Des Nachts sind die Labore still von mikifou (Wie Josh zu Mael fand) ================================================================================ Kapitel 11: Freundschaften -------------------------- Kapitel 11: Freundschaften Ich ließ es mir zwar nicht anmerken, aber ich dachte, ich würde sofort eine Antwort auf meine Zettelfrage bekommen. Es kam allerdings keine. Das erste was Joshua mir schrieb, war eine Frage. >Wie lange hast du gebraucht?< Ich grinste allein schon wegen dem Wort „gebraucht“. Als ich antwortete >nicht lange< und dass er keine Zettel mehr gehabt hätte, kam nur zurück, dass er noch einen gelben Zettelblock habe. So und ähnlich ging es eine Stunde hin und her, ehe ich sagte, ich müsste jetzt schlafen. Joshua wollte selbiges tun und sich weiterhin erholen. Am Sonntag sah ich viel zu oft auf mein Handy. Teilweise musste ich es in eine Schublade legen, um wenigstens meine Hauptarbeit erledigen zu können. Diesmal war es nicht nur Joshua, dem ich zu gerne antwortete. Wir schrieben über Lapidares und die Arbeit. Zwischendrin fragte ich auch, wie es Joshua ging. Er antwortete, dass die Suppe noch immer schmeckte und er sicherlich die nächsten Tage sehr gut versorgt sei. Bis auf das sich der Eiswürfel in einen grünen Notizzettel verwandelt hatte, war sein Kühlschrank nämlich gefüllt. Ich spürte wie meine Wangen glühten. Den Eiswürfel hatte ich ersetzt und wenn man es genau nahm, hatte ich das, was auch immer Joshua haben wollte, mit mir ersetzt. Ziemlich dreist und voreingenommen, wie ich jetzt fand. Aber jeder Kommentar seitens Joshuas zu den Zetteln oder dem was darauf stand, ließ mein Herz schneller schlagen. Zugleich murrte ich. Unbefangen hatte ich nach der Anzahl der Notizzettel gefragt und erfuhr, dass Joshua nur 43 gefunden hatte. Ich antwortete lange nicht, aber schließlich schrieb ich, dass er sich dann ja auf Ostern freuen konnte. Natürlich verstand Joshua diese Anspielung nicht und ich ging auch nicht weiter darauf ein. Über den Kuss oder seine Anhänglichkeit sprachen wir nicht. Ich ging davon aus, dass er solche Dinge vielleicht lieber persönlich besprechen wollte. Umso mehr sehnte ich den Tag herbei, an dem er wieder gesund zur Arbeit kommen würde. Die Zeit, in der ich mit Joshua schrieb, war angenehm und schön. Dahingegen waren meine anderen Chatgespräche eher anstrengend und ermüdend. Tobias hatte sich gestern gemeldet. Da ich so angespannt wegen Joshua gewesen war, hatte ich ihm erst heute geantwortet. Seitdem schrieb er ständig. Es ging um ein Treffen unserer Clique. Tobias hatte es sich endlich auf die Fahne geschrieben, alle mal wieder zusammen zu trommeln. In Aussicht stand das nächste Wochenende. Am besten der Freitag, da jene Freunde mit Kindern dann am meisten Zeit hätten. Natürlich richtete sich alles nach denen, die Familie hatten und ihre Kinder versorgen mussten. Ich war dem gegenüber etwas missgestimmt eingestellt. Tobias gestand offen, wie es nun mal seine Art war, dass er davon ausgegangen war, dass ich immer noch Single war und fragte mich deshalb erst zum Schluss. Eben, weil Singles doch immer Zeit hätten. Ich schrieb ihm, dass er eine Klatsche hatte und das nicht stimmte. Auch als Single hatte man Termine und Arbeit. Nur weil ihnen einfiel, dass ich noch da war, musste ich nicht springen. Dieser unüberlegte Kommentar gipfelte in einem ewigen hin und her über die Zeit, als ich versucht hatte Kontakt herzustellen. Alles was bei Tobias hängen geblieben war, war dass ich scheinbar viel Zeit hätte und mich nach ihnen richten würde. Es dauerte lange alles so aufzudrödeln, bis Tobias verstanden hatte, dass ich kein Dschinn war, den man mit einem Schnippen herbeirufen konnte. Nichtsdestotrotz blieb es bei Freitag. Als ich daheim endlich auf meine Couch sank, fiel mir ein, dass Joshua zwischendrin geschrieben hatte. Ich hatte nicht nachgesehen, da mich Tobias so sehr aufgeregt hatte und ich es nicht ausversehen an Joshua auslassen wollte. Den Chat geöffnet, las ich und sank mit glühenden Wangen mehr in meine Couch hinein. >Ich denke, ich komme Dienstag wieder.< Da ich nicht geantwortet hatte, schrieb er nach ein paar Stunden, also vor gut ein paar Minuten, zusätzlich: >Du fehlst hier< Mein Herz schlug so schnell, dass ich kaum denken konnte. Viel zu viel Blut war in meinem Kopf. Bestimmt! Und durch die ungleiche Blutverteilung bekam ich auch solches Bauchkribbeln, wie wenn man einen Berg zu schnell herunterfährt. Schlussendlich entschuldigte ich mich, dass ich erst jetzt antwortete. Ein Freund hatte mich abgelenkt. Dazu setzt ich ein entnervtes Smiley. Doch ich freute mich, wenn er Dienstag wieder da sein würde. Auf den letzten Satz schaffte ich es gerade so mit einem grinsenden Smiley zu antworten, obwohl mich das schon alle Kraft gekostet hatte. Dabei wollte ich gerne viel mehr. Wenn ich darüber nachdachte, fehlte mir Joshua schon ziemlich und das nach nur einem Tag. Ich würde ihn gerne sehen, seine Stimme hören oder mich noch mal in diese Umarmung legen. Das zu schreiben, traute ich mich nicht. Nicht, ehe ich nicht wusste, was mit meiner Antwort war. Nur weil Joshua nur 43 Zettel gefunden hatte, hieß das nicht, dass jener vom Nachttisch nicht dabei war. Dienstag, sagte ich mir und fiel der Länge nach auf die Couch. Dienstag. Der Montag kam schnell und verging auch relativ zügig. Ich erzählte Elias, dass Joshua morgen Abend wieder da sein würde. Zu spät ging mir auf, was ich damit losgetreten hatte. „Das ist gut. Hat er im Labor angerufen?“, fragte Elias, während er in sein Mikroskop sah. „Nein, er hat es mir gestern geschrieben.“ „Ihr habt eure Nummern ausgetauscht?“, kam die nächste neugierige Frage. „Nicht ganz. Ich habe sie ihm auf einem Zettel in den Flur geklebt. Er hat mich angeschrieben.“ Ich nahm eine der Proben und besah sie mir. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich mich. „Du warst bei ihm zu Hause?“ Ich hätte auf den Unterton achten sollen! „Er war doch krank und hatte nichts zum Essen da, da …“ Ich stockte und hielt in allem inne. Vorsichtig sah ich mich um. Elias saß vor seinem Mikroskop und begutachtete mich mit hochgezogener Augenbraue und einem unheimlichen Funkeln in den Augen. Langsam stellte ich die Probe zurück auf den Tisch. „Erzähl mir alles!“ Shit, fluchte ich und ergab mich seiner Neugierde. Ich hatte bereits gemerkt, dass Elias sehr sturköpfig sein konnte. Sich seinem Interesse zu entziehen, war schwerer als Wasser mit einem Sieb zu fangen. Artig erzählte ich ihm, wie ich Samstag auf Joshua gewartet hatte, dieser nicht kam, aber dafür McFloyd. Wie ich die Adresse bekommen hatte und hingefahren war. Wie Joshua mich verschlafen auf der Treppe begrüßt hatte und ich von seiner „Krankheit“ erfuhr. Von den Fieberschüben und dass Joshua nichts im Kühlschrank hatte. Einige schlüpfrige Details ließ ich weg, wie etwa, dass Joshua mich umarmt hatte oder meinte, er will mich und braucht mich deshalb. Oder dass ich Joshua in seinem eigenen Schlafzimmer im Bett geküsst hatte. Das brauchte Elias nun wirklich nicht zu wissen! Dafür erzählte ich auszugsweise von den Notizzetteln. Elias war so enthusiastisch und schien sich ehrlich für uns zu freuen, dass ich fragend den Kopf schief legte. „Hattest du nicht mal gesagt, dass du nicht so auf Männerbeziehungen stehst? Ich dachte du lehnst alles ab, was damit zu tun hat, aber du klingst voll begeistert.“ Das war natürlich kein Eingeständnis, dass Joshua und ich eine Beziehung oder dergleichen hatten. Doch mir war aufgefallen, dass Elias frei über jede Art von Beziehung und schlüpfrigen Zweideutigkeiten sprechen konnte, egal um welches Geschlecht es sich handelte. Fragend sah Elias mich an. „Ich habe nichts gegen Männerbeziehungen. Wie könnte ich sonst mit Josh befreundet sein? In Unizeiten hatte nicht nur ich meine Sorgen mit den Frauen, sondern er gleich mit beiden Geschlechtern. Wir tauschten uns oft aus. Ich finde, das gehört zu richtig guten Freunden dazu. Also dass man sich auch über die eigenen Sorgen und Nöte unterhalten kann. Und wenn es ein Mann war, dann eben über einen Mann. Da konnte mein Rat oftmals noch helfen, aber bei Frauen waren wir beide ratlos“, erzählte Elias und lachte amüsiert über diese Anekdote. „Ich wollte nur nie bei einem seiner Dates mit einem Mann dabei sein. Mir reichte es, wenn ich sah, wie Josh sich manchmal anstellte. Da musste ich das nicht im Doppelpack erleben.“ „Aber … wäre es jetzt nicht auch ein Doppelpack?“ Ich machte eine nervöse Geste, die zwischen mir und Joshuas Tisch hin und her ging. Elias überlegte kurz, eher er auflachte. „Stimmt wohl. Aber du bist so ein niedlicher Welpe, da sieht man gerne zu“, sagte er zwar zu mir, sah jedoch zu Joshuas Tisch. Mir war, als wollte Elias noch mehr sagen, behielt es aber für sich. Nach einer Weile fügte er an: „Ich denke, so lange ihr mich mit gewissen Details nicht erhellt, macht es mir nichts aus.“ „Aha“, sagte ich laut und wollte hier und jetzt noch nicht wirklich über „gewisse Details“ nachdenken. Am Dienstag kam Joshua endlich wieder. Ich war so nervös, dass ich mir zu oft durch die Haare strich. Ungeduldig saß ich in meinem Stuhl gelehnt und drehte mich um mich selbst. Irgendwann bemerkte ich, wie jemand in der Tür stand und hielt an. Meine Welt drehte noch etwas nach und Joshua sich mit ihr. „So vertreibst du dir die Zeit, wenn ich nicht dabei bin?“ Joshuas Stimme klang amüsiert und heiter. Ein elegantes Grinsen zierte sein Gesicht. Mir klopfte das Herz bis zum Hals, jedoch schaffte ich es, mich cool zu geben. „Nicht dauernd. Ab und an bin ich auch mal durch die Flure flaniert und habe mit dem Skelett getanzt.“ Joshua lachte. Ich hatte ihn noch nie Lachen gehört. Sofort schlug mein Herz schneller und entließ abertausende von Schmetterlingen in meinen Bauch. „Gut zu wissen. Dann war Ferdinand nicht so allein“, sagte Joshua und stellte seine Tasche auf seinem Tisch ab. Ferdinand war das Skelett getauft worden, weil … keine Ahnung warum. Als ich hier anfing, hieß es bereits so. Auch egal. Verlegen sah ich zur Seite und wartete, sah zu Joshua und dann wieder auf meine eigenen Finger. „Und dir geht es wieder gut?“ „Mhm. Bin wieder topfit.“ „Und die Zettel hast du alle weggeräumt?“ „Ja, alle 43. Sie sind sorgfältig in einer Schachtel verwahrt.“ Ich nickte und lächelte etwas. Er hatte also wirklich einen zu wenig gefunden. Nur welchen hatte Joshua nicht gefunden? Es konnte doch nicht wirklich der Eine sein?! Meine Unsicherheit wuchs und ich bemühte mich nach Leibeskräften es zu überspielen. Ich wollte ihn fragen, war ich doch so neugierig. Jedoch traute ich mich nicht. Meine Lippen bewegten sich kein bisschen. Mir fiel nicht ein, wie ich ihn hätte fragen können. Dieser Samstag war einfach zu besonders ... Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Stirn. Erschrocken sah ich auf. „Du bist so rot. Ist alles in Ordnung? Du hast dich nicht angesteckt?“ Joshuas Hand war warm und weich und ich fühlte sie von meiner Stirn, über meine Schläfe, zu meinem Nacken wandern. Ein Teil von mir dachte, ja, lass ihn, er macht das Gleiche, wie ich am Samstag bei ihm. Doch der Großteil von mir geriet etwas zu sehr in nervöse Panik und schob seine Hand weg, wie eine angreifende Biene. Ich schüttelte meinen Kopf. „Ignoriere das einfach. Es ist nichts“, antwortete ich und sah weg. Ich konnte Joshua nicht ansehen, so peinlich war mir das. Sicherlich spielte er auf die Nähe beim Kuss an. Uns beiden war bewusst, dass ich mich bei Joshua nie mit Fieber hätte anstecken können! Flirtete er also? Vorsichtig sah ich zu Joshua und bemerkte, dass die Hand von eben zu einer Faust geballt worden war. Überrascht sah ich auf. Sein Blick war milde und musterte mich immer noch. „Josh-“ „Entschuldige. Ich war zu voreilig.“ Joshua ging an seinen Tisch und widmete sich seinen Unterlagen. Vorsichtig und etwas ruhiger werdend, da er mir weniger nah war, setzte ich mich wieder gerade hin und beobachtete ihn. „Was machen wir jetzt?“, platzte es aus mir heraus. Das konnte doch nicht alles gewesen sein?! „Wir arbeiten. Du hast mir ja die Ergebnisse geschickt und“, Joshua redete weiter. Erklärte, was wir nun wie tun würden. Es ging in die zweite Phase und ich würde eine Probenreihe vorbereiten, er eine andere. Ich nickte und blieb fachmännisch, doch innerlich zog sich alles zusammen. Ich fand einfach keinen Punkt, an dem ich ihn hätte unterbrechen können. Was ich gemeint hatte, war nicht die Arbeit, sondern uns! Aber ich war viel zu gelähmt und scheu ihm reinen Wein einzuschenken. Den ganzen Abend überlegte ich, wie ich am besten an ihn herantreten könnte, brachte aber nichts zustande. Joshua hatte meinen Zettel, auf dem ich ihm geschrieben hatte, was ich fühlte und fragte, ob er mit mir gehen wollte, nicht gefunden. Oder hatte er ihn absichtlich nicht erwähnt? Vielleicht irrte ich mich ja auch mit seinen Aussagen und Annäherungen… Aber das konnte ich mir nicht vorstellen. Wie zuvor wanderten meine Blicke zu Joshua, wenn er arbeitete. Ich wurde rot und hibbelig. Seine Stimme klang so angenehm in meinen Ohren. Doch immer, wenn ich etwas sagen wollte, blieben mir die Worte im Hals stecken. Mein erstes Geständnis fiel mir ein. Die Ablehnung, der Blick … ich wurde regelrecht starr und schloss meinen Mund wieder, ohne etwas gesagt zu haben. Wie oft hatte ich anderen schon einen Korb gegeben oder sie noch harscher abgewiesen? Nun war ich es, der sich vor einem Korb fürchtete. So sehr, wie bisher noch nie. Nicht einmal bei Binks. Zu sechs Uhr am Mittwochmorgen kam Elias zum Dienst. Während ich im Labor etwas aufräumte, traten Joshua und Elias auf den Flur und redeten miteinander. Ich hörte, dass sie sich unterhielten, verstand die Worte aber nicht. Selbst wenn die Tür sich automatisch öffnete, weil die beiden nicht weit genug davon weggegangen waren, verstand ich kaum etwas. Zugegeben, ich war auch zu sehr in meinem eigenen Strudel aus Gedanken versunken. WUSCH „… sicher? Es gibt immer welche, die es nur ausprobieren wollen.“ WUSCH WUSCH „… -ael zu der Sorte gehört…“ WUSCH WUSCH „… quäl dich damit nicht rum…“ WUSCH Ich blieb vor einem der Regale mit den Glasbehältnissen stehen und schaffte es noch die Essenzen in meiner Hand abzustellen, eh mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. Redeten sie über mich? Worüber genau? Nur ausprobieren wollen? Glaube Joshua etwa, ich wollte nur etwas herumspielen und sonst wäre da nichts? Etwa weil ich gesagt hatte, dass ich nicht auf Männer stand? Aber das war doch nur eine Ausrede gewesen! Eine, die ich viel zu lange benutzt hatte, um mich selbst und andere zu belügen und besser dazustehen. Aber das hatten wir doch bereits – nein... wir hatten es nicht aufgeklärt. Joshua hatte in den Raum gestellt, dass ich auf Männer stehen könnte, mehr als auf Frauen, aber ich hatte ihn dahingehend nie bestätigt. Mein Herz ging mir gerade auf Grundeis und meine Finger waren schon eiskalt geworden. Das Klingeln meines Handys riss mich aus meiner Starre. Ich ging gedanklich abwesend hin und nahm den Anruf an. Am Hörer blökte mich eine viel zu muntere Stimme an. Tobias war schon immer ein Frühaufsteher gewesen. Glücklich erzählte er mir, dass nun alle für Freitag zugesagt hatten und er mir das sofort mitteilen musste. Und da er sich brav gemerkt hatte, dass ich Nachtschicht hätte und jetzt mein Feierabend war, wollte er mich erwischen, ehe ich ins Bett ging. Es war löblich, wirklich. Ich rechnete es ihm hoch an. Doch sein Timing war super schlecht. Vor allem als Tobias ebenso fröhlich erzählte, dass Binks mit seiner neuen Freundin kommen würde. Ich sollte doch mal raten, wer das sein könnte. Ich war immer noch steif und brachte nur mit Mühe ein „Wer ist es?“ heraus. Meine Stimme klang kratzig und rau. Unbemerkt von mir waren meine beiden Kollegen wieder ins Labor gekommen. Was auch immer sie besprochen hatten, war nun beendet und Joshua trat auf mich zu. Sein Blick bestimmt und sicherlich bereit, mich etwas Wichtiges zu fragen. Ich sah ihn kommen und mein Herz hüpfte vorsichtig vor Anspannung. Just in dem Moment eröffnete Tobias mir, dass Binks, meine Ex-Liebe, mit meiner Ex-Freundin zusammen war. Sie hatten sich bereits vor Monaten gefunden! „Mael, können wir reden?“, fragte Joshua. Tobias sagte, dass die beiden erst nicht kommen wollten, um mich nicht in Verlegenheit zu bringen. Sicherlich dachten alle es läge nur an Evelin, meiner Ex, dass es mir unangenehm sein könnte. Keiner außer Binks und mir wusste, dass es vielleicht mehr daran liegen könnte, dass ich mich für ihren neuen Freund interessiert hatte. Nein, vielleicht war es auch nur ich, der noch daran dachte. Für Binks war das Alles ja nie passiert. Mein Blick verfinsterte sich. Joshua hielt inne. Ich sah weg und sprach ins Telefon. „Verarsch mich nicht. Das ist mir doch einerlei. ... Nein, das hat damit nichts zu tun. Wah- ich bin gerade in keiner Beziehung! … ICH KÜSSE KEINEN MANN! Ha- Warte mal. Hey! Ich bin Freitag da, ok? Mir egal, wer noch. Ja. Ich mich auch. Bis dann.“ Ich legte auf und drehte mich zu meinen Kollegen um. Sie hatten natürlich alles mitangehört. Joshuas Blick war unverständlich. Ich sah Fragen und etwas Abneigung. Elias hatte nur die Arme verschränkt und sah mich mit einem Blick an, der eine Erklärung erwartete. Aber ich konnte nicht. Wie könnte ich auch? Ich war so durcheinander. Ich musste erstmal nachdenken! „Ich muss nach Hause“, brachte ich noch heraus, ehe ich mich an Joshua vorbei schob und quasi aus dem Labor floh. Daheim versuchte ich etwas Schlaf nachzuholen. Das Einschlafen stellte sich bereits als schwierig heraus, hatte ich immer noch das Gefühl mitten in einer Achterbahn zu sitzen. Ich brauchte sehr lange um einzuschlafen und schlief schlecht. Meine Träume waren wirr und ließen mich schweißgebadet aufwachen. Duschen half auch nicht. Alsbald meine Gedanken zurückkehrten, war dieses innerliche Karussell wieder da. Es drehte und drehte sich und ich glaubte jeden Moment hinaus geschleudert zu werden. Aus Frust begann ich ein paar Übungen zu machen. Sit-ups, Kniebeugen, Liegestütze. In Wiederholung. Mich auf meinen Körper zu konzentrieren, half meinen Fokus zu finden. Ich wurde ruhiger, auch wenn ich nach der dritten Wiederholung schon ziemlich zu kämpfen hatte. Ich zog an und schaffte insgesamt fünf Runden mit je 40 Wiederholungen. Schwitzend und etwas schwer atmend griff ich nach der Wasserflasche und setzte an. Das Knacken des Plastiks wurde immer mehr und die Dellen größer. Erst als ich absetzte, drückte die wiederkehrende Luft die Beulen in der Flasche raus. Mein Puls war noch erhöht, ich war durchgeschwitzt, obwohl ich gerade duschen war und fühlte mich gut. Selbst wenn, dachte ich mir, duschte ich eben noch mal. Meinen gedanklichen Fokus zurückhabend, ordnete ich meine Gedanken. Heute war Mittwoch. Noch zwei Nachtdienste, dann der eine freie Tag, den ich am liebsten mit Joshua und einem richtigen Date verbracht hätte. Aber nun ging ich abends mit Freunden essen. Daran war an sich nichts verkehrt, hatte ich mich doch lange danach gesehnt. Das Timing jedoch … war unter aller Sau. Warum gerade diese Woche? Na egal. War es eben so! Was mich unruhig werden ließ, war die Begegnung mit Binks und Evelin. Es ist das eine, wenn ich mir hier im stillen Kämmerlein meiner Gefühle sicher bin und etwas völlig anderes, wenn ich ihnen gegenüberstehe. In mich hineingefühlt, war ich mir sehr sicher, dass ich Binks abgehakt hatte und Evelin war eh nur da gewesen um Erfahrungen zu sammeln. Aber ich wusste nicht, was sein würde, wenn ich ihnen gegenüberstand und beide ihre üblichen Scherze machten. Gäbe es dann noch Gefühle? Würde ich mich übergangen fühlen? Oder bestand die Chance, dass nichts wäre? Die Wortfetzen, welche ich mitgehört hatte, machten mir zu schaffen. Doch wollte ich erst mit Joshua reden und unterband mit aller Macht wilde Gedankenausflüge. Ich wollte mir dieses eine Mal nicht vorher vorstellen, was-wäre-wenn, sondern es von Joshua direkt hören. Demnach musste ich dringend mit Joshua reden. Jedoch … vor dem Essen am Freitag fand ich dazu keine Ruhe. Samstag dann? Nach der Arbeit? Nein, gleich zu Beginn. Es reichte schon, dass ich ihn gestern kaum hatte ansehen können und mich die nächsten zwei Tage noch ausschweigen würde. Samstagmorgen. Definitiv! Was die Sache mit dem Notizzettel anging, war ich auch ruhiger geworden. Selbst wenn Joshua den Zettel nicht gefunden hatte oder es absichtlich nicht angesprochen hatte, so würde ich es machen müssen. Mir schlotterten zwar die Knie, allein daran zu denken, eine Liebeserklärung oder so was in der Art abzugeben, aber andererseits … es war Joshua von dem ich hier redete und nicht Binks. Joshua war ganz anders, aufmerksamer und rücksichtsvoller. Er hatte genügend Erfahrungen und selbst Elias hatte mir dahingehend immer wieder zugesprochen, dass Joshua seine Partner gut behandelt hatte. Sollten meine Gefühle nicht erwidert werden, würde ich später das Chaos ordnen müssen. Trotzdem … etwas sagte mir, dass es gut gehen würde. Es war schwer zu erklären, nur eine vage Ahnung, aber Joshua … würde mir nicht weh tun. Die restliche Zeit vor Arbeitsbeginn vertrieb ich mir teilweise damit, vor dem Spiegel zu stehen und Worte zu finden. Egal wie ich es formulierte, entweder lief ich rot an oder verzog meine Mimik auf sonderbare Weise. Schließlich gab ich auf, zog mich an und ging zur Tram. Diesmal war ich es, der als zweiter das Labor betrat. Joshua stand vor dem Probenschrank und hatte die Arme verschränkt. Ich atmete tief ein und langsam aus. Dann ging ich zu meinem Tisch und stellte meine Tasche ab. Joshua hatte bereits seinen Kittel angezogen und sah elegant aus wie immer. Seine braunen Haare glänzten selbst in diesem Neonlicht perfekt. Mit allem Mut, den ich finden konnte, trat ich auf Joshua zu. „Guten Abend“, sagte ich. Meine Hände waren hinterm Rücken versteckt und verkrampften etwas. Joshua drehte sich zu mir. „Guten Abend.“ Er sah zu den Proben und wieder zu mir. Da ich immer noch vor ihm stand, hob er eine Augenbraue und sah mich fragend an. Ich holte tief Luft. „Ich muss mit dir reden. Ü-über das Wochenende und so“, gab ich ihm als Hinweis. Leider wurde meine Stimme etwas kleinlaut dabei. „A-aber ich muss erst was erledigen. Am Freitag. Also …“ Ich biss mir auf die Unterlippe und nahm allen Mut zusammen Joshua wieder direkt anzusehen. Mein Blick war eben vor Scham immer tiefer gesunken. Nun blickte ich in klares Grau, ruhig und beständig. Wartend. „Samstagmorgen. Ich muss Samstagmorgen unbedingt mit dir reden. Vor der Arbeit. Bitte.“ Joshuas Blick wanderte über mein Gesicht und es fühlte sich an als würde er nicht nur meine Haut und Mimik erkunden. Schließlich nickte er. „Gut. Ich warte bis dahin.“ Mir fiel ein Stein vom Herzen. Erleichtert fiel die Anspannung von mir ab und ich atmete mit einem Lächeln auf den Lippen aus. „Gut. Dann zieh ich mich schnell um.“ Joshua nickte abermals und ein amüsiertes Lächeln blitzte in seinen Augen auf. Ich schielte flüchtig zurück und zog mir schnell den Kittel über. Der neue Abschnitt unseres Experimentes war vielschichtiger und teilweise sehr kleinschrittig. Ich war so froh, dass ich mich in den Nächten und Tagen alleine, ausreichend belesen hatte. Unsere Zusammenarbeit war flüssig und fachmännisch. Wir redeten deutlich mehr miteinander als noch am Vorabend und auch die Kaffeepausen machten wir zusammen. Vielleicht lag es daran, dass ich uns einen Gesprächstermin geschaffen hatte, denn die Stimmung war nicht so frostig wie gestern. Keiner von uns sprach jenes pikante Thema an. Gerade so als hätten wir auf Pause gedrückt. Es war so erleichternd, dass ich es schaffte, allein daraus neue Kraft zu schöpfen. Zielstrebiger konnte ich auf den Freitag zugehen! Ich streckte mich ausgiebig und gähnte dazu. Es war Freitagfrüh kurz vor sechs. Ich zog meinen Kittel aus und packte meine Sachen zusammen. Vor Müdigkeit bekam ich die Augen kaum noch auf und zog zur besseren Konzentration die Augenbrauen herunter. „Ist es etwas schlimmes?“ wurde ich gefragt. Verwundert drehte ich mich um und bemerkte Joshuas besorgten Blick. „Was?“ „Was auch immer du heute vorhast.“ Mein Kopf war lahm, meine Gedanken müde, daher brauchte ich eine Weile. „Haha, nein“, schmunzelte ich. „Ich bin nur Müde“, fügte ich hinzu, um meine matte Miene zu erklären. Joshua nickte, aber ich hatte das Gefühl, dass er gerne mehr wissen würde. Er sah zu seinem Tisch und wieder zu mir. Er wirkte unschlüssig. Eine Eigenschaft, die nicht wirklich zu ihm passte. Ich lächelte etwas mehr und sagte: „Ich treffe mich heute Abend mit Freunden. Wir gehen Essen. Klingt nicht sehr anstrengend, aber wir haben uns lange nicht gesehen und nach meinen ersten Versuchen mit ihnen wieder in Kontakt zu treten … na sagen wir mal, ich habe viele Körbe kassiert.“ Ich zuckte mit den Schultern und tat es als beiläufiges Ereignis ab. „Dann war das Telefonat letztens darüber?“ Ich nickte nur. „Warum bist du so fahrig geworden?“ Seine Frage war berechtigt. Jedoch schaffte ich es nur zu einem genervten Lächeln und gab kleinlaut Antwort. „Mein Kumpel sagte mir, dass eine Ex von mir da sein würden und jemand in den ich mal …“ Ich schwieg einen Moment. Joshuas Miene blieb verständnisvoll, doch glaubte ich, seine Augen hätten sich für den Moment etwas verdüstert. „Das ist zwar alles schon ziemlich lange her, aber … gerade die Beiden sind nun zusammen und ich weiß nicht, wie ich das verdauen werde.“ Joshua schwieg ebenso lange wie ich. Seine Gedanken konnte ich nicht deuten, doch sah ich deutlich wie er zum Reden ansetzte und aufhörte. Schließlich fragte er, wo und wann wir Essen gehen würden. Ich glaube nicht, dass das seine eigentliche Frage gewesen war, wollte aber auch nicht nachbohren. Morgen würde ich ihm alle Fragen stellen und mich gegebenenfalls allen Fragen stellen, die Joshua hätte. Zumindest nahm ich es mir fest vor. Ich antworte ihm und beschrieb das Restaurant, in welchen wir uns gegen fünf Uhr einfinden wollten. Es war in der Innenstadt und recht klein. Eines von unzähligen in der Haupteinkaufsstraße der Altstadt. Wären die Häuser nicht im Fachwerkstil gebaut worden, könnte man bei all den kleinen Gassen, welche von der Haupteinkaufsstraße abzweigten, ein mediterranes Feeling bekommen. „Ach das, das kenn ich“, kommentierte Joshua. Er sagte nicht mehr, denn just in dem Moment eilte Elias durch die Tür. Mein Herz hatte einen Satz gemacht und ich sah Joshua mit leuchtenden Augen hinterher, welcher sich zu Elias gesellte. Für einen Moment klang sein Kommentar, als … nein, ich dachte unsinniges. „Ich mache mich los. Bis morgen.“ Bei den letzten Worten sah ich Joshua direkt an und hielt den Blick für wenige Sekunden. Dann nickte ich Elias zu und ging heim. Ich schwöre. Für einen flüchtigen Moment hatte ich geglaubt, Joshua wollte nur wissen, wo wir essen, um ebenfalls vorbeizukommen. Vielleicht als Retter in der Not? Der Gedanke stimmte mich fröhlich. Natürlich war es ein unsinniger Gedanke. Wir waren für morgen früh verabredet. Warum sollte er sich vorher aufmachen? Dennoch stellte ich mir auf dem Heimweg vor, wie Joshua unerwartet vor dem Restaurant auftauchen würde und mich aus den Klauen meiner Freunde befreite. Ich lachte für mich und sah vielleicht etwas verliebt aus dem Fenster der Tram. Zugegeben, ich war unheimlich nervös gewesen, als ich mich zum Treffen aufmachte. Als ich angekommen war, spürte ich davon nichts mehr. Die Innenstadt war sehr verwinkelt, jedoch gab es gelegentlich größere Freiflächen für Parkplätze oder mit kleinen Wasserspielen und Brunnen. Vor dem Essen trafen wir uns an einem solchem Wasserspiel. Je näher ich kam, desto mehr bekannte Gesichter erschlossen sich mir. Kinder hatte keiner dabei. Tobias kam auf mich zu und umarmte mich herzlich. Shin hielt mir die Faust hin und wir fistbumbten. Dann stellte er mir seine neue Freundin vor, welche sich gerade ausgelassen mit der Frau von Marcel unterhielt. Marcel umarmte mich noch kräftiger als Tobias und just als ich wieder atmen konnte, erinnerte ich mich schon nicht mehr an die Namen der beiden Damen. Was solls. Wir unterhielten uns dennoch vorzüglich. Noch redeten wir über Belangloses. Erst als Binks und Evelin angekommen waren und wir uns ins Restaurant gesetzt hatten, wurde nacheinander jeder ausgefragt. Wie geht’s es dir? Was machst du gerade? Wie ist die Arbeit, Frau, Familie, Hobbys? Wir brauchten allein dafür zwei Stunden um alle auf den neusten Stand zu bringen. Nebenbei bemerkt, das Essen war super lecker. Da ich nach der Arbeit sofort ins Bett gefallen war, hatte ich kaum etwas gegessen. Daher war ich so frei und bestellte mir gleich drei Gänge. Suppe, Steak und Nachtisch. Als ich mir das Steak schmecken ließ, war Binks gerade dabei zu erzählen, wie seine Arbeit lief. Es war nicht alles rosig. Dann noch der Wasserschaden in seiner Wohnung und der mega lange Kratzer an seinem neuen Auto! Er hatte zurzeit einfach nur Pech. Abgesehen von Evelin, welche ihm seit dem Tod seiner Großtante sehr unterstützt hatte. Natürlich half sie ihm, dachte ich bei mir. Sie war schon immer an Binks interessiert gewesen. Das war einer der Nachteile, wenn man seinen Schwarm ständig beobachtete. Man bemerkte all jene, die dasselbe taten, wie man selbst. Ich zumindest. Evelin hatte nur Augen für Binks. Binks hingegen stand eher auf Blond und vollbusig, nicht auf Brünett und Mittelmaß. Aber ich musste zugeben, dass Evelin sich wirklich gemacht hatte. Sie hatte ihre Haare lang wachsen lassen, trug sie leicht wellig und offen über ihren Schultern. Sie war dezent geschminkt und bereits mit all seinen Freunden bekannt. Für Binks ein wahrer Glücksgriff. Obwohl meine Sympathie bei Evelin lag. Sie sah so glücklich aus und strahlte regelrecht von innen heraus. Ich freute mich für sie. Trotzdem erzählte hauptsächlich Binks. Er hörte sich schon immer gerne reden. Und während er noch sein Leid und Pech klagte, brachte er immer wieder neue Sprichwörter ein. Etwa: Wenn eine Tür sich schließt, öffnet sich eine andere. Nach dem Gewitter kommt der Regenbogen. In der dunkelsten Stunde erscheint dir ein Licht. Ich hörte kaum zu. Ich schnitt mein Steak und besah mir das leicht rosafarbene Innere. Perfekt Medium gebraten. Ohne Umschweife verschwand jenes Stück in meinem Mund. Während ich kaute, besah ich mir meine Freunde und stellte fest, dass jeder auf eine andere Art aß. Marcel nahm zu viel Soße auf, sodass sie von der Gabel lief und ständig von seinem Mund tropfte. Shin stopfte sich die Pommes zu seinem Gericht mittels Finger in den Mund. Die Damen versuchten besonders edel zu essen. Ich erinnerte mich an das Essen mit Joshua. Wir hatten uns davor und danach unterhalten. Keiner sprach mit vollem Mund. Mir war aufgefallen, dass Joshua die Gabel anders rum hielt und an der Rundung mit dem Messer schnitt. Wenn er dann das Stück zum Mund führte, drehte er die Gabel kaum merklich und … Ich schloss die Augen und griff nach meiner Cola. Einerseits freute es mich, dass ich während ich hier mit Freunden saß, an Joshua denken musste und mich keine negativen Gedanken heimsuchten. Anderseits reichte ein einfacher Gedanke und ich kam vom Essen eines Steaks über Lippen zu unserem Kuss und musste mich arg zusammenreißen nicht allzu breit zu grinsen. War solch eine gedankliche Verlinkung normal oder schon obsessiv? Während des Nachtisches besah ich mir meine Freunde in aller Ruhe. Jeder hatte sich ein klein wenig verändert, war älter geworden. Später ging mir auf, dass ich selbst Binks ganz normal gemustert hatte. Es hatte sich in mir nichts geregt. Kein Knoten im Magen, kein Krampf im Herzen, keine Unruhe in den Fingern. Ich war so erleichtert! Wie lange hatte ich all das mit mir herumgeschleppt? Jedes Mal war es ein halber Krampf gewesen sich normal zu verhalten und ich kam mir selbst wie der größte Schauspieler der Welt vor. Oder trifft es Lügner eher? Wie auch immer, was da gewesen war, war nun fort. Nachdem jeder von sich erzählt hatte, wären uns beinahe die Gesprächsthemen ausgegangen. Jedoch enthielt mein Nachtisch eines dieser kleinen Schirmchen. Marcel nahm es zum Anlass alte Kamellen aufzuwärmen. Die Geschichte von Tobias und den zehn Schirmchen am Strand von Italien, während unserer Abschlussfahrt, wurde ausführlich diskutiert. Aber auch jeder andere Fehltritt zu unseren Schulzeiten. Auch ich wurde nicht verschont. Da war die Sache im Sportunterricht. Als ich an einem Tag siebenmal den Ball abbekommen hatte. Dreimal davon ins Gesicht. Oder als wir, während einer Klassenfahrt, ein Zimmer teilten und um unsere Lehrer zu verwirren, schlichen wir uns über die dünnen Haussimse von einem Fenster zum nächsten. Ich sollte erwähnen, dass wir uns im zweiten Stock befanden. Es war spaßig und das Adrenalin spornte uns zu weiteren Unsinnigkeiten an. Zumindest bis ich an der Regenrinne hinauf in den dritten Stock wollte, abrutschte, durch eine Hecke fiel und in einem ekelig nassem Blätterhaufen landete. Ich verknackste mir lediglich mein Handgelenk. Trotzdem sind wir aufgeflogen und die Lehrer stauchten uns ordentlich zusammen. Schließlich kam jede erdenkliche Poolgeschichte zu tragen. Zu meinem Leid auch jene, in welcher ich mit Binks rumgealbert hatte, wir ausrutschten und er auf mich fiel. Mich hatte das damals so erschreckt und die Nähe war so plötzlich gekommen, dass mir was abstand. Binks zog mich auf, aber ich wehrte mich. Früher hätte ich verlegen getan, doch heute wollte ich am liebsten keine Verbindung mehr zu solchen Peinlichkeiten haben. Ich erwähnte, dass wir uns vorher ausführlich über Frauen und Brüste unterhalten hatten. Die Männer in der Runde stimmten zu und fanden, dass das durchaus zu verzeihen sei. Marcels Frau echauffierte sich über sexistisches Verhalten, jedoch wurde schnell klar, dass es ihr damit nicht ernst war. Ich brachte indes die Sache mit Marcel und der Pornosammlung seines großen Bruders auf. Schnell war mein Fauxpas vergessen. Als die Uhr halb neun schlug, wurde ich unruhiger. Für mich war die Sache mit meinen Freunden nun geklärt. Sie lebten, alles war wie immer, ich trauerte niemanden mehr hinterher und war mehr als hibbelig mich mit dem großen Thema „Joshua“ zu beschäftigen. Meine Unruhe wurde bemerkt, als ich zum wiederholten Mal auf mein Handy sah und scheinbar auch seufzte. „Ich würde gerne eine Rauchen gehen“, sagte ich und griff nach meiner Jacke. Musste ja niemand wissen, dass es nicht der Nikotinmangel war, der mich antrieb. „Warte Max“, hielt Tobias mich zurück, ehe er in die Runde sprach. „Wollen wir nicht noch, woanders was trinken gehen? Ihr habt doch Sitter für eure Kinder, nicht wahr? Wie lange könnt ihr noch?“ „Ach, meine Mutter macht das schon“, erzählte Marcel freigiebig. Shin besprach sich mit seiner Freundin. „Marry würde schon vorgehen. Sie trinkt eh nicht, aber ich komme noch mit.“ Ah, stimmte. Shins Freundin hieß Marry. Nun gut, bye Marry, dachte ich bei mir. Ich überschlug im Kopf was ich zu zahlen hatte und legte einen glatten Betrag inklusive Trinkgeld auf den Tisch. „Hier, zahlt für mich mit. Ich warte dann draußen auf euch.“ Ich schnappte mir meine Jacke und verließ das Restaurant. Draußen war es kühler geworden, doch immer noch angenehm, da der Wind sich gelegt hatte. Wenn es mal stark windete, fegte es, je nach Windrichtung, mal kräftig, mal lau durch die Einkaufsmeile und Gassen. Ein Grund weshalb ich lieber drinnen gesessen hatte. Sporadisch ließ ich meinen Blick zu beiden Seiten schweifen. Keiner da. Menschen hier und da, aber kein Joshua. Na, es war auch nur eine kleine Wunschvorstellung gewesen. Ich stellte mich an ein Stück freie Hauswand und zog die Zigaretten heraus. Ich war kein Raucher. Nur sehr, sehr gelegentlich. Zudem war ich nicht mal gut darin. Es hatte ewig gedauert, bis ich ordentlich auf Lunge rauchen konnte. Für mich war es meist ein Gesellschaftsding, vor allem in Verbindung mit Alkohol. Davon ab schmeckten mir Zigaretten nicht. Heute war es zwar gesellig, aber ich hatte noch nichts getrunken. Warum rauchte ich also? Reine Ablenkung. Ich brauchte etwas Ruhe um nachzudenken. Meine Hoffnung war gewesen, dass wir nach dem Essen unserer Wege gingen. Nun wollten alle noch was trinken und ich hatte zugesagt. Dabei wollte ich heim und über anderes nachdenken. Die Unruhe davon abgehalten zu werden, kroch mir bereits in die Beine. Gefühlt hatte es den gleichen schwächenden Effekt wie Alkohol. Keine Ahnung welches Hormon dafür verantwortlich war. In Gedanken machte ich mir ein Memo mehr Studien in diese Richtung zu lesen. Nichtsdestotrotz brauchte ich eine Ausrede um nachher früher los zu müssen. Ich ging mein ganzes Repertoire an Gewitztheiten durch. Ich wollte schon aufgeben, als mir einfiel, dass ich morgen Arbeiten musste! Manchmal stand ich auch auf’m Schlauch… Just in Selbstironie versunken, wurde ich von der Seite angesprochen. „Du rauchst?“ Grimmig darüber beim Pläne schmieden gestört worden zu sein, wandte ich mich der Stimme zu. Demonstrativ zog ich an der Zigarette. Als ich die Person erkannte, hielt ich die Luft an und meine Hand verweilte zur Zierde vor meinen Mund. „Jo-Josh?“ Ich brauchte einen Moment, um mich zu fangen. „Was machst du denn hier?“ Trotzdem schlug mein Herz wie wild. Joshua zuckte mit den Schultern. „Ich hatte was in der Nähe zu erledigen und dachte mir, ich schau mal, ob du noch hier bist.“ Mir egal, ob das erfunden war oder nicht, ich grinste über beide Ohren und schüttelte nur den Kopf. „Noch sind wir hier. Aber wir wollten noch was Trinken gehen.“ „Aha … wo denn?“ Ich zuckte mit den Schultern. Meine Zigarette verkam zu einem dampfenden Requisit. „Keine Ahnung. Wirklich Lust hab ich dazu nicht.“ Joshua schwieg und musterte mich. Ich trug heute einen anderen Stil als sonst. Lockere Jeans mit weißen Nike‘s, dazu ein schwarzes Top, eine ebenso schwarze Stoffweste mit Kapuze, die einen ziemlichen Fransenlook hatte. Dazu ein breites Lederarmband und eine dünne silberne Kette. Meine Haare waren leicht gestylt und die Jeansjacke hing über meinem Arm. „Darf ich eine?“ Joshua deutete auf die Zigaretten. Perplex bot ich ihm eine an und reichte ihm das Feuerzeug. „Du rauchst also auch?“ „Nur selten. Wirklich schmecken tun sie mir nicht, aber die Woche war schon irgendwie hart, also ist es verdient.“ Ich fühlte mich etwas schuldig, als er seine harte Woche erwähnte. Daran war ich sicherlich nicht unbeteiligt gewesen. Ich setzte den Filter an meine Lippen und sah zu Joshua. Er wirkte wie immer. Jeans, sportliche Schuhe, ein Shirt und ein Hemd darüber. Mein Blick glitt unbewusst zu seinen Lippen und ich bemerkte, dass er viel besser rauchte als ich. Schnell sah ich weg und senkte die Zigarette. Lautes Geschnatter kündigte meine Freunde an. Sie kamen einer nach dem anderen aus dem Restaurant heraus und musterten den Fremden an meiner Seite. „Jo, Max, wir haben uns schon eine Bar ausgesucht“, erklärte Tobias mir und trat an uns heran. Joshua und ich sahen erst einander, dann ihn an. „Gut“, sagte ich schlicht und hielt nach einem Aschenbecher Ausschau. „Und wer ist das?“ Durch die offensiv ausgetauschten Blicke kam ich nicht umhin sie einander vorzustellen. „Das ist Joshua, mein Arbeitskollege. Josh, das sind Tobias, Marcel und seine Frau, Shin, Marry sowie Binks und Evelin. Freunde aus der Schulzeit.“ Einige nickten, andere murmelten eine Begrüßung. Mir lief der Schweiß den Rücken hinab. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber irgendwie nicht, dass sich Joshua und Binks jemals begegnen würden!? Joshua war schnell von den anderen umstellt worden. Ähnlich wie auf Arbeit sah ich in den Augen der anwesenden Damen ein kleines Funkeln, wenn sie ihn sahen. Ich weiß ja selbst, dass er gut ausschaut, aber musste er so anziehend auf alle anderen wirken?! Evelin trat an mich ran und stupste mich mit ihrer Schulter an. „Sag mal Max, seit wann kennst du so heiße Typen?“ Ich hob beide Augenbrauen, während Joshua nur eine hob. Im direkten Vergleich sah ich bestimmt total albern aus. Doch während ich deutlich überrascht über ihre Aussage war, schien Joshuas Blick unfreundlicher zu werden. „Was meinst du damit? Ich kenne viele coole Typen. Aber die werde ich dir nicht vorstellen, immerhin bist du ja gut vergeben.“ „Ha! Und das bleibe ich auch. Ich war nur neugierig“, erklärte sie grinsend und huschte schnell an Binks‘ Seite, welcher seinen Arm schützen um sie legte. Joshuas Blick folgte ihr. Während sich seine Augenbrauen entspannten, wurde das Grau seiner Augen erstaunlich kalt. Beiläufig ließ er seine Zigarette fallen. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich wollte vermitteln, doch fiel mir nichts ein. Josh neigte seinen Kopf. „Er ist dein Freund?“ „Ja, auch ein Schmuckstück“, sagte Evelin stolz. Binks sah sie stirnrunzelnd an. Joshua taxierte Binks mit Blicken und ein amüsiertes Schmunzeln legte sich auf seine Lippen. Dann trat er einen Schritt auf Binks zu, hob dessen Kinn an und stahl sich einen Kuss. Mir fiel die Zigarette aus der Hand, während Panik und Wut eine ungesunde Mischung bildeten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)