mir von den Gerüchten erzählen?“ „Klar … sicher“, bestätigte ich und folgte ihm dabei ganz entspannt den Weg zu unserem Labor. Mein Herz klopfte vor Freude und meine trübe Stimmung war beinahe behoben. Ich wusste, dass es mir unter Menschen besser gehen würde. Äußerlich war ich gefestigter und grinste munter zurück. „Mehr Gerüchte ja? Hmm, wo fang ich da nur an.“ Ich ließ meinen Blick schweifen und bemerkte den Besen, den eine Reinigungskraft scheinbar vergessen hatte. „Das erste Gerücht, dass mir zu Ohren gekommen war, fand ich überhaupt nicht glaubwürdig. Eines Nachts soll sich ein Besen oder Mopp von selbst den Gang hoch und runter bewegt haben. Der Kollege hatte nur den Stiel gesehen und wie dieser sich bewegte. Dazu waren Geräusche zu hören, wie von einem viel zu nassen Wischmopp.“ „Wie albern“, erwiderte Joshua. „Das ist doch leicht zu erklären. Ich hatte nicht bemerkt, wie ich den ganzen Flur mit Kaffee bekleckert hatte. Beim ersten Mal war ich mit einem Tuch langgegangen, aber das hinterließ Streifen auf dem Boden. Dann bin ich mit dem Mopp drüber, aber der war zu nass gewesen. Ich hatte es eilig gehabt, darum musste es schnell gehen. Im Endeffekt machte ich es nur schlimmer. Also hab ich mir einen der kleinen Rollhocker genommen und die Spuren per Hand beseitigt. Den Mopp hat er sicher nur alleine tanzen sehen, als ich mich gebückt hatte. Wenn man sich im Flur hinhockt, wird man von den Blenden komplett verdreckt.“ Ich sah zu den Blenden neben mir. Sie waren wirklich sehr hoch und hingehockt würde man jemanden auf der anderen Seite des Innenhofes nicht mehr erkennen können. Hach, wieder ein Gerücht bereinigt. „Gut, das war einfach. Aber was ist damit: eine Kollegin hat mal gesehen, wie jemand mit einem schwarzen Umhang durch den Flur getanzt war. Erst ist er nur hin und her gelaufen, dann kam er zurück, und tanzte mit dem Anatomieskelett aus Labor Sieben durch den Flur. Mehrfach. Das Skelett wurde am nächsten Tag mit besagtem Umhang, einer Zigarette im Mund und einem Strauß Blumen im Schoß im Sekretariat gefunden.“ Ich hatte Joshua immer wieder angesehen, um seine Reaktion abzufassen. Ich war mir sicher, dass er wusste wovon ich redete. Dennoch war seine Antwort schlicht: „Das sagt mir nichts.“ Ich war etwas enttäuscht und wollte nachbohren. Leider waren wir schon im Labor angekommen. „Guten Morgen“, begrüßte Joshua die Runde. „Morgen“, sagte ich. Johannes und Elias murmelten ihre Grüße zurück, ehe sie beide überrascht auf unseren Besucher starrten. „Josh! Moin, was machst du denn hier?“ Elias war aufgesprungen und umarmte seinen Kumpel herzhaft. Ich trat einen Schritt zurück und an ihnen vorbei. Wenn ich nicht hinsah, würde ich nicht eifersüchtig werden, richtig? „Meine Arbeitszeit anders einteilen“, war Joshuas schlichte Erwiderung. Johannes indes blieb wie angewurzelt stehen. Ich beäugte ihn von der Seite. Joshua begrüßte ihn nochmal, auch wenn es recht kalt und distanziert klang. Johannes zuckte dabei kaum merklich zusammen. Er ballte eine Hand unterm Tisch zur Faust und zwang sich ein Lächeln ab. Da ich wenig zu tun hatte, beobachtete ich ungewollt die anderen. Elias und Joshua waren typische Freunde. Elias und Johannes waren zwar irgendwie vertraut, verhielten sich aber mehr wie Chef und Untergebener zueinander. Joshua und Johannes hingegen boten ein Schauspiel, das hatte ich noch nicht gesehen. Joshua blieb gelassen, beinahe gleichgültig, während er an seinen Fakeproben arbeitete oder sich mit den anderen unterhielt. Elias preschte oft dazwischen und erinnerte beide an alte Kamellen. Joshua grinste dann, lächelte schwach oder wies Elias mit einem Spruch zurecht. Johannes hingegen fand nicht in seinen Arbeitsrhythmus rein. Er wirkte immer mehr wie ein Nervenbündel oder jemand der auf der Hut. Lag es an seiner Sabotage? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Vielleicht war an meiner Idee, dass er Gefühle hegte, doch etwas dran. Ich konnte nur nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es Zuneigung oder Abneigung war. In der Mittagspause ging ich allein zur Mensa. Ich mochte Gesellschaft, aber diese drei waren irgendwie anstrengend. Ich fühlte mich vom vielen Beobachten ausgelaugt, darum ließ ich mir etwas Zeit mit dem Essen. Auf dem Rückweg ging ich teilweise durch die Anlage und die restliche Hälfte direkt durch die Trakte. Ich passierte einige Türen, die nach draußen führten. Eine von ihnen war offen und ich merkte fast zu spät wer da gesprochen hatte. Verwundert ging ich zurück und lauschte den Stimmen von Elias und Joshua, die die Tür mit einem Stein offenhielten. Es war nur ein Spalt und ich sah sie auch nicht, wunderte mich trotzdem warum sie so weit weg vom Labor vor die Tür getreten waren. Das hier war nicht gerade auf dem direkten Weg irgendwohin. Es war eindeutig ein Umweg. „Also stimmt es?“, fragte Elias. „Wenn du es weißt, warum fragst du?“, Joshua klang etwas aufgewühlt. „Ich weiß es nicht. Es ist eine Vermutung. Ich würde es bevorzugen es aus deinem Mund zu hören. Also … was hast du vor?“ „…“ „Wenn du dir nicht sicher bist, dann lass es lieber. Du erinnerst dich, was das letzte Mal passierte? Wie war das mit Jessi?“, fragte Elias. Er klang streng und erzieherisch. „Das war von Anfang an nur eine kurzweilige Sache.“ „Und klein Fred?“ „Der ist jeden angesprungen, der ihn gekrault hat.“ Joshua schnaufte verärgert aus. Wovon redeten sie? „Stimmt. Und-“ „El, ich will ihn nicht einfach zum Zeitvertreib. Ich habe gründlich darüber nachgedacht, glaube mir. Ich frage dich hier auch nicht um Erlaubnis, sondern nur um deine Meinung.“ Elias schwieg eine ganze Weile. Ich dachte schon das Gespräch sei zu Ende, als er sagte: „Er ist ein Welpe.“ „Ich weiß.“ „Weißt du das wirklich? Ich hab ihn mir angesehen. Er ist unabhängig und unbedarft. Du kennst seine Neigungen nicht. Das ist bei solchen Welpen immer ein Risiko. Er könnte sich anders entwickeln als du es dir wünschst.“ Sie schwiegen. Wieder brach Elias die Stille. „Ich weiß, dass du eine ganze Weile allein warst. Aber ist-“ Ich hörte den Rest nicht mehr, da ich mich schnell zurück in den Gang flüchtete. Jemand kam und ich wollte nicht beim Lauschen erwischt werden. Trotzdem war es interessant gewesen. Scheinbar wollte Joshua sich ein Haustier anschaffen. Einen jungen Hund? Nun, seine Arbeitszeiten waren flexibel. Und es sprach für die beiden, dass Joshua sich bei Elias um dessen Meinung erkundigte. Ich fragte mich nur warum? Elias hatte, soweit ich wusste, keine Hunde, da seine Frau allergisch war. Hatte er früher mal einen gehabt? Wie immer türmten sich mehr Fragen als Antworten in meinem Kopf. Meine Gedanken surrten richtig! Ich bog um die nächste Ecke und lief beinahe in eine mir entgegenkommende Person. Es war Johannes. Er erschrak sich genauso sehr wie ich. Für wenige Sekunden herrschte peinliches Schweigen, ehe ich mich verlegen lächelnd an ihm vorbeischob. Ich war nicht so scharf drauf alleine mit ihm zu reden. Selbst wenn Johannes nichts von der Finte ahnte, was ich stark hoffte, war es mir allein deswegen unangenehm, weil ich davon wusste. Und der Drahtzieher war. Demnach wollte ich möglichst schnell zurück ins Labor oder dahin, wo noch andere waren, wie Elias oder Joshua. Meine stille Bitte wurde enttäuscht. Wie auch nicht. So war das eben, wenn man jemanden uuuunbedingt nicht sehen wollte. Das Universum funktionierte anders. Nach nur zwei Schritten, die ich an Johannes vorbei war, hielt er mich auf. „Max warte mal.“ Innerlich fluchend, blieb ich stehen und sah ihn fragend an. „Was denn?“ Meine Freude normal zu klingen, verflog ebenso schnell wie sie gekommen war. „Du hattest doch letzte Woche Nachtschicht, nicht wahr?“ „Ja“, antwortete ich schlicht. Kurz und Bündig war ein Gesprächskiller und wirkte oft unsympathisch. Johannes nickte und sah sich um. Dann schritt er auf mich zu und begann gedämpfter zu reden. Ich bemerkte das erste Mal, dass auch Johannes größer war als ich. War ich wirklich der Kleinste im Labor? Wie unfair! „Du hast mit Josh zusammengearbeitet, nicht wahr?“ Rhetorische Frage. Er wusste es und redete eh bereits weiter. „Ich wollte dich schon die ganze Zeit fragen, was du zu ihm sagst. Mit Elias im selben Raum geht das nicht.“ „Was hat meine Meinung mit Elias zu tun?“, fragte ich leicht verwirrt. „Zum einem ist er unser Chef und zum anderen sind er und Josh best Buddys. Auch wenn keiner das zugeben würde. Schau sie dir an und sag mir, dass ich da falsch liege. Außerdem redet Elias anderen gerne ins Wort.“ Ich erinnerte mich an alle Momente, die beiden betreffend, zurück und konnte es nicht verneinen. Wer wenn nicht best Buddys würden sich nach so langer Zeit, die sie sich nicht gesehen hatte, so gut verstehen? Ich zuckte als Antwort mit den Schultern, beantwortete ihm dafür seine vorherige Frage. „Joshua ist zielstrebig und engagiert. Sehr genau in seiner Arbeit.“ Dazu überaus elegant und stylisch. „Ich vermute, dass er Menschen nicht sonderlich mag oder zumindest nicht so viele. Und die Gerüchte um ihn fand ich von Anfang an affig.“ Nun hatte ich doch mehr geredet, als ich gewollt hatte. „Wortkarg und eigenbrötlerisch war er schon immer“, bestätigte Johannes. „Das ist aber nur die nette Seite, die er jedem zeigt. Ich geb‘ dir einen Rat. Halt dich von ihm fern. Er hat nichts als Arbeit im Kopf. Chemie, Forschung, immer mehr neue Titel. Freunde und sowas sieht er nicht als solche, sondern eher als Ballast an. Verfalle ihm nicht. Das würde nur schief gehen.“ Wenn Joshua Dr. Jekyll wäre und keine Freunde hätte, warum blieb Elias dann bei ihm? „Er ist der totale Egomane und schnappt dir alle guten Aufträge weg, wenn dir einer angeboten wird“, fuhr Johannes fort. Ich beobachtete ihn. Seine Mimik war eindringlich. Seine Augen eine Mischung aus Furcht und Hochachtung. Auch wenn die Worte gemein klangen, sein Ton schien beinahe bewundernd. Johannes widersprach sich in seiner gesamten Präsentation. Wollte er wirklich, dass ich mich von Joshua fernhielt, um mich vor einem korrupten Kollegen zu beschützen? „Johannes… ist es wirklich das? Soll ich mich von ihm fernhalten, weil ich sonst meine Karriere beschädigen könnte? Oder soll ich ihm fernbleiben, weil er bi ist und auf mich stehen könnte?“ Johannes verstummte und sein Gesicht wurde blasser. „Tut mir leid“, fügte ich hinzu. „Aber so wie du über ihn sprichst und dich gibst, kommst du mir vor wie eine verschmähte Liebschaft.“ Johannes riss die Augen wutentbrannt auf. „Bist du total bescheuert?! Wie könnte ich! Dieser Idiot sieht niemanden außer sich selbst. Selbst einen Co-Worker würde er nie akzeptieren. Seine ganzen Liebschaften waren nur, um sein Ego zu puschen. Zu echten Gefühlen ist der doch gar nicht fähig.“ Johannes wurde lauter. Einige Kollegen drehten sich um, gingen aber weiter. Ich betrachtete den Boden und sprach leiser, um ihn zu beruhigen und weil ich nicht wirklich gehört werden wollte. „Du hast ihn als Freund gesehen und für ihn alles getan, auch wenn er es nicht gesehen hatte. Du wolltest immer sein Bestes, denn du mochtest es, wenn er über das ganze Gesicht gestrahlt hat. Du wolltest keinen Dank für deine Bemühungen, du würdest es hundertfach wieder tun. Nur ein bisschen Anerkennung. Aber er hat dich nie gesehen. Nicht wahrgenommen, was du für ihn getan hast. Also hast du aufgehört mit ihm zu reden, ihn ignoriert und zum Konkurrenten gemacht. Die netten Zeiten waren vorbei. Du wolltest, dass er dieselbe Frustration spürte wie du sie spürst, nicht wahr?“ Mein Mund war trocken und mein Herz schlug viel zu schnell. Ich mied dieses Thema immer. Aber gerade jetzt fühlte ich, dass Johannes mir in diesem einem Thema viel zu ähnlich war. Als dieser kaum merklich nickte, brachte das Adrenalin meinen Puls in ungeahnte Höhen. „Ich hätte nicht gedacht, dass das jemand kennen würde“, gab Johannes zu. „Aber selbst wenn, so wie du guckst, hast du keine Lösung für dieses Problem. Also tu mir den Gefallen und halt dich von ihm fern. Du bist ein netter Kerl. Es wäre schade, wenn er dich mit in den Abgrund reißt.“ „Wie meinst du das?“ „Wie schon! Sobald er sein jetziges Projekt versemmelt hat, wird er flie-“, Johannes brach ab. Etwas zu spät bemerkte er, dass nicht ich diese Frage gestellt hatte, sondern jemand hinter ihm. Ich schluckte trocken und wollte definitiv nicht in Johannes‘ Haut stecken. Auch wenn ich mir lebhaft vorstellen konnte, wie er sich jetzt fühlen musste. Der, der gesprochen hatte, war Joshua. Ich konnte nicht sagen, wie lange die beiden bereits zugehört hatten, aber seit wenigen Sekunden standen er und Elias hinter Johannes. Die Arme vor der Brust verschränkt, sahen beide so ernst drein, als hätte jemand den roten Knopf ausversehen gedrückt. „Wie sollte Joshua sein Projekt denn versemmeln?“, fragte Elias nach. Johannes hatte sich den beiden zugewandt. Ich konnte seine Mimik nicht mehr sehen, doch hörte ich seine Zähne knirschen. „Glaubst du wirklich, nur weil ich meine Arbeit etwas später abgebe, werde ich gleich gefeuert?“ Wenn man mit dem Rücken zur Wand stand, gab es nur zwei Möglichkeiten. Nachgeben und vielleicht überleben oder voranschreiten und kämpfen, um mit Sicherheit zu sterben. Johannes wusste um seine Position. Ich konnte nur erahnen, wie lange er mit sich hatte kämpfen müssen. In diesem Moment entschied er sich ein für alle Mal. Es würde gut werden, dachte ich irgendwo in den hintersten Ecken meines Hirns. Denn egal, wie er sich entschied, Johannes wäre danach von dem befreit, was ihn so sehr fesselte. Johannes hatte beide Hände zu Fäusten geballt. Das Weiß der Knöchel war deutlich zu sehen. Dann plötzlich entspannte er sich, hob den Kopf und sah den anderen beiden hochmütig entgegen. „Wirklich? Du glaubst, nur weil du die Proben mit Pilzsporen ausgetauscht hast, finde ich die eigentlichen Proben nicht?“ Ich sah Johannes erschrocken an. Hatte er sie wirklich gefunden? Joshua hatte ein deutliches besseres Pokerface. Seine verschränkten Armen bewegten sich kein bisschen. Nur sein Zeigefinger am Oberarm zuckte einmal kurz. „Was hast du mit meinen Proben gemacht?“, fragte Joshua. „Hmpf, was habe ich nicht mit ihnen gemacht? Du glaubst, dass du nur die offensichtlich verunreinigten erneuern musstest? Als wüsste ich nicht wie du vorgehst. Ich weiß genau wie diese erste Überprüfung funktioniert. Das Wachstum ist klar zu berechnen und es sind genügend Indikatoren bekannt, die das Wachstum verlangsamen, aufhalten oder erst nach mehreren Tagen exponentiell vernichten können.“ Joshuas Augen weiteten sich kaum merklich. Elias sah seinen Freund fragend an. „Stimmt das, was er sagt?“ Joshua brummte bestätigend, dem Kiefer fest zusammengedrückt. Ich fragte mich wieso? Joshua überprüfte doch regelmäßig einen Teil der Proben. Dann dämmerte es mir und ich schlug mir innerlich auf die Stirn. Das war es gewesen! Die Überprüfungen. Darum war Joshua sicherlich so ausgetickt, als ich den Inhalt der Probe abbekommen hatte. Sie war verunreinigt gewesen. Jedes dieser Reagenzgläser hatte einen Niederschlag gehabt. Die Tönung war auch differenziert gewesen. Wenn in der Probe mehr enthalten war, als ich angenommen hatte, hatte ich wirklich Schwein gehabt, dass Joshua so geistesgegenwärtig gewesen war. Mit mir unbekannten Erregern wollte ich mich nicht infizieren. „Natürlich stimmt es“, sagte Johannes lächelnd. „Er muss es bei seinen Überprüfungen bemerkt haben. Aber selbst er wäre nicht auf die Idee gekommen, die Probe von Grund auf zu untersuchen, denn das hätte Zeit beansprucht, die er nicht gehabt hätte. Für gute Ergebnisse nimmt er halt auch falsche Grundlagen in Kauf, nicht wahr?“ Joshua schwieg und auch Elias schien einen Moment sprachlos zu sein. „Du warst schon immer leicht zu durchschauen. Hättest du nur einmal ein bisschen mehr auf andere geachtet, würdest du nun nicht so erbärmlich dastehen.“ „Warum wolltest du unbedingt mein Experiment ruinieren?“, fragte Joshua. „Weil ich es bekommen habe und nicht du?“ Johannes schnaubte abfällig. „Zu Anfang war das die Idee, aber eigentlich hast du es verdient mal so richtig auf die Fresse zu fliegen. Während andere sich ihr Leben hart erkämpfen müssen, bekommst du alles zugeworfen. Nicht gerade fair, oder?“ Das Leben war nicht fair, dachte ich für mich. Joshuas Gesicht wurde so unlesbar wie ein Stein und Elias schaute nun nervös von Johannes zu Joshua. Oder … nein, warte mal! „Also hasst du mich, weil ich mehr Glück im Leben hatte als du?“ Johannes zuckte mit den Schultern. „Das auch. Aber nicht nur.“ „Genug jetzt! Streitereien zwischen Kollegen sind nur mit Supervision gestattet. Die Sabotage von Experimenten ist gänzlich untersagt.“ Ich war bereits einen Schritt zurückgetreten und stand direkt an der Wand. Elias' Blick vorhin galt nicht Johannes, sondern demjenigen, der sich hinter ihm und mir positioniert hatte. Wie auf Bestellung war der Chef erschienen. Rüdiger McFloyd. Ein Zielstrebiger alter Opa. So empfand ich es. Er war streng und unbiegsam wie Unternehmer und Führungsleute es in seinem Alter und seiner Position eben waren. Manchmal jedoch wirkte er so freundlich wie ein Opa, den man lange nicht mehr gesehen hatte. Ich war zur Seite getreten, um aus der Schusslinie zu kommen. McFloyd hatte mich kurz beäugt und angelächelt. Aber dieses Lächeln war gruselig gewesen. Es erreichte seine Augen nicht, welche ungerührt und kalkulierend waren. McFloyd begann wortwörtlich damit, den Fußboden mit Johannes zu wischen. Er stellte glasklar dar, was erlaubt war und was nicht. Dass er von dem Vorfall erfahren hatte und dieses Vorgehen in keinster Weise billigte. Ich schluckte schwer. Wenn er es so formulierte, konnte er auch meine Finte meinen. Mein mulmiges Gefühl nahm zu und ich war mir sicher, dass nicht nur Johannes sein Fett wegbekommen würde. Joshua hatte Recht behalten. Es wäre das Beste gewesen, gleich zum Chef zu gehen. Johannes wurde umgehend suspendiert. Nächste Woche würde er seine Ansichten vor dem Ausschuss rechtfertigen müssen. „Die Anderen sehe ich am Montag in meinem Büro“, sagte McFloyd. Er nickte Elias zu und schenkte Joshua einen vielsagenden Blick. Mich betrachtete er auch und mir rutschte das Herz in die Hose. Demütig neigte ich meinen Kopf. Vielleicht musste nicht nur Johannes sich eine neue Arbeit suchen… Kapitel 6: Co-Worker -------------------- Kapitel 6: Co-Worker Es war ein Talent immer positiv zu denken. Aber auch eines beim kleinesten bisschen Stress alles negativ zu sehen. Nicht löblich, aber es war meine Art mich auf das Schlimmste vorzubereiten. In dem ich alle Möglichkeiten durchspielte, konnte ich mich innerlich wappnen und würde nicht sprachlos in der Gegend stehen. Das hieß, wenn ich die Zeit hätte mir vorher tagelang unnütze Gedanken zu machen. „Ach, Mayer. Kommen Sie doch gleich mit mir mit, bitte“, sagte McFloyd hinzufügend und winkte Elias mit einem Lächeln heran. Elias schien etwas unschlüssig seiner Nemesis zu begegnen. Dennoch straffte er seine Haltung und folgte dem Chef. Nachdem McFloyd und Elias gegangen waren, bemerkte ich erstmals, dass wir von mehr als einem Kollegen angestarrt wurden. Mein erster Gedanke war, dass das womöglich ein neues Gerücht über Joshua ergeben würde. Mein zweiter Gedanke war, dass sie nicht nur ihn anstarrten, sondern auch mich. Mir wurde heiß und kalt. Schnell drängelte ich mich durch die Massen und folgte Joshua zurück ins Labor. Johannes war bereits verschwunden. Aber gerade hatte ich keine Zeit mich mit ihm zu beschäftigen. Ich trottete hinter Joshua her und setzte mich leicht abwesend auf meinen Stuhl. Ich fragte mich, was das für ein verdammter Zufall gewesen war. Nicht nur das Johannes mich aufgegabelt hatte, sondern auch dass Elias und Joshua ihm aufgelauert hatten und zur Krönung noch der Chef persönlich gekommen war. Ich fühlte mich schrecklich. So hatte das nicht ablaufen sollen. Wer wusste schon, ob Johannes nun noch die Gelegenheit bekommen würde, sich zu erklären? Ich hatte vorgehabt für ihn zu bürgen, … waren sich unsere Geschichten doch so ähnlich. Joshua stand an seinen Tisch gelehnt und starrte seine Schuhe an. Was in seinem Kopf vorging, wusste ich nicht. Irgendwann hob er sein dunkles Haupt und starrte mich an. „Hör mal, ich“, begann Joshua, aber ich unterbrach ihn. „Waren wirklich alle Proben kontaminiert?“ „Nein.“ Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich hatte befürchtet, dass Joshua wirklich mit unsauberen Proben gearbeitet haben könnte. Andererseits wäre das so untypisch von dem, was ich die Nächte über gesehen hatte. „Aber was war dann mit den vielen Proben, die du letztens kontrolliert hattest? Bei allen lag eine unterschiedliche Färbung und ein Niederschlag vor.“ „Ich wollte herausfinden, mit was die eine Probe kontaminiert war. Die Standardüberprüfung brachte mich aber nicht weiter. Dahingehend hat Johannes recht. Es gibt einfach zu viele bekannte Indikatoren, die dieser Kultur gefährlich werden können. Du hast an deiner Arbeit gesessen und gar nicht mitbekommen, dass ich versucht habe herauszufinden mit was diese Probe verunreinigt worden war.“ „Ah, stimmt. Hast du deshalb so reagiert als ich die Probe abbekam?“ Weil er nicht wusste um was für Erreger es sich handelte? Die Erreger mit denen Joshua arbeitete, waren sehr bekannt und genetisch so modifiziert worden, dass sie als harmlos eingestuft werden konnten. Aber bei kontaminierten Proben wusste man nie. Joshua schwieg sich für den Bruchteil einer Sekunde aus, ehe er ausweichend antwortete. „Es ist immer besser bei Hautkontakt sofort zu handeln. Es gibt nämlich auch Lösungen, die der Haut schaden, obwohl sie unbedenklich wirken oder die Reizung erst verzögert eintritt.“ Das mochte sein. Trotzdem war mir als wäre das nicht der eigentliche Grund gewesen. Mir fehlte ein Puzzleteil um Joshua zu verstehen. Danach zu fragen erschien mir jetzt nicht angebracht. „Dann weißt du also nicht, mit was Johannes die Probe verunreinigt hat?“ „Als nächstes hätte ich eines der Spektrometer benutzen müssen, um eine genaue Analyse der Zusammensetzung der Probe zu erhalten. Aber das hätte mich Zeit gekostet.“ Das stimmte. Zumal es wichtigere Dinge gab für die die großen Geräte genutzt wurden. Joshua hätte im schlimmsten Fall ziemlich lange warten müssen, wodurch es für ihn einfacher gewesen wäre, das Experiment nochmal von vorne zu starten. Aber hätte Johannes in dem Fall aufgehört? Ich musterte Joshua und war mir sicher das Johannes nicht eher aufgehört hätte Joshuas Proben zu verunreinigen, ehe Joshua nicht vollends gedemütigt worden wäre. Johannes war so dumm, dachte ich. Diese ganze Racheaktion war für die Katz. Das hätte Johannes eigentlich klar sein sollen. „Letzten Freitag war ich bereits bei McFloyd und habe ihm davon berichtet. Er wollte sehen, wie es die nächsten zwei Wochen weiter geht, ehe wir alles noch mal auf Null setzen.“ Ja, das war nur vernünftig, dachte ich weiter. Es dauerte einen Moment, ehe mir der Sinn der Worte vollends klar wurde. Joshua hatte McFloyd bereits letzten Freitag davon unterrichtet? „Du hast was?“ Ich starrte ihn an wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Joshua sah etwas irritiert zurück, während mir das Herz raste. „Ich hatte-“ „Du hattest den Chef wegen der Proben bereits informiert?“, fragte ich weiter. „Ja.“ „Und als ich dir Dienstag von Johannes erzählte, hast du es nicht für nötig gehalten mir das zu sagen?“ „...“ „Stattdessen hast du zugelassen, dass ich mir solch einen aberwitzigen Plan ausdenke und dass ich Elias mit reinziehe?“ „Der offizielle Weg ist, den Chef bei solchen Angelegenheiten zu informieren. Aber als ich deinen Vorschlag hörte-“, wieder unterbrach ich Joshua. „Ich weiß, dass das der offizielle und richtige Weg ist! Es hat nie einen Grund gegeben mich einzumischen! Warum hast du mir das nicht schon vorgestern gesagt?!“, fuhr ich ihn an. Die Panik saß mir gerade so richtig im Nacken. Was warf das bitte für ein Bild auf mich? Ich war noch in der Probezeit, die Regeln missachtend und Selbstjustiz ausübend. Ich überging den Chef wissentlich. Sicherlich war es leichter um Verzeihung als um Erlaubnis zu bitten, aber etwas Falsches zu tun, während der Chef davon wusste und zusehen konnte, wie ich ins Messer lief, war verdammt noch mal UNCOOL! Ich konnte nicht glauben, dass Joshua so was Wichtiges für sich behalten hatte! „Hätte ich gewusst, dass der Chef eingeweiht war, hätte ich mir so was nicht ausgedacht! Und dann ständen nicht so viele Jobs auf dem Spiel! Wer weiß, wen der Chef alles feuern wird.“ „Wer sollte denn gefeuert werden?“, fragte Joshua nach. „Ich weiß nicht“, entkam es mir etwas zu patzig. „Ich, du, Elias, Johannes?“ „Elias wird vielleicht eine Standpauke bekommen, so wie ich, aber wir werden nicht gefeuert. Johannes könnte vielleicht eine Kündigung bekommen oder er wird Strafversetzt. Und warum sollte er dich feuern?“ „Weil es meine Idee war?“ Mein Ton strotze vor Sarkasmus. „Ich bin noch in der Probezeit. Mich zu feuern, kostet ihm nur ein müdes Lächeln.“ Ich hoffte, ich klang nicht so panisch, wie ich mich fühlte. Aber Joshuas Ruhe machte mich nur noch nervöser. „Dass du in der Probezeit bist, heißt nichts. Außerdem klang er nicht so, als ob er jemanden die Schuld geben wollte.“ „Du hattest aber alles im Griff. Warum lässt du einen unbekannten Kollegen sich einmischen? Zu viele Unbekannte verderben das Ergebnis. Wenn du schon so auf Korrektheit stehst, dann solltest du diese Grundlage auch beherrschen!“ Joshua beäugte mich mit seiner stoischen Ruhe. Verstand er überhaupt in welcher Bredouille ich steckte? „Wenn ich dir vorgestern davon erzählt hätte, hättest du den Vorschlag, dass Johannes gesteht, nicht erwähnt?“, fragte Joshua nach. „JA!“, sagte ich mit Nachdruck. „Warum?“ „Wie, was, warum?“ „Warum hättest du ihm nicht helfen wollen, sich selbst zu helfen?“, präzisierte Joshua seine Frage. Ich strich mir über die Schläfe. So langsam bekam ich Kopfweh. „Warum, warum … Warum sollte ich mich in etwas einmischen, worum sich andere kümmern? Die Frage ist, warum hast du mir nicht sofort davon erzählt?! Wusste Elias davon?“ „Ich nehme an, dass er davon ausgegangen ist, dass ich McFloyd Bescheid geben habe.“ Toll. Best Buddys konnten auch noch Gedanken lesen. Ich warf meine Arme in die Luft und schlug sie über meinen Kopf zusammen, während ich aufgesprungen war und nun durch den Raum tigerte. „Max, es ist alles gut. Wie gesagt, habe ich McFloyd alles berichtet. Hätte er deine Idee nicht gutgeheißen, hätte er sie von vornherein gestoppt. Beruhige dich bitte. Du brauchst dir nicht so viele Sorgen zu machen.“ „Ja, sicher! Du kannst nicht mit aller Gewissheit sagen, dass der Chef sein Wort hält. Was auch immer ihr da besprochen habt. Vielleicht überlegt er es sich übers Wochenende anders.“ Ich bezeichnete mich selbst als recht uneigennützigen Menschen. So zu handeln, dass es nicht zum eigenen Vorteil gereichte, machten nur wenige Menschen. Selbst sehr soziale Leute konnten im Ernstfall nur sich selbst retten. Den weißen Ritter wie im Märchen, den edlen Helden gab es nicht. Und ebenso wenig gab es Obrigkeiten, die ihr Wort hielten. Zumindest war mir bisher noch keiner begegnet. Menschen die eine Machtposition inne hatten, wollten doch alle nur noch mehr Macht. Selbst der Pastor von daheim, war nach innen nicht so heilig wie er sich gerne gab. Selbst wenn Joshua den Chef fünf lange Jahre kannte, so garantierte das nicht, dass MIR nichts passieren würde. Vielleicht lag es daran, dass ich noch nicht lange hier arbeitete oder dass ich allgemein den Leuten eher Misstrauen entgegenbrachte, aber ich konnte Joshuas Unbesorgtheit nicht teilen. Wütend war ich davon gestapft und hatte Joshua einfach stehen lassen. Er war klug und hatte von Anfang an die richtigen Entscheidungen in Bezug auf sein Projekt getroffen. Er war zielgerichtet und achtete die Regeln. Wie Johannes gesagt hatte. Umso weniger verstand ich warum jemand so korrektes nicht sofort einer dümmlichen Idee eines Neulings Einhalt gebot!? Stattdessen ließ er sich von mir überreden und brachte sogar unseren Vize dazu mitzumachen. Zu Schulzeiten hätte ich so jemanden wie mich einen Störenfried genannt. Jemand der immer nur Faxen und Dummheiten im Kopf hatte, aber sonst zu nichts zu gebrauchen war. Oh, Gott! Sahen sie mich vielleicht sogar als solchen?! Dabei war ich ein normales Betamännchen, dass eher mitlief oder sein eigenes Ding aufzäumte, anderen half und versuchte keinen Ärger auf sich zu ziehen! Ich schickte Stoßgebete los und hoffte inbrünstig, dass ich mich mit dieser Aktion nicht gebrandmarkt hatte. Falls ja, könnte ich von Glück reden, wenn ich doch gefeuert werden würde. Dann müsste ich nicht mit einem Image rumlaufen, dass ich zu Unrecht hatte. Ich seufzte schwer und ließ meine Schultern sinken. Meine Anspannung löste sich. Ich saß auf einer Bank im Grünen bei irgendeinem Trakt. Ich war einfach losgestürmt und hatte Joshua stehen lassen... Nun hob der Wind sich sachte und strich durch die Blätter nah stehender Bäume. Das Rauschen der Blätter und die wärmenden Sonnenstrahlen nahmen mir meine Wut nach und nach. Ich konnte nie lange böse sein. Schlechte Gefühle wallten zwar mal auf, aber ebbten ebenso schnell ab. Besonnener ließ ich alles noch mal Revue passieren. Der Chef hatte mich nur angesehen und nicht zusammengestaucht. Ich glaubte kaum, dass er mein Verhalten schätzen würde, aber so sehr verbockt wie Johannes hatte ich es auch nicht. Und Joshua … Ich seufzte nochmal und würde mich am liebsten hinter einem Kissen verstecken. Ich war ihn angefahren ohne seine Sicht zu hören. Das war sonst auch nicht meine Art. Selbst bei Johannes hatte ich darauf bestanden, dass man seine Sichtweise kannte. Aber Joshua gab ich dazu keine Gelegenheit? Rühmte ich mich nicht dauernd damit, dass man keine 100%igen Aussagen treffen konnte, wenn man nicht alle Variablen kannte? Ich musste mich für meinen Ausraster entschuldigen. Wenn ich dann noch Glück hatte, erzählte mir Joshua vielleicht, was er den Tag hatte sagen wollen. Nichtsdestotrotz blieb ich ein Arbeitskollege. Die Nächte hatten sich so locker angefühlt, aber heruntergebrochen und ehrlich gesprochen, war ich mit niemanden hier befreundet. Meine gute Arbeit, der Abschluss meines Beginnerprojektes und die Freundlichkeit von Elias und Joshua hatten mich leichtsinnig werden lassen. Wie schon erwähnt, fühlte ich mich schnell heimisch, wenn ich jemanden gut leiden konnte. Dass das nicht auf Gegenseitigkeit beruhte, wusste ich und dennoch … dieser Fehler passiert mir immer wieder. Ich seufzte lauter und fuhr mir übers Gesicht, die Stirn, durch meine Haare und in den Nacken. Warum war das Zwischenmenschliche manchmal so verflixt schwierig? Egal, in solchen Fällen blieb nur, auf den eigenen Bauch zuhören. Wenn es gut lief, fein. Wenn nicht, hatte ich achtundvierzig Stunden Zeit mich selbst zu hassen. In solchen Momenten schlichen sich immer diverse Sprüche und Alltagsweisheiten in meine Gedanken. Dazu sei erwähnt, die Schuld daran, trug eindeutig Binks. Er war ein ganz alter Freund von mir. Wir kannten uns schon ewig. Seine größte Macke zu Schulzeiten war es, bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit Floskeln, Kalendersprüchen oder Volksweisheiten um sich zu werfen. Ich fand es immer schon albern und unnötig. Manchmal wirkte Binks dadurch wie der größte Klugscheißer der Welt. He, trotzdem … durch Jahre langes observieren, prägten sich die Bekanntesten ein. Als ich ins Labor zurückkehrte, war es verlassen. Kein Joshua, kein Elias, kein Johannes (gut, den werde ich wohl nie wieder sehen). Ich trat auf den Flur und hörte mich etwas um. Nach einer guten Runde Such-die-Antwort, wurde ich fündig. Joshua war vorhin gesehen worden, wie er das Gebäude verlassen hatte. Elias verweilte immer noch im Büro des Chefs und die Sagen um Johannes wollte ich nicht wiedergeben. Ich starrte im leeren Labor um mich und hätte am liebsten frustriert aufgeschrien. Wie sagte Binks so gerne: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Mit schlechtem Gewissen startete ich mein Wochenende. Die Tage zogen sich wie Gummi und ich dachte viel zu oft an die Arbeit und an Joshua. Leider im schlechten Sinne. In meinem stillen Kämmerlein namens Wohnung malte ich mir aus, wie sauer Joshua wegen meines Verhaltens sein könnte. Dass ich nun denselben abschätzigen Blick wie jene Bürotippsen ernten könnte, wenn wir uns begegnen würden. Dass Elias mich mit Arbeit zuschütten würde, falls ich nicht gefeuert worden wäre. Niederste Arbeiten mein Leben lang! Und wenn man mich doch feuerte? Würden meine Eltern davon erfahren, erfanden sie sicherlich ein neues Fest und steckten mich zurück in die Pastorenschule. Das war viel grausamer als jeder verachtende Blick auf Arbeit! Ich hielt es damals nur einen Monat aus. Jeden Tag bettelte ich auf eine normale Schule gehen zu dürfen. Meine Mutter blieb eisern, während mein Vater irgendwann nachgab. Das gelang mir nur, weil ich das Thema jedes Mal zu Beginn des Pferderennens anschlug. Um nicht länger von mir bei seinem liebsten Hobby gestört zu werden, schlug ich ihm vor, das Thema mit einer Wette zu beenden. Ein für alle Mal. Sollte er gewinnen, machte ich anstandslos alles, was meine Mutter von mir verlangte. Sollte ich gewinnen, ging ich auf eine normale Schule in der Nähe, machte mein Abi und suchte meine Uni selbst aus. Meine Mutter war hin und weg von der Idee gewesen. Mein Vater sowieso. Er glaubte im Wetten sei er mir eindeutig voraus! Was sie nicht wussten war, dass ich mich Wochen vorher mit diesem Plan auseinandergesetzt hatte. Ich war mir der Höhe des Wetteinsatzes durchaus bewusst. Darum hielt ich mich in Wettforen auf, lass mir Statistiken durch und ehrlich, wenn man die einmal verstanden hatte, war es ziemlich leicht. Vater behauptete, dann ginge der ganze Spaß am Wetten verloren. Aber hey! Ich wollte leben und mein Leben nicht verwetten. Vater setzte auf seinen Lieblingsjockey. Ich nahm seinen Ex-Lieblingsjockey, dessen Pferd Maximilian hieß. Interessanterweise erlebte der Jockey von Maximilian eine Pechsträhne, während ich begann gegen meine Eltern zu rebellieren. Vater verlor viel Geld und sein erster Sohn nervte ihn. Genug Gründe sich einen neuen Liebling zu suchen. Allerdings hatte der neue Jockey in diesem Rennen ein anderes Pferd und es war herausgekommen, dass es auf weichen Untergründen etwas an Geschwindigkeit verlor. Als das nächste Rennen stattfand, war die Rennstecke von dem Unwetter der vergangenen Nacht noch vollkommen durchweicht gewesen. Ich setzte auf Maximilian und gewann nach einem aufregenden Kopf an Kopf rennen die Wette. Vaters Jockey verlor nach der letzten Kurve an Geschwindigkeit und wurde nur dritter. Es war das erste Mal, dass ich stolz war nach diesem Pferd benannt worden zu sein. Leider würden mir weder Maximilian noch meine eingerosteten Wett- und Statistikkenntnisse in der jetzigen Situation weiterhelfen können. Mein Wecker klingelte pünktlich um sechs Uhr am Montagmorgen. Für einen Moment war ich verwirrt und fragte mich, warum mein Wecker überhaupt klingelte. Langsam, wie zäher Honig, tröpfelte mein Bewusstsein zurück in meine müden Hirnwindungen. In solchen Momenten war ich überzeugt, dass auch Neuronen und Nervenzellen Startschwierigkeiten hatten. Wie Windows. Demnach hatten Alzheimer und alle Erkrankungen vom Hirn nur damit zu tun, dass die neuronalen Verbindungen Urlaub genommen hatten, weil sie von der ganzen irdischen Scheiße die Nase voll hatten. Aber gut, ich war kein Biologe und kein Mediziner. Allerdings glaubte ich auch, dass kein Psychiater der Welt mir meinen Sarkasmus in solch verwirrten, mentalen Zuständen austreiben könnten. Wecker aus, aus dem warmen Bett geschält, schloss ich das Fenster. Gähnend und höchst unmotiviert ging ich in mein Wohnzimmer. Meine Wohnung war klein, aber für Zwei-Zimmer wiederum recht geräumig. Am Vorabend hatte ich meine fertige Arbeit in zweifacher Ausführung auf den Wohnzimmertisch gelegt. Drumherum lagen die Zettel mit den wichtigsten Ideen und Anmerkungen, mit denen ich mich am besten entschuldigen konnte. Meine Motivation sank weiter und ich lehnte schlapp am Türrahmen. Hatte ich eine Lust… Ich starrte noch weitere fünf Sekunden auf den Tisch. Dann stieß ich mich vom Türrahmen ab, stellte das Radio laut und ging duschen. Dazu möchte ich erwähnen, dass ich ein Abendduscher war. Morgens war mein Verstand schnell wach und aktiv, mein Körper genoss indes gerne die Restwärme vom Bett. Duschen zu gehen, machte dann nur unnötig wacher. Abends zu duschen hatte auch den schönen Effekt, dass man frisch und durchgewärmt ins Bett fallen konnte. Heute jedoch brauchte ich die extra Portion Wachheit und das belebende Gefühl alle Sorgen abgespült zu haben. Dazu frische Klamotten, eine dunkle Jeans, sportlich-elegante Schuhe, ein grünes Shirt und einen dieser modernen Jackett-Blaser mit den Flicken auf den Ellenbogen. Ich besah mir das Ergebnis im Spiegel und staunte nicht schlecht. Zuletzt war ich zur Exmatrikulation so schick gekleidet gewesen. Ich nahm mir vor meinen Kleiderschrank dahingehend nochmal zu überarbeiten. Dann könnte ich öfter so adrett aus dem Haus. Wie ich mich kannte, würde dieser Vorsatz mit dem Verlassen meiner Wohnung aus meinem Gehirn gelöscht werden. All meine Sieben Sachen beisammen, machte ich mich auf den Weg zur Arbeit. In der Tram war wenig los, die Sonne war bereits aufgegangen. Heute war es etwas diesig und frisch. Erst zum Nachmittag und Abend hin sollte sich das Wetter bessern. Kurz vor acht Uhr betrat ich das Foyer und zog meine Karte durch. Mir kamen erstaunlich wenige Kollegen entgegen. Je näher ich dem Labor kam, desto nervöser wurde ich. Oh man… mein Magen rebellierte schon. Die Labortür öffnete sich und ich wollte alle mit einem freundlichen „Guten Morgen“ begrüßen. Nach dem ersten Wort verebbte meine Stimme, denn es war niemand da. Meine Laune sank. Dann ging es so weiter wie es Freitag aufgehört hatte, ja? Tss, von wegen „Wenn eine Tür sich schließt, öffnet sich eine andere.“ Binks und seine blöden Sprüche! Er war der Letzte, den ich Momentan sehen wollte und trotzdem dachte ich immer wieder an seine blöden Sprüche. Wie dem auch sei, ich trat an meinen Tisch und stellte meine Tasche ab. Zum Glück hielt solch ein Status von „Alles auf Anfang“ oder „Alle gegen einen“ nicht besonders lange an. Als ich den Flur entlanglief, kam mir Elias entgegen. Er wirkte wie immer. Ich hielt an und begrüßte ihn. Wie üblich flachste Elias etwas rum, erzählte von seinem Wochenende und wie sehr ihm seine Kinder auf trapp gehalten hatten. „Wie war dein Wochenende?“, fragte er schließlich. Ich stöhnte innerlich. Wie konnte er das nur fragen? „Naja. Wirklich genießen konnte ich es nicht. Das hier ist mein erster Job und ich wurde noch nie offiziell zum Chef beordert, also hab ich mir hauptsächlich den Kopf zerbrochen, was passieren könnte.“ Das stimmte sogar. Die Sache mit Joshua und wie sehr mich das alles doch mitnahm, erörterte ich hier nicht. „Gerade wollte ich dich auslachen, weil du wirklich nichts zu befürchten hast. Glaub mir. Aber es stimmt. Als ich das erste Mal zum Chef beordert worden war, war mir auch bange zumute. Allerdings war das in einem anderen Labor und der Chef dort viel furchteinflößender als McFloyd. Kopf hoch“, sagte er und klopfte mir auf die Schulter. Seine Worte munterten mich wirklich etwas auf. Zumindest soweit, dass ich meinen Mut nun auch fühlen konnte und ihn nicht nur mit falschem Lächeln vorspielte. McFloyds Büro lag im Zentrum der Anlage. Zusammen mit den Sekretärinnen und einigen anderen Sachbearbeitern besetzte er einige Räumlichkeiten, welche nur durch Glaswände voneinander getrennt waren. Es war ein gläsernes Büro. Tische, Stühle, Computer, Aktenschränke, Personen, Pflanzen und Kabel, alles sah man. Nur einmal hatte ich das Büro des Chefs als einzelne Zelle verdunkelt gesehen. Elias hatte mir erklärt, dass in den Zwischenräumen der Glaswände zu seinem Vier-mal-Vier-Meter Reich eine spezielle Schicht mit Bakterien in einer zähen Flüssigkeit eingelassen worden war. Drückte McFloyd einen Knopf an seinem Tisch, wurde diese Bakterien stimuliert, vermehrten sich rasend schnell und sorgten durch ihre schiere Masse für diesen Verdunklungseffekt. Für mich wirkte es immer ein bisschen wie eine polarisierende Sonnenbrille. Anders als normale Glasscheiben, waren die Wände des Büros Wärmebeständig und Schalldicht. Nun … dann hörten die Vorbeigehenden nicht wie ich unterging, aber sahen das Spektakel. Ich klopfte an der gläsernen Tür an. Es klang nicht hohl wie Glas zu klingen hatte, sondern eher wie Plastik. Fasziniert starrte ich auf das durchsichtige Material vor mir, ehe mir aufging, dass die Person im Büro mir amüsiert dabei zu sah, wie ich etwas scheinbar Unsichtbares musterte. Die Peinlichkeit schluckte ich herunter. Ich öffnete die Tür und mein Puls stieg sprunghaft an. Ich hasste stressige Situationen. Vom Gefühl her kam ich mir vor, als müsste ich einen Vortrag vor der Klasse halten oder meine Facharbeit vor meinem Dozenten verteidigen. Ich atmete langsam und tief ein und ebenso langsam wieder aus, als ich mich auf den Stuhl setzte, der mir angeboten worden war. „Guten Morgen“, begrüßte ich McFloyd. Er nickte freundlich zurück. „Guten Morgen. Nun, was führt Sie zu mir?“ Will er mich verarschen, dachte ich spontan. Mit einem eher zögerlichen Lächeln holte ich meinen Bericht hervor und legte ihn vor McFloyd auf den Tisch. „Heute ist der Abgabetermin für meinen Bericht.“ „Ahh, ja, Ihr erstes Experiment, nicht wahr? Und wie fanden Sie es? Sagt Ihnen diese Art Experiment zu?“ Verwirrt blinzelte ich und lehnte mich ungewollt im Stuhl etwas zurück. Diese unbesorgte und fröhliche Art war so gar nicht das gewesen, was ich erwartet hatte. „Eh, naja …Also, die äh Durchführung und Organisierung ist alleine recht aufwendig. Das Arbeitspensum fand ich angemessen und die Hintergrundrecherche war sehr aufschlussreich. Ich denke, alles in allem sagt mir diese Art zu“, antwortete ich stockend. McFloyd nickte meine Antwort ab und blätterte durch meine Arbeit. Hier und Da hielt er inne, las flüchtig rein und sah sich die Tabellen und Grafiken an. „Gut, gut. Der erste Eindruck scheint sehr sorgfältig zu sein. Wenn Sie meinen, die Organisation wäre aufwendig, darf ich daraus schließen, dass Sie eher in einem Team arbeiten wollen?“ Sie dürfen daraus schließen, dass ich überhaupt noch hier arbeiten möchte! Ich spannte mich mehr an und saß überaus gerade in meinem Stuhl. Meine Unbehaglichkeit schien er zu bemerken. „Sagen Sie nicht, Sie arbeiten lieber alleine? Ich habe Sie als sehr kontaktfreudig eingeschätzt und ihr Abteilungsleiter stimmte dem ohne Zweifel zu.“ „Elias?“, platzte es aus mir heraus. Die Augenbrauen McFloyds hob sich. Der Anblick verwirrte mich zusätzlich für einen Moment. Ich fing mich und rückte in meinem Stuhl zurecht. „Verzeihung. Herr Mayer hat über mich gesprochen? Das wusste ich nicht“, gab ich zu. „Aber das ist es nicht. Ich … nun ja, ich wollte fragen, was aus der Sache am Freitag geworden ist? Sie sagten doch, Sie wollten mich sprechen.“ McFloyd überlegte einen Moment. Ich konnte ihm regelrecht beim Denken zusehen. „Ach, die Sache“, erinnerte er sich endlich. „Da gab es wohl ein Missverständnis. Ich wollte Sie lediglich für ein Team einteilen. Dass Sie dazu Ihren Bericht abgeben, passt perfekt.“ „Hä? A-Aber was ist mit Johannes? Und dass Sie meinen Abteilungsleiter zu sich gerufen haben.“ Langsam schien McFloyd mein Dilemma zu verstehen. Er nickte langsam, als hätte er laut „A-ha“ gesagt. Allerdings verstand dieser Mann es selbst ohne Töne seinen Standpunkt zu zeigen. „Mir wurde bereits nahegelegt, dass Sie da etwas falsch verstanden haben könnten.“ Echt? Von wem? „Die Suspension von Johannes Wind ist, wie sie ist. Dank Joshuas Aussagen und den am Wochenende bestätigten Ergebnissen der verunreinigten Proben, werden wir bei seiner Anhörung geeignete Maßnahmen treffen.“ Ich schluckte schwer. Wieder bekam ich etwas Mitleid mit Johannes. Aber Gefühle rechtfertigen sein Tun nun mal nicht. McFloyd fuhr fort: „Das Gespräch mit Abteilungsleiter Mayer kam spontan und eigentlich nur Ihretwegen. Sie fielen mir auf dem Flur auf und ich wollte eine Bewertung ihrer Arbeit von ihrem Abteilungsleiter hören, ehe ich mich entschied.“ Meine Seele war zwischenzeitlich schon auf Abwege geraten, ich schwöre es! Doch ich wartete geduldig und mit schwitzenden Händen sein Urteil ab. „Da er nur Gutes über Sie zu erzählen hatte, möchte ich Sie gerne als nächstes in ein besonderes Team stecken.“ „In was für ein Team denn?“, fragte ich vorsichtig nach. McFloyd grinste breit. „Sie kennen ihn bereits. Joshua Fritz. Er ist zwar Einzelgänger, aber mir kam zu Ohren, dass sie einander bereits kennen. Der Vorfall mit Wind war unangenehm und Joshua ist ein guter, beständiger Arbeiter. Seine Ergebnisse sprechen für sich, doch fehlt ihm im sozialen Umgang das Feingefühl. Etwas, von dem Sie scheinbar genügend haben. Ich denke Sie werden einander gut ergänzen. Oder möchten Sie nicht mit ihm in eine Gruppe?“ „Ah, eh, nein, ich meine … sehr gerne.“ Ich neigte den Kopf zum Dank und konnte nicht glauben, was für ein Glück ich hatte. Scheinbar hatte ich mir mal wieder unnütze und vorschnelle Gedanken gemacht. Trotz meiner Freude fühlte ich mich schlecht. Mir schwante, dass Joshua mir das bereits am Freitag sagen wollte, ehe ich ihn angefaucht hatte. Die Entschlossenheit mich bei ihm zu entschuldigen, rückte noch dringlicher auf meinen gedanklichen Platz Eins. McFloyd erklärte mir das weitere Vorgehen und reichte mir einige Unterlagen zu Joshuas Experiment. Ich stutzte als ich nicht nur von einem Experiment las, sondern mehreren. Das Skript, welches ich bereits kannte, war nur die Spitze des Eisberges. Auf Grundlage dieser ersten Forschung stellten sich weitere Möglichkeiten hinten an. Scheinbar sollte ich, wenn ich mich gut anstellte, zukünftig ein festes Team mit Joshua bilden. Ob ich dann auch nachts arbeiten musste? Kurz haderte ich mit mir, ob ich den Chef wegen der Sache mit dem Plan nochmal befragen sollte. Entschied mich aber dann dagegen. Der Chef schien es nicht als schwerwiegend anzusehen und Elias und Joshua meinten beide, ich bräuchte mir deswegen keine Gedanken zu machen. Vielleicht war das eines dieser Dinge, die man einfach ruhen lassen sollte? Als ich die Bürotür hinter mir geschlossen hatte, konnte ich kaum meine Schritte zügeln, um von diesen gläsernen Beobachtungsposten wegzukommen. Außer Sichtweite lehnte ich mich gegen eine Wand und atmete aus. Erleichtert und irgendwie ziemlich happy. Mit solch einem Ausgang hatte ich wirklich nicht gerechnet. Nun musste ich nur noch mit Joshua reden. Zu meinem Glück – davon hatte ich heute wahrlich reichlich – kam er mir im nächsten Flur entgegen. Ich grinste unwillkürlich als ich ihn sah. Nach wenigen Schritten standen wir uns gegenüber. Ich grinste immer noch wie blöd. „Hallo. Darf ich fragen, warum du so lächelst?“, begann Joshua. „Klar, darfst du, aber vorher“, sagte ich und verneigte mich tief vor ihm, die neuen Unterlagen fest an meine Brust gedrückt: „Es tut mir wirklich leid, dass ich dich Freitag so angefahren habe. Ich hätte dich ausreden lassen sollen. Tut mir leid.“ Reumütig sah ich ihn an. Joshua war etwas perplex. Flüchtig schüttelte er den Kopf und schenkte mir ein vorsichtiges Lächeln. „Keine Ursache. Es war nicht so schlimm, wirklich. Aber warum grinst du nun?“, fragte Joshua. Denn ich grinste wirklich schon wieder. Breiter als zuvor. „Ich freue mich einfach“, gestand ich. Und wie ich mich freute! Nicht nur hatte ich mir unnötige Gedanken gemacht meinen Job verlieren zu können und hatte damit mein Wochenende ziemlich ruiniert, sondern Joshua war so gnädig mir zu verzeihen UND ich durfte mit ihm arbeiten. Das bedeutete nicht, dass wir Freunde werden würden, aber ich fand es war ein guter Anfang. Joshua musterte mich noch einmal genauer, dann entspannte er sich und neigte den Kopf. „Dann ist ja gut.“ Das Lächeln in seinen Augen verschlug mir glatt die Sprache. „Da du alles geklärt hast, wollte ich dich fragen, ob du heute Abend Zeit hast.“ „Heute Abend? Wofür?“ Mein Puls schnellte wieder hoch. Dabei hatte er sich gerade erst von der Aufregung im Büro erholt. „Ich wollte gerne mit dir Essen gehen, wenn du magst.“ Baff sah ich ihn an. Ehe mein Herz mir flatternd aus dem Hals springen konnte, fragte ich mit kratziger Stimme nach: „Als neue Kollegen? Weil wir demnächst als Team arbeiten sollen?“ Nun wirkte Joshua ebenso baff. Sein Blick taumelte etwas, ehe er die Dokumente in meiner Hand erspähte. Ich reichte sie ihm und meine Hoffnung sank. Sein Blick wurde ernster, verschlossener, beinahe etwas geknickt. „Ja“, räusperte er sich und gab mir die Unterlagen zurück. „Ist halb acht ok?“ „Ja, klar.“ „Gut, dann halb acht am Brunnen im Lindenpark.“ Ich freute mich, nickte und grinste zurück. Joshua indes entschuldigte sich und schritt eilig an mir vorbei. Ich lunschte ihm hinterher und sah wie er in das Büro des Chefs ging. Ohne Klopfen war schon dreist. Ich sah beide Männer reden. McFloyd stoisch gelassen wie eben schon, während Joshua sich mit den Händen auf den Tisch abstützte und diskutierte. Jedoch kam er mit seiner Argumentation nicht weit und setzte sich schließlich auf den Stuhl nieder, auf welchen ich kurz zuvor gesessen hatte. Joshua lehnte sich vor und vergrub seinen Kopf in seinem linken Ellenbogen. Wie ein Kind das trotzig war, weil es nicht das bekam, was es wollte. Kapitel 7: Date --------------- Kapitel 7: Date Für ein Essen unter zukünftigen Kollegen war ich viel zu aufgeregt und aufgebrezelt. Dabei sagte ich mir ständig, dass es kein Date war. Und daran war nur Elias schuld. Als ich von meinem Gespräch mit McFloyd zurückkam, begrüßte mich Elias im Labor. Ich erzählte ihm von dem Gespräch und das ich dem Team mit Joshua zugesagt hatte. „Klasse! Ich wusste du würdest es machen. Obwohl ich gestehe, dass ich mir erst nicht sicher war.“ „Warum das nicht? Der Chef sagte du hättest mich über den Klee gelobt.“ Elias lachte. „Nun übertreibe nicht. Aber ja, ich hatte deine Arbeit gelobt. Teamarbeiten bieten einige Vorteile, da man sich schwierige Projekte besser einteilen kann. Aber wenn die Teammitglieder nicht gut harmonieren, wird es schwierig. Dazu bist du noch ein Welpe. Normalerweise vergibt man hier Teamarbeiten erst im zweiten Jahr. Neulinge, wie du, kommen gar nicht an so gute Angebote.“ Ich hatte aufgehorcht beim Wort Welpe. Hatte Elias das letztens nicht erst benutzt? Draußen vor der Tür im Gespräch mit Joshua? Ich dachte wirklich es handelte es sich um Hunde! Nicht um eine alternative Bezeichnung für Neuling oder Frischling. Zum dritten Mal an diesem Morgen raste mein Puls, aber ich wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen. „Du bist zu gut zu mir. Hab vielen Dank“, sagte ich und verneigte mich, auf meinem Stuhl sitzend, vor ihm. „Ha! Nicht der Rede wert. Und sonst? Ist noch was passiert?“ „Was meinst du?“ Elias grinste auf wissende, unheimliche Weise. „Ich habe gehört du bist Joshua auf dem Flur begegnet.“ Öhm, ja, schoss es mir durch den Kopf. „Gut! Der Buschfunk ging anders. Er besagt, dass du, der Neuling, sich vor dem Grafen demütig auf den Boden geworfen hast, weil du ihm letzten Freitag so blamiert haben sollst und nun seine Rache fürchtest.“ Ich verzog verstimmt mein Gesicht, rechnete es Elias aber an, dass er aus diesem Kontext den eigentlichen Sachverhalt hatte erschließen können. „Ich bin ihm tatsächlich im Flur begegnet und habe mich für mein Verhalten am Freitag entschuldigt. Danach hat er mich gefragt, ob ich mit ihm Essen gehe.“ Elias rutschte aufgeregt auf seinem Stuhl nach vorne. „Uhhh, ein Date?“ Ich sah ihn mit hochgezogenen Brauen an. „Warum ein Date? Es ist ein Essen, weil wir neue Kollegen werden. Das hat er selbst gesagt.“ „So? Nun, dann eben erstmal so. Dabei klang er so zuversichtlich letztens.“ Elias Laune sank von hoch interessiert auf solala. Den letzten Satz murmelte er in seinen Bart. Ich hörte ihn trotzdem. Etwa seit diesem Zeitpunkt wurde mir immer mal wieder flau im Magen. Hatte Joshua mich nach einem Date Fragen wollen? Unwahrscheinlich! Sicherlich Joshua stand mitunter auf Männer, aber ich hatte Elias deutlich gemacht, dass ich es nicht tat. Wiederum erinnerte ich mich an das belauschte Gespräch. Wenn nicht die Rede von Hundejungen war, sondern von einem unerfahrenen Menschen, den Joshua sich angeln wollte, wurde das Date doch wahrscheinlich. Allerdings war es gemein von den beiden mich als Unerfahren abzustempeln. Sie wussten doch nichts von mir! Wiederum war das genau der Knackpunkt. Vielleicht wollte Joshua sein Glück einfach versuchen, obwohl ich gesagt hatte, dass ich auf Frauen stand und galt gerade deswegen als Welpe unter Schwulen (auch wenn Elias nicht Schwul war). Nein, es war ein Essen! Mein letztes Date war Jahre her und alles andere sogar noch länger. Würde ich hier auf ein Date warten, wäre ich verloren! Joshua war die Art Date mit der du durch die Straßen gehen konntest und alle drehten sich nach ihm um. Er sah viel zu gut aus, um auf Dates zugehen! Und wenn er lächelte, schmolzen alle dahin. Frauen wie Männer. Sogar ich. Nein, es war ein Essen! Mit Joshua auf ein Date zu gehen … ich konnte es mir nicht vorstellen, spürte aber, dass ich mich trotz aller Aufregung ziemlich drüber freute. Direkt neben ihm zu gehen, fühlte sich sicher toll an. Mir kam unser Gespräch auf dem Flur wieder in den Sinn. Wie er sich zunächst gefreut und wie er nach meiner Frage reagiert hatte. Was, wenn er nur so erschüttert gewesen war, weil ich seine Einladung nur als Essen unter Kollegen verstand und nicht als Date? Dass er deswegen so betrübt geworden war. Die Vorstellung gefiel mir. Trotzdem schüttelte ich leicht meinen Kopf. Es war ein Essen. Alles andere war nur meine Wunschvorstellung, weil ich ihn ein kleines bisschen attraktiv fand. Ich hatte noch nie so ein gutaussehendes Date. Laut den Gegebenheiten des Universums würde ich auch nie ein solches bekommen. Die Menschen, die ich attraktiv fand, standen nicht auf Leute wie mich. Und die Leute die auf mich standen, sagten mir nicht zu. Dabei war es immer ein anderer Grund. Oftmals roch mein Gegenüber zu stark oder nicht gut genug. Oder unsere Gesprächsthemen klafften Welten auseinander. Die Hobbys passten nie zusammen. Und alle, wirklich alle, bisherigen Datepartner und One-Night-Stands sagten das gleiche über mich. Ich sehe hübsch aus. Mein Lächeln wäre schön. Man kuschelte gut mit mir. Es gab noch mehr, aber das waren so die Top drei. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie Joshua so jemanden gebrauchen würde. Er war derjenige, dem ich nachsah, weil sein Hintern knackig war. Ich war derjenige, an dem er vorbeilief, weil sein Handy interessanter war. Die Dinge, die meine Ex-Anbändelungen sagten, waren nicht negativ. Aber sie waren nicht das was ich hören wollte. Jeder hatte doch so ein paar Dinge, die er an sich selbst besonders hochschätzte. Dazu kam, dass ich jedes Mal etwas anderes fand, was mich an dessen Charakter oder Aussehen störte. Aber das waren auch nur Ausflüchte. Meine Freunde betonten meine aussiebende Art oft genug und ich selbst war mir dessen nur allzu bewusst. Natürlich wusste ich es! Schließlich kannte ich den Grund für diese Ausflüchte. Die meisten meiner Dates gingen nicht von mir aus. Ich war mitgegangen, weil es sich gerade angeboten hatte. Ich fand mein Gegenüber weder sympathisch noch hübsch oder interessant. Kurz: Ihr Anblick weckte keine Gefühle. Zuerst hatte ich es auch nicht verstanden, aber dann dämmerte mir, wo das Problem lag. Ich verglich sie unlängst mit meinem Crush. Meiner ersten großen Liebe. Sie war groß gewesen. In Gefühlen von mir ausgehend, in Verwirrung und Ablehnung gleitend, hin zu dem Korb, den ich erhalten hatte. Bei einem Korb denkt man, dass man leichter über all das Liebesgedöns hinwegkam. Pustekuchen! Damals sah ich meinen Crush fast täglich und die Nähe war kaum auszuhalten. Um nicht mehr daran zu denken, lenkte ich meine Gefühle in Abneigung und Hass. Ich suchte mir irgendwelche lapidaren Dinge heraus, die ich der Person in Gedanken vorhalten konnte. Es half für einige Zeit. Aber mit den Jahren wurde es anstrengender. Just als ich dachte, endlich wieder normale Dates zu haben, fiel mir auf, dass ich jeden neuen potenziellen Lover mit dem Crush verglich. Das machte mich wieder fertig. Es verging eine Zeit in der ich mich deshalb ziemlich abschottete. Schließlich war ich eines Nachts etwas trinken und traf eine adrette Dame, mit der ich einige schöne Gespräche führte. Nach genügend Alkohol schüttete ich ihr mein Herz aus. Mich daran zu erinnern, war immer noch peinlich. Die Dame indes hatte einige gute Ratschläge für mich. Ratschlag Nummer eins: Verlieb dich richtig. Eine neue Liebe lässt dich alle vorherigen vergessen. Nur war das, meiner Meinung nach, nicht so einfach. Ratschlag Nummer zwei: Lebe. Mach alles wonach dir der Sinn steht! Egal, ob es sich um Alkohol, Sex, Reisen, das Lernen einer neuen Sprache oder Töpfern handelte. Ich sollte mich beschäftigen und das tat ich auch. Ratschlag Nummer drei: Hab Sex. Nun, diesen Rat gab sie mir nur, weil sie mittlerweile ziemlich angefeuert gewesen war. Wir scherzten noch eine ganze Weile darüber, ehe wir uns für etwas Zweisamkeit zurückzogen. Ihr Rat war nicht falsch. Der Beischlaf mit ihr war schön gewesen und lenkte ab. Aber mir persönlich entsprach es nicht. Einmal oder so ging ja noch. Auf das Jahr gerechnet. Aber mehrmals? Lieber würde ich Rat Nummer Eins befolgen und mit jemanden ins Bett gehen, den ich liebte. Aber das stand wirklich noch in weiter, weiter Ferne. Ich war gedanklich etwas abgedriftet, als sich jemand neben mich stellte. „Guten Abend.“ Überrascht sah ich auf. Im ersten Moment war ich sprachlos, dann lächelte ich und stand auf. „Abend, Joshua.“ Alle eben durchdachten Gedanken wirbelten nun wild in meinem Kopf, ehe keiner mehr greifbar war. Nur ein leichtes Kribbeln verweilte in meinen Fingern. „Entschuldige, bin ich zu spät?“, fragte Joshua und sah auf sein Handy. Ich schüttelte nur den Kopf. „Nein, ich war einfach zu früh. Bin zu früh losgegangen“, weil ich viel zu nervös gewesen war. „Na dann, können wir?“ Ich nickte und trat an seine Seite. Mein Herz machte einen kleinen Satz. Wir gingen gemütlich und nach wenigen Schritten sah ich flüchtig zu ihm rüber. Er war genauso adrett, wie ich es mir vorgestellt hatte. Aber in echt wirkte er viel hübscher. Aus Scham hätte ich weggesehen, doch bemerkte ich, dass auch er zu mir schielte. Amüsiert beugte ich mich vor und grinste ihn an. „Was denn?“ Joshua reagierte nicht hektisch, aber so wie er zur Seite sah und seinen Mund etwas verzog, merkte ich, dass ich ihn erwischt hatte. „Du siehst heute den ganzen Tag schon anders aus“, gestand Joshua. „Anders gut oder anders schlecht?“, stichelte ich weiter. Joshua sah mich wieder an. Sein Blick so klar und direkt. „Anders gut.“ Ich schluckte schnell und sah weg. Das waren erst fünf Minuten! Nicht rot werden, noch nicht! Ich biss mir innen leicht auf die Lippe, ehe ich antwortete. „Danke dir. Ich hatte wirklich schiss vor dem Gespräch mit McFloyd. Ich dachte, so würde ich eher überleben.“ „Dabei ist er nicht so schlimm wie er manchmal aussieht.“ „Ja, hab ich gemerkt! Wenn ich dir Freitag nur zugehört hätte, wäre mein Wochenende ruhiger verlaufen.“ Ich spielte mich etwas als Leidtragender auf, jedoch „mh“te Joshua nur amüsiert. „Wusstest du da schon, dass ich in dein Team kommen soll?“ „Nein. Das habe ich heute auch erst erfahren.“ Mein Herz machte einen Satz vor Freude und ein Teil von mir dachte sich, dass Joshua mich dann vielleicht doch nicht als „Kollegen“ zum Essen hatte einladen wollen. Dieser Bruchteil von Freude wurde von seinem mürrischen Gesicht schnell zurückgedrängt. „Ich mag keine Teambildung. Leider hatte ich dahingehend nur unfähige Kollegen.“ Mein Lächeln verwandelte sich in etwas Verlegenes, ehe ich auf meine Schuhe sah. „Aber ich denke, mit dir könnte es besser werden“, fügte Joshua nach einer Weile hinzu. „Ich werde mein Bestes versuchen“, gab ich mit motivierter Stimme zurück. Ganz freuen konnte ich mich aber doch nicht. Joshua hatte kein Team gewollt, also … drängte mich der Chef ihm auf. Weil er zu wenig soziale Kompetenzen besaß? So lange die Ergebnisse stimmten, war das doch egal. „Wo gehen wir eigentlich hin?“ „Dahinten gibt es ein tolles Steakrestaurant. Die Preise gehen auch“, antwortete Joshua. „Ah, das. Da bin ich bisher immer nur dran vorbeigelaufen“, gestand ich. „Man kann sogar draußen sitzen. Hmm, wollen wir?“, fragte ich ihn und sah wieder zu Joshua. Er blinzelte und nickte schlicht. „Gut.“ Ich griff nach seinem Handgelenk und zog ihn mit mir. Dates hin oder her. Egal! In solchen Momenten, wenn er verdutzt blinzelte und nicht so allmächtig und cool war, fühlte ich mich ihm ebenwürdig. In solchen Momenten kam immer dieses verspielte Kleinkind in mir durch. Die Art, die impulsiv losstürmte und den mitriss, den er am ehesten zu greifen bekam. Und was auch immer es werden sollte, Rat Nummer zwei sagte klar, habt Spaß. Wir saßen am Tisch und studierten die Karte. Ich hatte einen tollen Blick auf die Fußgängerzone, ohne dass ich zu nah an den Passanten dran war. Die Atmosphäre war luftig und etwas mediterran. Meinen Blick schweifen lassend, spürte ich, dass ich beobachtet wurde. Schließlich fragte Joshua: „Sag mal, wo wir nun Teamkollegen sind, darf ich dich bei deinem Namen nennen?“ Etwas verwirrt sah ich ihn an. „Sicher.“ Hatte er das nicht schon gemacht? Meine Fragen wie und warum Joshua fragte, ebbten ab, als ich sah wie er sich darüber freute. Ein angenehmer Schauer kroch mir den Rücken runter. Ich ließ die Passanten sein und stützte mein Kinn auf meinem Handballen ab. Interessiert musterte ich ihn. Joshua studierte seine Karte ziemlich genau. Sehr genau. „Darf ich dich dann auch Josh nennen?“ Ohne aufzusehen kommentierte er: „Nur meine Familie und enge Freunde dürfen mich so nennen.“ Mir sank etwas der Mut… „Aber ich würde mich freuen, wenn du mich so nennst.“ Joshua lunschte über den Rand der Karte und ich grinste breit. Joshua reden zu lassen, bescherte mir mehr positive Gefühle, als ich mir schlecht reden konnte. Dennoch sammelte sich in meinem Bauch konsequent so ein mulmiges Gefühl. Noch wusste ich nicht weswegen, aber meist hatte mein Bauch recht. Irgendwas kam noch … Davon und von der Tatsache, dass Joshua meiner Meinung nach vielleicht etwas wortkarg, aber nicht unbedingt eigenbrötlerisch, war, mal abgesehen, fragte ich mich, wie ich seine sozialen Kompetenzen mal überprüfen könnte. Der Chef steckte mich doch nicht zum Spaß mit Joshua in ein Team. Er dachte sich etwas dabei und ich wollte unbedingt wissen was! Joshuas Kompetenzen konnten es jedenfalls nicht sein. Wenn Joshua mit mir ganz normal reden konnte, warum dann nicht auch mit anderen? Während meine Gedanken zum Chef und unser Gespräch wanderten, um vielleicht einen Anhaltspunkt zu finden, schoss mir Elias gedanklich dazwischen. Zu meinem Glück kam der Kellner und nahm unsere Bestellungen auf. Dadurch konnte ich mich noch eine Sekunde länger sammeln und nicht gleich verlegen unterm Tisch rutschen. Als der Keller gegangen war, lehnte ich mich wieder vor und stützte meinen Kopf erneut ab. Eine dumme Angewohnheit. Ich habe mir angewöhnt gestisch immer dann auf Aktivität und Attacke zu setzten, wenn ich mich eigentlich vor Schüchternheit oder Verlegenheit hinter etwas verstecken wollte. Es hatte selten den Effekt, den ich damit erzielen wollte, aber gut. „Sag mal, Elias hatte mich gefragt, ob das hier ein Date ist“, sagte ich lässig. „Ich sagte ihm, dass wir nur als Kollegen essen gehen. Aber … ist das hier ein Date?“ Mir schlug das Herz bis zum Hals. Joshua indes wirkte ruhig und gab sich keine Blöße. Dabei hatte ich extra langsam geredet, um mögliche Reaktionen von ihm ablesen zu können. Sein Mundwinkel hatte beim Wort Kollegen gezuckt, aber das war ja zu erwarten gewesen, wenn Joshua sonst auch keine Kollegen und Teamarbeiten mochte. Joshua erwiderte meinen Blick, ehe er die Augen kurz schloss und sich in seinem Stuhl etwas zurücklehnte. „Ja, ich hatte dich danach fragen wollen.“ Meine Augen weiteten sich ein Stück. Die Freude, welche ich darüber empfand, wurde von dem Automatismus ein Date haben zu können geblockt. Selbst ein Date mit Joshua. Meine übliche Abwehr fuhr hoch und mein inneres Selbst stand nur daneben und riss sich vor Frust an den Haaren. Ich lächelte freundlich und lehnte mich dann ebenfalls im Stuhl zurück. Unbewusst spielte ich auf Abwehr und Distanz. „Warum? Ich habe Elias doch gesagt, dass ich auf Frauen stehe.“ Ich klang viel zu amüsiert. „Ich fand dich interessant. Und ein Date ist nur zum abtasten da. Aber da wir nun Kollegen sind, ist es nicht mehr angebracht.“ Joshuas Blick streifte mich nur. Sein Blick war ernst wie immer und mein Lächeln verschwand allmählich auch. Die Stimmung wurde dicker, je länger wir schwiegen. Auch wenn Joshua scheinbar strickt gegen Romanzen am Arbeitsplatz war, hieß das nicht, dass das hier für die Katz‘ war. Doch obwohl meine Abwehr aktiv war, schlug mein Herz viel zu schnell und ich war viel zu enttäuscht von seinem Wortlaut. Er „fand“ mich interessant, war wie ein Schlag ins Gesicht. Zudem ärgerte es mich, Joshua so verschlossen vor mir sitzen zu sehen, wobei er eben noch so freiheraus gelächelt hatte. Mir war klar, würde ich jetzt schweigen, liefe das hier ab, wie immer. Aber … ich wollte nicht, dass das hier wie immer ablief. „Ein Date ist nur zum abtasten da, hm?“ Mein Mundwinkel zuckte flüchtig nach oben. „Dann waren meine bisherigen Datepartner nicht so taktvoll wie du. Trotzdem … Wenn du mit einer Heterofrau auf ein Date gehst, ist das eine Sache. Aber ein Heteromann? Hat das jemals geklappt?“ „Es kommt immer auf einen Versuch an. Die meisten, die sich als Hetero deklarieren, sind Alternativen gegenüber am aufgeschlossensten.“ Ich schmunzelte. „Und du denkst, ich bin aufgeschlossen?“ Joshua sah mich unerwartet ernst an und hob eine der eleganten Augenbrauen. „Willst du anderes behaupten?“ Etwas sprachlos dasitzend, sah ich zum Kellner, der unsere Getränke brachte. Ich nickte ihm zu und sah zur Straße. Was soll das heißen, ich behaupte anderes?! Natürlich behauptete ich anderes, immerhin … Joshua lehnte sich vor und verschränkte die Arme auf dem Tisch. „Heutzutage ist jeder neugierig. Kennst du die Statistiken dazu? Seit Schwulen und Lesben für ihre Rechte kämpfen, steigt die Zahl von sich outenden Personen stetig. Letztes Jahr sollen es um die 20% der zwischen Achtzehn und Dreißig Jährigen gewesen sein. 64% bezeichnen sich als Bi. 11% enthalten sich. Wobei zu vermuten ist, dass sich unter diesen 84% einige Falschaussagen befinden. Sei es wegen der Religion, Enthaltungen oder transgender. Die reale Anzahl der strickten Heteros liegt bei 5%. Nicht gerade viel. Und du willst mir sagen, dass du so ein seltenes Juwel bist?“ Joshua bedrückt zu erleben, war bedrückend. Aufgemuntert und triezend war er jedoch schlecht für mein Herz. Ich fand es schön, dass er mit Statistiken um sich warf. Diese kannte ich übrigens selber. Trotzdem musste er mich dabei nicht so amüsiert-fixiert ansehen… „Ich bin kein Juwel. Ich bin normales Mittelmaß. Klassisch und langweilig.“ Joshua sah zur Seite und beobachtete die Passanten. Schließlich deutete er auf einen Mann mittleren Alters in einem grauen Anzug mit Aktentasche. „Für mich ist er normales Mittelmaß. Und der da wäre Mittelmaß und langweilig.“ Joshua zeigte auf einen Jugendlichen in schwarzen Jogger und einem Hoody, die Kapuze über den Kopf gezogen und eine dieser schlabbrigen Männertäschchen um die Schulter geschwungen. „Ohne Täschchen und mit Kopfhörern und einem Buch könnte ich das sein.“ „Bei dir würde das ein ganz anderes Bild ergeben.“ Ich schnaufte des Komplimentes wegen und schwieg. Joshua sah sich weiter um. Diesmal deutete er auf eine Frau mit süßem, knielangem Rock und einer Bluse, alles in sanften Pastellfarben. Ihre Haare waren offen und wehten beim Gehen. Ihr Gesicht war süß und streng zugleich. „Was hältst du von ihr?“ „Hmm, Mittelmaß.“ „Und die Dame mit dem unheimlich wichtigen Kostüm da drüben?“ „Zu steif. Ihr Gesicht sie aus wie eine getrocknete Pflaume.“ „Stimmt“, sagte Joshua und ich hörte das Grinsen in seiner Stimme. Davon beflügelt fragte ich: „Gibt es unter all den Passanten jemanden den du als adrett oder cool bezeichnen würdest?“ Joshua sah sich eine Weile um. Er zeigte auf gerade Mal zwei Leute. Eine Frau mit langen, leicht gewellten, brünetten Haaren. Sie trug Jeans und ihr Makeup war dezent. Und einen Mann mit grauen Augen und kantigem Gesicht. Seine Haltung war entspannt und die Hose betonte seinen Hintern. Seine Hände hielten ein Notebook, doch waren die Finger zu lang. „Nur zwei von so vielen?“, fragte ich nach. „Na ja. Die Person auf die diese Beschreibung am besten zutreffen würde, sitzt vor mir und ist leider nicht unter den Passanten zu finden.“ Ich schloss kurz die Augen und versuchte nicht rot zu werden. Darum tat ich so, als hätte ich nichts gehört. „Wie ärgerlich. Wenn ich fragen darf, was genau hat dich an den beiden fasziniert? Die Frau hatte zwar schöne Haare, aber ihr Modegeschmack war solala. Der Mann hatte viel zu drahtige Finger und seine Augen sind grau wie deine. Das passt doch nicht zusammen.“ Joshua wandte sich mir wieder vollends zu. Sein Lächeln feist und mit einem Hauch verspielter Boshaftigkeit. Ich schluckte unmerklich und nahm einen großen Schluck von meiner Cola. Als ich wieder aufsah, musterte mich Joshua immer noch, aber normaler. Innerlich atmete ich erleichtert aus. „Interessant was du dir von den beiden gemerkt hast. Und du stehst wirklich nur auf Frauen?“, fragte Joshua nach. „Hatte ich bereits erwähnt.“ „Hm, glaube ich nicht. Jedenfalls nicht nur.“ Ich sagte nichts und trank noch einen Schluck. „Die Frau hatte deutlich mehr zu bieten als nur ihre langen Haare. Die Brüste, Lippen und Taille hast du gar nicht beachtet. Dafür hast du aber den Mann ziemlich genau betrachtet. Du wusstest sogar seine Augenfarbe. Bei solchen Aussagen könnte man glatt denken, du stehst zumindest zum Teil auf Männer.“ Ich prustete in meine Cola. Zu laut stellte ich sie auf den Tisch und beugte mich zur Seite, um das Verschluckte abzuhusten. War er denn… war er denn bescheuert?! Sowas konnte er doch nicht ohne Vorwarnung bringen! Während ich nach Luft hustete, spürte ich eine Hand auf meinem Schulterblatt. Joshua redete mit dem Kellner und spendete mir Komfort. Ich hustete noch etwas nach, aber nur, weil mein Herz spontan einige Hüpfer tätigen musste. „Alles in Ordnung?“, fragte Joshua als ich wieder aufrecht saß. Ich wischte mir mit der Serviette den Mund ab und lehnte mich im Stuhl zurück. „Ja, danke.“ Sekunden später wurde unser Essen gebracht und wir aßen schweigend. Als die akute Gefahr, am Steak zu ersticken, nicht mehr bestand, ließen wir auch die Albernheiten beiseite und besprachen unsere zukünftige Teamarbeit. Dies hier war ja kein Date, sondern ein Essen unter Kollegen. Kollegen konnten auch rumblödeln und ich war froh darüber, Joshua als Freund und Kollege näher gekommen zu sein. Das unangenehme Stechen hier und da, das Rutschen des mulmigen Gefühls in meinen Bauch wie ein unruhiges Kind vor seinen Süßigkeiten, schob ich konsequent beiseite. Wenn unser Rumblödeln qualitativ gewesen war, so war diese erste Teambesprechung quantitativ. Ich erfuhr so viel mehr über Joshua und er von mir, dass man es in Zockerkreisen als Cheating bezeichnen könnte. Zunächst erzählte mir Joshua alles, was ich noch unbedingt wissen musste. Dabei zeigte sich, dass ich noch sehr wenig wusste und mich in den Pausen und Ruhephasen des Experimentes unbedingt belesen musste. Joshua zog einen Stift von wer weiß woher und schrieb mir einige Buchtitel und Autoren auf die unbenutzte Serviette. Ich faltete sie und steckte sie sorgsam in meine Hosentasche. Beim Planen der Arbeitszeiten wurde es schwieriger. Da Joshua der Teamleiter war, ließ ich ihm den Vorrang. Ich erklärte, dass ich alleine lebte, schnell beim Labor war und sonst auch keine Verpflichtungen hatte. „Du bist in keinem Verein oder so was?“, fragte er nach. Ich verneinte nur und meinte, dass ich zwar ab und an mal Zocken würde, aber sonst kaum draußen war. Außer zum Freunde treffen, betonte ich, ließ aber weg, dass das seit Monaten nicht mehr der Fall war. Wenn ich mich so reden hörte, war mein Leben wirklich schrecklich langweilig geworden. Alles was ich lernte, waren Sprachen oder ich las Statistiken. Damit konnte ich mich einen ganzen Tag beschäftigen ohne mich zu langweilen. Nur der Hunger trieb mich hoch oder die Toilette. Ich konnte zwar ganz gut kochen, aber die Faulheit siegte oft genug, sodass sich schon einige Pizzaschachteln in meinem Flur stapelten. Anfangs war ich sogar joggen gegangen. Nun war es eher ein kurzer Spaziergang. Joshua erfuhr natürlich nur die Dinge, die nicht allzu peinlich waren und mich nicht als einsamen Junggesellen dastehen ließen. Ich brachte alles mit überzeugender Motivation heraus, also ging ich davon aus, dass er mir glaubte. Joshua lehnte sich mit einem Lächeln zurück und gab mehr von sich preis. Er war ebenfalls Alleinstehend. Allerdings wohnte er in der Innenstadt. Mit dem Auto war es gut zu schaffen, doch je nach Verkehrslage brauchte er eben länger. Das war ein Grund warum er lieber nachts arbeitete. Die Straßen waren dann immer in die entgegensetzte Richtung verstopft. Er hatte keine Haustiere, keine Vereine oder Kurse. Ich hätte am liebsten nachgefragt, wie es mit Freunden aussah, denn scheinbar hatte er sich mit Elias ziemlich lange nicht mehr privat getroffen. Es konnte doch schlecht sein, dass wir beide so spärlich aufgestellt waren…? Das Joshua keine Haustiere hatte, ließ mich aufhorchen. Ich war mir jetzt sicher, dass weder Elias noch Joshua damals über einen Hund gesprochen hatten, als sie von Welpen redeten. Elias hatte sich am Vormittag bereits verraten und Joshua eben gerade. Das bedeutete, dass die Beiden über jemanden gesprochen hatten, den sich Joshua aneignen wollte. Den Wortlauten nach konnte es sich nur um einen neuen Partner handeln und dummerweise dachte ich dabei zuerst an mich. Warum sonst hätte Elias gesagt, dass Joshua so zuversichtlich geklungen hatte? Und hatte eben dieser nicht vor einer halben Stunde gestanden, dass er mich zu einem Date hatte einladen wollen? Mein Herz machte einen neuen Sprung und meine Gedanken wurden so wirr und ungreifbar, dass ich es aufgab tiefer darüber nachzudenken. Denn Fakt war ebenso: Wir waren Kollegen und Joshua trennte Privat und Arbeit akribisch, wie es schien. Und ich selbst hatte ihm vorhin mehrfach einen Korb gegeben. Nachdem wir unsere Arbeitszeiten geklärt und bezahlt hatten, schlenderten wir noch etwas durch die Straßen. Wir richteten uns nach Joshuas Arbeitszeiten. Von Samstag bis Montag wären wir tagsüber im Labor von Dienstag bis Donnerstag nachts und Freitag war frei. Mir gefiel der Plan ziemlich gut und es machte mich nervös daran zu denken, wirklich mit dem Grafen der Nacht zusammenzuarbeiten. Vielleicht, dachte ich bei mir, könnte ich dann noch mehr Gerüchte lüften und bei der Entstehung neuer dabei sein. Wie auch immer. Mir war flau im Magen und ich kannte den Grund… es war das übliche „Weinen über vergossene Milch“, wie Binks sagen würde. Ich trauerte den Körben hinterher, die ich Joshua gegeben hatte. Er interessierte mich schon. Wie bisher noch keines meiner Dates oder Nicht-Dates. Aber wenn ich nur daran dachte, vielleicht doch auf ihn zuzugehen, hielt ich automatisch an. Es war zum verrückt werden! Eigentlich würden sich Typen wie er nicht für Typen wie mich interessieren. Davon ging ich immer aus und sprach darum die coolen Typen nie an. Aber Joshua hatte es bereits selbst gestanden, mir Komplimente gemacht, wenn nicht sogar geflirtet! Oder redete ich es mir wiedermal nur schön? Ich seufzte schwer und wurde durch einen unsanften Ruck an meiner Schulter aus meinen Gedanken gerissen. Verwirrt blinzelte ich. Wo kamen all die Menschen her? Wir waren nur geradeaus gegangen und nun war alles voller Menschen? Suchend drehte ich mich um mich selbst, fand aber keinen Joshua. Hatte er mich stehen lassen? Oder sich verabschiedet? Verdammt! Ich war viel zu sehr in Gedanken gewesen. Ungewollt wurde ich nervös. Es lag nicht an den Menschen, die störten mich nicht. Aber das Gefühl alleine zurück gelassen worden zu sein, war schockierend und beängstigend. Sicherlich würde ich mich gleich wieder fangen, durch die Menschen kämpfen und mit erhobenem Haupt und geknickten Herzen heim gehen. Es war nichts Besonderes, aber auch nichts, was ich unbedingt erleben wollte. „Mael.“ Nochmal sah ich mich um. Mein Puls war zu schnell und das Adrenalin ließ meine Arme und Beine kribbeln. „Mael!“ Ich wurde an der Schulter herumgedreht und starrte in wütende, besorgte und erleichterte graue Augen. Ein Gefühlscocktail der besonderen Art, der bemerkenswert klar zu erkennen war. Schöner wurde es, als die Erleichterung überwog und auch meine anfängliche Panik verschwand. „Ich sagte doch, da kommt eine Horde Touristen. Hast du mir nicht zugehört?“ Ich blinzelte und riss mich von den grauen Augen los. Um uns herum lichteten sich die Reihen der Menschen. Die Traube von Touristen, die wer weiß woher gekommen war, verteilte sich auf die Geschäfte, die hinter uns lagen. Ich schmunzelte etwas verlegen. „Nein, sorry, hab ich nicht.“ Joshua schnaufte. Er fuhr sich durchs Haar und zog damit einige Blick der Umstehenden auf sich. Meinen auch. „Man… Dabei habe ich dich noch gerufen.“ Ich legte meinen Kopf schief. „Ich habe niemanden rufen gehört“, gestand ich. Eine Sekunde zu spät dämmerte es mir und ein heißkalter Schauer durchfuhr mich. Ich glaubte sogar meine Nackenhaare stellten sich auf. Trocken schluckte ich. „Wie … hast du mich gerufen?“ „Mael.“ Ich bekam Gänsehaut! Es war dreimal schlimmer als letzte Woche, als er beim Telefonat einfach so Max gesagt hatte. Joshua beobachtete meine Reaktion und verteidigte sich sogleich. „Ich hatte dich doch gefragt, ob ich dich beim Namen nennen darf.“ Es machte klick und ich schlug mir gedanklich auf die Stirn. DAS hatte er gemeint?! „Ich dachte du sprichst von meinem Erstnamen. Den kennst du doch schon, darum hatte ich mich gewundert, warum du überhaupt fragst. Keiner nennt mich beim Zweitnamen! Nicht mal meine Eltern. Wie hast du den überhaupt rausbekommen?“ Joshua verkrampfte sich, aber das beachtete ich nicht. Ich wartete auf eine Antwort und die kam etwas stockend. „Als McFloyd mir deine Akte zeigte, stand da dein voller Name und auch in deinem Bericht in der Kopfzeile war der zu lesen.“ Diesmal schlug ich mir wirklich auf die Stirn. Natürlich. Die Kopfzeile. Wie dumm konnte ich eigentlich sein? „Magst du den Namen nicht?“, fragte Joshua nach. Ich seufzte schwer. „Das ist es nicht. Ich bin es nur nicht gewohnt. Ich wurde zuletzt so genannt als ich vier oder fünf Jahre alt war.“ Als ich noch der Stolz meiner Eltern gewesen war und nicht meinen eigenen Charakter und Idealismus entwickelt hatte. Dieser Name erinnerte mich einfach zu sehr an die Zeit, als meine Eltern mich noch mochten… Joshuas Blick verweilte auf mir. Er schwieg sich einige Sekunden aus, ehe er seine Stimme mit sanfter Bestimmtheit erhob. „Max Mael Finnigan. Klingt gut. Beide Namen haben etwas an sich, dass dich gut charakterisiert. Darf … ich dich denn trotzdem Mael nennen?“ Ich spürte Joshuas bohrenden, fragenden Blick, doch konnte ich nicht Aufsehen. Sowie er mich Mael nannte, bekam ich einen Herzkasper und ich fühlte mein Gesicht glühen. Mit zusammengepressten Lippen und roten Wangen, blickte ich zur Seite. Am liebsten hätte ich Joshua an den Kopf geworfen, dass er mich doch nennen sollte, wie er wollte. Oder wenigstens ein „Mach doch was du willst“, entgegen gekrächzt. Leider war mein Hals vollkommen kratzig und zugeschnürt. „Mhmh“, brummte ich bestätigend. Kapitel 8: Zusammenarbeit ------------------------- Kapitel 8: Zusammenarbeit Nachdem ich die Peinlichkeit um meinen Namen heruntergeschluckt hatte, spazierten wir zurück zum Lindenpark. Der Brunnen, an dem wir uns getroffen hatten, war leer und kein Wasser plätscherte mehr. Wir sprachen nicht viel. Ich hatte mich noch für den schönen Abend bedanken und für das verkappte Date entschuldigen wollen, brachte aber keinen Ton heraus. Schließlich schob Joshua seine Hände in die Hosentaschen und sagte schlicht: „Bis Morgen.“ Ich nickte und schaffte ein ehrliches Lächeln. Ich freute mich auf den nächsten Tag. Wirklich. Erst da fiel mir ein, dass Morgen Dienstag war und wir direkt mit einer Nachtschicht beginnen würden. Ich zückte mein Handy und schrieb Elias, wie ich demnächst Arbeiten würde. Als Abteilungsleiter sollte er wenigstens mal davon gehört haben. Ruhiger steckte ich mein Handy in die Hosentasche und stutzte, da diese besetzt war. Ich zog die Serviette heraus und betrachtete die darauf geschriebenen Wörter. Joshua hatte eine wirklich schöne Handschrift. Und wie das mit den Verknüpfungen im Gehirn so war, hallte seine Stimme in meinem Kopf wider, meinen Zweitnamen rufend. Ich spürte, wie ich rot wurde und schüttelte schnell den Kopf. Verdammt, verdammt, verdammt! Es war nur ein Name! Ein einfacher Name! Wie konnte der mich so aus der Fassung bringen? Zugegeben, wenn ich ehrlich war, war es nicht mein Name an sich, sondern wie Joshua ihn ausgesprochen hatte. Ich seufzte schwer und von Herzen. Dann hakte ich den Tag ab und ging heim. Ich schlief diese Nacht gut. Eigentlich schlief ich die nächsten Tage immer gut. Auch wenn ich tagsüber den Schlaf aus den Nachtschichten nachholen musste. Die Zusammenarbeit mit Joshua war ein bisschen so, wie ich es mir vorgestellt hatte und dann wieder nicht. Seine Einführung und Anweisungen waren präzise und er war geduldig mit mir. Ich denke ich konnte seine Erwartungen ein bisschen erfüllen. Hoffte ich zumindest. In den Pausen war er lockerer. Es stellte sich ein gewisser Rhythmus ein, den wir auch tagsüber umsetzten. So war es nachts nichts Besonderes, wenn ich mit Joshua zur Küche ging, um uns einen Kaffee zu machen, tagsüber jedoch … Wenn Joshua nicht gerade angestarrt wurde, sprachen die Kollegen ihn an. Es waren gute, fachliche Fragen, meistens. Von den Damen jedoch kamen immer mal wieder ein paar persönliche dazu. Als Maria, die Sekretärin, einmal dazu gekommen war und Joshua umtanzte wie eine Biene eine Blume, kam mir beinahe der Kaffee hoch. Zu meiner Enttäuschung ließ Joshua all das über sich ergehen. Zwar wirkte er zurück im Labor etwas erschöpft, aber er beschwerte sich nie. Ich hingegen verlor beinahe jedes Mal meine gute Laune und verzog mich mit den zu lesenden Unterlagen an meinen Tisch. Ich las sehr viel dieser Tage. Daheim oder auf Arbeit, wenn es reichte, dass nur eine die Proben handhabte. Joshua sagte nichts dazu. Manchmal setzte er sich zu mir und wir besprachen eine Statistik oder eine These. Die Tage verflogen wie nichts. Ratzfatz waren zwei Wochen vergangen. Ich war endlich und offiziell nicht mehr in der Probezeit, was mich doch sehr erleichterte. Geändert hatte sich durch diesen Umstand nichts, außer dass ich mich jetzt etwas entspannter fühlte. Joshua kannte ich nun seit einem Monat. Daran, dass er mich Mael nannte, hatte ich mich immer noch nicht gewöhnt. Besonders peinlich war es mir gewesen, als Elias davon erfahren hatte. Seitdem Joshua und ich ein Team gebildet hatten, überzogen wir morgens oft. Das hatte zur Folge, dass Elias und wir noch eine Weile zu dritt im Labor rumlungerten. Neugierig wie eh und je, fragte Elias mich zu meinem Zweitnamen aus. Artig antwortete ich ihm und hatte das Gefühl mein letztes bisschen Würde vor ihm zu verlieren. „Dann darf ich dich auch so nennen?“, fragte Elias ausgelassen. „Nein“, kam es doppelt. Verwundert sah ich zu Joshua, der nur entschuldigend die Arme hob. Ich mein … das war die Antwort, die ich sagen wollte, aber warum antwortete er synchron mit mir? Ich schob den Gedanken weg und erklärte Elias, dass ich diesen Namen nicht verbreiten möchte. Elias nickte verständlich und hörte mit den Sticheleien auf. Dankend wandte ich mich der vorerst letzten Schrift auf meinem Schreibtisch zu und bemerkte dadurch nicht, wie feist Elias hinter meinem Rücken grinste oder wie Joshua die Schultern hob. Hätte ich mich doch nur umgedreht, wäre mir diese mimische Unterhaltung nicht verborgen geblieben. Es war Freitagfrüh, als ich endlich in meinem Stuhl zurücksank und die Decke durch meine Augenlider hinweg anstarrte. Mir summte der Kopf. Nachdem ich in dieser Nacht die letzte Schrift fertiggelesen hatte, behauptete ich großspurig jetzt noch die bisherige Ausarbeitung von Joshua lesen zu können, da gerade nicht viel los war. Joshua hatte nichts dagegen, sagte aber, dass ich das auch ruhig am Wochenende machen könnte. Aber der Ehrgeiz hatte mich gepackt. Ich dachte, dass wenn ich all das gelesen hätte, wäre ich auf dem gleichen Stand wie Joshua. Jetzt schwirrte mir der Kopf von all den Fachbegriffen und ich sah Auswertungszahlen vor meinen Augen tanzen. Ich war ein Idiot. Joshuas Klasse würde ich durch bloßes Lesen nie erreichen können! Ein leises Geräusch ließ mich träge den Kopf drehen. Auf meinen Arbeitstisch stand eine Tasse, leise vor sich hin dampfend. Der Hand folgend, welche sich zurückzog, fand ich schnell die hellen grauen Augen. „Mach Schluss für heute“, sagte Joshua und ging zu seinem Tisch. Ich nickte und beugte mich vor. Er hatte mir Tee gebracht. Nun … betrachtete man meinen derzeitigen Kaffeekonsum, war das wohl die bessere Wahl. Ich starrte in die dampfenden Wolken. In diesen zwei Wochen hatte ich mich nicht daran gewöhnt, Joshua direkt in die Augen zu sehen. Oder dass er mich Mael nannte. Ab und an meinte mein Herz einen Hüpfer machen zu müssen. Dann schlug es mir bis zum Hals oder mein Puls raste von einem Moment auf den anderen. Die ersten Male hatte ich es ignoriert, aber mittlerweile fiel mir gerade das schwer. Überlegungen dieser Art stellte ich immer mal wieder an. Meist wurde ich unterbrochen, wie heute durch Elias. „Max, du siehst ziemlich geschafft aus.“ „Danke, so fühle ich mich auch.“ „Er hat alles fertiggelesen. Sogar die aktuelle Ausarbeitung“, sagte Joshua. „Wow. Eh, warte, die Aktuelle?“, fragte Elias. „Jupp“, erwiderte Joshua. Ich nickte nur schwach. „Ohhh wie gemein! Ich wollte sie auch lesen.“ Joshua drehte sich in seinem Stuhl und maß Elias streng. „Du kannst sie lesen, wenn sie fertig ist, wie jeder andere auch. Mael arbeitet mit mir zusammen. Natürlich muss er es lesen, um mitdiskutieren zu können.“ Da, wieder … ein kleiner Aussetzer und ich musste mich konzentrieren um nicht rot anzulaufen. Diesmal war es nicht nur mein Name, sondern auch, dass Joshua so klar verdeutlichte, dass ich ein mitbestimmendes Teammitglied war. Ein gleichwertiges, dass mit ihm zusammen an einem so tollen Projekt arbeitete und nicht nur dümmlich nebenherlief. Das hatte Joshua von Anfang an getan. Auch bei den neueren Ergebnissen fragte er mich nach meiner Meinung. Letzte Woche hatte ich kaum antworten können, aber nun? Von ihm so hochgeschätzt zu werden, freute mich unheimlich. Zugleich spürte ich Missmut in mir rumoren. Mein Kopf auf den Handballen gestützt, schielte ich an Elias vorbei zu Joshua. Das Halbprofil seines Gesichts war ebenso sehenswert wie alles andere an ihm. Wenn er mit Elias diskutierte, sah ich kleine Besonderheiten. Zum Beispiel, dass er flüchtig den Mundwinkel nach oben verzog und die Augenbrauen etwas nach unten, wodurch seine Böse-Bub-Aura aufblitzte. Oder dass er die Augen verdrehte, wenn Elias zu überschwänglich wurde. Oder dass, trotz dessen er in einem Gespräch war, flüchtig zu mir schielte und schnell wieder weg. So wie jetzt gerade. Doch Joshua lief nicht rot an oder wirkte peinlich berührt. Ich indes lächelte vor mich hin. Ach verdammt, ich sollte meinen Tee trinken. Kurz bevor wir in unseren wohlverdienten Feierabend gehen wollten, fing Elias an mich zu belehren. Ich sollte mich doch bitte mehr bewegen. Dabei hatte ich nur kurz über meinen steifen Nacken geklagt. Das kam halt beim Lesen! „Ich hatte vor morgen Abend joggen zu gehen“, gab ich als Erklärung ab. War mir aber sicher, dass ich es im Endeffekt nicht tun würde. „Du joggst?“, fragte Elias. „Nicht mehr wirklich. Anfangs war es mehr, aber alleine ist es mir doch zu langweilig.“ „Geh du doch mit ihm joggen“, sagte Elias und ich wandte mich verwirrt zu ihm um. Elias hatte nicht mit mir geredet, sondern mit Joshua, der gerade nur elegant den Kopf zur Seite legte und eine Augenbaue hochzog. „Josh, du joggst auch?“, fragte ich unnötig nach, aber mein Kopf war schon zu lahm zum Mitdenken. „In letzter Zeit auch weniger, aber ja.“ Joshua dachte einen Moment nach, ehe er hinzufügte: „Elias hat aber Recht, wir sollten uns mehr bewegen. Wenn du magst, würde ich gerne mit dir joggen gehen.“ „Ja, klar. Von mir aus gerne“, erwiderte ich etwas steif, aber das schien keiner außer mir zu bemerken. Nachdem wir uns ausgecheckt hatten, bog Joshua zum Parkplatz ab und ich zur Tram. Erst als sich die Straßenbahn in Bewegung gesetzt hatte, ließ ich mich vollends in meinen Sitz gleiten. Ich sah mein Spiegelbild in der Scheibe und selbst dort waren meine Wangen rot. Schien ganz so, als könnte ich mich doch nicht drücken … Der Samstag kam und die Tagschicht verlief in ruhigen Bahnen. Joshua ließ mich die Überprüfungen machen, assistierte oder sah nur zu. Anschließend saßen wir beisammen und diskutierten. Beim Lesen hatte ich mir einige Notizen gemacht, zu denen Joshua mir nun Rede und Antwort stand. Es war ein rein fachliches Gespräch. Wir beide waren hoch konzentriert und ich möchte meinen, keiner würde in solch einer Situation an was anderes als die Arbeit denken. Trotzdem freute ich mich. Ich konnte nicht mal wirklich benennen warum. Ob es das Gesprächsthema war, der Gesprächspartner oder die Tatsache überhaupt nach all den Monaten jemanden zum Fachsimpeln gefunden zu haben. Ich freute mich einfach. Kurz vor achtzehn Uhr machten wir Feierabend. Ich lief auf Toilette um mich umzuziehen. Meine Sportsachen bestanden aus einer langen Leggins und einer weiten Shorts drüber, einem engem Laufshirt über das ich einen lockeren, dünnen Pulli zog. Farblich war ich dunkel unterwegs. Nur meine Laufschuhe waren knall Grün und Blau. Im Labor hatte Joshua meine Abwesenheit genutzt, um sich ebenfalls umzuziehen. Er trug eine lockere sportliche Jogger, ein Shirt und eine Laufjacke, die er gerade zuzog. Ich ließ meinen Blick auf seine Schuhe wandern, um nicht an seinen, vom Shirt definierten, Oberkörper zu denken. Seine Schuhe waren Blau und Grau, die Hose war schwarz und die Laufjacke dunkelgrau mit Reflektoren. Vorbildlich. „Fertig?“, fragte ich und ignorierte meine kratzige Stimme. „Ja.“ Joshua schulterte seine Tasche und ich stellte meine zeitgleich ab. „Nimm sie ruhig mit.“ „Läufst du etwa mit Gepäck?“, fragte ich etwas verwirrt. Joshua schüttelte leicht den Kopf und trat auf mich zu. Er griff nach meiner Tasche und reichte sie mir. Dabei war er mir so nah wie noch nie. „Nimm sie mit. Wir lassen die Taschen in meinem Auto, dann müssen wir nicht noch mal ins Labor.“ „Ok.“ Ich nickte und schaffte es ungerührt in die so nahen Augen zu sehen. Mein Glück war, dass man lautes Herzklopfen noch nicht hören konnte. Ich folgte Joshua aus dem Labor und dem Gebäude heraus, hin zum Parkplatz und seinem Auto. Das Auto wirkte sportlich, aber auch stadttauglich. Ein Fünftürer mit getönten Scheiben, komplett in mattiertem Dunkelblau. Im letzten Licht des Tages sah man das Blau noch etwas herausschimmern. Doch ich konnte mir vorstellen, dass das Auto bei Nacht eher schwarz wirken musste. Joshua öffnete die Kofferraumklappe und legte seine Tasche hinein. Ich tat es ihm gleich. Nachdem die Klappe zu und das Auto abgeschlossen war, steckte Joshua den Schlüssel in seine Jackentasche. Wir dehnten uns noch etwas auf dem Parkplatz. Dann liefen wir los. „Josh? Wo willst du eigentlich hin?“ „Egal. Es ist eine Weile her, also lass uns entspannt laufen.“ „Hm, ok.“ Ich hatte erst überlegt, welche Route wir am besten nehmen konnten, doch schlussendlich war dieser Gedanke komplett untergegangen. Wir liefen einfach los. Zunächst eine Weile auf dem Fahrradweg neben der Tramstrecke. Dann durch einen angrenzenden Park, durch eine ruhige Blockhausreihe hin zum nächsten Park. Joshua lief neben mir. Nur wenn es zu eng wurde, durch Passanten oder hervorstehendes Gestrüpp, wurde er langsamer und ließ mich vor. Ich schaffte es mich nur auf das Laufen zu konzentrieren. Mein Kopf wurde schön leer und leicht. Alles Unnütze ließ ich schlicht hinter mir. Es wurde bereits dunkler und bald wäre die Sonne hinter den ersten Hochhäusern verschwunden. Die Straßenlaternen gingen eine nach der anderen an. Ich steuerte auf einen Spielplatz zu. Dieser enthielt ein großes, metallenes Klettergerüst, Schwingstangen, einen metallenen Barren und eine übergroße Halbkugel. Diese besaß auf zwei Seiten kleine Stufen, womit man die Rundung nach oben hin erklimmen konnte. Zu einer Seite war sie mit leichten Dellen versehen, für die Wagemutigen, die einen schwereren Weg nach oben suchten. Warum sie die vierte Seite nicht auch noch mit Kletterutensilien ausgestattet hatten, wusste ich nicht. Vielleicht diente es schlicht der Optik, wer wusste das schon genau. „Na?“, fragte ich etwas atemlos. „Lust auf einen kleinen Parkour?“ „Hab ich noch nie gemacht, aber wenn du vormachst, mach ich es nach.“ Joshua klang weniger außer Atem als ich. Das war fies. Aber gut. Vielleicht könnte meine kleine Kür ihn ja beeindrucken? „Dann pass gut auf!“ Ich begann mit flinken Tritten und Sprüngen auf das große Klettergerüst zu kraxeln. Oben angekommen, schwang ich mich an einigen Streben hinab und sprang aus zwei Metern Höhe ab, um fachmännisch auf dem weichen Untergrund zu landen. Wieder stehend klopfte ich den Sand von meinen Händen. „Jetzt du.“ Joshua hob eine Augenbraue. „Du bist ja richtig gelenkig. Und das nach all dem Sitzen und Lesen.“ „Hehe, dafür werde ich morgen Muskelkater haben“, gab ich lachend zurück. Zu der gehobenen Augenbraue gesellte sich ein fieses Grinsen. Ich schluckte, weil es Joshua wieder eine verspielt-böse Art gab. „Ja, das glaube ich auch.“ Ich verschränkte die Arme und nahm eine abwartende Pose ein. Ein guter Bluff, denn mir fiel kein guter Konter ein. Joshua setzte sich in Bewegung und war in wenigen eleganten Schwüngen und Drehungen oben auf dem Gerüst. Mit der Straßenlaterne im Rücken könnte er auch der Superschurke in einem Blockbuster sein. Dann schwang er sich herunter und für einen Moment glaubte man wirklich, dass Schwerkraft für ihn nicht existieren würde. Joshua landete präzise neben mir. Seine Kür war perfekt, brillant, atemraubend. Aber sagen konnte ich nichts. Ich starrte ihn mit halb offenem Mund an und konnte mich erst Sekunden zu spät losreißen. Seinem Blick ausweichend, sagte ich: „Wer als erster auf der Halbkugel ist.“ Dann lief ich los. Vor uns lag die eingedellte Seite. Beide liefen wir direkt darauf zu und waren binnen Sekunden oben angekommen. Zeitgleich. Aus Reflex hatte ich in die Mitte der Kugel geschlagen. Dort war ein kleines, rotes X eingezeichnet, das nun von meiner flachen Hand bedeckt wurde. Auf meiner Hand lag die Größere von Joshua. Der Druck der Hand fühlte sich schwer an, aber angenehm. Ich starrte auf unsere Hände und mein Atem beruhigte sich langsam wieder. Joshua war der Erste, der seine Hand wegnahm. Er richtete sich auf und sah in den nun dunklen Nachthimmel. Die Sterne waren bereits aufgegangen und die wenigen, welche man durch das Licht der Stadt sehen konnten, leuchteten zu uns herunter. Um uns herum war es still geworden. Keine Spaziergänger weilten mehr im Park oder in der Nähe des Spielplatzes. Wir hatten die ganze Gegend für uns alleine. Es war ein wunderschöner Abend, aber ich starrte nur auf meine Hand auf dem X und spürte dieses Unbehagen in mir. Frustriert biss ich die Zähne zusammen und legte mich einfach auf den Rücken, alle Glieder von mir gestreckt. Beim Laufen war mein Kopf frei gewesen. Nun war alles wieder da und schien präsenter zu sein als jemals zuvor. „Du solltest nicht zu lange dort liegen. Es ist frisch geworden. Du verkühlst dich noch.“ Ich hatte die Augen geschlossen und hörte Joshua klar und deutlich. Als ich nicht reagierte, trat Joshua etwas auf der Stelle. „Hörst du? Mael, du-“ Ich öffnete meine Augen und sah ihn direkt an. Joshua hatte gestockt. Die Pause zog sich, ehe er seinen Satz beendete. „Du erkältest dich noch.“ Seine Stimme war sanft und nicht einen Hauch tadelnd. „Nur eine kurze Pause, ehe wir zurücklaufen. Leg dich doch dazu.“ Joshua zögerte. Dann legte er sich neben mich. „Der Boden ist kalt“, kommentierte er bitter. Ich lachte nur. „Ja, er ist kalt. Aber schau mal hoch.“ Es waren nicht so viele Sterne wie außerhalb der Stadt, aber ich mochte den Nachthimmel schon immer. „Man kann das W sehen.“ „Hm.“ „…“ „…“ „Mael, wir sollten weiter.“ „Ja, ist gut.“ Die Kälte des Bodens und der Blick in die Sterne halfen mir, mich zu beruhigen. Den Oberkörper bereits aufgerichtet, sah ich Joshua neben mir sitzen. Im nächsten Moment sollte alles Kopf stehen. Joshuas Anblick machte mich wieder nervös, darum hatte ich schnell von ihm weg und von der Halbkugel runter gewollt. Etwas zu hastig, stellte ich mein Bein auf und dachte ich würde es auf festen Untergrund abdrücken können, um dadurch aufzustehen. Doch mein Fuß erwischte eine der Dellen, auf denen wir hochgekommen waren. Ich verlor meinen Halt und griff um mich. Schließlich fiel ich und landete schmerzvoll auf meinem Rücken. Meinen Kopf stieß ich mir nicht. Dafür tat meine Taille umso mehr weh und ich bekam schwerer Luft. Es dauerte einen Moment, ehe ich den Grund für all das erkannte. Joshua lag auf mir. Nicht nur das. Wie auch immer er es geschafft hatte, die Arme um mich zu legen, hielt er mich fest an sich gedrückt. Mein Kopf war weich auf seiner Hand gelandet und das unangenehme Gefühl im Rücken, kam durch seinen Arm, den er um mich gelegt hatte. Ich hatte keine Zeit rot zu werden. Schnell befreite ich meine Arme und tastete nach seinem Kopf. Wir lagen im Schatten der Halbkugel. Hier war es noch dunkler. „Josh, Josh. Was soll denn das? Hey?!“ Er murrte und schüttelte leicht den Kopf. Mir schlug das Herz wild vor Panik. Als er sich langsam auf seinem Unterarm abstützte, kam die Erleichterung. „Hey“, sagte ich sanfter. „Was sollte das? Du kannst dich doch nicht einfach mit runter stürzen.“ „Was heißt hier mit runter stützten? Du hast dich beim Fallen an mir festgehalten und mich mitgerissen.“ Er schüttelte seinen Kopf und kniff die Augen zusammen. Tjaja, das kommt davon, wenn man den Kopf anderer schützt und nicht seinen eigenen, dachte ich bei mir. Milde gestimmt für seine Opferbereitschaft legte ich ihm beide Hände auf den Kopf. Vorsichtig fühlte ich, doch fand ich keine Wunde. An einer Stelle am Scheitel zuckte Joshua zusammen. „Wird wohl nur eine Beule. Glück gehabt“, schloss ich und ließ meine Hände bis in seinen Nacken sinken, ehe ich doch leise lachte. „Wenn du Montag mit einem Horn auf dem Kopf zur Arbeit kommst, was werden da deine Fans wohl zu sagen?“ Ich stellte mir vor wie Maria oder sonst wer schockiert umfallen würde, weil ihr kostbarer Graf zu den Dämonen gewechselt hätte. Ich lachte noch, während meine Finger in seinem Nacken halt fanden. Eine am Kragen der Jacke, die andere verweilte noch immer am unteren Ansatz seiner Haare. Joshua sah mir beim Lachen zu, ich spürte wie er näherkam, weil meine Arme nachgaben. „Du würdest mich so verunstaltet auf Arbeit gehen lassen?“ Seine Stimme war leise und dunkel, aber sanft mit einer Spur Verspieltheit darin. Ich schob meine Hand durch seine Haare und ließ sie vorsichtig auf der zukünftigen Beule verweilen. „Nein, ich würde dich öffentlich zu Schau stellen“, gab ich lachend zu. „Wie gemein.“ Ich grinste nur. „Wäre es dir lieber, ich ließe dich mit einem Hut rumlaufen?“ Obwohl als Graf der Nacht … „Oder ist es dir lieber, ich verstecke dich in einem Kämmerlein, sodass dich keiner außer mir zu Gesicht bekäme?“ Diesmal grinste Joshua. „Wenn du mein persönlicher Wächter bist, wäre mir das lieber.“ Mein Lachen hatte sich gelegt und ich schluckte schwer. Wieder blickte Joshua mich auf diese diabolische Art und Weise an, dass mir ein kalter Schauer den Rücken runterlief, während meine Wangen immer heißer wurden. Ich atmete flacher und konnte den Blick nicht von seinen Augen lassen. Dieses Grau schien selbst im Dunkeln zu leuchten. Mein Kopf war blank und doch fanden meine Lippen leise Worte. „Und wenn ich dich bitten würde, nochmal mit mir auszugehen?“ Joshuas Augen weiteten sich unmerklich und huschten suchend hin und her. Ich wusste nicht, was er suchte, doch seine Lippen waren so nah, dass ich sehen konnte, wie die Antwort auf meine Frage sich hervorkämpfte. Mich durchfuhr ein Anflug von Panik. Es fühlte sich an wie ein Schluckauf und ein Eisbeutel in meinen Gedärmen. Doch es reichte aus, um Joshua die Antwort zu verwehren. Mein Kopf hob sich die letzten Zentimeter bis zu seinem und ich beendete das zögerliche Zittern seiner Lippen mit den meinen. Sie schmeckten nach kalter Luft und noch ein bisschen nach Kaffee. Aber sie waren weich, obwohl sie so dünn waren. Da ich keine Reaktion erwartet hatte und auch keine kam, löste ich mich nach wenigen Sekunden von selbst. Das Blut, welches mir vorher zu Kopf gestiegen war, ebbte ab und stieß mich aus meiner tuffigen Vorstellung in die Realität zurück. Erschrocken ließ ich von Joshua. Mein Kopf schnellte zurück und traft den harten Boden, doch ich verzog keine Miene. Meine Hände lösten sich komplett von Joshua. Der Grund war mitunter, dass ich wieder klar denken konnte. Aber auch Joshuas Blick. Keine Ahnung, ob er verärgert oder verletzt über mein Verhalten war. Ich hätte es ihm im Moment auch nicht erklären können. Joshua räusperte sich und stand auf. Sobald er von mir runter war, stand auch ich auf. Einerseits war ich froh, nicht seine Antwort abgewartet zu haben, andererseits schollt ich mich dafür, ihn nicht auf andere Weise vom Reden abgehalten zu haben. Joshua stand immer noch mit dem Rücken zu mir. Keine Ahnung was er dachte. Doch ich für meinen Teil würde gerne nach Hause wollen. Von hier aus war es nicht weit und der Ersatzschlüssel lag versteckt unter der Türmatte. Meine Klamotten könnte ich mir auch morgen von ihm abholen, wenn wir beide einen kühleren Kopf hätten. Außerdem war das nur ein kleiner Kuss gewesen, nicht weiter tragisch. Obwohl… Erschrocken sah ich zu Joshua. Zwar hatte er gesagt, dass er mit mir auf ein Date gewollt hatte, aber da wir nun Kollegen waren, hatte er nicht gefragt. Zudem hatte er gemeint, dass er schlechte Erfahrungen mit Teamarbeiten hatte. Aus Rücksicht hatte ich nicht nachgefragt, aber was, wenn es daran lag, dass seine bisherigen Kollegen ihm verfallen waren? Immerhin war Joshua verdammt attraktiv und ich … ich … Unbewusst tat ich einen Schritt zurück und stieß gegen die Halbkugel. Meine Arme und Knie fühlten sich weich an, doch konnte ich mich noch irgendwie abfangen. Ich vernahm Sand knirschen und sah auf. Joshua kam auf mich zu. Sofort stand ich gerade und gab mich gezwungen locker. Die Hände in die Hüfte gestützt, lächelte ich automatisch. „Hey, eh Josh. Sorry, wirklich. Das eben … also“, ich hustete in meine Hand. „Du hattest Recht, es ist verdammt frisch geworden. Besser wir lassen das Laufen sein und gehen heim.“ Ich klopfte ihm auf die Schulter und machte mich zum Gehen bereit. „Warte.“ Ich blieb sofort stehen. „Ich kenne eine Abkürzung zum Parkplatz. Lass mich dich nach Hause fahren.“ Darauf hatte ich nun gar keine Lust! Ich wollte nur nach Hause und das am besten alleine! Ich musste über so vieles nachdenken, meine Gefühle ordnen und vor allem und zu förderst wollte ich Joshua nicht noch mehr auf die Pelle rücken. Keine Ahnung was von meinen Vermutungen nun stimmte oder nicht. Was ich schlussendlich tat, war hinter Joshua zum Parkplatz zu laufen. Folgsam und brav ließ ich mich von ihm nach Hause fahren. So saß ich im ledernen Sitz und schulte meine Mimik. Wir sprachen kaum. Hauptsächlich sagte ich die Richtung an. Es half etwas, sodass ich Joshua ein Lächeln schenken konnte, als ich ausstieg. Meine Tasche geschultert, winkte ich und sah den roten Lichtern nach. Ich nutzte diesen Schwung emotionaler Gefasstheit und ging in meine Wohnung. Die Tasche fiel in eine Ecke im Flur, meine Klamotten zog ich im Gehen aus und ließ sie liegen, ehe ich in die Dusche stieg und das Wasser aufdrehte. Der erste kalte Schwall ließ mich zusammenzucken, dann wurde das Wasser wärmer und prasselte mir ungehindert auf den Kopf. Mit geschlossenen Augen spürte ich, wie die Wärme in meine Muskeln drang. Joshua hatte Recht gehabt. Es war kalt gewesen. Aber an ihn zu denken, machte mich unruhig. Seit diesem blöden Essen ging es mir so. Jeden Tag ein bisschen mehr und nun … nun stand ich da. Biss mir auf die Unterlippe, so lange bis sie nicht mehr zitterte und ich vielleicht etwas Blut schmeckte. Erst dann traute ich mich den Kopf in den Nacken zu nehmen und das Wasser direkt auf mein Gesicht fallen zu lassen. Tief atmete ich ein, beruhigte mich. Für den Moment war mein Kopf leer und ich genoss diesen Zustand. Beim Waschen kehrte mein analytischer Teil des Hirns zurück und ging für mich alle Fakten durch. Joshua war ein Kollege. Er wollte nach einem Date fragen, tat es aber nicht, weil wir Kollegen waren. Ich hatte keine Anhaltspunkte warum genau er keine Teamarbeit mochte. Eine Möglichkeit wäre, die Unfähigkeit und Fehlerhaftigkeit anderer. Eine andere, dass er aufgrund seines guten Aussehens belästig worden war. Das alles waren nur Vermutungen. Aber wie sonst wäre sein Blick zu erklären, seine Reaktion? Ja, ich hatte wirklich mit dem Gedanken gespielt, ihn nochmal nach einem Date zu fragen. Aber mich nicht getraut. Nun fragte ich ihn und unterband seine Antwort mit einem Kuss! Auch wenn es nur ein kleiner Schmatzer war, aber unsere Lippen hatten sich berührt. Sie hatten … Gott, ich wollte gar nicht wissen, wie lange mein letzter Kuss her war. Ich warf mich ins Bett und zog mir die Decke bis zum Kopf. Üblicherweise machte ich mir einen Schlachtplan, ging Strategien und mögliche Reaktionen durch. Bei solchen Dingen jedoch wusste ich bereits, würden alle Vorbereitung nichts bringen. Ich war super schlecht im Vorhersehen menschlicher Reaktionen. Wenn ich morgen zur Arbeit käme, würde ich schon sehen, wie er sich verhalten wird. Bis gestern hatte ich mich nur einmal getraut die Initiative zu ergreifen. Damals war es bitterlich schief gegangen und diesmal konnte ich kaum leugnen, dass es anders gelaufen war. Gut, mir fehlte noch Joshuas Antwort, doch hatte ich Angst etwas zu hören, dass ich vielleicht nicht wollte. Etwas zögerlich zog ich meine Chipkarte durch den Scan und betrat das Foyer. Auf einen Sonntag war ich wirklich noch nie im Labor gewesen. Die Flure bei Tageslicht so verlassen zu sehen, empfand ich grusliger als nachts. Wie dem auch sei. Ich kratzte meine Courage zusammen und ging ins Labor. Gestern war schließlich nichts passiert, was ich nicht noch kitten könnte. Ich stellte meine Tasche neben den Tisch und den Kaffee neben die Tastatur. „Guten Morgen.“ Die Stimme erreichte mich, ehe ich mich in meinen Gedanken hätte verlieren können. Mein Kopf schoss hoch. „Guten Morgen.“ Joshua stand in der Tür und taxierte mich mit seinem Blick. Mein Herz machte einen Hüpfer und krampfte sich zusammen. War das anatomisch überhaupt möglich? „Bist du gestern gut heimgekommen?“, begann ich trotz seines Blickes in geübter Munterkeit. „Du hattest übrigens Recht gehabt. Beim Duschen hab ich gemerkt, wie kalt es gestern geworden ist. Ich bin anschließend gleich ins Bett, also entkomme ich vielleicht einer Erkältung. Allerdings graut mir vor dem Muskelkater.“ Joshua hob, während meiner Erzählung, eine Augenbraue, ehe er den Blick abwandte und zu seinem Tisch ging. „Ja, die Straßen waren frei. Aber heißt es nicht, nur Idioten erkälten sich?“ „Hmmm? War es nicht anders rum? Erkältungen meiden Idioten? Ich weiß es nicht mehr.“ Verlegen lachte ich. „Ich habe einen Kumpel, der dauernd mit solchen Binsenweisheiten um sich wirft. Er wüsste es sicherlich genau.“ „Dann frag ihn doch mal. Vielleicht kann er uns unwissende Laborratten erleuchten.“ Ich verzog etwas das Gesicht. Die Spitze war deutlich rauszuhören. Joshua schien nicht wirklich sauer zu sein, sonst würde er dieses Wir-Spielen-Normal nicht mitmachen. Aber verdaut schien er es auch noch nicht zu haben. Dafür war der Unterton doch etwas harsch gewesen. Ich seufzte innerlich, war aber zufrieden. Nehmen was man kriegen konnte, nicht wahr? Ich machte das Beste daraus. Achtsamer als vorher, schätzte ich ab, wann ich fachlich sein musste und wann ich einen kleinen Scherz machen konnte. Um von jener Sache abzulenken, erzählte ich öfters mal Anekdoten von Freunden oder aus meiner Kindheit. Es war mir ein leichtes mich aus dem Schussfeld zu reden. Schließlich hatte ich darin jahrelange Übung. Nachdem ich den Korb von meinen Crush bekommen hatte, waren die nächsten Tage, die wir uns in der Schule gesehen hatten, ziemlich ätzend gewesen. Ich wusste nicht wie ich mich verhalten sollte. Er jedoch tat so, als wäre nie etwas gewesen. Die ersten Tage redeten wir kaum, nach einer Woche schien alles vergessen. Nach einem Monat kam er wie früher von hinten angerannt, legte mir einen Arm um die Schulter und machte seine Scherze. Körperlich waren wir uns so nah wie gute Kumpel es eben waren. Emotional schien nur ich etwas zu empfinden. Das Geständnis hatte ich ihm unter vier Augen gemacht. Keiner unserer anderen Freunde wusste etwas davon. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und fragte ihn, das nächste Mal als wir alleine waren, was das sollte. „Ich weiß nicht, was du meinst.“ „Du weißt es genau. Ich hatte dir gesagt, wie ich mich fühle, aber du sagst einfach nur „Nein“, ignorierst mich ein paar Tage und nach einem Monat ist alles vergessen?“ „Max, was willst du eigentlich? Das Thema ist gegessen.“ „Aber nicht für mich! Glaubst du, ich kann das alles einfach so abschalten?!“, meine Stimme überschlug sich leicht. „Hör zu, ich habe mich wirklich in dich-“ Er trat auf mich zu und legte mir seine Hand auf den Mund. Sein Blick war so finster als wollte er mich direkt töten. Ekel und Ablehnung sprachen aus seinen braunen Augen. „Was auch immer du zu fühlen glaubst, ist nicht echt. Das bildest du dir nur ein. So was kann zwischen Kumpeln nicht entstehen, verstanden? Du wirst einfach nie wieder darüber reden oder daran denken. Und sollte dieser Quatsch von irgendjemanden gehört werden, Gnade dir Gott. Verstanden?“ Seine Stimme war kalt und die Worte niederschmetternd. Ich nickte und er ließ mich los. „Dann ist doch alles prima!“ Er klopfte mir auf die Schulter und ich grinste wackelig. „Sicher, alles prima.“ Das war das erste Mal, dass ich mich innerlich wie in Scherben zertreten fühlte und äußerlich einfach funktionierte. Am nächsten Tag war ich natürlich krank und blieb es für eine ganze Woche. Als ich wieder da war, beäuget er mich flüchtig und das wars. Wir sprachen nie wieder darüber und ich entwickelte mein „funktionieren“ bis zur Perfektion. Es gab immer mal Momente in denen ich mich unwohl fühlte. Sei es beim Vortragen vor der Klasse, beim ersten Besäufnis mit den Kumpeln, beim Einzug ins Wohnheim … es gab so viele Momente, aber das machte mir nichts mehr aus. Die Gefühle von Nervosität und Unwohlsein versteckte ich hinter einer perfekten Fassade aus angelesenem Wissen und erlernter Schauspielkunst. Darum fiel es mir auch bei Joshua nicht schwer mich wie der gute Freund und tüchtige Kollege auszugeben. Nicht mehr, nicht weniger. Am Montag in der Tagschicht plapperte ich Elias voll. In der Nachtschicht am Dienstag las ich oder fachsimpelte mit Joshua über verschiedene Themen. Mittwochabend war es kurz brenzlig geworden. Joshua war mir in die Küche gefolgt und sah mir, wie üblich, beim Kaffee kochen zu. „Mael?“ Mein Herz machte mittlerweile keinen Satz mehr, wenn ich ihn das sagen hörte. Es blühte für einige Sekunden auf und ließ meine Ohren kribbeln. „Was gibt’s?“, fragte ich gut gelaunt. „Schulde ich dir nicht noch eine Antwort?“ Für den Bruchteil einer Sekunde gefror ich in der Bewegung. „Nicht doch“, wiegelte ich freundlich ab. „Sicher nicht? Du warst weder betrunken noch high. Ich denke deine Frage war ernst gemeint. Da gehört es sich zu antworten.“ Ich drückte den Wasserkocher an und drehte mich zu ihm um. Meine Hände locker auf die Kante der Arbeitsplatte gelegt. „Nicht doch, nicht doch. Eigentlich müsstest du eine Entschuldigung von mir verlangen.“ „Wofür eine Entschuldigung?“ „Für den Sturz und die Beule.“ „Und mehr ist nicht passiert?“ Ich lachte flüchtig und meine Hände griffen fester und fester die Kante der Arbeitsplatte. „Mehr sollte nicht passiert sein, oder?“ Joshua fixierte seinem Blick auf mich. Ich spürte den Druck den er aufbaute, traute mich aber nicht ihn direkt anzusehen. Schließlich seufzte er hörbar und verließ die Küche. Als er raus war, sah ich an die Küchendecke und biss mir schmerzlich doll auf die Unterlippe. Der Wasserkocher blubberte laut vor sich her, ehe er sich abschaltete. Ich war doch geübt darin … warum fiel es mir gerade nur so schwer? Ich brachte Joshua seinen Kaffee, doch die Stimmung blieb diesen Abend ziemlich mies. Am Freitagmorgen erklärte Joshua, dass er das Wochenende daheim arbeiten würde. Er musste einige Seiten schreiben. Ich hinterfragte ihn nicht, sondern nickte es nur ab. „Soll ich dir dann die Ergebnisse der Überprüfung per Mail schicken?“ „Ja, kannst du machen.“ Damit war klar, dass ich am Wochenende allein im gruseligen Labor sein würde. Es war stinkend langweilig. Einfach nur langweilig. Um die Zeit totzuschlagen, wanderte ich durch die Flure und probierte den Zwischenweg aus, welchen Joshua mir in unserer ersten gemeinsamen Nachtschicht verraten hatte. Ich schmunzelte und drehte noch eine Extrarunde. Selbst wenn er nicht da war, brachte er mich zum Schmunzeln. Und wenn ich ihn sah, bekam ich sofort gute Laune. Ich gab es nicht gerne zu, aber die Regel Nummer Eins schien sich zu bewahrheiten. Eine alte Liebe vergaß man am besten mit einer Neuen. Zumindest dachte ich kaum noch an meinen Crush. Wenn ich die beiden gedanklich verglich, verlagerten sich Dinge wie Herzrasen und Unruhe auf Joshua. Als mich diese Erkenntnis traf, war ich so erleichtert, dass ich Joshua am liebsten direkt „Danke“ gesagt hätte. Da ich alleine im Labor war, war das nicht möglich und ich besann mich, dass ein schlichtes Danke nicht ausreichte. Zudem wäre es taktlos Joshua jetzt zu danken. Ich hatte noch immer nicht den Mut aufgebracht ihn zu fragen, ob ich zu weit gegangen war. Oder woran es lag, dass er keinen Kollegen haben wollte. Die Vorstellung kein Team mit Joshua mehr zu bilden, schnürte mir schlicht die Luft ab. Daher wollte ich alles tun, um das zu verhindern. Nun fast alles. Wie bereits erwähnt, schaffte ich es einfach nicht auf ihn zuzugehen. Auch das Gespräch in der Küche hatte ich klassisch abgewiegelt. Es war zum Teil Automatismus, zum Teil Feigheit gewesen. Je mehr mir bewusst wurde, dass ich Joshua mochte, desto mehr Schilde fuhr ich hoch. Schlussendlich saß ich da und seufzte von Herzen. Ein Teufelskreis! Montag waren wir wieder zu dritt im Labor. Elias und ich diskutierten über eine neue Studie, die sich mit der Beschaffenheit von Nährböden befasst. Ich fand es erstaunlich, dass es Forscher gab, die sich damit beschäftigten. Aber gut. Es gab wohl nichts, was nicht noch verbessert werden konnte. Joshua bereite die heutige Probe vor. Es fehlten aber noch Utensilien, die er flott besorgen wollte und so verließ er den Raum. „Nun sag schon. Was ist passiert?“, fragte mich Elias aus heiterem Himmel. „Was meinst du?“ „Zwischen dir und Josh. Du plapperst mich seit letzter Woche voll und wenn er den Raum verlässt, sinkt deine ganze Haltung. Sogar dein Gesicht wird trübe.“ WA-! „Stimmt gar nicht“, widersprach ich und schielte beleidigt zur Seite. Nicht rot werden, nicht rot werden, dachte ich zeitgleich. „Findest du nicht? Josh was meinst du dazu?“ Sofort saß ich wieder gerade und sah mich um. Keiner da. Shit… „Das zählt nicht“, murrte ich und lümmelte wieder in meinem Stuhl. „Das zählt“, beharrte Elias. „Nun sag schon, was passiert ist. Oder muss ich erst den Abteilungsleiter raushängen lassen, damit du redest?“ „Schon gut, schon gut“, sagte ich schnell und setzte mich etwas gerader hin. „Als wir laufen waren, ist etwas dummes passiert. Mehr nicht.“ Ich lehnte mich nach rechts zu meinem Schreibtisch und stützte meinen Kopf auf den Fingerknöcheln der rechten Hand ab. Die Kratzer von damals waren schon lange verheilt, narbenfrei. Elias sah mich mit verschränkten Armen an und wartete. Ich seufzte und ließ den Kopf hängen. „Ich hab ihn gefragt, ob er nochmal mit mir ausgehen würde.“ Elias hob eine Augenbraue und sein Blick hellte sich voller Neugierde auf. „Du meinst ein Date?“ Ich nickte und schielte auf meine Tischplatte. Ehe Elias weiter sticheln oder ich alles abwiegeln konnte, senkte sich ein Schatten von oben über mich. Eine rechte Hand legte sich flach neben meinen Ellenbogen auf den Tisch und links erschien der Rest des dazugehörigen Körpers. Mein Herz stoppte vor Schrecken und hüpfte vor Freude. „Du möchtest ein Date?“ Die Stimme kam von über mir. Ich wusste, es wäre besser nicht aufzusehen, doch meine Nackenmuskeln gehorchten mir leider nicht. Joshuas Blick war so eindringlich und dominant. Ungewohnt ernst und finster, mit mir unbekannter Erregung. Ich konnte nicht deuten, ob es gut oder schlecht war und meine Stimme entschied sich den Hals hinunter zu kriechen und stumm zu werden. „Du fragst nach einem Date, willst aber keine Antwort haben? Findest du das nicht etwas dreist?“ Die grauen Augen blitzen auf. Keine Ahnung wie er es machte, aber ich bekam langsam ein bisschen Angst und eine Gänsehaut auf meinen Unterarmen. Warum mein Puls dabei wie wild raste, verstand ich erst recht nicht. Ich schluckte und wollte mich zurückziehen, was natürlich nicht funktionierte, weil Joshua mich praktisch eingekesselt hatte. Um zu antworten schüttelte ich nur den Kopf. Ich traute mich nicht zu Lügen, denn ich fand es nicht im mindesten dreist. Unerwarteterweise verzogen sich die schmalen Lippen zu einem Lächeln. Einem wirklich fiesen, diabolischen Lächeln. „Möchtest du ein Date mit mir?“, fragte Joshua erneut und so bestimmend, dass ich mich nicht traute gestisch zu antworten. „Ja“, krächzte ich etwas atemlos mit wiedergefundener Stimme. Joshuas Gesicht heiterte sich augenblicklich auf. Etwas diabolisches blieb, aber es kleidete ihn nur umso mehr. Er richtete sich auf und nahm seine Hand vom Tisch. „Nun gut. Dann lass uns auf ein Date gehen.“ Er stand in voller Größe vor mir und sah mit leuchtendem Grau auf mich hinab. „Freitagabend, nachdem ich den Zwischenbericht abgegeben habe.“ Kapitel 9: Krankheit -------------------- Kapitel 9: Krankheit Joshuas Anweisung ließ mir keinen Spielraum um zu insistieren. Freitagabend hatten wir ein Date. Ein Richtiges. Ein Echtes. Während ich noch wie ein Blatt im Wind dasaß, wanderte Joshua gut gelaunt nochmals aus dem Labor. Eben hatte er nicht alles finden können und ist sporadisch zurückgekommen. Nur um … Mir stieg erneut die Hitze in den Kopf. Nur um zu lauschen und die perfekte Vorlage von seinem Best Buddy zu bekommen. Ich konnte all das noch immer nicht begreifen. Elias saß vor mir auf seinem Stuhl und sah äußerst zufrieden aus. „Endlich“, sagte Elias. „Weißt du wie anstrengend es mit euch ist? Vor allem Joshua. Immer, wenn er kurz davor war dich anzusprechen, kam was dazwischen. Als Zuschauer wurde ich langsam echt ungeduldig.“ Ich stützte meinen Kopf auf meiner Hand ab und starrte immer noch vor mich hin. Da Elias keine Antwort bekam, rollte er mit dem Stuhl näher und musterte mich. „Was ist los? Freust du dich nicht?“ Bei diesen Worten blühte mein Herz protestierend auf und ich wurde rot. Schnell sah ich zur Seite. „Doch. Das ist es nicht.“ „Sondern?“ Ich biss auf meiner Unterlippe rum. Es war schwer zu antworten, wenn ich selbst noch verwirrt war. Dennoch versuchte ich es. „Ihr seid anders…“ „Ja, schon klar. Wie meinst du das?“ Ich fuhr mir übers Gesicht und atmete tief durch. „Bisher da … hatte ich nur romantische Verhältnisse mit Frauen. Ich weiß selbst, dass ich auch Männern hinterher sehe, aber das war bisher immer irgendwie … nicht machbar… Darüber zu reden auch nicht. Und ihr … seid da so locker. Total lapidar als redeten wir über Käse… Das raff ich noch nicht ganz.“ Mein erstes Geständnis an einen Mann war so was von schief gelaufen. Dazu musste ich sagen, dass ich von meinen Eltern ein eher konservatives Liebesbild und Familienverhältnis vermittelt bekommen hatte. Als ich das erste Mal realisiert hatte, dass ich auch Männer attraktiv fand, war das ein riesiger Schock für mich. Ich dachte sogar daran mich dem Pastor anzuvertrauen, damit er mich gegebenenfalls exorzieren konnte. Zum Glück tat ich es nicht. Die Zeit verstrich einfach und ich erfuhr von externen Quellen, was außerhalb, der von meinen Eltern suggerierten Welt, noch alles möglich war. Liebe, Beziehungen in allen Formen und Farben. Männer und Männer, Frauen und Frauen. Frauen die Männer werden, Männer die Frauen werden oder sich überdreht wie welche Stylten. Menschen in falschen Körpern… Ich fasste Mut und dachte, wenn das alles möglich wäre, dann wäre nichts falsch daran, wenn ich auch Jungs und Männer attraktiv fand. Jahre später verliebte ich mich dann wirklich in einen männlichen Freund und nachdem ich den Mut aufgebracht hatte, ihm zugestehen was ich fühlte, hatte ich mit allem gerechnet. Nur nicht damit in die mittelalterliche Welt meiner Eltern zurückgedrängt zu werden. Diese Ansichten besserten sich als ich auf der Uni war. Hier gab es wirklich alles und keiner ließ sich von irgendwem etwas vorschreiben. Dennoch traute ich mich noch nicht, mich auf jemand festes einzulassen. Mein Herz hing einfach noch zu sehr an diesem Freund. Nach der Exmatrikulation war ich umgezogen und hatte mich damit abgefunden, dass mein Leben einfach so weiterlaufen würde. Mir einen Runterholen konnte ich auch alleine und es reichte aus, um das Verlangen nach mehr zu stillen. Seit ich Joshua kennengelernt hatte, wirbelte alles Bekannte durcheinander. Ich kannte die offene Art zu reden von der Uni. Prüde war dort keiner gewesen. Dennoch war es mit Elias und Joshua etwas gänzlich anderes. Die eigene Gesinnung gab man nicht sofort preis und doch wusste ich von Anfang an, worauf Joshua und Elias standen. Gut, Elias war außen vor mit Frau und Kindern. Elias lachte nur. „Käse… Ja, warum auch nicht?!“, fasste er sich wieder und rollte näher an meinen Schreibtisch heran. „Ist es denn etwas anderes? Käse ist Nahrung für den Körper und Liebe ist Nahrung für die Seele. „Hör zu, egal was aus euch wird, Josh ist niemand, der dir einen Strick aus deinen Neigungen dreht. Er ist auch eigen. Selbst wenn du nach eurem Date sagen solltest, er ist nichts für dich oder du kannst dich darauf nicht einlassen, ist es ok. Keiner verurteilt dich. Aber willst du nicht erstmal probieren, was dich erwarten könnte?“ Ich musterte Elias und mein Herz schlug schwer und aufgeregt. Schließlich senkte ich meinen Blick und nickte. „Entschuldige mich kurz“, meinte ich, stand auf und verließ das Labor. Ich fand mich auf der Bank von letztens wieder. Der Wind war kräftiger und es zogen mehr Wolken über den Himmel. Ich starrte ihnen nach und für eine ganze Weile wusste ich nicht, was ich fühlen oder denken sollte. Schließlich ließ ich meinen analytischen Teil des Hirns erneut arbeiten und trug alle Fakten zusammen: Ich war mir bewusst, was ich für Joshua empfand und war super neugierig, wie es an seiner Seite sein würde. Es mir vorzustellen, schaffte ich nicht, da sofort die Angst hochschoss. Eine Ablehnung, ein vernichtender Blick, verletzende Worte. Jedoch … was Elias gesagt hatte, ließ mich hoffen, dass Joshua wirklich tolerant genug war und mich nicht verurteilte. Egal, ob ich ihm gestand, was ich fühlte oder weiterer Nähe absagte. Der Gedanke daran ließ meinen Bauch wild kribbeln und meine Finger unruhig werden. Freitag. Ein Date. Ich sah in das Blau des Himmels, das durch eine Lücke zwischen den Wolken hervorblitzte und grinste unwillkürlich. Na gut. Ich probiere es! Mit gutem Gefühl kehrte ich ins Labor zurück. Mich erwartete das Übliche. Elias stand vor Joshuas Tisch und Joshua hatte alles bereitgelegt. Als ich reinkam, sahen beide zu mir. „Da bist du ja. Komm her. Ich würde gerne das neue Verfahren durchgehen.“ Meine Freude von Joshua so wie immer behandelt zu werden, wich fachlicher Genauigkeit. Ich eilte dazu. Damit ich nicht wieder ungeschickt hinter Joshua stehen würde, wollte ich mich zu Elias auf die andere Seite des Tisches gesellen. Doch noch während ich näherkam, wich Joshua etwas zur Seite, sodass wir beide gleich viel Platz vor dem Experiment hatten. Ich lächelte und trat an seine Seite. Es fühlte sich gut an. Zumindest bis ich das wissende Grinsen von Elias bemerkte. Schnell verschloss ich meine Mimik und blieb konzentriert. Zum Feierabend war ich erschöpft, aber überaus guter Laune. Joshua würde sich für die nächsten Tage ins Homeoffice zurückziehen. Er überließ es mir, ob ich des Nachts oder am Tag arbeitete, solange ich die wichtigen Daten sammelte. Dienstag und Mittwoch ließ ich mir die Nacht. Es war schön ruhig und ich hatte viel Zeit nachzudenken ohne schelmische Seitenblicke zu kassieren. Donnerstagvormittag war ich jedoch so nervös, dass ich mir nicht vorstellen konnte wie ich meinen freien Freitag überleben sollte. Ich wechselte kurzerhand Freitag in den Tag, um mich abzulenken. Jedoch stellte sich schnell heraus, was für eine schlechte Idee das gewesen war. Mit Elias an meiner Seite fühlte ich mich noch angespannter als alleine. Am späten Nachmittag kam Elias auf mich zu, das Handy in der Hand. „Max! Gut, dass du noch da bist, dann brauch ich dir nicht schreiben. Ich soll dir ausrichten, dass Josh es heute nicht schafft. Er wird dich aber morgen zu 12 Uhr hier abholen. Hm? Na, was soll da schon gegen sprechen?“ Den letzten Satz sprach Elias zu seinem Handy und tippte synchron eine Antwort. Ich nahm an, dass Joshua noch einen Nachsatz gesendet hatte, der Elias amüsierte und mich verdammt neugierig machte. „12 Uhr? Will er dann die Mittagspause nutzen, oder was?“ Wenn ich darüber nachdachte, hatte ich mir eigentlich ein Abendessen vorgestellt und nun ja … etwas mehr Zeit als eine halbe Stunde. Zudem morgen kein guter Tag für so was war ... „Warum nicht nach der Arbeit?“, fragte ich nach und fand es zugleich zu voreilig. Schließlich kannte ich seinen Terminplan nicht. Wenn er mich in die Mittagspause quetschte, obwohl er viel zu tun hatte, könnte ich mich doch glücklich schätzen, oder? Im nächsten Moment ging mir auf, dass Joshua heute seine Abhandlung zum ersten Teil einreichen wollte und dass er demnach den Samstag arbeiten kommen müsste, beziehungsweise mehr Zeit hätte! Etwas verwirrt und nicht wissend, ob ich mich nun freuen sollte oder nicht, verzog ich missmutig das Gesicht. „Besorgt?“, fragte Elias. „Warum sollte ich?“ Ich sah schnell zur Seite. Elias schmunzelte nur und steckte sein Handy weg. „Josh ist nicht nur auf Arbeit akkurat. Auch privat nimmt er Absprachen sehr ernst. Er würde dich nie absichtlich versetzen.“ „Und warum dann mittags und nicht abends?“ „Das musst du ihn fragen. So oder so freue dich drauf. Josh führt seine Dates immer elegant aus.“ Ich wurde leicht rot und wollte mich am liebsten rausreden. „Sicherlich ist er heute nur geschafft vom ganzen Schreiben. Ich wette mit dir, dass er die letzten Tage im Akkord gearbeitet und viel zu wenig auf sich geachtet hat. Das hat er schon zu Unizeiten immer so gemacht. Sicherlich muss er sich nur ausschlafen.“ Ich nickte und hoffte das Beste. Ich hatte bereits drei Tage auf dieses Date gewartet. Da könnte ich noch einen Tag länger warten. Bisher hatte ich noch kein Date mit einem Mann gehabt. Nicht mal einen One-Night-Stand. Mit Frauen war ich deutlich öfter ausgegangen, doch hatte keine meinen Geschmack getroffen. Dieses Date mit Joshua wollte ich wirklich haben. Selbst wenn es morgen nichts werden würde, so würde ich auf das Nächste warten. Immerhin schien es, als wollte Joshua es auch. Vielleicht würde morgen doch kein allzu dröger Tag werden. Da wir praktisch während der Arbeit essen gehen würden, zog ich mich von vornherein etwas vornehmer an. Ich betrachtete mich im Spiegel und gratulierte mir selbst. Auch in Hinblick auf das, was noch kommen möge. Samstag war wenig los und die meisten Kollegen achteten nicht darauf, was man unter dem Kittel trug. Ich brachte meine Hauptarbeit schnell hinter mich und vertrödelte den Vormittag in angespannter Vorfreude. Gegen halb Zwölf verließ ich das Labor und wartete im Foyer. Einige Kollegen marschierten an mir vorbei und grüßten mich. Ich wartete weiter und versank allmählich in grüblerische Gedanken. Hauptsächlich darüber, wie ich mich benehmen oder zeigen musste, um eine gute Figur zu machen. Ich bin mir sicher, dass ich, während dieser Denkarbeit, ziemliche Fratzen zog. Als ich das nächste Mal auf die Uhr sah, war es zehn nach zwölf. Ich wartete mit zunehmender Unruhe. Mein Magen verkrampfte sich so sehr, dass ich aufstand und hin und her lief. Die Zeit lief und Joshua kam nicht. Um halb eins zog ich meine Karte durch den Checkpoint und lief vor die Tür. Das Wetter war herrlich warm und es wehte ein leichter Wind. Draußen sah ich niemanden. Also zum Parkplatz. Die Autos, die heute hier parkten, waren sehr übersichtlich. Ein blauschwarzes Auto mit getönten Scheiben war nicht darunter. Nervös begann ich auf meiner Unterlippe zu kauen. Ob er verhindert wurde? Vielleicht waren die Straßen verstopft oder es gab einen Unfall und er kam nicht durch? Hoffentlich hatte nicht Joshua selbst den Unfall. Meine Gedanken rasten und ich wurde leicht panisch. Die Möglichkeit, dass er mich schlicht versetzt hatte, ohne Bescheid zu geben, kam mir gar nicht erst. Elias hatte selbst gesagt, dass Joshua akkurat war und es mit Verabredungen genau nahm. Es musste also einen triftigen Grund geben, warum Joshua mich derart versetzte. Wieder im Foyer wollte ich sofort ins Labor eilen und das Radio anschalten. Vielleicht würde ich den Verkehrsfunk noch abhören können oder nein, besser ich benutzte gleich mein Handy und sah im Netz nach. „Mr. Finnigan.“ Ich erschrak so sehr, dass ich mein Handy beinahe fallen ließ. Hinter mir stand McFloyd und musterte mich von oben bis unten. „Nette Kleidung“, sagte er mit einem Lächeln und ich kam mir blöd vor. Ich steckte mein Handy weg und verdrängte für einen Moment meine Sorgen. Der Chef musste von solchen Dingen ja nichts wissen. „Ja, danke. Was kann ich für Sie tun?“ McFloyd lächelte. „Wie läuft die Zusammenarbeit mit Joshua?“ „Gut, danke der Nachfrage. Die Zusammenarbeit ist sehr aufschlussreich für mich. Joshua besitzt ein breites Wissen und ist sehr geduldig mit mir.“ „Ach, dass höre ich gerne. In dem Fall habe ich eine schlechte Nachricht für Sie.“ Mir lief es eiskalt den Rücken runter und ich presste die Lippen fester aufeinander. Mein Hirn malte sich Horrorszenarien aus, wie etwa, dass McFloyd unser Team doch auflösen wollen würde. „Joshua hat sich krankgemeldet. Er wird wohl die nächsten Tage nicht zur Arbeit kommen können.“ Der eiserne Griff um mein Herz lockerte sich und machte einer leichten Sorge platz. „Seine Abhandlung hat er mir zwar gestern zukommen lassen, aber ich habe noch diesen USB-Stick, den er sich unbedingt ansehen müsste.“ „Sind es Daten vom Experiment?“ „So was ähnliches. Sie haben doch sicherlich schon alles erledigt, nicht wahr?“ „Ja, aber-“ „Sehr gut, dann seien Sie so gut und bringen ihm das vorbei, ja?“ „Aber … wa-wann denn?“ „Jetzt gleich.“ Etwas überrumpelt stand ich da und blickte den Chef an, als hätte er mir ein chinesisches Ballettstück vorgeführt. „Aber ich weiß nicht mal, wo er wohnt.“ „Das ist kein Problem. Ich gebe Ihnen die Adresse." "A-Aber-" "Also machen Sie es? Das ist sehr schön.“ Dann griff McFloyd in seine Jacketttasche und holte einen kleinen Block und einen Stift hervor. Im Nu hatte er mir eine Adresse darauf geschrieben, mir den Zettel inklusive USB-Stick in die Hand gedrückt und war von dannen gerauscht. "Aber er ist doch krank ..." Da kann ein Fremder doch nicht einfach so vorbei schauen ... Mir war als wäre ein Tornado an mir vorbeigezogen und ich hätte irgendwas Wichtiges verpasst. Erst der Gruß eines Kollegen weckte mich aus meiner Trance. Was solls, dachte ich mir und rannte schnell ins Labor, versicherte mich, dass alles ordentlich und weggeräumt war, ehe ich mir meine Tasche griff und zur Bahn eilte. Nebenbei fragte ich mich, wie es sein konnte, dass McFloyd die Wohnanschrift eines Angestellten kannte? War Joshua wirklich so speziell? Oder kannte der Chef womöglich die Anschrift aller Angestellten? War das ein Tick oder eine beängstigende Angelegenheit? Am Bahnsteig tippte ich die Adresse in mein Handynavi ein. Mit Auto brauchte man tatsächlich nur circa dreißig Minuten. Mit Bus und Bahn kam es auf die Strecke und die Verbindung an. Ich bräuchte eine gute dreiviertel Stunde mit der Bahn. Plus Minus fünf Minuten. Ich hatte die Wahl zwischen zwei Linien. Die nächste Bahn, die kommen würde, brauchte länger als die, auf die ich noch zehn Minuten warten müsste. Beide kamen etwa zeitgleich an. Von einem inneren Druck getrieben, nahm ich die nächste Bahn und blieb in der Nähe der Tür stehen. Auch wenn es unnütz war, sah ich alle paar Minuten auf mein Handy und kontrollierte die Strecke. Dass Joshua tatsächlich nur krank war, beruhigte mich. Dass er nicht erschienen war, beunruhigte mich. Wenn er nur leicht erkältet oder so was war, dann hätte er doch im Labor anrufen können, eine E-Mail schicken oder Elias Bescheid geben können, so wie gestern. Es gab so viele Wege mich zu erreichen, auch wenn einer umständlicher war als der Nächste, je mehr ich darüber nachdachte. Bisher hatte ich mich einfach nicht getraut, Joshua nach seiner Handynummer zu fragen. Obwohl ich Elias seine hatte, da er mein Abteilungsleiter war und spontane Krankschreibungen oder Schichtwechsel so einfacher und zügiger vonstattengingen als via E-Mail oder per Anruf, kam es mir bei Joshua zunächst unangebracht vor. Irgendwie zu früh. Vielleicht lag es auch an Joshuas Ruf und der Grafen-Sache. Oder einfach daran, dass ich nicht den Mut hatte, ihn nach so etwas Privaten zu fragen ohne mich hinterher diebisch zu freuen. Dann schien der richtige Zeitpunkt Joshua zu fragen nie zu kommen. Es war wie verhext. Alles wichtige viel mir immer erst dann ein, wenn ich allein war und Zeit hatte nachzudenken. Ich umklammerte mein Handy und zwang mich zur Ruhe. Um mich abzulenken, sah ich aus dem Fenster. Büsche und Häuser zogen rasend schnell vorbei, dann folgte ein kleiner Tunnel. Als wir durch den Tunnel durchgefahren waren, bot die Stadt einen noch zugepackteren Anblick. Die typischen Plattenbauten waren fort, dafür reihten sich alte Herrenhäuser dicht an dicht. Frühere Villen umgebaut zu Mehrparteienhäuser. Ich war schon eine ganze Weile nicht mehr hier gewesen. In meinem Viertel gab es die gleichen Geschäfte und Lieferdienste wie hier. Ein Grund in Richtung Innenstadt zu fahren war, um Freunde zu treffen. Aber die hatten sich, außer in den sozialen Medien mit Likes und dergleichen, nicht weiter gemeldet. Die Bahn hielt und ich stieg aus. Eilig marschierte ich zur Bushaltestelle. Der Bus stand schon bereit und ich stieg ein. Ein paar Minuten später, fuhr er los. Durch die Stadt fahrend, konnte ich weitere alte Baukünste bewundern, die hier und da mit schlechten Graffiti besudelt worden waren. Würde ich bei der nächsten Haltestelle aussteigen und in die Nebenstraße gehen, käme ich zu Marcels Wohnung. Er war vor kurzem erst mit seiner neuen Freundin zusammengezogen. Laut seinem Status zog sie zu ihm und sie schienen sehr frisch verliebt zu sein. Der Bus fuhr weiter und ich ließ den Gedanken an Marcel fallen. Die nächste Kreuzung kam mir bekannt vor und auch die Übernächste. Als ich eine Station später ausstieg, wusste ich nicht, ob ich weinen oder lachen sollte. Wer hätte auch gedacht, dass Joshuas Wohnung so nah an der von Binks liegen würde? Mein Navi führte mich in die entgegengesetzte Richtung. Ich hatte weitere zehn Minuten zu gehen, dann wäre ich da. Der Bus fuhr weiter und ich starrte in jene andere Richtung. Binks hatte ich seit seinem vorzeitigen Abgang von der Uni nicht mehr gesehen. Er war nicht so freigiebig mit seinem Privatleben im Netz wie Marcel, darum wusste ich nicht, was er gerade tat oder mit wem er zusammen war. Aber zum Glück wollte ich das auch nicht mehr wissen. Ich lächelte in seine Richtung und fühlte mich beinahe erhaben. Leichtfüßig drehte ich auf dem Absatz um und ging beschwingt in Joshuas Richtung. Erst nachdem ich auf mein Handy sah, stellte sich die Unruhe von vorhin wieder ein. Mittlerweile war es halb zwei. Ob Joshua noch zu Hause war? Schlief er vielleicht oder war er vielleicht doch hochgeschreckt und auf dem Weg ins Labor? Meinen Schritt beschleunigend war ich binnen von fünf Minuten vor seiner Haustür. Joshuas Auto stand zwischen all den anderen geparkten Autos direkt am Bürgersteig. Das Haus, welches sich vor mir erhob, war himmelblau angestrichen. Scheinbar in einem Anflug von Kunst oder dergleichen. Es war ein typischer Altbau mit fünf Etagen. Wahrscheinlich ohne Fahrstuhl und mit muffigem Treppenhaus. Die Briefkästen wirkten sauber und die Türklingeln waren akkurat beschriftet. Dort stand „Fritz“. Meine Hand zitterte leicht als ich sie zur Klingel bewegte. Ich schluckte und riss mich zusammen. Einen Klingelton hörte ich nicht und durch die Sprechanlage antwortete keiner. Ich klingelte öfter. Nach dem fünften Mal knackte die Sprechanlage und eine entnervte Stimme war zu hören. „Ja?!“ Es war Joshua. Er klang genervt. Trotzdem fiel mir ein Stein vom Herzen. „Hallo. Ich bin‘s. Also … Josh? Kann ich kurz hochkommen?“ Die Anlage gab keinen Ton mehr von sich. Sie knackte ein paar Mal, dann glaubte ich gehört zu haben wie der Hörer aufgelegt wurde. Meine Hoffnung begann zu sinken, als der Türknauf plötzlich aufsummte. Schnell drückte ich mich gegen die Tür und betrat das himmelblaue Haus. Joshua hatte nichts gesagt, aber ein summender Türknauf war ein Äquivalent für „tritt ein“, oder nicht? Wäre nur schön gewesen, wenn ich seine Etage hätte erfahren können. Nun gut. Dann stiefelte ich eben so lange aufwärts, bis das richtige Türschild zu sehen war. Während ich aufstieg, zog ich mir eine Atemschutzmaske der einfachsten Art über Nase und Mund und schob die Bänder hinter meine Ohren. Ich wusste nicht genau, was Joshua hatte. Sicherlich hatte ich kein Problem mit Keimen und der Gleichen, jedoch wäre es für das Experiment hinderlich, sollten wir beide zeitgleich ausfallen. Ich passierte gerade die erste Etage, als lautes Getrampel von oben zu hören war. Dieses Haus schien lebhafter zu sein, als es aussah, dachte ich bei mir und rechnete nicht mit dem, was mich auf der nächsten Treppe entgeistert anstarrte. Joshua war der Trampler gewesen. Erschrocken über den Gegenverkehr, blieb ich mitten auf der Treppe stehen und Joshua hielt mitten im Lauf inne. Beide starrten wir uns eine Weile an. Wie auch nicht. Joshua war barfuß, trug eine kurze, schwarze Hose und ein graues Shirt. Seine Haare waren leicht unordentlich und auf seinen Wangen prangte eine feine Röte, sowie eindeutige Abdrücke eines Kissens. Scheinbar war Joshua doch eingeschlafen. Durch die Röte auf seinen Wangen erschienen seine eh schon hellen Augen noch größer und glänzender. Sein Anblick verschlug mir schlicht die Sprache. „Ha-hallo“, begann ich mit gedämpfter Stimme durch die Maske und verkrampfte meine Hand um den Gurt meiner Tasche. Joshua starrte mich weiterhin an. Vielleicht hätte ich doch nicht kommen sollen? „Entschuldig-“ „Entschuldigung!“ Ich brach ab, als ich Joshua dasselbe zeitgleich sagen hörte. Überrascht blickte ich ihn an, ehe sich ein Lächeln bei mir breit machte. Durch den Mundschutz sah er es sicher nicht, dennoch war ich erleichtert. Wer, der es nicht aufrichtig meinte, würde sich so inbrünstig entschuldigen? Der Teil von mir, der sich die letzten zwei Stunden gesorgt hatte, eine Absage zu kassieren, wurde von diesem einem Wort in alle Winde zerstreut. „Schon ok. Wie geht es dir?“, fragte ich nach. Joshua stellte sich entspannter hin und fuhr sich durch die wuhligen Haare. „Sag nicht „schon gut“. Ich habe dich schrecklich versetzt. Ich wollte nur ein kurzes Nickerchen halten und habe den Wecker überhört.“ „Ja“, gestand ich ernst ein, nur um milder fortzufahren. „Aber jetzt bin ich ja hier. Darf ich mit hochkommen oder willst du weiterhin so lumpig im Treppenflur stehen?“ Nichts gegen dieses Outfit! So legere Kleidung stand Joshua ungemein gut! Jedoch klang seine Stimme etwas kratziger als sonst und allgemein betrachtet sah er wirklich nicht sehr gesund aus. Joshua räusperte sich und nickte. Schweigend begann er den Aufstieg. Seine Reaktion amüsierte mich und ich folgte ihm erheitert. Erst als ich seine Gestalt leicht schwanken sah, kehrte meine eigentliche Sorge zurück. „Du hättest nicht hier runterlaufen müssen“, sagte ich mit reumütigem Ton. „Du bist doch krank, oder? Wa-was hast du denn? Geht es dir wirklich gut?“ Die Sorge sprudelte aus mir heraus, aber Joshua antwortet nicht. Etwas geknickt senkte ich meinen Kopf. Wir kamen im vierten Stock an und ich sah, dass Joshuas Wohnungstür weit offenstand. „Du hattest es wirklich so eilig?“ „Was hast du gesagt?“, fragte Joshua und drehte sich zu mir um. „Ich habe gerade leichten Druck auf den Ohren.“ Verwundert sah ich ihn an und schloss daraus, dass er mich auf der Treppe gar nicht gehört hatte. Ich schüttelte meinen Kopf und lächelte ihn an. „Nein, nichts.“ Joshua nickte, starrte mich aber noch einen Moment an. „Willst du den Mundschutz nicht abnehmen?“ „Ah, ich wollte nur sicher gehen, dass ich mich nicht anstecke. Sonst gehen uns noch die Kulturen ein.“ Joshua starrte immer noch. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Weiter als bis zu diesem Gedanken kam ich nicht, denn schon hob sich eine von Joshuas Händen und zwei Finger griffen nach meiner Maske. Es fühlte sich an, als würden diese zwei warmen Finger mir das Material in Zeitlupe von der Nase ziehen. Die Finger streiften meine Lippen und hielten erst an, als sie mein Kinn passiert hatten. Mein Gesicht war wieder frei. „Ich bin nicht ansteckend, also lass mich dein Gesicht sehen.“ Damit betrat Joshua seine Wohnung. Mein Gesicht flammte auf und ich riss mir die Maske von den Ohren. Schnell stopfte ich sie in meine Jackentasche und konnte nicht einmal gedanklich fluchen. Der Weg, den seine viel zu warmen Finger genommen hatten, brannte und prickelte noch immer nach. Ich atmete tief ein und schob jeden dieser Gedanken erstmal zur Seite. Ohne weiter darüber nachzudenken, dass ich gerade Joshuas Wohnung betrat, trat ich ein und schloss die Tür hinter mir. Er meinte zwar, ich könnte die Schuhe anlassen, aber da hatte ich sie bereits ausgezogen und vor die Tür gestellt. Wie es sich gehörte. Joshuas Wohnung war schlicht. Weiße Wände im Flur, eine einfache Garderobe, an welche ich meine Jacke hing, und Joshuas Schuhe, welche dort akkurat aufgereiht standen. Der Flur war nicht sehr breit. Der Boden bestand aus alten Holzdielen. Das grobe, dunkle Holz war leicht zerfurcht und wirkte ziemlich alt, womit es einen tollen Kontrast zu der modernen Einrichtung gab. Die Flurlampe, zum Beispiel, bestand nur aus einer dieser übergroßen Glühbirnen, welche auf halber Höhe von der super hohen Decke hing. Auch typisch für Altbauwohnungen waren die weiß überstrichenen Stuckverzierungen. Ich folgte dem Hausherrn auf Socken ins Wohnzimmer. Dieses war groß und geräumig, mit halb offener Küche und Zugang zum Balkon. Da ich an der Front keinen Balkon gesehen hatte, musste dieser auf den Hinterhof führen. Zwei Wände des Wohnzimmers waren weiß gestrichen, die anderen grau. Joshua besaß eine große Couch, einen Couchtisch, zwei große Schränke, eine Vitrine und einen großen Fernseher, welcher an der Wand befestigt worden war. Direkt neben dem Flureingang, also rechts von mir, befand sich die halb offene Küche. Diese hatte ein Fenster, welches zur Straße hinausführte. Die Verbindung zwischen Wohnzimmer und Küche wurde durch einen hohen Küchentresen abgetrennt. Noch weiter rechts von mir, am Ende der Küche, öffnete sich ein weiterer Flurabschnitt, in welchem gerade so zwei Menschen nebeneinanderstehen konnten, wenn sie sich nicht bewegen wollten. Eine Tür führte nach links, womöglich in ein Zimmer, dass ebenfalls auf den Innenhof sehen konnte und eine Tür führte nach rechts, Richtung Straße. Ich vermutete hinter einer Tür das Bad und hinter der anderen das Schlafzimmer. Von der Einrichtung mal abgesehen, war diese Wohnung aufgeräumt, klar strukturiert und sauber. Unwillkürlich bewunderte ich alles. „Wow … hier ist es ja gar nicht möhlig.“ Joshua stand vor dem Küchentresen und sah verwundert drein. „Glaubst du, nur weil ich als Mann alleine wohne, ist es hier unordentlich?“ Verlegen hob ich die Hände. „So meinte ich das nicht. Ich wollte dir nicht unterstellen unordentlich zu sein, sondern habe sie nur automatisch mit meiner eigenen Wohnung verglichen. Die ist zurzeit ziemlich möhlig.“ „Das würde ich gerne mal sehen“, gab Joshua schmunzelnd zu. „Möchtest du etwas trinken?“ „Ja, gerne“, antwortete ich und bereute es so gleich. Ich startete eine ungeschickte Ablenkung. „Deine Couch!“, blaffte ich raus und Joshua hielt inne. Verwirrt sah er mich an. „Was ist damit?“ Ich griff nach seiner Hand und zog ihn mit mir zu der Couch. „Na, sie ist zum Sitzen da. Setz dich. Du siehst wirklich nicht gut aus… Was hast du denn?“, fragte ich zögerlich nach. Zum Glück folge Joshua meinem Vorschlag und setzte sich. Seine Hand noch haltend, blieb ich vor ihm stehen. Die Wangen waren rot, die Haut fahl, die Augen leicht glasig, mit geweiteten Pupillen. Ich sah mich um, doch die Wohnung war bereits verdunkelt. Trotzdem ließen die dünnen Vorhänge noch viel zu viel Licht über den Balkon herein. „Nichts weiter. Nur etwas überarbeitet. Das hatte ich früher schon. Ein bisschen Schlaf und mir geht es wieder gut.“ Etwas ähnliches hatte Elias auch gesagt. Aber konnte man sich wirklich selbst so sehr unter Stress setzen, dass man derart Krank wurde? „Bist du sicher?“ Ich trat direkt vor ihn, löste unsere Hände und legte meine auf seine Stirn. Sie glühte. Vorsichtig glitten meine Finger in Joshuas Nacken und den oberen Rücken. Joshua zuckte unmerklich als ich ihn dort berührte, ließ mich aber gewähren. „Du glühst. Hast du Fieber gemessen?“ Er schüttelte seinen Kopf und schnappte meine Hand, als ich sie zurückzog. Er hielt meine rechte zwischen seinen viel zu warmen Händen und spielte mit den Fingern. Da er krank war, ließ ich ihn gewähren. „Manchmal ja, manchmal nein. Es schwankt immer zwischen 38 und 39 Grad. Wie gesagt, ein bisschen Schlaf und ich bin wieder fit.“ Er lächelte meine Hand an und küsste mir den Handrücken. Mein Herz setzte einmal aus und doch zwang ich mich dazu ruhig zu bleiben. Nicht jetzt, sagte ich mir, nicht jetzt. „Dann leg dich wieder hin.“ „Das wäre unhöflich, wo du doch extra hergekommen bist“, seine Stimme blieb leicht kratzig. „Gar nicht wahr. Ich mache einen Krankenbesuch. Ah, da fällt mir ein!“ Ich griff mit der Linken in meine Hosentasche und holte den USB-Stick heraus. „McFloyd wollte, dass ich dir das hier gebe. Scheinbar wichtige Daten. Er war es auch, der mir deine Adresse verraten hat.“ Joshua hatte meine Finger und Fingerkuppen befühlt. Ich lenkte mich durch Reden ab, dennoch kribbelte jede einzelne Zelle in meiner rechten Hand! Und als ob das nicht ausreichen würde, führte er meine Hand zu seiner linken Wange und schmiegte sich in meine Handfläche. Wenn meine Hand in Flammen hätte aufgehen können, wäre jetzt der richtige Moment gewesen. Mit klopfendem Herzen hielt ich still und ließ ihn gewähren. Kranken konnte man doch eh nichts abschlagen. Mit seiner freien rechten Hand, griff Joshua nach dem Stick und betrachtete ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen. Ich konnte kaum mehr ruhig bleiben, also begann ich wieder zu reden. „Keine Ahnung was drauf ist, aber er fand es wichtig. Dafür dufte ich extra früher gehen. Ich nehme an, dass ich mir die Zeit hier anschreiben kann, also ist alles gut“, sagte ich und schmunzelte. Es war komisch, dass McFloyd mich extra herschickte und das auf einen Samstag. Wenn Joshua krank war, würde er nicht weiterarbeiten. Aber ich wollte nicht nach dem Haar in der Suppe suchen, wenn ich mich gerade freute hier zu sein. „Aber sag mal, hätte das nicht auch Zeit gehabt, bis du wieder gesund bist?“ „Ich glaube, er hat sich nur Sorgen gemacht und wollte, dass jemand nach mir sieht.“ „Das ist … sehr zuvorkommend von ihm.“ Verwirrt zog ich die Augenbrauen tiefer. So besorgt war er mir gar nicht vorgekommen. „So ist er. Er würde sicherlich selbst kommen, aber zum einen ist heute Samstag, da spielt er Golf und zum anderen habe ich ihm gesagt, dass er nicht wegen jeder Kleinigkeit herkommen soll.“ Nun war ich wirklich verwirrt. Sich Sorgen um seine Angestellten zu machen, war ja gut und schön, aber das ging etwas zu weit. Wurde Joshua vielleicht vom Chef belästigt? Aber wenn man die beiden sonst zusammen sah, wirkten sie nicht so. Obwohl ich es schon die ganze Zeit sonderbar fand, dass McFloyd Joshua immer Joshua und nicht Mr. Fritz oder nur Fritz nannte, wie McFloyd es für gewöhnlich mit seinen Angestellten tat. „Das ist … Findest du es nicht überfürsorglich, dass dein Chef sich derart um dich sorgt? Dass er sich so sehr um einen Angestellten bemüht, finde ich etwas besorgniserregend.“ Joshua beäugte mich von unten, ehe er leise lachte. Es kam so überraschend und ließ mein Herz blühen, hätte er nicht im nächsten Moment die Augen zusammengekniffen und aufgehört. Meine Sorgen überwucherten mein Glücksgefühl erneut. Joshua fand indes zu einem Lächeln zurück und küsste meine Handfläche, in die er sich eben noch geschmiegt hatte und nun frei gab. „Du hast Recht. Als Chef eines Labors ist das wirklich zu viel der Fürsorge. Aber als mein Adoptivvater nicht. In Unizeiten, nein, schon auf dem Gymnasium, war er noch viel aufdringlicher. Dass er dich stattdessen schickt, rechne ich ihm hoch an.“ Auf den letzten Kommentar hin wurde ich rot, doch verblasste dieser Schimmer in meinem allgemeinem Schockzustand schnell. „Dein Adoptivvater?“, brachte ich heraus. „Mhm“, bestätigte Joshua und spielte erneut ungeniert mit meinen Fingerkuppen. Ich war so geschockt, dass mein Hirn alles viel zu langsam verarbeitete. „Warte, warte, warte! … McFloyd ist dein Adoptivvater?“ Ich hatte meine Hände zurück und hob sie abwehrend vor mich. Da Joshua nun sein Spielzeug fehlte, sah er auf und wirkte viel zu gefügig. „Ja.“ „Aber … eure Nachnamen sind ganz anders!“ „Er bestand darauf, dass ich meinen behalte. Nur für den Fall, dass meine Eltern doch Interesse an mir zeigen sollten.“ „Aber … seit wann?“ „Ich glaube, er hat mich mit elf Jahren adoptiert“, sinnierte Joshua. „Ist das schlimm? Dass ich adoptiert bin?“ Die Frage riss mich aus meinem Schock. Ich wollte ja mehr über Joshua erfahren, aber das war viel zu spontan und ohne Vorwarnung gekommen! Schnell schüttelte ich den Kopf. „Nein, gar nicht. Ich bin nur überrascht. Du wirkst nicht so … also ihr kommt nicht wie eine Familie rüber, wenn man euch zusammen sieht.“ „Wir sind beide recht pragmatisch miteinander, aber er war mir immer ein guter Vater. Wie … sähe denn eine Familie zusammen aus?“ Die Frage überraschte mich noch mehr. Wenn Joshua adoptiert wurde und seine Eltern scheinbar nichts von ihm wissen wollten, war er dann ein Heimkind? In dem Fall war er komplett anders aufgewachsen als ich. Eine richtige Familie hatte er nie gehabt. Nur seinen neuen Vater im Alter von elf Jahren. Mitgefühl überfiel mich, als ich mir den jungen Joshua vorstellte. Er musste unheimlich niedlich ausgesehen haben! Die Frage, wie eine Familie sein musste, konnte ich nicht ohne weiteres beantworten. Wenn ich darüber nachdachte, wie eine Familie für mich sein sollte, fiel mir nicht meine eigene ein. Ich selbst war ja froh von ihnen so lange wie möglich getrennt zu sein. Mit einem verlegenen Lächeln gab ich zu: „Ich weiß nicht.“ Ich senkte meinen Blick und wusste nichts mehr zu sagen. Das Thema Familie war mir so unliebsam wie nichts zweites. Joshua konnte das natürlich nicht wissen und seine Situation war auch eine ganz andere als meine. Trotzdem wollte ich das Thema nicht vertiefen. „Darf ich mir was zu trinken holen?“, fragte ich nach einer Weile. „Ich mach schon.“ Bevor Joshua aufstehen konnte, drückte ich ihn mit beiden Händen an den Schultern zurück. „Nichts da. Du bist krank. Ruh dich aus. Sag mir, wo ich was finde, das reicht doch.“ „Aber ich habe dich heute schon versetzt. Da kann ich dich hier nicht alles selbst machen lassen.“ Ich schmunzelte. „Dann verwöhnst du mich das nächste Mal eben doppelt.“ Ich hatte meine Hände immer noch auf Joshuas Schultern zu liegen und wir waren uns gerade nicht unnah, ehe mir aufging, was ich gesagt hatte und wie das klingen musste. Ich blinzelte ein paar Mal und hoffte nicht rot zu werden, während Joshua mich mit großen Augen ansah. Er packte mein Handgelenk und sah mir entschlossen entgegen. Ein Feuer brannte in seinen grauen Augen, sodass mein Magen eine Karussellfahrt wagte. „Ok.“ Jetzt wurde ich rot! Oh verdammt, wie auch nicht?! Er ließ mich los und ich flüchtete in die Küche. Seinen Anweisungen folgend, holte ich mir ein Glas aus einem der oberen Schränke und ignorierte den frischen Adrenalinschub. Zu meiner Überraschung verschwand dieser sofort, als ich den Kühlschrank öffnete. Ich nahm für gewöhnlich das, was offen war. Aber in diesem Kühlschrank herrschte gähnende Leere. In der Tür befand ich sich eine Milch, drei Bier und eine blaue Kühlkompresse. Im Gemüsefach lag eine verwaiste Lauchzwiebel. Die übrigen Fächer enthielten eine halbe Packung Streukäse, eine halbvolle Eierschachtel, zwei Butterstücken und eine Petrischale mit einem angeschmolzenen Eiswürfel. „Josh? Was macht ein Eiswürfel in deinem Kühlschrank?“, rief ich ihm zu, schloss die Kühlschranktür und holte mir etwas Leitungswasser. „Ach, ignorier den.“ Das wird mir nicht schwerfallen, dachte ich bei mir. „Erzählst du es mir trotzdem?“ Joshua zögerte und ich wurde umso neugieriger. Schließlich rückte er mit der Sprache raus. „Das ist meine Art einen Timer zu setzen.“ Ok, das verstand ich. An der Luft war es leicht zu berechnen, wie lange ein Eiswürfel brauchen würde, um vollständig geschmolzen zu sein. Lufttemperatur und dergleichen waren einfache Variablen, die man schnell zusammengetragen hatte. Mit dem Umstand von konstant kalten drei Grad (was ich etwas sehr kühl für einen Kühlschrank fand) schmolz der Eiswürfel entsprechend langsamer. Wenn man wollte, konnte man es immer noch ausrechnen, jedoch stellte sich mir weiterhin die Frage: Warum? „Wofür brauchtest du so einen Timer?“ Ich lehnte mich an den Küchentresen und nippte am Wasser. „Ich kann manchmal zu impulsiv sein, wenn ich etwas haben möchte. Dann setzte ich mir einen Timer oder sage mir, dass ich bis dann und da warte. Manchmal regelt sich der Drang und ich merke, dass es doch nicht so wichtig war. Wenn nicht, hol ich mir, was ich wollte.“ „Und was holst du dir, wenn der geschmolzen ist?“ Meine Frage war frei von der Leber weggestellt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand sich wirklich auf diese Art und Weise davon abhalten konnte etwas zu kaufen. Geschweige denn, dass jemand sich an seine eigenen Regeln halten würde, wenn der Drang doch so groß erschien. Joshua antwortet nicht, sondern sah mich von unten her an. Sein Blick war schneidend und klar. Sofort spürte ich das bekannte Flattern in der Magengegend. Ich räusperte mich und sah auf das Glas in meiner Hand. „Davon mal ab. Hast du überhaupt etwas zu essen da?“ Joshua zuckte mit den Schultern und stand auf. „Wenn nichts da ist, gehe ich morgen einkaufen.“ „Morgen ist Sonntag.“ „Dann bestell ich mir was?“, sagte er mehr fragend und zog eine Augenbraue hoch. Ich seufzte und stellte mein Glas ab. „Du bist krank. Selbst wenn es nur eine Überarbeitung ist, solltest du was ordentliches Essen und kein Fastfood.“ Es reichte doch, wenn sich in meiner Wohnung die Pizzaschachteln stapelten. „Was hältst du davon: Da ich ja heute nicht mehr arbeiten muss, kauf ich für dich ein und koch dir ´ne Suppe. Die reicht ein paar Tage und dann bist du hoffentlich wieder erholt.“ „Du kannst kochen?“ Joshuas Augen begannen zu strahlen. Er sah süß aus mit den zerzausten Haaren. „Nur das Nötigste. Nichts Großes. Eine Hühnersuppe ist einfach zu machen. Suppengrün und ein Huhn und fertig. Wenn wir eines aus der Kühltruhe nehmen, bin ich damit auch in eineinhalb Stunden fertig.“ „Ich zeige dir den Weg“, sagte Joshua begeistert. „Und so ein Huhn haben die da bestimmt auch.“ Ich verschränkte die Arme und sah ihn streng an. „Du? In dem Aufzug?“ „Ich zieh mich schnell um“, insistierte Joshua. „Du hast Fieber, du bleibst hier!“ „Ich sagte doch schon, das kommt und geht wie es will. Ich fühle mich fit genug. Ich komme mit.“ Ohhhh, wie konnte man nur so stur sein? Wenn sein Fieber sporadisch war, was wäre dann, wenn er mitten im Laden umkippte?! Er war bestimmt schwerer als ich, da würde ich ihn kaum Huckepack nehmen können und zur Wohnung tragen. Aber sein Blick kochte mich weich. Seufzend legte ich mir meine Hand an die Stirn und schloss für einen Moment die Augen. Joshua war erwachsen und konnte selbst entscheiden. Ich bot ihm nur meine Hilfe an. Dass er es überhaupt in Erwägung zog, mich kochen zu lassen, zeugte schon von etwas Vertrauen. In dem Fall sollte ich es ihm gleichtun und ihm in den Belangen zu seinem Körper vertrauen. Schließlich kannte den keiner so gut wie Joshua selbst. „Hast du ein Thermometer da? Wenn deine Temperatur unter 38 Grad ist, habe ich nichts dagegen, wenn du mitkommst.“ Joshua schritt an mir vorbei und griff in eine der Schubläden. Er holte ein modernes Fieberthermometer heraus, womit man die Temperatur im Ohr messen konnte. Immerhin hatte er eines. Da ich selten krank wurde, besaß ich so etwas nicht einmal. Joshua drückte einen Knopf und es piepte. Nach dem zweiten Piep nahm er es und sah auf das Display. Grinsend hielt er es mir vor die Nase. „37,9 Grad.“ Kapitel 10: Zettelschlacht -------------------------- Kapitel 10: Zettelschlacht Ich war nicht begeistert. Ich war absolut nicht begeistert! „Dann zieh dir aber lange Sachen an. Nicht dass du noch mehr auskühlst. Es ist windig und im Laden ist es sicherlich kalt.“ „Zu Befehl“, sagte Joshua und grinste von einem Ohr zum anderem. Kurz darauf gingen wir Seite an Seite den Bürgersteig entlang. Joshua erzählte mir, dass es nur eine Straße weiter einen privaten Einkaufsladen gab, bei dem er gerne einkaufen ging. Ich nickte und hoffte, dass wir das alles schnell erledigen könnten. Frische Luft tat zwar gut, aber Joshua sah ziemlich blass aus. Das seine schlechte Verfassung von einfacher Überarbeitung und Stress kommen sollte, konnte ich nicht glauben. Allerdings war ich kein Mediziner. Vielleicht gab es so was ja wirklich? Ich nahm mir vor, sobald ich Zeit finden würde, das mal nachzuschlagen. Wir erreichten den Einkaufsladen in nur fünf Minuten. Dieser nahm das gesamte Erdgeschoss eines Hauses ein. Er war wirklich sehr klein, mit viel Charme. Wir traten ein und ich nahm den Korb. Joshua ließ ich gerade mal neben mir hergehen. Die Gemüseabteilung war gut gefüllt und bot auch nicht typisches Obst und Gemüse an. Ich steckte einiges an Obst ein, dass einfach zu schälen und schnell zu essen war. Im Kühlfach fanden wir ein Bio Huhn, nun das würde es auch tun, Käse und Kattschinken. Weiter hinten im Laden lud ich neben Brühe und Reis auch noch neue Milch und ein Müsli ein. In meinem Kopf entstand eine Variation von Gerichten, welche sich Joshua leicht zum Frühstück und zum Mittag machen konnte. Den Reis nahm ich für die Suppe mit. Sicherlich konnte man auch Kartoffeln oder Nudeln in eine Hühnersuppe tun, doch für jemanden, der ein Energieleck hatte, fand ich Reis bekömmlicher. Gemüse für die Suppe und Obst zum so essen oder fürs Müsli. Joshua hatte mich bereits beim Ost von der Seite beäugt. „Wolltest du nicht nur Suppe kochen?“ „Mhm, aber das brauche ich.“ „Kommt Schinken auch in die Suppe?“ „Nein, aber das brauche ich auch“, antwortete ich konsequent. Wenn ich ihm sagen würde, dass ich mehr für ihn einkaufte als er vielleicht brauchte oder mochte, dass ich ihm meine Art zu essen aufdrängte, würde er sicherlich nicht mehr so gelassen neben mir stehen. Beim Reis fragte er: „Der ist aber für die Suppe?“ „Ja, und den braucht man immer.“ Als ich kurz vor der Kasse abermals stehen blieb, trat Joshua dicht hinter mich. Meine linke Hand streckte sich und wollte nach Kühlpflastern greifen, als ich etwas Schweres auf meiner Schulter spürte. „Brauchst du das auch für die Suppe?“, fragte eine Stimme sehr, sehr nahe an meinem Ohr. Ich hielt sofort in meiner Bewegung inne. „Ich brauche es nur…“, war meine dämliche Antwort. Im nächsten Moment schlangen sich zwei Arme um mich. Sie zogen sich fest um meine Taille und meinen Bauch und damit ebenso fest an den Körper hinter mir. Joshuas Kopf verweilte immer noch auf meiner Schulter, als seine tiefe, leicht kratzige Stimme leise Worte brummte. „Brauche ich.“ Ich gefror augenblicklich und hielt den Atem an. Erst nach etlichen Herzschlägen nahm ich meine linke Hand zurück und führte sie zu Joshuas Kopf. Zeitgleich drehte ich mich etwas in seinen Armen. Besitzergreifend schlossen diese sich fester um mich, doch es hatte gereicht, dass ich mich so weit zu Joshua drehen konnte, um sein Gesicht zu sehen und zu berühren. Da sein Kopf nicht mehr auf meiner Schulter ruhen konnte, hatte Joshua ihn leicht angehoben. Meine Finger streichen über seine Stirn, seine Schläfe und über seinen Haaransatz in seinen Nacken. Joshua hielt seine Augen geschlossen, folgte trotzdem minimal meiner Bewegung. Wie ich es mir dachte. Sein Fieber war zurück. Er war kochend heiß. „Hast du Kopfschmerzen?“, fragte ich leise. „Ein bisschen“, gab er mit geschlossenen Augen zu. Meine Hand sank und legte sich auf seine Arme um meinen Bauch. „Lass uns schnell bezahlen und dann heim. Du musst dich ausruhen.“ Es dauerte noch einen Moment, ehe Joshua seine Augen wieder öffnete und seine Arme zurückzog. Er war blass und seine Augen glasig. Ich griff nach seiner Hand und zog ihn mit mir zur Kasse. Joshua war wie eine gehende Puppe. Er ließ sich ziehen und schieben, gehorchte, wenn ich sagte, bleib stehen und starrte dann mit gerunzelten Brauen vor sich hin. Ich bezahlte so schnell ich konnte und packte alles in eine Einkaufstüte, die an der Kasse auslagen. Bedankt und Verabschiedet, griff ich nach Joshuas rechter Hand und zog ihn mit mir. Wir bogen um die erste Ecke, als ich den Mut aufbrachte und ihn zu korrigierte. „Du hast das falsche Wort benutzt. Es heißt nicht brauchen, sondern wollen.“ Als er meinte er brauchte mich, setzte nicht nur mein Herz, sondern mein ganzer Verstand aus. Dazu diese Nähe und ich war komplett out of order. Erfahrungsgemäß konnte ich nicht einfach davon ausgehen, dass er meinte, was er sagte. Sicherlich hatte er es anders gemeint, als ich es verstanden hatte. Und selbst wenn er mich gemeint hätte, wäre „brauchen“ ein zu großes Wort gewesen. Ich konnte mir nicht vorstellen, in welchem Universum jemand wie Joshua jemanden wie mich „brauchen“ könnte. „Ge“brauchen, sicherlich oder „wollen“ auf die eine oder andere Art. Um mein Herz und die Achterbahnfahrt in meinem Magen zu beruhigen, verbesserte ich Joshua. Eine Antwort hatte ich in seinem Zustand nicht erwartet, jedoch holte diese mich ein, als er die Tür zum Treppenhaus aufschloss. „Nein … ich will dich, darum brauche ich dich ja.“ Die Tür öffnete sich und Joshua trat ein. Ich sah zum Himmel hoch und schwor, dass es in meinem Kopf gerade ein lautes Puff gegeben hatte. Im Nachhinein kam ich zu dem Schluss, dass meine Aktionen beim Einkaufen vielleicht etwas zu auffällig gewesen waren. Joshua war ein schlauer Kopf. Spätestens bei den Kühlpflastern hatte er es durchschaut. Und um mich für meine selbstsüchtige Aktion etwas aufzuziehen, sagte er dann solche Worte. Solche … Worte … Ich sah über meine Schulter. Joshua saß immer noch artig auf der Couch. Den Kopf auf die Rückenlehne gelegt und die Augen geschlossen unter einem kühlen Lappen. Sobald wir zurück waren, bestand ich darauf, dass er sich hinlegte. Doch er jammerte, dass sein Kopf dann nur schlimmer schmerzen würde, als er es so schon tat. Alternativ kamen wir zu dem Kompromiss, dass er sich setzte und ich ihm einen Lappen auf die Augen legte. Tabletten wollte er keine nehmen, da er davon immer müde wurde. Nachdem Joshua saß, ging ich in die Küche und wollte den Einkauf verstauen. Allerdings kannte ich mich hier nicht aus. Da ich anschließend kochen wollte, hatte ich binnen von Sekunden alle Schränke einmal geöffnet und durchgesehen. Es war mir etwas unangenehm, aber Joshua sagte nichts dagegen. Die Ärmel hochgekrempelt, wusch ich das Huhn ab, zog alle restlichen Federn heraus und legte es in einen Topf, der gerade so groß war, dass das Huhn hineinpasste. Das würde nicht viel Suppe ergeben, aber gut. Mit etwas Brühe setzte ich das Huhn an. Nebenbei schnitt ich Möhren, ein Stück Sellerieknolle, Lauch und Petersilie. Anschließend setzte ich den Reis auf. Ich suchte mir ein Sieb zum Abgießen und einen großen Teller raus. Hin und wieder schöpfte ich den Schaum vom Huhnwasser ab. Ich war überrascht, dass ich alles Nötige in dieser eher nicht gebrauchten Küche fand. Kurz beschlich mich der Gedanke, dass das alles vielleicht Überbleibsel von anderen Beziehungen waren. Der Gedanke versetzte mir einen Stich ins Herz, also hörte ich auf, daran zu denken. Als der Reis fertig war, goss ich ihn ab und stellte ihn zur Seite. Das Huhn brauchte noch einen Moment, also räumte ich den restlichen Einkauf in den Kühlschrank und die Schränke. Ich schielte zu Joshua. Vielleicht hätte ich doch die Kühlpflaster mitnehmen sollen. Wie dem auch sei. Als das Huhn fertig war, nahm ich es aus seinem heißen Bad und legte es auf den Teller. Möhren und Sellerie wanderten in die Brühe. Da ich nun warten musste, bis das heiße Huhn abgekühlt war, um es auseinanderzupflücken, ging ich zurück ins Wohnzimmer. Joshua hatte den Lappen von seiner Stirn genommen und auf die Glasplatte vom Couchtisch gelegt. „Geht es dir besser?“, fragte ich und trat sogleich an ihn heran, um seine Stirn zu fühlen. Joshua schloss die Augen und ließ mich machen. So viel vertrauen ehrte ihn und wirbelte neue Schmetterlinge in meinem Bauch auf. „Es scheint wieder gesunken zu sein. Was ist das für ein merkwürdiges Fieber?“, stellte ich die nächste Frage und setzte mich rechts neben Joshua auf die Couch. Er folgte mir mit seinem Blick. „Das hat mein Vater mich auch jedes Mal gefragt. Wir sind bis heute nicht schlau daraus geworden. Der Arzt meinte, es sei einfach meine eigene körperliche Reaktion auf Druck, Stress oder ein schwaches Immunsystem. Da keiner von uns Lust hatte mehr in die Sache zu investieren, ließen wir die Antwort gelten.“ Auf meinen ungläubigen Blick hin erzählte Joshua ausführlicher. Seit er sich erinnern konnte, hatte er diese Art von Fieber. Im Waisenhaus hatten sie vermutet, dass es aufgrund von emotionalem Stress verursacht wurde, ausgelöst durch ein Kindheitstrauma mit seinen leiblichen Eltern. Joshua kannte seine Eltern kaum mehr und wollte jetzt auch nicht darüber reden, so fragte ich nicht nach. Die Sache mit dem Fieber blieb jedoch. Es kam schubweise und war bisher nie höher als 39,5 Grad gestiegen. In jüngeren Jahren hatte er regelmäßig gemessen. Mit der Pubertät ließ er es jedoch sein. Die Patentlösung war, dass er sich ausruhte. Schlaf und nichts tun förderten die Heilung und nach zwei bis drei Tagen war alles vorbei. Die Merkwürdigkeit dieser Krankheit blieb bestehen. Jedoch gab ich mich nicht damit zu frieden. Das einzig niedliche daran war, dass Joshua immer, wenn sein Fieber gerade stieg, ziemlich anhänglich wurde. Aber ich konnte es ihm nicht verdenken. Wenn ich Fieber bekam, wollte ich mich auch nur noch einrollen und von jemanden betuddeln lassen. Meine Mutter hörte frühzeitig damit auf und bisher hatte es noch keinen Menschen gegeben, dem ich mich freiwillig in einem Krankheitsfall anvertrauen würde. „Wenn dein Fieber von jetzt auf gleich so hochsteigt, dann solltest du wirklich nicht das Haus verlassen. Wie kam es überhaupt dazu? Wegen der Sache mit Johannes?“ Ich möchte erwähnen, dass ich nicht der neugierige Typ war. Jedoch überwog meine Sorge um Joshua und ich brauchte für mein inneres Gleichgewicht einen Schuldigen, den ich gedanklich verfluchen konnte. „Ich weiß nicht. Vielleicht. Es war so viel in letzter Zeit. Die Sabotage, du, die Arbeit allgemein. Dann fing Elias an, sich wieder zu melden und du glaubst nicht, wie anstrengend er sein kann.“ Mir hatten sich die Haare meiner Unterarme aufgestellt. Da meine Ärmel noch immer hochgekrempelt waren, sah ich es deutlich. „Ich?“ „Hm?“ „Ich habe dich gestresst?“ Keine Ahnung was ich für ein Gesicht gemacht hatte, aber Joshua lachte und beschwichtigte mich zugleich. „Im guten Sinne.“ Das war nicht beschwichtigend und ich lehnte mich mit verschränkten Armen und runtergezogenen Augenbrauen zurück. Mein Blick wich nach unten, dann wieder zu Joshua, ehe ich mich traute zu Fragen. „Bei unsrem Date … wo-worüber hättest du da mit mir geredet?“ Joshua stutze und lehnte sich seinerseits zurück. Während er nachdachte, griffen meine Hände immer stärker in meine Oberarme. „Über alles Mögliche. Das was sich eben ergeben würde. Warum fragst du?“ „Einfach nur so … ich … einfach nur so“, sagte ich und kaute auf meiner Unterlippe rum. Joshua drehte sich mehr zu mir. Nachdem ich nichts weiter sagte, nahm er meine linke Hand in seine und strich mir über den Handrücken. „Ich hätte versucht dich auszufragen, mehr über dich zu erfahren. Und da es ein offizielles Date wäre, hätte ich dir Komplimente gemacht. Wie etwa, dass deine Fingerspitzen total weich sind. Oder ich es faszinierend finde, wie sehr du dich auf die Arbeit konzentrieren kannst.“ Wärme kroch in meine Wangen. Das waren mal neue Aspekte und ich freute mich ziemlich, dass sie von Joshua kamen. „So weich sind die gar nicht.“ „Doch, sind sie“, bestätigte Joshua und zog meine Fingerspitzen bis zu seinen Lippen. Ich hielt die Luft an, doch mein Herz vollzog einen Hüpfer. Meine Finger kribbelten, trotzdem zog ich meine Hand nicht zurück. „Über was hättest du reden wollen?“ „…“ Ich nahm meinen Mut zusammen und versuchte ihn anzusehen, konnte seinem direkten Blick aber nicht lange standhalten. „Mich würde interessieren, warum du nicht lockerlässt. Ich bin nicht wirklich ein Gewinn. Und ich könnte mir vorstellen, dass du bisher weitaus bessere Dating Partner hattest als mich.“ „Vielleicht. Aber im Moment fällt mir keiner ein“, antwortete Joshua ehrlich. „Und ob du ein Gewinn bist oder nicht, entscheidest nicht du, sondern ich. In meinen Augen bist du sowohl cool als auch adrett. Du bist wissbegierig und lernst schnell, auch wenn du gerne mal Schusselfehler machst. Außerdem hast du eine Art an dir, die mich nicht wegsehen lässt. Wenn du mit mir redest, ist alles in Ordnung, aber wenn du dich umdrehst und mit Elias oder einem Kollegen sprichst, dann-“ Ich drückte Joshua meine linke Hand so fest ich konnte auf den Mund. Da meine Arme wie Pudding waren und mein Gesicht heißer glühte als das Huhn eben, drückte ich nicht sehr fest. „Shh“, machte ich scharf und verbat Joshua das Reden. „Schluss damit. N-noch ein Wort und du kochst die Suppe allein weiter.“ Joshua lächelte, das spürte ich an meiner Handfläche. Dennoch hob er beide Arme und machte deutlich, dass er aufgab. Aber das half mir nicht. Mein Puls war zu schnell und ich wollte am liebsten in irgendeinen Schrank verschwinden. Meine Gedanken waren so zerstreut, dass ich nicht richtig nachdenken konnte. War ich sauer, angetan, verlegen? Wollte ich ihn schütteln oder küssen? Irgendwie war es eine Mischung aus allem. Da ich keine Worte fand meine Verlegenheit und Freude auszudrücken, ging ich in die Küche und begann das Huhn zu puhlen. Haut, Knorpel und alles was kein einwandfreies Fleisch war, tat ich in den Müll. Der Suppe fügte ich nur noch das gute Fleisch, etwas Reis sowie Lauch und Petersilie zu. Joshua war aufgestanden und stand neben mir an seine Küchenmöbel gelehnt und sah mir zu. Ich sagte kein Wort. Erst als ich merkte wie mir der Saft von Huhn über die Finger rann und am Handgelenk herunterlief und ich aus Gewohnheit den Tropfen ableckte, spürte ich seinen Blick wie brennendes Eisen auf mir ruhen. Artig wusch ich mir die Hände. „Was ist mit dem Fleisch da?“, fragte Joshua. Ich hatte nicht alles vom Huhn in den Topf getan. Zum einem war dieser zur klein und zum anderem wäre es zu viel Fleisch gewesen. „Das kannst du später zusammen mit dem Reis oder was anderem Essen. Möchtest du probieren?“ „Gerne.“ Joshua hob zwei Schalen raus und ich füllte uns ein. Ich nahm es einfach so hin, dass ich mitaß. Nachdem er seinen Spaß mit mir hatte, brauchte ich auch etwas Stärkung. Das Essen verlief erstaunlich ruhig. Joshua lobte die Suppe. Ich hatte erwartet, dass er nach mehr fragen würde oder dass ich öfter kochen sollte – auch das hatte ich mal von einem Date zu hören bekommen. Doch er fragte nicht, sondern aß Schweigend. Nach dem Essen wollte ich abwaschen und gehen, doch er hielt mich zurück. Lieber sollte ich mit ihm einen Film gucken. Da er mit seinen glasigen Augen einen Hundeblick sehr gut imitieren konnte, gab ich nach. Wir schafften beinahe eine Stunde eines Spielfilms auf Netflix zu gucken, ehe Joshua gegen meine Schulter sackte. Fragen brauchte ich nicht. Ich fühlte, dass er wieder glühte. Ich schaltete den Fernseher aus und legte meine Hand an seine Wange. „Geh ins Bett.“ „Kommst du mit?“ „Nein“, sagte ich mild. „Dann will ich nicht.“ Ich seufzte schwer. „Nimm eine Tablette.“ „Nein.“ „Möchtest du etwas trinken?“ „Nein.“ Ich seufzte erneut. „Wenn du eine Tablette nimmst, ins Bett gehst und nachher schläfst, habe ich ein Geschenk für dich.“ Joshua setzte sich auf und sah mir prüfend in die Augen. Ich hob die Augenbrauen. Weniger elegant, aber es reichte aus, ein „Ok“, von ihm zu bekommen. Joshua ging sich umziehen und ich suchte ihm Wasser und eine Tablette gegen das Fieber heraus. Kurz bevor ich sein Schlafzimmer betrat, blieb ich stehen. Wieder wurde ich rot. Noch nie, wirklich noch nie, war ich im Begriff gewesen in das Schlafzimmer eines Mannes zu gehen, den ich toll fand und der scheinbar auch Interesse an mir hatte. „Komm ruhig rein. Ich liege schon.“ Das riss mich aus meinen nicht jugendlichen und zu weit führenden Gedanken und ließ mich schmollen. Wenigstens im Schlafzeug hätte ich ihn gerne gesehen! Aber gut. Ich betrat das Zimmer, welches durch Plissees verdunkelt worden war. Die Einrichtung und Gestaltung konnte ich nicht richtig erkennen, doch was ich sah, passte wie der Rest der Wohnung gut zu Joshua. Amüsiert bemerkte ich, dass auch er ein großes Bett besaß. Tja auf großen Betten schlief es sich einfach besser. Ich reichte Joshua die Tablette und das Wasser und kniete mich neben das Bett. Das Bettgestell war so hoch, dass es mir sitzend bis knapp an die Brust reichte. Ich stütze meinen Kopf mit der linken Hand auf dem Bett ab und sah Joshua direkt an. Ihn so im Bett liegen zu sehen, hatte schon was für sich. Abwartend sah er zurück. Die Tablette hatte er geschluckt und das Wasser geleert. Ich hob meine freie Rechte und fühlte seine Stirn und den Nacken. Er glühte zumindest nicht mehr. „Was machst du, wenn ich gleich einschlafe?“ „Ich werde abwaschen und dann leise gehen. Du sollst dich endlich ausruhen und gesund werden. Sonst können wir weder weiterarbeiten, noch das Date nachholen.“ Joshua nickte, wenngleich er eine Flappe zog. Lächelnd strich ich ihm über die Schläfe und legte meinen Daumen an sein Kinn, seine Schnute beseitigend. „Du sagtest, du hättest ein Geschenk für mich.“ „Mhm.“ Ein Geschenk, ja. Wohl eher für mich selbst an diesem Tag und auch nur aus reinem Eigennutzen, aber … Mein Daumen spielte noch mit seinem Kinn, bewegte es hin und her, während meine Augen auf die rosige Stelle darüber gewandert waren. Schließlich ließ ich von seinem Kinn ab und schob meine Hand an seinem Kiefer entlang hoch zum Ohr. Zeitgleich setzte ich mich auf und schmeckte keine Sekunde später warme, weiche Lippen. Meine Augen waren geschlossen und ich hatte ewig nicht mehr geküsst! Dennoch bewegte ich vorsichtig die meinen. Mein Herz raste vor Aufregung und gerade als es in peinliche Panik umschlagen wollte, spürte ich eine Reaktion. Zuerst bewegte Joshua die Lippen und ersetzte meine innere Anspannung durch kribbelnde Freude. Dann schob sich eine warme Hand auf meinen Hinterkopf und drückte mich noch etwas näher. Okay! Ich … war das nicht zu nah? Ich … Verdammt, ich konnte nicht denken. Länger als ich je einen Kuss bekommen hatte, genoss ich diesen umso mehr. Erst als Joshua seine Kraft verlor, lösten wir uns langsam. Ich öffnete meine Augen und sah nicht viel. Joshuas Gesicht war im Dunkeln, doch ein Lächeln erkannte ich. Auch dass er seine Augen kaum noch offenhalten konnte. Scheinbar machten ihn Tabletten wirklich müde. Ihm immer noch nahe, strich ich sanft über seine Augen. „Mach die Augen zu und schlaf.“ „Ich will nicht.“ Ich lachte leise. „Sturkopf. Willst du nicht gesund werden?“ „…“ „Schlaf ruhig. Ich lauf dir nicht weg.“ Ich beugte mich nochmal vor und küsste seine nun warmen Lippen. Ein Kribbeln durchfuhr mich. Mehr noch als ich ein Lächeln gegen meine Lippen spürte. Dieses Geschenk würde uns wahrscheinlich beiden in Erinnerung bleiben, dachte ich. Es war nicht gelogen. Das erste Mal wollte ich nicht weglaufen. Wollte ich nicht die Person ignorieren, die sich für mich interessierte. Joshua war eindeutig anders als alle anderen bisher. Aber wichtiger als das, war noch die Tatsache, dass ich mich ungewollt und ziemlich doll in ihn verguckt hatte. Einen solchen Kuss, der noch immer meine Lippen kribbeln und die Hitze in meinen Körper keimen ließ, hatte ich noch nie bekommen. Es machte mir sogar Spaß Joshua beim Schlafen zuzusehen. Aber so sehr ich mich auch freute, umso mehr ermahnte ich mich vorsichtig zu sein. Nicht weil ich meine Angst weiter vorschob oder den Tag ruinieren wollte, sondern weil ich es mir nicht versauen wollte. Seit mir Bewusst geworden war, dass ich in Binks verliebt war, hatte ich nicht mehr so gefühlt. Nun konnte ich den einen Vergessen und dem anderen meine ganze Aufmerksamkeit schenken. Das allein reichte mir aber nicht. Wie angekündigt räumte ich die Küche auf und stellte alles ordentlich weg. Die Suppe war noch warm, also schrieb ich auf einen kleinen, knall pinken Notizzettel, dass Joshua die Suppe in den Kühlschrank stellen sollte, sobald sie abgekühlt war. Ich besah mir das Kunstwerk von knall Pink auf silbernen Topfdeckel und der Drang zum Schabernack brach durch. Der Block hatte noch ausreichend Zettel übrig. Ich grinste frech für mich und machte mich ans Werk. Im Endeffekt hatte ich alle 44 Zettel in der Wohnung verteilt (außer im Bad, da war ich nicht.) In der Stube lagen Zettel auf denen stand: „Staubwischen!“ oder „Als Kind warst du niedlich“, weil ich ein Foto von Joshua und McFloyd gefunden hatte, auf welchen Joshua nicht älter als 13 Jahre sein konnte. Auf dem Couchtisch lagen Zettel mit Filmideen. Auf dem Stick, den ich mitgebracht hatte, klebte ein Zettel. In der Küche sah es noch wilder aus. Ich holte die Packung mit dem Fiebermittel raus und bat via Zettel, dass Joshua sich nicht so quälen sollte. Ich stelle Wasser und Teepackungen hin und schrieb, er sollte viel trinken. Ich ersetzte den Eiswürfel, trocknete den Teller und legte einen Zettel darauf der sagte: „Brauchst du nicht mehr.“ Auf zu viele Dinge schrieb ich aus Spaß „brauch ich“ oder „will ich“ oder auch „mag ich nicht“. Den letzten Zettel legte ich auf Joshuas Nachttisch. Es war der unterste, daher klebte dieser nicht mehr richtig. Als ich diese zwei Sätze schrieb, wurde mir heiß und kalt. Es war definitiv nicht die feine englische Art, aber auf eine witzige Weise old school und damit wieder ziemlich cool, wie ich fand. Ich ließ ihm sogar die typischen Antwortmöglichkeiten mit Ja, nein, vielleicht. Als das alles erledigt war, verließ ich Joshuas Wohnung mit einem guten Gefühl. Dieses Hochgefühl hielt noch einige Minuten an. Erst als ich im Bus saß und zur Ruhe kam, fingen meine Gedanken an zu rödeln. Die Sache mit der Handynummer und Kommunikation hatte ich geklärt. Auf einem der Zettel, die im Flur klebten, hatte ich meine Handynummer geschrieben. Dazu den Kommentar „Brauchst du“. Auf einem anderen Zettel stand meine Wohnadresse und „Brauchst du auch“. In jenem Moment kam mir das wie eine witzige Idee vor. Nun nagte mein Gewissen und fragte sich, ob ich nicht den Kommentar hätte weglassen sollen? Aber andererseits war es schon witzig und ich wollte, dass Joshua mir schrieb. Hibbelig saß ich in der Bahn und spürte mein Herz vor Aufregung klopfen. Wann er wohl schreiben würde? Daheim warf ich mich auf meine Couch und griff mir mein Kissen. Ich drückte es fest an meine Brust und rollte mich auf der Sitzfläche ein. Bis hierher hatte ich es geschafft nicht weiter nachzudenken, aber nun war es vorbei. Ich war so neugierig, was Joshua zu all den Zetteln sagen würde und wann er mir schreiben würde und wichtiger noch, wie seine Antwort lautete. Während ich wartete, wich mein Hochgefühl immer wieder einem schlechten Gewissen. Vielleicht war ich auch zu aufdringlich? Joshua war krank und sollte sich erholen, aber ich musste ja einkaufen gehen und ihn versorgen. Er hatte zwar zu keiner Zeit etwas dagegen gesagt, aber konnte man Kranken wirklich vertrauen? Gerade mit Fieber oder Fieberschüben wurde das Urteilsvermögen doch erheblich beeinträchtigt. Zudem hatte ich mich komplett anders verhalten, als ich es üblicherweise tat. In Joshuas Nähe wurde ich viel offener und freizügiger mit den Dingen, die ich sonst eher nicht hergab. Wie etwa jemanden so nah an mich heranzulassen. Für gewöhnlich hielt ich Dates und die Frauen die sich für mich interessierten auf Abstand. Einen Kuss gab es gerade mal nach dem dritten Date und dazwischen vergingen oft Wochen oder Monate. Wenn ich dann eine Dame küsste, war es nicht sonderlich aufregend. Sie komplimentierte mich, wollte noch mehr Nähe, mehr Kuscheln und ich warf sie schließlich raus. Die Gründe waren immer andere und sehr fadenscheinig, wie etwa: „Ich muss morgen früh raus.“ Jemanden in meine Komfortzone zu lassen, schreckte mich ab. Diese Begegnungen waren lange her und gerade deswegen hatte ich geglaubt, dass ich Joshua mehr auf Abstand halten würde. Mit Joshua hatte ich noch kein wirkliches Date gehabt und dennoch hatte ich ihm beim ersten Abendessen einen Korb gegeben, nur um danach ständig an ihn und seine bezirzenden Worte denken zu müssen. Tage später waren wir Laufen und ich habe ihn von mir aus geküsst. Das war mir in der Form noch nie passiert! Abermals zwei Wochen später, wenn ich mich nicht verzählt hatte, war ich bei ihm zuhause, ging für ihn einkaufen, pflegte ihn, gab meine privaten Daten preis und küsste ihn in seinem Bett. Wenn ich an den Kuss dachte, schwärmte ich noch immer und meine Lippen begannen zu kribbeln. Ich glaubte sogar, wäre Joshua nicht krank gewesen, hätte ich mich vielleicht sogar neben ihn gelegt. Meine Selbstbeherrschung ihm gegenüber sank rapide, wenn er nur in meine Richtung sah. In seiner Nähe verdampften alle Vorsichtsmaßnahmen und ich wurde für seine Berührungen empfänglicher. Joshuas gesamte Art wirkte anziehend auf mich. Je länger ich ihn ansah und mit ihm zusammenarbeitete, desto schlimmer wurde es. Erst wenn ich, wie jetzt, alleine war, konnte ich über alles in Ruhe nachdenken. Über mein Verhalten, seine Worte, seine Berührungen, seinen Kuss … Ich schrie in mein Kissen und strampelte mit den Beinen. Der Schrei wurde zwar gedämpft, trotzdem kam ich mir Sekunden später blöd vor. Blöd, aber glücklich. Verliebt grinste ich vor mich hin. Gott! Ich benahm mich wie ein verliebtes Mädchen. Meine Gedanken hielten inne. Dann grinste ich und lachte leise für mich. Ich WAR ein verliebtes Mädchen. Gut, verliebter Junge. Egal, ich war verliebt! Und es fühlte sich gut an. Gestern noch dachte ich, Wunder weiß, was heute für ein Tag werden würde. Die Versetzung zum Mittagsdate, die Nachricht von Joshuas Krankheit, die Möglichkeit ihn besuchen zu können, in seiner Wohnung zu sein, Zeit mit ihm zu verbringen und ihn auf eine Weise kennenzulernen, wie bisher noch nie, stimmte mich trotz des ganzen Hin und Her verdammt fröhlich. Das alles war mehr, als ich mir für heute je erhofft hatte. Ich sah auf mein Handy und war beinahe etwas enttäuscht, dass ich keine Nachricht hatte. Eigentlich war ich ziemlich froh, dass mein Handy mal stillstand. Andererseits konnte ich Joshuas Nachricht kaum abwarten. Ich warf das Handy aufs Bett und ging ins Bad. Morgen musste ich arbeiten. Je früher ich anfing, desto schneller war ich fertig. Während ich mich frisch machte und Zähne putzte, wanderten meine Gedanken immer wieder zu Joshua. Wann er wohl gesund sein würde? Wie süß er war, als er mich umarmt hatte. Ich war zwar zunächst stocksteif geworden, aber jetzt wünschte ich mich in diese Arme zurück. Seine Stimme an meinem Ohr war tief und leicht kratzig gewesen, sie bescherte mir eine Gänsehaut. Nur in Schlafshorts machte ich das Licht aus und tapste Barfuß zu meinem Nachttisch. Ich griff zeitgleich nach dem Handy, dass ich durch das leuchtende Display sehen konnte, und nach dem Nachtlicht. Das Handy zeigte eine Nachricht an und ich griff blind nach der Lampe. Während ich erkannte, wer mir geschrieben hatte, tippte ich neben die Lampe ins nichts und fing mich schmerzhaft auf einem Knie ab, ehe ich mir das Kinn hätte am Nachttisch aufschlagen können. Ich fluchte innerlich, hüpfte aber ins Bett und ließ das Licht aus. Joshua hatte mir geschrieben! Kapitel 11: Freundschaften -------------------------- Kapitel 11: Freundschaften Ich ließ es mir zwar nicht anmerken, aber ich dachte, ich würde sofort eine Antwort auf meine Zettelfrage bekommen. Es kam allerdings keine. Das erste was Joshua mir schrieb, war eine Frage. >Wie lange hast du gebraucht?< Ich grinste allein schon wegen dem Wort „gebraucht“. Als ich antwortete >nicht lange< und dass er keine Zettel mehr gehabt hätte, kam nur zurück, dass er noch einen gelben Zettelblock habe. So und ähnlich ging es eine Stunde hin und her, ehe ich sagte, ich müsste jetzt schlafen. Joshua wollte selbiges tun und sich weiterhin erholen. Am Sonntag sah ich viel zu oft auf mein Handy. Teilweise musste ich es in eine Schublade legen, um wenigstens meine Hauptarbeit erledigen zu können. Diesmal war es nicht nur Joshua, dem ich zu gerne antwortete. Wir schrieben über Lapidares und die Arbeit. Zwischendrin fragte ich auch, wie es Joshua ging. Er antwortete, dass die Suppe noch immer schmeckte und er sicherlich die nächsten Tage sehr gut versorgt sei. Bis auf das sich der Eiswürfel in einen grünen Notizzettel verwandelt hatte, war sein Kühlschrank nämlich gefüllt. Ich spürte wie meine Wangen glühten. Den Eiswürfel hatte ich ersetzt und wenn man es genau nahm, hatte ich das, was auch immer Joshua haben wollte, mit mir ersetzt. Ziemlich dreist und voreingenommen, wie ich jetzt fand. Aber jeder Kommentar seitens Joshuas zu den Zetteln oder dem was darauf stand, ließ mein Herz schneller schlagen. Zugleich murrte ich. Unbefangen hatte ich nach der Anzahl der Notizzettel gefragt und erfuhr, dass Joshua nur 43 gefunden hatte. Ich antwortete lange nicht, aber schließlich schrieb ich, dass er sich dann ja auf Ostern freuen konnte. Natürlich verstand Joshua diese Anspielung nicht und ich ging auch nicht weiter darauf ein. Über den Kuss oder seine Anhänglichkeit sprachen wir nicht. Ich ging davon aus, dass er solche Dinge vielleicht lieber persönlich besprechen wollte. Umso mehr sehnte ich den Tag herbei, an dem er wieder gesund zur Arbeit kommen würde. Die Zeit, in der ich mit Joshua schrieb, war angenehm und schön. Dahingegen waren meine anderen Chatgespräche eher anstrengend und ermüdend. Tobias hatte sich gestern gemeldet. Da ich so angespannt wegen Joshua gewesen war, hatte ich ihm erst heute geantwortet. Seitdem schrieb er ständig. Es ging um ein Treffen unserer Clique. Tobias hatte es sich endlich auf die Fahne geschrieben, alle mal wieder zusammen zu trommeln. In Aussicht stand das nächste Wochenende. Am besten der Freitag, da jene Freunde mit Kindern dann am meisten Zeit hätten. Natürlich richtete sich alles nach denen, die Familie hatten und ihre Kinder versorgen mussten. Ich war dem gegenüber etwas missgestimmt eingestellt. Tobias gestand offen, wie es nun mal seine Art war, dass er davon ausgegangen war, dass ich immer noch Single war und fragte mich deshalb erst zum Schluss. Eben, weil Singles doch immer Zeit hätten. Ich schrieb ihm, dass er eine Klatsche hatte und das nicht stimmte. Auch als Single hatte man Termine und Arbeit. Nur weil ihnen einfiel, dass ich noch da war, musste ich nicht springen. Dieser unüberlegte Kommentar gipfelte in einem ewigen hin und her über die Zeit, als ich versucht hatte Kontakt herzustellen. Alles was bei Tobias hängen geblieben war, war dass ich scheinbar viel Zeit hätte und mich nach ihnen richten würde. Es dauerte lange alles so aufzudrödeln, bis Tobias verstanden hatte, dass ich kein Dschinn war, den man mit einem Schnippen herbeirufen konnte. Nichtsdestotrotz blieb es bei Freitag. Als ich daheim endlich auf meine Couch sank, fiel mir ein, dass Joshua zwischendrin geschrieben hatte. Ich hatte nicht nachgesehen, da mich Tobias so sehr aufgeregt hatte und ich es nicht ausversehen an Joshua auslassen wollte. Den Chat geöffnet, las ich und sank mit glühenden Wangen mehr in meine Couch hinein. >Ich denke, ich komme Dienstag wieder.< Da ich nicht geantwortet hatte, schrieb er nach ein paar Stunden, also vor gut ein paar Minuten, zusätzlich: >Du fehlst hier< Mein Herz schlug so schnell, dass ich kaum denken konnte. Viel zu viel Blut war in meinem Kopf. Bestimmt! Und durch die ungleiche Blutverteilung bekam ich auch solches Bauchkribbeln, wie wenn man einen Berg zu schnell herunterfährt. Schlussendlich entschuldigte ich mich, dass ich erst jetzt antwortete. Ein Freund hatte mich abgelenkt. Dazu setzt ich ein entnervtes Smiley. Doch ich freute mich, wenn er Dienstag wieder da sein würde. Auf den letzten Satz schaffte ich es gerade so mit einem grinsenden Smiley zu antworten, obwohl mich das schon alle Kraft gekostet hatte. Dabei wollte ich gerne viel mehr. Wenn ich darüber nachdachte, fehlte mir Joshua schon ziemlich und das nach nur einem Tag. Ich würde ihn gerne sehen, seine Stimme hören oder mich noch mal in diese Umarmung legen. Das zu schreiben, traute ich mich nicht. Nicht, ehe ich nicht wusste, was mit meiner Antwort war. Nur weil Joshua nur 43 Zettel gefunden hatte, hieß das nicht, dass jener vom Nachttisch nicht dabei war. Dienstag, sagte ich mir und fiel der Länge nach auf die Couch. Dienstag. Der Montag kam schnell und verging auch relativ zügig. Ich erzählte Elias, dass Joshua morgen Abend wieder da sein würde. Zu spät ging mir auf, was ich damit losgetreten hatte. „Das ist gut. Hat er im Labor angerufen?“, fragte Elias, während er in sein Mikroskop sah. „Nein, er hat es mir gestern geschrieben.“ „Ihr habt eure Nummern ausgetauscht?“, kam die nächste neugierige Frage. „Nicht ganz. Ich habe sie ihm auf einem Zettel in den Flur geklebt. Er hat mich angeschrieben.“ Ich nahm eine der Proben und besah sie mir. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich mich. „Du warst bei ihm zu Hause?“ Ich hätte auf den Unterton achten sollen! „Er war doch krank und hatte nichts zum Essen da, da …“ Ich stockte und hielt in allem inne. Vorsichtig sah ich mich um. Elias saß vor seinem Mikroskop und begutachtete mich mit hochgezogener Augenbraue und einem unheimlichen Funkeln in den Augen. Langsam stellte ich die Probe zurück auf den Tisch. „Erzähl mir alles!“ Shit, fluchte ich und ergab mich seiner Neugierde. Ich hatte bereits gemerkt, dass Elias sehr sturköpfig sein konnte. Sich seinem Interesse zu entziehen, war schwerer als Wasser mit einem Sieb zu fangen. Artig erzählte ich ihm, wie ich Samstag auf Joshua gewartet hatte, dieser nicht kam, aber dafür McFloyd. Wie ich die Adresse bekommen hatte und hingefahren war. Wie Joshua mich verschlafen auf der Treppe begrüßt hatte und ich von seiner „Krankheit“ erfuhr. Von den Fieberschüben und dass Joshua nichts im Kühlschrank hatte. Einige schlüpfrige Details ließ ich weg, wie etwa, dass Joshua mich umarmt hatte oder meinte, er will mich und braucht mich deshalb. Oder dass ich Joshua in seinem eigenen Schlafzimmer im Bett geküsst hatte. Das brauchte Elias nun wirklich nicht zu wissen! Dafür erzählte ich auszugsweise von den Notizzetteln. Elias war so enthusiastisch und schien sich ehrlich für uns zu freuen, dass ich fragend den Kopf schief legte. „Hattest du nicht mal gesagt, dass du nicht so auf Männerbeziehungen stehst? Ich dachte du lehnst alles ab, was damit zu tun hat, aber du klingst voll begeistert.“ Das war natürlich kein Eingeständnis, dass Joshua und ich eine Beziehung oder dergleichen hatten. Doch mir war aufgefallen, dass Elias frei über jede Art von Beziehung und schlüpfrigen Zweideutigkeiten sprechen konnte, egal um welches Geschlecht es sich handelte. Fragend sah Elias mich an. „Ich habe nichts gegen Männerbeziehungen. Wie könnte ich sonst mit Josh befreundet sein? In Unizeiten hatte nicht nur ich meine Sorgen mit den Frauen, sondern er gleich mit beiden Geschlechtern. Wir tauschten uns oft aus. Ich finde, das gehört zu richtig guten Freunden dazu. Also dass man sich auch über die eigenen Sorgen und Nöte unterhalten kann. Und wenn es ein Mann war, dann eben über einen Mann. Da konnte mein Rat oftmals noch helfen, aber bei Frauen waren wir beide ratlos“, erzählte Elias und lachte amüsiert über diese Anekdote. „Ich wollte nur nie bei einem seiner Dates mit einem Mann dabei sein. Mir reichte es, wenn ich sah, wie Josh sich manchmal anstellte. Da musste ich das nicht im Doppelpack erleben.“ „Aber … wäre es jetzt nicht auch ein Doppelpack?“ Ich machte eine nervöse Geste, die zwischen mir und Joshuas Tisch hin und her ging. Elias überlegte kurz, eher er auflachte. „Stimmt wohl. Aber du bist so ein niedlicher Welpe, da sieht man gerne zu“, sagte er zwar zu mir, sah jedoch zu Joshuas Tisch. Mir war, als wollte Elias noch mehr sagen, behielt es aber für sich. Nach einer Weile fügte er an: „Ich denke, so lange ihr mich mit gewissen Details nicht erhellt, macht es mir nichts aus.“ „Aha“, sagte ich laut und wollte hier und jetzt noch nicht wirklich über „gewisse Details“ nachdenken. Am Dienstag kam Joshua endlich wieder. Ich war so nervös, dass ich mir zu oft durch die Haare strich. Ungeduldig saß ich in meinem Stuhl gelehnt und drehte mich um mich selbst. Irgendwann bemerkte ich, wie jemand in der Tür stand und hielt an. Meine Welt drehte noch etwas nach und Joshua sich mit ihr. „So vertreibst du dir die Zeit, wenn ich nicht dabei bin?“ Joshuas Stimme klang amüsiert und heiter. Ein elegantes Grinsen zierte sein Gesicht. Mir klopfte das Herz bis zum Hals, jedoch schaffte ich es, mich cool zu geben. „Nicht dauernd. Ab und an bin ich auch mal durch die Flure flaniert und habe mit dem Skelett getanzt.“ Joshua lachte. Ich hatte ihn noch nie Lachen gehört. Sofort schlug mein Herz schneller und entließ abertausende von Schmetterlingen in meinen Bauch. „Gut zu wissen. Dann war Ferdinand nicht so allein“, sagte Joshua und stellte seine Tasche auf seinem Tisch ab. Ferdinand war das Skelett getauft worden, weil … keine Ahnung warum. Als ich hier anfing, hieß es bereits so. Auch egal. Verlegen sah ich zur Seite und wartete, sah zu Joshua und dann wieder auf meine eigenen Finger. „Und dir geht es wieder gut?“ „Mhm. Bin wieder topfit.“ „Und die Zettel hast du alle weggeräumt?“ „Ja, alle 43. Sie sind sorgfältig in einer Schachtel verwahrt.“ Ich nickte und lächelte etwas. Er hatte also wirklich einen zu wenig gefunden. Nur welchen hatte Joshua nicht gefunden? Es konnte doch nicht wirklich der Eine sein?! Meine Unsicherheit wuchs und ich bemühte mich nach Leibeskräften es zu überspielen. Ich wollte ihn fragen, war ich doch so neugierig. Jedoch traute ich mich nicht. Meine Lippen bewegten sich kein bisschen. Mir fiel nicht ein, wie ich ihn hätte fragen können. Dieser Samstag war einfach zu besonders ... Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Stirn. Erschrocken sah ich auf. „Du bist so rot. Ist alles in Ordnung? Du hast dich nicht angesteckt?“ Joshuas Hand war warm und weich und ich fühlte sie von meiner Stirn, über meine Schläfe, zu meinem Nacken wandern. Ein Teil von mir dachte, ja, lass ihn, er macht das Gleiche, wie ich am Samstag bei ihm. Doch der Großteil von mir geriet etwas zu sehr in nervöse Panik und schob seine Hand weg, wie eine angreifende Biene. Ich schüttelte meinen Kopf. „Ignoriere das einfach. Es ist nichts“, antwortete ich und sah weg. Ich konnte Joshua nicht ansehen, so peinlich war mir das. Sicherlich spielte er auf die Nähe beim Kuss an. Uns beiden war bewusst, dass ich mich bei Joshua nie mit Fieber hätte anstecken können! Flirtete er also? Vorsichtig sah ich zu Joshua und bemerkte, dass die Hand von eben zu einer Faust geballt worden war. Überrascht sah ich auf. Sein Blick war milde und musterte mich immer noch. „Josh-“ „Entschuldige. Ich war zu voreilig.“ Joshua ging an seinen Tisch und widmete sich seinen Unterlagen. Vorsichtig und etwas ruhiger werdend, da er mir weniger nah war, setzte ich mich wieder gerade hin und beobachtete ihn. „Was machen wir jetzt?“, platzte es aus mir heraus. Das konnte doch nicht alles gewesen sein?! „Wir arbeiten. Du hast mir ja die Ergebnisse geschickt und“, Joshua redete weiter. Erklärte, was wir nun wie tun würden. Es ging in die zweite Phase und ich würde eine Probenreihe vorbereiten, er eine andere. Ich nickte und blieb fachmännisch, doch innerlich zog sich alles zusammen. Ich fand einfach keinen Punkt, an dem ich ihn hätte unterbrechen können. Was ich gemeint hatte, war nicht die Arbeit, sondern uns! Aber ich war viel zu gelähmt und scheu ihm reinen Wein einzuschenken. Den ganzen Abend überlegte ich, wie ich am besten an ihn herantreten könnte, brachte aber nichts zustande. Joshua hatte meinen Zettel, auf dem ich ihm geschrieben hatte, was ich fühlte und fragte, ob er mit mir gehen wollte, nicht gefunden. Oder hatte er ihn absichtlich nicht erwähnt? Vielleicht irrte ich mich ja auch mit seinen Aussagen und Annäherungen… Aber das konnte ich mir nicht vorstellen. Wie zuvor wanderten meine Blicke zu Joshua, wenn er arbeitete. Ich wurde rot und hibbelig. Seine Stimme klang so angenehm in meinen Ohren. Doch immer, wenn ich etwas sagen wollte, blieben mir die Worte im Hals stecken. Mein erstes Geständnis fiel mir ein. Die Ablehnung, der Blick … ich wurde regelrecht starr und schloss meinen Mund wieder, ohne etwas gesagt zu haben. Wie oft hatte ich anderen schon einen Korb gegeben oder sie noch harscher abgewiesen? Nun war ich es, der sich vor einem Korb fürchtete. So sehr, wie bisher noch nie. Nicht einmal bei Binks. Zu sechs Uhr am Mittwochmorgen kam Elias zum Dienst. Während ich im Labor etwas aufräumte, traten Joshua und Elias auf den Flur und redeten miteinander. Ich hörte, dass sie sich unterhielten, verstand die Worte aber nicht. Selbst wenn die Tür sich automatisch öffnete, weil die beiden nicht weit genug davon weggegangen waren, verstand ich kaum etwas. Zugegeben, ich war auch zu sehr in meinem eigenen Strudel aus Gedanken versunken. WUSCH „… sicher? Es gibt immer welche, die es nur ausprobieren wollen.“ WUSCH WUSCH „… -ael zu der Sorte gehört…“ WUSCH WUSCH „… quäl dich damit nicht rum…“ WUSCH Ich blieb vor einem der Regale mit den Glasbehältnissen stehen und schaffte es noch die Essenzen in meiner Hand abzustellen, eh mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. Redeten sie über mich? Worüber genau? Nur ausprobieren wollen? Glaube Joshua etwa, ich wollte nur etwas herumspielen und sonst wäre da nichts? Etwa weil ich gesagt hatte, dass ich nicht auf Männer stand? Aber das war doch nur eine Ausrede gewesen! Eine, die ich viel zu lange benutzt hatte, um mich selbst und andere zu belügen und besser dazustehen. Aber das hatten wir doch bereits – nein... wir hatten es nicht aufgeklärt. Joshua hatte in den Raum gestellt, dass ich auf Männer stehen könnte, mehr als auf Frauen, aber ich hatte ihn dahingehend nie bestätigt. Mein Herz ging mir gerade auf Grundeis und meine Finger waren schon eiskalt geworden. Das Klingeln meines Handys riss mich aus meiner Starre. Ich ging gedanklich abwesend hin und nahm den Anruf an. Am Hörer blökte mich eine viel zu muntere Stimme an. Tobias war schon immer ein Frühaufsteher gewesen. Glücklich erzählte er mir, dass nun alle für Freitag zugesagt hatten und er mir das sofort mitteilen musste. Und da er sich brav gemerkt hatte, dass ich Nachtschicht hätte und jetzt mein Feierabend war, wollte er mich erwischen, ehe ich ins Bett ging. Es war löblich, wirklich. Ich rechnete es ihm hoch an. Doch sein Timing war super schlecht. Vor allem als Tobias ebenso fröhlich erzählte, dass Binks mit seiner neuen Freundin kommen würde. Ich sollte doch mal raten, wer das sein könnte. Ich war immer noch steif und brachte nur mit Mühe ein „Wer ist es?“ heraus. Meine Stimme klang kratzig und rau. Unbemerkt von mir waren meine beiden Kollegen wieder ins Labor gekommen. Was auch immer sie besprochen hatten, war nun beendet und Joshua trat auf mich zu. Sein Blick bestimmt und sicherlich bereit, mich etwas Wichtiges zu fragen. Ich sah ihn kommen und mein Herz hüpfte vorsichtig vor Anspannung. Just in dem Moment eröffnete Tobias mir, dass Binks, meine Ex-Liebe, mit meiner Ex-Freundin zusammen war. Sie hatten sich bereits vor Monaten gefunden! „Mael, können wir reden?“, fragte Joshua. Tobias sagte, dass die beiden erst nicht kommen wollten, um mich nicht in Verlegenheit zu bringen. Sicherlich dachten alle es läge nur an Evelin, meiner Ex, dass es mir unangenehm sein könnte. Keiner außer Binks und mir wusste, dass es vielleicht mehr daran liegen könnte, dass ich mich für ihren neuen Freund interessiert hatte. Nein, vielleicht war es auch nur ich, der noch daran dachte. Für Binks war das Alles ja nie passiert. Mein Blick verfinsterte sich. Joshua hielt inne. Ich sah weg und sprach ins Telefon. „Verarsch mich nicht. Das ist mir doch einerlei. ... Nein, das hat damit nichts zu tun. Wah- ich bin gerade in keiner Beziehung! … ICH KÜSSE KEINEN MANN! Ha- Warte mal. Hey! Ich bin Freitag da, ok? Mir egal, wer noch. Ja. Ich mich auch. Bis dann.“ Ich legte auf und drehte mich zu meinen Kollegen um. Sie hatten natürlich alles mitangehört. Joshuas Blick war unverständlich. Ich sah Fragen und etwas Abneigung. Elias hatte nur die Arme verschränkt und sah mich mit einem Blick an, der eine Erklärung erwartete. Aber ich konnte nicht. Wie könnte ich auch? Ich war so durcheinander. Ich musste erstmal nachdenken! „Ich muss nach Hause“, brachte ich noch heraus, ehe ich mich an Joshua vorbei schob und quasi aus dem Labor floh. Daheim versuchte ich etwas Schlaf nachzuholen. Das Einschlafen stellte sich bereits als schwierig heraus, hatte ich immer noch das Gefühl mitten in einer Achterbahn zu sitzen. Ich brauchte sehr lange um einzuschlafen und schlief schlecht. Meine Träume waren wirr und ließen mich schweißgebadet aufwachen. Duschen half auch nicht. Alsbald meine Gedanken zurückkehrten, war dieses innerliche Karussell wieder da. Es drehte und drehte sich und ich glaubte jeden Moment hinaus geschleudert zu werden. Aus Frust begann ich ein paar Übungen zu machen. Sit-ups, Kniebeugen, Liegestütze. In Wiederholung. Mich auf meinen Körper zu konzentrieren, half meinen Fokus zu finden. Ich wurde ruhiger, auch wenn ich nach der dritten Wiederholung schon ziemlich zu kämpfen hatte. Ich zog an und schaffte insgesamt fünf Runden mit je 40 Wiederholungen. Schwitzend und etwas schwer atmend griff ich nach der Wasserflasche und setzte an. Das Knacken des Plastiks wurde immer mehr und die Dellen größer. Erst als ich absetzte, drückte die wiederkehrende Luft die Beulen in der Flasche raus. Mein Puls war noch erhöht, ich war durchgeschwitzt, obwohl ich gerade duschen war und fühlte mich gut. Selbst wenn, dachte ich mir, duschte ich eben noch mal. Meinen gedanklichen Fokus zurückhabend, ordnete ich meine Gedanken. Heute war Mittwoch. Noch zwei Nachtdienste, dann der eine freie Tag, den ich am liebsten mit Joshua und einem richtigen Date verbracht hätte. Aber nun ging ich abends mit Freunden essen. Daran war an sich nichts verkehrt, hatte ich mich doch lange danach gesehnt. Das Timing jedoch … war unter aller Sau. Warum gerade diese Woche? Na egal. War es eben so! Was mich unruhig werden ließ, war die Begegnung mit Binks und Evelin. Es ist das eine, wenn ich mir hier im stillen Kämmerlein meiner Gefühle sicher bin und etwas völlig anderes, wenn ich ihnen gegenüberstehe. In mich hineingefühlt, war ich mir sehr sicher, dass ich Binks abgehakt hatte und Evelin war eh nur da gewesen um Erfahrungen zu sammeln. Aber ich wusste nicht, was sein würde, wenn ich ihnen gegenüberstand und beide ihre üblichen Scherze machten. Gäbe es dann noch Gefühle? Würde ich mich übergangen fühlen? Oder bestand die Chance, dass nichts wäre? Die Wortfetzen, welche ich mitgehört hatte, machten mir zu schaffen. Doch wollte ich erst mit Joshua reden und unterband mit aller Macht wilde Gedankenausflüge. Ich wollte mir dieses eine Mal nicht vorher vorstellen, was-wäre-wenn, sondern es von Joshua direkt hören. Demnach musste ich dringend mit Joshua reden. Jedoch … vor dem Essen am Freitag fand ich dazu keine Ruhe. Samstag dann? Nach der Arbeit? Nein, gleich zu Beginn. Es reichte schon, dass ich ihn gestern kaum hatte ansehen können und mich die nächsten zwei Tage noch ausschweigen würde. Samstagmorgen. Definitiv! Was die Sache mit dem Notizzettel anging, war ich auch ruhiger geworden. Selbst wenn Joshua den Zettel nicht gefunden hatte oder es absichtlich nicht angesprochen hatte, so würde ich es machen müssen. Mir schlotterten zwar die Knie, allein daran zu denken, eine Liebeserklärung oder so was in der Art abzugeben, aber andererseits … es war Joshua von dem ich hier redete und nicht Binks. Joshua war ganz anders, aufmerksamer und rücksichtsvoller. Er hatte genügend Erfahrungen und selbst Elias hatte mir dahingehend immer wieder zugesprochen, dass Joshua seine Partner gut behandelt hatte. Sollten meine Gefühle nicht erwidert werden, würde ich später das Chaos ordnen müssen. Trotzdem … etwas sagte mir, dass es gut gehen würde. Es war schwer zu erklären, nur eine vage Ahnung, aber Joshua … würde mir nicht weh tun. Die restliche Zeit vor Arbeitsbeginn vertrieb ich mir teilweise damit, vor dem Spiegel zu stehen und Worte zu finden. Egal wie ich es formulierte, entweder lief ich rot an oder verzog meine Mimik auf sonderbare Weise. Schließlich gab ich auf, zog mich an und ging zur Tram. Diesmal war ich es, der als zweiter das Labor betrat. Joshua stand vor dem Probenschrank und hatte die Arme verschränkt. Ich atmete tief ein und langsam aus. Dann ging ich zu meinem Tisch und stellte meine Tasche ab. Joshua hatte bereits seinen Kittel angezogen und sah elegant aus wie immer. Seine braunen Haare glänzten selbst in diesem Neonlicht perfekt. Mit allem Mut, den ich finden konnte, trat ich auf Joshua zu. „Guten Abend“, sagte ich. Meine Hände waren hinterm Rücken versteckt und verkrampften etwas. Joshua drehte sich zu mir. „Guten Abend.“ Er sah zu den Proben und wieder zu mir. Da ich immer noch vor ihm stand, hob er eine Augenbraue und sah mich fragend an. Ich holte tief Luft. „Ich muss mit dir reden. Ü-über das Wochenende und so“, gab ich ihm als Hinweis. Leider wurde meine Stimme etwas kleinlaut dabei. „A-aber ich muss erst was erledigen. Am Freitag. Also …“ Ich biss mir auf die Unterlippe und nahm allen Mut zusammen Joshua wieder direkt anzusehen. Mein Blick war eben vor Scham immer tiefer gesunken. Nun blickte ich in klares Grau, ruhig und beständig. Wartend. „Samstagmorgen. Ich muss Samstagmorgen unbedingt mit dir reden. Vor der Arbeit. Bitte.“ Joshuas Blick wanderte über mein Gesicht und es fühlte sich an als würde er nicht nur meine Haut und Mimik erkunden. Schließlich nickte er. „Gut. Ich warte bis dahin.“ Mir fiel ein Stein vom Herzen. Erleichtert fiel die Anspannung von mir ab und ich atmete mit einem Lächeln auf den Lippen aus. „Gut. Dann zieh ich mich schnell um.“ Joshua nickte abermals und ein amüsiertes Lächeln blitzte in seinen Augen auf. Ich schielte flüchtig zurück und zog mir schnell den Kittel über. Der neue Abschnitt unseres Experimentes war vielschichtiger und teilweise sehr kleinschrittig. Ich war so froh, dass ich mich in den Nächten und Tagen alleine, ausreichend belesen hatte. Unsere Zusammenarbeit war flüssig und fachmännisch. Wir redeten deutlich mehr miteinander als noch am Vorabend und auch die Kaffeepausen machten wir zusammen. Vielleicht lag es daran, dass ich uns einen Gesprächstermin geschaffen hatte, denn die Stimmung war nicht so frostig wie gestern. Keiner von uns sprach jenes pikante Thema an. Gerade so als hätten wir auf Pause gedrückt. Es war so erleichternd, dass ich es schaffte, allein daraus neue Kraft zu schöpfen. Zielstrebiger konnte ich auf den Freitag zugehen! Ich streckte mich ausgiebig und gähnte dazu. Es war Freitagfrüh kurz vor sechs. Ich zog meinen Kittel aus und packte meine Sachen zusammen. Vor Müdigkeit bekam ich die Augen kaum noch auf und zog zur besseren Konzentration die Augenbrauen herunter. „Ist es etwas schlimmes?“ wurde ich gefragt. Verwundert drehte ich mich um und bemerkte Joshuas besorgten Blick. „Was?“ „Was auch immer du heute vorhast.“ Mein Kopf war lahm, meine Gedanken müde, daher brauchte ich eine Weile. „Haha, nein“, schmunzelte ich. „Ich bin nur Müde“, fügte ich hinzu, um meine matte Miene zu erklären. Joshua nickte, aber ich hatte das Gefühl, dass er gerne mehr wissen würde. Er sah zu seinem Tisch und wieder zu mir. Er wirkte unschlüssig. Eine Eigenschaft, die nicht wirklich zu ihm passte. Ich lächelte etwas mehr und sagte: „Ich treffe mich heute Abend mit Freunden. Wir gehen Essen. Klingt nicht sehr anstrengend, aber wir haben uns lange nicht gesehen und nach meinen ersten Versuchen mit ihnen wieder in Kontakt zu treten … na sagen wir mal, ich habe viele Körbe kassiert.“ Ich zuckte mit den Schultern und tat es als beiläufiges Ereignis ab. „Dann war das Telefonat letztens darüber?“ Ich nickte nur. „Warum bist du so fahrig geworden?“ Seine Frage war berechtigt. Jedoch schaffte ich es nur zu einem genervten Lächeln und gab kleinlaut Antwort. „Mein Kumpel sagte mir, dass eine Ex von mir da sein würden und jemand in den ich mal …“ Ich schwieg einen Moment. Joshuas Miene blieb verständnisvoll, doch glaubte ich, seine Augen hätten sich für den Moment etwas verdüstert. „Das ist zwar alles schon ziemlich lange her, aber … gerade die Beiden sind nun zusammen und ich weiß nicht, wie ich das verdauen werde.“ Joshua schwieg ebenso lange wie ich. Seine Gedanken konnte ich nicht deuten, doch sah ich deutlich wie er zum Reden ansetzte und aufhörte. Schließlich fragte er, wo und wann wir Essen gehen würden. Ich glaube nicht, dass das seine eigentliche Frage gewesen war, wollte aber auch nicht nachbohren. Morgen würde ich ihm alle Fragen stellen und mich gegebenenfalls allen Fragen stellen, die Joshua hätte. Zumindest nahm ich es mir fest vor. Ich antworte ihm und beschrieb das Restaurant, in welchen wir uns gegen fünf Uhr einfinden wollten. Es war in der Innenstadt und recht klein. Eines von unzähligen in der Haupteinkaufsstraße der Altstadt. Wären die Häuser nicht im Fachwerkstil gebaut worden, könnte man bei all den kleinen Gassen, welche von der Haupteinkaufsstraße abzweigten, ein mediterranes Feeling bekommen. „Ach das, das kenn ich“, kommentierte Joshua. Er sagte nicht mehr, denn just in dem Moment eilte Elias durch die Tür. Mein Herz hatte einen Satz gemacht und ich sah Joshua mit leuchtenden Augen hinterher, welcher sich zu Elias gesellte. Für einen Moment klang sein Kommentar, als … nein, ich dachte unsinniges. „Ich mache mich los. Bis morgen.“ Bei den letzten Worten sah ich Joshua direkt an und hielt den Blick für wenige Sekunden. Dann nickte ich Elias zu und ging heim. Ich schwöre. Für einen flüchtigen Moment hatte ich geglaubt, Joshua wollte nur wissen, wo wir essen, um ebenfalls vorbeizukommen. Vielleicht als Retter in der Not? Der Gedanke stimmte mich fröhlich. Natürlich war es ein unsinniger Gedanke. Wir waren für morgen früh verabredet. Warum sollte er sich vorher aufmachen? Dennoch stellte ich mir auf dem Heimweg vor, wie Joshua unerwartet vor dem Restaurant auftauchen würde und mich aus den Klauen meiner Freunde befreite. Ich lachte für mich und sah vielleicht etwas verliebt aus dem Fenster der Tram. Zugegeben, ich war unheimlich nervös gewesen, als ich mich zum Treffen aufmachte. Als ich angekommen war, spürte ich davon nichts mehr. Die Innenstadt war sehr verwinkelt, jedoch gab es gelegentlich größere Freiflächen für Parkplätze oder mit kleinen Wasserspielen und Brunnen. Vor dem Essen trafen wir uns an einem solchem Wasserspiel. Je näher ich kam, desto mehr bekannte Gesichter erschlossen sich mir. Kinder hatte keiner dabei. Tobias kam auf mich zu und umarmte mich herzlich. Shin hielt mir die Faust hin und wir fistbumbten. Dann stellte er mir seine neue Freundin vor, welche sich gerade ausgelassen mit der Frau von Marcel unterhielt. Marcel umarmte mich noch kräftiger als Tobias und just als ich wieder atmen konnte, erinnerte ich mich schon nicht mehr an die Namen der beiden Damen. Was solls. Wir unterhielten uns dennoch vorzüglich. Noch redeten wir über Belangloses. Erst als Binks und Evelin angekommen waren und wir uns ins Restaurant gesetzt hatten, wurde nacheinander jeder ausgefragt. Wie geht’s es dir? Was machst du gerade? Wie ist die Arbeit, Frau, Familie, Hobbys? Wir brauchten allein dafür zwei Stunden um alle auf den neusten Stand zu bringen. Nebenbei bemerkt, das Essen war super lecker. Da ich nach der Arbeit sofort ins Bett gefallen war, hatte ich kaum etwas gegessen. Daher war ich so frei und bestellte mir gleich drei Gänge. Suppe, Steak und Nachtisch. Als ich mir das Steak schmecken ließ, war Binks gerade dabei zu erzählen, wie seine Arbeit lief. Es war nicht alles rosig. Dann noch der Wasserschaden in seiner Wohnung und der mega lange Kratzer an seinem neuen Auto! Er hatte zurzeit einfach nur Pech. Abgesehen von Evelin, welche ihm seit dem Tod seiner Großtante sehr unterstützt hatte. Natürlich half sie ihm, dachte ich bei mir. Sie war schon immer an Binks interessiert gewesen. Das war einer der Nachteile, wenn man seinen Schwarm ständig beobachtete. Man bemerkte all jene, die dasselbe taten, wie man selbst. Ich zumindest. Evelin hatte nur Augen für Binks. Binks hingegen stand eher auf Blond und vollbusig, nicht auf Brünett und Mittelmaß. Aber ich musste zugeben, dass Evelin sich wirklich gemacht hatte. Sie hatte ihre Haare lang wachsen lassen, trug sie leicht wellig und offen über ihren Schultern. Sie war dezent geschminkt und bereits mit all seinen Freunden bekannt. Für Binks ein wahrer Glücksgriff. Obwohl meine Sympathie bei Evelin lag. Sie sah so glücklich aus und strahlte regelrecht von innen heraus. Ich freute mich für sie. Trotzdem erzählte hauptsächlich Binks. Er hörte sich schon immer gerne reden. Und während er noch sein Leid und Pech klagte, brachte er immer wieder neue Sprichwörter ein. Etwa: Wenn eine Tür sich schließt, öffnet sich eine andere. Nach dem Gewitter kommt der Regenbogen. In der dunkelsten Stunde erscheint dir ein Licht. Ich hörte kaum zu. Ich schnitt mein Steak und besah mir das leicht rosafarbene Innere. Perfekt Medium gebraten. Ohne Umschweife verschwand jenes Stück in meinem Mund. Während ich kaute, besah ich mir meine Freunde und stellte fest, dass jeder auf eine andere Art aß. Marcel nahm zu viel Soße auf, sodass sie von der Gabel lief und ständig von seinem Mund tropfte. Shin stopfte sich die Pommes zu seinem Gericht mittels Finger in den Mund. Die Damen versuchten besonders edel zu essen. Ich erinnerte mich an das Essen mit Joshua. Wir hatten uns davor und danach unterhalten. Keiner sprach mit vollem Mund. Mir war aufgefallen, dass Joshua die Gabel anders rum hielt und an der Rundung mit dem Messer schnitt. Wenn er dann das Stück zum Mund führte, drehte er die Gabel kaum merklich und … Ich schloss die Augen und griff nach meiner Cola. Einerseits freute es mich, dass ich während ich hier mit Freunden saß, an Joshua denken musste und mich keine negativen Gedanken heimsuchten. Anderseits reichte ein einfacher Gedanke und ich kam vom Essen eines Steaks über Lippen zu unserem Kuss und musste mich arg zusammenreißen nicht allzu breit zu grinsen. War solch eine gedankliche Verlinkung normal oder schon obsessiv? Während des Nachtisches besah ich mir meine Freunde in aller Ruhe. Jeder hatte sich ein klein wenig verändert, war älter geworden. Später ging mir auf, dass ich selbst Binks ganz normal gemustert hatte. Es hatte sich in mir nichts geregt. Kein Knoten im Magen, kein Krampf im Herzen, keine Unruhe in den Fingern. Ich war so erleichtert! Wie lange hatte ich all das mit mir herumgeschleppt? Jedes Mal war es ein halber Krampf gewesen sich normal zu verhalten und ich kam mir selbst wie der größte Schauspieler der Welt vor. Oder trifft es Lügner eher? Wie auch immer, was da gewesen war, war nun fort. Nachdem jeder von sich erzählt hatte, wären uns beinahe die Gesprächsthemen ausgegangen. Jedoch enthielt mein Nachtisch eines dieser kleinen Schirmchen. Marcel nahm es zum Anlass alte Kamellen aufzuwärmen. Die Geschichte von Tobias und den zehn Schirmchen am Strand von Italien, während unserer Abschlussfahrt, wurde ausführlich diskutiert. Aber auch jeder andere Fehltritt zu unseren Schulzeiten. Auch ich wurde nicht verschont. Da war die Sache im Sportunterricht. Als ich an einem Tag siebenmal den Ball abbekommen hatte. Dreimal davon ins Gesicht. Oder als wir, während einer Klassenfahrt, ein Zimmer teilten und um unsere Lehrer zu verwirren, schlichen wir uns über die dünnen Haussimse von einem Fenster zum nächsten. Ich sollte erwähnen, dass wir uns im zweiten Stock befanden. Es war spaßig und das Adrenalin spornte uns zu weiteren Unsinnigkeiten an. Zumindest bis ich an der Regenrinne hinauf in den dritten Stock wollte, abrutschte, durch eine Hecke fiel und in einem ekelig nassem Blätterhaufen landete. Ich verknackste mir lediglich mein Handgelenk. Trotzdem sind wir aufgeflogen und die Lehrer stauchten uns ordentlich zusammen. Schließlich kam jede erdenkliche Poolgeschichte zu tragen. Zu meinem Leid auch jene, in welcher ich mit Binks rumgealbert hatte, wir ausrutschten und er auf mich fiel. Mich hatte das damals so erschreckt und die Nähe war so plötzlich gekommen, dass mir was abstand. Binks zog mich auf, aber ich wehrte mich. Früher hätte ich verlegen getan, doch heute wollte ich am liebsten keine Verbindung mehr zu solchen Peinlichkeiten haben. Ich erwähnte, dass wir uns vorher ausführlich über Frauen und Brüste unterhalten hatten. Die Männer in der Runde stimmten zu und fanden, dass das durchaus zu verzeihen sei. Marcels Frau echauffierte sich über sexistisches Verhalten, jedoch wurde schnell klar, dass es ihr damit nicht ernst war. Ich brachte indes die Sache mit Marcel und der Pornosammlung seines großen Bruders auf. Schnell war mein Fauxpas vergessen. Als die Uhr halb neun schlug, wurde ich unruhiger. Für mich war die Sache mit meinen Freunden nun geklärt. Sie lebten, alles war wie immer, ich trauerte niemanden mehr hinterher und war mehr als hibbelig mich mit dem großen Thema „Joshua“ zu beschäftigen. Meine Unruhe wurde bemerkt, als ich zum wiederholten Mal auf mein Handy sah und scheinbar auch seufzte. „Ich würde gerne eine Rauchen gehen“, sagte ich und griff nach meiner Jacke. Musste ja niemand wissen, dass es nicht der Nikotinmangel war, der mich antrieb. „Warte Max“, hielt Tobias mich zurück, ehe er in die Runde sprach. „Wollen wir nicht noch, woanders was trinken gehen? Ihr habt doch Sitter für eure Kinder, nicht wahr? Wie lange könnt ihr noch?“ „Ach, meine Mutter macht das schon“, erzählte Marcel freigiebig. Shin besprach sich mit seiner Freundin. „Marry würde schon vorgehen. Sie trinkt eh nicht, aber ich komme noch mit.“ Ah, stimmte. Shins Freundin hieß Marry. Nun gut, bye Marry, dachte ich bei mir. Ich überschlug im Kopf was ich zu zahlen hatte und legte einen glatten Betrag inklusive Trinkgeld auf den Tisch. „Hier, zahlt für mich mit. Ich warte dann draußen auf euch.“ Ich schnappte mir meine Jacke und verließ das Restaurant. Draußen war es kühler geworden, doch immer noch angenehm, da der Wind sich gelegt hatte. Wenn es mal stark windete, fegte es, je nach Windrichtung, mal kräftig, mal lau durch die Einkaufsmeile und Gassen. Ein Grund weshalb ich lieber drinnen gesessen hatte. Sporadisch ließ ich meinen Blick zu beiden Seiten schweifen. Keiner da. Menschen hier und da, aber kein Joshua. Na, es war auch nur eine kleine Wunschvorstellung gewesen. Ich stellte mich an ein Stück freie Hauswand und zog die Zigaretten heraus. Ich war kein Raucher. Nur sehr, sehr gelegentlich. Zudem war ich nicht mal gut darin. Es hatte ewig gedauert, bis ich ordentlich auf Lunge rauchen konnte. Für mich war es meist ein Gesellschaftsding, vor allem in Verbindung mit Alkohol. Davon ab schmeckten mir Zigaretten nicht. Heute war es zwar gesellig, aber ich hatte noch nichts getrunken. Warum rauchte ich also? Reine Ablenkung. Ich brauchte etwas Ruhe um nachzudenken. Meine Hoffnung war gewesen, dass wir nach dem Essen unserer Wege gingen. Nun wollten alle noch was trinken und ich hatte zugesagt. Dabei wollte ich heim und über anderes nachdenken. Die Unruhe davon abgehalten zu werden, kroch mir bereits in die Beine. Gefühlt hatte es den gleichen schwächenden Effekt wie Alkohol. Keine Ahnung welches Hormon dafür verantwortlich war. In Gedanken machte ich mir ein Memo mehr Studien in diese Richtung zu lesen. Nichtsdestotrotz brauchte ich eine Ausrede um nachher früher los zu müssen. Ich ging mein ganzes Repertoire an Gewitztheiten durch. Ich wollte schon aufgeben, als mir einfiel, dass ich morgen Arbeiten musste! Manchmal stand ich auch auf’m Schlauch… Just in Selbstironie versunken, wurde ich von der Seite angesprochen. „Du rauchst?“ Grimmig darüber beim Pläne schmieden gestört worden zu sein, wandte ich mich der Stimme zu. Demonstrativ zog ich an der Zigarette. Als ich die Person erkannte, hielt ich die Luft an und meine Hand verweilte zur Zierde vor meinen Mund. „Jo-Josh?“ Ich brauchte einen Moment, um mich zu fangen. „Was machst du denn hier?“ Trotzdem schlug mein Herz wie wild. Joshua zuckte mit den Schultern. „Ich hatte was in der Nähe zu erledigen und dachte mir, ich schau mal, ob du noch hier bist.“ Mir egal, ob das erfunden war oder nicht, ich grinste über beide Ohren und schüttelte nur den Kopf. „Noch sind wir hier. Aber wir wollten noch was Trinken gehen.“ „Aha … wo denn?“ Ich zuckte mit den Schultern. Meine Zigarette verkam zu einem dampfenden Requisit. „Keine Ahnung. Wirklich Lust hab ich dazu nicht.“ Joshua schwieg und musterte mich. Ich trug heute einen anderen Stil als sonst. Lockere Jeans mit weißen Nike‘s, dazu ein schwarzes Top, eine ebenso schwarze Stoffweste mit Kapuze, die einen ziemlichen Fransenlook hatte. Dazu ein breites Lederarmband und eine dünne silberne Kette. Meine Haare waren leicht gestylt und die Jeansjacke hing über meinem Arm. „Darf ich eine?“ Joshua deutete auf die Zigaretten. Perplex bot ich ihm eine an und reichte ihm das Feuerzeug. „Du rauchst also auch?“ „Nur selten. Wirklich schmecken tun sie mir nicht, aber die Woche war schon irgendwie hart, also ist es verdient.“ Ich fühlte mich etwas schuldig, als er seine harte Woche erwähnte. Daran war ich sicherlich nicht unbeteiligt gewesen. Ich setzte den Filter an meine Lippen und sah zu Joshua. Er wirkte wie immer. Jeans, sportliche Schuhe, ein Shirt und ein Hemd darüber. Mein Blick glitt unbewusst zu seinen Lippen und ich bemerkte, dass er viel besser rauchte als ich. Schnell sah ich weg und senkte die Zigarette. Lautes Geschnatter kündigte meine Freunde an. Sie kamen einer nach dem anderen aus dem Restaurant heraus und musterten den Fremden an meiner Seite. „Jo, Max, wir haben uns schon eine Bar ausgesucht“, erklärte Tobias mir und trat an uns heran. Joshua und ich sahen erst einander, dann ihn an. „Gut“, sagte ich schlicht und hielt nach einem Aschenbecher Ausschau. „Und wer ist das?“ Durch die offensiv ausgetauschten Blicke kam ich nicht umhin sie einander vorzustellen. „Das ist Joshua, mein Arbeitskollege. Josh, das sind Tobias, Marcel und seine Frau, Shin, Marry sowie Binks und Evelin. Freunde aus der Schulzeit.“ Einige nickten, andere murmelten eine Begrüßung. Mir lief der Schweiß den Rücken hinab. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber irgendwie nicht, dass sich Joshua und Binks jemals begegnen würden!? Joshua war schnell von den anderen umstellt worden. Ähnlich wie auf Arbeit sah ich in den Augen der anwesenden Damen ein kleines Funkeln, wenn sie ihn sahen. Ich weiß ja selbst, dass er gut ausschaut, aber musste er so anziehend auf alle anderen wirken?! Evelin trat an mich ran und stupste mich mit ihrer Schulter an. „Sag mal Max, seit wann kennst du so heiße Typen?“ Ich hob beide Augenbrauen, während Joshua nur eine hob. Im direkten Vergleich sah ich bestimmt total albern aus. Doch während ich deutlich überrascht über ihre Aussage war, schien Joshuas Blick unfreundlicher zu werden. „Was meinst du damit? Ich kenne viele coole Typen. Aber die werde ich dir nicht vorstellen, immerhin bist du ja gut vergeben.“ „Ha! Und das bleibe ich auch. Ich war nur neugierig“, erklärte sie grinsend und huschte schnell an Binks‘ Seite, welcher seinen Arm schützen um sie legte. Joshuas Blick folgte ihr. Während sich seine Augenbrauen entspannten, wurde das Grau seiner Augen erstaunlich kalt. Beiläufig ließ er seine Zigarette fallen. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich wollte vermitteln, doch fiel mir nichts ein. Josh neigte seinen Kopf. „Er ist dein Freund?“ „Ja, auch ein Schmuckstück“, sagte Evelin stolz. Binks sah sie stirnrunzelnd an. Joshua taxierte Binks mit Blicken und ein amüsiertes Schmunzeln legte sich auf seine Lippen. Dann trat er einen Schritt auf Binks zu, hob dessen Kinn an und stahl sich einen Kuss. Mir fiel die Zigarette aus der Hand, während Panik und Wut eine ungesunde Mischung bildeten. Kapitel 12: Idiot ----------------- Kapitel 12: Idiot Nicht nur ich erstarrte diesen einen Moment. Alle Umstehenden waren für Sekunden wie eingefroren. Keine Ahnung was in ihnen vorging. Ich für meinen Teil fand erst zu mir zurück als meine Hände sich bereits schmerzhaft zu Fäusten geballt hatten, das Weiß meiner Knöchel stach pochend hervor. Joshua ließ von Binks ab. Es war nur ein Küsschen gewesen. Maximal eine Sekunde oder zwei, die sich ihre Lippen berührt hatten. Mir war indes heiß und kalt geworden. Wut füllte meinen Bauch, während mein Herz schmerzhaft verkrampfte. Hinzu kam eine Angst, welche sich in ihrer Gänze bis in meine Glieder ausbreitete, sodass meine Finger binnen von Sekunden eiskalt geworden waren. Binks schlug perplex Richtung Joshua und wischte sich forsch über den eigenen Mund. „ALTER, WAS STIMMT NICHT MIT DIR!“, keifte er los. Beinahe schützend zog er Evelin in seine Arme. „Ich bin nicht schwul, verdammt. Ich hab´ne Freundin! Was soll der Scheiß? Entschuldige dich bei ihr!“ Ich fragte mich, warum Joshua sich bei Evelin entschuldigen sollte? Andererseits … vielleicht fühlte sie sich gerade ähnlich wie ich mich und ja, dann war eine Entschuldigung DRINGEND nötig. Joshua stand gelassen da und maß Binks mit kalten Augen. „Schade, ich schon manchmal.“ Wäre ich nicht so verdammt wütend, hätte ich sogar über diese Aussage gelacht. Joshua war bi. Manchmal schwul zu sein, stimmte da durchaus. „Aber du bist nicht mein Typ. Zu kleinkariert und kurzsichtig.“ Joshuas Blick wurde noch kälter. Da er größer war als Binks, war es ein leichtes ihn von oben herab anzusehen, wodurch sein Blick noch vernichtender wirkte. „Du hast keine Ahnung und lässt dir die guten Dinge entgehen.“ Binks war so perplex, dass statt Worten ein undefiniertes Glucksen seine Kehle verließ. An Evelin gerichtet, switchte Joshua zu einem sanften Lächeln. „Verzeih mir, aber er gehört nun ganz dir.“ Ich war noch immer sprachlos. Evelin jedoch schien etwas besänftigter nach diesem Lächeln und den Worten. „Da wir hier fertig sind, hast du jetzt ja Zeit. Komm Mael.“ Ich war noch immer an Ort und Stelle festgefroren. Ich spürte mein Gesicht aufflammen vor Scham und brachte kein Wort heraus. Sicher ich hatte gesagt, dass ich keine Lust hatte mit ihnen in eine Bar zu gehen, aber glaubte Joshua, dass ich nach der Aktion mit ihm mitgehen wollte? Es war ein Wort, welches den Rest der Gruppe wieder ins Hier und Jetzt holte. Da mein Blick starr auf Joshua und Binks gerichtet gewesen war, war mir ihre Reaktion völlig entgangen. Nun schienen sie getriggert zu sein. Gerade Tobias verzog misstrauisch das Gesicht. Tobias und Binks kannte ich am längsten. Bis auf die Sache mit dem Verliebt sein, waren sie meine besten Freunde. Wichtiger noch, sie wussten so ziemlich alles über meine Eltern und mich und wie wunderbar unser Verhältnis zueinander war. Anders als Joshua, dem ich davon wohl nie erzählen würde. Einfach weil ich nicht wollte, dass er dieses Kapitel meines Lebens kannte. „Was? Mael? Wer ist Mael?“, fragte Shin, der sich erst in der zehnten Klasse unserer Clique angeschlossen hatte und nicht mal wusste, dass ich zwei Vornamen besaß. „Max‘ Zweitname“, erklärte Tobias schlicht. Mir wurde heiß und kalt. Der Schock von eben löste sich und wandelte sich in heillose Empörung und Fluchtangst. „Echt? Wusste ich gar nicht!“, erwiderte Shin. Ich machte auf dem Absatz kehrt und ging mit großen Schritten von dannen. Ich sah nicht zurück, ob Joshua mir folgen würde, doch ahnte, hoffte und wünschte ich es mir nicht. Die Anderen blieben in ihrer Traube stehen und ich hörte sie noch viel zu lange Reden. „War ja auch nicht wichtig“, klärte Tobias weiter auf. „Er mochte diesen Namen nie, weil er ihn an das Terrorregime seiner Mutter erinnert.“ „Nenn ihn einfach nicht so“, stimmte Binks zu, der sich scheinbar wieder gefangen hatte, als das Thema wechselte. „Hm, ok ok, mach ich nicht. Aber schon komisch oder? Max und der Typ schienen sich zu kennen. Warum darf er ihn dann so nennen?“, sprach Shin weiter. „Als Arbeitskollegen. Aber ihn so zu nennen, selbst wenn sie sich nahestehen, ist wirklich hart für Max.“ „Aber … es kann nicht sein, dass Max gemobbt wird oder so was?“, fragte Evelin. „Wisst ihr noch, dass er mal kurz nach Antritt bei jedem angerufen hatte?“ „Stimmt. Ich konnte damals nicht, aber er machte viele Angebote, wollte sogar vorbeikommen.“ „Er hat euch angerufen? Mich nicht“, sagte Binks. „Sicherlich hat er das. Du hast es bestimmt nicht mitbekommen. Zuerst sollten wir in Erfahrung-“ Tobias‘ Stimme riss endlich ab, als ich in eine der engen Gassen abbog. Ich wollte nichts von ihnen hören und ging ohne nachzudenken. Rechts, Links, Rechts, Rechts, Links, ein Stück gerade aus und wieder Links. Was mich aufregte, war nicht, dass Joshua mich Mael genannt hatte, sondern dass ich mich von allen zusammen in eine Ecke gedrängt fühlte. Daher auch die Flucht. Meine Freunde kannten diese Seite von mir und Joshua eine andere. Was Joshua kannte, war aktuell und ebenso wahr, wie das Vergangene. Doch hing ich aus gewissen Gründen nicht mehr dem nach, was mal gewesen war. Lieber wollte ich mit Joshua zusammen neue Ufer entdecken. Aber just in diesem einen Moment kollidierten meine Wünsche miteinander und zeigten mir die Unmöglichkeit dessen auf. Ich konnte nicht alles bewahren. Irgendwas würde ich aufgeben müssen! Ganz in alten Gepflogenheiten gefangen, ersonnen diese Idioten sich was zurecht. Mobbing?! Ich? Hackt es? Es war genau die andere Richtung! Aber wie hätte ich das vor ihnen offen sagen sollen, wenn ich nie auch nur im Ansatz hatte durchblicken lassen, dass ich auf Männer stehen könnte. Binks verschwieg ja alles. Durch Joshuas Aktion war es noch deutlicher geworden, dass Binks Männern eindeutig nichts abgewinnen konnte. Was hatte ich mir nur dabei gedacht ihn mal toll zu finden?! Ich fühlte mich elend und so langsam blieb mir die Luft weg. Ich mochte meine Freunde wirklich sehr. Aber ich hatte mich eben verändert, vor allem im letzten halben Jahr. Sie waren die besten Freunde zu einer Zeit als es angebracht war, gegen Eltern zu rebellieren und sich aufzulehnen. Aber nun brauchte ich Personen, die ruhiger waren, aufgeklärter. Jemand, der gerade genug von mir wusste, um ein Gespräch zu führen. Eben Menschen wie Joshua und Elias. Die Gegend, in welche ich gerannt war, bestand aus vielen alten Fachwerkhäusern. Ihre Anordnung war schon ein Phänomen für sich. Als die Stadt noch jung war, gab es viele Grundbesitzer. Ein jeder baute um sein Haupthaus mehrere Nebenhäuser. Die Anordnung war meist ein runder oder viereckiger Hof. Irgendwann standen die Häuser so dicht beisammen, dass es zwischen ihnen nur noch enge Gassen gab. Es gab nur einen Hauptweg, die heutige Einkaufsmeile, von der ich eben geflohen war, und der Platz bot für zwei Autos dicht nebeneinander. Die fuhren hier zwar nicht, aber mal als Maßstab. Vom Hauptweg abweichend gab es etliche andere Gassen und kleinere Höfe. Ich war in einer dieser Gassen stehen geblieben, welche vielleicht noch knappe zwei Meter in der Breite maß. Die Hauswände zogen sich fensterlos zu beiden Seiten hoch. In gut zwei Metern über mir wurden sie breiter und berührten sich beinahe. Allein das verdunkelte die Gasse um einiges. Hinzu kam die fortschreitende Nacht und dass nur auf den kleinen Höfen davor und danach Laternen standen und Licht spendeten. Ich stand nicht nur im Dunkeln, sondern fühlte mich aufgewühlt und schäbig, perfekt für dunkle Gefilde. Zugleich war mir nach Weinen und Fluchen zumute. Während ich geflohen war, hatte ich die Schritte hinter mir immer wahrgenommen. Sie waren nicht aufdringlich, sondern folgten mir einfach beständig. Ich drehte mich um und blickte Joshua an. Keine Ahnung was ich für ein Gesicht machte, Joshua wich nicht zurück. Wut quoll wieder in mir hoch. Nein, bleib sachlich, frag nach, was das sollte und kläre das, ermahnte mich ein kleiner vernünftiger Teil meines Hirns. Man rechnete meinem Hirn den Einwurf hoch an, doch alsbald ich den Mund öffnete, war jeder klare Gedanke von einem Schwarm aus Emotionen erstickt worden. „BIST DU VON ALLEN GUTEN GEISTERN VERLASSEN?! Du kannst nicht einfach so eine Bombe platzen lassen!“ „Die verkraften das schon“, antwortete Joshua viel zu gelassen für mich. „Sie vielleicht, aber was ist mit mir?" Bald werden sie mich mit Fragen löchern. Klar, wenn ich mit Joshua zusammenbleiben wollte, würde das früher oder später eh der Fall sein, aber mir wäre später lieber. Zumal ich noch nicht mal wusste, was das mit Joshua und mir überhaupt war?! „Ist es denn wirklich ok, wenn ich dich so nenne?“ „Wie?“, fragte ich fahrig, weil ich gedanklich bereits woanders war. „Mael. Sie sagten gerade, dass du den Namen nicht leiden kannst.“ Ich war noch wütend, spürte aber wie meine Wangen heißer wurden. Wie immer, wenn Joshua mich so nannte. Wirklich immer. Warum sollte ich wollen, dass er damit aufhörte? „Is’ok“, nuschelte ich und sah flüchtig weg. Aber eben nur Joshua, niemand anderes. Auch nicht Elias. Das brachte mich zu einem anderen Thema, welches mich brennend interessierte. „Was sollte das eben eigentlich?“ Nun war es Joshua, der aus seinen Gedanken gerissen wurde. „Was meinst du?“ Verärgert sah ich ihn an, die Fäuste geballt. „Du hast Binks geküsst. Was sollte das?“ Sie sahen sich zwei Sekunden und schon küsste Joshua ihn?! WTF! „Du kennst ihn nicht mal. Was hat er bitte an sich, dass du … er ist nicht an Männern interessiert!“, rief ich laut aus, mein Stimmton scharf, und sah Joshua direkt an. Mein Gesicht war sicherlich eine wunderbare Mischung aus Verzweiflung und Zorn. Ich war vor allem sauer auf Binks. Dieser Typ … reichte doch, dass ich ihm einst verfallen war. Ich erlaubte es nicht, dass Joshua der Nächste sein sollte. Nein, nein, nein. Joshua sollte sich nur für mich interessieren. Und wenn das nicht möglich wäre, dann bitte jeden anderen auf der Welt, nur nicht Binks! Keine Ahnung woher diese Furcht genau kam, doch innerlich zitterte ich so sehr bei dem Gedanken, Joshua an Binks verlieren zu können, dass sogar mein Magen sich verkrampfte. „Dass er an Männern nicht interessiert ist, sieht man auf den ersten Blick.“ Hä? Verdutzt blinzelte ich. Ach, sah man das? „Aber du stehst doch auf ihn, oder nicht? Ich wollte dir nur zeigen, dass bei solchen Typen Hopfen und Malz verloren ist.“ Ich habe auf ihn gestanden, sicherlich, aber jetzt doch nicht mehr… Ich … Mein Denken war so lahm geworden, dass ich Joshua weiterhin sprachlos anstarrte. Nur ganz langsam realisierte ich sein verärgertes Gesicht, die leicht nach unten gezogenen Augenbrauen und die abwehrende Haltung. „Normalerweise mische ich mich in so was nicht ein. Aber nachdem du mich geküsst hast, verstärkte sich mein Verdacht, dass du das nur aus flatterhaftem Interesse machst. Zum Ausprobieren.“ „B-Bockmist“, entkam es mir ungläubig. „Es war auch offensichtlich, dass du noch wenig Erfahrung mit Beziehungen zwischen Männern hast. Mittwoch wollte ich dich danach fragen, aber das Telefonat kam dazwischen. Ich wollte dir die Zeit geben und dich morgen nach all dem fragen. Ich glaubte auch nicht daran, dass du „andere Männer nicht küsst“. Aber wie sonst auch kam irgendwas dazwischen. Mal bist du total süß und flirtest, dann distanziert du dich und stößt einen weg. Wenn du dich ausprobieren willst, dann mach das, aber sag der Person mit der du spielst, woran sie ist.“ „Ich spiele…?“ Wieder überfiel mich ein eiskalter Schauer. Joshuas Worte und sein Blick waren schlimmer als jede Ice-Bucket-Challenge. „Es war nur Zufall, dass ich dich heute getroffen habe. Das mit Binks…“, Joshua zuckte die Schultern. Er wirkte gelassen und gleichgültig. „… war spontan. Falls du ihn wirklich küssen wolltest, kannst du dir den Kuss gerne von mir abholen.“ Meine Augen wurden noch größer. Ich hatte keine Beweise, doch glaubte ich, etwas wie Eifersucht oder Missgunst in Bezug auf Binks herauszuhören. Joshua hatte sich alles gemerkt, jedes Fitzelchen, was ich je von mir gegeben hatte und war zu diesem Ergebnis gekommen? Hatte er gefürchtet, dass ich noch in Binks verliebt war? Dass ich nicht sah, wie er in seiner Beziehung aufging und immer noch Hoffnungen hegte? Glaubte er wirklich, dass ich Binks nach all den Jahren immer noch küssen wollte? Mein Herz raste und ich spürte wie ungeduldige Hitze sich in mir breit machte. „DU IDIOT!“, schrie ich ihn an. Mir zitterten die Lippen und mein Blick wurde zu einem Tunnel, der nur noch Joshua wahrnahm. „Der, den ich die ganze Zeit küssen will, bist du!“ Ich hatte wirklich keine Ahnung von Geständnissen. Ich war nicht ruhig, nicht cool, nicht niedlich oder charmant. Nichts was ansprechend genug war, damit Joshua mich wählen würde. Stattdessen stand ich völlig aufgelöst vor ihm. Den Tränen nahe, die Hände geballt und ein Wust an Emotionen in mir, dass ich glaubte, der Boden würde schwanken. Die Pause, die zwischen uns entstand, fühlte sich ewig lang an. Joshuas Blick war nicht von mir gewichen. Dafür weiteten sich seine Augen etwas und aller Ärger verschwand aus seinem Gesicht. „Dann mach es doch.“ „Was?“ Joshuas sah mich wieder ernst an. Aber nicht im negativen Sinne. Er trat auf mich zu und mein Herz machte einen Satz. Schneller als vorher ging es in einen Spurt über als Joshua mir das Kinn anhob und näherkam. Als sich kühle Lippen auf meine legten, blieb mir das Herz fast stehen. Zögerlich nahm ich an. Unsicher legte ich eine Hand auf seine Brust und spürte wie sein linker Arm sich um meine Taille legte. Mir fielen die Augen zu und ich verlor mich für einen Moment. Ich hatte geahnt, dass Joshua gut küssen konnte, aber das hier war weit von dem entfernt, was ich mir gewünscht hatte. Er schmeckte nach Zigaretten und Schokolade. Verglichen mit früheren Küssen mit Anderen, die sich in der Ausführung kaum unterschieden hatten, verschlug dieser mir den Atem und ließ meine Arme und Beine weich werden. Ich stand nur noch, weil ich mich gegen Joshua lehnte und beide Arme um seinen Nacken geschlungen hatte. Als wir voneinander ließen, war ich hin und weg. Mein Blickfeld hatte sich komplett Rosa verfärbt und ich hatte das Gefühl vor Glück überzuquellen. Besonders als ich Joshuas Gesicht sah. Seine Augen glänzten und eine feine, kaum erkennbare Röte hatte sich auf seine Wangen gelegt. Ich grinste unwillkürlich. Mehr noch als mir aufging wie geschockt Binks sich verhalten hatte. Dabei war es für mich das größte Glück von diesem Mann hier geküsst und so angesehen zu werden. Aber jedem das Seine. Meinen Beinen traute ich gerade nicht, weshalb ich weiterhin an Joshua lehnte und mich mit beiden Armen um seinen Nacken an ihm hochzog. Durch die beiden starken Arme, welche sich irgendwann um mich geschlungen hatten, fand ich den nötigen Halt und blieb Joshua so nah wie nur möglich. „Zählt der denn?“, fragte ich und blickte Joshua von einem ins andere Auge. „Das war doch der Kuss von Binks. Obwohl …, wenn er so gut küssen kann, sollte ich viellei-“ Joshua hatte eben noch mit mir um die Wette gegrinst. Doch je mehr Blödsinn ich erzählte und ihn aufzog, desto mehr verschwand dieses Lächeln hinter einer grimmigen Miene. Bis er es nicht mehr aushielt und mir einfach den Mund mit seinem verschloss. Ich grinste nur, zog mich näher und sah wenig später noch immer amüsiert in die grauen Augen. „Wenn du unbedingt die Küsse zählen willst, nur zu. Aber ich sorge dafür, dass es bald zu viele sein werden, als das du noch mitkommst.“ Joshuas Blick blieb erst, ich schluckte ungewollt. Wenn er es so sagte, glaubte ich ihm sofort. Scheinbar froh meinen Unsinn unterbrochen zu haben, legte sich ein Grinsen auf Joshuas Lippen, welches seine Augen selbst in dieser dunklen Gasse noch leuchten ließ. Dieser diabolische Hauch, welchen ich dann und wann bereits bemerkt hatte, bescherte mir eine Gänsehaut und ein unsicheres Mundwinkelzucken. Jetzt, wo die größte Anspannung fort und mein Gemüt deutlich ruhiger war, erreichten mich auch wieder die anderen Eindrücke um mich herum. Eben war meine Welt, meine ganzen Sinne, nur auf die Person vor mir gerichtet gewesen. Wie er mich hielt, mich ansprach, mich ansah, wie er küsste. Nun erreichte mich erst die zunehmende Kälte der Nachtluft, gefolgt von der Tatsache, dass ich mit Joshua in einer engen, dunklen Gasse stand. Was für ein Klischee, dachte ich bei mir, machte zugleich aber keine Anstalten mich zu lösen. Ich brauchte noch einen Moment, ehe ich sicher sein konnte, dass meine Beine mich trugen. Joshua sah sich ebenfalls um. Jeder von uns hatte einen Lichtschein im Rücken, welcher zugleich das Gesicht des anderen etwas erhellte. Diese kleinen Verbindungsgassen waren wirklich nicht lang. Während meine Ohren die Geräusche der fernen Einkaufsstraße wahrnahmen, betrachteten meine Augen jeden Zentimeter des Gesichtes vor mir. Joshua indes sah sich um. Seine Hände strichen meinen Rücken hinauf und gaben mir zugleich mehr Raum. Schließlich landeten diese begabten Hände auf meinen Armen und ich zog sie, wenngleich etwas widerwillig, zurück. Stehen klappte ja ganz gut. Leider. Und ich wollte nicht sofort wie eine Klette wirken. „Ist dir kalt?“ Laut der enormen Gänsehaut auf meinen Unterarmen, ja. Doch ich schüttelte den Kopf. „Du hattest doch eine Jacke.“ DAS stimmte. Ich trug sie bis eben noch über meinem Arm, aber, aus mir unerfindlichen Gründen, lag sie dort nicht mehr. Joshua erspähte sie auf dem Boden neben mir. Ganz der Gentleman bückte er sich, schüttelte sie einmal aus und legte sie mir um die Schultern. Ich brauchte nur noch meine Arme durchzustecken. Wir waren uns immer noch nah, doch die hitzige Stimmung von eben ebbte ab und unser beider Verstand kehrte zurück. „Dann ist zwischen dir und dem Typen nichts mehr?“ Die Frage traf mich etwas unvorbereitet. Die Zeit zum Scherzen war vorbei. Nun kam es auf Fakten an. Ehrlichkeit. Ich hielt es mit der Ehrlichkeit groß, wenngleich ich die Wahrheit oft und gerne außen vorließ oder nur teilweise wiedergab. Mit Joshua war es bisher immer etwas anders gewesen. Er, unter allen Menschen, sollte mir unbedingt glauben. Sollte meine Ehrlichkeit verstehen, nein, noch mehr, ich wollte, dass er mich wirklich verstand! Meine verdrehte Denkweise, meine unausgegorenen Gefühle, meine Unsicherheit und meine Ängste. Die ganze Wahrheit über mich als Person und Mensch. Nur hatte ich keine Ahnung, wie ich ihm das alles auf einmal begreiflich machen sollte. Ich richtete meine Jacke und den Kragen. Dann sah ich auf die Knöpfe, die ich in aller Ruhe schloss, während ich ihm antwortete: „Zwischen uns ist nie etwas gewesen. Ich … ich hatte mich in ihn verliebt, aba das is‘ bereits Jahre her. Ich hab‘s ihm damals auch gestanden, bekam aba’n Korb. Wie du dir denken kannst, war er nicht sonderlich rücksichtsvoll dabei... Er wies mich an, wegen all dem meine Klappe zu halten. Naja“, ich zuckte mit den Schultern und blickte entschuldigend auf. „Meine Freunde denken, ich stehe nur auf Frauen. Wie hätte ich nach diesem Korb noch was anderes sagen können?“ „Hast du es nie versucht?“ „Doch, manchmal. Aber nachdem ich mir eingeredet hatte, da wäre nichts und alles weiter lief wie vorher, ging es nicht mehr.“ Ich schwieg einen Moment. Es war nicht nur, dass sie mich als Wendehals hätten beschimpfen können, sondern auch … „Ich denke, ich hatte Angst es ihnen zu sagen. Diese Worte von Binks waren so eindringlich, dass ich befürchtete, meine Freunde zu verlieren, wenn ich ihnen nicht entsprechen würde.“ Es war bereits eine implizierte Macke von mir, etwas vorweisen zu müssen, um einen Freund zu bekommen. Wie eine Rückversicherung, eine Begabung, welche mich für diesen Freund unverzichtbar machte. Sachlich betrachtet wusste ich, dass Freundschaft ohne eine solche Dienstleistung definiert wurde. Emotional war ich viel zu ängstlich und zurückhaltend. Dieses Thema wollte ich jetzt zumindest nicht näher erläutern. Joshua hielt es ähnlich. Er legte seine Hand an meinen Hinterkopf und zog meine Stirn zu sich, um mir einen Kuss darauf zu setzen. „Wenn es echte Freunde sind, bleiben sie, egal auf was du stehst oder wie oft du deine Meinung änderst.“ „Mhm.“ „Dann … was wolltest du mir morgen sagen?“, fragte Joshua etwas zögerlich nach. Mein Schmunzeln wurde breiter und ich sah auf. So nah wie ich ihm war, hätte es genügt mich auf die Zehenspitzen zu stellen, um ihn zu küssen. Für jetzt begnügte ich mich mit einem vielsagenden Blick. Joshua spannte sich an und ich bemerkte aus den Augenwinkeln, dass er schluckte. „Ich wollte dir von meinen Freunden erzählen und dass ich in einen von ihnen mal verliebt gewesen war. Dann wollte ich dir versichern, dass ich das, was ich bisher getan habe, nicht tat, weil ich zu der Sorte gehöre, die sich ausprobieren wollen oder weil es mir Spaß macht andere zu quälen und zappeln zu lassen.“ Obwohl ich unbewusst wirklich einige Bewerber hatte zappeln lassen. „Und dann wollte ich dich fragen, ob du trotz allem noch Interesse daran hättest mit mir auszugehen.“ Ich hatte meinen Blick nicht eine Sekunde von Joshuas Augen genommen. Nun wurden diese größer und Unglauben über meine Worte machte sich breit. Zugleich vernahm ich, dass er die Luft anhielt. Ich hob meine Hand und strich über seine Wange, ehe ich sie auf seiner Brust ruhen ließ. Verlegen senkte ich den Blick und sah schüchtern wieder auf. Ich bemerkte nicht einmal, wie ich mit meiner Mimik spielte. Es machte einfach nur Spaß Joshuas unmittelbare Reaktionen auf mein Handeln zu sehen. „Damit meine ich … ob du … würdest du …“ Die Aufregung hatte mich doch wieder gepackt und ich begann, Wörter suchend, auf meiner Unterlippe zu kauen. „I-Ich mö- … B-Bitte geh mit mir aus!“, platzte es aus mir heraus. Ungewollt hatte ich mich in sein Shirt gekrallt und die Augen zugekniffen. Erst nach meinen patzigen Worten sah ich auf, hochrot im Gesicht und fügte an: „A-als mein f-fester Freund.“ Ob man das wirklich so machte? Ich war mir nicht sicher. Ich war mir absolut nicht sicher! Binks war ich damals mit: „Ich bin in dich verliebt. Gehst du mit mir aus?“, gekommen. Joshua wollte ich nicht die gleichen abgedroschenen Worte an den Kopf werfen. Allerdings fiel mir vor Aufregung und flatternden Herzen nichts Adäquates und Stilvolles ein. Ich blubberte und stotterte vor mich hin und verlangte sogar gleich, sein fester Freund zu werden, ohne eine gewisse Probezeit von ein paar Dates zu gewähren. Unter meiner auf Joshuas Brust liegenden Hand spürte ich, dass er wieder zu atmen begann. Erst jetzt bemerkte ich, dass auch ihm eine ordentliche Röte ins Gesicht gestiegen war. Es schien ihm nicht minder peinlich zu sein wie mir. Seine Lippen pressten sich immer wieder fest aufeinander, formten eine dünne Linie, ehe die Lippen etwas rosiger und voller geöffnet wurden. Schlussendlich umarmte er mich fest. Da ich noch einen Arm zwischen uns hatte, fühlte ich mich etwas wie in einer Sardinenbüchse. Aber das war mir egal, als eine tiefe Stimme leise, süße Worte nahe meinem Ohr flüsterte: „Sehr, sehr gerne. Es wäre mir eine Ehre.“ Ich schluckte schwer und fühlte mich federleicht. Wie kam ich diesen Abend nach Hause? Nun, ich schlief nicht bei Joshua und er nicht bei mir. Wir fielen auch nicht sofort über einander her und trieben es die ganze Nacht. Nicht, dass ich so etwas erwartet hatte. Die Love Novels, welche ich derzeit angefangen hatte zu lesen (in Vorbereitung und Interesse), waren diesbezüglich sehr freizügig gespickt. In einigen wurde die erste gemeinsame Nacht, nach dem Liebesgeständnis, zu einer schlaflosen und erotischen Nacht ausgebaut. Es war nicht mein Stil. Auch wenn ich in einigen Fällen verstehen konnte, dass die Hauptcharaktere Druck hatten, so … nein, auch dann nicht. In meinen Augen wurde immer noch ein Organ des Körpers penetriert, welches nicht ursprünglich dafür ausgelegt war. Sicherlich, durch Übung und Sorgfalt würde nichts Schlimmes passieren, dachte ich mir. Ansonsten müssten ja alle Pornodarsteller ein gewaltiges Problem haben. Jedoch fand ich selbst nach eingehender Internetrecherche nicht zu 100% heraus, was mich erwarten würde. Weder davor, während dessen und danach schon gar nicht. Eigentlich hatte ich nur bewiesen, dass man im Internet alles fand, aber nicht die Antwort auf die eigentliche Frage. Da waren Foren, in welchen Menschen von ihren ersten Malen berichteten und dem danach. Von Liebesschmerz bis Schmerzen bei gewissen Notdurften war alles dabei. Leider auch zu viele Dinge, die ich so gar nicht hatte wissen wollen. Aber zurück. Am Freitagabend hatten Joshua und ich nach ganzen zehn Minuten, und etlichen Ecken und Gassen, endlich zurück zur Hauptstraße gefunden. Eigentlich war es kein solches Labyrinth, aber wenn man kopflos in dieses Gassen-Hinterhof-Gewirr hineinlief, konnte man schnell die Orientierung verlieren. Joshua war mit dem Auto da. Er bot an mich heim zu fahren. Diesmal direkt bis vor meine Haustür. Unschlüssig saßen wir im Auto. Ich hatte zwar vorhin große Töne gespuckt, aber nun wusste ich nicht recht, wie ich mich verabschieden sollte. Einfach gehen, eine Umarmung oder ihn noch mal küssen? Bei den letzten beiden Möglichkeiten schlug mein Herz schneller. Ich nestelte am letzten Knopf meiner Jacke herum. Als ich aufsah, bemerkte ich, dass Joshua mich beobachtete und sich dabei amüsierte. Es war schon gemein, wenn dein Gegenüber deutlich geübter und erfahrener war als man selbst. Von irgendwoher kratzte ich etwas Mut zusammen und küsste ihn auf die Wange. Mehr schaffte ich nicht. Ich flüsterte ein „Bis morgen“ und erhielt eine sehr heitere Erwiderung. In der Wohnung und im Bett liegend, war ich noch viel zu aufgekratzt. Erst als ich unerwartet die Nachricht erhielt, dass Joshua auch heil gelandet war, fühlte ich mich etwas ruhiger werden. Zumindest so weit, dass ich einschlafen konnte. Als ich am Samstagmorgen aufwachte und die Erinnerungen zurückkamen, verkroch ich mich gleich zurück unter die Decke. Gott! Ich hatte ihm alles gesagt und wir hatten uns geküsst. Mitten in der Stadt! Die Peinlichkeit, mit der ich diesen Morgen begann, war phänomenal. Es war jedoch nichts im Vergleich zu dem was mich noch erwarten würde. Überpünktlich im Labor angekommen, waren nur wenige Kollegen zu sehen. In der Kaffeeküche war bereits Kaffee gekocht worden, dessen Duft durch alle Flure zog. Ich atmete tief ein und marschierte zum Labor. Mit klopfendem Herzen betrat ich dieses. „Guten Mo-“ Es war noch niemand da. Ich schluckte meine Worte runter und war erleichtert und enttäuscht zu gleich. „Guten Morgen.“ Die Stimme kam von einer Stelle hinter mir. Sehr nah hinter mir! Ich erschrak so sehr, dass ich einen Satz nach vorne machte und mich zugleich umdrehte. Als ich sah, dass es Joshua war, glühte mein Gesicht. Sowieso … bei beinahe jeder Kleinigkeit wurde ich rot. Peinlichkeit über mein Handeln, Verlegenheit über die Nähe, Freude und Empörung über seine Amüsiertheit. Nur fachliche Gespräche ließen mich und mein armes Herz ruhen. „M-Morgen“, erwiderte ich. Auch stottern würde demnächst zu einer Art Gewohnheit für mich werden. Joshua lächelte und verweilte einen Moment. Er maß mich mit seinem Blick, dann ging er zu seinem Tisch. Da er nichts machte, entspannte ich mich etwas. Als Joshua seine Tasche wirklich auspackte und nichts machte, stattdessen einfach seinen Kitteln holte, wurde meine Entspannung zu leichter Enttäuschung. Warum machte er nichts? War das noch zu früh oder war meine Reaktion zu heftig gewesen? Aber … ich war das wirklich nicht gewohnt. Ich fragte mich sowieso, was die Frauen so toll an mir fanden, warum sie mir nahe sein wollten. Das fragte ich mich bei Joshua auch, jedoch bestand hier der kleine und signifikante Unterschied, dass ich in diesen Laboradonis verschossen war. Jede seiner Bewegungen und Blicke triggerten mich auf die ein oder andere Weise. Wie also sollte ich nicht unschlüssig sein? Es war das zweite Mal überhaupt, dass ich verliebt war. Das erste Mal, dass es erwidert wurde. Was sollte ich tun? Wann sollte ich es tun? Würde er es mögen? Über solche und ähnliche Fragen zerbrach ich mir den ganzen Morgen bereits den Kopf. Nicht wissend wie lange ich bereits still dastand und dabei von Argusaugen beobachtet worden war, wollte ich mich zu meinem Tisch aufmachen. Weit kam ich nicht, da mir der Weg versperrt wurde. Ich sah auf und wurde rot – wie gesagt, passierte gerade ständig – als ich in klare hellgraue Augen sah. Mein Kinn wurde sanft gegriffen und ich bekam einen sanften Kuss auf die Lippen. Ein Kribbeln schoss direkt bis in meine Fingerspitzen. Joshua beobachtete genau meine Reaktion. Eine gewisse diabolische Verspieltheit legte sich auf sein Gesicht. Oh man … „Bist du jetzt wach?“ „Mhm“, murrte ich zu hoch. „I-ich zieh mich schnell um.“ Wir begannen den Tag gemütlich. Obwohl ich das Gefühl hatte, dass eine gewisse Anspannung zwischen uns herrschte. Wie üblich gingen wir das Skript durch. Als ich mich über den Tisch lehnte und nach einer Probe griff, ballte Joshua eine Faust und stand stocksteif da. Wenn ich mir durch die Haare ging oder beim Umblättern seine Finger berührte, spürte ich einen ungewohnt heißen Blick. Es erleichterte mich, dass Joshua auch nicht vollends cool blieb. Ich stahl mir einen flüchtigen Blick auf sein Gesicht, ehe ich auf die Probenschale sah, welche er in der Hand hielt. Mein Wunsch damals eine Probenschale zu sein, damit Joshua mich mit seinen Händen ebenso sanft hätte halten können, war nun irgendwie doch wahr geworden. Als sein Freund würde er mich doch bestimmt so halten, oder? Aber war das blubberige Gefasel von gestern ausreichend gewesen, dass wir wirklich zusammen waren? Ich fühlte mich kaum anders als vorher. Abgesehen von dem vermehrten Herzrasen bei jeder Kleinigkeit. Allerdings war heute unser erster Tag als Paar. Ein Kuss zur Begrüßung war schon nett gewesen, aber was machten Paare sonst den lieben, langen Tag? Den Sex schob ich noch auf, denn darauf musste ich mich erst seelisch und körperlich vorbereiten. „Gib mir mal die Schalen dahinten bitte“, bat Joshua und ich reichte ihm das Gewünschte. Wie lange würde Joshua eigentlich warten? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er ein Abstinenzler war. Aber ein Rammler sicherlich auch nicht. Manchmal konnte er unheimlich böse gucken, böse verspielt, diabolisch. Wenn er das tat, fühlte ich mich gleich ganz anders. Gut anders, aber zugleich unheimlich nervös. Hieß das er hatte einen komischen Fetisch? Dass er diesen Blick aufsetzte, weil ich es war, den er ansah, konnte ich nicht glauben. Schließlich war ich nichts Besonderes. „Ich füge drei Tropfen von Essenz A bei mir hinzu und du einen Tropfen von Essenz B bei dir.“ Ich nickte abwesend, nahm meine Probenschale und stellte sie vor mich. Ich griff nach Essenz B und schraubte den Deckel mit der Pipette darin ab. Mein Geständnis gestern war nicht wirklich gut gewesen. Hielt er sich deshalb zurück? Oder war ich ihm doch zu kindisch und fordernd? Ich konnte mich ja schlecht dauernd damit herausreden, dass ich keine Erfahrung in diesen Dingen hatte. Weder im Beziehungen führen noch im Freund sein. Lag es am Geständnis? Am Ort? Joshua hatte schließlich auch gestanden, dass … Ich fühlte mich als hätte jemand mir einen Eiswürfen in den Kragen geschüttet. Ungewollt verkrampfte sich meine Hand und drückte eine ordentliche Menge aus der Pipette, welche direkt in die Probenschale in meiner Hand fiel. „Nur einen- Mael?!“ Sein Rufen riss mich aus meinen Gedanken und ich sah auf meine Hand und die Probenschale. Das Erzeugnis blubberte und begann zu dampfen. In Gedanken hatte ich die Probenschale wieder aufgenommen, was nicht sonderlich professionell war. Solche Dinge sollte man immer auf festen Oberflächen stehen lassen. Zudem … hatte ich nicht erst behauptet, während der Arbeit konzentriert zu sein? „Ah- Tschuld-“ „Weg damit!“ Ich kam nicht dazu etwas zu sagen, da reagierte Joshua bereits. Er riss mir die Schale aus der Hand und warf sie, einer Frisbee gleich, in das nahe Waschbecken. Mir nahm er die Pipette aus der Hand, steckte sie zurück in das Glas und zog mich ein paar Schritte vom Tisch weg. Schuld spülte über mich hinweg. Wieder hatte ich eine Probe durch Unachtsamkeit kaputt gemacht. „Tut mir leid“, sagte ich matt und senkte meinen Blick. Joshua indes griff nach meinen Schultern und hätte mich wohl am liebsten geschüttelt. „Nicht schlimm“, tat er meine Unfähigkeit ab. „Aber was ist los? Du bist gar nicht richtig da. Woran hast du gedacht? Du bist mit mal ganz blass geworden.“ Ich schluckte trocken. Ich war sogar blass geworden? Mir raste das Herz. Meine Lippen bewegten sich ohne einen Ton von sich zu geben. Ich fand meine Stimme nicht und hätte gar nicht gewusst wie und wo ich hätte anfangen sollen! Joshua seufzte. Ich fühlte mich gescholten. Dann zog er mich in seine Arme und hielt mich fest. Er hielt mich einfach nur und ich beruhigte mich. Nach einer Weile ließ meine Anspannung nach und ich sank gegen Joshua, mein Kopf ruhte schwer auf seiner Schulter. Ich drehte mein Gesicht zu ihm und sah doch nur den markanten Adamsapfel vor mir. Wieder schluckte ich. „Ich hab‘ keine Ahnung, ob ich‘s richtig mach‘“, begann ich und mein Herz setzte zum Spurt an. Joshua spürte es sicherlich, er musste! Dennoch rührte er sich keinen Zentimeter. Nur seine Stimme vibrierte direkt vor mir. „Meinst du das Experiment?“ Ich schüttelte meinen Kopf. „Meinst du wegen uns?“ Ich nickte und spürte eine altbekannte Versagensangst in mir. Ich biss die Zähne zusammen und meine Hände hoben sich, um sich auf Joshuas Rücken in seinen Kittel zu krallen. Mir war als hörte ich ein flüchtiges Grinsen über mir. Doch Joshuas Stimme blieb ruhig und akkurat als er weitersprach: „Was willst du denn richtig machen? Das war doch erst gestern. Du musst dich deswegen nicht stressen.“ „Dir scheint‘s nichts auszumachen.“ „Meinst du wirklich?“ „Du wirst gar nicht rot oder stotterst.“ „Das ist eine süße Eigenschaft, die dir viel besser steht als mir.“ Na toll. Danke auch! „Du hast nichts gesagt.“ Stille kehrte für einen Moment ein und meine Gefühle rasten bereits in den Keller. Dass er schwieg, bewies eindeutig, dass er es nicht absichtlich vergessen hatte. Joshua hob seinen Kopf und ich spürte, wie er auf mich nieder sah. „Was nicht gesagt?“, seine Stimme klang verwundert. Machte er sich über mich lustig? „Meinst du das Geständnis?“ Was denn sonst? Ich presste meine Kiefer zusammen, um ihn nicht vorwurfsvoll anzuschnauzen. Als Antwort nickte ich nur. „Du doch auch nicht.“ Empört drückte ich mich von ihm ab. Sein Blick war ruhig und studierte mein aufgeplustertes und aufgelöstes Gesicht. Mir lagen die Widerworte bereits auf der Zunge, als ich innehielt. Joshua hatte Recht. „Du hast nur gesagt, dass du mit mir ausgehen möchtest. Und das möchte ich sehr gerne“, seine Stimme war ganz sanft und seine Hand, welche sich an meine Wange legte, ebenso. „Ich sehe schon, du zerdenkst das alles zu sehr. Mach dir nicht solche Sorgen, sondern genieße es mehr. Ich gehe mit dir aus, weil ich dich nicht nur interessant und sehr schlau finde, sondern weil du es schaffst, mich mit kleinsten Dingen abzulenken und durcheinander zu bringen.“ Hä? ICH brachte Joshua durcheinander? Mein Gesicht spiegelte meine Verblüfftheit und den Unglauben wider. Joshua lächelte und fügte hinzu: „Dachtest du, ich würde nichts empfinden? Manchmal ist dein Gesicht ein offenes Buch und manchmal hat es sieben Siegel. Jetzt gerade sehe ich deutlich, was du denkst. Erst glaubst du mir nicht, dann glaubst du mir doch und es ist dir peinlich. Sieh nicht weg.“ Ich war dabei meinen Kopf wegzudrehen, doch auf seine Bitte hin sah ich ihn wieder an. Sein warmer Daumen strich sanft über mein Jochbein und die Wange. Immer knapp unter meinem Auge, aber nicht störend. „Wenn du rot wirst, leuchten deine Augen richtig.“ In einer einzigen Sekunde erstarrte ich innerlich, hörte ein lautes PUFF in meinem Schädel, lief noch dunkler an, zog Luft ein und hielt sie an. Joshua lachte. „Du … du bist so … so …“ Mein Gesicht glühte regelrecht und mein Kopf war zu geschädigt von den süßen Worten, um Beschimpfungen von sich geben zu können. Joshua lachte noch immer. Noch ehe er aufgehört hatte, griffen beide Hände nach mir und zogen mich zu ihm. Wärme bedeckte meine Lippen und ich schloss langsam die Augen, als ich spürte, dass es nicht nur ein Schmatzer werden würde. Joshua hatte Recht. Ich hatte tatsächlich noch nie gesagt, was ich für ihn empfand. Dass ich mir albern vorkam, behielt ich für mich. Dafür war der Kuss eben zu schön gewesen. Neben den Glücksgefühlen durchzog mich Reue. Die Probenschale war hin. Die Reaktion hatte aufgehört, kurz nachdem Joshua die Schale ins Waschbecken gefrisbeed hatte. Ich entschuldigte mich noch ganze drei Mal. Joshua machte mir keinen Vorwurf. Er vermerkte es nur im Protokoll und ich setzte eine neue Kultur an. Etwas geknickter ging ich zurück an die Arbeit. Mein kleiner Ausbruch hatte etwas Gutes mit sich gebracht. Die Nervosität, welche uns beiden unbewusst zugesetzt hatte, war nun fort, das Eis gebrochen. Nachdem wir uns unseren ersten Kaffee des Tages gemacht hatten, gingen wir einen etwas längeren Weg zurück ins Labor. Das hieß, wir machten den Umweg mit den äußeren Parkbereichen, umrundeten dabei drei andere Labore und kehrten über die inneren Flure zurück. Joshua fing wie selbstverständlich an, mich auszufragen und ich antwortete. Ich gestand ihm, dass ich absolut keine Erfahrung in irgendwas hatte. Weder Beziehungen noch Freund sein, noch der Freund eines Mannes zu sein. Joshua lachte etwas, aber ich nahm es ihm nicht übel. Dann gestand er mir, dass es gar nichts schlimmes wäre. Ich sollte ihn indes als sehr, sehr, sehr guten Freund mit großen Plus betrachten. Ich wurde rot und schwieg. Das klang … oh Gott, wie das klang… Bevor Joshua seine nächste Frage stellen konnte, stellte ich klar, dass ich aber keine Jungfrau mehr war. Überrascht lachte er auf. Lauter als vorher. Diesmal nahm ich es ihm übel … „Entschuldige. Mit dieser Aussage habe ich gar nicht gerechnet“, meinte Joshua noch immer grinsend. „Das heißt du hast mit Männern und Frauen geschlafen?“ Ich sah beleidigt weg. Aber auch, um meine Röte zu verbergen. „Mit Frauen ja. Da ich es bisher immer verdrängt habe zuzugeben, dass ich auf Männer stehe, waren es nur Frauen.“ „Mhhh.“ Sein Ton klang so amüsiert, dass ich ihn doch wieder ansah. Sein Gesicht zierte ein breites, gefälliges Grinsen. Dieser! „Da wir dich als Bi einstufen, bist du nur zur Hälfte keine Jungfrau mehr.“ Ich wollte protestieren, doch ging mir auf, dass Joshua, so rein theoretisch, wieder Recht hatte. „N-na- NA UND?!“, blaffte ich hochrot los. „Dann lerne ich es eben! Gibt ja genügend Medien zum Studieren.“ Ich hob meine Kaffeetasse und wollte gerade trinken, als mein Kinn in eine ganz andere Richtung dirigiert wurde. Ein sanfter Kuss drückte sich geschmeidig auf meine Lippen und ich sah hochamüsierte graue Augen. „Ich helfe dir gerne beim Lernen und Studieren.“ Abermals gab es einen Kurzschluss in meinem Hirn und es puffte laut. Meine Ohren rauschten und mein Blick war blank auf Joshua gerichtet. Meine Wangen brannten und ich bemerkte das leise Plätschern zu spät. Joshua bemerkte es vor mir und griff nach meinem Handgelenk um es zu stabilisieren und die Tasse geradezurücken. Trotzdem hatte der herausgelaufene Kaffee Spritzer auf meinem Hosenbein hinterlassen. Joshua kommentierte meinen Totalausfall nicht, sondern lächelte nur charmant. Mal ehrlich … Ich hätte nie gedacht, dass ich innerlich so überquellen konnte vor Glück und Zuneigung. Keine Ahnung wie es Joshua ging, aber wenn dieser Laboradonis so weiter machte, würden jene Worte bald von selbst aus mir heraussprudeln. Gerade war es ziemlich knapp gewesen. Der Samstag lief so und ähnlich ab. Schlussendlich war ich froh daheim zu sein und mich nach einer kurzen Verschnaufpause abermals überglücklich über meine Couch zu rollen. Meine nicht vorhandenen Kenntnisse wichen ersten Erfahrungen. Ich war zwar immer noch total aufgeregt und schreckhaft, wenn er mir plötzlich zu nah kam, aber ein winziges Bisschen glaubte ich, dass es sich normalisierte. Der Anfang war schwer gewesen, aber dann lief es doch ganz gut. Und recht normal dazu. An die Küsse hatte ich mich viel zu schnell gewöhnt. Zu gerne nahm ich sie an und dehnte sie aus, wenn die Zeit es erlaubte. Morgen würde es nochmal besser werden! Da war ich fest von überzeugt. Anders als Joshua, der sich jedes aberwitzige Detail von mir und meiner Person merkte, hatte ich bereits einige signifikante Delikatessen vergessen. Ich konzentrierte mich so sehr auf unsere Unterhaltungen, die Küsse, die Themen, welche Joshua hoffentlich bei Laune hielten, dass ich ungewollt in meine übliche Freundeshaltung fiel. Mir war bewusst, dass wir mehr als Freunde waren, beziehungsweise, dass wie beide noch mehr daraus machen wollten. Jedoch war ich allein schon deswegen glücklich und zufrieden, gut mit Joshua auszukommen. Seine Nähe genügte mir vollends. Die Küsse waren mehr als ich zu träumen gewagt hatte. Sein Lachen so melodisch und manchmal verspielt böse. Wir agierten als Team fachlich hochkonzentriert und alberten locker in den Pausen dazwischen herum. Binnen von eineinhalb Tagen, nach jener peinlichen Nacht in den Gassen, war es für mich völlig normal geworden Joshua näher als nah in meiner Nähe zu haben. Es war als hätte sich mein sonstiges Alarmsystem meiner Komfortzonen aufgelöst und alle Schilde heruntergefahren. Umso erschrockener war ich, als ich bemerkte was ich hier genau mit Joshua machte. Ich flirtete. Nicht nur etwas, sondern heftig. Technisch gesehen kannten wir uns bereits seit zwei Monaten und waren auch oft genug zusammen ausgegangen. Dass ich mit ihm flirtete, bemerkte ich kaum, da alles was wir taten, sich richtig und gut angefühlt hatte. Dennoch … Seine Berührung war nicht unsittlich im eigentlichen Sinne. Sie war pikant, setzte erste Andeutungen in eine gewisse Richtung und schleuderte mich zurück in meine gewohnte Abwehrhaltung. Zu früh, schoss es mir durch den Kopf. Das war zu früh! „Mael?“ Ich war erschrocken zurückgestolpert und mit hochrotem Gesicht vor Joshua davongelaufen. Dumm nur, dass der Flur gut einzusehen war und meine Fluchtroute daher kein Geheimnis darstellte. Ich versteckte mich vor Joshua in der Vorratskammer der Küche. Das Herz schlug mir bis zum Hals und meine Knie waren weich. „Mael!“ Ich wusste nicht einmal, dass die Vorratskammer so groß war! Und es gab so viele leckere Dinge hier drinnen. Die Tür ging auf. Natürlich fand er mich. Joshuas Blick war voller Feuer, während ich ihm ängstlich entgegen blinzelte. Meine Wangen glühten noch und ich bekam mal wieder keinen anständigen Satz heraus. Joshua suchte erst gar nicht nach Worten, sondern griff nach meinem Handgelenk und zog mich aus der Kammer in seine Arme. Ich wurde so fest an ihn gedrückt, dass ich sein wild klopfendes Herz fühlte. Es schlug sogar noch schneller als meines. „Verzeih mir.“ So schnell ich geflüchtet war, so schnell beruhigte ich mich wieder. Ich atmete aus und schüttelte meinen Kopf. „Nein. Ich muss mich entschuldigen.“ Ich versuchte aufzusehen, doch Joshua drückte mich viel zu fest an sich. Diese Panik war schon etwas süß. Was er gerade wohl dachte? „Josh?“ Ich vernahm ein Brummen und wie sich seine Arme um mich herum anspannten. So mussten sich Nüsse in einem Nussknacker fühlen, dachte ich beiläufig. „Josh, ich … ich wollte dich damit nicht zurückweisen“, begann ich und spürte wie seine Anspannung nachließ. Wie könnte ich auch? Er hatte nichts Schlimmes gemacht. Ich war nur unvorbereitet gewesen. Eben als wir am Aufräumen waren, wusch ich mir die Hände und trocknete sie, als sich Arme von hinten um mich schlossen. Ein Körper presste sich behutsam an meinem. Nicht nur der Oberkörper, sondern auch unten rum. Zudem spürte ich Lippen an meinem Hals und ein vorsichtiges Ziehen an meiner Haut nahe der Halsbeuge. Mein Blick wanderte starr in den Spiegel und wurde sogleich von einem scharfen wie hungrigen Blick grauer Augen gefangen. Sie waren nicht hell wie sonst, sondern um Nuancen dunkler. Seine Lippen an meinem Hals lassend, sah Joshua mich durch den Spiegel hinweg an und wirkte wie ein Raubtier, dass gerade Beute gemacht hatte. Ich stockte, schluckte. Dann zogen die Arme sich fester um mich und was sich hinter meinen Po befand, drückte sich mit überdeutlicher Manier an mich. Ich gestand, ich bekam Angst und schob Joshua unbedarft von mir. „Ich habe mich erschrocken, ja, aber …“ „Nein, schon ok. Ich dachte nur …“, Joshua schüttelte den Kopf. „Ich war zu voreilig. Verzeih mir.“ Ich biss mir auf die Lippe und fühlte mich bei seinem Anblick schuldig. Nun da er mich losgelassen hatte und ich ihn in Ruhe betrachtete, wirkte er wie ein gescholtener Hund. So wollte ich ihn nicht sehen! Eilig griff ich nach seinem Oberarm und brachte ihn mit diesem Ruck dazu mich anzusehen. „Gib mir eine Woche!“ Kapitel 13: The Gala's End, Teil 1 ---------------------------------- Kapitel 13: The Gala’s End, Teil 1 Mein Satz hallte noch in der Küche nach, obwohl es hier definitiv kein Echo gab. Die körperliche Nähe vorhin hatte mich erschreckt und unvorbereitet erwischt, so war ich einfach geflohen. Nun war ich selbst in die Offensive gegangen und das so unverhohlen. Während keiner von uns ein Wort sagte, spürte ich wie mein Gesicht heißer und heißer wurde. Schließlich ging ich in die Hocke und legte beide Hände vor mein Gesicht. Das. War. Mir. Verdammt. Peinlich! Wie konnte mir das nur rausplatzen? War ich dumm oder so was? Klar, war ich dumm, dass hatte sich ja bereits vor Jahren erwiesen, indem ich einfaches „verliebt sein“ nicht abstellen konnte und stattdessen über zehn Jahre daran hing. Aber Joshua … Ich konnte gar nicht mehr klar denken. Mit Joshua war das alles auf eine einfache und unerklärliche Weise anders und … einfacher. Ich wusste, woher auch immer, dass er mich deswegen nicht aufziehen oder auslachen oder zurückweisen würde. Dennoch schoss mir das Blut in den Schädel. Meine Arme und Beine weich durch die plötzliche Ungleichverteilung von Blut in meinen Körper. Selbst wenn Joshua mir keinen Strick daraus drehen würde, würde ich es machen. Wie unverfroren. Wie überheblich. Wie … „Süß.“ Mein Herz setzte mindestens einen Schlag aus. Ohne mich zu rühren, bewegten sich meine Augen und schielten durch meine Finger hindurch. Joshua hatte sich ebenfalls in die Hocke begeben, seinen Kopf leicht schrägliegend auf der rechten Hand abgestützt, seine Linke gerade vor sich baumeln lassend. Sein Blick war amüsiert und erfreut, mit einem Hauch von Rosa auf den Wangen. Mir Worte abzuringen, fiel mir schwer. „Was?“, krächzte ich. „Du und deine Reaktion.“ Wenn möglich lief ich noch röter an. „Aber Mael, du musst dich zu nichts drängen. Ich war voreilig und wollte dich damit sicher nicht verschrecken.“ Joshua senkte seine Augen und das Lächeln von eben verschwand hinter einem sorgenvollen Blick. Manchmal wüsste ich wirklich gerne, was er dachte. „Meinst du, weil sich meine Erfahrungen nur auf Frauen beschränken?“ Joshua sagte nichts, doch seine Augen huschten flüchtig zu den meinen, ehe sie wieder die bleichen Fliesen musterten. Ich nahm meine Hände vom Gesicht und lächelte verlegen. „Bullshit. Wenn ich dazu nicht bereit wäre, hätte ich sonst vorgestern so eine dämliche Ansage gemacht?“ Joshuas Blick milderte sich. Ich streckte meine rechte Hand aus und haschte mit dem Zeigefinger nach Joshuas Hand. Vorsichtig verhakte sich mein Zeigefinger mit seinem. Die Berührung war leicht und vorsichtig, wie eine sommerliche Briese, die über zu hohes Gras strich. Mir wurde abermals warm, wenngleich anders als vorher. Mein Herz schlug kräftig und zügig. Die Wärme, welche ich spürte, breitete sich von diesem beständigen Klopfen aus, wie Tinte auf einem Zellulosetuch. Jedoch war es kein hässlicher Fleck, den man als Rorschach-Test hätte verwenden könnte. Die unzähligen Ausläufer verteilten sich zu verspielten Wirbeln und wachsenden Blumen. Das traf es recht gut. Joshua sah auf unsere Finger, dann mir ins Gesicht. Sein Blick ernst, aber nicht mehr besorgt. Seine Ernsthaftigkeit dauerte an und ich begann an meiner Unterlippe zu kauen. Verlegen senkte ich meinen Blick. Er hatte nichts gesagt und doch war mir, als hätte er seine Gedanken laut ausgesprochen. „Mach dir nicht so viele Gedanken. Ich sagte doch, ich werde mich noch etwas belesen. Außerdem… es ist nicht so, dass ich komplett unwissend bin…“ Ich sah wieder auf und erkannte die hochgezogene Augenbraue. Was? War er verwundert, weil ich die richtigen Worte fand? Oder amüsiert darüber, was für einen Blödsinn ich redete? „Nun schau nicht so …“, sagte ich und verzog etwas missmutig das Gesicht. Vielleicht hatte sich meine Tomatenröte bereits gelegt gehabt, oder auch nicht, zumindest jetzt spürte ich ein neues Aufflammen meiner Wangen. „So oder so wäre es mir ein inneres Blumen pflücken, das mit dir zu tun.“ Ich konnte einfach nicht konkret werden. Darüber nachdenken ok, aber es laut aussprechen? Alles mit Geduld, bitte. Ich arbeitete ja schon an mir! Joshua schmunzelte meiner Formulierung wegen, ehe er seinen Zeigefinger löste und sich meine Hand in ihrer Gänze schnappte. Ruhig und gemächlich zog er sie hoch und führte meinen Handrücken an seine Lippen. Das hatte Joshua bereits gemacht, als er krank und sehr anhänglich gewesen war. Nun war er voll da und tat es trotzdem. Diese altmodische Geste…! Seine Lippen drückten sich sanft gegen meine Haut und ich hielt die Luft an. Über unsere verbundenen Hände hinweg sah er mich an. Sein Grau schimmerte verschlagen, verspielt und mit einem Hauch von gieriger Ungeduld. „Mir auch.“ Ich sah weg und hielt meine freie Hand vor mein Gesicht. „Blödmann.“ Während des Wochenenddienstes war eines definitiv klar geworden. Joshua gegenüber wurde ich schwach. Dass ich mich ihm schnell entgegenwarf, die Nähe genoss, mit ihm rumalbern konnte und mich küssen ließ, kam nicht von ungefähr. Ich wusste ja, dass ich in ihn verschossen war, aber war es üblicherweise so schlimm? War das dieses Hals-über-Kopf, wovon immer die Rede war? Mein Atem wurde unstet, wenn er mich ansah, als könnte er sich nichts Besseres vorstellen als mich aufzuessen. Mein Herz stolperte und setzte aus, raste und hüpfte, wenn er mich berührte. Ein zufälliges Streichen, ein bewusstes Verhaken unserer Hände, ein Anlehnen an seinen stattlichen Oberkörper. Die Küsse waren zunächst mehr sporadisch gewesen. Nach unserem Gespräch in der Kaffeeküche, nutzte Joshua den restlichen Sonntag um mir bei jeder sich bietenden Gelegenheit einen Kuss zu stehlen. Oft nur kleine Schmatzer, meist auf den Mund, aber auch die Wange und dreimal an meinen freien Hals. Diese drei waren für mich besonders schlimm gewesen. Sie kribbelten nicht nur nach wie Feuerameisen, sondern ich zuckte ungewollt zusammen. Als würde ein Stromschlag von dem Ort, den seine Lippen berührten, bis runter in meine Zehen weitergeleitet werden. Ich gestand, ich war am Ende des Tages etwas überfordert, aber auch ziemlich glücklich. Dass Joshua damit eine bestimmte Taktik verfolgt hatte, begriff ich erst am nächsten Tag. Bevor ich zu Bett ging, war mir noch etwas anderes aufgefallen. Unschlüssig stand ich vor dem Badezimmerspiegel und betrachtete diesen einen roten Fleck an meinen Hals. Das Ziehen, welches ich bei seiner sehr intensiven Umarmung gespürt hatte, war nun ein leuchtender Knutschfleck geworden. Ich war stolz darauf und zugleich peinlich berührt. Sollte ich ihn verstecken? Unter einem Tuch? Einem Pulli? Aber die nächsten Tage würde es sehr drückend und schwül werden. Im Labor gab es zwar eine Klimaanlage, die war aber nicht so sehr kalt. Der Laborkittel hatte ebenfalls lange Ärmel. Ich würde heillos eingehen, zöge ich einen Pulli drunter oder Tuch um meinen Hals. Zumal ich noch nie ein Tuch getragen hatte. Schwer seufzend, überlegte ich, wo ich auf einen Sonntagabend Makeup herbekommen würde. Andererseits interessierten mich Joshuas und Elias Reaktion, würde ich diesen roten Schönheitsfleck offen zeigen. Dieser Montag erschien mir anders. Irgendwie heller, freundlicher. Die Luft war klar und der Sonnenaufgang herrlich gewesen. Blau ging in violett, rot und orange über, ehe sich eine helle Scheibe über die Dächer der Hochhäuser schob. Bei offenem Fenster hatten die Vögel mich bereits um vier Uhr früh geweckt. Einmal umgedreht, döste ich weiter, ehe es an der Zeit war aufzustehen. In der Tram war erstaunlich wenig Betrieb. Sonderbar, doch einen Feiertag schloss ich aus. Es war mitten im Jahr, früher Herbst beinahe, da gab es keine gesetzlichen Feiertage mehr. Wie dem auch sei. Ich betrat das Labor wie gewohnt mit einem Kaffee in der Hand. Die ersten hektischen Seelen kamen mir entgegen. Flüchtige Grüße flogen durch die Flure. Die Abendbeleuchtung der Flure war bereits abgestellt worden, sodass ich das mittlerweile vertraute Flackern des einen Spotlight nicht grüßen konnte. Je näher ich dem Labor kam, desto mehr spannte ich mich unbewusst an. Noch war ich unbefangen, guter Dinge und mein Hirn noch nicht wirklich wach. Doch alsbald ich durch die Tür trat, legte mein Hirn einen Schnellstart hin, da wäre Windows neidisch drauf. „Vor seinen Freunden?“, frage Elias skeptisch nach. „Hm. Was hätte ich tun sollen? Der Typ war so ein Großkotz. Der brauchte einen Denkzettel“, erwiderte Joshua. „Morgen“, sagte ich. „Moin!“, rief Elias mir flüchtig zu und redete weiter mit Joshua. „Großkotz hin oder her, du kannst nicht einfach in feste Freundesstrukturen eingreifen. Das Ganze hätte auch total nach hinten losgehen können.“ „Ist es aber nicht“, bemerkte Joshua trotzig und etwas stolz zugleich. Wie ein Kind. Er hatte meinen Gruß nicht erwidert, mir aber einen Blick geschenkt, der mich hatte erröten lassen. Ich ging zu meinem Tisch und stellte Tasche und Kaffee ab. Allein diese wenigen Worte ließen mich gedanklich einen Marathon laufen. Für die Einmischung hatte Joshua definitiv eine verdient. Aber ich würde es nie über mich bringen ihn zu schlagen. Besser ich dachte mir eine andere Art von Strafe aus. Doch im Moment war ich emotional zu flatterhaft, als das ich solch eine Racheaktion ruhig durchdenken könnte und verschob es auf später. Für jetzt jedoch wurde mir peinlich bewusst, dass Joshua mit Elias den Freitagabend auswertete. Etwas empört unterbrach ich sie, merkte jedoch schnell, dass keiner es böse gemeint hatte. Joshua war es gewohnt mit Elias über so was zu reden und ein bisschen hatte ich das Gefühl, dass er sich vergewissern wollte, inwieweit seine Aktion gut oder schlecht gewesen war. Elias war ein erstklassiger Mediator. Er managte sowohl Joshua als auch mein zerstreutes Gemüt. Am Ende dieser Diskussion hatte ich Elias auf meiner Seite und Joshua schien zu schmollen. Griesgrämig betrachtete mich Joshua, als sein Blick auf meinen Hals fiel. Ich hatte mich für die offene Variante entschieden. Zugegeben, ich hatte es heute früh schlicht vergessen. Dieser kleine Fleck war sogleich Anstoß für die nächste Diskussion. Joshua trat nämlich näher, tat so als biss er herzhaft in meinen Hals, an jene Stelle und zog sich siegessicher zurück. Er biss zwar, aber nicht doll, was trotzdem ausreichte, um mein Gesicht zu entflammen. „Du-!“, entkam es mir empört. Elias stimmte mit ein und erinnerte Joshua daran, keine Küsse im Labor zu verteilen. „Da hörst du’s!“, bestätigte ich ihn. Joshua zuckte nur mit den Schultern. Elias bemerkte den Knutschfleck und ging davon aus, er sei gerade erst entstanden. Mit noch mehr Inbrunst redete er auf Joshua ein. Wir kamen vor dem Mittag nicht zum Arbeiten… In dieser Woche stellten sich einige Dinge heraus. Etwa über welche Themen Joshua und Elias so redeten. Nämlich über alle Themen und das recht offenherzig. Auch fand ich heraus wie Joshua einige Dinge wahrnahm. Sachen, welche ich als trivial einstufte, hob Joshua auf besondere Art hervor. Und Momente, in denen ich ihm gegenüber laut geworden war, spielte er herunter. Mich beschlich das Gefühl, dass Joshua nicht erst seit ein paar Tagen seine Argusaugen auf mich geworfen hatte. Seine Fürsorge gipfelte in Kleinigkeiten, die mir jetzt erst wirklich bewusstwurden. Zum Beispiel die Sache mit dem Besteck. Die Mensa des Labors war täglich geöffnet. Es war nicht nur ein sehr großes Labor mit vielen Angestellten, sondern auch vielen Angestellten, die Sonderzeiten hatten. Joshua und ich aßen am Wochenende und am Montag in der Mensa. Wobei uns montags Elias begleitete. In neun von zehn Fällen vergaß ich, mir Besteck auf das Tablett zulegen. Der Besteckkasten befand sich am Eingang bei den Tabletts. Wie oft war ich in den letzten Wochen deswegen zurück gerannt?! Und wie oft hatte Joshua mir Besteck gereicht, das er „ausversehen zu viel“, gegriffen hatte? Wieso bemerkte ich Blindfisch erst jetzt, nachdem Joshua den letzten Freitag mit meinem Vorgesetzten ausgewertet hatte, dass er in der Schlange hinter mir stand und beobachtete. Ich nahm Gabel und Messer mit. Er das gleiche und zwei kleine Löffel. Klar wunderte ich mich, fragte aber nicht. Erst als ich mir kurz vor der Kasse noch ein Dessert nahm, fiel es mir auf. Verwundert sah ich zu Joshua, den Schokopudding mit Vanillesoße in der Hand, als er mir genauso Wortlos seinen zweiten kleinen Löffel reichte. Oder dass er anbot mich nach den Nachtdiensten nach Hause zu fahren, weil ich etwas zu müde war. Ich gähnte und rieb mir die Augen. Dabei war meine Schlaflosigkeit am Tage die Schuld des Laboradonis‘. Seine Umsichtigkeit empfand ich flüchtig als gruselig. Wenngleich sich herausstellte, dass ich es genoss. Seine Hände waren sanft, sein Blick liebevoll. Ich hörte auf mich zu fragen, was genau Joshua an mir fand. Egal was es war, was ihn an mir faszinierte, es reichte scheinbar für Joshua aus, mich wie etwas sehr Kostbares zu behandeln. Während er da war und mich verwöhnte, dachte ich kaum an etwas anderes als an ihn. Erst daheim beschlich mich die irrationale Furcht, dass, wenngleich Joshua mich scheinbar toll und anziehend fand, er vielleicht von dem was noch kommen würde, enttäuscht sein könnte. Im Internet hatte ich mir diverse Dinge bestellt. Plugs und Gele und so weiter. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Joshua unten liegen würde. Dafür war er viel zu dominant und nahm sich was er wollte. Joshua küsste mich einfach. Ich hingegen überlegte zehn Minuten, ob ich ihn wirklich küssten dürfte. Nein, Joshua würde sicherlich der führende Part bei einem Stelldichein sein. Darum hatte ich begonnen mich daran zu gewöhnen, etwas hinten reinzubekommen. Der Anfang war unangenehm und sonderbar. Es fühlte sich einfach nicht richtig an, an dieser Stelle etwas zu fühlen. Was ich bestellt hatte, war ein Dehnungsset für Beginner gewesen. Dies enthielt Gleitgel zum Einführen und diverse Größen von Plugs. Der Erste war ok gewesen, der nächste war bereits länger und breiter. Damit zu Hause rumzulaufen war etwas komisch, doch ich gewöhnte mich erstaunlich schnell daran. Die nächste Größe war schon anders. Mit der Breite von zwei Fingern, ähnlich lang, mit unebener Oberfläche wurden einige Aktionen schon kniffliger, wie das Bücken. Die letzte Größe besaß einen deutlich größeren Durchmesser und die Länge war ebenso ansehnlich, wenngleich es immer noch schmaler und kürzer wirkte, als ein echtes Glied... Zu Beginn hätte ich nicht gedacht, dass ich jemals zu diesem Punkt gelangen würde. Doch nun führte ich die leicht gekrümmte Länge ein. Der Schluss wurde etwas tricky, aber machbar. Ich spannte meinen Hintern an und ließ den Plug drinnen. Beim Gehen bewegte sich das Ding und piekte hier und da in mir herum. Ich versuchte es zu ignorieren und mich daran zu gewöhnen. Ein Telefonat mit meinen Eltern später, musste ich zur Arbeit. Allerdings war ich vom Telefonat ziemlich frustriert und wollte etwas Blödes tun. Die Art Blödsinn, die man eben tat, wenn man noch stinkig mit seinen Eltern war, weil man über Peanuts gestritten hatte. Da, egal was ich tun würde, meine Eltern es nie erfahren, geschweige denn es sie überhaupt interessieren würde, tat ich was wirklich Blödes… Ich tauschte die Endversion zur Dehnung mit einem vorherigen Modell. Da ich mit dem Großen bereits etwas gelaufen war, würde es ja sicherlich kein Hindernis für mich darstellen, länger mit dem Kleineren rumzulaufen. Auf Arbeit musste ich mich auch nicht bücken, jedenfalls nicht viel. Also alles gut, auf zum Nachtdienst. Dachte ich… Bis zur ersten Kaffeepause geschah nichts, was mich meine Idee hätte bereuen lassen. Ich stellte den Wasserkocher an und füllte die Tassen mit Kaffeepulver. Wartend schlenderte ich um den Küchentisch und lief Joshua in die Arme. Er fing mich und drehte mich so um, dass der Tisch hinter mir war. Sein Lächeln war verspielt. Rechts und Links von mir einen Arm abgestellt, bedachte er mich mit einem heißen Blick. Elias hatte gesagt, im Labor keine Küsse. Zu meinem Seelenheil, bat ich Joshua um selbiges. Die Küche jedoch war nicht das Labor. „Josh…“ Ich kam nicht weit, als ich seine Lippen bereits schmecken konnte. Meist schmeckte Joshua nach Kaffee, doch heute noch nicht. Ich schloss die Augen und wollte diesen Kuss wie sonst auch genießen, jedoch öffnete Joshua dieses Mal seinen Mund und ich dummes Kalb tat es ihm gleich. Ehe ich mich versah, strich eine warme Spitze über meinen Zungenrücken und neckte mich. Neugierig ging ich darauf ein und verlor mich schneller als gedacht in diesem Spiel. Ich schlang meine Hände um seinen Nacken, um mehr Halt zu bekommen und ihm näher zu sein. Mein Ehrgeiz war geweckt! Ich wollte als Sieger hervorgehen! Joshua legte seine Arme um mich und schob mich leicht auf den Tisch. Gerade so verhinderte ich, dass mir ein Ton aus der Kehle kroch. Der Plug in mir bewegte sich, drückte sich an eine Stelle, die mich erschaudern ließ. Ich spannte mich mehr an, um dieses Ding daran zu hindern sich zu bewegen, aber es wurde nur schlimmer. Dazu kamen Joshuas Hände, welche auf meinem Po oder meine Hüfte wanderten, mich näherzogen und festhielten. Meine Aussage war gewesen „In einer Woche“. Diese war beinahe rum und Joshua hielt sich minutiös daran, keine zu starken Annäherungen in diese Richtung zu versuchen. Vielleicht wollte er mich nicht bedrängen oder so. Egal. Im Moment war ich hin und weg. Einerseits wollte ich, dass diese Hände meinen Hintern mehr in die Mangel nahmen, andererseits fürchtete ich, dass ich dann ein wirkliches Problem bekommen könnte. Um ein Malheur zu verhindern, sollte der Plug rausrutschen, hatte ich eine besonders enge Shorts an. Aber kein Stoff der Welt würde eine Männlichkeit von ihrer vollen Größe abhalten können. Wärme stieg in mir auf und ich keuchte laut. Joshua hielt inne und ließ mir etwas Luft. Wer weiß, was ich gerade für ein Gesicht machte. Meine Wangen glühten und meine Lippen fühlten sich feucht an. Mein Atem ging schwer und so versteckte ich mich schnell in seiner Halsbeuge. Für einen Moment glaubte ich, dass seine Augen dunkler geworden waren. „Entschuldige…“ „Alles gut.“ Joshua strich mir sanft über den Rücken, während ich mich beruhigte. Das war knapp, wirklich verdammt knapp gewesen! Im Kuss versunken, hatte ich mir vorgestellt, nur so zur Probe, wie Joshuas Hände meinen Hintern direkt berührten. Ihn packten und drückten. Dass es nicht der Plug, sondern seine Finger waren, die so unverhohlen in mir stocherten. Schnell entschuldigte ich mich und ging zum Klo. Mir war das so peinlich, dass ich Joshua nicht ins Gesicht sehen konnte, obwohl ich mir sicher war, mindestens ein amüsiertes Grinsen sehen zu können. Auf Toilette entfernte ich das Ding und sorgte für kein baldiges Wiedersehen. Nach dieser Geschichte war Joshua erstaunlich gut gelaunt. Gegen Morgen schmiedeten wir den Gedanken unser immer noch ausstehendes Date endlich umzusetzen. Ehe wir wirklich mit dem Planen hätten beginnen können, erreichte uns eine Mail. Absender: McFloyd. Betreff: Anwesenheitspflicht zum Treffen der Sponsoren. Galaabend. Ich betrat das Foyer des Hotels und fühlte mich mehr als unwohl. Mein Anzug war schlicht und schon etwas älter. Die Krawatte hatte ich gerade noch hinbekommen. Am unpassendsten war wohl mein Rucksack mit dem Nötigsten für eine Übernachtung. Die sogenannte Sponsorengala wurde in einem gut etablierten Hotel ausgerichtet. Ausgewählte Angestellte des Labors, aus allen Bereichen, nahmen daran teil, um die unzähligen Sponsoren zu bezirzen, welche aus Neugierde und Eigennutz ihr kostbares Geld zur Verfügung stellten. Es ging um Geld und Forschung. Neben unserem Verstand, sollten sich alle entsprechend hübsch herausputzen. Gerade so als zeigte man die Prunkstücke einer besonders seltenen Sammlung. Es begann am Freitagnachmittag mit einem Stelldichein und einem Aperitif. Anschließend stellten die bedeutendsten Forscher ihre Arbeit vor. Jedoch nicht mehr als fünf Personen. Drei am heutigen Abend und zwei am folgenden Vormittag. Man durfte die betuchten Herrschaften schließlich nicht überfordern. Im Anschluss wurde zum Abendessen und geselligen Beisammensein geladen. Scheinbar die edle Variante von Wir-Stoßen-Drauf-An. Jeder Sponsor und Angestellter übernachtete in diesem schicken Hotel. Somit waren die Tage von Freitag und Samstag verplant… Zunächst war ich etwas niedergeschlagen und beleidigt, weil das Date wieder nicht zustande kam. Dann fragte ich mich, ob es nicht nice wäre, diese Örtlichkeiten hier etwas auszunutzen. Endlich war ich mal im Anzug und total herausgeputzt. Ich würde Joshua zeigen können, was ich für ein Hingucker war und in seiner Manier zwischen den Stühlen mit ihm flirten. Zugleich lachte ich mich aus, da ich es sicherlich nicht hinbekommen würde. Doch wenn ich es initialisierte, dachte ich verschmitzt, würde Joshua es vielleicht ausführen? Das Foyer war prunkvoll und glänzte an allen Ecken und Kanten. Der Boden bestand aus spiegelglatten Marmorvierecken. In der Mitte standen vier sehr dicke Säulen, welche bis zur Decke führten. Dahinter wand sich eine weiße Marmortreppe mit rotem Teppich bis in den ersten Stock. Rechts führte eine breite Flügeltür zum Restaurantbereich. Links war die Rezeption, ebenfalls aus Marmor und glänzend. Ich stand etwas zu lange Maulaffen feilhaltend dar, sodass einer der elegant gekleideten und sehr drahtigen Concierge auf mich zu kam. Dass allein war mir peinlich, denn ich hatte nicht mal einen Koffer oder so was, den er mir hätte abnehmen können, beziehungsweise genügend Kleingeld, um ihn für seine Dienste einen Obolus zu geben. „Mein Herr, kann ich Ihnen behilflich sein?“ Ah! Zu spät … Ich straffte meine Haltung und erklärte mit einer drucksigen und zu hohen Stimme, dass ich zu der Sponsorengala gehörte, die heute Abend hier stattfinden würde. Der Concierge war höflich und führte mich zu einem Rezeptionisten, welcher mir mit seinem blütenweißen Lächeln erklärte, wo ich hinmüsste. Die Sponsoren besaßen ihre eigenen, edlen Suiten, während wir Laborratten zwar edel, jedoch aus Kostengründen zu zweit untergebracht wurden. Ich bekam eine Schlüsselkarte, die Zimmernummer und die Etage. Man deutete auf die Fahrstühle, welche sich am Ende der weißen Marmortreppe befanden. Zwei Fahrstühle mit filigranen, altmodischem Ziffernblättern über den Türen. Der Zeiger ging mit jeder Etage mit. Mal nach rechts, mal nach links. Das Innere war ebenso extravagant ausgestaltet. Ein Hotelangestellter, ebenfalls im schwarzen Anzug, stand bereit, um für mich die Knöpfe zu drücken. Diese Menschen hatten sicher auch eine spezielle Bezeichnung, die mir in meiner allgemeinen Bewunderung entfallen war. „Welches Stockwerk darf es sein?“ „Die siebte Etage, bitte.“ Mir schwitzten die Hände. Ich war unheimlich aufgeregt. Zugleich war ich nervös und bereute meine schlechte Vorbereitung. Wer wusste schon mit wem ich das Zimmer teilte?! Wäre ich etwas aufmerksamer gewesen, hätte ich dieses Detail vielleicht im Vorfeld der E-Mail entnommen und mir ein Zimmer mit Joshua teilen können. Es wäre so perfekt gewesen! Zumal wir diesen Abend opferten, statt auf ein Date zu gehen. So hätten wir wenigstens die Nacht zusammen gehabt und ich hätte meine Aussage einhalten können. „Eine Woche“, hatte ich gesagt. Genau genommen, hieß das Samstagabend. Aber von der heutigen Gala ausgehend, spekulierte ich noch nicht mit eventuell zur Verfügung stehender Freizeit am Samstagabend. Wer wusste was da noch kommen würde? Ich ärgerte mich, wischte, versucht unauffällig, meine Hände in meinen Hosentaschen ab und ließ sie dabei gleich lässig stecken. Joshua würde sicherlich mit einem anderen, ebenso genialen, Forscher in ein Zimmer gesteckt werden. Von wegen: Genial zu Genial. Ich ärgerte mich wirklich… Hatte nicht ich mich die letzten Wochen mit Joshua herumgetrieben? Ihm schöne Augen gemacht, war bei ihm daheim und hatte ihn geküsst, ehe ich selbst wusste, was ich getan hatte?! Stände es nicht mir, unter allen anderen, als erstes zu in ein Zimmer mit diesem Laboradonis zu gehen? Immerhin war ich es doch, der in ihn verl- Ich brach meinen eifersüchtigen Gedankengang ab. Alsbald ich für mich allein veranschlagen wollte, dass nur ich Joshua liebte, kam mir Johannes wieder in den Sinn. Ich war mir immer noch ziemlich sicher, dass dieser in Joshua verliebt war oder gewesen war. Die Position Joshua alleine zu lieben, konnte ich somit gar nicht an mich reißen… Ich bedankte mich beim Fahrstuhlführer und ging mäßigen Schrittes den Flur entlang. Dieser war mit sandbraunem Teppich ausgelegt und die Wände waren in einem angenehmen Beige gestrichen. Fenster gab es keine, nur Spotlights, die mich stark an jene auf der Arbeit erinnerten. Nur flackerte hier kein einziges der warmen Leuchtkreise. Mein Zimmer war die 0777. Eine Glückszahl eigentlich. In einer pseudowissenschaftlichen Zeitschrift las ich mal einen Artikel zur Zahlenlehre. Davon gab es bereits diverse. In jener ging es um Doppel- und Mehrfachzahlen. Die Erklärung stand darunter und hatte mehr mit dem Universum zu tun, als mit Gott oder dem Glauben. Es war mir sympathisch. Alles hatte ich nicht behalten, doch die Sieben stand eben für eine glückliche Fügung vom Universum oder so. Ach, das war zu lange her! Die Hände aus den Taschen genommen, rutschte mir mein Rucksack von den Schultern und ich hielt ihn an den Trägern mit der linken Hand fest. In der anderen Hand hielt ich die Schlüsselkarte und friemelte eine Weile am Türschloss. Man hatte mir auch nicht erklärt, wie das Ding zu benutzen war. Mit leicht entnervtem Schnauben öffnete sich endlich die Tür. Die Schlüsselkarte tat ich beiseite und trat ein. Auch dieses Zimmer, wenngleich es keine Suite war, war für mich schon der Wahnsinn! Edel eingerichtet, geräumig, mit großen Fenstern und einem Balkon mit einer hammermäßigen Aussicht! Ich erspähte eine Minibar und das Bad, eine Sitzecke mit Fernseher und schließlich ein großes Doppelbett. Meine Laune sank etwas. Musste ich wirklich mit jemand Fremdes in einem Doppelbett schlafen?! War nicht ihr Ernst oder? Innerlich war ich bereits dabei die Couch zu beziehen, als sich die Badtür öffnete und ein adrett gekleideter Mann herauskam. Dieser friemelte an seinen Manschettenknöpfen. Seine dunkelbraunen Haare waren mit ein wenig Gel in Form gebracht worden und mehr brauchte es nicht, dass er Hammer aussah. Mir fiel mein Rucksack laut plumpsend auf den Boden. Joshua sah auf, lächelte und kam auf mich zu. Na, wenigstens war ich wichtiger als die doofen Knöpfe, dachte ich schnippisch. Er begrüßte mich, wollte mich umarmen und einen Kuss haben. Mit einer Flappe entzog ich mich seinen Armen und zeigte ihm die kalte Schulter. Joshuas gesamtes Gesicht hatte laut „HA, Überraschung!“, geschrien. Wir hatten die E-Mail zur gleichen Zeit erhalten und er handelte nach seinem Gutdünken und weihte mich nicht ein? Auch wenn ich mich tierisch darüber freute, mit ihm auf einem Zimmer zu sein, für diesen Moment war ich schlichtweg beleidigt. Sicherlich, ich hatte mich zu spät vielleicht auch gar nicht gekümmert und hatte diesbezüglich nicht mit Joshua geredet. Aber ich hatte noch andere Dinge im Kopf und wusste nicht mal was mich hier erwarten würde?! Meine Sorgen waren erst aufgetaucht, als ich vor diesem viel zu protzigen Eingang gestanden hatte. Ich hatte meine Nachlässigkeit auf dem Weg hier hoch bereits hundertfach bereut! Joshua hatte mitgedacht, uns das Wochenende gerettet und war deutlich vorausschauender gewesen als ich. Ihn traf keine Schuld. Dennoch … ich fühlte mich falsch behandelt. Joshua bemerkte meinen Stimmungsabbruch und fragte schlicht: „Bekomme ich keinen?“ Sein Gesicht wirkte reumütig und seine Stimme war niedlich. Meine Augenbrauen waren noch immer tief nach unten gezogen und meine Arme verschränkt. „Nein. Du hast gewusst, dass wir in ein Zimmer kommen und hast mir nichts gesagt. Du hast mich absichtlich auflaufen lassen. Weißt du, was ich gerade für ein schlechtes Gewissen hatte, weil es hieß, man pennt zu zweit in einem Zimmer? Du hättest mir ruhig davon erzählen können“, beharrte ich trotzig und zog einen Schmollmund. Strafe musste schließlich sein, auch wenn mir das Herz dabei brach und ich mich noch schlechter fühlte. Das Versäumnis lag auf meiner Seite, trotzdem … Joshua wirkte geknickt. Ein Moment verstrich, ehe er trotzdem nähertrat und sich vortastete. Da ich keine Anstalten machte mich zu bewegen, umarmte er mich von hinten und legte seinen Kopf auf meine Schulter. Ich sah nach oben und schnaufte genervt aus. Ich konnte ihm nicht böse sein. Mit noch verschränkten Armen lehnte ich mich gegen ihn. „Ich wollte dich überraschen. Du schienst zu tun zu haben und da ich ahnte, dass mein Vater die Gala wie im letzten Jahr anlegen würde, habe ich das hier arrangiert.“ „…“ „Aber auch wegen der Sponsoren.“ „Was haben die damit zu tun?“ Joshua zog mich näher an sich und, weil er noch immer keine Gegenwehr spürte, setzte vorsichtig einen Kuss auf meinen Hals. „Es gibt Sponsoren, denen geht es um das Knowhow des Forschers. Aber es gibt auch einige, die geben dir ihr Geld freizügiger. Für … eine gewisse Gegenleistung.“ Noch ein Kuss auf meinen Hals und ich bekam eine Gänsehaut. Ich hatte es geahnt, warum sonst sollten alle Gäste nach der Gala im selben Hotel übernachten? Natürlich wurden Grenzen gewahrt, sonst würde ein solcher Anlass nicht wiederholt werden. Ich nahm an, dass die Sponsoren vorrangig wegen der Forschung kamen und bei der Gelegenheit versuchten, dass ein oder andere Sahnehäubchen der Forscher abzustauben. Ich legte meine Hände auf Joshuas und neigte unbewusst meinen Kopf, sodass er besser an meinen Hals kam. Sanft setzte er weitere Küsse auf meine gespannte Haut. „Das dachte ich mir schon. Aber warum machst du dir dann Gedanken um mich?“ Ich spürte seinen Atem gegen meinen Hals, als er innehielt. Schließlich fühlte ich die Vibration seiner tiefen Stimme auf meiner Haut. „Weil es unter ihnen eine Dame gibt, die sich jeden Neuling und hübschen Forscher krallt.“ Ich schmunzelte. Dann müsste eigentlich ich mir Sorgen machen. Immerhin war Joshua der wirkliche Hauptgewinn. Aus meiner Sicht zumindest. Und er war ledig. Ich könnte es ihm nicht verübeln, wenn er wegen der Gelder einer solchen Hommage zustimmen würde. Wir gingen derzeit nur miteinander aus. Keiner hatte sich dem anderen in irgendwas verpflichtet. Mein Gestammel in der Gasse konnte man jedenfalls nicht ernst nehmen. Nun machte ich mir wirklich Sorgen. „Ich-“, hektisch drehte ich mich um und starrte in graue Augen. „Josh, ich-“ Diese zwei „Ich’s“ waren komplett unterschiedlicher Natur. Im ersten „Ich“ wollte ich mich herausreden, sagen, dass ich nicht so anziehend war wie er. Ich wollte ihn bitten, sich nicht so hübsch anzuziehen und mich zugleich für meine doofe Art von eben entschuldigen. Jedoch fehlten mir die Worte und ich brach ab. Im zweiten „Ich“, waren mir die Worte bewusster denn je, doch mir fehlte der Mut sie laut auszusprechen. Um mich aus dieser Peinlichkeit herauszureden, lobte ich Joshuas elegantes Auftreten und seinen Anzug. Joshua war so taktvoll und ging nicht auf mein Gestotter ein. Stattdessen half ich ihm mit seinen Manschettenknöpfen und er führte mich etwas im Zimmer herum. Ich spürte, dass er mich ebenso von oben bis unten betrachtete. Seine Augen leuchteten vor Freude und mit deutlich neckischen Gedankenzügen. Ich ließ das Thema so stehen, obwohl ich mir dieses Mal gewünscht hatte, dass Joshua etwas gesagt hätte. Den Auftakt bereitete ein kleiner Sektempfang. Ich nippte vorsichtig daran, denn Sekt war das, was ich gar nicht vertrug und ich musste noch den gesamten Abend überleben. Joshua indes schien der prickelnde Alkohol nichts auszumachen. Noch ehe das Dinner begann, hatte er drei Gläser geleert. Ich blieb in seiner Nähe. Es war nur logisch, denn immerhin arbeiteten wir derzeit zusammen an einem Experiment. Joshua hatte mir diese Tatsache nochmals deutlich gemacht, als ich versuchte mich hinter ihm zu verstecken. „Davon ab, bist du auch so sehr schlau und eine Bereicherung für das Labor.“ Ich hörte diesen Abend oft lobende Worte. Mal kamen sie von Joshua, mal von einem Sponsor, dem ich gerade von meinen Tätigkeiten berichtete, einmal sogar von McFloyd, der immer und überall mal zu Gegend war. Den Großteil der Zeit erzählte Joshua. Die Sponsoren fragten ihn über seine Abhandlungen aus und bekamen gar nicht genug von den Details, welche sie eh nicht verstanden. Joshua war ein guter Redner. Er strahlte Selbstvertrauen aus und war souverän. Ich lauschte ebenso gespannt, wie alle anderen, die er um sich scharrte. Zum Leid aller Zuhörer, die gebannt an seinen Lippen hingen, erklang ein Gong, der die Gesellschaft zum Essen lud. Neben Joshua ging ich durch die großen Flügeltüren, welche nun komplett geöffnet worden waren. Dahinter erstreckte sich ein langer Saal, welcher vierundvierzig weißgedeckte, runde Tische mit je sieben Stühlen drum herum, präsentierte. Die Tische waren weit genug auseinander, um bequem zwischen ihnen hin und her wandeln zu können. Zunächst suchten sich die Laboranten einen Tisch aus, sodass die Sponsoren sich zu ihnen setzen konnten. Jedem stand es frei, während des Essens den Tisch zu wechseln. Schließlich sollten die Gespräche zahlreich und der Eindruck bleibend sein. Der Tisch an sich war schlicht gedeckt. Es standen zwei Teller vor mir, für Suppe und Hauptspeise. Viel zu viel Besteck, ein Weinglas für Rotwein und eines für Weißwein, ein Glas für Wasser und eine elegant gefaltete Serviette. Die Mitte des Tisches zierte ein Blumenbouquet, das die einzigen Farben in das eher Weiß und Silber gehaltene Ambiente brachte. Das Gesteck war flach, damit sich alle Gäste auch über den Tisch hinweg ansehen und miteinander reden konnten. Ich setzte mich zu Joshuas Rechten und rückte meinen Stuhl heran, als sich eine elegant gekleidete Dame Joshua gegenübersetzte. Sie trug einen Fächer bei sich, den sie just zusammenfaltete und vor sich auf den Tisch legte, ehe sie sich auf ihrem Ellenbogen abstützte, nach vorne lehnte und ihr Dekolleté zur vollen Geltung brachte. „Mein lieber Joshua. Der Abend begann vor etlichen Stunden und du hast mich noch immer nicht aufgesucht. Ich bin etwas erschüttert“, sagte sie mit einer melodischen Stimme und einem Augenaufschlag, der sogar Felsen hätte spalten können. „Kamen wir letztes Jahr nicht überein, dass wir uns bei der nächsten Gala sofort ansprechen würden?“ Joshua rückte seinen Stuhl zurecht und schenkte der Dame ein freundliches Lächeln. „Fräulein Marianne, wie könnte ich es vergessen. Doch ich erinnere mich daran euch auch gesagt zu haben, dass dies nur eintritt, wenn ich keinerlei sonstige Investitionen tätigte.“ Fräulein Marianne sah nicht aus wie ein Fräulein. Sie war hübsch, ohne Frage, aber mindestens Dreißig, wenn nicht sogar Älter. „Du brichst mir das Herz. Ich war so sehr überzeugt, dass ich deine nächste Investition sein würde.“ Joshua lachte amüsiert und höflich. „Verzeihen Sie. Es kam etwas Unvorhergesehenes dazwischen. Zudem bin ich heute nicht als Einzelperson hier, sondern mit meinem Teamkollegen.“ Joshua deutet auf mich und die Dame – tut mir leid, ein Fräulein war sie definitiv nicht! – beäugte mich flüchtig, ehe sie sich etwas vorlehnte und Joshua einen beherzten Einblick gewährte. „Davon habe ich bereits gehört. Wie ungewöhnlich für dich. Aber verrate mir bitte. Diese … Investition … ist das eine feste?“ Mir gefiel nicht wie ihre Augen funkelten … Joshua wartete einen Moment ab, bis der Kellner, welcher uns vor einigen Minuten bereits nach unseren Getränkewünschen gefragt hatte, diese abstellte. Zugleich fragte er, ob die Suppe serviert werden könne. Joshua und die Dame, sowie die anderen hier sitzenden Gäste, nickten. Ich war nur froh, dass ich gleich etwas zu tun bekommen würde. Die anderen Gäste am Tisch unterhielten sich ebenfalls, doch mich interessierte allein dieses Gespräch zwischen Joshua und Marianne. „Nun, das möchte ich doch meinen“, erwiderte Joshua nun auf ihre Frage. „Und es gibt keine Chance für mich, da mit einzusteigen?“ Joshua lachte amüsiert, ich blinzelte. „Du weißt, was ich meine.“ Ich hatte meine Hand gehoben, um nach meinem Glas zu greifen, stieß dabei ungewollt gegen mein Besteck, welches klirrend herunterfiel. „Oh, Entschuldigung“, sagte ich hektisch und beugte mich nach dem Besteck. Als ich wieder auftauchte, bemerkte ich, dass Joshua mir zugewandt war, um zu helfen und dass ein Kellner bereits mit frischen Besteckt hinter mir stand. Überrumpelt gab ich die noch ungenutzte Gabel ab und erhielt eine frisch polierte. Während die anderen Gespräche weiter gingen, wartete Marianne geduldig ab, bis Joshua mir „zu Ende geholfen hatte“. Ihr Blick war stechend. Als wäre ich ein Insekt oder so etwas. „Verzeihung“, sagte ich nochmal und griff mit meiner rechten Hand nach meinem Getränk. Mit meiner linken Hand wäre der Weg zum Getränk kürzer gewesen, jedoch war es mir gerade nicht möglich meine linke Hand zu heben. Joshua wandte sich der Dame wieder zu, legte seinen linken Unterarm auf den Tisch ab und lehnte sich etwas vor. Ich nahm einen Schluck vom Wasser und verfolgte das Gespräch neben mir scheinbar interessiert. Oh, wie könnte ich nicht interessiert sein?! Meine Ohren lauschten angestrengt Joshuas Worten und der Erwiderung der Dame. Das mit dem Besteck war wirklich ein Versehen gewesen. Zugleich hatte es bei mir klick gemacht und ich wusste wer die Dame vor mir war. Joshua hatte sie vorhin erwähnt. Die Dame, welche zu gerne hübsche Laboranten auf ihr Zimmer einlud. Mit mal wurde jedes ihrer Worte schlüpfrig und es wurde überdeutlich, dass sie nur an Joshua interessiert war. Wohl der einzige Mann hier, der sie galant zurückwies. „Ich befürchte, dass ein Einstieg nicht möglich ist“, erklärte Joshua ruhig. „Mein lieber Joshua, bist du dir dessen sicher? Bedenke wer ich bin“, ihre Worte klangen leicht und verführerisch. „Verrate mir doch bitte wie fest euer Arrangement ist oder besteht die Möglichkeit dich nachher zu einem Privatgespräch bitten zu können?“ „Leider bezweifle ich, dass die Person, mit der mein Arrangement besteht, einer solchen Abweichung der Parameter zustimmen würde.“ „Obwohl du weißt, wie geschickt ich mit Worten umgehen mag?“, fragte Marianne. „Eben darum. Ihre flinke Zunge ist durchaus bekannt.“ Marianne schnalzte mit eben dieser gerade so als wollte sie Joshuas Aussage bestätigen. „Jene Person … ist sie so besonders?“ Mein Herz machte einen Hüpfer und ich drehte mich etwas zu ihnen. Joshuas Hand hielt seit geraumer Zeit die meine. Nachdem er mir geholfen hatte, griff seine rechte Hand unter der Tischdecke nach meiner linken und hielt sie seitdem fest mit seiner verschränkt. Handfläche auf Handfläche betete ich darum, nicht zu sehr zu schwitzen. Nun drückte er meine Hand leicht und begann nervös mit den Daumen hin und her zu streichen. „Diese Person ist sehr besonders. Für mich ist sie der charmanteste und aufrichtigste Mensch, der mir je begegnet ist. Würdevoll auf ihre ganz eigene Weise, sehr intelligent und manchmal verspielt.“ „Diese Person scheint wirklich sehr besonders zu sein. Für mich gibt es da keinen Platz in deinem Herzen?“ „Nein, mein Herz gehört dieser Person allein.“ Joshuas Hand drückte meine fester und fester. Mir blieb indes die Spucke weg und ich glaube, ich hatte für den Moment mit Atmen aufgehört. Das gesamte Gespräch war von Zweideutigkeiten geprägt. Jedes Mal, wenn Joshua „die Person“, beschrieb, spürte ich den Druck seiner Hand. Stumm hatte ich meinen rechten Ellenbogen auf den Tisch gestellt und meinen Mund in meine Handfläche gelegt. Es ging nicht mehr. Ich wurde rot. Auf diese Art ein Geständnis zu bekommen … Joshua war mies! Ich hatte bisher keine Chance gefunden mit ihm zu flirten und er tat es so galant und noch während er eine super heiße und gefragt Sponsorin ablehnte. Ich konnte mein Glück nicht beschreiben! „Zu schade auch“, gab Marianne zu. „Aber ich wollte mein Glück wenigstens versucht haben“, gestand sie ehrlich ein. „Nun denn? Wer ist dein Kollege?“ Joshua stellte mich vor. Ich lauschte ihnen und war dennoch überrascht, als die Dame mich direkt ansprach. „Wie bitte?“, fragte ich nach. „Oh, ist er nicht allerliebst? So aufgeregt. Hat dich unser Gespräch so aufgewühlt, dass du rot geworden bist?“ Ich schüttelte den Kopf und räusperte mich, saß dann wieder gerade. „Nein, Fräulein. Aber danke für ihre Aufmerksamkeit. Ich vertrage den Sekt nicht. Sicherlich kommt daher die Röte.“ „Ohh, wie amüsant. Dann komm mit mir und trink noch ein Schlückchen guten Brandy. Joshua sagte du hast Talent. Das würde ich gerne näher betrachten.“ Ich lächelte sie an und fühlte mich irgendwie ziemlich ruhig. Weniger aufgepeitscht als eben, obwohl mein Herz noch immer raste. „Zu gütig, jedoch muss ich ablehnen.“ Überrascht einen zweiten Korb kassiert zu haben, sah Marianne auf. „Wie kommt das? Hast du auch eine besondere Person, derer du zur Treue verpflichtet bist?“ Ihre Empörung war deutlich herauszuhören. Über die Körbe, als auch über erste Zweifel an ihrer Flirttaktik. „So ist es. Ich selbst bestehe darauf, dass meine mir liebste Person ihre Treue einhält, sodann werde ich selbiges tun. Eine solche Schönheit kann ich nicht einfach aus der Hand geben.“ „Ein Romantiker also, hm? Bist du sicher, dass diese Schönheit kein Interesse an jemanden wie mir zeigen würde?“ Ich musste lächeln und drückte Joshuas Hand fest mit meiner. „Absolut sicher.“ Kapitel 14: The Gala's End, Teil 2 ---------------------------------- Kapitel 14: The Gala’s End, Teil 2 Fräulein Marianne war nicht sonderlich glücklich nach zwei Abfuhren. Sie verspeiste ihre Suppe und beäugte uns noch eine Weile. Besonders als der Hauptgang serviert wurde, bemerkte ich ihren Blick immer wieder auf meine und Joshuas Hand huschen. Auf Joshuas Handrücken waren kleine Halbmonde von meinen Fingernägeln zu sehen, welche ich unabsichtlich hinterlassen hatte. Meine eigene Hand war deutlich röter als die andere. Ich war mir ziemlich sicher, dass Marianne, der Puma unter den Sponsoren, herausgefunden hatte, was da eben abgelaufen war. Nach dem Essen wirkte sie weniger genickt, sondern deutlich entspannter. Wir unterhielten uns über die Arbeit und die aktuelle Forschung. Sie war recht intelligent und es wunderte mich, dass sie sich zuvor gänzlich anders präsentiert hatte. Meiner Meinung nach sah sie um Welten besser aus, wenn sie normal lachte und den Fächer kokett vor sich hin und her wedelte, als wenn sie ihren Busen übertrieben hinausstreckte. Andererseits, vermutete ich, hatte sie sich diese Attitüde nur zugelegt, weil sie eine der wenigen Sponsorinnen war. Das war natürlich reine Spekulation und ich wollte damit nicht sagen, dass Spendengalas chauvinistisch waren, aber der Anteil der Männer in hohen Positionen war doch um ein Vielfaches größer. Interessanterweise war mir Fräulein Marianne nach unserem Gespräch recht sympathisch. Nach dem Dinner versammelte sich die Gesellschaft in einem Vortragsraum. Dort vergrößerte ein Beamer die Vortragsinhalte auf einer riesigen, weißen Leinwand. Durch die Größe des Raumes und den vielen Leute war das auch nötig. Jeder Vortrag ging nur fünfzehn Minuten. Vollkommen ausreichend für den fortgeschrittenen Abend und für einen Einblick in die derzeit wichtigsten Arbeiten. „Wieso trägst du nichts vor?“, fragte ich Joshua. Er stand direkt neben mir, wie den ganzen Abend schon. Seine Antwort hätte ich locker verstehen können, selbst wenn er sie nur geflüstert hätte, trotzdem rückte Joshua etwas näher und legte seinen Arm um meinen Rücken. Seine Hand verweilte knapp oberhalb meiner Hüfte und mir war als würde sich diese Leichteste aller Berührungen durch meine Kleidung hinweg einbrennen. „Ein Vortrag bedeutet Extraarbeit und ich habe derzeit keine Zeit für so was“, flüsterte Joshua. „Aber ich hätte dir doch helfen können“, insistierte ich ebenso leise. Joshua neigte seinen Kopf zu mir herunter und lächelte verschmitzt. „Nein, mit dir an meiner Seite hätte ich mich nicht konzentrieren können.“ „Ach so“, sagte ich matt und sah verlegen zur Seite. Nachdem die Vorträge beendet waren, verteilte sich die Gesellschaft im Raum und begann erneute Gespräche bei ständig wechselnden Getränken. Joshua blieb bei Sekt und ich bewunderte seine Trinkfestigkeit. Ich hatte es gewagt, nach dem Essen noch einen Sekt zu trinken und war am Ende des Glases bereits leicht angedudelt. Mit noch sicheren Schritten schlängelte ich mich zu dem offenen Balkonfenster und schnappte kühle Abendluft. Es half und meine Gedanken klarten auf. „Eine schöne Nacht, nicht wahr?“ Ich sah mich um und erkannte das Fräulein Marianne wieder. „Sicherlich“, bestätigte ich diesen altbackenden Spruch. „Vorhin bei Tisch habt ihr zwei mich reingelegt“, begann sie ohne Umschweife. „Aber gut. Ich erkenne, wenn ich keine Chancen habe. Dennoch ist es äußerst bedauerlich, dass ich Joshua nie für mich gewinnen konnte.“ „Nie?“, fragte ich skeptisch nach. „Aber ihr seid eine schöne Frau. Warum hätte Joshua euch früher ablehnen sollen?“ Sie flippte ihren Fächer auf und lachte leise dahinter. „Du bist wirklich sehr offen mit deinen Worten. Bei unserem ersten Treffen sagte er mir, dass er es nicht des Geldes wegen machen würde. Darum ging es mir natürlich nicht“, winkte sie gleich ab. „Ich unterstütze euch auch so. Mein Vater war selbst passionierter Forscher. Joshua jedoch … ich glaube er wusste, dass das nicht so abläuft, aber weil ich mich so dümmlich beim Flirten angestellt habe, bekam ich einen Korb.“ Ich lächelte. Das klang nach ihm. „Ich bot ihm feste Spielzeiten an, doch auch das lehnte er ab. Schade, wirklich schade. Einem Mann wie ihm hätte ich gerne meine Künste gezeigt.“ Ich schluckte trocken und wollte mir nichts genaueres vorstellen. „Wie dem auch sei“, sagte sie gedehnt und trat auf mich zu. Ihr Gesicht kam meinem sehr nahe, ihr Fächer versteckte uns vor anderen Augen. Es geschah nichts anrüchiges, stattdessen gab sie mir einen freundlichen Rat mit auf den Weg, welcher mich auf Schlag hochrot anlaufen ließ. Sie nahm den Fächer weg und lächelte selbstzufrieden, ehe sie von dannen schritt. Kaum einen Atemzug später trat Joshua an meine Seite. Seine Augen waren nur für einen kurzen Augenblick von mir gewichen. Skeptisch hatte er uns beobachtet und ich konnte es ihm nicht verdenken. Wäre Fräulein Marianne so mit Joshua umgesprungen, hätte ich sie auch mit Argusaugen beobachtet. „Was habt ihr beredet?“ „Nichts weiter. Sie … hat mir nur einen Rat gegeben.“ Ich spürte Joshuas Blick auf mir ruhen, doch ich konnte ihn noch nicht wieder ansehen. Wie auch?! Marianne hatte hinter ihrem Fächer mit leuchtenden Augen gesagt: „Joshua lässt dich schon den gesamten Abend nicht aus den Augen. Ich rate dir schnell die Party zu verlassen, damit du länger was vom Abend hast.“ Ich fragte sie, was sie damit meinen würde. Ich sei hier wegen der Sponsoren und nicht wegen Unzüchtigkeiten. Zumindest Außenstehende hatte nicht zu interessieren, was ich mir noch wünschte mit Joshua zu tun. Ihr Lächeln vertiefte sich nur. „Oh, mein süßer Junge. Joshua hat dich diesen Abend bereits mehrfach mit den Augen ausgezogen und seine Fantasie spielen lassen. Und glaube mir, er gehört zu den Männern, die ausleben wovon sie träumen. Je früher du ihm gibst, was er verlangt, desto weniger musst du auf einmal erdulden.“ Gut… ich hatte mich selbst schon gefragt, was für ein Mensch Joshua im Bett sein würde. Der Aggressive? Der Bestimmende? Der Sanfte? Ein Gefühl sagte mir, dass Fräulein Marianne viel Erfahrung mit Männern hatte. Jedenfalls deutlich mehr als ich, demnach glaubte ich ihrer Einschätzung. Die Vorstellung daran, was Joshua sich vielleicht gedacht hatte, was er mit mir tun würde, ließ mich rot anlaufen. Egal, ob ich mir dasselbe wünschte und es ihm genau genommen angekündigt hatte. Nun da es unmittelbar bevorstand, schlug mein Herz wie wild. „Was für einen Rat?“ Joshua blieb skeptisch. Ich atmete tief durch und drehte mich, hoffentlich weniger rot, zu ihm um. Mein Blick streifte seinen, ehe ich sein Jackett genauer musterte. „Sag mal“, ich begann über sein offenes Jackett zu streichen, die Knopfleiste fasziniert musternd, „wie lange müssen wir noch hierbleiben? D-die Vorträge sich doch beendet und i-ich glaube, der Sekt steigt mir etwas zu sehr zu Kopf.“ Ich klang leidlicher als ich es beabsichtigt hatte oder mich wirklich fühlte. Die frische Luft hatte bereits geholfen und mehr Sekt würde ich heute definitiv nicht mehr trinken. Joshuas Miene wurde indes sorgenvoller. „Wenn es dir nicht gut geht, geh ruhig. Ab jetzt gibt es keine wirkliche Anwesenheitspflicht mehr. Du verträgst nicht viel, oder?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nur Sekt nicht. Anderes vertrage ich besser.“ „Schaffst du es alleine hoch?“, fragte Joshua und ich sah überrascht auf. Wollte er wirklich noch bleiben oder war er nur höflich? Blinzelnd sah ich zurück auf meine Hände, welche den schwarzen Stoff des Jacketts leicht knautschten. „Sicher. Aber ich habe meine Schlüsselkarte oben vergessen.“ Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Joshua nach seiner Schlüsselkarte greifen wollte. Nicht sein Ernst oder?! „Ich muss noch mal mit dir reden. Oben … also komm mit hoch“, fügte ich hastig hinzu. „Okay“, antwortete er und ich hörte ein Schmunzeln heraus. Als ich ins Grau sah, funkelte dieses wie Schnee in der Sonne. Sein Grinsen war breit. Ich griff nun fest in das Jackett und ließ meinen Kopf nach vorne fallen. Ruhig atmete ich ein. „Blödmann … hör auf mich aufzuziehen.“ Joshua lachte und legte beide Arme um mich. „Nein. Nicht solange du immer wieder darauf reinfällst.“ Wir verabschiedeten uns nicht, sondern gingen einfach. Die Türen waren offen und es herrschte ein reges Kommen und Gehen. Ich war mir sicher, hätte uns jemand angesprochen, hätte Joshua galant gekontert, dass mir der Sekt nicht bekommen war und er mich auf mein Zimmer brächte. Schwer wäre es nicht zu glauben gewesen, denn ich war immer noch ziemlich rot um die Nase, wie es sich im Fahrstuhlspiegel zeigte. Hauptschuld hierbei war wirklich der Alkohol, Joshua kam gleich dahinter. Da es einen Liftpagen gab, ich nannte ihn nun einfach so, redeten wir kaum. Meine Hände nestelten miteinander, während Joshua gelassen neben mir stand, ein Arm immer noch um mich gelegt. Erst im Flur nahm er seinen Arm von mir. Ganz der Gentleman ging er vor und öffnete mir die Zimmertür. Wir sprachen immer noch nicht, aber ich hätte auch nicht gewusst, wie ich hätte anfangen sollen. Aufregung und Nervosität pochten in jeder Faser meines Körpers. Überraschenderweise platzte der Knoten in meiner Kehle, sobald Joshua die Zimmertür hinter uns geschlossen hatte. Hinter der Zimmertür gab es einen kleinen Bereich, den man getrost als Flur bezeichnen konnte. Es gab einen Schuh- und Jackenständer. Ohne irgendwelche räumliche Abtrennung begann der Wohnbereich mit einer Couch, einem Fernseher und dem Balkonfenster. Es war sehr geräumig, womit es viel Platz zum hin- und herlaufen gab. Ich blieb jedoch mitten im Raum stehen und drehte mich zu Joshua um. „Was sollte das? Eben beim Essen?“ „Was meinst du?“ „Dein Gespräch mit dem Fräulein. Ha-“, ich schluckte kurz, um nicht ins Stottern zu kommen. „Hast du das ernst gemeint?“ „Wir haben gerade über vieles gesprochen, was genau meinst du?“ „Na als du von der besonderen Person gesprochen hast! Du hast mich doch nicht wirklich Marianne vorgezogen!?“ Joshua lehnte sich auf seinem Standbein zurück und sah mich amüsiert an. „Du meinst, du bist die besondere Person?“ „J-“, ich stockte abrupt. Meine selbstsichere Antwort, dass es sich dabei doch nur um mich handeln könnte, blieb mir im Halse stecken. Verlegen sah ich zur Seite. Joshua hatte keine Namen genannt und doch war ich mir so sicher, dass er mich gemeint hatte. Warum? Bevor mein Hirn alles hätte Zerdenken können, fielen mir unsere verhakten Hände wieder ein. Etwas trotzig und verlegen sah ich auf. „Ja“, antwortete ich mit sicherer Stimme. Joshuas Blick wurde etwas sanfter und er neigte den Kopf. „Ich habe nur einige offensichtliche Fakten genannt. Du sprichst hingegen gleich von Treue. Findest du das nicht etwas vorschnell?“ Verdutzt sah ich ihn an. „Etwas vielleicht. Aber sie war so aufdringlich … mir fiel nichts Besseres ein … außerdem fing sie damit an …“ Nun stotterte ich ihm doch etwas vor. Mir fehlten ein kleines bisschen die Worte. Mein Herz raste wie eine Achterbahn und die Empfindungen schwollen an und ab wie kommende Wellen. Warum war Joshua so fies? Dabei hatte er mir unten, in aller Öffentlichkeit und mit Publikum, durch die Blume hinweg gesagt, dass mir sein Herz gehöre. Was hieß das jetzt? Ja? Nein? Seine Haltung und sein selbstsicheres Gebaren wirkten nicht abwehrend… Es war wie eben am Balkonfester, er zog mich auf! Ich verstummte und sah ihn an. War es das, was er wollte? Vor ein paar Minuten hatte ER den ersten Schritt getan und nun … sollte ich ihn tun? Aber diese Worte zu sagen, fiel mir schwer. Stattdessen bewegte mein Körper sich, ohne dass ich darüber nachdachte, und trat an Josuha heran. Meine Hände legten sich um seine Wangen und zogen sein Gesicht wortlos zu mir herunter. Joshua reagierte sofort und fügte sich ebenso wortlos meiner Führung. Der Kuss erleichterte mich. Kaum merklich seufzte ich in ihn hinein, während meine Arme sich um Joshuas Nacken schlangen. Im nächsten Moment erwiderte Joshua feuriger und schob meine Lippen auseinander, sodass ich ihn Einlass gewähren konnte. Seine Arme schlangen sich um meine Taille und zogen mich fest an seinen Körper. Kein Blatt passte mehr zwischen uns. Erschrocken schob ich ihn von mir. Sein fragender Blick folgte mir, während ich mein Jackett auszog. „Zieh das aus und leg es ordentlich hin. Ich hab nur das eine mit und ich will morgen zum Frühstück nicht zerknittert aussehen“, sprach ich etwas atemlos und leckte mir über die noch feuchten Lippen. Joshua rührte sich nicht, sondern sah mir zu, wie ich ohne Bedenken auch mein Hemd und die Krawatte auszog. Das war nicht weiter wild, denn ich hatte noch ein dünnes ärmelloses Shirt drunter. Erst als ich meine Hose ausgezogen und ordentlich über die Couchlehne gefaltet hatte, bemerkte ich meine Aktion. Wieder wurde ich rot wie ein Feuerlöscher, mehr noch als Joshua über meine Reaktion nur schmunzelte und nichts weiter tat als dazustehen. Nur mit Shorts und Shirt bekleidet, trat ich auf ihn zu. Wortlos half ich ihm aus seinem Jackett und legte es zur Seite. Dann knöpfte ich sein Hemd auf und stahl mir erste Blick auf seinen Körper. „Meine Mutter hat mich früher gedrillt, solche Kleidung immer sorgsam zu behandeln“, erklärte ich ablenkend. Sicherlich hätte sie nie gedacht, dass ihre Worte in solch einem Moment Anwendung fänden. Meine Hände glitten unter den Stoff und über seine Haut. Sie war warm und weicher als gedacht. Die Muskeln fielen nicht sofort auf, doch wenn ich über seine Schultern und Oberarme strich, fühlte ich sie deutlich unter der Haut. Während ich das Hemd ordentlich zur Seite packte, atmete Joshua tief ein und aus. Er zog seine Schuhe aus und stellte sie zu meinen an den Couchrücken. Dann zog er sich die Hose runter. Das hätte ich auch für ihn getan, dachte ich noch, als mein Blick auf die Wölbung in seiner Shorts fiel. Verlegen sah ich weg. Joshua faltete seine Hose und hängte sie über die Couch. Dann trat er auf mich zu und kesselte mich wortlos zwischen der Couch und sich selbst ein. Mein Herz hüpfte und spurtete zur selben Zeit. Seine Hand kam, legte sich an mein Kinn und hob es vorsichtig an. Es war nicht sonderlich hell im Zimmer, es gab nur wenige gediente Lampen, sowie die automatische Beleuchtung des Flures, welche bald von selbst ausgehen würde. Joshuas Augen waren hinreißend! Voller Vorfreude und Neugierde. Zugleich bittend, stumm und ohne Worte. Mein Spiegelbild reflektierte sich in seinen Augen. Ich erkannte meine zu roten Wangen und wie sehr meine eigenen Augen glänzten. Ein Grün, das ich so noch nicht gesehen hatte. Ich lächelte verlegen und neigte meinen Kopf. Meine Nase strich über seine Wange, stupste gegen sie. Ich spürte seinen Atem und schloss die Augen. Der Kuss kam, begann zärtlich und wurde schnell zu einem begehrlichen Antrieb, welcher uns die Luft raubte. Wieder empfing ich den kaum mehr fremden Gast in meiner Mundhöhle und focht mit ihm. Ich spürte Arme, die mich hochschoben, sodass ich auf der Couchlehne saß, und wie sich Joshua zwischen meine Beine schob. Keinen Moment später hob er mich hoch und trug mich zum Bett. Den Kuss hielten wir aufrecht. Ich bewunderte sein räumliches Denken und zog mich näher an ihn ran. Seine ausgefüllte Shorts drückte gegen mich, aber es störte nicht. Dann beugte er sich vor und legte mich aufs Bett. Wieder bewunderte ich seine Körperspannung und Genauigkeit. Schließlich wog ich auch einiges. Meine Arme waren noch um seinen Nacken geschlungen, als er sich aus dem Kuss entfernte und mich ebenso atemlos ansah, wie ich mich fühlte. „Küsst du immer noch keinen Mann?“, fragte er über zwei Atemzüge hinweg, was mich nur lächeln ließ. Ich hatte kein Problem damit meine Beine breit zu lassen und ihn dazwischen zu wissen. In einem Anflug von Keckheit schmiegte ich meine angewinkelten Knie gegen seine Hüfte und fuhr mit meinen Fingern durch sein Haar. „Ich küsse nicht jeden X-beliebigen Mann. Aber dich schon“, sagte ich frech grinsend und murmelte gegen die Lippen: „Und das sogar sehr gerne.“ Joshua schluckte, küsste mir die Wange und wanderte den Hals herunter. Seine Hände fanden den Saum meines Shirts und schoben sich darunter. Ich bekam eine Gänsehaut. Je höher sie wanderten, desto mehr Haut wurde entblößt und desto mehr ließen mich die kühle Luft und seine warmen Berührungen erschaudern. „Und Berührungen?“, fragte er gegen meine entblößte Brust gesprochen. „Gilt dasselbe.“ Seine Lippen strichen über meine Haut, federleicht, es war beinahe grausam! „Darf ich hier auch küssen?“ „Mhm“, bestätigte ich und erhielt einen Kuss, dann noch einen. Seine Lippen wanderten zu meiner Brust und legten sich um den dort empfindlichsten Bereich. Ich spürte die Wärme und Feuchtigkeit, dann ein Ziehen und seine Zunge. Ich japste ungewollt, als schließlich Zähne sanft an der Erhebung zogen. „Hier auch?“, fragte er, jene Erhebung zwischen den Zähnen gefangen. Meine Hände krallten sich in seine Haare. „Überall, überall!“, jammerte ich beinahe. „Josh bitte, frag nicht mehr, sondern berühre mich einfach.“ Ich spürte sein Grinsen auf meiner Haut. Blödmann, dachte ich ihm stillen, und ließ kurz von ihm ab, damit er mir mein Shirt ausziehen konnte. „Keine Kleidung mehr“, fügte ich hinzu, als er sich mir erneut zuwandte. „Weder an dir, noch an mir.“ Joshua verstand und schwieg. Ich hörte ihn nicht mehr, sondern fühlte ihn nur noch. An meinem Bauch angekommen, zog ich diesen ein. Joshua ließ sich nicht beirren und setzte seine Erkundung fort. Je tiefer er wanderte, desto mehr drückte ich meinen Hintern und die Schultern in die Matratze. Mit überstrecktem Kopf kniff ich die Augen zu und ließ meine Hände auf die Tagesdecke unter mir fallen. Ich hätte nicht gedacht, dass mein Körper aufgrund so weniger Berührungen dermaßen brennen konnte. Mir war als hätte ich zum ersten Mal das Wort Sinnlichkeit verstanden. Joshuas Hände gaben die Richtung an und ich folgte mit jeder Bewegung. Nur unterschwellig nahm ich wahr, dass meine Shorts weg war. Das letzte Mal nackt vor jemanden gelegen zu haben, war ewig her. Mich beschlich ein wenig Scham. Doch der Kuss, der folgte, als Joshua wieder zu mir hochgekrabbelt kam, tilgte alle Scham und Sorge. Während des Kusses spürte ich seine Hände auf mir. Sie wanderten an meinen Seiten entlang und ich glaubte das erste Mal, endlich jene Petrischale oder jenes Reagenzglas zwischen seinen zärtlichen Händen zu sein. Zumindest bis ich einen leichten Druck spürte. Meine Beine hatten sich beinahe an die gespreizte Pose gewöhnt. Joshua dort verweilend zu wissen, empfand ich als natürlich. Das Einführen seines Fingers eher weniger. Ich spürte ihn zur Gänze in mir verweilen und spannte mich an, nur um mich daran zu erinnern, dass ich eigentlich lockerlassen müsste. Joshua lachte leise und bewegte seinen Finger. Mir rutschte das Herz hin und her. Da der Kuss eh unterbrochen worden war, sah ich Joshua direkt an. „Was?“ Er schmunzelte und neigte seinen Kopf. „Du hast dich wirklich alleine vorbereitet.“ Die Hitze kroch mir in den Kopf. „Wa- Das …. Na-natürlich!“ Ich wollte noch mehr zu meiner Verteidigung sagen, aber Joshua küsste mich einfach. Meinen Protest gestoppt, sah er mich an und ich sah das Grau zum ersten Mal funkeln. „Ich kann mir vorstellen, was du dir gedacht hast. Aber du musst nicht perfekt sein. Ich passe auf.“ Unter die unbändige Freude mischte sich ein Hauch von Sorge. Ich blinzelte meine Verwirrung weg und nahm sein Gesicht in beide Hände. „Ich weiß. Ich weiß ja. Aber scheinbar bin ich ebenso sturköpfig wie du.“ Joshua lächelte wieder und küsste meine Handfläche. Zeitgleich führte er seinen zweiten Finger ein. Es überraschte mich kaum mehr, darum ging es einfacher. Es entstanden erste schmatzende Geräusche. Eben schon meinte ich, dass es sich sonderbar anfühlte. „Josh, hast du irgendwas genommen?“ Sein Gesicht noch in meinen Händen nickte er auf die Bettseite neben sich. Dort lag eine kleine Tube. Das Gleitgel machte Joshuas Aktion einfacher und ließ mich schaudern. Nicht wegen des Gels, sondern weil die Finger etwas berührt hatten. Meine Reaktion mitbekommend, berührte er denselben Spot nochmal. Ungewollt zog ich meine Beine zusammen. Meine Vorstellung damals im Labor mit dem Plug drin, war lächerlich gewesen zu dem was ich jetzt fühlte. Joshua beugte sich vor und legte mir seine Lippen auf. Ich war irgendwie dankbar für die Ablenkung. Andererseits fühlte ich mich mit zwei Orten, auf die ich mich konzentrieren musste, auch gestresst. Meine Hände schoben sich von Joshuas Wangen zurück auf seinen Rücken. Meine Zunge tastete sich vor. Joshua würde das schon machen, dachte ich, womit ich mir die Führung des Kusses sichern konnte. Für eine Weile ging mein Plan auf. Ich entspannte mich und ließ mich mehr in die weiche Tagesdecke sinken. Die Berührung kam zu plötzlich und der Druck war zu stark, als dass ich rechtzeitig hätte reagieren können. Joshua hatte mir dir Führung im Kuss überlassen und sich positioniert. Seine Männlichkeit war bereits voll aufgerichtet. Prall und hart drückte die Spitze gegen den mit restlichem Gleitgel versehenen Eingang. Der Druck wurde mehr und brach durch, teilte was eben noch leicht geschlossen war und schob sich hinein. Es waren nur wenige Zentimeter, dann stockte das Unternehmen, weil ich mich verspannte. Joshua wartete, widmete sich dem Kuss und raubte mir den Verstand. Ich war wie Watte in seinen Händen und schmolz dahin. Nach zwei weiteren beherzten Schüben löste Joshua den Kuss und ließ mich durchatmen. Sicherlich waren meine Wangen rot, aber auch Joshua hatte Farbe im Gesicht bekommen. Seine Brust hob sich schneller als eben noch. Unwillkürlich grinste ich. Die Aussicht von hier unten war Atemraubend schön. Ich strich sanft über Joshuas Brust und bewunderte das Meisterwerk über mir. Meine Beine waren sich unschlüssig, ob sie angewinkelt bleiben sollten oder ausgestreckt. Unruhig schob ich sie hin und her, spürte mit jeder Regung zu deutlich, was sich in mir befand. Als Joshua sich vorhin die Shorts ausgezogen hatte, hatte ich absichtlich nicht hingesehen. Wer wusste schon, ob mich nicht der Mut verlassen würde, sähe ich, was mich gleich penetrieren würde? Was ich spürte war groß und hart. Ich hatte zwar keinen Vergleich zur Hand, doch empfand ich ihn als lang und seine Spitze drückte beständig gegen die inneren Wände. Joshua hob meine Beine unter den Kniekehlen an und ließ sie auf seinen Unterarmen ruhen. Nun fühlte ich sogar seine Haut an meinem Po. Ich wurde nervös. Meine Beine fühlten sich jetzt schon halb taub an, kraftlos. Mein Kreuz würde auf dieser Unterlage auch nicht lange mitmachen. Hielt ich das wirklich durch? „Das Schlimmste hast du geschafft. Nun lehn dich zurück und lass mich machen“, sprach Joshua und grinste sein diabolisches Grinsen. Ich schluckte und sah zur Decke. ‚Ich liege doch schon‘, dachte ich nervös und abwartend. Ich fühlte warme Hände meine Hüfte anheben und wie sich die Position in mir änderte. Der erste Stoß kam unerwartet. Meine Hände krallten sich in die Tagesdecke. Wann hatte er sich rausgezogen? Dann wieder. Ein Schauer durchzog mich und ich schloss die Augen. Mit all meinen Sinnen auf Joshuas Aktion gerichtet, spürte ich wie er sich bewegte. Raus und Rein. Nochmal raus und schneller rein. Weiter raus und schnell rein. Ich biss mir auf die Unterlippe. Joshua fand einen Rhythmus, der mich Sterne sehen ließ. Dass es sich so anfühlte, hätte ich nie gedacht. Keiner Wunder, dass Frauen darauf standen. Aber bei ihnen war das vielleicht nochmal was anderes. Wie auch immer, ich gewöhnte mich an Joshuas Vorgabe und öffnete meine Augen wieder. Ich hatte eine gute Sicht auf meinen schwebenden Hintern, die Hände, welche sich in das bisschen Polster an meinen Hüften bohrten, meine eigene Erektion, welche erste weiße Perlen von sich gab und auf meinem Bauch verteilte, sowie Joshuas Schaft, der sich beständig bewegte. Jener Eingang war bis zum Äußersten geweitet, fasste die harte Erektion fest ein und wirkte dennoch geschunden. Ich schluckte schwer und blieb doch untätig. Joshuas Atem wurde hörbarer, seine Hände dirigierten meine Hüfte etwas, änderten den Winkeln nur um ein Mü, als Joshua mit schneller Zielsicherheit zu stieß. „Ah~“, entglitt es mir überrumpelt. Was war das? Wie hatte er das geschafft? Wo hatte er getroffen? Meine Fragen waren noch nicht zu Ende gedacht, als mir der nächste Ton entwich. Ich fiel zurück auf die Matratze, doch es wurde nicht besser. Was auch immer Joshua da traf, es sendete pure Erregung durch meinen ganzen Körper. Wie Blitze voller Lust. Wieder und wieder. Meine Zehen krallten sich ein und ich sah aus den Augenwinkeln, wie ich noch härter wurde. „Josh“, bat ich, doch er blieb stumm. „Josh…!“, bat ich eindringlicher, aber Joshua wurde nur schneller. Ich zuckte zusammen bei der Masse an Eindrücken. Meine Stimme brachte keine normalen Worte mehr zustande. Nur heiseres Stöhnen entfuhr meiner Kehle. Schweiß rann meinen Rücken hinab. Irrsinnigerweise dachte ich nicht, dass Joshua aufhören sollte. Ich wollte mehr. Er sollte öfter diese Stelle treffen, mir den Atem rauben. Zugleich wollte ich einfach nur kommen. Aber Joshua besaß eine Ausdauer, die ich ihm so nicht zugetraut hätte. Dieses Tempo war mörderisch, aber ich genoss es und er führte an. Wie lange auch immer wir das durchhielten. Oft traf Joshua die Stelle, welche mich zusammenzucken ließ. Die ersten Male waren noch merkwürdig, doch mittlerweile genoss ich jedes Zucken. Meine Oberschenkel kontrahierten bei jedem Treffer, wie unter Strom gesetzte Froschschenkel. Manchmal traf er eine Stelle, die komplett anders war. Wenn die erste Stelle, wie das Lecken an einem Eis war, war die zweite Stelle als würde man beherzt ins Eis beißen. Mir blieb die Luft weg. „Da!“, brachte ich keuchend hervor. Joshua fand meinen Blick. Einer so erregt wie der andere. Seine Hände griffen fester zu, meine Hüfte bewegte sich ein weiteres Mü und – „Ahhhh!“ Ungewollt wurde ich laut. Ich wollte mich zügeln, schaffte es aber nur etwas leiser zu werden. Joshua zielte genauer, traf akkurat und mein Blick vernebelte sich. Ich spürte ein Ziehen und wandte den Kopf ab, wollte noch nicht. Lippen fingen meine, heißer Atem kreuzte meinen eigenen. Drei Stöße später konnte ich nicht mehr. Meine Welt wurde erst weiß, dann schwarz. Nur langsam kehrten meine Sinne zurück. Ich fühlte meinen schnellen Herzschlag, mein schweres Atmen, hörte das Blut in meinen Ohren rauschen. Mit jedem Senken meines Brustkorbes und Bauches spürte ich, wie das Sekret, welches ich abgesondert hatte, mit etwas anderem kollidierte und beim Ablösen ein leises Schmatzen von sich gab. Jetzt erst wurde ich der Schwere auf mir gewahr. Joshua hatte sein Gesicht an meinem Hals vergaben und sein Atem strich heiß über meine verschwitzte Haut. Sein Herz ebenso schnell wie meins. Obgleich meine Arme schwer waren, legte ich sie um Joshua, zog ihn an mich und strich sanft über seinen Rücken. Die Muskeln unter der Haut bewegten sich und meine Fingerkuppen verbanden kleine Schweißperlen miteinander. Sanft strich ich über die Schulterpartien und Schulterblätter. Selbst als meine Finger diese Unebenheit spürten, stoppten sie nicht. Ich hatte es eben schon gefühlt. Joshua besaß eine Narbe auf seinem Rücken. Auf seinem rechten Schulterblatt… Meine Beine waren taub geworden und wieder aufgewacht. Obwohl sie sich schwach anfühlten, kribbelten sie. Das beständige Klatschen von Haut aufeinander war verschwunden. Was ich fühlte, war eine ungewohnte Hitze dort unten, irgendwo tief drinnen. Joshua war wer weiß wo gekommen und danach einfach auf mich niedergesunken. Es war ok, ich fand es nicht schlimm ihn noch im Nachklang so fühlen zu können. Irgendwie freute es mich sogar, dass er noch verweilte. Ich schlang meine Beine um ihn und hielt mich, einem Klammeraffen gleich, an ihm fest. Das Grinsen auf meinem Gesicht schien permanent zu sein. Keine Ahnung was für Hormone oder Endorphine gerade durch meinen Körper rauschten, aber es fühlte sich gut an. Glücklich und Selbstsicher. So sehr, dass es mir nicht schwerfiel, meinen Kopf zu drehen und Joshua mit dem klassischsten Kitsch zu begegnen, den man kannte. „Josh?“ Er murrte leise. „Joshua“, bat ich eindringlicher. „Hörst du zu?“ „Hm“, brummte er. Ich grinste immer noch und sprach so nahe an seinem Ohr, wie es mir möglich war. „Ich liebe dich.“ Joshua sagte nichts. Ich zog ihn indes fester in meine Arme. „Ich liebe dich und möchte, dass du mein fester Freund wirst.“ Joshua richtete sich endlich, auf seine Arme gestützt, auf. Schweißperlen liefen über seine Oberarmmuskeln und ich musste mich arg zurück halten sie weder mit meiner Zunge noch mit den Fingern wegzuwischen. Mit einer hochgezogenen Augenbraue sah er auf mich hinab. „Bin ich das nicht schon längst?“ Ich blinzelte und lachte. Meine Stimme noch etwas kratzig. „Aber damals war ich nur verliebt ihn dich und wollte das als Garantie haben. Nun will ich dich und nur dich.“ „Bist du dir sicher? Im Moment bist du noch total aufgedreht. Vorher hast du mir nie gesagt-“ Ich unterbrach sein Gerede mit einem Kuss und verstärke meinen Klammeraffengriff. Diesmal war es Joshua, der in den Kuss sank. „Wie hätte ich es dir einfach so sagen können, wenn ich nie wirklich ein Liebesgeständnis gemacht habe? Ich fand nie einen Anfang, nie die richtigen Worte. Ich wollte so gerne mit dir schlafen. Letzte Woche schon, aber ich war mir unsicher, ob ich dir überhaupt was bieten könnte“, murmelte ich gegen seine Lippen. Wirklich geboten hatte ich ihm jetzt auch nichts. Joshua hatte gearbeitet und ich hatte mich durchnehmen lassen. „Deine Worte am Tisch unten haben mich so gefreut. Ich dachte mir alles oder nichts. Vielleicht liegt es wirklich nur am Moment, dass ich es sagen konnte, aber … ich denke von nun an kann ich es öfters sagen. Wann immer du willst.“ Ich war wirklich von Hormonen gesteuert. Wie schnell hatte ich vergessen, dass Joshua sich alles merkte und er mich darauf später festpinnen würde? Wie auch immer, jetzt gerade leuchteten die grauen Augen wie frisch gefallener Schnee. Ich war gänzlich von dem Mann auf mir verzaubert, sodass ich zu spät mitbekam, dass er uns drehte. Ein Ruck und Joshua lag unter mir. Verwirrt sah ich ihn an und richtete mich, einem Reflex folgend, auf. Mein Klammergriff war gescheitert, dachte ich und setzte mich. Just als mein Hintern vollends auf Joshua ruhte, stieg mir das Blut in den Kopf. Flüchtig hatte ich die ruckartige Bewegung in mir gespürt, doch nicht weiter darüber nachgedacht. Nun, als ich mich von selbst vollends auf den Schaft gesetzt hatte, welcher nur um wenige Zentimeter rausgerutscht war, schob ich ihn durch mein Eigengewicht wieder rein. Tief, so tief wie noch nie. Oder es lag an der Pose, dass ich glaubte, die harte Spitze würde sich durch mein Inneres bohren und mich festnageln? Meine Finger kratzen über Joshuas Brust, hinterließen erste Spuren. Das eben noch so elegante Grau grinste jetzt hämisch und voller verspieltem Tatendrang. Seine Finger strichen konträr viel zu sanft über meine Oberschenkel, die noch immer schwach und taub waren. „Sag es jetzt.“ Ich lief rot an. Joshua wartete. „Ich liebe dich.“ Sein Lächeln wurde eine Spur sanfter. „Ich liebe dich auch.“ Ich hatte mit noch mehr Sticheleien gerechnet, aber nicht damit. Mit großen Augen sah ich auf ihn hinab. „Mael, willst du wirklich mein fester Freund werden? Der Einzige an meiner Seite?“ „Ja, ja doch!“, antwortete ich viel zu emotional. Aber was sollte ich machen? Ich war so verdammt glücklich. Nicht nur, dass ich endlich meine langjährige, einseitige Liebe loslassen konnte, ich habe jemand besseren gefunden, jemanden, der mich zurückliebt und – weiß Gott warum – mich will. Zu gerne hätte ich Joshua geküsst, doch ich traute kaum mich zu bewegen. Die Formalitäten geklärt, grinste Joshua noch immer. Seine Hände strichen über meine Oberschenkel hin zu meiner Hüfte. Die Handabdrücke von eben waren noch zu sehen. Fast zärtlich umfassten seine Hände meinen Po und hoben mich an. Joshua dirigierte mich, zeigte mir, wie ich hoch und runter kommen sollte, wann meine Hüfte nach vorne und nach hinten rollte. Mein Puls schoss erneut in die Höhe. Meine Hände stützten sich auf seiner Brust ab und mit meinen wabbligen Beinen hob ich mich immer wieder. Erst als seine Hände über meine Brust strichen, wurde mir bewusst, dass ich mich vollends alleine bewegte. Mein Herz machte einen Freudensprung. Ich genoss diese Pose und verfiel dem Gefühl des Ausgefüllt seins und wie die Spitze immer gegen diesen Punkt stieß, der mich Sternchen sehen ließ. Joshua ließ mich machen. Ich glaubte sogar, dass er es genoss mich so zu sehen. Dabei musste ich verschwitzt und einer Tomate gleich aussehen. Keine Ahnung wie meine Haare abstanden?! Sein Lächeln hielt sich und das allein ließ alle Schönheitssorgen verstreichen. Joshuas Lippen waren geöffnet. Ich war versucht sie zu küssen, doch wenn ich mich jetzt vorlehnen würde, könnte ich meine Hüfte nicht mehr so bewegen und würde jenen Punkt nicht mehr treffen. Ich biss auf meine Unterlippe, just als sich eine warme Hand um mein Glied legte und mich zusammenzucken ließ. Joshua massierte mich. Es war so gut, dass meine Nägel weitere rote Striemen auf seiner Haut hinterließen. Ich keuchte und verlor meinen Rhythmus. „Nicht aufhören“, erklang Joshuas heißere Stimme. „Beweg dich schneller.“ Ich schüttelte nur meinen Kopf. Meine Beine waren viel zu schwach dafür. „Mach du“, sagte ich verlegen und leichtfertig. Die Führung wiederbekommend, huschte ein gefährliches Grinsen über Joshuas schönes, erregtes Gesicht. „Nur dieses eine Mal.“ Ich wachte auf und wischte mir verschlafen über die Augen. Noch nicht ganz bei Sinnen, wurde mir klar, dass ich von früher geträumt hatte. Wie Joshua und ich uns kennengelernt hatten. Nun schwanden die schönen Traumerinnerungen eilig, wie das Vergehen einer Pusteblume im Wind. Der gestrige Tag war lang gewesen und ich war später wie ein Stein eingeschlafen. Das war allein Joshuas Schuld! Diese Art von Geschenk würde er wohl wirklich nur einmal im Jahr erhalten. Mehr konnte mein Körper einfach nicht verarbeiten… Ich sah auf die Zeitanzeige neben mir und bedankte mich bei meiner inneren Uhr, dass sie mich schon um sechs Uhr geweckt hat. Meine Glieder fühlten sich schwer an, mein Bauch knurrte und der Hintern tat mir weh. Ich war überrascht, dass ich überhaupt noch etwas fühlte, da unten. Ich liebe Josh! Aber die Idee mich selbst als Geschenk zu tarnen und ihn vierundzwanzig Stunden lang machen zu lassen was er will … einmal im Jahr. Wirklich. Das mein Liebster eine sexuelle Verspieltheit besaß, wusste ich schon lange. Er hielt sich immer zurück, achtete stehts darauf nicht zu übertreiben. Zu seinem Geburtstag, dachte ich, schenke ich ihm einen Freifahrtschein. Ok, lassen wir das. Darüber nachzudenken brachte nichts. Es war vor und zurück das Gleiche. Immerhin hatte ich es auch genossen. Mein Traum indes fühlte sich schwer und lang an. Den Anfang hatte ich bereits vergessen, doch der Schluss lungerte noch einen Moment in meinem Kopf herum, eh er verschwand und nur ein knausriges Gefühl des Vergessens zurückblieb. Ich sah zu meiner Linken. Seit damals schlief Joshua immer links von mir. Heute lag er auf den Bauch, oberkörperfrei. Ich beugte mich vor und strich über seine Narbe auf dem Schulterblatt. Sie war blasser geworden seit damals. Ebener, dachte ich als meine Lippen darüberstrichen. Wo hatte mein Traum aufgehört? Stimmt. Unser erstes Mal beim Galaempfang und wie schön es gewesen war. Joshua hatte mich am nächsten Morgen aufgezogen, als ich Schwierigkeiten mit dem Sitzen und langem Stehen hatte. Ab Mittags fand er eine galante Ausrede für mich, sodass ich an den drögen Nachmittagsreden nicht teilnehmen musste. Ich wurde als unpässlich geoutet, weil ich mir den Magen verdorben hätte. So durfte ich zurück aufs Zimmer und genoss es im frischgemachten Bett zu liegen. Ein Schmunzeln huschte über meine Lippen. Wie war mir das damals peinlich. Alles. Wie etwa die frisch gemachte Wäsche. Was mussten die Putzfrauen gedacht haben, als sie unsere Wäsche wechselten? Oder das Fräulein Marianne ein so hämisches Grinsen aufgesetzt hatte, während neben ihr ein schüchterner, junger Biologe stand? Eindeutig ihre Errungenschaft der letzten Nacht. Anders gefragt, wie hätte mir nicht alles peinlich sein können? Mein erstes Mal mit einem Mann. Dann auch noch Joshua! In einem total verliebten Zustand. Heute bin ich ruhiger. Mein wildes Verliebtsein war entspannter geworden. Mit der Zeit hatte es sich nur vertieft, sodass ich heute ohne Sorge und mit einem selbstsicheren Lächeln auf den schlafenden Mann neben mir schauen konnte. Meine Hand strich über seinen Rücken, fuhr die Konturen seiner Muskeln und seines Körpers nach. Er war immer noch so schön wie eh und je. Wann hatte ich eigentlich einen Fetisch für seinen Rücken entwickelt? Mein Grinsen wurde breit. Ich beugte mich vor und setzte einen Knutschfleck neben die Narbe. Ja, ich hatte geübt und immerhin hielten sie sich jetzt ein paar Tage. Joshua murrte nur leicht, rührte sich aber nicht. Klar. So wie er gestern geackert hatte… Während ich der Erschöpfung verfiel, ruhte er nur kurz, machte sauber und orderte etwas zu Essen. Dafür, dass ich sein Geschenk war, verwöhnte er mich mit noch nie gekannter Sorgfalt und Zärtlichkeit. Gott, dachte ich verlegen grinsend, er hatte allen Leuten abgesagt, die vorbeikommen wollten. Den Tag hatten wir nur für uns in unseren vier Wänden. Mittlerweile lebten wir hier seit gut einem Jahr. An den Umzug erinnerte ich mich gerne. Vor allem an den verschollenen Zettel. Ich gähnte und rutschte in mein Kissen zurück. Zu faul aufzustehen und was zum Essen zu suchen, wartete ich an Joshua gekuschelt und würde ihn nachher losschicken. Wie zur Bestätigung bewegte sich das schlafende Etwas neben mir, drehte sich und zog mich an sich. Meinen Rücken an seiner Brust spürte ich sein beständiges Atmen und seinen Herzschlag. Meine Finger fischten nach seiner rechten Hand und zogen sie zu meinem Mund. Ich küsste den silbernen Ring daran. Er prangte noch nicht lange an dieser schönen Hand. Dabei war diese Geschichte ebenso amüsant wie die mit dem Zettel. ~ FIN ~ Kapitel 15: Von Kitteln und Gewohnheiten ---------------------------------------- Extra Kapitel 1: Von Kitteln und Gewohnheit So sehr ich mich darauf freute, so sehr bereitete mir die Entstehung eines Dates Kopfschmerzen. Es wäre auch zu einfach, wenn ich Joshua fragen würde „Hey, hast du heute Abend Zeit?“ und er würde antworten „Ja, klar, ich hole dich halb Sieben ab.“ Zu einfach. Wirklich zu einfach. Zwischenzeitlich hatte ich wirklich das Gefühl, dass es für uns eine Unmöglichkeit wäre, auf ein einfaches Date zu gehen. Egal, ob wir schon zusammen waren oder nicht. Immerhin hatte sich seit jenem Galaabend kaum etwas geändert. Ich wohnte in meiner Wohnung, Joshua in seiner. Wir arbeiteten zusammen an seinem, nein, unserem Projekt und kamen gut voran. Ok, ich gestehe. Zusammen mit dem verlorenen Singlestatus änderte sich auch, dass Joshua einige Tage in der Woche bei mir übernachtete. Meine Wohnung war einfach günstiger gelegen, wenngleich sie klein war. Joshua sparte Sprit und wir konnten am Freitag- und Samstagabend noch ausgehen, ehe wir am nächsten Tag zur Frühschicht mussten. Ich weiß, was ihr jetzt denkt. Erst erzähle ich, dass wir keine Dates hatten, dann, dass wir ständig ausgingen. Genauso verwirrt hatte Elias mich angesehen, als ich ihm mein Leid klagte. „Wenn man das mal wirklich rational betrachtet, hattet ihr seit damals sehr viele Dates“, erklärte Elias geradeheraus. Seine Finger lagen dabei aufeinander als hätte er mir gerade eine besonders schwierige Molekülkette beschrieben. „Aber das ist nicht das Gleiche!“, insistierte ich. „Josh und ich gehen aus, ja, aber … das machen wir einfach so. Meist noch in den Klamotten, die wir auf Arbeit getragen haben. Für mich ist ein Date … da gibt es Vorfreude und man overstylt sich. Total schick und herausgebügelt, um seinem Date die Sprache zu verschlagen.“ „Verschlägst du ihm nicht schon die Sprache? Selbst wenn du nur einen Laborkittel trägst?“ Elias beäugte mich unmissverständlich und missmutig. Das … war berechtigt. Joshua und er redeten, wie bekannt war, über ziemlich alles. Bisher hatte Elias immer die Grenze ziehen können, indem er Joshuas Männerliebschaften zwar zuhörte, diese aber nicht kannte. Elias wollte keine Details über Körperlichkeiten erfahren. In Bezug auf mich hatten die Freunde sich geeinigt, dass Joshua Elias leider nichts weitererzählen könnte. Schlüpfrige Anspielungen waren verboten. Allerdings brauchte Joshua nichts erzählen, da alles was zwischen uns ablief von unserem Verhalten abzulesen war. Dabei waren Zweideutigkeiten noch das geringere Übel. Die Sache mit dem Laborkittel war prekär. Es war in einer Nachtschicht gewesen. Ich hatte mitbekommen, dass dieser Tage ein paar Kollegen in die Nächte gehen mussten. Das merkte man nicht wirklich, da man sich in dem großen Komplex kaum über den Weg lief, jedoch … die Kollegen von denen ich sprach, waren Mitglieder im inoffiziellen Fanclub des Grafen. Natürlich wollten sie neue Gerüchte erhaschen. Als ich Joshua davon erzählte, grinste er nur und meinte, dass wir ihnen geben sollten, nach was sie verlangten. Lasst mich dazwischenwerfen: Das Joshua und ich zusammen waren, wussten gerade mal drei Personen. Joshua war es einerlei was andere dachten und ich wollte die Ruhe genießen. Nur für den Fall, dass es doch einen Aufruhr um den uneinnehmlichen Grafen geben würde. Elias und McFloyd waren zwei Personen. Juan, der Hausmeister, die Dritte. Nicht weil er uns erwischt hatte, nein, das war erst später passiert. Juan hatte einfach eine überaus gute Menschenkenntnis und sah die winzigsten Zeichen. Joshua schlug vor, dass ich mir eine Perücke aufsetzte und einen Laborkittel trug. Mit der blonden Perücke sah ich aus wie das typische Blondchen. Dank meiner grünen Iriden stand mir dieser Aufzug sogar. Nur der Erfinder selbst verzog das Gesicht. „Blonde, lange Haare stehen dir nicht“, sagte er schlicht. Der Plot war leicht. Ich spielte die hübsche Kollegin, welche nachts alleine durch die Flure schritt. Wir manipulierten einige Spotlights, damit nicht alles ausgeleuchtet wurde und nutzen auch jenen einen Spot, der seit Ewigkeiten flackerte. Im Nu wirkten die Flure wirklich unheimlich, gepaart mit dem schaurigen Grün der Nachtbeleuchtung. Ich gestehe, ich hatte Spaß. Als wir wussten, wann wir Beobachter haben würden, schritt ich zur Tat. Joshua hatte sich den schwarzen Umhang umgelegt, welcher eigentlich nur eine dunkelblaue Kuscheldecke war. Aber in dem Licht … Ich ging durch den Flur und kam an die manipulierte Stelle. Mein Part war leicht ängstlich die Unterlagen an mich zu drücken, mich immer wieder umzudrehen, als hörte ich Geräusche, nur um dann mit dem Rücken gegen eine Person zu stoßen. Den Grafen der Nacht. Ich hätte so gerne losgelacht, doch wenngleich unsere Zuschauer nichts hörten, könnte mich meine Mimik verraten. Erschrocken drehte ich mich um, meine Haltung abwehrend. Joshua kam selbstsicher auf mich zu, charmant, bezirzend. Ich wollte nachgeben, widerstand aber. Erst wich ich zurück und er kam mir nach. Dann wollte ich an ihm vorbei spurten, doch er fing mich mit Leichtigkeit ab und pinnte mich an die Scheibe zum Innenhof. Für die Beobachter war nur mein weißer Kittel und die blonden Haare zu erkennen. Das Klemmbrett hatte ich fallen lassen. Joshuas Gesicht und Hände erkannten die Beobachter auch, wenngleich seine Haut einen leichten Grünstich vom Notlicht hatte. Joshua kam mir näher, säuselte süße Worte und beäugte meinen Hals. Ich versuchte ihn wegzustoßen. Als ihm meine Hände zu wirsch wurden, griff er mit einer Hand nach meinen beiden Handgelenken – gut ich hielt sie ihm hin – pinnte diese über mir an die Scheibe und riss mit seiner freien Hand den Laborkittel auf. Joshua starrte meinen Körper hinab, während mir leicht kalt wurde. Er beugte sich vor, gerade so als wollte er mir in den Hals beißen. „Mael?“ „Was ist?“ „Warum bist du nackt?“ Ich hörte ihn schlucken und hatte flüchtig die Röte auf seinen Wangen bemerkt. „Du hast gesagt, ich soll einen Kittel und die Perücke tragen. Ich dachte, du meintest es so!“, zischte ich zwischen meinen Zähnen und tat, für die Zuschauer so, als würde ich mich wehren. Ungelogen fiel es mir nicht schwer, da Joshua just in meinen Hals biss. Seine Zunge leckte über meine Haut und ich bekam eine Gänsehaut. Er musste in diesen Moment zu den Beobachterinnen geschaut haben, denn das war die am meisten ausgeschmückteste Stelle im späteren Gerücht. „Josh …“ „Selbst schuld“, raunte er und wechselte stetig zwischen Küssen und kleinen Bissen an meinem Hals. „Ich meinte es wirklich nicht verwerflich, aber wenn du dich mir so präsentierst…“ „Was meinst du mit präsentieren? Du hast den Kittel aufgerissen und -huaa. Jo-“, brach ich ab. Neben mir stand einer dieser metallenen Wagen. Er war lang wie ein Tisch und kalt obendrein. Joshua hatte mich im Nu darauf niedergedrückt. Ich war nur froh, dass dieser hier keine Reagenzien, sondern nur Papier und Einweghandschuhe transportierte. Außer dem Laborkittel und meinen Schuhen trug ich nichts. Ich konnte von Glück reden, dass sich die Schiebegriffe an den Seiten befanden. Joshua küsste mich lange und die blaue Kuscheldecke umhüllte uns beide. Das flackernde Licht und die fehlenden Spotlights verhüllten uns zusätzlich. Trotzdem bemerkte ich wie seine Hände über meine Seiten und Hüfte strichen, wie sie mich immer wieder nah an seine Mitte zogen. Schließlich fanden Joshuas Finger ihren Weg in mich und berührten mich dort, wo ich am empfindlichsten war. Mein Freund war gut im Bett und er hatte ein Talent auf Anhieb die richtigen Punkte zu finden. Ich keuchte in den Kuss. Mehr noch als seine andere Hand mich umfasste und viel zu stark massierte. „Jos- ahhh, ah, Josh, warte, n-nicht hier.“ Joshua biss in meine Brust und ich hörte das Klirren seiner Gürtelschnalle. „Doch hier.“ Was soll ich sagen? Ich lag bereits flach und ausgestreckt vor ihm. Seine Vorarbeit war zu gut, dass ich zwar mit Worten insistierte, gedanklich aber genau das verlangte, was kommen würde. Davon abgesehen hatten wir vielleicht so ganz theoretisch mal darüber geredet, wie es wäre, es auf Arbeit zu tun… Sein Eindringen nahm mir die Luft und ich warf den Kopf in den Nacken. Ein Biss an meiner gespannten Haut und ich wimmerte ungewollt. Das hatte wirklich wehgetan! Joshua leckte sogleich mit seiner Zunge darüber. Zeitgleich fasste er mich fester und stieß zu. Ich schlang meine Beine um ihn und genoss keuchend, was so hart auf mich einschlug. Mein Blick ging starr hoch zur Decke. Wieder diese langweiligen weißen Vierecke im flackernden grünen Licht… Der Gedanke verschwand, als Joshua sich mir entzog und mich an schlappen Armen auf meine wackligen Beine zerrte. „J- Ich kann nicht stehen“, jammerte ich, wurde aber sogleich mit dem Gesicht gegen die Wand gedrückt, den Innenhof im Rücken. Joshua schob meinen Kittel zur Seite, fasste meine Hüfte fester und versenkte sich mit einem Schwung. Mein Stöhnen klang heißer und genießend, obwohl ich es kläglich halten wollte. Nichts zu machen… wie sollte ich vorspielen, dass er zu grob war, wenn ich es genoss. Es war genau die richtige Mischung aus forschem Rannehmen und sanften Zärtlichkeiten. Ich kam in seiner Hand. Was daneben ging, fing der Laborkittel auf, der irgendwie halb um mich geschlungen war. Joshua wurde sogleich sanft und fürsorglich. Während meine Beine komplett nachgaben, hielt er mich sicher. So ganz wusste ich nicht wie. Ich brauchte einen Moment um mich zu besinnen. Doch als es endlich soweit war, lag ich bereits in seinen Armen, den Laborkittel eng um mich geschlungen und er trug mich einer Prinzessin gleich – welche ich noch immer mimte – zurück in unser Labor. Das Gerücht kam keinen Tag später auf. Es war delikat, sprach von einer Schönheit, welche so leckeres Blut hatte, dass der Graf nicht von ihr lassen konnte und sie schließlich mit in sein Refugium nahm. Man sah die Schönheit nie wieder. Mir war es im Nachhinein super peinlich, dass der eigentliche Plot so abgeschweift war und wir sogar Zuschauer gehabt hatten. Irgendwo war es mir schon bewusst, dass ich kaum etwas anderes wahrnahm, wenn wir Sex hatten, doch dass es so schlimm war… Als Elias uns am nächsten Morgen begrüßte, reichte ihm ein Blick aus, um zu erkennen, dass wir nicht nur gearbeitet hatten. Mein Hals glich einem rot-violetten Mosaik und an einer Stelle hatte sich tatsächlich Schorf gebildet. Joshua hatte zu tief gebissen und sich tausendmal Entschuldigt, als ich wieder bei Sinnen war und mir das Drama im Spiegel angeguckt hatte. Elias stauchte uns ziemlich zusammen. Seine wohlgemeinte und den Statuten entsprechende Standpauke endete mit: „Ihr hättet wenigstens Lüften können!“ „Du übertreibst“, warf Joshua ein. Elias warf ihm einen giftigen Blick zu. „Meinst du? Gut, gut. Aber das da hättest du schon lange entsorgen können!“ Er deutete auf den von mir getragenen Laborkittel. Ich lief vor Scham rot an und schwor auf Arbeit nie wieder so über die Strenge zu schlagen. Meine Reumütigkeit beruhigte Elias zumindest etwas. Als wir ihm am folgenden Morgen wiedersahen, konnte ich nicht sagen, ob er sauer war, wegen des Gerüchtes, oder ob er sich deswegen kringelig lachen wollte, da er zu genau wusste wer die blonde Schönheit wirklich war. Und auch, dass man sie definitiv nie wieder sehen würde. „Ich habe mich wegen der Sache schon so oft entschuldigt. Wie lange willst du mir das noch vorhalten?“, fragte ich Elias. „Solange, bis dein werter Freund es auch einsieht.“ Ich nickte stumm, konnte jedoch ein Rotwerden nicht verhindern. Joshua war so uneinsichtig, wie eine Ziege stur und ein Stein schwer war. Statt Reue zu zeigen, lernte er nur wie er es schaffte mich zu verführen und im Nachhinein keine Spuren zu hinterlassen. Elias seufzte. „Will ich es wissen?“ Ich schüttelte den Kopf. „Gut, dann zurück zum Thema. Du willst ein Date? Dann hätte ich da eine Idee für dich.“ Ich lauschte aufmerksam und wurde regelrecht hibbelig bei dem was Elias mir erzählte. Es klang wie das perfekte Date und sowas hatten wir definitiv noch nicht gemacht. Just als Elias endete, betrat Joshua das Labor. Seine Miene war düster und sein Gang war angespannt. Er trat hinter mich, legte die Arme um mich und drückte mich fest. Für einige wenige Momente hielt er mich, ließ mich ebenso plötzlich los, wie er begonnen hatte und trat an seinen Tisch. „Was ist los?“, fragten Elias und ich aus einem Mund. „Draußen stehen ein paar Typen und wollten sich mit der Security anlegen. Ich bin dazwischen und hab ihnen ein paar Takte gesagt.“ „Was für Typen?“, fragte Elias und ich legte verwundert den Kopf schief. Joshua schwieg einen Moment. „Mael's Freunde von damals. Binks und noch so einer. Seinen Namen habe ich mir nicht gemerkt.“ Mir lief ein Schauer über den Rücken. Oh bitte nicht! Was wollten die denn hier?! „Was hast du zu ihnen gesagt? Was wollten sie?“, fragte ich leicht panisch. „Sie wollten rein und mit dir reden. Deinen Arbeitsplatz kennenlernen und so. Hab ihnen gesagt, dass das Unbefugten nicht gestattet ist.“ „Und weiter?“, hakte ich nach. Joshua drehte sich zu uns um und lehnte an seinem Tisch, die Arme verschränkt. „Sie blieben stur. Meinten sie wollten ein Visum oder wie das heißt“, sagte Joshua und verdrehte die Augen. Oh, er konnte so höhnisch sein, wenn er wollte. „Als die Security dazukam, lenkten sie ein und meinten, sie wollten nur mit dir reden. Und ob ich dich nicht rausschicken könnte.“ „Ah, ok.“ Dass Joshua es mir nicht hatte sagen wollen, sah man ihm vom Kopf bis Fuß an. Wahrscheinlich hatte er darauf spekuliert, dass ich ihn so oder so ansprechen würde, wenn seine Laune schlecht war. „Ich geh dann kurz zu ihnen.“ Im Foyer angekommen, sah ich niemanden. Ich fragte einen Wachmann und der schickte mich nach draußen. Nun denn, dachte ich bei mir und checkte mich aus. Nur wenige Schritte von der Eingangstür entfernt, standen tatsächlich zwei Gestalten, die mir sehr bekannt vorkamen. Binks und Tobias diskutieren miteinander und bemerkten mich erst, als ich nähergekommen war. „Du trägst ja gar keinen Kittel?!“, bemerkte Binks. „Ja, und Unbefugten ist der Zutritt hier verboten.“ „Das hören wir nun zum dritten Mal…“, seufzte Tobias und erzählte, warum sie da waren. Nach der Sache an jenem Freitag und dem Kuss von Binks und Joshua, welcher mir immer noch aufstieß, hatten sie einen Freunde-Chat eröffnet. Das war toll! Auch wenn ich nicht eingeladen worden war. Zeit deswegen verstimmt zu sein, bekam ich nicht, denn in diesem Chat wurde mein Debakel mit der Arbeit und dem vermeintlichen Mobbing diskutiert und analysiert. Tobias erzählte ziemlich wirr und nicht gerade chronologisch. So hätte Binks mich wohl einmal gesehen, wie ich zu Joshuas Wohnung gegangen war und wenig später mit diesem Übeltäter wegfuhr. Merry hätte im Auftrag der Jungs auf Arbeit angerufen und so erfahren, in welchem Labor ich arbeitete. Da sie nicht weiterkamen, ob ich nun ein Mobbingopfer war oder in welcher Beziehung ich zu diesem Kussräuber stand, wollten sie mich auf Arbeit überraschen. Dort wurden sie vom Wachmann und von Joshua freundlich hinaus gebeten. Obwohl den Erzählungen nach Joshua sehr grob gewesen sein sollte. Ich seufzte innerlich. Das war genau das, was dabei herauskam, wenn man Schlüsse zog ohne alle Variablen zu kennen: Müll. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich kehrte ins Labor zurück. Etwas genervt war ich schon, da alles so unnötig aufgebauscht und verworren geworden war. Hätten sie mich einfach mal gefragt, hätten sie sich einiges erspart. So viel unnützes Gerede, wovon vielleicht nur die Dinge um Joshua stimmten. Ich betrat unser Labor und fand Joshua vor seinem Schreitisch sitzend vor. Elias hing konzentriert über dem Mikroskop. Joshua hatte seinen Kopf auf einer Hand abgestützt und rollte griesgrämig und lustlos einen Bleistift hin und her. Wie er eben, trat ich von hinten an ihn heran und umarmte ihn. Sein Kopf hob sich sogleich und sein Blick war fragend. Ich schmunzelte nur. „Ich treffe sie nachher. Es ist doch okay, wenn ich früher gehe, oder?“ Joshua wand seinen Kopf ab und brummte nur miesgelaunt. Ich ließ nicht locker und stichelte etwas. „Ist das ein ja? Sicherlich, oder? Ich habe Überstunden, also steht es mir zu“, argumentierte ich. „Aber das stört dich nicht, oder? Ist es, weil ich sie treffe? Du weißt schon, dass das meine alten Freunde sind, ja?“ Ich zog meine Umarmung um ihn etwas fester, erntete dennoch nur ein Brummen. „Josh. Nun sag was.“ „Musst du sie unbedingt treffen?“ „Ja.“ „Warum?“ „Weil sie glauben, ich habe die falsche Arbeit und werde von komischen Typen gemobbt.“ „…“ Elias prustete los. Beide sahen wir zu ihm und er winkte nur ab, immer noch auf den Objektträger starrend. Ich sah Joshua wieder an und er verdrehte die Augen. „Ja, ok. Aber erst nachdem wir die Kreuzproben mit den Anderen verglichen haben.“ „Sicherlich“, sagte ich und wäre sowieso nicht vorher gegangen. Ich zückte mein Handy und hielt es vor mich. Da ich immer noch auf Joshua lehnte, konnte er sehen, was ich tippte. Ich verabredete mich zu um zwei Uhr mit den Beiden. Binks antwortete, dass Tobias nicht kommen könnte, aber er eh mit mir reden wollte. Unter vier Augen. Joshua schnaubte verächtlich. Ich legte mein Handy weg und ließ mich noch etwas mehr auf seine Schultern sinken. „Das ist eine gute Gelegenheit“, sagte ich leise. Joshua nickte nur, ehe er hinzufügte: „Wenn er sich komisch verhält, schlag ihn nieder. Leichen verschwinden hier recht gut.“ Ich traf mich mit Binks auf einen Spielplatz, den wir schon früher gerne besucht hatten. Ein Essen wäre unpassend gewesen und weil Tobias nicht mehr dabei war, zögerte ich etwas. Was mich quälte war meine eigene Unsicherheit. Viel zu lange hatte ich Gefühle mit mir herumgeschleppt, die lange abgelaufen waren. Auch jetzt war mir als hielte ich an etwas fest, dass nicht zu greifen war. Es war ein Teil meiner Vergangenheit, der sich so schwer tilgen ließ wie Ackerschachtelhalm. Der Vergleich ließ mich schmunzeln. Ich saß auf einer der Schaukeln und hatte meinen Blick schweifen lassen. In der Nähe befand sich ein Beet und zwischen den Sträuchern schmulte diese kleine baumartige Pflanze hervor. Das unscheinbare, widerspenstige Ding lenkte mich von dem nervösen Kribbeln in meinen Fingern und dem Unwohlsein in meinem Magen ab. Es war nicht so, dass ich noch romantische Gefühle hegte, dennoch hatte ich Angst einen alten Freund gänzlich zu verlieren, wenn wir über ein Thema redeten, welches er verboten hatte. Ich seufzte innerlich. Es war vertrackt. Ich wusste, dass Freundschaft ohne Verpflichtung einherkam. Dass man sich nicht beweisen musste, um einen Freund zu gewinnen oder zu halten. Ich konnte nicht mal beantworten, woher diese Furcht kam… Aber Fakt war, sie war da. Fakt war auch, dass ich oft unbewusst Vergleiche anstellte, die mich als Freund besser darstellten als jemand anderes. Fakt war auch, dass Binks trotz allem ein lustiger Kerl war, den ich so nicht verlieren wollte. Sand knirschte vor mir und ich sah auf. Binks kam mit den Händen in den Taschen auf mich zu gestiefelt. Scheinbar locker wie immer. Nur sein Gesicht verriet, dass er verkrampft war. Ich lächelte. „Tach.“ „Hi.“ „…“ „…“ Bevor diese Stille noch unangenehmer werden würde, fand ich meine Worte. Zumal ich durch meine nervöse Grundspannung schon nervös genug war! „Um eines klar zu stellen. Ich werde nicht gemobbt auf Arbeit. Ich habe einen tollen Job mit Megagehalt. Also alles was ihr dazu sagen wollt-“ „Ja, sorry, das war so ein spontanes Ding gewesen. Wir haben beim Reden auch schon gemerkt, dass das eher haltlos ist. Aber komisch war es den Tag trotzdem!“ Dass Binks mich unterbrach war nicht neu. Ich seufzte und sah ihn mir genauer an. Seine Haltung war abwehrend, sein Blick etwas zwischen ängstlich und schuldbewusst. Sein Mundwerk großspurig wie eh und je. „Den Tag war es nur komisch, weil du von einem Mann geküsst wurdest“, brachte ich das eigentliche Thema auf den Punkt. „Sei beruhigt, Josh steht nicht auf dich.“ „Ja“, meinte Binks und strich sich mit der flachen Hand über den Nacken, wie immer, wenn er sich unwohl in seiner Haut fühlte. „Aber du, oder?“ Ich hatte es vermieden ihm in die Augen zusehen. Nun fühlte ich mich dazu genötigt. Allerdings ungläubig, ob wirklich er das gesagt hatte. Ich öffnete den Mund, doch er brabbelte gleich weiter. „Bist du es noch? Ich meine … du warst es, oder?“ Ich verneinte kopfschüttelnd die erste Frage und nickte auf die Zweite hin. Binks seufzte. Es klang etwas erleichtert und verwirrte mich noch mehr. „Also … ich war mir nicht mehr sicher. Is immerhin ´ne Weile her un‘ ich … ahhh, kack, du weißt was ich sagen will!“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein, sorry, das weiß ich gerade echt nicht.“ Verwirrt blickte ich ihn an und nun seufzte er frustriert. „Muss ich das echt alles aufdröseln?“ „Binks, ich hab' keine Ahnung, was du mir eigentlich sagen willst. Ja, ich war mal in dich verliebt, aber bin es jetzt nicht mehr. Das hat mich zwar ´ne Weile beschäftigt, aba jetz' is alles gut und außerdem … hattest du das nich' eh schon alles ad Acta gelegt?“ Binks Hand strich heftiger über seinen Nacken. „Schon. Ich mein … dein „Geständnis“ damals konnte ich doch einfach nicht ernst nehmen. Wir waren noch jung un‘ … Gott- das spielte für mich damals nicht mal ´ne Rolle!“ „Hab' ich gemerkt.“ „Ich dachte du veraschst mich, ja?! Wie hätte ich sonst reagieren sollen, wenn nicht so? Ich mein … das war megapeinlich! Vor allem als Verasche und wenn das öffentlich geworden wäre … Ich wär' der Spott der Schule geworden!“ Mein unruhiges Gemüt wandelte sich in einen Klumpen Ärgernis. Hörte er eigentlich was er sagte? Eigentlich hatte ich vor ihn leicht vom Harken zu lassen, aber nun … nein danke. „Verasche? Du glaubst echt, ich wollte dich mit sowas veraschen?! Alter! Ich HABE dich geliebt. Und das überhaupt erst zu SAGEN, war verdammt schwer gewesen. So 'n emotionalen Striptis und dann noch vor 'nem guten Kumpel! Ich hatt' mir im Vorfeld allerlei Gedanken gemacht und vor allem wollte ich nich' unsere Freundschaft gefährden. Und deine einzige Reaktion war, ich soll's vergessen…“ Binks tippelte unruhig auf seinem Platz hin und her, aber ich hielt meinen Blick auf ihn gerichtet. Suchte den Augenkontakt, damit er auch wirklich meinen Frust, meine Frucht und meine Pein verstand. „Das erste Geständnis, dass ich je gemacht hab' und ich bekomme so 'ne Klatsche zurück. Weißt du, wie schwer das zu schlucken war? Wie unangenehm die nächsten Tage und Wochen war'n? Du hast einfach weiter gemacht, ja klar. Wenn man denkt, es wäre nur 'ne Verasche, is' das leicht. Dann lausch mal zu. Ich hatte es nicht so leicht. Ich hatte mich verdammt noch mal in dich verliebt und musste alleine damit klarkommen! Mit euch hätt' ich nich' drüber reden können. Du hast das Thema klar verboten. Pah!“ Ich maß ihn abschätzig von oben herab. Keine Ahnung wie es mir gelang, weil ich immer noch auf der Schaukel saß und meine Hände sich vor Panik und Wut und noch zwanzig anderen Gefühlen in die Kettenglieder krallten. „Mit einer Woche war es nich' getan. Ich hab' Monate gebraucht, um mich einigermaßen normal in deiner Nähe verhalten zu können und Jahre, ehe ich dich endlich vergessen konnte. Aber nich' weil du so gut aussiehst, sondern weil ich einfach Angst bekommen hatte, noch so 'ne Abfuhr zu kassieren. Oder als komisch und verrückt dazustehen.“ Den letzten Teil fügte ich extra noch hinzu, weil Binks es beinahe als Kompliment aufgefasst hätte, dass ich ihn jahrelang nicht hatte vergessen können. Zumindest hatte sich sein Gesicht erhellt und das passte mir nicht. Ich wollte, dass er verstand wie sehr mich das alles mitgenommen hatte. Selbst wenn das hieß, dass ich mich gerade freiwillig ins Rampenlicht stellte und als Opfer deklarierte. Etwas, was ich für gewöhnlich zu vermeiden wusste. „Max … ich … es ... es tut mir so leid“, begann er stockend. Seine Hände wussten gar nicht wohin mit sich. „Ich … also ich steh wirklich nich' auf Männer und … das … das was ich damals gesagt hab' … also … zu sagen „vergiss es“, ist bestimmt zu spät, aber ... Fuck Alter. Deine Mutter ist so religiös und … dass du wirklich, ernsthaft auf Männer stehst, war deswegen so abwegig …“ „Ja, klar … weil ich auch sooo dicke mit meiner Mutter bin“, entfuhr es mir sarkastisch. Binks drehte sich weg und schob sich einen Fingerknöchel zwischen die Zähne um nicht lauter zu fluchen als nötig. Ich sah ihm an, wie es ihn mitnahm und sein Gefühlsausbruch beruhigte mich. Seltsam oder? Aber alles was ich wollte, war, dass er mich verstand und so wie er sich verhielt, schien das endlich der Fall zu sein. Das reichte mir. Ich stieß mich ab und begann leicht zu schaukeln. „Schon gut“, kürzte ich seine Gedanken ungewollt ab. „Wie gesagt, das ist alles lange her und ich habe mich neu verliebt.“ „Aber was is' mit all den Frauen?“, warf Binks plötzlich ein, als versuche er etwas zu retten. „Ich … bin Bi“, sagte ich trocken. „A-ach so?“ „Ja, was dachtest du denn?“ „Na … dass du Schwul bist und mit dem Typen zusammen, der letztens da war.“ Ungewollt lachte ich. „Der zweite Teil stimmt schon.“ Binks verlor alle Farbe aus dem Gesicht und ich stockte mein Schaukeln. „Was ist los? Binks, wenn du was gegen Schwule hast, sag es ruhig. Ich denke, wir sind alle modern und aufgeklärt genug, um dich nicht deiner Meinung wegen zu lynchen. Aber vorher … Josh ist auch Bi.“ Ich sah ihm an, dass er diese Neuigkeiten erstmal verarbeiten musste. Scheinbar hatten jener Freitagabend und dieses Gespräch jetzt seine Grundfesten erschüttert. Seine Gesichtsfarbe wechselte von Weiß zu normal und zurück. Ich begann wieder zu schaukeln und gab ihm Zeit. Nach ein paar Minuten begann er unruhig neben mir herzulaufen. „Aber … ihr seid beide Bi?“ „Ja.“ „Und geht miteinander?“ „Ja.“ „Aber dann seid ihr doch Schwul, oder nicht?“ „Schon.“ „Dann liebst du einen Mann, diesen Josh…“ „Jap.“ Das war eine rhetorische Frage, aber ich wollte dennoch darauf antworten. „Aber er küsst fremd! Ist er treu? Können Männer Männern treu sein?“ Ich lachte wieder. Was für blödsinnige Fragen! „Sicherlich können sie das. Ist nichts anderes als eine Heterobeziehung.“ „Aber der Kuss!“ Ich schnaufte verärgert aus. „Ein Fehler. Dafür büßt er noch, aber dich hat er damals nur geküsst, weil er dachte ich würde noch was für dich empfinden und hätte selbst vor dich zu küssen.“ „Dann … war er nur eifersüchtig? Ein Mann ist auf mich eifersüchtig?“ Ich rechnete es Binks an, dass er seine Gesichtsfarbe auf einem leicht blassen Level hielt und ihm die Tatsache, dass er Mittelpunkt einer Eifersuchtsszene gewesen war, sogar ein bisschen gefiel. „War“, korrigierte ich ihn trotzdem. „Das wird nicht noch mal vorkommen. Er hat sein Ziel erreicht.“ „Oh… na gut.“ Im Nachhinein glaubte ich wirklich, dass Binks an diesen Nachmittag das erste Mal richtig über etwas anderes als Heteros nachgedacht hatte. Er stellte Fragen über Fragen. Über Schwule, Lesben (die ich ihm nicht beantworten konnte), übers Gendern und alles was ihm sonst noch zu Ohren gekommen war. Das meiste konnte ich nicht beantworten, hatte ich doch selbst nur einen kleinen Erfahrungspool auf den ich zurückgreifen konnte. Nach etwas mehr als zwei Stunden verließen wir den Spielplatz und ich begleitete Binks noch ein Stück. Seine neue Wohnung lag eine Querstraße von dem kleinen Einkaufsladen entfernt, in welchem die Phrase „Brauch ich“ zwischen Joshua und mir mittlerweile zu einer Art Gag geworden war. Ein paar Meter davor blieb Binks stehen. Ich folgte seinem Blick und erkannte Joshua, der artig mit einer braunen Stoffjacke an die Hauswand gelehnt wartete. Mir huschte ein Lächeln über die Lippen. Binks ging einen Schritt zurück. „Und du bist dir mit ihm sicher?“ „Mhm, sehr sicher.“ „Kay, aber … wenn was sein sollte, meld‘ dich ruhig.“ „Jop“, bestätigte ich, rollte innerlich bereits mit den Augen. „Kay. Dann is' alles cool zwischen uns?“ Ich sah ihn an und nickte. „Alles cool zwischen uns.“ „Nice. Dann … wir sehen uns.“ Binks wirkte etwas unschlüssig, hob dann seine Hand zum Gruße und ich erwiderte die Geste. Mit einem unnötig großen Bogen um Joshua ging Binks von dannen. Ich schmunzelte und schüttelte zugleich den Kopf. Joshua lehnte immer noch an der Wand. Erst als er mitbekam, dass Binks ging, stieß er sich sachte ab und kam mir langsamen Schrittes entgegen. Wir waren seit damals schon oft in diesem Laden gewesen. Irgendwann hatte ich Joshua erzählt, wo Binks wohnte. Das hatte er leider weniger gut aufgenommen, als ich gedacht hätte. Na, egal. Ich freute mich, dass Joshua sich heute so zurückhielt. „Gespräch beendet?“, fragte er als wir uns auf der Hälfte des Weges begegneten und voreinander standen. „Ja.“ „Endgültig?“ Ich lachte und schüttelte meinen Kopf. „Jaaa“, sagte ich mit Nachdruck und griff nach seiner Hand. Unsere Finger verschlangen sich automatisch ineinander und neben ihm herzugehen war so natürlich geworden wie Atmen. Auf dem Weg zu Joshuas Wohnung erzählte ich ihm von dem Gespräch. Nicht alles, aber ein paar Eckdaten. Joshua war nicht eifersüchtig, er machte sich indes Sorgen und die wollte ich ihm nehmen. Mein Joshua, so musste man wissen, war auch recht eigen und entsprach seinem Ruf als Waisenkind. Und obwohl er seiner Haltung und seiner Stimmlage nach bei jedem anderen als eifersüchtig durchgehen würde, sah ich die kleine Kerbe zwischen seinen Augenbrauen. Zu gerne hätte ich ihm seine Sorgen genommen, nur heute nicht. Wo wir dieses Thema schon mal hatten, musste ich es auch ausschlachten. Immerhin stand noch eine Bestrafung für seine Aktion von damals an. Heute schien mir der perfekte Tag zu sein. Nicht nur weil unerwartet meine Freunde vorbeigekommen waren und Joshua damit in einen unschönen Gemütszustand versetzt hatten, sondern auch, weil mein lieber Joshua die letzten Nächte hauptsächlich bei mir geschlafen hatte. Von Elias wusste ich, dass Joshua dann nur flüchtig nach Haus kam und seine Wohnung nicht aufräumte. Da Joshua auf Arbeit manchmal zu "Übertreibungen" neigte, grollte sein Bestbuddy ihm etwas. Das machte ihm zu einer wertvollen Informationsquelle für mich. Nicht ganz fair, aber seit wann war Rache fair? Ich hatte lange gewartet und wollte sie kalt und süß servieren. Joshua schloss die Tür auf und wir traten ein. Noch schien alles recht normal zu sein. Der Schlag traf mich erst, als wir das Wohnzimmer betraten und ich mich, nach dem ersten Schock, zur Küche drehte. „Entschuldige, ich habe nicht aufgeräumt“, meinte Joshua und griff flott einige Kleidungsstücke direkt zu meinen Füßen. Ich wusste ja, dass es brillante Köpfe gab, welche 100% akkurat in ihrer Arbeit waren und daheim nicht klarkamen. Nur hatte ich Joshua nicht zu diesen Personen gezählt gehabt. Noch nicht… „Josh?“, fragte ich schockiert. „Hm?“ Er wandte sich mir zu, Kleidung in beiden Händen. „Räume auf. Sofort.“ „Aber das ist unhöflich.“ „Unhöflich ist es einen Gast und sei es dein fester Freund in diese Chaoshöhle zu lassen!“ Ich ging auf ihn zu und tippte ihm warnend auf die Brust. „Räum auf. Da liegt ein Schuh auf dem Sofa, Asia-Imbiss-Schachteln und Pizzakartons von unterwegs und ein … Rasierer in der Küche.“ „Dann lass uns zu dir gehen, da ist es eh bequemer“, sagte er und warf seine Kleidung auf die Couch. Wenn das hier ein normaler Tag gewesen wäre, vielleicht. Aber ich hatte das Gespräch mit Binks nicht umsonst in die Innenstadt verlegt. „Joshua Fritz. Du räumst hier auf. Jetzt. Sonst kannst du vergessen, dass die nächste Woche irgendwas läuft.“ „Was? Aber … was hat das mit dem anderem zu tun?“, fragte er ungläubig. Ich sah nur auf die Uhr in der Herdanzeige. „Für jede Minute die du trödelst erhöhe ich um eine Woche. Oh, guck, jetzt sind es zwei.“ Joshua sah mich ungläubig an. Er wartete und maß mich abwartend. „Jetzt drei Wochen. Hältst du das überhaupt so lange aus?“, fragte ich sarkastisch und löste weder meine Mimik noch meine Haltung auf. Er zögerte, doch als die nächste Minute verstrich, knickte er ein. „Wenn ich alles fertig habe, gibt es keine Enthaltsamkeit?“ Ich schmunzelte. Eigentlich nur, weil er sich langsam meinen Tick, Substantive zu benutzen, abguckte. „Wenn du alles pikobello fertig hast, dann nicht.“ Joshua maß mich noch mal, zog scharf die Luft ein und machte sich an die Arbeit. Er war wirklich fleißig. Zunächst stand ich nur provokativ an die Wand zum Flur gelehnt und sah ihm zu. Als das Wohnzimmer von Kleidung befreit war und alles an seinem Platz stand, ging ich in die Küche. Ich öffnete den Kühlschrank und … „Ist das ein neues Experiment?“ Joshua kam dazu und runzelte die Nase. „Von wegen: Welche Pilzsporen sammeln sich auf einem Toastbrot?“ Ein Blick reichte und er schnaufte entnervt. Amüsiert sah ich ihm weiter zu. Er räumte die Gegenstände, welche eindeutig nicht in eine Küche gehörten an ihren Platz und entfernte das Schimmelbrot aus dem Kühlschrank. Da er akribisch war, säuberte er den Kühlschrank gleich mit. Braves Kind, dachte ich für mich und setzte mich auf die Couch. Während Joshua weiter werkelte, schaltete ich den Fernseher ein. Neugierig kam er hinzu und trocknete sich gerade die Hände am Küchentuch ab. Ich sah auf und zog beide Augenbrauen hoch. „Soll ich noch im Schlafzimmer und Bad gucken?“ Diesmal zog sich sein Mundwinkel nach unten und er eilte. Ich sah ihn nur gelegentlich. Nach einer Stunde holte er seinen Staubsauger heraus. „Ist das Bad frei?“ „Mhm. Der Boden fehlt noch.“ „Gut, gut, dann geh ich duschen, ok?“ „Mael?“ „Hm?“ „Das machst du mit Absicht, oder?“ Ich lächelte breit und schelmisch, beinahe zuckersüß und neigte den Kopf ein wenig. „Ich leihe mir mal deine Handtücher, ja?“ Joshua seufzte schwer. Er stellte den Staubsauger ab und holte mir ein Paar Handtücher. „Kleidung ist im Schrank, falls du welche brauchst. Fehlt nach dem Boden noch irgendwas?“ Ich überlegte und mein Blick fiel auf den Kühlschrank. „Ich hätte nichts gegen etwas Gekochtes zum Abendbrot.“ Ich glaube Joshua hatte verstanden. Schließlich war er ein schlauer Junge und konnte sich deutlich mehr Belanglosigkeiten merken als ich. Missgestimmt akzeptierte er seine Bestrafung. Nicht nur, dass ich ihm mit Entzug drohte, sondern ich präsentierte mich ihm in schlüpfriger Beiläufigkeit. Ich wusste, dass er auf nasse Haut stand. Feuchte Haare, aus denen sich ein Tropfen perlte, der über den Hals ran. Der Geruch von Shampoo und dann noch sein Shampoo an mir. Zu allem Überfluss hatte ich mir eines seiner längeren Hemden ausgeliehen und saß in perfekter Boyfriendmanier vor dem Fernseher. Seine Blicke waren deutlich zu spüren. Ich lobte mich innerlich. Mittlerweile kannte ich ihn schon recht gut. Kurz vor Sieben servierte Joshua mir sein Selbstgekochtes. Nudeln mit Tomatensoße. Ich schmunzelte. Er war so genial, aber Zutaten vereinen, gelang ihm nicht so gut. Das hier war eines der wenigen Gerichte, welches er wirklich kochen konnte. Gesättigt streckte ich mich auf der Couch und bemerkte seinen Blick, der an mir herunterglitt. Meine Shorts lunschten einen Millimeter unter dem Hemd hervor. „Mael-“ „Geh mit mir auf ein Date!“, platze ich heraus. „Bitte was?“ „Ach komm. Wir hatten noch nie ein Richtiges. Und heute kommt noch der eine Film im Kino. Ich zieh mich wieder an und wir gehen hin, ok?“ Die Ankündigung Kleidung über meine gerade entblößte Haut zu stülpen, gefiel ihm nicht. Joshua haderte zudem länger mit seiner Antwort als üblich, ehe er nickte. Ich stand auf und trat vor ihn. Noch missgestimmt sah er auf, seine Hände ballten sich zu Fäusten. Sicherlich wollte er sich selbst daran hindern, mich anzufassen, wenn seine Bestrafung noch ausstand. Meine Hand legte sich unter sein Kinn und hob es an. Joshuas Mimik war grummelig, doch seine Augen strahlten wie immer. Bittend, hoffend. Schmunzelnd beugte ich mich vor und küsste ihn. Vorsichtig legten sich seine Hände an die Rückseite meiner Oberschenkel. Die Haut war noch warm vom Sitzen und seine Finger fühlten sich an wie Federstriche. Als der Kuss endete, sahen mich diese grauen Augen freudig an. „War es das jetzt?“ „Hm?“ „Mit der Folter, oder was das war“, sagte Joshua brummend und sah genervt zur Seite. Ich verkniff mir ein Lachen. „Du meinst deine wohlverdiente Strafe?“ „Wofür?!“ Sein Blick schoss hoch und ich sah ihn angestrengt nachdenken. „Dafür, dass du Binks geküsst hast.“ „…“ „Und ein Liederlump bist, wenn man nicht aufpasst.“ „Das hat damit aber nichts zu tun“, insistierte Joshua. „Nein, hat es nicht“, bestätigte ich. „Aber es spielte mir in die Hände.“ Ich sah wie es in seinem hübschen Köpfchen KLICK machte und grinste. Arme schlangen sich um meine Hüfte und zogen mich auf Joshuas Schoß. Hände stahlen sich unter mein Hemd und strichen meinen Rücken hinauf. Ich erschauderte, legte meine Arme aber um Joshua und war so gnädig ihm diese Nähe und den Kuss zu lassen. Es machte Spaß ihn zu triezen, da es nicht viel gab, womit sich Joshua triggern und stänkern ließ. „Gib wenigstens zu, dass du es verdient hast“, keuchte ich atemlos und brachte etwas Abstand zwischen unsere Gesichter. „Habe ich das wirklich?“, fragte er unschuldig nach. „JAAAA“, betonte ich und biss ihm in die Nase. „Du hast das ganze total missverstanden und mich glauben lassen, du bist an ihm interessiert.“ „Solch verworrene Gedankengänge hast auch nur du!“, lachte Joshua und zog mich heran, doch ich schob ihn weg. „Warte.“ „Warum?“ „Na, ich will mit dir ins Kino. Auf ein Date.“ Noch beim Anziehen war ich quirlig und aufgeregt zu gleich. Ich freute mich darauf endlich das Date einzulösen, welches wir so oft verschoben hatten. Es war die letzte Kinovorstellung eines Actionfilms mit Starbesetzung. Wahrscheinlich würden nicht viele Leute im Kinosaal sein, sodass Joshua und ich den Film in Ruhe genießen könnten. Elias‘ Idee würde ich heute nicht umsetzten können. Das Kino fiel mir spontan ein. Wer hätte auch geglaubt, dass Joshuas Wohnung derartig möhlig gewesen war! Trotz meiner Freude, dämmerte mir, dass Elias in einem Recht gehabt hatte. Joshua und ich hatten viel freie Zeit miteinander verbracht, was man durchaus als Date hätte gelten lassen können. Zudem fand ich meine Idee und den Drang nach einem offiziellen Date mit Mal unnötig und peinlich. Es war schwer auszudrücken, aber seit Joshua und ich zusammen waren, schienen diese klassischen Pärchendinge nicht wichtig gewesen zu sein. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass ich mit meiner Freundin – nun war es mein Freund – typisch Händchen haltend durch die Straßen gehen würde. Dass wir uns ein Eis teilten, Shoppen gingen, verliebt einen Sonnenuntergang ansahen und verkuschelt auf der Couch abends Filme schauten. In Wahrheit hatten wir all das getan und mehr, doch hatte es sich immer nur normal angefühlt. Auch jetzt war es ganz natürlich neben Joshua zu gehen und seine Hand in meiner zu halten. Unsere Schultern streiften sich beim Gehen leicht. Joshua jammerte, dass ich ihn zu hart für diesen kleinen Fauxpas bestraft hatte und er nicht mal in den Genuss von mir in seinem Hemd gekommen war. „Dann möchtest du kein Date mit mir haben?“ „Sei nicht albern“, mahnte Joshua mich sanft. „Wenn ich bei dir bin, ist jede Minute wie ein Date für mich.“ Seine Worte waren weich, sein Blick intensiv. Seine Hand drückte die meine ein wenig und mir stolperte das Herz. Allein sein Blick ließ mein inneres Mädchen flatterhaft quietschen. Vielleicht war es wirklich wie er sagte und ich liebte ihn einfach zu sehr, sodass jede Minute wie ein Date war. An der Kasse hielt Joshua mich zurück und zahlte die Karten. Snacks wollte ich keine, also gingen wir in den Kinosaal. Die Vorstellung würde in wenigen Minuten anfangen. Im Kinosaal befanden sich noch drei weitere Menschen. Einer saß allein ganz oben. Die anderen zwei waren scheinbar Freunde, die gerade noch mit ihren Handys spielten. Wir saßen Mittig mit genügend Raum zu den restlichen Mitschauenden und hatten gerade unsere Jacken ausgezogen, als die Lichter ausgingen und die Vorschau begann. Schnell setzten wir uns. Joshua griff nach meiner Hand und lehnte sich zu mir. Sein Atem strich vorsichtig mein Ohr. „Mael, sag es“, erklang die geflüsterte Aufforderung. Ich spürte wie mir die Wangen heiß wurden. „Jetzt?“, flüsterte ich zurück. Joshua verstärkte den Druck seiner Hand und kam mir noch näher. „Du sagtest, wann immer ich will.“ Seine Stimme war direkt an meinem Ohr, seine Lippen berührten meine Ohrmuschel. Die Röte in meinen Wangen wurde zu einem beginnenden Brand. Verlegen, auch wenn das im Dunkeln niemand sehen konnte, lehnte ich mich ihm entgegen. Joshua neigte seinen Kopf und ich konnte im Schein des Filmes seine Augen glänzen sehen. „Ich liebe dich.“ Joshua murrte leise. Voller Zufriedenheit, ähnlich wie Katzen es taten, ehe sie glücklich einschliefen. Ich war mir nicht sicher, ob Joshua sich dessen überhaupt bewusst war. In zwei von drei Fällen machte er dieses Geräusch, nachdem ich ihm gestand, dass ich ihn liebte. „Nochmal.“ Ich lehnte mich mehr zu ihm und küsste ihm die Wange, ehe ich ihm so nah wie möglich ins Ohr flüsterte was ich für ihn fühlte. Wieder schnurrte er leise und ich schmunzelte. Joshua hob unsere verflochtenen Hände an und küsste meine Fingerknöchel. „Das könnte ich den ganzen Tag hören.“ „Mhm, ich auch“, warf ich leise ein und hoffte selbiges zurückzubekommen. Doch Joshua war sparsamer mit dieser Aussage. Selbst auf mein Bitten hin erhielt ich es selten. Statt mit denselben drei Worten, drückte sich Joshua immer anders aus. Gesten, Mimik, Liebesgesäusel. Er war einfallsreicher. „Später, der Film fängt an.“ Verdutzt blinzelte ich. Hatte ich nicht gerade was von blumigen Beschönigungen gedacht? „Josh~“, murrte ich leise und klang allzu klagend. „Schweig still mein Herz. Es ist mir gerade nicht möglich zu sagen, was ich empfinde.“ Schmollend, wenn auch verlegen, rollte ich zurück in meinen Sitz und blickte auf die Leinwand. Das … war süß, vor allem, da ich von ihm nur die Spitznamen Liebster und Herz bekommen hatte. Und diese benutzte er nur gelegentlich. Dennoch reichte mir das nicht. Ich hob unsere Hände an und biss leicht in seinen Fingerknöchel, um meinen Unmut Luft zu machen. Joshua beugte sich sogleich vor und drückte seine Lippen auf meine. Keine Sekunde hielt es an, als Joshua sich zurückzog und dabei meine Unterlippe mit seinen Zähnen mitzog. Sein schelmisches Grinsen sah ich selbst in dieser Dunkelheit überdeutlich. Schweig still, oh du rasend' Herz! Der Film war wirklich gut gewesen. Den gesamten Heimweg redeten wir darüber und werteten alles Mögliche aus. Die Darsteller, die Actionszenen, die Gags und so weiter. Die Sonne war bereits untergegangen und es war kühl geworden. Ich hatte meine Hände in meine Jackentaschen gesteckt, was nicht wirklich half. „War es so, wie du es dir vorgestellt hast?“, fragte Joshua aus dem Blauen heraus. „Was? Der Film? Ja, der war gut“, erklärte ich grinsend. „Ich meinte das Date.“ Oh. „…“ Er sah mich musternd von der Seite an. „Ich weiß nicht so recht“, gestand ich ehrlich. „Eigentlich fand ich Dates immer langweilig. Man macht nur normales Zeug, was zu einer drögen Veranstaltung wird, wenn das Date nicht den eigenen Vorstellungen entspricht. Ich dachte, mit dir würde es anders werden … irgendwie aufregender, aber-“ „Aber?“, hakte Joshua nach. Ich sah auf und musterte seine grauen Augen. „Aber ich befürchte, es war kein "tolles" Date, weil es ein „Date“ war, sondern weil es „mit dir“ war. Genauso wie alles besonders wird, wenn du dabei bist.“ Ich sprach meine Gedanken ungefiltert aus und bereute es den Moment, indem ich endete. Wieder so ein Kitsch! Obwohl Joshua vorhin etwas Ähnliches gesagt hatte, klang es bei mir einfach nur peinlich! Schnell sah ich weg und mochte selbst das wissende Grinsen nicht sehen. „Was anderes, Josh … der Freund vom Hauptdarsteller hatte doch diese Duschszene, wo man seinen Rücke sehen konnte.“ „Ja.“ „Er hatte eine Narbe…“, warf ich ein. „Erzählst du mir, wie du zu deiner gekommen bist?“ Zwar sah ich Joshua nicht, aber hörte wie seine Schritte langsamer wurden. Verwundert blickte ich zurück. Seit dem Galaabend fragte ich mich, woher er diese Narbe hatte. Einmal war die Sprache darauf gefallen und Joshua hatte die Frage galant unter den Tisch fallen lassen. Er wusste, dass ich die Narbe kannte und ließ sie mich berühren und küssen. Trotzdem spürte ich, dass es ihm unangenehm sein musste. Ob sie ihm peinlich war? Wie ein Makel? Ich wüsste zu gerne wie sie entstanden war, doch hatte ich mich zugleich nicht getraut zu fragen. „Es ist aber keine ruhmreiche Geschichte.“ „Es muss ja auch nicht ruhmreich sein. Aber ich wüsste gerne wie sie entstanden ist.“ Joshua sah mich direkt an. Sein gerader Blick war so ehrlich wie zögerlich. Schließlich schüttelte er den Kopf und trat an meine Seite. „Ich erzähle es dir. Aber nicht heute.“ Wie gemein! „Ich finde, der Tag war lang genug. Übernachten wir bei mir?“ „Gerne. Ich leih mir dann das Hemd nochmal“, kündigte ich an. Anders als Joshua hatte ich noch keine Schlafhose oder Shorts bei ihm gebunkert. „Da fällt mir ein … muss ich dein Bett noch desinfizieren?“, sagte ich stichelnd. „Warum? So lange war ich auch nicht weg, dass sich da Ungeziefer eingenistet hat“, insistierte Joshua mit leichtem Protest. „Schon klar. Ich meine, weil du mal ein gutaussehender Junggeselle warst, ehe ich dich habe zähmen können.“ „Hahaha haha. Wann hast du mich gezähmt?“ „Wer hat heute nochmal seine Wohnung für mich geputzt, war einkaufen und hat gekocht?“ „Touché“, gestand Joshua. „Du brauchst aber nichts zu desinfizieren. Entgegen der landläufigen Meinung, ist mein Bett noch jungfräulich.“ „Wie kommt das? Du warst doch nie und nimmer keuch“, fragte ich verwundert und erntete ein erneutes Lachen. „Das nicht. Aber ich brachte nie jemanden mit in diese Wohnung. Hat sich nie wirklich ergeben. Und mit One-Night-Stands übernachtete ich woanders.“ „Nie?! Ich mein … ok, das ist toll“, stammelte ich vor mich her. „Obwohl … einen gab es, den ich gerne mit nach Hause genommen und vernascht hätte.“ Ich verzog missgestimmt das Gesicht. Wirklich? Hatten wir nicht noch technisch gesehen ein Date? War es da angebracht von anderen Männern zureden, die er beinahe vernascht hatte? Ein unbehagliches Grummeln machte sich in mir breit. Ich wollte nicht eifersüchtig auf irgendeine Person sein, aber je mehr Joshua erzählte, desto weniger konnte ich es leugnen. „Das war, bevor ich dich kennengelernt habe und irgendwie … strahlte er etwas aus, das mich sofort in seinen Bann zog.“ „Dann weihen wir heute dein Bett ein“, wechselte ich arg das Thema. „Ich habe ein Foto von ihm. Willst du mal sehen?“ Joshua zückte sein Handy und sah auf seinen aufleuchtenden Bildschirm. Sein Blick wurde sanft und liebevoll. Meine Eifersucht wuchs. Ich hatte nie auf Joshuas Handy gesehen oder seine Nachrichten gelesen. Es war unhöflich und privat. Selbst in einer Beziehung gab es noch Privatsphäre der einzelnen Partner. Ich wollte diese Grenze nicht überschreiten und doch ärgerte ich mich gerade jetzt darüber. Joshua hatte jemanden gesehen, der ihm auf Anhieb gut gefiel, von dem er sogar ein Foto bei sich trug. Scheinbar auf seinen Sperrbildschirm! Was war das für ein Typ? Warum musste Joshua den immer noch auf seinem Handy haben? Neugierig wie ich war, trat ich neben Joshua und lunschte auf sein Display. „WA-!!!“ „Ich glaube, das nennt man Liebe auf den ersten Blick.“ „Wo-woher hast du dieses Foto?!“ Das Foto zeigte einen Mann auf einem Stuhl sitzend, den Kopf im Nacken und die Augen geschlossen. Die Neonröhren beleuchteten ihn ungewohnt vorteilhaft, was bei Neonröhren schon einiges hieß. Ich konnte es nicht fassen! Das war in unserem Labor … das war … das … das war meine erste Nachtschicht gewesen! Kapitel 16: Vom Alltag, Courage und Verschwundenem -------------------------------------------------- Extra Kapitel 2: Vom Alltag, Courage und Verschwundenem Ich mochte Joshuas Wohnung mehr als meine eigene. Leider war sie ungünstiger gelegen, so verbrachten wir die meiste Zeit in meiner Wohnung. Der Unterschied beider Wohnungen bestand nicht nur in der Entfernung zum Labor, sondern und vor allem in ihrer Größe. Meine Wohnung war gute 10 m² kleiner als Joshuas. Das Schlafzimmer war kleiner, sodass mein Bett und der Kleiderschrank bereits den gesamten Raum ausfüllten. Wohnzimmer und Küche grenzten direkt aneinander. So gesehen stand meine Couch direkt neben dem Kühlschrank. Das klang cool, war es aber nicht. Nicht wenn man zu zweit dasaß und vor einem viel zu niedrigen Couchtisch auf dem Boden Frühstückessen musste. Mehr und mehr fühlte ich, als würde ich in einer Sardinenbüchse wohnen. Da Joshua öfters bei mir nächtigte, hatten wir irgendwann begonnen gemeinsam zu frühstücken. Beide waren wir keine Morgenmenschen und brauchten einen Moment, um wach zu werden. Heute jedoch … ich biss vom Toast ab und kaute in Gedanken darauf herum. Eigentlich hatte ich kaum Appetit. Mein Kopf war so voll und morgen war bereits Montag … Beim bloßen Gedanken daran, wurde das Stück Toast in meinem Mund zu einer unkaubaren Masse. „Mael, hier.“ Joshua hielt mir seinen Toast vor die Nase. Geistesabwesend biss ich ab. Essen zu teilen und zu schauen, ob der anderen das Gleiche mochte oder nicht, war auch ein fester Bestandteil unserer Esskultur geworden. Dieses Mal jedoch verzog ich angewidert das Gesicht. „Lewawust“, sprach ich mit vollem Mund. Ich hasste Leberwurst! „Ja, ich weiß.“ Ich besah mir seinen Toast und es war offensichtlich, was er draufgeschmiert hatte. Schwerfällig kaute ich es runter und spülte den Rest mit Milch hinter. Uwärg… „Warum bietest du es mir dann an?“ „Weil ich wissen wollte, wie geistesabwesend du bist.“ Fragend neigte ich den Kopf. Klar war ich in Gedanken gewesen, aber das war kein Grund mir Leberwurst zu reichen! Joshua deutete nur auf den Toast in meiner Hand. „Du isst seit einer halben Stunde an diesem trocknen Toastbrot, hast gerade mal vier bissen getan, beschmierst dein Brett mit Butter, lässt die Marmelade auf dem Messer und schaust als würdest du gleich brechen müssen.“ Ich folgte seinem Blick und tatsächlich war mein Frühstücksbrett ein Schlachtfeld für sich. Das erklärte, warum sich der Toast so schwer kauen ließ… „Geht es dir nicht gut? Bauchschmerzen oder so was? Schwanger kannst du nicht sein, also …“ Ich schmunzelte flüchtig und legte meinen angebissenen Toast beiseite. „Du bist süß. Danke. Aber … es ist nichts dergleichen, ich …“ Ich kaute auf meiner Unterlippe herum und wusste keinen Anfang. Joshua legte seinen Toast ebenfalls weg und lehnte sich gegen die Couch in seinem Rücken. Geduldig wartete er, während seine Augen nicht von mir wichen. „Ich will nicht, dass es aufhört…“ „Was aufhört?“ „… unsere Zusammenarbeit.“ „Du meinst, weil ich Montag die fertige Arbeit abgebe?“ Ich nickte schlicht. „Mein Herz, was ist daran so schlimm? Danach kommt das nächste Projekt und das Nächste. Wir finden schon was passendes.“ Joshua klang zuversichtlich und ich neidete ihm seine scheinbare Sorglosigkeit. „McFloyd hat mir angeboten in einen anderen Bereich zu wechseln.“ „Und du magst diesen Bereich nicht?“, fragte Joshua nach. „Nein, dass … es klingt sehr interessant und ich würde schon gerne, aber das wäre ein ganz neues Labor, ein ganz anderer Gebäudeteil und andere Kollegen. Wer weiß, ob ich mich da überhaupt zurecht finde…“ Joshua lehnte sich über den Tisch und nahm mein Gesicht in beide Hände. Ich war so unsicher, dass mein Blick sich einfach nicht vom Tisch lösten konnte. „Mael, du bist ziemlich begabt und schlau. Du lernst schnell und findest dich selbst in unbekannten Bereichen schnell zurecht. Wenn du das nicht hinbekommst, wer dann? Außerdem würde mein Vater dich nicht für eine solche Arbeit vorschlagen, wenn er sich deines Könnens nicht sicher wäre.“ „…“ Wenn das wirklich alles wäre. „Was noch?“, fragte Joshua als hätte er meine Gedanken gelesen. „Wir… wir hatten in letzter Zeit kaum Zeit für füreinander.“ Die Proben mussten engmaschiger überprüft werden. Joshua schrieb und ich führte die Kontrollen meist alleine durch. Unsere Arbeitszeiten im Labor überschnitten sich kaum noch und da ich Joshua in der Schreibphase nicht stören wollte, hauste jeder in seiner eigenen Wohnung. Heute war das erste Mal seit drei Wochen, dass wir wieder zusammen frühstückten und er die letzte Nacht bei mir geschlafen hatte. Ich hatte sogar angefangen ihn zu vermissen. Sehr zu vermissen. „Dazu kommen die neuen Gerüchte … Ich weiß, dass einiges davon kaum stimmen kann, aber“, wieder kaute ich an meiner Unterlippe. Ich war nicht eifersüchtig, nein, ich … war es doch. Aber weil ich Joshua eben nicht stören wollte, behielt ich die Gerüchte, sowie meine Sorgen um den Job und dass wir uns zukünftig noch weniger sehen würde, wenn ich den Job annehmen würde, und ich ihn jetzt schon viel zu sehr vermisste, für mich. Da Joshua weder etwas dazu sagte, noch etwas tat, schielte ich hoch. Den ganzen Morgen schon hatte ich ihn kaum angesehen. Nun leuchteten mir glückliche graue Augen entgegen. Joshua wirkte zufrieden und ich verstand nicht wieso. Ungewollt zog ich meine Augenbauen tiefer. „Du-“ Mein Protest kam nicht weit. Mein Gesicht in seinen Händen wurde näher gezogen und Lippen verschlossen meine eigenen, schmolzen etwas von meinem Ärger. Ich lehnte mich ihnen entgegen und schloss die Augen. Joshua blieb gefühlvoll und wäre der Tisch nicht gewesen, hätte er mich sicherlich näher gezogen. Ich drückte mich etwas am Tisch ab. So blieb der Kuss sanft und endete etwas verspielt. Weder ich noch er wollten uns vollständig lösen, doch die Pose zwang uns dazu. Es tat so gut! Drei Wochen … nachdem wir praktisch den ganzen Tag aufeinander geklebt hatten, waren drei Wochen die pure Folter gewesen! Wahrscheinlich hatten wir beide vorgehabt, es gestern Abend langsam angehen zu lassen. Im Endeffekt schafften wir gerade mal ein Pizzastück, ehe das erste Kleidungsstück flog. Klardenken, konnte ich erst viel später und selbst dann hing ich an Joshua. Einfach froh darüber ihn endlich wieder bei mir zu haben. „Ich bin froh“, eröffnete mir Joshua das Offensichtliche. „Worüber? Meine leidende Dummheit?“ Joshua strich mir über die Wange und verneinte. „Weil ich dich vermisst habe.“ Meine Augen wurden groß. Hatte er wirklich? Ich hatte es gehofft, ja, aber es zu hören war … verlegen drehte ich mein Gesicht in seinen Handflächen und nuschelte ein „Ich dich auch“ hinein. „Mael“, begann Joshua leise. „Du bist nicht dumm. Tatsächlich bist du neben Elias einer der schlausten und adaptivsten Menschen, die ich kenne. Selbst wenn es ein neues Labor und neue Kollegen sein sollten, wirst du dich schnell zurechtfinden. Und wenn das Thema dich interessiert, umso besser. Ich will dich nicht bei mir halten, wenn du dich woanders noch mehr entfalten könntest.“ „Und wenn ich einen neuen Kollegen kennenlerne und mich verliebe?“, nuschelte ich meine Frage. Joshua lachte nur, diesmal lauter, sodass ich mich löste und ihn fragend ansah. War das so abwegig? „Wirst du nicht“, sagte er selbstsicher. Ich wollte insistieren, doch seine Hand legte sich zärtlich zurück an meine Wange, sodass ich mich augenblicklich in sie schmiegte. „Nein, du wirst dich nicht verlieben. Weil du Hals über Kopf in mich verliebt bist und ich werde dich nicht gehen lassen. Selbst wenn du in einem anderen Labor arbeitest. Ich liebe dich viel zu sehr um mit irgendjemanden zu teilen. Du bist mein Engel, du bist mein Herz. Ich brauche dich.“ Er sah mir direkt in die Augen. Die ganze Zeit! Während er solch schwülstige Dinge sagen konnte ohne rot zu werden, sogar ehrlich und aufrichtig dabei auszusehen(!), wurde ich rot und röter. Vor allem das mit dem Engel… SO hatte er mich noch nie genannt und es trieb mir die pure Scham in die Wangen, weil mein Zweitname durchaus einer aus den himmlischen Heerscharen war. „Josh … i … wi-wirst du das auch noch sagen, wenn wir uns kaum mehr sehen können?“ „Das werde ich immer sagen. Außerdem ist es nicht garantiert, dass wir uns dann kaum mehr sehen können.“ „Wie meinst du das?“, fragte ich und vergaß für den Moment mein puterrotes Gesicht. Joshua indes strich mit dem Daumen sanft über meine Wange. „Wenn wir zusammenziehen, würden wir uns trotz allem noch sehen.“ Überrascht sah ich ihn an. Mein Herz begann einen spontanen Spurt. „Du meinst zu dir?“ Er schüttelte den Kopf. „Hatte ich erst überlegt, aber ich denke eine ganz neue Wohnung wäre besser.“ Ich dachte ernsthaft über diese Idee nach. Ein Zusammenzug wäre ziemlich perfekt, egal welche Wohnung. Die Idee war so einfach und doch hatte ich sie übersehen. Hätten wir eine gemeinsame Wohnung wäre es deutlich erträglicher, wenn wir in unterschiedlichen Laboren arbeiteten. Zudem machte es deutlich, dass sowohl er als auch ich uns wünschten, dass diese Beziehung nicht endete. Ich gestand es nicht gerne ein, doch je näher das Ende des Projektes kam, desto mehr fürchtete ich, dass diese Beziehung auch zu Ende gehen könnte. Ich stimmte zu und begann endlich ordentlich zu frühstücken. Meine Bedenken wegen des neuen Jobs waren wie weggeblasen. Übrig blieb nur noch die normale Nervosität, welche sich immer einstellte, wenn etwas Neues begann. Ich begrüßte die Idee eines Zusammenzuges. Auch wenn mir – wie immer – erst später dämmerte, was das bedeutete. Wir beendeten das Frühstück und fanden uns eine gute Stunde danach im Labor ein. Joshua hatte bereits alles fertig geschrieben. Wir kontrollierten die letzten Proben, trugen die Daten in die Tabellen ein und fertig. Selbst wenn sie unerwartet anders gewesen wären, hätten sie am Gesamtergebnis nichts geändert. Unser Werk vor uns zu sehen war schon erstaunlich. Nach dem Mittagessen gingen wir zum Drucker und Joshua druckte alles in zweifacher Ausführung aus. Er saß vor dem Laptop und ich neben dem Drucker. Jede frische Seite nahm ich, überprüfte sie auf Schönheit und legte sie ordentlich auf einen Stapel. „Was für Gerüchte sind eigentlich noch aufgekommen?“, fragte Joshua hinter seinem Laptop sitzend. „Ich war doch kaum hier.“ Mittlerweile nahm Joshua es ziemlich gelassen, dass einige (Damen) über ihn phantasierten. Bei einer kleinen Teamsitzung vor gut zwei Monaten platzte er ganz zufällig in ein Gespräch über den Grafen. Er spielte den Unwissenden und fragte die Damen über jene Person aus, über die sie gerade geredet hatten. Er war nachts auch oft im Labor, hätte aber solche Dinge noch nie gesehen. Die drei Damen, welche sich eben noch rege unterhalten hatten, verstummten und stotterten Antworten, welche adhoc ausgedacht waren. Joshua ließ sie nach einer Weile vom Harken. Später im Labor mussten wir beide lachen. Es war nicht nur lächerlich und peinlich gewesen, sondern es hatte auch Spaß gemacht zu sehen, wie sie versuchten Joshua auf Teufel komm raus davon zu überzeugen, dass nicht er gemeint war, sondern definitiv das Gespenst des Labors! „Es sind nicht wirklich neue Gerüchte …“, begann ich und spürte wie es mich erneut wurmte. „Ich weiß nicht, ob es so gekommen ist, eben weil du nicht da warst oder die Damen sich das schon geraume Zeit so dachten, aber …“ Ich seufzte schwer und wollte es gar nicht erwähnen. „Ich habe letztens eine E-Mail bekommen. Ich nehme an, dass sie eher versehentlich an mich geschickt wurde. Jedenfalls enthielt sie einen kurzen Text und einen Anhang.“ „Was stand in dem Text?“, fragte Joshua. „‘Marry, hier die Neufassung. Ich bin soooo gespannt was du dazu sagen wirst‘“, rezitierte ich. „Dazu gab es noch Herzsmileys.“ „Und was stand im Anhang?“, fragte Joshua weiter und lunschte hinter seinem Laptop hervor. Ich sah nur flüchtig zu ihm und nahm das nächste Blatt. Es beschämte mich und machte mich eifersüchtig zur gleichen Zeit. Selbst wenn ich das Original hatte, war das … „Dort standen auf fünfzehn Seiten zwei ältere Gerüchte ausgeschrieben. In Romanform. Ich war neugierig und hab‘s gelesen. War ganz gut geschrieben …“ Joshua rollte mit dem Bürostuhl gänzlich von seinem Laptop weg und sah mich an. Sein Blick erst studierend, dann heiterte er sich auf. Mit einem Grinsen frage er: „Du bist eifersüchtig? Was stand darin?!“ „Nicht wirklich“, versuchte ich meine Verstimmung abzudämpfen. „Mael, mein liebstes Engelchen, verrat es mir.“ „Könntest du das mit dem Engel bitte lassen?“, fragte ich hochrot. Er grinste nur. Wahrscheinlich war das ein „nein“. Er liebte es, wenn ich rot wurde und ich liebte es, wenn er grinste. Charmant, spitzbübisch mit einem Hauch von Unheil. Es stand ihm und machte mich schwach. In deutlich pragmatischeren Worten schilderte ich, was ich gelesen hatte. Das erste Gerücht bezog sich auf eine Kollegin, welche sich dem Grafen in drei Nächten näherte. Jede Nacht war reizvoller und pikanter geworden. Schließlich wäre es beinahe zum Kuss gekommen, doch er biss sie nur und sie floh. Das zweite Gerücht war ähnlich. Eine junge Kollegin, des Nachts allein im Labor. Sie war pragmatischer und verfiel dem Grafen nicht. Zunächst. Am Ende gab es wildes Stelldichein, welches mir die Röte in die Wangen getrieben hatte. „Das ist komisch … Bisher waren die Gerüchte nur kurz und eher witzig. So viel Romantik ist eher ungewohnt“, sinnierte Joshua. Ich schwieg und konzentriere mich auf die Ausdrucke. Joshua schob sich zurück vor den Laptop und nach gut dreißig Minuten waren wir fertig. Alles ordentlich eingeheftet, verließen wir den Druckerraum. Die Flure waren gewohnt leer für einen Sonntag. „Ich glaube, der erste Teil ist wirklich passiert.“ „Was meinst du?“ „Es gab mal eine Kollegin, die einige Tage mit mir zusammengearbeitet hatte und sich ständig in meiner Nähe aufhielt. Aber das war tagsüber gewesen.“ Ich blieb abrupt stehen. Unwillkürlich spannte ich mich an und spürte eine Welle von hässlichen Emotionen in mir aufwallen. Joshua drehte sich zu mir um und lächelte nur sanft. „Das war vor mehr als zwei Jahren“, erzählte Joshua, während er vor mich trat. „Ich bemerkte ihre Annäherungsversuche zunächst gar nicht, weil ich nicht interessiert war. Schließlich wurde sie sehr deutlich mit ihren Avancen, sodass ich sie zurechtweisen musste.“ Joshuas Hand legte sich an mein Kinn und hob es an. Nicht mehr ganz so verstimmt, aber auch nicht glücklich darüber, sah ich ihn an. „Danach sah ich sie kaum mehr. Zu keiner Zeit kam ich ihr näher als dir jetzt. Es wurde also deutlich ausgeschmückt.“ Ich seufzte schwer. Mein Blick wich flüchtig zur Seite aus, fixierte dann wieder das Grau seiner Augen. Nach dem Lesen hatte ich mir selbst eingeredet, dass die Autorin einige Stellen sicherlich nur ausgeschmückt hatte. Jedoch tat es gut, es von Joshua selbst zu hören. „Und das andere Gerücht?“ Joshua schüttelte den Kopf. „Ich bin nur mit einer Person je zu weit gegangen und die steht vor mir.“ Es war das erste Mal, dass mir Gerüchte so zu schaffen gemacht hatten. Vielleicht war es wirklich so, dass die Fans sich zunehmend Dinge ausdachten, wenn ihnen ihr Vorbild keine realen Ereignisse mehr lieferte. Nach der Sache mit der blonden Schönheit im Laborkittel dürfte ihre Fantasie angeregt genug sein, oder nicht? Am Montag fanden wir uns beide im Büro des Laborleiters ein. Joshuas Vater hatte ich bisher zweimal privat getroffen. Seitdem sah McFloyd mich immer mit einem sehr wohlwollenden, väterlichen Lächeln an. Es war gruselig und bestärkend zur gleichen Zeit. Jetzt gerade war es gruselig. Joshua legte den Bericht vor McFloyd auf den Tisch und lehnte sich anschließend in seinem Stuhl zurück. Schön, dass Joshua so gelassen war, ich konnte mich hier einfach nicht entspannen, selbst wenn die gläsernen Wände eingefärbt waren. „Danke für eure harte Arbeit. Die Ergebnisse hatte ich bereits mit dem Ausschuss diskutiert. Sie sind hier rauf schon gespannt“, erklärte McFloyd und tippte auf den gebundenen Blätterstapel. „Was eure nächsten Projekte angeht … habt ihr darüber nachgedacht?“ Mir wurde mulmig im Bauch. Auch Joshua hatte ein neues Themengebiet bekommen. Würden wir beide annehmen, sähen wir uns wirklich kaum mehr auf Arbeit. Mit dem Wissen, dass wir zusammenziehen würden, legte sich diese Beklemmung etwas. Jedoch … Ein Zusammenzug bedeutete viel Stress. Wohnungssuche, Zusammenwurf von zwei Haushalten in einem … als ich mir das genauer überlegt hatte, wurde mir bewusst, was wir vorhatten. Schließlich zogen wir nicht als Freunde zusammen, sondern als Paar und das verursachte einen neuen Ausbruch an Ameisen und Schmetterlingen in meinem Bauch. „Passt schon. Ich werde mich daran versuchen“, sagte Joshua. „Und du?“, fragte McFloyd mich. Meine Kehle war so trocken, ich bekam kaum den Mund auf. „Ich … würde mich ebenfalls versuchen“, nahm ich mir Joshuas Antwort als Vorlage. „Gut, gut. Ich habe euch vorgeschlagen, weil ich denke, ihr habt das Potenzial dafür. Ich hoffe, die unterschiedlichen Labore werden euch nicht die Zeit füreinander rauben.“ Ich wurde rot. Ich mochte meinen Chef ja irgendwo, aber er wechselte von geschäftlich zu privat in nur einem Satz. „Das ist ok“, warf Joshua ein. „Wir ziehen zusammen, dann sollten unterschiedliche Labore kein Problem darstellen.“ „Ohh, davon höre ich zum ersten Mal.“ Ich würde jetzt gerne im Boden versinken, danke. Joshua sah mich an und grinste nur. „Warum auch nicht? Es ist die einfachste Variante sich täglich zu sehen.“ „Hmm“, machte McFloyd nachdenklich und es gefiel mir nicht. Als Chef wahrte er Grenzen, als Vater, und Schwiegervater in meinem Fall, leider nicht. Kein Wunder, dass Joshuas sich nicht bei seinem Vater gemeldet hatte, als er krankgewesen war. „Braucht ihr Hilfe bei der Wohnungssuche? Ich kenne eine gute Maklerin.“ Joshua schüttelte den Kopf. „Noch nicht, danke.“ „Nehmt ihr eure alten Möbel mit? Wir können euch auch neue besorgen“, schlug McFloyd begeistert vor. „Ich kenne auch einen Maler, falls ihr die Wände streichen wollt. Andererseits … das macht zu zweit mehr Spaß, nicht wahr?! Ah, wir haben auch noch den großen Sprinter. Den könnt ihr gerne für den Möbeltransport benutzen. Zurzeit nutzt den keiner.“ Ich fand es zuvorkommend und irre peinlich, dass mein Chef nach zwei Sekunden sachlicher Besprechung in den Familienmodus wechselte und uns allerlei Dinge vorschlug an die ich noch nicht mal gedacht hatte. Möbel, Streichen, Transport, Kisten für den Kleinkram, Nachmieter … SO WEIT WAR ICH NOCH NICHT! „Wenn ihr zusammenzieht, kann ich dann auch mit Enkeln rechnen?“ Ich hatte angestrengt auf meine Hände im Schoß gesehen. Nun sah ich auf. Puterrot. „Wa-was?“ „Es müssen keine biologischen sein“, winkte McFloyd gnädig ab. „Aber ein paar Enkel wären schon schön.“ „E-ein paar?“ Schon wich das Puterrot einer Leichenblässe. Joshua nahm meine Hand und drückte sie sanft. „Darüber haben wir noch nicht gesprochen. Aber ich fände es auch nicht schlecht, erstmal eine Weile zu zweit zu leben.“ Mein Herz fing bei dem Gedanken an wieder gleichmäßiger zu schlagen. „Wie ihr wollt. Aber denkt dran, ich bin nicht mehr der Jüngste“, warf McFloyd ein. „Das weiß ich. Aber du kennst meine Meinung zu dem Thema.“ „Ja, ja. Hätte ja sein können, dass Max sie mittlerweile geändert hätte. Immerhin wirkt er sehr fürsorglich.“ „Bitte?“, warf ich ein und spürte meine Wangen aufflammen. „Das ist er auch. Aber noch bin ich nicht bereit, das zu teilen“, antwortete Joshua. „Aber heiraten werdet ihr doch! Das muss sein. Ich möchte so gerne eine Hochzeit ausrichten oder wenigstens die Flitterwochen bezahlen.“ Auch darüber hatten wir noch nicht gesprochen. Herrje! Wir wollten doch nur zusammenziehen! Auch wenn ich, spontan gedacht, nichts dagegen hätte Joshua ewig an mich zu binden oder dass wir all das nicht zahlen müssten, so mussten doch wenigstens er und ich darüber geredet haben! Mein Herz fuhr eine Achterbahn, bei der mir schwindlig wurde. Tatsächlich fühlte ich mich schwach auf den Beinen, als wir endlich das Büro verließen und durch die gefüllten Flure wandelten. Die alltägliche Hektik brachte mich zurück ins Jetzt und ließ mich alles andere auf später vertagen. Joshua ging neben mir her. Er schwieg, doch spürte ich seinen Blick auf mir. „Darf ich denn?“ Mein Kopf schoss hoch und ich wurde rot. „Wa-was genau meinst du?“ Frag mich jetzt nicht nach einer Heirat oder Kindern, bitte, frag nicht! „Dich versuchen.“ „Hä?“ „Du hast gerade gesagt, dass du dich ‚ebenfalls versuchen‘ würdest. Dem stimme ich zu und möchte dich auch versuchen.“ Er lächelte amüsiert, beugte sich dann zu meinem Ohr und flüsterte: „Oder vernaschen, welches Verb auch immer dir lieber ist.“ Mit erneuten roten Wangen drehte ich mich weg. Dieser…! „V-vernaschen ist ok. Aber nicht auf Arbeit.“ „Schade, aber ok. Dann eben heute Abend.“ Ich sah zu ihm und er lächelte wie immer. Das Grau glänzte wie frischer Schnee und seine Haltung wirkte entspannt und zufrieden. Es beruhigte mich. Auch dass Joshua scheinbar einen Schritt nach dem anderem gehen wollte. Ich freute mich auf den Zusammenzug und die gemeinsame Zeit. Kinder oder Heirat, so verlockend das ein oder andere auch klingen mochte, waren mir noch zu groß. Mit einem neuen Arbeitsbereich genügte es mir Joshua für mich allein zu haben. Im Labor angekommen, begrüßten wir Elias. Neugierig wie er war, schielte er nur kurz von seinem Mikroskop auf und fragte sogleich wie es gelaufen war. Joshua berichtete, während ich mich auf meinen Stuhl setzte und etwas Wasser trank. „Und warum schaut Max so aus, als hätte er einen Marathon hinter sich?“ Weil dem so war? Eine emotionale Achterbahnfahrt mit fünf Loopings. „Mein Vater hatte gefragt, ob uns die baldige Trennung durch die Labore etwas ausmachen würde. Du kennst ihn doch. Er will möglichst immer das doppelte, positive Ergebnis erzielen. Da habe ich ihm gesagt, dass wir zusammenziehen werden und er-“ „Josh!“, fiel ich ihm ins Wort. „Ja?“ „Nicht hier auch noch. Elias …“ Ich sah zu Elias und merkte, es war zu spät. Seinen Blick von den Mikroben abgewandt, funkelten seine Augen bereits vor Neugierde. „Ihr zieht zusammen?“ „…“ „Wann? Wohin? Wenn ihr Hilfe braucht, sagt Bescheid.“ Diesmal wiegelte ich ihn ab. Vor Elias hatte ich nicht so viel Schiss wie vor Joshuas Vater. Obwohl etwas Hilfe seitens meines Freundes hilfreich gewesen wäre. Stattdessen stand er neben mir an den Tisch gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt und feixte. „Ich finde das toll“, sagte Elias aufrichtig. Entspannt, das Thema beendet zu haben, lehnte ich mich zurück und nahm noch einen Schluck Wasser. „Heiratet ihr dann auch? Ihr könntet ein Kind adoptieren.“ Ich prustete beinahe, verschluckte mich jedoch mehr an dem Schluck Wasser in meinem Mund. „Was?“, fragte ich keuchend, denn Joshua amüsierte sich mehr über meine Reaktion als mir zu helfen. „Ich meine, du kannst ja schlecht Schwanger werden. Oder wollt ihr ein Kind über eine Leihmutter haben?“ Zum wiederholten Mal lief ich rot an. Ich konnte mittlerweile einige verwerfliche Dinge mit Joshua tun ohne prüde zu sein. Aber das hier? Dafür war ich noch nicht bereit! „Wir wollen nur zusammenziehen. Mehr. Noch. Nicht.“ Meine Stimme klang streng und gereizt, doch wurde die Warnung darin von meinem glühendroten Gesicht verharmlost. Dass die Wohnungssuche ihre Zeit brauchen würden, war mir bewusst gewesen. Dass sich währenddessen alles so verworren gestaltete, war einfach schlechtes Karma. Oder das Universum mochte es mich zu ärgern. Meine Mutter hätte gesagt „Der Herr legt dir eine Prüfung auf. Bestehe sie.“ Was auch immer es nun war. Ich war gestresst. Jede Aktion einzeln für sich genommen, machte mir Spaß, aber alles zusammen war organisatorisch schwer zu bewältigen, wenn man vom Essen, Schlafen oder einer Pause absah. In der letzten Woche im gemeinsamen Labor hatten Joshua und ich unsere verbleibende gemeinsame Arbeitszeit sinnvoll nutzen wollen. Zum kuscheln oder so. Aber es gab viel für den Umzug ins neue Labor vorzubereiten, Sachen zu packen und hin und her zu schleppen. Ich wusste nicht mal, dass sich so viel Zeug angesammelt hatte. Ein Teil meiner Arbeitszeit ging beim Vorstellen der neuen Kollegen drauf sowie der Besichtigung des neuen Labors. Joshua würde mit Elias in dessen Labor bleiben. Er bekam lediglich ein neues Projekt, welches zwar umfangreich, aber leicht alleine zu bewältigen war. Ich war in einem ganz neuen Komplex. Wir waren ein Team aus zehn Leuten, elf mit mir. Unsere Aufgabe bestand darin alte Rezepte aufleben zu lassen. Vor einiger Zeit hatten Archäologen ein mittelalterliches Rezeptbuch gefunden. Das meiste darin waren Essensrezepte. Doch einige wenige stammten aus der Feder eines Arztes oder Quacksalbers, wie man auch immer die frühen Ärzte und Apotheker nannte. Aus Knoblauch, Zwiebeln und einigen anderen schnell zu bekommenden Zutaten, entstand ein Sud, der zumindest im Büchlein angepriesen wurde. Nach zahllosen versuchen, um die richtige Mischung herauszufinden, da es keine Mengenangaben enthielt, entstand ein frühes Antibiotikum. Die Aufregung in den Reihen der Forscher war enorm. Viele versuchten ihre Finger an solche Rezepte zu bekommen und damit selbst einen Durchbruch zu erzielen. Der Ruhm lockte viele. Mein Arbeitgeber hatte eines dieser Bücher in die Hände bekommen. Seit knapp einem halben Jahr tüftelten meine neuen Kollegen an einigen Rezepten. Manches davon, so wurde mir berichtet, ergab ein wirklich leckeres Essen oder eine leicht ölige Handcreme. Ich war aufgeregt hier arbeiten zu dürfen. Alles war neu, so auch die Zusammenarbeit mit einer Germanistin. Die alten Texte waren schwer zu lesen und zu verstehen. Sie half uns dabei. Das Klima war locker und wie Joshua bereits vorhergesagt hatte, fand ich mich schnell zurecht und bügelte fehlendes Wissen durch schnelle Recherchen aus. Die Stimmung in meinem Labor war gut. Ab und an traf ich mich mit Joshua und Elias zum Mittagessen. Die Feuertaufe war bestanden, die Gerüchte geklärt und dennoch fühlte ich mich nicht wohl, wenn ich alleine war. Beinahe etwas gehetzt ohne einen Grund zu haben. Während dieser Eingewöhnungsphase fanden Joshua und ich eine Wohnung. Sie lag näher am Labor als Joshuas, aber weiter weg als meine. Die Quadratmeter passten und wir hatten drei Zimmer zur Verfügung. Ich hätte gedacht uns würden zwei Zimmer ausreichen, doch Joshua meinte, dass ein Arbeitszimmer immer praktisch wäre. Die Miete war ok und nach einem kleinem Lärmtest schienen die Wände auch bestanden zu haben. Das Gute daran war, dass die Wohnung bereits leer und weiß gestrichen war. Mit den großen Fenstern wirkte sie hell und luftig. Da ich gerne etwas Farbe hätte, einigten wir uns darauf erst zu Malern. Wir gingen in den Baumarkt, suchten Farben aus und entschieden uns für grau und beige. Es würde maximal eine Wand pro Zimmer Farbe bekommen. Wir nahmen an, dass wir schnell fertig werden würden und zügig anfangen könnten einzuräumen. Jedoch kamen wir durch die Arbeitszeiten kaum dazu, zu zweit zu agieren. Es kostete uns viel Geduld und eineinhalb Wochen, ehe wir endlich anfangen konnten. Während dessen liefen die Kündigungsfristen für unsere Wohnungen langsam aus. Joshua schien das alles sehr entspannt zu sehen, während ich mich immer öfter dabei erwischte wie ich ungeduldig mit dem Bein wackelte. Es machte mich nervös, dass wir noch immer am hin und her räumen waren. Es machte mich nervös, dass wir zusammenzogen. So richtig, als Paar und verliebt und so. Es machte mich auch nervös, dass sowohl Joshuas Vater als auch Elias sofort auf das Thema Heirat und Kinder zu sprechen gekommen waren. Ich liebte Joshua wirklich sehr, aber das waren Themen über die ich noch nicht nachgedacht hatte. Die ich bisher für mich noch nicht mal in Betracht gezogen hatte! Kinder, ja schon, irgendwann mal. Obwohl ich gehofft hatte, zuvor mit meinen Eltern ins Reine kommen zu können, was ich nach heutiger Sicht eher als äußerst Unwahrscheinlich einschätzte. Zudem waren das Gedanken für den Fall gewesen, wenn ich mit einer Frau zusammen gewesen wäre, die mir eröffnete, dass sie schwanger sei. Mit Joshua waren diese Gedanken hinfällig und irgendwie … auch nicht greifbar. Über eine Heirat hatte ich bisher noch nie nachgedacht. Allein weil meine Mutter immer gewollt hatte, dass ich ein gläubiges Mädchen heiratete und es eine große kirchliche Feier gäbe. Ich hatte ihnen immer noch nicht gesteckt, dass ich nun vergeben war. An einen Mann. Obwohl die Vorstellung, dass meine Mutter einen Herzinfarkt bekommen könnte, sobald sie davon erführe, wiederum sehr verlockend war. Nachdem wir meine Wohnung leergeräumt hatten, fühlte ich mich etwas ruhiger. Eine Kündigungsfrist weniger, welche wir einhalten müssten. Glücklicherweise hatten Elias und Michael von der Arbeit Zeit uns zu helfen. Es waren Hauptsächlich Kisten. Ich besaß wenig Mobiliar und noch weniger davon nahm ich mit in die neue Wohnung. Einiges passte gut ins Arbeitszimmer, der Rest kam auf den Sperrmüll. Couch, Bett und dergleichen nahmen wir von Joshua. Den Rest kauften wir neu. Ein paar Tage später, machten wir uns an Joshuas Wohnung zu schaffen. Wir hatten einen großen Umzugswagen bestellt und die schweren Möbel, wie Bettgestell, Kleiderschrank, Couch, Couchtisch, Fernseher, etc., von Möbelpackern bereits nach unten bringen lassen. Den Rest schafften wir alleine. Wir hatten vereinbart, dass die Möbelpacker von uns angerufen werden würden, sobald wir in der neuen Wohnung angekommen wären. Dann würden die freundlichen Schwergewichte helfen, alles an Ort und Stelle zu tragen. Die meisten Umzugskartons befanden sich ebenfalls im Umzugswagen. Nach einer frühen Mittagspause ging es weiter. Ich packte einen der letzten Umzugskartons mit diversen Resten, welche sich hier und dort noch hinter Möbeln und Schränken in Joshuas Wohnung angefunden hatten. Ein Foto, welches hinter einen Schrank gerutscht war, Knöpfe, Geld, ein Handschuh und ähnliche Dinge. Ich versuchte alles ordentlich in den Karton zu stapeln, was bei der schieren Menge an unterschiedlichen Gegenständen unmöglich erschien. „Mael?“ „Hm?“, antwortete ich, ohne mich umzudrehen. „Hattest du die Zettel damals gezählt?“ „Meinst du die Klebezettel, die ich in deiner Wohnung verteilt hatte? Ja, es waren Vierundvierzig. Warum fra-“, ich brach ab und drehte mich zu Joshua um. Er stand im Flur neben seinem Schlafzimmer und hielt einen pinken, sehr staubigen Notizzettel in der Hand. Er las die Worte auf dem Zettel. Mit zwei Schritten war ich bei ihm und haschte nach dem Zettel. Ich bekam das pinke Ungetüm zu greifen und zerknüllte es in meiner Hand. Joshua agierte einen Tick zu spät. Als er sah, wie ich den Notizzettel zerknüllte, haschte er nicht mehr nach dem Zettel, sondern nach mir. Eifrig verschränkte ich die Arme vor der Brust und wollte verhindern, dass Joshua dieses peinliche Zeugnis meiner Verliebtheit und Unfähigkeit noch mal zu Gesicht bekam. Verdammt, ich hatte angenommen, dieses Stück Pink würde nie gefunden werden! Es war mir nicht nur peinlich, weil ich solch schnulziges Zeug geschrieben hatte, sondern auch, weil ich den Kuss damals als ein persönliches Geschenk für mich angesehen hatte, weil es mein Geburtstag gewesen war. Joshua zog mich in eine feste Umarmung. Statt meine Arme auseinander zu ziehen und den Zettel zu bekommen, umschloss er mich mit seinen und verbarg sein Gesicht an meinem Hals. Langsam legte sich meine hektische Aufregung, wandelte sich in Verwunderung und schließlich leichtes Herzrasen. Küsse bedeckten meinen Hals, Zähne zogen an der empfindlichen Haut. „Josh…“ „Warum hast du es mir damals nicht gesagt?“ „Was denn?“ „Dass ein Zettel fehlt. Ich-“ „Du- was? Hättest ihn gesucht? Wie hätte das denn ausgesehen? Vor allen mit dem Inhalt! Wer bitte schreibt so was Altmodisches noch auf? Und wer bitte verlangt eine Antwort auf so eine peinliche Frage!“ „Das ist nicht peinlich, sondern süß. ‚Ich habe mich in dich verliebt. Willst du mit mir gehen. Ja, Nein, Vielleicht.‘ Das finde ich süß.“ Er vergrub sein Gesicht erneut und nuschelte warm gegen meinen Hals. „Ja. Ich kreuze ‚Ja‘ an.“ Abrupt löste sich Joshua von mir und drehte mich um. Seine Hände legten sich an mein Gesicht und zogen mich zu einem Kuss. Etwas überrascht blinzelte ich, ehe ich Joshua nachgab und erwiderte. Der Notizzettel in meiner Hand war schnell vergessen. Ich schlang meine Arme um Joshuas Nacken und seine Hände wanderten an mir herunter, griffen mich fest am Hintern und zogen mich nah an Joshua heran. Meine Beine wickelten sich von selbst um ihn und der Kuss wurde hitzig. Mit gewohnter Leichtigkeit trug Joshua mich in das Schlafzimmer zurück. Die Matratze lag noch auf dem Boden, war blank, etwas rauer als üblich und Joshua war sanfter als jemals zuvor. „Das war unnötig“, meckerte ich und stellte den letzten Karton in den Umzugswagen. Joshua grinste hämisch und überglücklich. „War es nicht.“ „Doch war es“, hielt ich streng dagegen. „Wir müssen nur mehr bezahlen, wenn wir zu spät anrufen.“ Joshua stellte den von ihm getragenen Umzugskarton ebenfalls in den Wagen und sah mich an, eine Hand locker in die Hüfte gestemmt. „Und dennoch hast du es genossen.“ Ich wurde rot. Wie könnte ich nicht? Joshua war zärtlich und wusste genau, welche Stellen meines Körpers er berühren musste, damit ich vergas was ich eigentlich tun wollte. „Deine Matratze ist noch neu… Wenn wir wenigstens ein Laken oder so was drunter getan hätten“, insistierte ich. Joshua hatte zwar aufgepasst, trotzdem war von diesem kurzen Intermezzo etwas danebengegangen. Während ich mich schämte, seine gute Matratze beschmutzt zu haben, wobei wir meine Alte erst weggeschmissen hatten, freute Joshua sich wie ein Trollkönig, der aus dem Grinsen nicht mehr herauskam. Zugegeben, so glücklich hatte ich ihn lange nicht gesehen. Es war schon irgendwie süß und ließ meinen Ärger etwas verfliegen. Joshua kam mir näher und kesselte mich zwischen sich und dem Laderaum ein. Sein Blick war fröhlich, verspielt mit einem Hauch von Verschlagenheit. „Bald kannst du so viele Laken darunter haben wie du magst. Dieses Bisschen ist nun wirklich nicht der Rede wert im Vergleich zu dem was wir bisher schon getan haben.“ Den letzten Rest sprach Joshua leiser, verruchter und trieb mir allein der Erinnerung wegen die Röte wieder in die Wange. „Maximillian?“, erklang eine strenge, wie fragende Stimme. Mein tuffiges Gefühlsleben wurde tiefgefroren und mit Eiswasser übergossen. Stocksteif sah ich an Joshua vorbei, ehe er zur Seite trat und sich umdrehte. Meine Mutter stand in ihrem Freitagskostüm adrett und fein wie eine Dame aus den späten 1920ger Jahren vor mir. Ihr Gesicht war leicht entgleist und erste rote Flecken zeichneten sich auf ihrem Hals ab. „Mutter … was … machst du denn hier?“ Das Letzte, nein, die Letzte, die ich in der Innenstadt, in diesem Stadtteil und dieser Straße erwartet hätte, war meine Mutter gewesen. Nicht nur, dass Joshua und ich ziemlich eng beisammengestanden hatten, seine Worte waren auch deutlich gewesen. „Maximillian Mael Finnigan! Erkläre mir SOFORT was du hier tust. Wer ist dieser Mann und warum stehst er so unziemlich bei dir?“ „…“ „Deine Mutter?“, fragte Joshua sanft, während mir sämtliche Worte verloren gegangen waren. Ich schämte mich nicht für meine Liebe zu Joshua, doch das was jetzt kommen würde, würde mehr als unschön werden. Joshua war durchaus sehr offen aufgestellt, doch würde er auch meine Mutter überstehen können? Stumm nickte ich auf seine Frage hin. Joshua wandte sich vollends meiner Mutter zu und reichte ihr die Hand. „Schönen guten Tag. Mein Name ist Joshua Fritz. Schön Sie kennenzulernen.“ „Das kann ich nicht erwidern“, waren die kalten Worte meiner Mutter. „Ich bin hergekommen, weil mein Sohn mal wieder seine Pflichten vernachlässigt und seine Familie nicht besucht. Lange genug habe ich mir das mit angesehen und wäre es nur das, hätte ich es vielleicht noch geduldet, dass sein Verstand von dieser Wissenschaft so irregeführt wurde. Aber DAS hier.“ Mit ‚DAS hier‘ meinte sie Joshua und sah abfällig an ihm hoch und runter. Solch eine Abneigung hatte ich noch nie bei einem Menschen einem anderem gegenübersehen können. Nicht mal bei Binks, als er mich abserviert hatte. „Maximillian, so habe ich dich nicht erzogen. Du kannst nur eine echte, funktionierende Familie aufbauen, wenn du eine Frau ehelichst, die fromm und gläubig ist. Was denkst du dir dabei mit ‚so was hier‘ zu verkehren? Und dann auch noch vor mir und deinem Vater geheim zu halten! Schäm dich. Vor Gott und deiner ganzen Familie. Wie willst du mir so je Enkel schenken können! Und dieses Auto? Ich hoffe, du hilfst dieser Person nur umzuziehen und nichts anderes. Alles andere wäre ein Skandal für unsere Familie! Und das nachdem dein Bruder endlich zu uns gefunden hat. Oh Gott, oh Gott! Ich hatte so sehr gebetet, dass diese grässlichen Gerüchte nicht wahr sein mögen.“ „Was für grässliche Gerüchte? Und von wem bitte?“, fragte ich perplex. Meine Mutter schnaubte abfällig und verschränkte die Arme vor ihrer hochgeschnürten Brust. „Lenk nicht vom Thema ab! Du bist schon so alt, da hätte ich längst zwei oder drei Enkel von dir haben können. Ich preise deinen Freund, der war so freundlich war, mich auf deine Missstände hinzuweisen.“ „Was für Missstände?“, fragte nun Joshua. „Junger Mann halten Sie sich da raus. Das ist eine Familienangelegenheit.“ „Dann möchte ich umso mehr wissen, von welchen Missständen Sie reden“, beharrte Joshua. „Mael ist mein fester Freund seit fast einem Jahr. Wir ziehen zusammen und ich werde mir nicht ihre Erlaubnis holen, wenn ich ihn ehelichen will.“ Mir lief bereits der kalte Schweiß herunter, doch nun war es als wären meine Schweißporen zugefroren und ich entwickelte mich zu einem Vulkan, der jeden Moment an innerer Hitze implodieren würde. Bitte was?! Meiner Mutter schien es ähnlich zu gehen. Ihre Flecken wurden zu großen Quaddeln und ihre Gesichtsfarbe wechselte von aschgrau, zu grün zu wütend-rot. Tadelnd erhob sie ihren Finger. Früher hatte ich vor dieser Geste immer Angst. Ihr erhobener Finger gefolgt vom kommenden Wutausbruch war für mich schlimmer als eine Ohrfeige. Indes wirkte diese Pose gegenüber Joshua einfach nur kläglich und klein. Wie ein wütendes, hüpfendes, aufgeblähtes Hühnchen. „Was erdreisten Sie sich! ICH bestimme wer in diese Familie einheiratet und SIE werden das bestimmt nicht sein! Maximillian! Komm sofort hierher und entsage diesem … Etwas!“ Joshua bewegte sich, bereit zu kontern, als ich einen Arm ausstreckte und ihn zurückhielt. Ich war immer noch panisch, mein Inneres chaotisch und trotzdem sprach ich mit einer Ruhe, die selbst ich als gruselig empfand. „Josh ist ein Mensch, Mutter, kein Etwas. Er ist gütig, geduldig und sieht die Menschen wie sie wirklich sind. Er ist wesentlich toleranter als du es jemals warst. Verrate mir bitte, was hieran falsch ist. Heißt es nicht, Liebe ist rein und nährt ihre Nächsten. Liebe entbehrt jeder Verurteilung und verzeiht, wo es alles Weltliche und Herrschende nicht kann. Ich liebe ihn und ziehe mit ihm zusammen. Verzeih, dass ich nicht zu Hause vorbeigekommen bin, aber meine Arbeit hat es zeitlich einfach nicht zugelassen und das bisschen Freizeit wollte ich lieber mit meinem Freund verbringen. Da Andreas bei euch ein und aus geht, dachte ich, ihr seid mehr als zufrieden ‚ein‘ gelungenes Kind zu haben. „Josh hat recht, wenn er sagt, dass er deine Erlaubnis nicht braucht, denn ich allein werde sie ihm erteilen. Ob es eine Heirat oder Kinder sind und ja, Mutter selbst wir können Kinder haben. Aber selbst, wenn wir jemals Kinder haben werden, würde ich mir alle Mühe geben, sie vor dir und deiner selbstzerstörerischen Art fernzuhalten.“ „Dass du die edlen Lehren so auslegst! Was habe ich nur falsch gemacht, dass du so geworden bist? Wo ich dir solch einen schönen Namen gegeben habe“, klagte sie. „Ich hätte den Pastor den Exorzismus machen lassen sollen. Nein, einer hätte sicherlich nicht gereicht. Das was DU Liebe nennt ist Verwirrtheit und unnatürl-“, murmelte sie vor sich her, ehe sie von Joshua arg unterbrochen wurde. „Hören Sie sich eigentlich selbst reden?“, fragte Joshua aus dem Blauen heraus. Meine Mutter sah giftig auf, als stände der Leibhaftige vor ihr. Mein Joshua legte indes seinen Arm um meine Schulter und zog mich an sich. „Ich habe weder meine Mutter noch meinen Vater gekannt, doch ich bin mir sicher, jeder von ihnen wäre fürsorglicher und liebevoller gewesen als Sie es jemals sein könnten. Wie hält Ihr Mann es an Ihrer Seite aus? Können Sie überhaupt über Liebe reden? Verstehen Sie die Bedeutung dahinter? Mein Ziehvater war nicht der strengste Vater. Hier und da hätte ich mir eine andere Federführung von ihm gewünscht. Aber ihn ziehe ich Ihnen hundertmal vor. Mael tat gut daran sich von Ihnen zu lösen. Wahrscheinlich ist er das Wärmste was Sie jemals hervorgebracht haben.“ „Was erdreisten Sie sich?! Ich sollte die Polizei rufen! Man sollte Sie wegschließen!“, geiferte meine Mutter, während Joshua von mir ließ und die Türen zum Laderaum schloss. „Ich werde Sie anzeigen!“ Joshua griff meine Hand und zog mich sanft zurück ins Haus. Meine Mutter wetterte weiter. Es war nicht schön und nicht mal peinlich. Sie tat mir einfach nur leid, dass sie aus ihrer verborten, steinalten Haltung nicht herausfand. Zu gerne hätte ich gewusst, was in ihrem Leben passiert war, dass sie sich so gegen Änderungen wehrte. Sie benahm sich nicht wie eine normale Gläubige, sondern wie eine verdrehte Sektenanführerin. Ähnlich wie in dem Kinofilm Midsummer. Krank und doch musste man hinsehen. „Was war das?“, fragte Joshua mich als wir nicht nur die Eingangstür hinter uns geschlossen hatten, sondern auch die Haustür. Mit mindestens zwei geschlossenen Türen zwischen uns und meiner Mutter, könnte man meinen, sicher zu sein. Joshua hatte die Augenbrauen tief nach unten gezogen. So sauer habe ich ihn nicht mal bei der Sache mit Johannes erlebt. „DAS ist deine Mutter?“, fragte er ungläubig. „Als du mir von deinen Eltern erzählt hattest, dachte ich sie wären so typisch verbohrt und unwissend, aber das ist … das ist richtig übel.“ Ich nickte nur stumm. Mir war auch übel. Selbst wenn ich mich eben noch behaupten konnte, steig nun die Übelkeit in mir hoch. „Diese Frau hätte ich als Sektenführerin oder fanatische Gläubige betitelt, aber sicher nicht als Mutter zweier Kinder. Ich war wirklich gespannt auf deine Familie, aber ehrlich, jetzt würde ich sie lieber nicht kennenlernen. Ich mein, ich hatte wirklich vor sie mal um ihren Segen zu fragen, aber jetzt?“ Joshua lief in der Mitte seines leeren Wohnzimmers hin und her. Unruhig, wütend. Mir wurde noch schlechter, während ich ihm zusah wie er in Kreisen lief. Meine Mutter mal beiseite genommen, hatte ich irgendwie immer irgendwo gehofft, vielleicht doch mit meinen Eltern ins Reine zu kommen. Dieser Wunsch war groß gewesen. Ebenso groß wie meine Liebe zu Joshua. Um es theatralisch zu verfassen, war Joshua alles Lichte und Gute, während meine Eltern eher Mordor und den Schicksalsberg verkörperten. Ich bräuchte sie nicht. Ich könnte mich einfach umdrehen, mich nie wieder melden und den Ring der Macht vergessen. Aber könnte ich das, hätte ich Binks damals ebenso einfach abhaken können. Nichtsdestotrotz wollte ich mich nicht von ihnen lösen. Hoffte immer und immer und immer wieder, dass etwas Gutes passieren würde, wenn ich nur lange genug durchhalten würde. Dass sie mich annehmen würden, wie ich nun mal war. Dass sie ihr Kind in den Arm nehmen und einfach drücken würden, wenn es sich einsam und verletzt fühlte. „Mael?“ Ich hatte gehofft, dass meine Eltern normal werden könnten. Mein Vater nicht nur seine Rennen im Kopf hätte, meine Mutter nicht nur ihren Glauben und mein Bruder nicht nur seinen eigenen Vorteil sah. Ich lebte doch normal. Hatte Freunde, eine gute Arbeit, ein gutes Einkommen, war nicht verschuldet und bemühte mich die Menschen so zu sehen wie sie wirklich waren. Ich war doch nicht so viel anders!? Arme schlangen sich um mich und mein Sichtfeld verdunkelte sich. Eine Hand strich über meinen Kopf, die andere hielt mich fest an den warmen Körper gedruckt. Ich schluchzte eh mir bewusst war, was ich fühlen sollte. Ich hatte nicht bemerkt, wie ich vor mich hingestarrt hatte und wie weich meine Knie geworden waren. Eben noch hatte ich eine wunderschöne Zeit mit Joshua in dieser Wohnung gehabt. Nur ein Zimmer weiter! Und jetzt war mir als würde der Boden mich verschlucken wollen. „Es tut mir leid. Ich wollte nicht so über sie reden.“ Ich schüttelte nur meinen Kopf. Meine Finger krallten sich in Joshuas Hemd. „‘S schon gut. Das … is' ok“, ich schluchzte richtig. Dabei war ich traurig und wütend zugleich. „Wie kann es ok sein? Du bist gerade kreideweiß geworden.“ Ich drückte mich von ihm weg und er nutzte die Chance mein Gesicht sanft zu sich zu drehen. Er musste mir nicht über die Wangen streichen, da keine Träne rollte. Stattdessen sah er mich musternd an. Mein Schluchzen war nicht durch Traurigkeit entstanden, sondern durch eine japsende Schnappatmung des Schocks. „Ich hatte erwartet, dass sie dagegen ist und es nicht billigen würde, aber nicht, dass sie so ausflippt. Sie kennt dich doch gar nicht! Was ist, wenn ich mein Leben lang bei dir bleiben will? Wenn ich mit dir zusammenziehe und was weiß ich nicht noch alles? Das geht sie nichts an! Und überhaupt- Wenn ich so ein Fehler bin, warum verschwendet sie noch ihre Energie an mich? Soll sie sich doch um meinen Bruder kümmern. Dem hat sie doch sowieso alles in den Arsch geschoben, nachdem ich sie so enttäuscht hatte!“ Während meine Wut wuchs, schwand Joshuas. Er prustete los, als ich mich richtig in Rage geredet hatte. „Ich liebe dich auch sehr, Mael. Für mich bist du kein Fehler und auch auf Arbeit gibt es genügend Leute, die bezeugen können, wie wertvoll du bist.“ „Lass das. Ich bin immer noch sauer auf sie. Alles was ich von ihr wollte, war dass sie sich normal benimmt und mich sieht wie ich bin. Aber egal was, ich habe sie immer nur enttäuscht. Ich hätte nie erwartet, dass sie hier auftauchen würde. Und gerade heute.“ „Hatte sie nicht etwas von einem guten Freund von dir erzählt, der ihr den Hinweis gegeben hat?“ Stimmt, hatte sie. Leider fiel mit nur ein alter Freund ein, der die Möglichkeiten hätte meinen Eltern irgendwas zu stecken. Zudem war diese Person nicht wirklich einverstanden mit meiner Beziehung zu Joshua gewesen. „Warum grinst du so?“, fragte ich indes Joshua, immer noch sauer. „Diesmal bist du derjenige, um den sich die Gerüchte drehen.“ Ich starrte Joshua ungläubig an. Einen Moment, noch einen weiteren. Dann schlug ich ihm gegen die Schulter, was Joshua noch mehr lachen ließ. Ich konnte ihn verstehen. Seit wir uns kannten, drehten sich alle Gerüchte um Joshua, den Grafen und dessen Eroberungen. Endlich war ich die Hauptperson und er nur das adrette Beiwerk. Joshua ließ sich von mir ohne große Gegenwehr auf den Boden drücken. Sitzmöbel hatten wir keine mehr. Selbst die Matratze war bereits verladen. Diese Wohnung war so leer wie es nur ging, wenn man davon absah, dass die Küche nicht mitgenommen wurde. Joshua lag auf dem besenreinen Fußboden und lachte immer noch. Es wurmte mich und freute mich zeitgleich. Aber ihn einfach gewähren zu lassen, fand ich auch doof. Ich zog seinen Arm vom Gesicht und ersetzte diesen mit meinem Mund, oder besser gesagt mit einem Kuss. Dieser war zunächst brüchig, weil Joshua noch lachte, entwickelte sich jedoch in eine gefühlvolle Mischung aus Freude und Sehnsucht. Ich legte mich immer mehr auf Joshua, fühlte seinen wilden Herzschlag neben meinen. Nach dem Kuss blieb ich auf Joshua liegen, meine Hände in seinen Haaren und kraulte ihn beharrlich. „Soll ich ihn mal anrufen?“, fragte ich, meiner Wut beraubt. „Wen?“ „Den, der wahrscheinlich das Gerücht verbreitet hat.“ „Du weißt wer?“ Ich stemmte mich auf meine Ellenbogen und nickte schlicht. Joshua überlegte kurz, dann nickte auch er. „Mach auf laut.“ Ich fischte mein Handy aus der Hosentasche, wählte und legte das Handy neben uns auf den Boden, den Lautsprecher an. Es klingelte und ich bettete meinen Kopf wieder auf Joshua. „Jau, hi.“ „…“ „Max? Hey bist du dran?“ „Hi“, sagte ich matt. „Was’n mit dir los?“, fragte Binks Stimme durch das Telefon. „Meine Mutter hat mich gerade mit Josh gesehen und ist voll ausgetickt.“ „Oh … Alter, das tut mir echt leid.“ „Mmmhm“, brummte ich ins Telefon. Ich musste sehr geknickt wirken, denn Binks begann rumzustochern, ohne den sarkastischen Ton meines Brummens herauszuhören. „Was … hat sie denn gesagt? Ich mein, sie ist ja eher konservativ.“ Ich stemmte mich wieder auf meinen Ellenbogen ab und sah Joshua direkt in die grauen Augen. „Was wohl. Ich muss Schluss machen.“ Binks schwieg einen kurzen Moment. Es klang beinahe so, als würde er mit sich hadern, doch … „Hey Mann, das ist doch ok. Ich mein … deine Eltern wollen ja nur dein Bestes und das mit diesem Josh war doch eh eher eine Verwirrtheit, meinst du nicht? Das mit mir hat dich ja auch nicht lange am Ball gehalten. Haha, Gott, und ich hab Evelin noch gesagt, dass das keine dumme Idee war. Sie war doch ernsthaft der Meinung, ich würde dir dein Glück nicht gönnen. Aber mal ehrlich: Das ist doch nicht gesund, oder? Wozu gibt es sonst Frauen, wenn wir sie nicht lieben? Haha, Alter, das erleichtert mich voll!“ „…“ Ich sah auf Joshua hinab und ein lächeln legte sich auf meine Lippen. Ich beugte mich vor und ich genoss das feine Kribbeln, welches sich immer noch in meinem Magen ausbreitete, wenn ich ihn küsste. „Ich weiß, du hast den Typen – warum auch immer – gern. Aber findest du nicht, dass es besser ist, eine normale Beziehung zu führen und … ich weiß, nicht … zu heiraten und Kinder zu bekommen?“, redete Binks weiter. Ich grinste gegen Joshuas Lippen und löste mich minimal. „Du hast Recht. Eine normale Beziehung klingt echt gut.“ „Nicht wahr?“, rief Binks erleichtert ins Telefon. Ich entfernte mich etwas von Joshua und sah von oben verliebt in seine Augen. „Kinder ist vielleicht noch zu früh, aber heiraten würde ich schon gerne irgendwann.“ Joshuas überlegenes Grinsen wandelte sich in eine wunderschöne erstklassige Überraschung. Ich meinte sogar ihn schlucken zu sehen. „Darum finde ich es besonders schön, dass Josh und ich jetzt zusammenziehen“, fuhr ich fort. Während ich Joshuas Hände auf meiner Hüfte spürte, hörte ich Binks erschrockene Laute von sich geben. „Ich finde unsere Beziehung normal und würde ihn gegen nichts austauschen. Vor allem nicht, um es meiner Mutter oder sonst wem Recht zu machen. Ich bin ziemlich sauer auf dich, dass du es wirklich meiner Mutter gesteckt hast. Aber immerhin hast du es zugegeben.“ „Max … ich …“ Joshuas Hände glitten lautlos unter meinen Hosenbund. Seine Augen leuchteten wie frisch gefallener Schnee. „Binks“, sagte ich zuckersüß und melodisch. „Misch dich noch mal ein und du lernst mich richtig kennen. Wenn es dir so wichtig ist, was meine Eltern denken, darfst du gerne ihr Sohn werden und ihnen nach Lust und Laune in den Arsch kriechen. Meinen Segen hast du.“ Ich legte auf. Joshua zog seine Hände von meinem Hintern und drehte mich auf den Rücken. Seine Lippen fanden meine, teilten sie und eroberten mich stürmisch. Seine Hand glitt unter mein Shirt und fühlte meine Brust, spielte an sensiblen Stellen und bescherten mir im Zusammenspielt der Zungen eine ordentliche Gänsehaut. Ich musste Joshua irgendwie aufhalten… Die Wohnung war leer. Jeder Ton war doppelt so laut. Es hier zu tun, war nicht … der Umzugswagen … und … ich meine, wir sollten nicht … Kapitel 17: Joshua ------------------ Extra Kapitel 3: Joshua Ich erinnerte mich kaum an meine echten Eltern. Früher waren da ein paar Erinnerungen gewesen, welche ich wie einen Schatz gehütet hatte, aber nach und nach gingen sie verloren. Meine Eltern schenkten mir mein Leben, meinen Körper und meinen Namen. Heute konnte ich nicht mehr sagen, ob es nicht noch mehr Dinge gegeben hatte, welche sie mir vermacht hatten. Woran ich mich mit Gewissheit erinnerte, war mein Spiegelbild, welches ich auf unzähligen Oberflächen betrachtet hatte und mir dachte: Du bist Joshua. Mael stand neben mir in der Küche und versuchte mir die richtige Messerhaltung beizubringen. Natürlich wusste ich wie man ordentlich eine Zwiebel schnitt ohne sich in die Fingerkuppen zu schneiden. Ich war tollpatschig, nicht dumm. Dies hier war auch nicht meine erste Kochstunde mit ihm. Auch hatte ich Mael darauf hingewiesen, dass das nicht nötig sei. Trotzdem hörte er nicht auf und setzte zu einem erneuten Versuch an. „Du hältst die Zucchini so. Dann schneidest du erstmal der Länge nach, das macht sie handlicher. Außerdem wollen wir eh Würfel draus haben. Also, dann…“ Mael erklärte und zeigte mir meine Aufgabe. Mit einem Schmunzeln ahmte ich ihn nach und erhielt ein zufriedenes Grinsen. Es freute mich, wenn Mael sich freute. Ob das nun daran lag, dass ich ihn liebte oder dass er einfach so war wie er war, konnte ich nicht beantworten. Ich wollte es auch nicht. Viel zu lange hatte ich mir den Kopf darüber zerbrochen, was richtig und was falsch war. Wie musste ich sein, dass andere mich mochten und mit mir umgehen wollten. Wie kam ich sympathisch rüber, wie schreckte ich andere ab? Ich zerbrach mir ständig den Kopf darüber wie dieses ‚Zwischenmenschliche‘ funktionierte. „Sehr gut, dann ab in die Pfanne damit!“, sagte Mael und schob mich an den Herd. Jetzt da ich einen Geliebten hatte, mit dem das Zusammenleben einfach nur Spaß machte, wollte ich nicht mehr über solche Interaktionen nachdenken. Mein Leben erschien mir so einfach, dass ich mich manchmal sogar fragte, wie ich diese ‚Einfachheit‘ (so würde Mael es ausdrücken) bisher übersehen konnte. Das Öl war heiß und ich schob die Zucchiniwürfel mit einem Messer vom Brett. Es spritzte etwas, aber nicht viel. Brett und Messer beiseitegelegt, war ich nun dafür verantwortlich umzurühren. Das Doofe an diesem Gemüse war, dass es zunächst sperrig war, ehe es schrumpfte. Die Pfanne war noch viel zu voll, sodass beim Umrühren immer etwas daneben ging. Mael beobachtete mich und machte seine Scherze. Ich erwiderte den Spaß. Zeitgleich griff ich mit der freien Hand eilige nach dem, was herausgefallen war. Statt es mit dem Holzlöffel beiseite zu schieben, haschte ich die Kastanien aus dem Feuer. Das letzte Stück lag zu nah am Pfannenrand, sodass ich die Pfanne beiseite zog und nach dem Würfel griff. Die Herdplatte war bereits heiß, doch als ich Zugriff, leuchtete sie rot auf. „Hss“, entkam es mir. Der Schmerz brauchte noch etwas. Die Fingerkuppen an Daumen und Zeigefinger hatte es erwischt. Sie begannen rot anzulaufen, dann weiß, ehe endlich der Schmerz einsetzte. Erst kalt, dann allmählich breitete sich ein brennen aus, welches unerträglich zu werden schien. Lange konnte ich meine Dummheit nicht bestaunen, da mir die Hand weggerissen wurde und kaltes Wasser über meine Finger lief. Es tat unheimlich gut. Das Brennen wurde abgemildert. „Josh! Bist du denn-?! Kühlen! Hier halt es unters Wasser! Ich suche ein Kühlpack." Ich tat, wie mir befohlen wurde, während sich ein Lächeln auf meine Lippen legte. „Und wag es nicht zu grinsen! Ich habe dir so oft gesagt, dass du einen Ton von dir geben sollst, wenn du dich verletzt! Herr Gott nochmal. Dreht auf wie ein Berserker, wenn ich was verschütte und selbst ist er Trantüte Nummer Eins. Wo war das Kühlpack noch?“ Ich schmunzelte in mich hinein. ‚Das‘ war es gewesen, was alles so vereinfacht hatte. Stimmt. Ich war von meinem zweiten bis elften Lebensjahr im Waisenhaus gewesen, ehe McFloyd mich adoptiert hatte. Das Leben dort war nicht schlecht. Aber für jemanden der nicht verstand, dass seine Eltern fort waren, ihn dort gelassen hatten und nicht zurückkommen würden, war es grausam. Während andere Kinder sich ein schulbuchperfektes Gruppenverhalten antrainierten, gelang es mir nicht mich einzugliedern. Das Waisenhaus besaß eine Partnerschaft mit einem nahen Kindergarten und einer Grund- und Realschule. Das System war gut ausgeklügelt. Die Kinder aus dem Waisenhaus bekamen so die Chance wie andere Kinder auch in den Kindergarten etc. zu gehen, Freunde zu finden und das normale Sozialverhalten zu erlernen, welches in unserer Gesellschaft so wichtig war. Die diensthabende Schwester brachte mich zum Kindergarten und holte mich nach dem Mittagsschlaf wieder ab. Anders als andere Kinder, dessen Eltern arbeiten waren und sie deshalb von früh bis spät im Kindergarten bleiben mussten, hatte ich es gut. Das waren nicht meine Worte. Auch wenn die Erwachsenen sich Mühe gaben und unter Verschluss hielten, warum meine Eltern mich ins Waisenhaus gegeben hatten, taten sie es nicht sehr bedacht. Es passierte während des Mittagsschlafs. Ich hatte mich zuvor mit einem anderen Jungen wegen einer Schippe gestritten. Er wollte sie mir wegnehmen, einfach weil er sie jetzt haben wollte. Ich wollte sie ihm nicht geben, da ich selbst noch damit spielte. Es war eine dämliche Situation. Wie es ausging wusste ich nicht mehr. Während des Mittagsschlafes setzte sich je eine Erzieherin neben uns. Sie wollten damit sicherstellen, dass wir auch einschliefen. Zunächst gelang es der Erzieherin. Sie strich mir über den Kopf und ich vergaß für einen Moment alles andere. Meine Augen waren bereits zu, als ich die leisen Stimmen der Erwachsenen hörte. Sie erzählten über mich, meine Eltern und dass meine Eltern sicherlich schrecklich zu mir gewesen sein mussten. Das wiederum erklärte, warum ich mich so schlecht eingliederte. Andere Kinder fanden sich innerhalb eines Monats zurecht. Bei mir dauert es nun schon mehrere Monate. Ich lag still da. Stocksteif vor Schock, dass die blöden Erzieherinnen gerade hier darüber erzählen mussten. Schließlich dachte jene an meiner Seite, ich würde schlafen und ging mit ihrer Kollegin in den Nebenraum. Mein Herz raste immer noch. Wenn ich von dem Geschwätz wachgeworden war, dann sicher auch andere. Aber … vielleicht hatte ich ja Glück gehabt und die Anderen waren wirklich eingeschlafen? Ich beruhigte mein rasendes Herz und wagte es mich umzudrehen. Dreizehn Paar Kinderaugen starrten mich an. Jedes Kind saß in seinem Bett und starrte mich an. Der Junge mit dem ich mich gestritten hatte, bohrte in der Nase und meinte abschätzig. „Mein Vater schlägt mich auch. Was ist anders, wenn deiner dich aussetzt? Macht dich das so viel besser?“ Im Nachhinein verstehe ich, dass das, was mir entgegengebracht wurde, kindlicher Neid war. Sie dachten, weil ich eine Waise war, würde ich besser behandelt werden und die Erwachsenen verziehen mir alles. Dabei war ich es, der ihnen neidete Eltern zu haben. Eltern die einen zu spät abholten, die gestresst waren, müde und genervt, die schimpften und meckerten, aber einen auch in den Arm nahmen und sagten, sie haben einen lieb. Wenn ich abgeholt wurde, bekam ich ein Lächeln. Ich zog mich alleine an. Niemand half mir. Anschließend bekam ich eine Hand gereicht, damit ich nicht den Weg verlor. Im Waisenhaus wurde ich zum Spielen mit den Anderen geschickt. Niemand fragte, wie mein Tag war, was ich erlebt hatte, was passiert war, was es zum Mittag gab oder warum ich mich verletzt hatte. Niemand schimpfe oder korrigierte mich übermäßig. Niemand nahm mich in den Arm. Bis zur Einschulung lernte ich wie ich meine Wunden selbst versorgte. Dass ich nicht „AUA“ oder „Das tut so weh“ schreien musste, denn es kam eh keiner angerannt. Wenn ich mich stieß, war das so. Wenn ich fiel, tat es weh. Wenn ich mich schnitt, blutete es. Wenn es blutete, schimpften die Erwachsenen. „Sei doch nicht so unvorsichtig!“, „Was soll das denn jetzt schon wieder?“ oder „Magarete! Josh blutet, mach du das!“. Als Antwort kam ein „Ich kann nicht! Emilie übergibt sich gerade. Stell ihm dem Verbandkasten hin, er weiß selbst, was zu tun ist.“ Ich lernte auch, dass Kinder gemein waren. Sie taten unverblümt das, woran Erwachsene nur dachten. Die Mädchen wurden Mitleidig. Sie begannen mich zu verhätscheln und nannten es Fürsorge. Die Jungs wurden eifersüchtig und schlossen mich aus. Ich war ihnen zu cool. Aber eigentlich waren sie nur neidisch. Joshua hatte es sooo gut, hieß es immer wieder. Abends stand ich allein im Gemeinschaftsbad des Waisenhauses und besah mich im Spiegel. Meine Augen, meine Nase, meine Lippen, meine Wangen, mein Gesicht, meine Haare, meinen Körper. Das war ich: Joshua. Mehr hatte ich nicht mitbekommen. Keinen Hinweis wie ich mich verhalten sollte, keine netten Worte, keine gut gemeinten Ratschläge. Wenn ich den Spiegel zerschlagen würde, sähe ich mein Gesicht hundertfach. Meine Hand würde weh tun und ich hätte dem Gefühl in meinem Innerem ein bisschen Luft gemacht. Allerdings würden dann die Schwestern kommen und schimpfen, dass ich den Spiegel kaputt gemacht hätte. Dann müsste ich zu dem dummen Kinderpsychologen und ihm irgendwelche Bilder malen. Das fand ich zu anstrengend. Zudem … es wäre nur der Spiegel kaputt. Nicht etwa ich. In der zweiten Klasse der Grundschule, während der Bastelstunde, griffen ein Mädchen und ich zur selben Zeit nach dem Papierkarton. Sie war schneller und zog es weg. Dabei schnitt sie im Vorbeiziehen meinen kleinen Finger. Ich hob den Finger nur und sah stumm zu wie das Blut aus der Schnittwunde hervorperlte. Geschnittene Haut tat weh. Sie zwiebelte ganz ekelig und wurde dann taub. Mit etwas Verzögerung kam dann das Blut. Als das Mädchen ihre Tat bemerkte, kam sie direkt auf mich zu und hielt meinen Finger hoch. „Oh weh, das tut mir so leid! Ich hatte es eilig, weißt du. Tut mir leid, Joshua. Tut es sehr weh? Bestimmt oder? Ich finde es tut immer sehr weh, wenn ich mich irgendwo schneide.“ Ich war so fasziniert von ihrer Ausstrahlung und Fürsorge. Diese Fürsorge war echt und nicht geheuchelt! Ihr tat leid, dass sie mich geschnitten hatte UND sie fragte mich, ob es mir weh tun würde. Natürlich tat es weh. Aber das Glücksgefühl endlich gefragt worden zu sein, diese Aufmerksamkeit zu spüren, eine Entschuldigung zu hören, war so überwältigend, dass ich sie umarmte. Sie quietschte erschrocken auf und schob mich weg. Dann rannte sie zur Lehrerin und zeigte ihr, dass ich ihr Kleid mit meinem Blut beschmiert hätte. Absichtlich natürlich. Die Lehrerin rügte mich des Kleides wegen. Dann gab sie mir ein Pflaster und sagte ich solle nichts weiter vollschmieren und meine Bastelarbeit schnell beenden. Das Glücksgefühl verflog so schnell wie es gekommen war. Abends stand ich vor dem Spiegel im Gemeinschaftsbad und fragte mich, ob das so richtig gewesen war. Wie hätte ich anders reagieren müssen, um mehr von den tuffigen Gefühl zu bekommen. Mehr von ihrer Aufmerksamkeit. Die grauen Augen im Spiegel starrten stumm zurück. Sie sprachen: „Du bist Joshua und du hast noch viel zu lernen.“ Die Schule fiel mir leicht. Ich musste kaum für die Fächer lernen, passte gut auf, machte die Hausaufgaben so schnell ich konnte und arbeitete im Unterricht mit. Ich wollte so viel Freizeit wie möglich haben, um lernen zu können, was mir fehlte. Dabei lernte ich sogleich, dass, wenn man dazugehören wollte, man nicht zu gut in der Schule sein durfte. Streber waren Außenseiter. Genauso wie Mauerblümchen. Ich verstand, welcher Charakter erwünscht war, welches Verhalten sehenswert und was die Masse abschreckte. Ich passte mich meinem Umfeld an. Das erste Mal bekam ich Freunde. Es fühlte sich zunächst gut an. Ich konnte mit beiden Geschlechtern gut reden, ich war schlau genug bei den Hausaufgaben zu helfen und zugleich nicht aufzufallen. Ich alberte rum und zog über die Randgruppen her. Doch je mehr ich mich gab, wie ich glaubte sein zu müssen, desto merkwürdiger fühlte ich mich. Irgendwann sah ich in den Spiegel und konnte kaum mehr sagen, wer ich war. Diese Scharade hielt nur ein paar Monate an. Es war im Sportunterricht, als ich beim Basketballspiel mit einem Kumpel zusammenkrachte und mir das Knie aufschlug. Keine große Sache, fand ich, doch der Lehrer schickte mich ins Bad, um den Dreck aus der Wunde zu waschen. Mein Kumpel mit dem ich zusammengestoßen war, folgte mir. Er stützte mich bei der Treppe und brachte mir angefeuchtete Handtrockentücher. „Das sieht voll schmerzhaft aus, Alter. Sorry, echt. Ich dachte nicht, dass du so krass fällst! Tut dir sonst noch was weh?“ Ich verneinte natürlich. Bis auf das Knie tat nichts weiter wirklich weh. Beruhigt legte er mir eine Hand auf die Schulter und die andere auf meine, welche das feuchte Papier auf der Wunde hielt. Wieder fühlte ich dieses tuffige Gefühl in mir aufsteigen. Aber ich hielt mich zurück und wartete. Einige Tage später: Jener Kumpel und ich gingen gerade einen Umweg, ehe ich mich durch einen Geheimgang im Zaun des Waisenhauses auf das Gelände schmuggeln würde, als ich etwas wirklich Dummes tat. Wir sahen zu wie ein Hund einer Wurfsalami nachrannte und damit Autofahrer zu einer Vollbremsung zwang. Selbst nachdem wir um die Ecken gegangen waren, lachten wir uns noch scheckig. Er legte dabei seinen Arm um meine Schulter und war mir nahe. Seine Augen leuchteten vor Schalk und Freude. Ich ließ mich hinreißen und wollte dem Gefühl in mir endlich Anerkennung zollen. Wollte zeigen, wie viel mir dieser Freund bedeutete. Also küsste ich ihn auf den Mund. Das hatte ich schon oft gesehen bei Eltern, die ihre Kinder sehr, sehr liebten. Dass der Kuss der Eltern platonisch war und meiner nicht, verstand ich erst später. In dem Moment zimmerte er mir seine Faust in die Wange und beschimpfte mich aufs Übelste. Worte, die ich so nicht auf mich bezogen hatte. Schwuchtel, mieses Schwein, Heuchler. Es gab noch mehr. Und es wurden noch mehr, als dieser Vorfall in der Schule breitgetreten wurde. Es machte mir nichts aus ausgeschlossen zu werden. Auf eine Weise fühlte es sich befreiend an. Wenn ich nun in den Spiegel sah, sah ich wieder mich. Joshua, der nur Joshua war. Ohne Freunde. Ausgeschlossen und beschimpft. Ja, das war eben so. Mit zarten elf Jahren glaubte ich, das Leben endlich verstanden zu haben. Jeder Mensch stand nur für sich allein, sah nur sich allein. Solange ich mit mir selbst zufrieden war, wäre alles andere egal. Ich brauchte keine Bindungen, Freunde, Familie, Liebe. Ich brauchte nur mich. In jenem Jahr veranstaltete das Waisenhaus ein Benefizsportfest. Dort traf ich zum ersten Mal auf McFloyd. Als einer der ältesten Kinder im Heim musste ich ihn begrüßen. Ich sagte meinen Text trocken auf, blickte ihn nicht an und überreichte stumpf den Strauß Blumen. McFloyd lachte amüsiert und hockte sich hin. „War ich dir zu groß, dass du nicht hochsehen wolltest?“, fragte er. „Ach“, winkte eine Schwester schlichtend ab. „Josh ist so. Nehmen Sie das bitte nicht ernst.“ „Ich habe den Jungen gerade Reden gehört. Warum antworten Sie für ihn?“, fragte der Mann vor mir mit kühler Stimme und kniete dabei immer noch. Ich fand es faszinierend, wie jemand, der deutlich kleiner war in seiner Sichtposition als ein stehender Erwachsener trotzdem so bestimmend sein konnte. Interessiert musterte ich den Mann. Er trug einen Trenchcoat, darunter einen gestrickten Pullover über einem Hemd. Sein Bart war kurz rasiert und seine Haare nach hinten gekämmt. Er strahlte eine ‚wichtige‘ Aura aus. Die Schwester vorgeführt, wandte er sich wieder zu mir. „Und? Bekomme ich eine Antwort?“ „Sie sind nicht zu groß, ich … hatte keine Lust zu Ihnen hochzusehen“, gestand ich und das erste Mal waren mir meine eigenen gesagten Worte peinlich. McFloyd lachte nur. „Das kann ich verstehen. Hier zu stehen und mir diesen Strauß zu übergeben, ist sicherlich nicht gerade sehr aufregend.“ „Nein, das ist es nicht… Sie- Die Schwestern sagten, dass hier wäre wichtig und ich könnte mich am besten Benehmen. Aber ich habe keine Lust … mit anderen zu reden.“ „Ist das so? Hmmm… Aber an den kleinen Spielen nachher nimmst du doch teil, oder?“ Ich nickte schüchtern und drückte den Strauß in meinen Händen. Die Schwester sah meine Unbedarftheit und wollte mich davon abhalten die teuren Blumen zu ruinieren. Der Mann indes hob nur eine Hand und sie rührte sich nicht mehr. Faszinierend. Ich verstand, dass wenn man Geld hatte, die Leute spurten. Als einer der großzügigsten Sponsoren für das Waisenhaus war McFloyd kein kleiner Fisch. Ich kratzte etwas Mut zusammen und streckte meine Arme mit dem Strauß erneut aus. „Die Blumen sind für Sie. Bitte sehr.“ „Hahaha, danke dir.“ Er nahm mir den Strauß mit einer Hand ab und legte mir seine andere Hand auf den Scheitel. Ich zuckte ungewollt, aber es passierte nichts. Als ich aufsah, musterten mich fürsorgliche braune Augen. Zu Beginn des Sportfestes hatte ich keine Lust mir irgendwelche Mühe zu geben. Die Spiele und Läufe waren eh mehr auf die jüngeren Waisenkinder abgestimmt. Es wurde nicht laut ausgesprochen, doch hofften die Schwestern, dass während des Sportfestes einige Kinder adoptiert werden könnten. Es war schwer uns Waisenkinder über das Jahr an eine gute Familie zu vermitteln. Nicht wenige waren sozialauffällig und schwer in der Erziehung. Je jünger ein Waisenkind war, desto besser waren seine Chancen. Ich war mittlerweile schon elf und hatte es von vornherein nicht darauf angelegt eine neue Familie zu bekommen. Wenn meine echten Eltern mich nicht wollten, was sollten dann andere Eltern mit mir? Fürsorglich sein? Mir ein Zuhause schenken? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Trotzdem fühlte ich mich nach dem Gespräch mit McFloyd angestachelt. Dieser Mann hatte der Schwester Paroli geboten und schien sich für meine Meinung interessiert zu haben. Ein kleines bisschen wollte ich ihm dafür danken und zeigen, was ich draufhatte. Ich gewann die Läufe und gab mein Bestes Teamgeist in den Abwurfspielen zu zeigen. Als Marvin, er war neun Jahre alt, einen scharfen Ball auf Anastasia, sie war fünf Jahre alt, warf, ging ich dazwischen. Leider konnte ich den Ball nicht auffangen, weshalb ich ins Aus musste. Es brachte mir im Team keine Lorbeeren ein. Sie schimpften, dass ich nicht taktisch dachte. Meine Motivation sank so schnell wie sie gekommen war. Ich hielt mich zurück und war froh, als das Sportfest endlich vorbei war. Drei Tage später wurde ich von einer Schwester ins Büro der Heimleitung gebracht. „Guten Tag“, wurde ich begrüßt. Braune Augen strahlten mich an und ein äußerst fröhliches Lächeln schob sich hinten dran. McFloyd stand in einem hellgrauen Anzug mit dunkelblauem Schlips vor dem Fenster im Büro der Heimleiterin. Die Leiterin saß an ihrem übergroßen Schreibtisch. Vor ihr waren einige Papiere ausgebreitet. Die Schwester, die mich gebracht hatte, verließ das Büro wieder. Etwas verwirrt blieb ich stehen, wo ich war und blickte von einem Erwachsenen zum anderen. Was nun? Vielleicht hatten sich wieder Kinder oder Schwestern über mich beschwert? Oder die Eltern von dem Klassenkamerad, welchen ich einfach nur nett gefunden hatte, hätten sich endlich gemeldet? Ich erwartete nichts Gutes. „Joshua, richtig?“, fragte McFloyd und trat vor mich. Ich nickte hastig. „Ja, Guten Tag“, erwiderte ich den Gruß. Auch wenn ich argwöhnisch war, wollte ich doch höflich bleiben. Menschen standen darauf, wenn man höflich war. Vor allem die, die es selbst nicht waren. „Du kennst mich noch, oder?“ „Ja. Sie sind der Hauptsponsor des Waisenhauses, dem ich die Blumen überreicht habe“, antwortete ich. Zudem war er auch der Erwachsene, der ‚meine‘ Antwort der einer Schwester vorgezogen hatte. Die Erinnerung daran, machte ihn mir sympathisch. McFloyd lachte nur und nickte bestätigend. „Ich nehme an, du weißt nicht, warum du hier bist, so wie du guckst?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein, Sir.“ „Dachte ich mir schon. Gut, dann höre mir bitte gut zu“, begann er und kniete sich mit einem Knie vor mich hin. „Ich möchte dich gerne adoptieren. Du bist ein aufgeweckter junger Mann und ich denke, dass du mehr erreichen kannst, wenn du bei mir lebst, als hier im Waisenhaus.“ Sicherlich würde ich überall mehr erreichen als im Waisenhaus, dachte ich schnippisch, doch brachte ich nichts heraus. Die Idee in meinem Alter wirklich adoptiert zu werden, war zu fantastisch, zu abwegig. Ich bemerkte nicht wie meine Augen zu leuchten begannen und ich meine offensichtliche Begeisterung hinter skeptischen Fragen versteckte. „Warum wollen Sie mich adoptieren?“ „Darf ich nicht?“, kam es als Gegenfrage. „Sie sind erwachsen, die dürfen tun was immer Sie wollen, aber …“ Meine Hände griffen nach dem Stoff meiner Hose und krallten sich darin fest. „Es gibt viel jüngere Kinder als mich und jeder hier würde Ihnen empfehlen ein anderes Kind zu nehmen.“ McFloyd sah mich ernster an, was meine Unruhe noch verstärkte. „Ich merke, du hast oft darüber nachgedacht. Sicherlich hörst du den Schwestern auch genau zu.“ Ich nickte nur flüchtig und überhörte das unterdrückte Japsen der Heimleiterin. „Wie du richtig sagtest, bin ich erwachsen und kann tun und lassen, was ich will. Aber ich bin hier nicht in einem Tierladen, um mir ein Haustier zu kaufen, mein Junge. Du bist ein Mensch und hast deine eigenen Wünsche und Träume. In ein paar Jahren wirst du auch Erwachsen sein und kannst tun und lassen was du willst. Warum fängst du nicht jetzt schon damit an? „Der Grund warum ich dich adoptieren will, ist einfach. Du bist mir aufgefallen. Beim Sportfest hast du das kleine Mädchen vor dem Schmetterball beschützt und wurdest von den Anderen wegen Unsportlichkeit beschimpft. Im Spielrausch kann das mal passieren“, meinte er wohlwollend. Mir klopfte das Herz bis in den Hals. Er hatte es mitbekommen? Es freute mich und machte mir zugleich Angst, dass jemand mich beobachtet hatte. „Darum?“, stellte ich meine verkappte Frage und zwang mich dem Mann in die Augen zu sehen. Er erwiderte meinen Blick aufrichtig und lange, ehe er mit einem Lächeln und nur für mich hörbar sagte: „Jedes Kind braucht jemanden, der einen ansieht und Liebe und Geborgenheit schenkt. Ich kann dir deine Eltern nicht ersetzen, aber ich würde dir gerne das schenken, was du hier nicht finden wirst.“ Ich willigte ein. Als McFloyd den Adoptionsvertrag unterschieb, stand ich stumm-weinend daneben. Wir packten noch am gleichen Tag meine Habseligkeiten zusammen und fuhren zu McFloyd nach Hause. Die restlichen Formalitäten wurden aufgrund von McFloyds hoher Stellung auf später verschoben und interessierten mich nicht wirklich. Der Abschied vom Waisenhaus, den Kindern oder Schwestern fiel mir nicht schwer. McFloyd erzählte mir, dass ich ihn Vater nennen könnte oder Gerhard, wie sein Vorname lautete, oder McFloyd wie alle anderen. Nur das „Sir“ sollte ich sein lassen. Wir würden uns duzen und hoffentlich zu einer Familie zusammenwachsen. Das Haus war riesig und ich konnte mir nur schwer vorstellen, dieses Schloss von nun an mein Zuhause zu nennen. Ich wurde durch alle Zimmer geführt, sogar den Keller und den Dachboden. Die Hausregeln waren einfach und überschaubar. Ich durfte wann immer ich wollte an den Kühlschrank gehen, den Fernseher und das Radio. Das alles war schon purer Luxus für mich. Zudem war das Haus hell und lichtdurchflutet. Das Waisenhaus war durch seine alten Mauern eher dunkel und beengend gewesen. Er fuhr mich das restliche Halbjahr der Grundschule jeden Tag zur Schule. Anschließend wechselte ich auf ein Gymnasium in der Nähe sein- unseres Hauses. McFloyd ermutigte mich, ich zu sein. Zu lernen was ich wollte, gute Noten zu haben und dergleichen. „Wenn jemand dich so mag wie du bist, dann wird er schon dein Freund werden wollen. Alle anderen sind es nicht wert“, sprach er beim Frühstück. Es dauerte zwar, doch er behielt recht. Meine Noten waren überaus gut. Die Lehrer lobten mich, die Mitschüler waren weniger neidisch als früher und fragten sogar nach Hilfe bei Dingen, die sie nicht verstanden hatten. Ich lernte viele gute Freunde kennen. Dass das alles nur Bekanntschaften waren, wurde mir erst klar, als ich im Studium auf Elias traf. Ihn nannte ich zuerst Freund und er war der Erste, den ich je mit nach Hause genommen hatte. Und er war nebst meinem Vater der zweite, der mich schollt, wenn ich Verletzungen geheim hielt. „Warum?“, fragte Mael und riss mich aus meinen Gedanken. „Bitte was?“, fragte ich verwirrt. Mael seufzte und blickte auf seinen Teller. „Sag mir warum du so achtlos mit Verletzungen umgehst.“ „Weil es keinen interessiert“, war meine automatische Antwort. Mael sah mich erschrocken an und blickte verletzt zur Seite. Verdammt, dachte ich nur. „Nein … Mael, so meinte ich es nicht.“ „Erklär es mir“, sagte er. Seine Stimme klang gedrückt und ich ahnte, dass er seine Emotionen arg zurückhielt. Was ich zurückhielt, ließ er raus. Aber auch erst seit einer Weile. Mael war zuvor umsichtiger gewesen. Nicht so, als wollte er verstecken wie er sich fühlte, eher als wollte er niemanden damit belasten. „Wen interessiert es nicht, hä?“ Ich seufzte schwer und legte mein Besteck aus der Hand, nur um nach seiner Hand zu greifen. „Mein Herz, verzeih, das war früher und hat nichts mit dir zu tun. Ich weiß, dass du dir Sorgen machst, wenn ich mich verletze, egal wie klein oder dumm die Wunde ist.“ Mael beruhigte sich. Als er zu mir aufsah, war das Grün leicht verwässert. Ich hatte es ihm nie gesagt, doch wenn er mich so ansah, machte es mich schwach. Diese grünen Augen, so intensiv wie frisches Gras, machten mich schwach. Damals im Waisenhaus, verbrachte ich viel Zeit damit mir die Natur anzusehen und nachzudenken. Am schönsten war es im Frühling und frühen Sommer, wenn alle Bäume im frischen Grün standen und alles strahlte. Maels Augen erzeugten das gleiche Glücksgefühl wie diese unsäglichen Stunden allein und hatten mich bereits in unserer ersten Nachtschicht gefesselt gehabt. „Hat das was mit dem Waisenhaus zu tun? Haben sie dich dort nicht ordentlich behandelt?“ Mael schüttelte verärgert den Kopf. „Am liebsten würde ich diesen Leuten … Sign. Waren sie das mit der Narbe auf deinem Rücken?“ Ich wüsste zu gerne, was in seinem Kopf verging, dachte ich für mich und legte den Kopf schief. „Nein, das mit der Narbe waren sie nicht. Dort hat mir niemand etwas getan. Es war nur, dass die Schwestern keine Zeit hatten, Wehwehchen zu behandeln. Und bei so vielen Kindern, konnten sie nicht einfach achtlos jemanden in den Arm nehmen, wenn man sich gestoßen hatte.“ „Woher stammt dann die Narbe?“, fragte Mael erneut. Mir war all das mittlerweile einerlei geworden. Ich hatte Mael und war glücklich. Es gab drei Personen, welche mir sehr nahe waren, die interessierte, ob ich glücklich oder traurig war, ob ich mich verletzt hatte oder einen Preis für meine Arbeit gewann. Aber diese Narbe ließ Mael nicht los. Oft strich er darüber, als könnte seine Berührung allein die verbrannte Haut heilen. Ich ließ seine Hand los und nahm mein Besteck wieder auf. „Das ist schon ewig her… das war, im ersten Jahr des Chemieunterrichts“, begann ich zu erzählen und schweifte aus. „Es war kurz vor den Sommerferien. Alle waren aufgekratzt und passten kaum noch im Unterricht auf. Trotzdem waren alle sehr interessiert an der Chemie. In den letzten Wochen vor den Sommerferien bettelten wir unseren Lehrer an, uns etwas spannenderes als Eisenstaub und Niederschlagsmessungen beizubringen. Er ließ sich breitschlagen und holte einige Reagenzien aus dem verschlossenen Schrank heraus. „Nach einer halben Stunde der Warnung und Vorsichtsmaßnahmen, erklärte er das kleine Experiment. Ich weiß gar nicht mehr was es war … Nicht so wichtig. Es war ein Stoff, der nicht mit Sauerstoff reagierte. Dafür gerne mit anderen Materialien wie bestimmten Oberflächen, Kleidung und Haut. Alle trugen Schutzbrillen, Handschuhe, Kittel. Alle waren Vorsichtig. Bis jemand sich mit einem gefüllten Reagenzglas zwischen den Reihen durchdrängeln musste. „Er blieb an einer der Schlaufen der Schultaschen hängen, fing sich ab und verschüttete das Zeug. Es landete auf meiner Schulter, wie du sehen kannst. Erst war nichts zu spüren und ich tat ab, dass er mir etwas getan hätte. Aber dann sickerte die Flüssigkeit durch, dampfte und“, ich zuckte mit den Schultern. Es tat höllisch weh, je länger das Zeug auf mir lag. Die Umstehenden halfen mir sofort, mein Shirt auszuziehen, aber sie waren einen Tick zu spät. Die Stofffasern waren so heiß geworden, dass sie mit meiner Haut verschmolzen waren. Ich wimmerte nur, während der Lehrer Anweisungen rief, einen Schüler den Notarzt rufen ließ und mein Shirt zerschnitt. Im Krankenhaus entfernten sie alles, zusammen mit einem guten Stück meiner Haut. Ich konnte von Glück reden, dass es nur die oberen Hautschichten waren und die Flüssigkeit zu wenig war, um meine Muskeln anzugreifen. Der Mitschüler erhielt eine saftige Verwarnung, der Lehrer ebenso. Auch wenn das meiner Meinung nach ein unglücklicher Unfall gewesen war, so forderte mein Vater inoffiziell sogar Schmerzensgeld. Dass mein neuer Vater sich so für mich einsetzten würde, dass meine Klassenkameraden sich nichts aus meiner Eigenart machten, sondern sich aufrichtig entschuldigten und im Klassenverband evaluierten, was falsch gelaufen war ohne den Schuldigen oder das Opfer zu sehr in den Mittelpunkt zu ziehen, machte mich so glücklich, dass mir Schmerzensgeld und eine Narbe ziemlich egal waren. Als mein Vater mich im Krankenhaus abholte, machte er eine ziemliche Szene. Ich war froh und es war super peinlich zugleich. Die Krankenschwestern und Eltern des Jungen wussten kaum, was sie tun sollten. Ich rief „Dad! Dad wirklich es war gar nicht soo schlimm“ und mein Vater sah mich überrascht und mit großen Augen an. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich ihn bis dahin noch nie Vater oder Dad genannt hatte. Mael reagierte ganz anders. Er hörte sich alles ruhig an, kommentierte nichts zwischendrin. Seine Mimik indes wechselte von schmerzlich mitfühlend zu bitterlich Angesäuert zu sauer aber ruhig. Dabei zog er seine Unterlippe kaum merklich nach innen. Zu gerne würde ich seine Lippe aus den knatschenden Fängen der Zähne befreien, hielt mich aber zurück. „Das ist lange her“, bemerkte ich im sanften Ton. „Hm… Trotzdem könnte ich diesem Typen eine Reinhauen. Wer bitte drängelt sich durch die Reihen? So was hirnrissiges“, schimpfte Mael. War er nicht süß, wenn er sich für andere aufregte? Schmunzelnd aber beschwichtigend, schob ich meinen leeren Teller von mir. „Es ist lieb, dass du dich so aufregst, aber es ist wirklich schon sehr lange her. Es hat mir damals nichts ausgemacht und jetzt auch nicht.“ „Wirklich nicht?“ Wie meinte er das? Fragend hob ich eine Augenbraue, während Mael seine Arme vor sich auf den Tisch verschränkte. „Du sagst, es macht dir nichts aus, aber … Es ist zwar nicht mehr so oft wie vor ein paar Monaten, aber du verspannst dich immer noch, wenn ich dich dort berühre.“ Tat ich das? Ich überlegte und konnte mich nicht erinnern, mich bewusst verspannt zu haben. Es war eine alte Narbe. Ihre Bedeutung war gering. Zudem veranschlagte ich für mich nicht einen makellosen Modelkörper haben zu wollen. Sicherlich trainierte ich etwas, aber das war nur, um in Form zu bleiben und nicht um jemanden zu beeindrucken. (Obwohl ich es toll fand, wenn Mael gefiel, was er sah.) Narben erzählten Geschichten und konnten den Körper durchaus verzieren. Während ich sinnierte, war Mael aufgestanden und hinter mich getreten. Ich nahm ihn wahr, fühlte seinen Blick auf mir und wie seine Hand sich auf meine rechte Schulter legte. Die Wärme seiner flachen Hand drang durch mein Shirt. Überrascht blinzelte ich. Mehr noch als Mael seine Hand wegnahm und an meinem Kragen zog. Tiefer, sodass die verschrumpelte Haut sichtbar werden würde. Ich verspannte mich. Mehr noch, je bewusster mir meine Reaktion auf sein Handeln wurde. Warum? Warum machte es mir etwas aus, dass Mael sie sah? „Ich habe es nie als Makel gesehen. Aber immer, wenn ich dieser Wunde zu nahekomme, verspannst du dich. Du hast mich immer vertröstet, wenn ich dich deswegen gefragt habe. Ich konnte es mir nicht erklären, aber nachdem was du erzählt hast, ist es verständlich, denke ich.“ Was für einen fürsorglichen Freund ich hatte. Er akzeptierte schneller als ich selbst. Diese Narbe… wie sah sie noch gleich aus? Ich hatte lange nicht mehr in den Spiegel gesehen, wusste die Form und Größe nicht mehr. War ich doch so eitel? Mael legte seine Hände locker um meinen Hals und schwang sich auf meinen Schoß. Ich sah in muntere grüne Augen. „Ich mag sie.“ Ich starrte zurück und entspannte meine Schultern. War es so leicht? Drei Wörter von ihm und ich war zufrieden? Es musste so sein, denn als sich jetzt seine Hand in meinen Kragen schob und die weichen Fingerspitzen die unebene Haut berührten, blieb ich entspannt. Ergeben und geschlagen lächelte ich. „Womit habe ich einen Freund wie dich verdient?“ Mael lächelte und legte seinen Kopf schief. „Hmm, vielleicht“, sinnierte er verspielt und ich sah das Glitzern in seinen Augen „Weil du mir dafür alles erfüllst, was ich mir wünsche?“ Meine Augenbraue hob sich erneut. „Tu ich das?“ Mael büßte etwas von seiner geraden Haltung ein. Sein Mund verzog sich zu einem sanften Schmollen und die grünen Iriden sahen mich groß von unten her an. „Nicht?“ Wer kann solch einem Blick widerstehen? „Was wünschst du dir denn?“, fragte ich mild und legte ihm meine Arme um die Hüfte. Mael lächelte wieder und schenkte mir einen Kuss. „Es ist etwas kurzfristig, aber heute Abend gibt’s im Planetarium eine Spätvorstellung. Wir wären zu halb zwölf erst wieder zurück. Ich würde gerne hin, aber du musst morgen früh raus, oder?“ Das stimmte. Ausnahmsweise musste ich mal früh raus und pünktlich auf Arbeit erscheinen. Auch wenn es ein Samstag war, ließ es sich nicht ändern. „Das klappt schon. Wenn ich einmal weniger Schlaf bekomme, ist es schon nicht schlimm.“ Mael war glücklich und machte sich beschwingt ans Abräumen des Geschirrs. Ich sah ihm nach. Mein Freund war manchmal etwas sonderbar, aber zu 90% steckte etwas hinter seinen Aktionen. Mael sprach oft davon, dass man nichts wirklich aussagen konnte, ohne alle Variablen und Fakten zu kennen. Er wirkte dann immer wie ein versessener Forscher. Doch wegen seines leicht runden Gesichtes und der klaren Augen war es sympathisch und nicht wahnsinnig. Ein Grund mehr warum ich seine Eltern nicht verstand. Ihr Sohn war so gut geraten und sie behandelten ihn so herablassend. Sogar ich hätte Komplexe entwickelt, bei solch wirrem Einfluss. Manchmal glaubte ich sogar, dass es bei solchen Eltern besser wäre, ganz ohne aufzuwachsen. Bevor ich diesen Gedanken beendet hatte, blitzen Bilder meines Adoptivvaters vor mir auf, die das Gegenteil bewiesen. Wäre ich in den Sozialforschungen tätig, würde ich daraus eine doppelte Langzeitstudie machen. In der Hoffnung, dass die Erwachsenen ihr törichtes Verhalten den Kindern gegenüber einstellten. Andererseits waren Erwachsene nur große Kinder, geprägt von den Einflüssen ihrer Kindheit. War es so einfach alles auf die Erwachsenen abzuwälzen? Wie auch immer, etwas an Maels Verhalten war sonderbar. Er fragte selten etwas, forderte noch weniger und wünschte sich bisher nie etwas von mir. Natürlich wurde ich da hellhörig. Erst recht, wenn seine Reaktionen so unverblümt waren. Während wir im dunklen Planetarium saßen und eine spannende Geschichte zur jetzigen Konstellation, Sternzeichen, Horoskopen und fernen Sternen und Nebeln hörten, wanderten meine Gedanken dann und wann auf ganz eigenen Pfaden. Von der Seite aus betrachtete ich das schwach erleuchtete Profil meines Liebsten. Sanft und verträumt, mit der Neugierde eines Kindes und der Ernsthaftigkeit reinen Wissensdurstes. Als ich Mael das erste Mal begegnete, war ich ebenso überrascht gewesen. Nicht nur, weil so spät noch jemand im Labor war. Ich hatte nicht wirklich mitbekommen, dass Elias einen neuen Kollegen hatte. Einige Wochen zuvor war ich mit Elias aneinandergeraten, als ich während einer der Tagschichten am Wochenende einen anderen Kollegen – warum auch immer – gekränkt oder beleidigt hatte. Mir war es nicht wichtig gewesen, darum vergaß ich es schnell wieder. Elias wollte mich als Freund und als Abteilungsleiter nicht vom Harken lassen. Wir stritten uns etwas zu sehr, sodass mein Vater mich in den Urlaub schickte. Es waren nur fünf Tage, da mir alleine zu Hause viel zu langweilig wurde. Dennoch es hatte ausgereicht, um einiges im Labor zu verpassen. Nun saß ein mir unbekannter Kollege – da ich noch immer nicht mit Elias sprach, wenngleich ich meinen Fehler eingesehen hatte – auf einem der Bürostühle. Schlafend und vom Neonlicht beleuchtet als wäre es ein Spotlight. Ich zückte mein Handy und machte ein Foto. Eine Angewohnheit, wenn ich schöne Dinge und Szenen sah. Ich fotografierte die Szene und besah sie mir später nochmal. Leider löschte ich viele der Bilder beim zweiten ansehen. Sie waren doch nicht so schön gewesen wie gedacht. Dieser Unbekannte jedoch blieb, ebenso wie das Foto von ihm. Nachdem Max sich vorgestellt hatte, ertappte ich mich immer wieder dabei ihn zu lange anzustarren. Er war ein sonderbarer Mensch. Einerseits war er hochkonzentriert und fachlich, wenn es um die Arbeit ging. Andererseits benahm er sich wie ein unreifes Kind. Er wurde rot, ohne dass ich wusste warum. Er sprach davon Hetero zu sein, flirtete aber deutlich und zweideutig mit mir. Seine Augen, seine Mimik, seine Haltung, seine Gestik, alles schien auf noch so kleine Aktionen von mir zu reagieren. Es machte mich wahnsinnig. Zu gerne hätte ich ihn mir gegriffen und … nun ja. Prekär wurde es, als ich die Kontrollproben zu Johannesˋ Verunreinigung machte. Gedanklich schimpfte und wetterte ich über wen auch immer, der mir die Arbeit versaut hatte. Ich achtete nicht darauf, dass jemand neben mir stand. Nachdem ich den Inhalt des Reagenzglases über Maels Hand verschüttet hatte, wurde mir heiß und kalt. Gedanklich lief bereits ab, wie es weiter gehen würde. Im Bruchteil einer Sekunde kam ich von diesem Vorfall zu Max, der mich anschrie, der sich beklagte, der meinen Vater die Sache erzählte, sodass er eindeutig und unwiderruflich das Opfer war, dass ich eine Sanktion erhielt und abermals von anderen gemieden wurde. Am Ende dieses gedanklichen Supersprints bemerkte ich, wie Mael immer noch vor mir stand. Sein Gesicht kreideweiß, hob er die Hände und entschuldigte sich. Wie ich später erfuhr, hatte Mael ähnlich gedacht. Für ihn war es tragischer gewesen mein Ergebnis zu ruinieren als eine mögliche Verätzung zu bekommen. Im Nachhinein war es typisch Mael. Damals verwirrte es mich. Ich glaubte es sei eine Finte und tat alles, damit er nicht mit einer ähnlichen Narbe endete wie ich. Sollte dieser hübsche Kollege wegen mir einen verunstalteten Handrücken bekommen, würde ich mir das nie verzeihen. Anders als erwartet, mied Mael mich nicht und ich gab mich der Illusion hin, dass ich ihn vielleicht doch umdrehen könnte. Aber jedes Mal kam etwas dazwischen. Ob die Sache mit Johannes, dass wir in ein Team kamen – wofür ich meinen Vater dankbar war, aber in dem Moment hätte ich ihn … naja – dass wir privat Laufen gingen und, wenngleich es unabsichtlich war, er mich küsste. Diese Aktion ließ mich hoffen. Elias war währenddessen mein Gewissen und betrachtete alles weniger emotional. Trotzdem war mir seine Unterstützung sicher. Mael sagte zu, mit mir auf ein Date zu gehen. Ich war super aufgeregt und plante ihn in das feinste und edelste Restaurant auszuführen, dass ich kannte. Ich hatte ihn hofieren wollen. Jedoch bekam ich diesen blöden Fieberschub und lag flach. Während ich alles verfluchte, klingelte es und ich schreckte hoch. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich eingeschlafen war. Die Zeit sehend, fluchte ich noch mehr. Jetzt hatte ich ihn ein zweites Mal versetzt! Genervt antwortete ich durch die Freisprechanlage und erschauderte als ich seine Stimme hörte. Noch während ich mir etwas überzog, rasten meine Gedanken. Wie kam er hierher? Woher wusste er, wo ich wohnte? Warum war er nicht sauer? Einen Teil erklärte sich mir, als ich eine SMS meines Vaters mit nur einem lachenden Smiley darin gesehen hatte. Nur, warum war Mael hier und war nicht sauer, dass ich ihn versetzt hatte? Warum machte er sich die Mühe und trug eine Maske? Es waren zu viele Fragen in meinem Kopf. Sein Verhalten ergab keinen Sinn und ich war nicht in der Verfassung mich mit all dem zu befassen, wenn es mir schon schwerfiel, mich auf den Beinen zu halten. Diese Maske störte. Ich wollte sein Gesicht sehen. Sein Lachen, seine Mimik. Seine Lippen waren genau richtig. Nicht zu dünn, nicht zu dick. Ich sehnte mich danach sie nochmal berühren und kosten zu dürfen. Dass Mael mir diesen Wunsch später erfüllen würde, hätte ich nicht zu träumen gewagt. Der Kuss war unheimlich gut gewesen. Jede noch so kleine Berührung von ihm brannte auf meiner Haut. Innerlich kribbelte es wie wild, sodass ich nicht wusste, ob ich nicht wirklich in Feuer stand. Als ich viel später wieder aufwachte und mich immer noch an diesen Kuss erinnerte, wusste ich, dass ich diesen Mann haben wollte. Was auch immer ich tun musste, ich würde es tun. Das Zettelchaos was mich erwartete, überraschte mich. Schmunzelnd las ich mir jeden durch. Der leere Teller vom Eiswürfel sagte mir, ich bräuchte keinen Timer mehr. Ich fand seine Handynummer – endlich! – seine Adresse und noch viele kleinere süße Dinge. Ich rief Elias an und wir waren uns einig, dass das hier eindeutig war. Dass Mael bei unserem nächsten Treffen verhalten reagierte, irritierte mich. Elias ebenso. Ich hielt mich zurück, da irgendwas komisch war. Als hätte ich etwas verpasst. Als wir das Telefonat mitbekamen, glaubte ich zu wissen was los war. Wie erleichtert war ich, als wir uns in jener Gasse ausgesprochen hatten und ich die offizielle Erlaubnis und Bitte erhielt ihn küssen zu können. Dass ich falsch lag, erschloss sich mir erst Monate später, als wir zusammenzogen. Ich zog den Nachtisch vor und stellte ihn in den Flur. Als ich zurückkam, lag ein sehr staubiger rosa Haftnotizzettel an jener Stelle. Ich ging hin, hob ihn auf. Sicherlich nur einer von denen, die ich schon kannte. Unbekümmert las ich was darauf stand und mich durchfuhr ein kalter Schauer. Maels Liebeserklärung. Altmodisch, süß, verstaubt und von mir heute erstmals gelesen. War es das gewesen, was Mael damals so verstimmt werden ließ? Er schrieb das hier auf, legte es so, dass ich es als erstes sehen MUSSTE und ich antwortete nicht darauf? Ich war so dumm! Nach dem Planetarium gingen wir nach Hause. Es war eine laue Nacht und zusammen spazieren zu gehen, hatte mittlerweile so seinen Reiz bekommen. Mael hatte sich bei mir eingehakt. Immer wieder sah er auf sein Handy oder meine Uhr. „Was ist? Angst, dass Geister kommen, wenn wir vor Null nicht zu Hause sind?“, fragte ich stichelnd. „He he. Geister wäre mir sogar lieb. Nein, es … es ist schon so spät.“ Erst scherzen, dann betrübt dreinschauen? Seine Stimmungswechsel wurden immer abstruser. „Ich sagte doch schon, dass es mir nichts ausmacht.“ Nun kaute er wieder an seiner Unterlippe. Hier war was faul … Wir waren nur noch eine Querstraße von unserer Wohnung entfernt. Die Straßen waren ruhig, die Bürgersteige hochgeklappt und wir standen zufällig gerade im Schatten eines Baumes. Ich hob sein Kinn an, zupfte die Lippe aus ihrer Gefangenschaft und gab ihnen gleich neue Arbeit. Meinen Freund zu küssen wurde nie langweilig oder eintönig. Es kribbelte immer noch und Maels Reaktionen machten jeden Kuss zu etwas Besonderen. Diesmal zuckte er überrascht zusammen, ehe er es genoss und nach erster Unschlüssigkeit der Umgebung wegen, seine Arme um meinen Nacken schlang. Mael machte Anstalten den Kuss zu beenden, doch ich ließ ihn nicht. Ich zog ihn wieder und wieder an mich. Er konnte weitaus länger küssen als das! Erst als ich mir sicher war, dass ich seine Ausdauer ausgereizt hatte, entließ ich ihn. Zufrieden leckte ich mir über die Lippen. Mael krallte sich in meine Jacke und sah mit hochroten Wangen zu Boden. Er wirkte beschämt, beinahe schüchtern. War ihm das Küssen in der Öffentlichkeit bei Nacht wirklich peinlich oder wollte er, dass ich ihn gleich hier unter diesem Baum nahm? Mael schluckte und trat näher. Sein Blick glitt von unten zu mir hinauf. Das Grün leuchtete selbst in diesem Schatten und bannte mich regelrecht. Er beugte sich weiter vor und flüsterte an mich gelehnt in mein Ohr. „Lass uns schnell nach Hause.“ Ich erfüllte ihm seinen Wunsch. Sowie alles, was er danach von mir verlangte. Ich gab ihm mehr. Ich gab es ihm schnell. Ich verwöhnte ihn sinnlich. Als wenige Stunden später der Wecker klingelte, verfluchte ich meine vorlauten Worte vom Vorabend. Ich war total müde und gerädert. Aber „Nein“ hätte ich wirklich nicht sagen können. Schwerfällig und träge pellte ich den Klammeraffen von mir ab. Diesmal sah er mir nicht nach. Nach der letzten Runde heute Morgen hatte ich mich von meinem schlafenden Freund gelöst und wollte zur Toilette. Als ich die Tür erreichte, hielten mich raue, müde Worte auf. „Wo willst du hin?“ Ich sah zurück. Eingemurmelt in seine Decke, eine Hand auf den leeren Platz neben sich ausgestreckt, blickten mich schimmernde Augen an. Sie waren müde, aber auf eine Weise auch sehr intensiv. „Bad. Bin gleich wieder da.“ Ich erhielt ein Brummen als Antwort und beeilte mich, bei dem was ich tun wollte. Wieder im Zimmre lag Mael noch immer so da. Sein Blick auf die Tür gerichtet, starrte er mich sofort an. Etwas war definitiv sonderbar, aber ich war zu abgelenkt, um zu fragen. Ich kroch zurück ins Bett und zog ihn an mich. „Warum wartest du? Schlaf doch weiter“, sagte ich im sanften Ton und kraulte ihm durch die Haare. Mael schmiegte sich an mich. „Ich will nicht alleine schlafen. Du bist das beste Geschenk, dass ich-“, Maels Worte waren zu Beginn schon sehr leise gewesen, doch wurden immer nuscheliger bis er schließlich abbrach und eingeschlafen war. Das war unfair! Wie konnte er so etwas anfangen zu erzählen und mich wach zurücklassen?! Mein Herz klopfte vor Freunde im Eiltempo und meine Gedanken zogen ihre Kreise. Rückblickend, war ich selbst schuld, dass ich zu wenig Schlaf bekommen hatte. Aber was hätte ich machen sollen? Mael war zu süß gewesen. Nun war ich in Rekordzeit aus dem Bad, angezogen und stand im Flur. Beim Blick in den Flurspiegel bemerkte ich, dass ich vergessen hatte mich zu rasieren. Ein Drei-Tage-Bart stand mir, aber in letzter Zeit hatte ich mich doch wieder ordentlich rasiert. „Lass ihn ruhig dran“, erreichten mich müde Worte. Ich sah mich um und fand Mael an die Schlafzimmertür gelehnt. Seine Bettdecke noch um die Schultern gelegt. „Soll ich wirklich?“ „Mhmh. Es steht dir.“ Mael sah so verschlafen und süß aus. Außerdem konnte ich ihm eh kaum etwas ausschlagen. „Kommst du heute zu um vier Uhr nach Hause?“ Ich zog meine Schuhe an und schenkte ihm einen fragenden Blick mit hochgezogener Augenbraue. Er lächelte nur und zuckte mit den Schultern. War es ein Geheimnis? „Sicher.“ Ich trat auf ihn zu und stahl mir einen Kuss. „Dann bis nachher.“ Mael lächelte vergnügt und Mh-te. Nachdem die Haustür hinter mir ins Schloss fiel, atmete ich durch. Ich schob die Gedanken an meinen zum vernaschen süßen Freund und was ich jetzt gerne mit ihm tun würde beiseite und fokussierte mich auf meine Arbeit. Der erste Kaffee aus der Kaffeeküche auf Arbeit half meine Gedanken klarer zu bekommen. Elias hatte um meine Unterstützung bei einer Abteilungsleitersache und der Kontrolle seines Experiments gebeten. Im Moment beschäftigte sich mein alter Kumpel viel mit Mikroben. Allein diese zu zählen war eine lästige wie trübselige Aufgabe. Ich war so frei und half aus. Die Abteilungsleitersache war mit eineinhalb Stunden im Versammlungsraum mit anschließendem Tragen von schweren Kisten mit unheimlich wichtigen Unterlagen schnell getan. Die Überprüfung seiner Ergebnisse dauerte etwas länger an. Halb zwei machten wir die erste Pause und setzten uns zu einem flüchtigen Mittag aus Sandwiches und Kaffee hin. „Reicht dir das bisschen zum Mittag?“, fragte ich Elias. „Na, passt schon, gibt ja nachher noch was. Da fällt mir ein: Was hat er sich von dir gewünscht?“ „Wer? Mael?“ Verwundert sah ich Elias an. „Warum fragst du das?“ Elias wollte gerade in sein Sandwich beißen, hielt inne und sah mich ebenso fragend an. „Warum nicht? Darf ich nicht neugierig sein?“ „Dich hat das sonst auch nicht interessiert“, gab ich trocken wieder. „Aber gut. Erst hat er sich gewünscht in eine Spätvorstellung des Planetariums zu gehen.“ „Oh, das ist cool!“ „Als wir zu Hause waren, ging es im Bett weiter. Ich hab-“ „Halt! Das will ich nicht wissen! Auch wenn es total verständlich ist, dass er sich seinen Freund wünscht. Ich mein … das ist quasi mit das Erste, was man sich wünscht, oder?“ Ich hob eine Augenbraue. „Warum fragst du dann, wenn du weißt, dass das dabei rauskommt?“ Elias schnaufte und verdrehte die Augen. „Ich dachte, dass er dir noch was anderes gesagt hätte. Er klang letztens so aufgedreht deswegen. Und als ich ihn gefragt hatte, meinte er nur, dass alles ok wäre und ich ihm nichts schenken bräuchte.“ „Warum willst du ihm etwas schenken?“ „Warum nicht? Wenn ich eingeladen bin, finde ich, gehört es sich so. Jedenfalls habe ich ihm zwei Karten für den Vergnügungspark besorgt“, erklärte Elias grinsend. „Er hatte erwähnt, dass er da nur einmal in seiner Schulzeit gewesen war und nicht alles fahren konnte. Könnt ihr also zusammen hingehen. Hehe, nett von mir, ne?“ Elias grinste über beide Ohren und ich bekam mehr und mehr das Gefühl, dass ich irgendwas grundlegendes Übersehen hatte. „Der Vergnügungspark ist eine gute Idee. Aber nochmal zurück zur Einladung. Wozu hat er dich eingeladen?“ „…“ „…“ „Josh?“ „Ja?“ „Weißt du das echt nicht?“ Elias starrte mich mit großen Augen an, als würden Mikroben auf meiner Nase tanzen. Eine unbestimmte Unruhe und ein kaltes Kribbeln im Nacken machten sich breit. Gerade so als säße mir ein Geist auf der Schulter. Mael war heute komisch gewesen… Hing das zusammen? „Kannst du es mir nicht einfach sagen?“, fragte ich leicht genervt, nichts von meiner Unruhe preisgebend. Elias schlug sich zunächst theatralisch auf die Stirn und seufzte hörbar. „Aaaalter Falter… Was wundere ich mich überhaupt? Ihr braucht ewig, um eure Nummer zu tauschen, redet aneinander vorbei und natürlich hast du ihn noch nicht nach seinem Geburtstag gefragt, oder?“ Einen Eimer mit Eis über den Kopf geschüttet zu bekommen, käme dem Frösteln, welches mich durchfuhr, nur im Ansatz nahe. „Nein, ich … oh, Scheiße. Er hat es nie erwähnt… Darum also-“ Elias lehnte sich zurück und genoss meine geschockte Miene gemischt mit einigen Wortfetzen der Erkenntnis. Das Gerede von Wünschen und mich als Geschenk! Ich hätte früher darauf kommen müssen! Wie unsensibel war ich denn? Seinen Geburtstag… ich hatte es wirklich vergessen. Meinen feierte ich nicht, empfand ihn als nicht weiter wichtig, weil meine Geburt ein Grund war, warum ich im Waisenhaus gelandet war. Mein Vater hatte sich alle Mühe gegeben diesen Tag für mich wieder attraktiv zu machen, aber es half alles nichts. Für Mael war dieser Tag vielleicht noch von Bedeutung und ich hatte nicht mal daran gedacht nachzufragen, wann er Geburtstag hatte! Er war da, er war bei mir, wir lebten zusammen, mehr brauchte ich nicht. Ich sprang auf und nahm meine Sachen. Elias hielt mich nicht auf, sondern rief mir nur „Bis später“ hinterher. Früher als geordert fiel ich hektisch durch die Haustür. „Mael?!“ Eilig zog ich meine Schuhe aus. „Mael!“ Ich stellte meine Tasche an die Seite und eilte durch den Flur. „Max?!“ Mir fiel nicht auf, dass ich ihn anders nannte. Als ich die Küche erreichte, trat er zeitgleich aus der Tür. Mit großen Augen sah er mich an. „Was ist los? Ist was passiert? Du bist so früh zurück.“ Ungewollt harsch schlug ich mit der flachen Hand auf den Türrahmen neben ihn. Er erschrak. Ich auch, doch zeigte ich es nicht. Eindringlich und verärgert sah ich ihn an. Spannung entstand, bis ich seufzte und meinen Kopf auf seine Schulter legte. Ich wusste nicht wie ich anfangen sollte… Verwirrt und noch etwas unschlüssig hoben sich Maels Hände und klopften mir schließlich tätschelnd auf den Rücken. „Was wünschst du dir?“, fragte ich matt. „Was meinst du?“ „Zum Geburtstag. Du hast mir nicht gesagt, was ich dir schenken kann.“ Mael blieb still, eh er amüsiert schnaufte und sich seine Arme um mich legten. „Das habe ich dir doch letzte Nacht alles gesagt. Und heute Morgen als ich dich bat, pünktlich hier zu sein.“ „Das ist doch nichts, was ich dir zum Geburtstag schenken kann. Das würde ich immer für dich tun. Also sag, was wünschst du dir?“ Er lachte leise und schob mich von sich. „Eben deswegen. Würde ich sagen, ich wollte nach Orlando Disney World, würdest du es mir schenken. Wollte ich eine Rolex oder einen Goldbaren würdest du es sicherlich auch möglich machen.“ Ich verstand nicht, was daran so lustig war. Natürlich würde ich es möglich machen! Alles was er sich wünschte, haben wollte oder begehrte, würde ich versuchen ihm zu ermöglichen. Mael genoss es, wenn ich ihn hofierte. Nur wenn ich übertrieb, wurde es ihm peinlich. „Ich habe dir mit Absicht nichts gesagt, weil ich wusste, dass du dich überschlagen würdest. Was ich wirklich will, ist, dass du diesen Tag mit mir zusammen genießt. So wie ich ihn geplant habe. Zu halb fünf kommen ein paar Gäste. Auch alte Freunde. Aber kein Binks. Er hat abgesagt, hat wohl zu tun. Aber ich denke, er geht mir lieber aus dem Weg. Evelin würde zum Kaffee kommen und nicht lange bleiben.“ Seine Ex also. Na, die war mir sympathischer als der andere Affe. Geknickt, aber gehorsam nickte ich. „Mael?“ Er sah auf und ich küsste ihm die Wange. „Alles Gute zum Geburtstag.“ Die grünen Augen begannen zu leuchten und strahlten mich an. Sein Lächeln war regelrecht entwaffnend. „Vielen Dank!“ Elias traf zu um vier ein. Zu früh, aber er meinte, er wollte nach uns sehen. Als er wenig später die Geschichte meiner Erkenntnis und wie wir aneinander vorbeigeredet hatten, erzählte, ertrug ich diese Schmach, weil es meinen Freund, der heute Geburtstag hatte, zum Lachen brachte. Kurz darauf trafen die anderen Gäste ein. Die neuen Kollegen aus seinem Labor und alte Freunde. Max stellte uns alle einander vor. Ich blieb höflich und suchte mal hier, mal dort das Gespräch. Da er mir verboten hatte beim Auftischen zu helfen, saß ich mit allen anderen am Tisch, während er rotierte. Auch wenn es anstrengend aussah, so schien er seinen Spaß zu haben. Ich redete mit Tobias, der mir von allen noch am vernünftigsten erschien, und später mit Maels neuen Kollegen. Diese Gespräche gestalteten sich interessanter, bis irgendwann alle gebannt den Geschichten von „Max auf Arbeit“ zuhörten. Einige waren erstaunlich, andere musste ihm peinlich sein, so hochrot wie er sich in die Küche verzog. Nach dem Kaffeetrinken verstreuten sich alle in der Wohnstube und redeten locker miteinander, ehe Mael seine Geschenke auspacken musste. Er schimpfte, dass er nichts gewollt hatte, aber Niemand nahm ihn ernst. Dafür leuchteten seine Augen viel zu sehr. Unbemerkt stahl ich mich auf den Balkon. Die Luft war warm und leicht schwül. Unerwartet kam Mael dazu. „Was machst du hier?“ „Frische Luft schnappen? So viele Leute in unserer Wohnung sind echt anstrengend.“ „Tut mir leid“, entschuldigte er sich sogleich. „Ich hätte dich vorher Fragen sollen.“ „Nein, nein“, winkte ich ab. Er wohnte schließlich auch hier. „Es ist nur ungewohnt und quirlig.“ „Ich weiß, aber das meinte ich nicht.“ Er maß mich mit mildem Blick und fuhr fort: „Du bist mir böse, weil ich dir nichts von meinem Geburtstag erzählt habe, oder?“ So würde ich es nicht ausdrücken, aber ja, schon irgendwie. „Ich verstehe das, aber ich wollte nicht, dass du heute mithilfst. Du findest es vielleicht fade, aber für mich ist es schon darum perfekt, weil du mir die kleinen Dinge erfüllst, die ich mir täglich wünsche. Du bist immer da und unterstützt mich.“ Er sah mich an, kaute auf seiner Unterlippe und zuckte mit den Schultern. „Nachher, wenn alle weg sind, würde ich dir gerne noch etwas sagen.“ Ich nickte und er küsste mich auf die Wange. „Ich liebe dich“, sagte er lächelnd und verschwand zurück in die Wohnung. Ich fühlte mich ertappt, froh und zurückgewiesen. Es war eine grausame Mischung. Zu gerne hätte ich ihm mehr geholfen, aber mein Nicht-Helfen machte ihn glücklicher. Ich schämte mich, mich nicht für diesen wichtigen Tag interessiert zu haben, aber Reue brachte mich jetzt auch nicht weiter. Das was mich wirklich wurmte, war dieser kleine hartnäckige Zweifel. So glücklich ich war, so stur blieb dieser Zweifel. Mael alles zu kaufen, was er wollte, ihn zu hofieren und auf Händen zu tragen, tat ich zu einem geringen Prozentsatz auch aus Angst, er könnte mich doch verlassen. Er könnte gehen, weil ich ihn nicht zu hundert Prozent beachtet hatte, weil mir ein Detail entgangen war. Ich hatte immer schon Schwierigkeiten Freunde zu halten. Bei Beziehungen sah es nicht anders aus. Irgendwas war immer. Das hatte sich mittlerweile so eingebrannt, dass ich lieber alleine leben würde, als nochmal jemand mir wichtiges durch eine Unachtsamkeit zu verlieren. Nun hatte ich seinen Geburtstag vergessen, nein, ich hatte nicht mal danach gefragt! Auch wenn Mael es abtat, war es für mich das größte Fettnäpfchen in das ich hatte treten können. Ich gab mir Mühe, aber ehrlich gesagt, zitterte ich wie ein Lamm auf der Schlachtbank. Was wollte er mir später erzählen? Würde er mich verurteilen, wenn wir zu zweit waren? Wie sagte Mael immer so schön: Es waren nicht alle Variablen zusammen. Ich konnte mir kein Bild machen und nicht urteilen. Schließlich hatte es einen Kuss und süße Worte gegeben. Ich fühlte mich als stünde ich in der Schwebe. Nachdem wir alle Gäste verabschiedet hatten, schloss ich die Tür. Mael war in die Küche geeilt, während ich noch stehen blieb. Ob er jetzt sauer werden würde? Ich atmete tief ein und ging in die Küche. Das Pflaster mit einem Ruck abziehen, dachte ich, aber in der Küche war keiner. Ich sah in der Wohnstube nach, doch auch nichts. Dafür stand die Balkontür offen. Gewappnet trat ich auf den Balkon und war erstaunt. Es war bereits dunkel geworden, der Himmel sternenklar. Mael hatte die zwei Balkonstühle und den kleinen Tisch aufgestellt. Darauf standen eine Kerze und zwei Teller mit einem Stück Kuchen. Es war nicht der gleiche wie vorhin. Dieser schien vom Konditor zu sein. Zwei Schwarzwälderkirschstückchen. Dazu vier Gläser. Je ein Sektglas und ein Weinglas. Also so, dass jeder von uns einen in der Krone hatte? Mael konnte keinen Sekt ab, wie ich bei der Gala vor fast einem Jahr bemerkt hatte. Vor einigen Monaten war ich es, der Mael präsentierte, dass ich alles vertrug, bis auf Wein. „Setz dich“, bat Mael mich. Sein Lächeln war warm und sanft. Ich setzte mich und beachtete die Tischdeko nicht weiter. Abwartend sah ich ihn an. Er jedoch sah immer wieder verlegen zum Tisch, redete aber nicht. Ich verstand nicht und je länger das Schweigen andauerte, desto mehr vertiefte sich die Röte auf Maels Wangen. „Josh, ich-“ „Bist du mir böse?“ Wir sprachen Zeitgleich, doch brach Mael ab. Blinzelnd neigte er verwirrt den Kopf. „Weswegen sollte ich dir böse sein?“ Ich seufzte und senkte meinen Blick. „Ich feiere meinen Geburtstag nicht, aber ich hätte wenigstens dich nach deinem Fragen können. Ich-“ „Josh, Josh, halt stopp. Was denkst du da wieder? Dass ich dir deswegen den Kopf abreiße oder eine Predigt halte? Mein Gott, du bist dumm und süß. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich es dir von mir aus erzählt. Ich kann doch nicht erwarten, dass du jedes Bisschen erfragst.“ Er schüttelte seinen Kopf und griff nach meiner Hand, zog sie zu seiner auf den kleinen runden Tisch und legte beide neben meinen Teller ab. „Dieser Geburtstag war nicht so wichtig. Und wenn du erlaubst, würde ich dir die Planung für nächstes Jahr überlassen. Wenn du die Sache leitest, wird es sicher nicht so schlimm werden.“ „Wieso? Wie alt wirst du denn?“ „Ich bin heute 29 geworden. Also ist nächstes Jahr mein Dreißigster. Und wenn du dich an das Fiasko mit dem Mehl in der Kaffeeküche erinnerst …“ Ich nickte und verdrehte die Augen. Sicherlich würden sie Mael durch ähnliche Dinge schicken. Immerhin war er nicht verheiratet. Davon ab erleichterte es mich ungemein, dass mir mein Freund meinen Fehler verzieh. Obwohl, anders betrachtet, sah Mael es nicht als Fehler an. Also sollte ich es auch nicht. Abermals senkte ich meinen Blick und folgte der sanften Bewegung seines Daumens über meinen Handrücken. Mael räusperte sich und der Kerzenschein flackerte auf meinen Kuchen. „Josh, weißt du, eigentlich wollte ich dich … also …“ Ich fokussierte das Glitzern auf dem Stück Kuchen und gefror auf meinem Platz. Mael hielt inne und hätte ich meinen Blick losreißen können, hätte ich sehen können wie sehr er errötete. „Ma-“ „Heiratest du mich?!“ „…“ Das war wohl das erste Mal in meinem Leben, dass ich schlecht Luft bekam. Auf dem Stück Torte befand sich am hinteren, dickeren Ende eine große Sahnekuppe. Ich hatte es zunächst übersehen, doch in diese war ein silberner schmaler Ring gesteckt worden. Er sah zu klein aus, aber ein Blick auf Maels Stück und ich fand einen größeren, breiteren Ring. Ebenso silbern und funkelnd. Der Kerzenschein ließ das Metall warm glänzen. Mir wurde warm. Mir wurde kalt. Dann wurde mir warm und wärmer. Ich wurde selten rot, aber in diesen Moment musste ich mindestens so puterrot sein wie Mael vor mir. „Ma-“ „Versteh das nicht falsch!“ Meine Augenbraue hob sich. Wie konnte ich das hier falsch deuten nach den Worten die er gesprochen hatte?! „I-Ich mach das nicht, weil ich nächstes Jahr dreißig werde“, begann er stotternd. Wenn möglich lief er noch dunkler an. Seine Augen leuchteten im Kontrast zu seinen Wangen, erwärmt vom Kerzenschein. „Ich … Ich mach das auch nicht, weil ständig alle danach fragen. Aber … ich habe darüber nachgedacht und … s-so schlecht fände ich es nicht, dich zum Mann zu haben.“ Mael hatte mal erzählt, dass er dann und wann das Gefühl hätte, in bestimmten Situationen ein lautes Puff in seinem Kopf zu hören. Bisher empfand ich diese Erzählungen als süß und sehr malerisch. Vor allem wenn ich mich daran erinnerte wie verlegen und hinreißend er in solchen Momenten ausgesehen hatte. Die Worte ‚dich zum Mann zu haben‘ lösten bei mir ein solches Puff aus. Da ich nicht antwortete, blickte Mael zu mir auf. Nervös, wartend. Was … sollte ich nochmal tun? Ah- schützend hob ich meine freie Hand und bedeckte verlegen meinen Mund. Mit der anderen fasste ich seine Hand fester. „Mael, du bist wahnsinnig.“ Eilig schüttelte ich meine Verstocktheit ab. Ich griff nach dem Ring, nahm ihn kurz in den Mund und leckte das bisschen Sahne ab. Zeitgleich hob ich seine Hand hoch, passenderweise die Linke und steckte den Ring passgenau an seinen Ringfinger. „Ja“, antwortete ich endlich und hob die Hand, um den Ring zu küssen. „Dich und nur dich“, fügte ich hinzu. Mein Blick glitt über seine Hand, seinen Ring. Mael starrte nur, stocksteif, ehe ein Ruck durch ihn ging und er verlegen und mit leicht wässrigen Augen zur Seite schielte. Ich könnte wetten, dass er ein sehr lautes Puff im Kopf gehabt hatte. Ich ließ seine Hand los und hob meine Linke hoch. „Wärst du so lieb?“, fragte ich, lächelnd. Mael nickte eilig und zog seine Hand zurück. Mit zittrigen Händen griff er nach dem Ring in seinem Kuchenstück. Achtsam ahmte er mich nach und leckte die Sahne vom Ring. Wahrscheinlich hatte er Angst ihn vor lauter Aufregung zu verschlucken. Er hätte auch die Serviette nehmen können, wenn hier eine liegen würde, dachte ich amüsiert und neigte meinen Kopf erwartungsvoll. Der Ring glitt ohne Probleme über meinen Ringfinger. Er war breiter als der von Mael, fühlte sich schwer und kühl an. Aber die Kühle verschwand schnell. Ich hob meine Hand und besah mir den Ring. Zu gerne wüsste ich, wie Mael meine Maße bekommen hatte. Hatte er in der Nacht, wenn ich schlief heimlich mit einem Maßband nachgemessen? Wie lange hatte er mit diesen Gedanken gespielt? Als ich im Waisenhaus war, besaß ich kein Foto. Heute hingen im Flur viele. Von Mael und mir im Park, auf Arbeit, im Freizeitpark, von unseren Verlobungsringen und eines von der Hochzeit. In einem kleinen dickeren Rahmen verweilten ein pinker Notizzettel und ein handschriftlicher Zettel mit zu lesenden Autoren und Büchern. Wenn ich in den Spiegel sah, erblickte ich nicht mehr das junge, verlorene Gesicht eines Jungen, der nicht wusste, wo er hingehörte. Der schlecht vertraute und sich so sehr nach menschlicher Nähe sehnte, dass er sich von allen fern hielt, um niemanden mit seiner Unbedarftheit und Fehlerhaftigkeit zu belasten. Wenn mich heute Zweifel überkamen, sah ich auf den erneuerten silbernen Ring an meiner rechten Hand. Wenn das nicht ausreichte, zog ich meinen Mann in meine Arme oder bat stumm um einen Kuss. Ich liebte diesen Mann. Ich liebte Mael so sehr, dass es mir manchmal unheimlich wurde. Mael hatte Recht, ich verwöhnte ihn, verhätschelte ihn und wollte, wenn ich dürfte, ihm die Welt zu Füßen legen. Mein Glück war, dass Mael mich auf den Boden hielt. Mein Glück war, dass ich ihn gefunden hatte. Mein Glück war, dass Josh zu Mael gefunden und Mael Josh nicht aufgeben hatte. Es war, das Finden und Geben des eigenen Herzens. Fin Kapitel 18: Weihnachten ----------------------- Extra Kapitel 4: Weihnachten Es war kalt geworden in den letzten Tagen. Der Himmel war grau verhangen und drückte etwas die Stimmung. Die Kälte tat ihr übriges. Ich war schon immer geteilter Meinung, was den Winter anging. Einerseits war Schnee wirklich schön. Wissenschaftlich, chemisch und ästhetisch. Reines Weiß, dass die Welt zum Schlaf bedeckte. Ich fand schon immer, dass es etwas mystisches und sehr klares hatte. Eis war in dieser Hinsicht noch kristalliner. Rein meine Tollpatschigkeit störte dieses märchenhafte Bild. Auf ungestreuten, vereisten Wegen war ich der Erste, der sich langlegte oder nicht vorwärtskam, ohne sich an allem möglichen festhalten zu müssen. Mit meiner eigenen Unfähigkeit wusste ich umzugehen, mit der meines Verlobten leider nicht. Mael war noch ungeschickter mit Schnee und Eis als ich. Zwei von drei Mal fiel ich hin, weil er mich mit runterriss. Elias hatte seine Scherze bereits gemacht. „Kommen zwei attraktive Männer den Weg entlang, fällt der Eine, fällt der andere ebenso“, sagte er und wirkte als hätte er einen Witz erzählt. „Hahaha, nee wirklich! Das wirkt so lächerlich.“ Ich dankte ihm für seine Ehrlichkeit, wenngleich ich mir selbiges schon gedacht hatte. Nur musste er es so laut und lachend im Foyer sagen? Andere Kollegen, welche das Unglück gesehen hatten, waren so dezent gewesen und hatten geschwiegen. Nun ja, das war halt Elias. Mich störte es nicht. Was soll’s, wenn Mael und ich uns letzten Winter blamiert hatten? Meine Entschädigung bekam ich mit jedem Erröten Maels. Zudem waren wir letzten Winter ein normales Paar gewesen. Verliebte, die seit ein paar Monaten miteinander gingen. Dieses Jahr war so viel besser! Mael hatte mir zu seinem Geburtstag einen Antrag gemacht und ich war überglücklich, ihn jetzt meinen Verlobten nennen zu können. „Bin fertig“, sagte Mael, als er die letzten Knöpfe seines Mantels schloss. „Willst du wirklich das Auto nehmen?“ „Ja. Es ist nur kalt, die Straßen sind noch frei. Alles gut“, versuchte ich ihn zu beruhigen. „Das sagst du…“ Ich trat auf ihn zu und küsste ihm die Stirn. „Ja, das sage ich. Du bist zwar mein Engel, aber auf Erden wandeln, bei Eis und Schnee, kannst du nicht.“ „Ach sei still“, murrte Max und schob mich von sich. „Können wir?“ „Hm? Ich meine ja nur. Wenn du mich niederreißen willst, mach das im Bett und nicht auf offener Straße. Das ist sehr mutig, aber bei der Kälte holen wir uns nur was weg.“ Wie ich es erwartete, verfärbten sich Maels Wangen in ein zartes Rosa. Der Alltag hatte uns etwas resistenter gemacht, aber noch immer schafften wir es uns gegenseitig in Verlegenheit zu bringen. Ehe Max was sagen konnte, küsste ich ihn und schob ihn aus der Haustür. Seit fast eineinhalb Jahre waren wir zusammen und lebten unter einem Dach. Dabei haben wir so gut wie alle Macken und alltäglichen Langweiligkeiten des Anderen miterlebt. Mein Alltag mit Mael war äußerst angenehm. Ich genoss die Zeit, die wir zusammen verbrachten, wenn wir kochten oder ich bekocht wurde. Wenn wir ausgingen, durch die Stadt schlenderten oder wie ein altes Paar spazieren gingen, weil Max der Ansicht war, ich würde mich zu wenig bewegen. Es war lustig, Maels Kochversuche aus antiken Rezeptbüchern mitzuerleben, sobald er die Genehmigung von seinem Team bekam, es zu Hause ausprobieren zu dürfen. Das passierte meist nur, wenn das Team mit einer Sache durch und der offizielle Bericht abgegeben worden war. Von daher war es bis jetzt nur zwei Mal zu solch einem Vergnügen gekommen. Das erste Mal war ein Erfolg und er überraschte mich mit einem mittelalterlichem Kuchengebäck aus Nüssen, Datteln und was nicht noch alles. Das zweite Mal war ein kompletter Reinfall. Es handelte sich um ein Mittagsmahl und Mael versalzte es vollkommen. Ganz zu schweigen von der Zusammenstellung der Gewürze, welche modernen Geschmäckern nicht munden konnten. Wie auch immer, Maels Enttäuschung aufzufangen und abzumildern, war inzwischen mit meine liebste Aufgabe geworden. Auf diese und andere Art verging die Zeit und Weihnachten stand vor der Tür. Es fühlte sich an, wie durch warmes Wasser zu schwimmen. Nicht ganz ohne Widerstand, aber sehr angenehm und flüchtig wie ein Windhauch. Unsere Meinung zu Geburtstagsfeiern war immer noch sehr unterschiedlich, aber was Weihnachten anging, waren wir uns einig. Wir genossen das Flair und weihnachtliche Angebote, mussten aber nicht feiern. Ein traditionelles Weihnachten mit Tannenbaum, Geschenken und Festmahl war uns nicht wichtig. Vielleicht sprach auch noch die Verliebtheit aus uns oder die noch immer allzu präsente Verlobung, aber solange wir Zeit miteinander verbringen konnten, waren die Festtage doch egal. „Fahr bitte vorsichtig“, bat Mael, als er ins Auto stieg. „Max, es hat noch nicht mal geschneit. Die Straßen sind trocken.“ „Aber es sind Minusgrade.“ Ich schenkte ihm einen Seitenblick und zog eine Augenbraue hoch. „Jetzt wirst du irrational“, sagte ich und sah ihm an, dass er mir zustimmte, wenngleich er seinen Blick schnell abwandte. Mael hielt viel von seinem Credo, dass man erst alle Fakten und Variablen haben musste, ehe man sich eine Meinung bilden konnte. Davon ab war er Wissenschaftler und bodenständig. Er wusste um die wichtigsten Eigenschaften von Wasser bescheid und wann es, logisch betrachtet, gefährlich war Autozufahren. Dass er trotzdem so reagierte wie gerade, war wohl meine Schuld. Als es letztes Jahr für zwei Wochen extrem kalt und winterlich gewesen war, hatten wir festgestellt, dass keiner von uns auf glatten Flächen gut gehen kann. Nach etlichen blauen Flecken entschieden wir uns, das Haus nur für das nötigste zu verlassen. Wir wollten einen großen Einkauf tätigen, weshalb wir das Auto nahmen. Auf dem Rückweg mussten wir einen Berghang hinauf. Nichts Großes und bei Weiten nicht mehr als ein Hügelchen. Jedoch hatte es Schneeregen gegeben, während wir im Supermarkt waren. Damit wurde selbst diese geringe Steigung spiegelglatt und das Auto verlor ab der Hälfte den Gripp und rutschte runter. Wir ditschten an ein Auto, welches hinter uns stehen geblieben war, da es gar nicht erst versucht hatte, uns zu folgen. Erleichtert, stehen geblieben zu sein, folgte auf den ersten Schrecken ein zweiter, als ein Auto über den Berg kam und beim runter fahren dasselbe Schicksal erlitt. Die Bremsen griffen nicht und das rutschende Auto krachte frontal in meines. Die Motorhaube war hin und auch wenn es mir im Herzen weh tat, war all das nur ein Blechschaden. Mael jedoch erlitt einen ziemlichen Schock, weshalb er sich den restlichen Winter weigerte das Auto zu nehmen und versuchte mich davon zu überzeugen, dass Bus und Bahn besser wären. An dem Tag, als er mir beweisen wollte, wie viel sicherer es war, die Bahn zu nehmen, fielen wir fünf Mal auf den Weg zum Bahnsteig hin. Mael rutschte drei Stufen hinab, weil sich jemand an ihm vorbei drängelte und Tollpatsch-Mael seinen Fuß auf ein Stück nicht gestreute Stufe setzte. Die Bahn kam verspätet und wir waren durchgefroren. Als wir endlich einsteigen konnten, hielten wir nach fünf Stationen, da der Zug nicht weiterkonnte. Der Grund war, wie damals beim Auto, plötzlich einsetzender Eisregen gewesen, der die Oberleitungen gefrieren ließ. Nachdem wir diesen Tag endlich zu Hause waren, ließ ich uns ein Bad ein und wir bestellten Essen beim Pizzalieferanten um die Ecke. Vom warmen Wasser umgeben, Mael an mich gezogen, vergrub ich meine Nase in seinem Haar. „Und? Was ist nun besser? Auto oder Bahn?“, fragte ich halb ernst, halb stichelnd. „Ach. Sei bloß still. Am besten wir decken uns mit Vorräten ein und verlassen das Haus nicht, solange die Temperaturen nicht dauerhaft im Plusbereich bleiben.“ Ich schmunzelte und zog meine Umarmung fester. „Dein Wunsch ist mir Befehl.“ „Sag mal, hast du nächste Woche nicht in ein paar Tage frei?“, fragte ich Mael zur Ablenkung. Vielleicht tat er es ungewollt, doch seine Hände hielten sich etwas zu krampfhaft am Sicherheitsgurt fest. „Ja, Dienstag und Mittwoch. Montag ist das Teammeeting und Donnerstag und Freitag muss ich zur Fortbildung.“ „Ah ja, die Fortbildung. Freu dich drauf.“ „Hattest du die schon?“, fragte Max neugierig nach. „Ja, letztes Jahr. Eine Woche vor meinem Zwangsurlaub und als ich wieder kam, stellte ein neuer Kollege meine Welt auf den Kopf“, erwiderte ich etwas schelmisch mit einem Grinsen. Es wirkte und zauberte ein Lächeln auf die Lippen meines Verlobten. „Dass du nicht müde wirst, davon zu erzählen.“ „Nie“, antwortete ich prompt und Max seufzte. „Ja, das befürchte ich auch. Warum fragst du wegen dem Frei?“, fragte er und führte das Gespräch zurück zum Anfang. „Der Weihnachtsmarkt hat schon auf. Ich würde gerne mit dir hingehen.“ Mael brummte verwundert und ich spürte seinen Blick auf mir ruhen. Da ich gerade durch die vollen, winterlichen Straßen der Stadt fuhr und einen ängstlichen Beifahrer hatte, sah ich nicht zur Seite, sondern konzentrierte mich voll auf die Straße. Aber … wie könnte ich seinen Blick nicht spüren? „Hast du Lust?“, fragte ich, den Blick starr gerade aus. „Auf den Weihnachtsmarkt?“, fragte Max nach und ich nickte voreilig. „Oder einfach nur Lust?“ Seine Stimme wurde zum Schluss etwas dunkler, sanfter und leiser. Seinen Blick konnte ich mir gut vorstellen. Halb geschlossene Augen, die mich von der Seite aus fixierten und ein Grinsen, dass sich allmählich auf seinen perfekten Lippen ausbreitete, weil mir bewusst wurde, was er tat. Tatsächlich war es nach wie vor selten, dass Mael zweideutig sprach oder offen mit mir flirtete. Aber wenn er es tat, erwischte es mich kalt. Meine Hand krallte sich fester um das Lenkrad und ich war sehr versucht zur Seite zu sehen. Ich atmete tief ein und erzwang ein Grinsen um zu kontern. „Beides natürlich. In diesem Fall würde ich dich gerne ‚über den Mark führen‘ und wenn wir daheim sind, ‚verführen‘. Klingt das gut?“, fragte ich nach und fühlte meinen Sieg. Zumindest für den Bruchteil einer Sekunde, ehe sich eine Hand, warm und geschmeidig auf meinen rechten Oberschenkel legte und sich mit kleinen Bewegungen von meinem Knie nach oben arbeitete. „Willst du damit wirklich bis nächste Woche warten?“ Die Ampel wurde rot und ich bremste etwas zu stark. „Mael!“ „Hah hahaha, tut mir leid, tut mir leid, aber das bot sich gerade an“, sagte Mael lachend und zog seine Hand zurück. „Ich weiß, du gibst dir Mühe ordentlich zu fahren, aber das wirkte gerade so überaus verkrampft, dass ich dich etwas aufziehen musste.“ Da wir standen, sah ich ihn grimmig an. „Ja, schon klar. Da macht man sich Gedanken um dein Wohlbefinden und dann so was…“ „Verzeihst du mir?“, fragte Max mich und klimperte mit seinen Augen. Ich seufzte schwer und rollte mit den meinen. „Was denkst du denn?“, fragte ich zurück. Maels Schnute verzog sich zu einem amüsierten Grinsen, welches meinen Unmut sofort wegschmolz. „Dass du mich zu sehr liebst, um mir böse zu sein.“ „Ja, das ist wahr.“ „Hehehe“, kicherte Mael und beugte sich zu mir. Er küsste mich und ich hätte den Moment zu gerne ausgekostet, aber- „Außerdem weiß ich, dass es dir gefallen hat, aber- Josh?“ „Mhm?“, fragte ich, mein Blick ganz auf ihn gerichtet. „Es ist grün.“ Die schöne Stimmung verflog im Nu und holte mich gnadenlos in den städtischen Verkehr zurück. Genervt verzog ich das Gesicht und fuhr los, während Mael weiterlachte. Nach dieser Sache schmollte ich für einige Stunden. Eigentlich nur, weil ich mich darüber ärgerte, dass ich diese Situation nicht besser ausgenutzt hatte. Andererseits hatte Mael es wohlweißlich getan, eben weil ich nichts hätte ausnutzten können. Grimmig hing ich über meiner Arbeit, bis mich eine Nachricht aus meinen Gedanken riss. Ich ging zu meinem Schreibtisch und sah auf mein Handy. Mael hatte mir ein Bild gesendet. Darauf sah ich mich, wie ich eben noch an meinem Tisch gestanden hatte. Ich schickte Elias einen grimmigen Seitenblick. Natürlich hatte er das Foto gemacht. Wahrscheinlich war ich ihm zu grimmig oder wer weiß schon, was in seinem Kopf vorging. Unter dem Bild schrieb Mael: „Hör auf zu schmollen und denk dir lieber aus, wo wir heute Abend essen gehen.“ Ich grinste und legte das Handy weg. Da keiner von uns der Spitzenkoch war, gingen wir ziemlich oft auswärts essen. Die Atmosphäre und das Flirten in der Öffentlichkeit verliehen jedem Essen einen besonderen Charme. Acht von zehn Mal endete ein solches Essen in einer kleinen Runde zwischen den Laken. Mael gab es nicht zu, aber ich vermutete, dass diese Art des Flirtens und des Vorspiels ihn ziemlich reizte. Von daher war ich wieder guter Dinge, jetzt wo klar war, dass wir heute Abend ausgehen würden. „Wenn dir meine Laune nicht passt, sag es mir doch ins Gesicht“, sagte ich an Elias gerichtet. „Du weißt, dass mache ich immer“, antwortete Elias gelassen und schwenkte ein Reagenzglas vor der Nase. „Warum dann das Foto an Max?“ Meine Verwirrung wuchs, als Elias breit grinste. Es war immer gruselig, wenn er das machte. „Weil ich drum gebeten wurde“, war seine schlichte Antwort und er sah mich flüchtig an. Ich brauchte einen Moment, ehe ich seine Aussage verstanden hatte. „Ach so“, sagte ich kleinlaut und wandte mich meinem Tisch zu. „Danke dir.“ Ich spürte, wie ich rot wurde und wie ein ebenso freudiges Grinsen an meinen Mundwinkeln zupfte. Was war ich für ein Glückspilz. Die Frage war nur noch, ob ich ihn damit aufziehen würde oder den Abend mit diesem Wissen genoss. Ein paar Tage später hatte Mael frei und ich stahl mich von der Arbeit. Ich hatte gerade keine Proben oder praktische Arbeit zu tun, weshalb ich nachlässig geworden war. So gesehen machte ich blau, verkaufte es Elias aber als Homeoffice. Früher hätte ich mich so lange mit der Literatur, den Büchern und dem Internet verschanzt, bis ich fertig geworden wäre. Ich hatte sogar ein ums andere Mal auf meinen Materialien geschlafen, was ziemlich unbequem gewesen war. Mittlerweile sah ich alles etwas lockerer. Der Grund dafür war klar und bedarf, denke ich, keiner Erwähnung. Wir zogen uns warm an. In der Nacht war die Temperatur stark gesunken und die Autos und Gehwege glänzten und glitzerten, vom Frost bedeckt, in der Sonne. Sicherheitshalber testen wir, wie glatt die Wege waren. Wir schienen Glück zu haben. Um in die Stadt zu kommen, nahmen wir die Bahn. Ich ließ mich überreden, weil wir dann beide etwas trinken konnten. Selbst innerhalb der Woche war viel Betreib auf dem Weihnachtsmarkt. Die meisten Stände befanden sich in der Einkaufsmeile und dem Marktplatz. Rund um die Kirche und das Rathaus waren an die dreißig Stände aufgebaut worden. Ich hätte nicht gedacht, dass noch so viele Platz finden würden, wenn die Mitte des Marktes für etwas anderes genutzt wurde. Als wir aus der Bahn kamen, stieg uns der Geruch von kalter Luft und Gewürzen in die Nase. Süßes und Herbes gleichermaßen. Es war der unvergleichliche Geruch eines Weihnachtsmarktes. Wenngleich ich mich mit Schal und Mütze bewaffnet hatte, hatte ich die Handschuhe nicht mitgenommen. Ich bezweifelte, dass es soo kalt sein würde. Doch hier in der Stadt zwischen den engen Gassen und den Massen wehte ein frischerer Wind. Fröstelnd steckte ich meine Hände in die Jackentaschen und vergrub mein Gesicht bis zur Nase in meinen Schal. Ein Ruck an meinem rechten Arm ließ mich hinsehen und ich schmunzelte in meinen Schal hinein. Mael hatte sich bei mir eingeharkt und seine Jacke soweit es ging über seine ebenfalls nackten Finger gezogen. „Willst du deine Hand nicht lieber mit in die Tasche stecken?“, fragte ich amüsiert. Mael schüttelte seinen Kopf, dass seine Haarspitzen, welche nicht unter der Mütze gefangen waren, nur so wippten. „Vielleicht später. So verliere ich dich nicht.“ So würden wir uns definitiv nicht verlieren und definitiv zugleich ausrutschen, wenn ich keinen guten Stand hatte, dachte ich mir. Unbewusst spannte ich meinen Bauch an, um es nicht zu einem peinlichen Ausrutscher kommen zu lassen. Wäre doch gelacht, wenn ich das Fliegengewicht an meinem Arm nicht halten könnte! Die Stände waren genau die Gleichen wie letztes Jahr. Die Angebote variierten leicht, aber nicht viel. Die Preise waren gestiegen, was niemanden davon abhielt etwas zu kaufen. Wir schlenderten zuerst alle Stände ab, ehe wir uns für etwas entschieden. Mael verschlang einen Crépe, eine Bratwurst, kandierte Nüsse und Pilze mit Pommes. Ich selbst hielt es bei Leber mit Zwiebeln und naschte das süße Zeug bei ihm. Als wir zum zigsten Mal an einem Stand mit Lebkuchenherzen vorbeikamen, fiel mir ein Schriftzug ins Auge. Er passte perfekt, also kaufte ich ihn und hängte ihn Mael um den Hals. Vertrauenswürdig wie mein Verlobter nun mal war, ließ er sich das Herz in Handgröße umhängen, ehe er sich die Beschriftung durchlas und mich fragend ansah. Max konnte nach wie vor keine Augenbraue einzeln hochziehen. Sein fragender Blick wirkte immer sehr überrascht, was wiederum sehr niedlich aussah. Wie ein überraschter Hase oder Hamster. Ich schmunzelte nur und tippte auf den Schriftzug. „Das beschreibt dich perfekt“, sagte ich. „Hm … ich glaube dir.“ „Aber?“ „Ich stelle mal wieder fest, dass ich noch lange nicht alles über dich weiß“, sagte Mael gerade heraus und ich lachte. Einen Arm um ihn gelegt, gingen wir zum nächsten Getränkestand. Auf dem Lebkuchenherz stand ‚Ruler of the world‘, was meiner Meinung nach die perfekte Beschreibung für meinen Verlobten war. Am Glühweinstand orderte ich für Mael einen Glühwein mit Schuss und für mich ein Schwarzwälderpunsch. Dieser war mit Kirschen und Kirschlikör und ziemlich lecker. Mein Glück war, dass es deutlich mehr Angebote gab, als nur Glühwein. Wir tranken jeder zwei und gingen gut gewärmt und leicht angeheitert weiter. Den Markplatz flanierten wir entlang und hielten an interessanten Ständen an. In der Mitte des Marktplatzes waren Banden aufgestellt worden und Gelächter hallte zwischen der weihnachtlichen Musik. Max blieb stehen und sah den Menschen auf dem künstlich erzeugten Eis zu. Die offene Schlittschuhfläche war jedes Jahr sehr beliebt. Im Moment waren recht wenige auf dem Eis. Es war gegen Mittag und die meisten tummelten sich beim Essen. Die Idee mich freiwillig auf noch glattere Gefilde zu begeben als üblich, löste keine Begeisterung in mir aus. Mein Blick jedoch haftete an den leuchtenden Augen neben mir, welche voller Freude und Neid auf die Personen auf dem Eis sahen. Dieser Anblick war rein und schmolz mein Herz und meinen Widerstand. Ich nahm Maels Hand in meine und riss ihn damit aus seiner Bewunderung. Leuchtend große, grüne Augen sahen zu mir hoch und spätestens jetzt wäre es um mich geschehen gewesen. „Willst du fahren?“, fragte ich. Max verzog den Mund. Er wollte. Das sah ich ihm an, aber er haderte mit sich selbst. Vielleicht, weil es glatt sein würde? Weil er Angst vorm Fallen hatte oder sich zu sehr zu blamieren? Oder dachte er, dass ich nicht mitkommen würde und wie wahrscheinlich es sein würde, dass er Spaß hätte, wenn ich nur vom Rand aus zu sah? Ja, letzteres klang nach ihm. Ich schenkte ihm ein Lächeln und beugte mich zu ihm runter. „Wenn du willst, dann nur zu. Ich komme auch mit, wenn du darauf bestehst.“ Mael errötete und sah schnell zur Seite. „Ich bestehe nicht drauf“, sagte er ausweichend und sah mich wieder an. „Aber wenn du mitkommen würdest, wäre es schon schön.“ Es war wirklich unfair, dass Mael bei einem solch einfachen Satz eine Schnute ziehen konnte, die ihn noch unwiderstehlicher machte! Da mein Herz und mein Widerwille bereits Geschichte waren, konnte ich mich voll und ganz auf diesen Anblick einlassen und genoss ihn in vollen Zügen. Die leicht roten Wangen, der etwas unsichere Blick, freudig und bittend zugleich. Seine leicht nach vorne geschobene Unterlippe und der etwas zur Seite gezogene Mundwinkel. Ich beugte mich vor und küsste was Mein war. „Dann holen wir uns mal ein paar Schlittschuhe.“ Die Verkäuferin gab uns die passenden Größen heraus und eine der Aufseherinnen gab uns eine kleine Einweisung. „Sie wirken skeptisch“, fragte sie zum Schluss. Ich nickte schlicht. „Wir sind beide nicht gut auf glatten Flächen mit unseren Füßen.“ „Ha haha, da brauchen Sie sich wirklich keine Sorgen zu machen. Zu Beginn können Sie gerne diese Fahrhilfen nutzen. Viele Erwachsene fühlen sich unsicher in Schlittschuhen. Sind Sie jemals Inliner gefahren? Es ist sehr ähnlich. Nur dass die Bremsen nicht am Hacken sind.“ „Beruhigend zu wissen. Wie bremsen wir?“, fragte ich weiter und ignorierte die Fahrhilfen im Pinguinstil. „Fahren Sie an die Bande oder versuchen Sie das Gewicht etwas auf die Zehnspitzen zu verlagern.“ Mael war der erste, der sich auf’s Eis traute. Er war wackelig auf den Beinen, aber fiel erst als er die Mitte erreicht hatte. Ich schmunzelte etwas und setzte den ersten Fuß auf das Eis. Es war super glatt. Aber wenn es wirklich wie Inliner fahren sein sollte, würde es schon werden. Mit Inlinern war ich als Kind ziemlich gut gewesen. Ich sah auf und bemerkte, dass eine der Verantwortlichen Mael bereits aufgeholfen hatte. Nun, da er sicher war, würde ich mein Glück versuchen. Ich stieß mich ab und ließ mich gleiten. Die Bewegungen ähnelten wirklich denen vom Inliner fahren, was es mir einfacher machte. Auch das Kurvenfahren war einfacher als gedacht. Schnell hatte ich eine Runde hinter mir. Als ich es bemerkte, sah ich mich zu Max um und fand ihn immer noch in der Mitte stehend. Sein Mund war leicht offen und dass Erstaunen deutlich zu lesen. Ich schmunzelte und fuhr an ihm vorbei. Als ich eine halbe Runde rum war, sah ich wieder zu ihm und der beleidigten Schnute, welche er nun zog. Etwas langsamer fuhr ich zu ihm hin und blieb vor ihm stehen. Bremsen war einfacher als gedacht. „Ich dachte, du kannst das nicht?!“, rief Max empört aus. „Ich bin bisher auch noch nie Schlittschuh gefahren, aber scheinbar hilft es wirklich, wenn man gut mit Inlinern war.“ „Das ist total gemein“, motzte Max weiter und verschränkte beleidigt die Arme. „Findest du? Dabei machst du dich doch gut.“ „Bei weitem nicht so gut wie du!“ „Hahaha, Max. Sei nicht eingeschnappt“, bat ich ihn und hob sein Kinn an. „Ich bin auch froh, wenn ich vor dir mal eine gute Figur machen kann.“ Die Aussage ließ ihn erröten und zur Seite sehen. Sein Blick senkte sich. Doch ich bemerkte den Anflug von Eifersucht in seinem Blick. „Du machst eine sehr gute Figur.“ „Danke dir“, sagte ich und schenkte ihm ein Lächeln. Ob ihm das nun peinlich war oder ob er insgeheim doch einen Racheplan geschmiedet hatte, wusste ich nicht. Max konnte, wenn er wollte, ziemlich hinterhältig sein. Für diesen Moment vermutete ich jedoch Ersteres. Als Mael seine Arme ausstreckte, um mich zu umarmen und ich ihm nur zu gerne an mich zog, rächte sich, dass wir noch auf dem Eis standen. Der Versuch von Mael sich auf den Beinen zu halten, brachte uns noch schneller zum Liegen. Ich fiel auf den Hintern und Mael auf seine Knie, den Rest konnte ich abfangen. „Maaax~“, jammerte ich und verzog schmerzlich das Gesicht. „Tut mir leid. Tut mir leid“, sagte Max entschuldigend und rappelte sich auf. Er sah mich schuldbewusst an, als er mich nach Verletzungen abtastete. Seine Eifersucht war verflogen, noch ehe sie ausbrechen konnte. Ich griff nach seinen Händen und fixierte seinen Blick. „Nichts passiert. Aber den blauen Fleck wirst du besser küssen müssen“, sagte ich nur für ihn hörbar. Bei uns gab es, wie das Jahr zuvor, keine weihnachtliche Dekoration. Wir stellten auch keinen Tannenbaum auf. Einzig die Lieder im Radio versüßten die heimelige Stimmung. Plätzchen und Kuchen gab es wie immer vom Bäcker. Keiner von uns hatte jemanden im Bekanntenkreis, der gerne und viel backte und uns zwei konnte man in der Küche nur für das Nötigste finden. Obwohl Max weitaus besser kochen konnte als ich. Wie auch immer. Weihnachten war für uns beide nicht das besinnliche Fest der Familie, wie es in unzähligen Filmen und dem Marketing dauert gezeigt wird. Bei mir war der Grund einfach. In den Jahren, in denen Kinder die meiste Freude am Weihnachtsmann und Geschenke bekommen haben, lebte ich im Waisenhaus. Dort gab es zwar einen Baum, den wir mit Selbstgebasteltem und Strohsternen schmückten, aber Geschenke gab es nie für einen allein. Selbst wenn die Schwestern gewollt hätten, waren die Gelder dafür einfach nicht da. Ich setzte mich zu den Kindern und gab mich erfreut über die Gruppengeschenke – wenn ich mich nicht sogar wirklich freute – aber das Schönste für mich an diesem Fest waren genaugenommen die Speisen und das gesellige Beisammensein. Auch wenn es jedes Jahr zum Ende hin in Streit ausartete. Ob Kinder oder Erwachsene. Irgendwer fing immer an. Bei Max konnte ich es mir fast denken, warum er Weihnachten nicht mochte. Seine Familie war streng gläubig und etwas speziell. Sicherlich hatten sie jedes Jahr einen Baum und schmückten viel. Seine Mutter kochte und backte bestimmt, was das Zeug hielt und er musste zu Chorgesängen und in Kirchen gehen. Ich konnte mir seine miesepetrige Miene mit den Jahren vorstellen. Er hatte mir erzählt wie es für ihn gewesen war, als er entdeckt hatte, dass er auch Männer mochte. Vielleicht sogar mehr als Frauen. Seine Erzählungen ließen mich frösteln. Aber davon ausgehend, konnte ich mir bildlich vorstellen, wie seine Eltern sich auf ein Fest wie Weihnachten freuen musste. Es war mehr als nur ein gesellschaftliches Ereignis, es war DAS Ereignis und musste mit entsprechender Ernsthaftigkeit gewürdigt werden. Wahrscheinlich hatte es mein Verlobter mit den Jahren schwerer und verstand immer weniger den aufgesetzten Zirkus. Vielleicht hatte er den ganzen Humbug einmal in Frage gestellt und musste zur Strafe zum Pastor und seine Dummheit beichten. Ich lachte innerlich bei der Vorstellung. Wie sich mir später eröffnete, lag ich mit meiner Vermutung nicht weit daneben. Was wir beide an Weihnachten, oder besser gesagt, am Winter, am meisten schätzten, war der Schneefall. Wenn alles weiß bedeckt wurde, die Stadt gefühlt langsamer agierte und leiser wurde. Wenn man dann drinnen vor dem Kamin saß, eingemummelt in eine Decke und hinaus in die Nacht sehen konnte… gab es etwas Schöneres? Letztes Jahr war es bei uns besonders chaotisch gewesen, da wir gerade erst zusammengezogen und noch am Einrichten und Auspacken waren. Mein Vater war vorbeigekommen und hatte uns etwas zu Essen mitgebracht. Das war unser erstes Weihnachten gewesen. Unorthodox, klein und gemütlich. Dieses Jahr hatten wir genügend Zeit die Weihnachtstage zu verplanen. Den 24. hatten wir für uns. Den 25. besuchten wir meinen Vater am Nachmittag und den Abend. Er hatte eine Küchenhilfe eingestellt, die ein wirklich leckeres Menü gezaubert hatte! Ich war hin und weg und so vollgefressen, wie schon lange nicht mehr. Mein Vater hatte einen Baum aufgestellt und wir saßen mit Tee, Kaffee und Keksen davor und sahen uns die üblichen Klassiker im Fernsehen an. Obwohl es nur für Max und meinem Vater Klassiker waren. Fernsehen war im Waisenhaus nicht drin gewesen. Die beiden erzählten von vergangenen Festen, von den Dingen, die immer schief liefen, egal wie gut man sie plante und von den Dingen, die unerwartet schiefgelaufen waren. So hatte Max’s Bruder, als er bereits sechs Jahre alt gewesen war, den Tannenbaum angezündet. Das Durcheinander war perfekt gewesen und alle verbachte den nächsten Tag komplett in der Kirche. Mein Vater musste von meinem ersten Weihnachten bei ihm zu Hause erzählen. Wie ich die Geschenke abgelehnt hatte, weil ich es nicht gewohnt war und dachte, er wollte mich bestechen. Ich fand das durchaus nachvollziehbar! Max lachte nur und hielt sich den Bauch. Später am Abend, überreichte er mir ein kleines Geschenk und bat mich nicht zu denken, dass er mich bestechen wollte. Dazu zwinkerte er und grinste. Selbst wenn ich es nicht gedacht hätte, dachte ich es zu mindestens jetzt! Argwöhnisch öffnete ich die Schachtel und fand die Uhr darin, mit welcher ich geliebäugelt hatte. „Bist du verrückt?“, fragte ich ihn entgeistert, da ich wusste, wie teuer sie war. „Es ist ein Geschenk von uns beiden“, sagte Mael und lächelte zuckersüß. Mein Vater nickte. Es beruhigte mich, dass Mael nicht allein eine so hohe Summe ausgegeben hatte und da es Weihnachten war, blieb ich milde gestimmt. Sie hatten es gut gemeint und sich etwas Praktisches für mich überlegt. Diese Art der Mühe wollte ich würdigen. Schöner war es als ich Max sein Geschenk überreichte. Es war eine Reise. Ein Kurztrip dorthin, wo man im Warmen vor einem Kamin sitzen konnte, während es draußen schneite. „Ich habe auch mit meinem Vater zusammengelegt“, sagte ich auf sein sprachloses Gesicht hin. „A-Aber das ist so weit weg. Können wir das wirklich machen?“, fragte Max nach. „So weit weg ist es auch nicht“, sagte McFloyd. „Er ist noch nie außerhalb des Landes gewesen“, sagte ich zu meinem Vater. „Ohh, nun dann, ist es ein kleines Stückchen weit“, beteuerte McFloyd mit einem Lächeln. „Es wird eine gute Übung sein“, fügte ich noch hinzu und Max sah mich fragen an. „Für die Flitterwochen. Ich kann es ihm leider nicht ausreden, dass er sie uns schenken will.“ „Aber du musst nicht!“, insistierte nun auch Max und mein Vater hob beschwichtigend die Hände. „Das ist schon okay. Drei oder vier Wochen auf den Malediven oder Hawaii ist das Mindeste.“ Man kann sich denken, was das für eine Diskussion ausgelöst hat. Ich hielt mich raus und sah zu, wie zwei Sturköpfe gegeneinander argumentierten. Insgeheim stimmte ich Max zu. Es gab scheinbar wirklich jedes Jahr etwas, mit dem man nicht rechnete und was die besinnliche Stimmung in Aufruhr versetzte. Wenngleich diese Argumentation nichts im Vergleich mit dem war, was die beiden bereits erlebt hatten. Oder mit dem Anruf von Maels Mutter, den dieser auf Laut stellte und mein Vater und ich zugleich mit den Augen rollten. Da Weihnachten war, lasse ich die unschönen Ausdrücke mal weg. Sie war nicht nur uneinsichtig, sondern auch stur. Nun wusste ich, von wem Mael das hatte. Jedoch reichte es mir nach fünf Minuten Monolog und ich nahm das Handy zur Hand. „Sie haben sich das ganze Jahr nicht bei ihrem Sohn gemeldet und erwarten nun, dass er tut und macht. Aber Max ist alt genug, um selbst zu entscheiden und sofern Sie nicht zu Kreuze kriechend ankommen und um Verzeihung für ihre Uneinsichtigkeit bitten, bitte ich Sie uns nicht mehr zu behelligen, ansonsten sehe ich mich gezwungen, eine Anzeige wegen Belästigung aufzugeben.“ Ich legte auf. Mein Vater lächelte schief und nickte erfreut, während Max sprachlos war. „Du weißt schon, dass das nie passieren wird“, bemerkte er schlicht. Ich zuckte mit den Schultern. „Darum habe ich es ja gesagt“, antwortete ich und brachte ihn zum Lachen. Am 26. besuchten wir Elias zum Mittagessen. Er, seine Frau und die Kinder waren quietschfidel. Das Essen war köstlich und im Anschluss gingen wir spazieren. Es war immer noch lausig kalt und die wenigen Pfützen und Wasserstellen im Park waren alle zugefroren. Die Temperaturen lagen seit Tagen im Minusbereich, aber der Himmel blieb sternenklar und wolkenfrei. Schnee schien noch lange nicht in Sicht. So konnte ich mich nur amüsieren wie Max sich, wider besseren Wissens, von den Kindern mit auf die Pfützen und glatten Stellen zerren ließ und sich nacheinander hin packte. Elias zügelte seine Wildfänge und ich half meinem Liebsten zurück auf die Beine. Er rieb sich die Hüpfte. Das war das einzig gute an dieser Jahreszeit. Man konnte die blauen Flecke, die er von mir oder einem Sturz erhielt, kaum unterscheiden. Nachdem wir bei Elias fertig waren, konnten wir gleich weiter zum Weihnachtstreffen mit Maels Freunden. Sie machten es dann und wann mal, aber dieses Jahr hatten sie sich noch nicht sehr häufig gesehen, also wurde es kurzerhand ein Weihnachtsessen. Max war nicht gerade guter Dinge, wo ihm alle Knochen weh taten und wir noch ziemlich satt vom Mittagessen waren, aber ich lernte, dass es am Abend des 26. vielen so ging. Die Feiertage hindurch hatte es nur Essen gegeben und nun war jeder so satt, dass niemand mehr etwas hätte essen können. Und trotzdem bestellten wir uns etwas und überraschenderweise passte alles noch rein. Ich nahm mir vor für nächstes Jahr weniger zu essen. Oder besser noch, gar nicht hier zu sein. Die Besuche und Anstandsbesuche waren zwar okay, aber es schien unhöflich gerade jetzt etwas Dargebotenes abzulehnen. Wenngleich es Spaß machte mit Freunden und Familie die Feiertage zu verbringen, war mir etwas mehr Ruhe lieber. Wie gesellig es auch sein mochte, tat es auch gut, wenn alles wieder etwas ruhiger wurde. Der Abend mit meinem Vater war ausgelassen und lustig geworden, wenngleich der Abschied etwas anhänglich wurde. Die Nostalgie machte ihm jedes Jahr zu schaffen. Aber zu dritt war es ganz angenehm gewesen. Elias Kinder waren bezaubernd und sehr einnehmend gewesen. Ganz der Vater. Maels Freunde waren aufgedreht und hatten mir gezeigt, dass die Facetten von Freundschaften zahlreich sein können. Es brachte mich zum Nachdenken. Ob ich vielleicht mehr Freunde gehabt hätte, wenn ich diese Weisheit früher erlangt hätte? Ich schüttelte meinen Kopf und sah zu wie Mael mit den Tassen zu mir kam. Es war jetzt nicht mehr wichtig, was damals alles hätte anders laufen können. Dieses Jetzt war schließlich nur entstanden, weil ich war wie ich war. „Danke“, sagte ich und nahm ihm die Tasse ab. Max stellte seine auf den Boden und setzte sich neben mich. Ich nippte am heißen Getränk und beobachtete ihn von der Seite. Eigentlich wollte ich darüber erst zu Silvester reden, aber irgendwie war die Stimmung gerade passend. Es war schlecht zu beschreiben. Einfach nur ein Gefühl der Wärme in meiner Brust und der Freude, die mir sanft durch den Körper kribbelte. Ich stellte meine Tasse zu der von Max und krauchte hinter ihn. Meine Arme umschlangen ihn und ich zog ihn zwischen meine Beine. Brust an Rücken schmiegte ich mein Gesicht gegen seine Haare und gab ihm einen Kuss in den Nacken. „Ich liebe dich“, sagte ich leise. „Ich liebe dich wirklich sehr, Mael.“ Das Gefühl der Liebe in mir war schon lange präsent und trotzdem konnte ich es nicht besser ausdrücken als so. Die Worte „Ich liebe dich“ schienen mir aber nicht genug zu sein. Sie kategorisierten, was ich fühlte, aber nicht das Ausmaß dessen. Mir selbst fiel es schwer, es zu beschreiben. Es war halt nur ein Gefühl. So wie der feste Herzschlag, wenn ich ihn sah. Die Sicherheit, die ich fühlte, wenn er da war. Die Tollkühnheit, dass ich alles für ihn tun würde. Die Gewissheit, dass er mir verzeihen würde, egal was ich tat. (Außer ich trieb es zu bunt, dann würde er mich schelten.) Ich konnte Ich sein. Es fühlte sich rein und klar an. Wie, wenn man durch einen 100% reinen Kristall sehen würde oder auf eine komplett stillstehende Wasseroberfläche sähe, in der sich der Himmel spiegelte. Ich spürte Maels Reaktion. Das überraschte Anspannen, die unsichere Pause, was kommen würde, und das entspannte Entgegenlehnen. Mehr brauchte es nicht und dieses Gefühl blühte in mir auf. Direkt in der Brust, beim Herzen und verschlang mich ganz. Wer auch immer gesagt hatte, Liebe machte schwach und stark zugleich, musste genau dieses Gefühl gemeint haben. „Und darum muss ich dich nochmal fragen, ob du dir wirklich sicher bist mit deinem Antrag.“ „Hä?“, entkam es Max und er spannte sich an. „Wie meinst du das?“ Er machte Anstalten sich umzudrehen. Doch ich verharrte in meiner Pose und ließ meinen Kopf schwer auf seiner Schulter liegen. „Genauso. Ich weiß, du liebst mich, aber reicht dir das, um dich fest an mich zu binden? Heutzutage gibt es zahllose Pärchen, die sich gleich wieder scheiden lassen.“ „Halt! Stopp. Warte mal“, sagte Max nun ernster und entwand sich meiner Umarmung. „Was ist hier los?“, fragte er und sah mich grimmig und ernst an. In seinen Augen sah ich Stärke, aber auch einen Funken Unsicherheit. Ich schmunzelte für mich. Irgendwie hatte ich es erwartet. „Wenn du denkst, dass ich dich nur gefragt habe, weil ich keinen Streich zum 30. haben will, irrst du dich. Von mir aus können wir auch danach heiraten. Es kümmert mich nicht, was meine Kollegen veranstalten und ob ich Mehl fegen muss.“ „Oh? Nicht?“, sprang ich auf seinen Gedankenzug mit auf. „Warum hast du mich sonst an deinem Geburtstag gefragt?“ Mael schluckte. Die Frage schien ihn getroffen zu haben. „Weil die Stimmung richtig schien“, antwortete er kleinlaut. „Mhm. Das denke ich gerade auch“, sagte ich und schenkte ihm ein Lächeln, dass ihn noch mehr zu verwirren schien. „Und warum redest du dann von Scheidung und ob ich mir sicher bin? Ich BIN mir sicher, Josh! Ich muss dich auch nicht heiraten, wenn du nicht willst, aber ich dachte… ich, naja, würde dich gerne ganz für mich haben. Und ein Ring an deinem Finger sieht wirklich gut aus. Und er würde sagen, dass du mir allein gehörst“, erwiderte Mael und wurde nervöser und röter im Gesicht. „Wegen der Gerüchte und den vielen Frauen, die mir immer noch hinterher gucken?“, fragte ich amüsiert nach. Ich fühlte mich geschmeichelt, vor allem wenn wirklich jemand vorbeikam und fragte, ob ich tatsächlich in einer Beziehung wäre. Es machte mir nichts, ihnen die Wahrheit zu sagen und ihre Hoffnungen zu zerbrechen. Nur hatte ich oder besser Elias bemerkt, dass Max sich diese unbedeutenden Aktionen noch immer zu Herzen nahm. Selbst nachdem wir verlobt waren. „Ach die… die bedeuten doch nichts“, sagte Max und schielte flunkernd zur Seite, während seine Augenbrauen sich leicht verärgert nach unten zogen. Gott, war er nicht allerliebst? Ich beugte mich vor und küsste ihm die kleine Falte zwischen den Augenbrauen fort. Meine Hand an seinem Kinn, hob ich es sanft an und küsste ihn auf die Lippen. Mael schloss die Augen und lehnte sich in den Kuss. Ich vermutete, dass er diese Momente ebenso sehr genoss wie ich. „Wenn sie nichts bedeuten, warum ärgern sie dich immer noch?“, fragte ich gegen seine Lippen. „Es stört mich halt, wenn sie dir so lüstern nachsehen“, antwortete Max gegen meine. Ich schmunzelte und brachte etwas Abstand zwischen uns. „Aber ich gehöre doch schon dir. Mit jedem Fehler, den du finden kannst“, gab ich schmunzelnd zu. „Wenn ich dir nur mit Worten beschreiben könnte, wie sehr ich dich liebe, könnte ich dir sicherlich auch diese letzten Flausen austreiben. Andererseits ist es unheimlich süß, wenn du dich wegen solcher Nichtigkeiten für mich einsetzt.“ Max zog eine Schnute und wurde noch etwas roter um die Nase herum. Selbst seine Ohrenläppchen verfärbten sich etwas. „Spinner. Dann hast du nur gefragt, um mich aufzuziehen? Du bist so blöd, ey. Jagst mir am letzten Weihnachtsfeiertag einen solchen Schrecken ein. Weißt du, wie sehr mir das Herz in die Hose gerutscht ist?“ „Ich kann es mir vorstellen“, gab ich zu. Meine Hand verließ sein Kinn und strich sanft über seine warme Wange. „Aber ich bin etwas zwiegespalten“, begann ich und sah, wie Mael sich erneut anspannte. „Weihnachten ist das Fest der Liebe. Ein christliches Fest und was nicht noch alles. Ich war froh, als du sagtest, du musst es nicht traditionell feiern. Ich mag das Essen und die Besinnlichkeit. Aber jemanden unbedingt etwas schenken zu müssen, sich mit allen verstehen zu müssen und einen unausgesprochenen Frieden zu wahren, selbst wenn ein keinen gibt, finde ich einfach nur nervig und anstrengend. „Ich möchte jeden Tag mit dir genießen und nicht erst auf das nächste Fest warten, um dir etwas schenken zu können. Trotzdem war die Stimmung gerade so angenehm, dass ich nicht umhinkam und dachte, dass ich dir trotz allem noch ein Geschenk machen müsste.“ „Indem du mich in Panik versetzt und mich denken lässt, du löst die Verlobung?“, fragte Mael grimmig und sah mich verärgert an. Ich lachte, denn es war wirklich nicht die feine Art gewesen. Das Gespräch hatte sich ergeben und ich hatte seine Reaktionen auskosten wollen. „Der Antrag ist das eine und du kannst dir sicher sein, dass du mich nicht mehr loswirst, selbst wenn du den Antrag zurückziehst.“ „Aber?“, fragte Mael ungeduldig nach. „Ich will gut genug für dich sein“, gab ich zu und konnte die Unsicherheit kaum mit meinem Lächeln verbergen. „Ich will ein guter Ehemann sein, aber auch dein Freund, dein Lover, jemand der dich weiterbringt und nicht festkettet. Ich weiß, dass du nichts davon von mir verlangst, aber gerade deswegen dachte ich, will ich dir zeigen, dass du dich auf mich verlassen kannst.“ Mael nahm meine Hände in seine und legte sie an seine Wangen. Er küsste meine Handflächen und schenkten mir einen Blick, der mir eine Gänsehaut bescherte. Dann krauchte er zurück in meinen Schoß, sodass ich meine Arme wieder um ihn legen konnte. Zurück in unserer Ausgangsposition schmiegte ich mich an ihn und küsste ihn erneut den Nacken. „Du weißt, dass du nichts davon tun musst, aber immer all das für mich sein wirst, nicht wahr?“, fragte Mael und legte seine Hände auf meine Unterarme. „Ich weiß“, sprach ich in seine Haare hinein. Für einen Moment kehrte Stille ein. Es war angenehm und für mich der Inbegriff von Besinnlichkeit. „Und? Was hast du dir nun überlegt?“, fragte Max in die Stille hinein. Ich musste grinsen. Hatte er es doch nicht überhört. „Was meinst du?“, fragte ich dennoch nach und erntete ein Seufzten. „Es klang so, als hättest du noch ein Geschenk für mich. Etwas ungeplantes“ Ich zog ihn enger in meine Arme und murrte zustimmend. „Also? Was ist es?“ Mael klang etwas genervt. Vielleicht weil ich nun schon zwei Mal meine Scherze mit ihm getrieben hatte? „Nur eine Kleinigkeit. Ich habe nicht mal eine Karte oder so was, aber ich dachte mir schon eine Weile lang, dass ich dir das sagen wollte und heute schien mir der rechte Moment zu sein.“ Max schnaufte. Sicherlich weil dieser „rechte Moment“ mit einer mittleren Panikattacke seitens Maels daherkam und er mir diesen Spaß so schnell nicht verzeihen würde. Da war ich mir ziemlich sicher. „Okay, ich bin ganz Ohr.“ „Wenn du magst, können wir meinen Geburtstag ab nächstem Jahr gerne feiern. Aber bitte nichts Großes. Mir reicht es eigentlich, wenn es nur wir zwei sind. Und vielleicht der alte Mann, wenn es sein muss“, fügte ich zerknirscht hintenan. Würde ich ihn auslassen, würde er nur wieder schmollen und keiner mochte schmollende Eltern. Max indes war still geworden. Ich bemerkte erst jetzt, dass er nicht atmete. Hielt er die Luft an? „Mael?“ Meine Nachfrage brachte ihn dazu sich ans Atmen zu erinnern. Im Buchteil einer Sekunde hatte er sich in meinen Armen umgedreht und starrte mich von Nahem an. „Das nennst du klein?“, fragte er und küsste mich. „Trottel! Gott, an dir ist wirklich jeder Sinn von Vernunft verloren gegangen“, schimpfte er weiter und zog mich in eine feste Umarmung. „Findest du? Ich denke, ich bin ziemlich normal.“ „Hirnloser Dilettant! Ich liebe dich!“ Etwas später hatten wir uns auf die Couch gesetzt. Wie eben zog ich Max in meine Arme und wir sahen einen der vielen Weihnachtsfilme im Fernsehen. Kaum zehn Minuten später spürte ich mehr Gewicht auf mir ruhen. Ich sah zu Max runter und spürte seine ruhige, gleichmäßige Atmung unter meiner Hand. Ein lächeln stahl sich auf meine Lippen. Vorsichtig zog ich ihn näher an mich, sodass er bequem lag. Mein Blick glitt zum Lebkuchenherz, welches wir als Deko an einem Bilderrahmen gehängt hatten. Wie schön es war, wenn ich die ganze Welt in meinen Armen halten konnte. Ich sah zum Fenster. In der Dunkelheit regte sich etwas. Lautlos schwebten sie zu tausenden herab und ich freute mich darauf, die neue weiße Welt später Mael zeigen zu können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)