Living on the edge of the word von yamimaru ================================================================================ Kapitel 1: Burning like the sun [SCREW: Byo/Kazuki] --------------------------------------------------- Charakter: Byo (SCREW) Prompt: Aloe Vera Surprise Saga: ja Wortanzahl: 1.047     „Eines muss man der PSC lassen, sie wissen, wie man Urlaub macht.“ Manabu neben mir gähnt und streckt sich ausgiebig.   „Das war auch das Mindeste, was sie nach all dem Stress für uns tun konnten.“ Grimmig presst du deine Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und belagerst eine der Strandliegen. Obwohl du recht hast, knuffe ich dir kurz in die Seite, meine grinsend, dass so ein miesepetriges Gesicht nur Falten machen würde. Du seufzt, nickst abgehakt und legst dich schließlich hin. „Hast ja recht, Kazu. Ich sollte nicht so nachtragend sein und unsere freien Tage genießen.“   „So sieht‘s aus!“, trällert Rui, schnappt sich die Hand unseres Schlagzeugers und zerrt ihn mit sich ins Meer. Ich höre noch Jins klägliche Proteste, bevor er mit einem lauten Platschen in den Wellen versinkt.   „Kann er schwimmen?“ Manabu wirkt alarmiert, du wühlst wortlos in deiner Strandtasche und ich zucke die Schultern.   „Keine Ahnung“, lasse ich mich schließlich zu einem Kommentar hinreißen und lege mich auf die Liege neben deiner. „Rui ist doch bei ihm, der wird ihn schon nicht absaufen lassen.“   „Schlagzeuger gibt es wie Sand am Meer.“   „Byo!“, zischt Manabu irritiert.   „Das war ein Scherz.“ Dein Augenrollen verschwindet hinter der Sonnenbrille, die du in deiner Tasche gefunden hast, bevor du dich auf den Bauch rollst und unverkennbar signalisierst, dass du deine Ruhe haben willst. Ich seufze unhörbar, bevor ich meinen Blick von dir lösen kann und Manabu ein warmes Lächeln schenke.   „Jin schreit schon, wenn er Hilfe braucht.“   „Wollen wir’s hoffen.“ Mein Gitarristenkollege presst für einen Moment die Lippen aufeinander, bevor ein sichtbarer Ruck durch ihn geht und auch er es sich auf einer der Liegen bequem macht.   Wir müssen schon ein eigenartiges Bild abgeben, so in einer Reihe wie wir hier am Nirai Beach liegen und uns von der Sonne braten lassen. Zugegebenermaßen bist du der Einzige von uns, der seinen schützenden Sonnenschirm nicht aufgespannt hat, aber auf meine besorgte Nachfrage hin hast du nur gemeint, dass du wie ein toter Fisch aussehen würdest und dringend Farbe bräuchtest. In meinen Augen beinhaltet deine Aussage zwar einige Fehler, aber nun ist nicht die Zeit für Grundsatzdebatten. Daher schlucke ich einen Kommentar herunter und zwinge mich, deinen Rücken nicht weiter anzustarren.   Starren, ja, das tue ich in letzter Zeit sehr oft. Es ist ein Wunder, dass dir das noch nicht aufgefallen ist, so unvorsichtig wie ich bin. Sogar Jin, der meist in seiner eigenen Welt lebt, hat bereits etwas bemerkt. Schon eigenartig … und dann auch wieder nicht. Gerade dich hatten die Bosse in den letzten Monaten vollkommen in Beschlag genommen. Zeitweise befürchtete ich schon, du würdest krank werden, als du immer blasser und müder wurdest.   Für einen langen Atemzug schließe ich die Augen, verbanne jeden Gedanken an dich aus meinem Kopf und konzentriere mich auf die Geräusche um mich herum. Vorrangig höre ich das Rauschen des Meeres, gleichmäßig, beruhigend, unterlegt von dem bunten Stimmengewirr der anderen Strandgäste.   Der Vorteil, bei einer so großen Firma wie der PSC unter Vertrag zu stehen, liegt auf der Hand – einem kleineren Label wäre es nie möglich gewesen, Betriebsferien auf Okinawa zu finanzieren. Der Nachteil zeigt sich jedoch ebenso offensichtlich – die Zahl unserer mitreisenden Kollegen übersteigt die Einhundert; und alle sind sie hier.   Trotz des Geräuschpegels gelingt es mir irgendwann, mich in mein mitgebrachtes Buch zu vertiefen. Erst, als ich meinen Namen höre, sehe ich auf und nehme dankbar die Cola an, die Rui mir hinhält. Du jedoch reagierst nicht, also erliege ich meinem Laster und beobachte dich, während ich einen großen Schluck der kühlen Brause trinke. Ich kann nicht anders, strecke die Hand nach deinem Rücken aus und presse die Lippen zusammen, als sich die gerötete Haut genauso heiß anfühlt, wie sie aussieht. Wie lange liegst du schon in der Sonne? Ich sehe auf die Uhr, kann mich aber nicht erinnern, wann wir uns auf den Weg hierher gemacht haben. Um zehn? Oder war es schon mittags gewesen? So oder so war es definitiv zu lange und ich verfluche mich innerlich, dass ich nicht besser auf dich aufgepasst habe.   „Byo“, murmle ich, rüttle dich leicht an der Schulter, bis du endlich ein Lebenszeichen von dir gibst.   „Was’n?“   „Du musst dringend in den Schatten, dein Rücken ist knallrot.“   „Echt?“ Du versuchst, gleichzeitig über deine Schulter zu sehen und dich aufzurichten. Keines von beidem gelingt dir, sodass du unsanft zur Seite wegkippst. „Aua“, jammerst du, noch immer nicht ganz wach und rappelst dich ungelenk zum Sitzen hoch. „Bin ich eingeschlafen?“   „Ja.“ Ich senke beschämt den Blick. „Tut mir leid, ich hätte dich viel früher wecken sollen.“   „Mann, Kazuki, ich bin kein kleines Kind.“ Du reibst dir übers Gesicht, dann über die rechte Schulter, lässt das jedoch sofort wieder und verziehst den Mund. „Verdammt, das war wirklich zu lang.“   „Ich bring dich aufs Zimmer.“   „Quatsch, das schaffe ich allein.“ Mürrisch ziehst du ein weißes Hemd aus der Tasche, wirfst es dir über und willst davongehen. Keine drei Schritte schaffst du, bevor deine Knie nachgeben. Nur meiner Reaktionsfähigkeit ist es zu verdanken, dass du nicht auf der Nase landest.   „Mit einem Sonnenstich ist nicht zu spaßen, also sei nicht so stur und lass dir helfen“, zische ich, während ich vorsichtig einen Arm um deinen unteren Rücken lege und dich stütze.   „Schafft ihr es allein?“ Ich nicke Jin kurz zu und runzle die Stirn, als er mir seinen Zimmerschlüssel hinhält. „Im Bad steht eine Tube Aloe vera Gel. Ist das beste Mittel gegen Sonnenbrand.“   „Du denkst echt an alles.“   Jin grinst nur, während ich dich stützend langsam zum Hotel zurückgehe. Gerade, als ich denke, wir wären den neugierigen Blicken und Kommentaren der anderen entkommen, ruft eine mir bekannte Stimme unsere Namen. Ich hebe den Blick und erkenne niemand anderen als Tora, der mit Saga die Strandbar belagert, einen Cocktail lässig in der Rechten.   „Na, habt ihr zu tief ins Glas geschaut?“ Saga prostet uns grinsend zu, „falls nicht, hier gibts noch genug.“   „Sag ja“, höre ich dich murmeln und speise die beiden mit einigen Sätzen ab, bevor ich mich wieder in Bewegung setze. „Danke“, flüsterst du und lehnst dich noch stärker gegen mich. „Die hätten mich wegen dieser Sonnenbrandsache sicher auf ewig verarscht.“   Ich lache und lehne meinen Kopf für einen kurzen Moment gegen den deinen. ‚Ach, Byo, wenn sich nur alles mit ein bisschen Small Talk lösen ließe.‘ Kapitel 2: Underneath his skin [The GazettE: Uruha/???] ------------------------------------------------------- Charakter: Uruha (The GazettE) Prompt: Ink Surprise Saga: ja Wortanzahl: 1.050     Deine schmalen Finger tanzen über die schwarze Tinte auf seiner nackten Haut. Verträumt folgen deine Augen der Bewegung, bevor deine Lippen diese Aufgabe übernehmen, die verschlungenen Linien nachzeichnen.   „Du quälst mich“, stöhnt er dunkel, zaubert dir damit ein Lächeln ins Gesicht, weil seine Stimme verlockend heiser ist und du nur zu gut weißt, wessen Schuld das ist.   „Ich kann nichts dafür“, stellst du kokett fest, schiebst dich über ihn und küsst ihn so lang und innig, dass sich euer Atem beschleunigt hat, als du dich wieder löst. „Du hast mich angelockt, jetzt musst du die Konsequenzen tragen.“   „Uruha~.“   Du beginnst dich rhythmisch gegen ihn zu bewegen, ignorierst seine ohnehin nicht ernst gemeinten Proteste. Du spürst, wie sehr er es erneut will, es braucht nur noch ein wenig Überzeugungskraft deinerseits. Wieder fällt dein Blick auf seine Tattoos, auf die Tigerstreifen an seinem Bein, die es dir so sehr angetan haben. Noch mehr als die Buchstaben auf seinen Fingern spiegeln sie für dich seinen Namen, sein ganzes Sein wider. Von der ersten Sekunde an, als du sie auf seiner Haut entdeckt hast, warst du ihnen hilflos verfallen. Er weiß es nicht, fragt sich vermutlich, was dich dazu getrieben hat, ausgerechnet ihn heute Nacht auszuwählen, aber du wirst dich hüten, ihm den wahren Grund zu nennen. Viel lieber lässt du dich von seinen starken Armen packen, auf den Rücken werfen, bis er endlich wieder über dir, in dir ist.   Dein Stöhnen ist ebenso heiser, als du ihn erneut willkommen heißt, dich mit ihm und gegen ihn bewegst. Immer schneller treibt ihr eurem gemeinsamen Höhenflug entgegen, obwohl du dir nichts sehnlicher wünscht, als dass diese Nacht nie zu Ende geht.   Der nächste Morgen erwartet dich nass und grau, lässt dich hoffen, noch ein paar Stunden im Bett verbringen zu können. Sein Körper ist herrlich warm, ein kräftiger Arm hält dich sicher gegen seine Seite gepresst. Doch du musst gehen, hast keine Wahl, denn deine Band verlässt heute Tokyo für eine wochenlange Tour quer durchs Land.   Du löst dich vorsichtig, stehst auf und siehst dich in dem nichtssagenden Zimmer um, in das es euch nach der gestrigen Party verschlagen hat. Auf dem abgenutzten Beistelltisch findest du sogar einen vergilbten Block mit dem Logo des Love-Hotels und den dazugehörigen Kugelschreiber. Wie ein scheues Reh huscht dein Blick vom Papier zu ihm und zurück. Ob du das wirklich tun sollst? Nervös knabberst du auf deiner Lippe herum, schreibst dann mit abgehakten Bewegungen deine Telefonnummer auf den Block, reißt das Papier ab.   Deine Kleidungsstücke sind im Zimmer verteilt und du verschwendest wertvolle Minuten damit, alles zu finden und dir überzuziehen. Erst dann setzt du dich auf die Bettkante, wunderst dich, dass er nichts bemerkt hat, weiterhin friedlich schlummert. Manchmal musst du dich daran erinnern, dass nicht jeder mit dem Schlaf so auf Kriegsfuß steht wie du.   Dein Lächeln ist zittrig, als du vorsichtig die Decke von seinem Bein schiebst, ein letztes Mal die Tigerstreifen betrachtest. Wie sehr du dir wünschst, sie könnten … er könnte für immer dir gehören. Deine Augen suchen sein Gesicht, zärtliche Wärme stiehlt sich in dein Herz, ein so ungewohntes Gefühl, dass du im ersten Moment nichts damit anzufangen weißt.   Plötzlich schnürt dir das nahende Ende dessen, was auch immer in dieser Nacht zwischen euch war, die Luft ab, Panik lässt deine Handflächen feucht werden, und bis du es dich versiehst, stehst du vor dem Hotelzimmer, den Zettel noch immer in der Hand. Lange Zeit starrst du auf die Zahlen, während sich dein fliegender Atem beruhigt. Als hätte die Angst dir deinen Kopf wieder geradegerückt, siehst du alles in einem ganz anderen Licht. Entschieden presst du die Lippen aufeinander, zerknüllst das Stückchen Papier und stopfst es in deine viel zu enge Lederhose.   Du weißt beim besten Willen nicht mehr, warum du es gestern für eine gute Idee gehalten hast, dich für dieses Party-Outfit zu entscheiden. Es ist unbequem und für die Jahreszeit absolut unpassend. Genauso unpassend, wie mit dem Gitarristen einer befreundeten Band zu schlafen. Du kneifst die Augen zusammen, atmest einige Male betont ruhig ein und wieder aus, bevor du gehetzten Schrittes das Hotel hinter dir lässt.   Zurück in deiner Wohnung redest du dir ein, nicht geflohen zu sein, während du zum unzähligsten Mal dein Gepäck überprüfst. Auch auf dem Weg zum Treffpunkt kannst du dir noch einreden, nicht wegzulaufen, die richtige, weil rationale Entscheidung getroffen zu haben. Erst im Tourbus, als Reita die unsägliche Frage stellt, wohin es dich gestern so plötzlich verschlagen hat, brechen alle Dämme. Gerade so gelingt es dir, dich in deine Koje zu stehlen, bevor die anderen die stummen Tränen bemerken, die über deine Wangen rinnen.   Warum bist du nur so dumm gewesen?   Diese Frage verfolgt dich Tag und Nacht, während dein Leben von Konzerten, Interviews und Partys mit viel zu viel Alkohol bestimmt wird. Doch auch, als sich die Tour ihrem Ende zuneigt, hast du darauf noch keine Antwort gefunden. Wenn du ehrlich zu dir selbst bist, weiß du nicht einmal, wonach du fragst.   Du sitzt in deiner Koje, die Vorhänge zugezogen und nur das Licht deines Smartphones erhellt den winzigen Raum, der zu deinem Zufluchtsort geworden ist. Seit Minuten starrst du auf einen bestimmten Namen in deinem Telefonbuch. Du gibst dir einen Ruck, tippst ihn an und wartest, bis das Freizeichen unterbrochen wird.   „Hallo“, murmelst du, wartest auf die überraschte Reaktion auf der anderen Seite, bevor du weitersprichst. „Wie geht es ihm?“   „Und wie immer fällst du mit der Tür ins Haus.“   „Saga, bitte, ich hab keine Kraft für nichtssagende Begrüßungsfloskeln.“   „Wenigstens ändern sich manche Dinge nie.“ Saga seufzt und sogleich hast du ein Bild von ihm vor Augen, wie er sich über die Nasenwurzel reibt. „Er leidet wie ein Hund, auch wenn er sich nichts anmerken lässt.“   „Woher weißt du es dann?“   „Er hat mich letzte Woche nach deiner Nummer gefragt.“   „Oh.“ Du kneifst die Augen zusammen, dein Herzschlag so laut in deinen Ohren, dass du nicht weißt, ob dein langjähriger Freund weitergesprochen hat. Doch plötzlich wird alles still in dir, als dir bewusst wird, dass es nun einfach kein Zurück mehr für dich gibt. Du hast dich einfangen lassen und anders, als in dieser Nacht, in der sich alles für dich verändert hat, bist nun du es, der die Konsequenzen tragen muss. „Gib sie ihm.“   „Bist du dir sicher?“   „Nein, aber das ist okay.“ Kapitel 3: Expectation vs reality [MUCC: Yukke/Tatsuro] ------------------------------------------------------- Charakter: Yukke (MUCC) Prompt: Augen öffnen Aufgabe von: rumwolf surprise Saga: ja Wortanzahl:  1.050     Das Parkett, auf dem er kniete, war warm, aufgeheizt durch die Sonne, die durch bodentiefe Fenster in das Atelier schien. Es knarrte leise, immer wenn er sich minimal bewegte, und verströmte einen angenehmen Duft nach altem Holz und Wachspolitur, der sich mit dem Geruch der Farben mischte. Er hörte die Geräusche der Stadt, die gemeinsam mit einer angenehmen Brise ins Innere des Raums drifteten, lauschte dem Kratzen des Pinsels auf der Farbpalette, bevor es zu einem leisen Streichen wurde, als er auf die Leinwand traf. Sein Herzschlag war laut in seinen Ohren, dennoch glaubte er, sogar das Streifen seiner Wimpern über die Augenbinde hören zu können, jedes Mal wenn er blinzelte. Es war beinahe ebenso prägnant, wie der Druck der kunstvoll geknoteten Seile um seinen Körper, der sich nie veränderte und sich doch mit jedem verstreichenden Atemzug fester anfühlte. Aufregung. Verletzlichkeit. Geborgenheit. In den letzten Wochen war er süchtig nach diesem chaotischen Tanz der Gefühle geworden und dabei hatte alles so harmlos begonnen. Nie hätte er geahnt, dass ihm dieser Job so unter die Haut gehen würde. Er arbeitete schließlich nicht zum ersten Mal als Aktmodell. Meist wurde er für eine Gruppe Amateurmaler oder Kunststudenten gebucht, nur einmal war er bislang für einen einzelnen Maler Modell gestanden. Damals waren jedoch Saga und andere dabei gewesen und hatten die Intensität dieses fokussierten, alles durchdringenden Künstlerblicks abgemildert. Hier jedoch war er vollkommen allein. Allein mit der Erkenntnis, wie frei er sich in Gefangenschafft fühlte. Und wie Blindheit vermochte, ihm die Augen zu öffnen. Längst hatte er sich eingestehen müssen, dass er dieses Gefühl, nichts verbergen zu können, mehr genoss, als gut für ihn sein konnte. Mittlerweile sehnte er sich nach den zwei Stunden einmal die Woche, in denen er sich vollkommen fallen lassen konnte. In denen nichts zählte als sein Körper und der Blick des Malers, der diesen auf die Leinwand bannte. In diesen Momenten war es nicht wichtig, wer er war, was er dachte oder fühlte. Jedes Begehren, jedes Wünschen und Hoffen verdichtete sich zu einem einzigen Punkt im Hier und Jetzt. Keine Vergangenheit. Keine Zukunft. Nur Empfindungen ohne Wertung.   „Hast du Durst?“   Die samtene Stimme des Künstlers holte ihn aus seinen Gedanken. Erst jetzt realisierte er, dass das Kratzen und Streichen des Pinsels verstummt war. Dafür fühlte er eine Präsenz nah vor sich, der Geruch der Ölfarbe intensiver.   „Ja“, antwortete er leise, traute seiner Stimme nicht. Er hob das Kinn, fühlte Finger, die ihn sanft dirigierten, bis der Rand eines Glases gegen seine Lippen drückte. Er öffnete den Mund leicht, ließ die kühle, prickelnde Flüssigkeit ein, schluckte. Ein erstaunter Laut entkam ihm. Er kannte dieses kleine Ritual, aber normalerweise war es Wasser, nicht Champagner, das ihm zu trinken gegeben wurde. Ein samtenes Lachen wusch über ihn und er nickte, als er gefragt wurde, ob er mehr wollte.   Himmel ja, er wollte mehr, so viel mehr.   „Zur Feier des Tages dachte ich mir, wir können uns etwas Besseres als Wasser gönnen.“ Feier des Tages? Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen und ein Kloß formte sich in seiner Kehle. Einerseits freute er sich, denn die Worte seines Gegenübers ließen vermuten, dass er soeben sein Werk beendet hatte. Andererseits hieß das, dass er nun nicht mehr gebraucht wurde. „Ist alles in Ordnung?“   „Ja.“ Schnell nickte er und hoffte, einer näheren Frage damit entkommen zu können.   „Gut. Hast du Hunger? Ich hätte da noch etwas.“ Wieder nickte er, obwohl das eine Lüge war. Wie konnte er essen wollen, wenn sein unverhofftes Paradies, seine Zuflucht gerade vor seinen Augen zu verschwinden begann? Etwas Kühles presste sich gegen seine Lippen und reflexartig öffnete er sie, roch das süße Aroma der Erdbeere, deren weiches Fruchtfleisch keinen Moment später seinen Mund füllte. Ohne sein bewusstes Zutun entkam ihm ein genießender Laut und das folgende leise Lachen des Malers färbte seine Wangen rot.   „Bleib genau so.“   Schnelle Schritte entfernten sich, bevor die Geräusche des Malens wieder einsetzten. Er versuchte, zu gehorchen, obwohl es ihm mehr als schwerfiel. Mit einem Mal wollte er nur noch weg, diesen Ort der eigenartigen Nähe zwischen ihm und dem Künstler hinter sich lassen, bevor sich die Sehnsucht noch tiefer in sein Herz graben konnte. Wie lang er stillhielt, wusste er nicht, aber irgendwann waren da erneut Finger, die erst die Seile lösten, bevor sie ihn von der Augenbinde befreiten.   Langsam hob er die Lider, blinzelte gegen die Helligkeit im Raum an, bis der Mann vor ihm deutliche Konturen annahm. Seine schwarzen Haare flossen glatt bis weit über seinen Rücken, halb verborgen unter einer ebenso schwarzen Schirmmütze. Auf seiner rechten Wange prangte ein breiter Strich roter Farbe und die Augen waren durchdringend wie immer, ließen ihn wünschen, sich erneut hinter dem Satinstoff verbergen zu können.   „Willst du es sehen?“   „Ja.“   Er schämte sich nicht, als er sich nackt, wie er war, erhob und dem Maler zur Staffelei folgte. Mit offenem Mund betrachtete er das Werk, wusste nicht, was er erwartet hatte. Die Realität übertraf jede Vorstellung.   „Es ist wunderschön.“ Er erkannte sich kaum wieder, nicht, weil das Bildnis nicht seinem Aussehen entsprach, sondern weil es genau die Emotionen ausstrahlte, die er glaubte, für immer tief in seinem Herzen verschlossen zu haben.   „Vielen Dank.“ Eine kurze Berührung an seiner Schulter. Die Hoffnung, es könnte sich mehr daraus entwickeln. Und die Erkenntnis, dass seine Realität eine andere war. „Also … ist unser Arrangement hiermit beendet?“, fragte er und sein Gegenüber bejate. Er wandte sich ab, ging zum Stuhl in der Ecke, auf dem seine Kleidungsstücke Platz gefunden hatten. Mit wenigen Handgriffen war er angezogen und vernichtete damit den Zauber, der ihn Woche um Woche hatte wiederkommen lassen. Kurz und schmerzlos, wie das Abziehen eines Pflasters. Warum nur tat es dennoch so weh?   „Ich bring dich noch zur Tür.“   „Sehr gerne.“ Das dunkle Holz öffnete sich, eine charmante Geste, die wie ein Schlag ins Gesicht war. „Dann … leb wohl, Tatsuro, und alles Gute für die Zukunft.“ Er raffte die letzten Reste seiner Selbstbeherrschung zusammen, drehte sich um und schenkte dem Maler ein ehrliches Lächeln.   Tatsuro erwiderte, doch statt für immer hinter der Tür zu verschwinden, lehnte er sich in den Rahmen und musterte ihn mit leicht schief gelegtem Kopf.   „Yukke?“   „Was ist?“   „Geh heute mit mir aus …“   Ein hoffnungsvolles Strahlen erhellte sein Gesicht. Zustimmende Worte verließen seinen Mund. Und die Rädchen seiner Realität änderten ihre Laufrichtung. Kapitel 4: Behind brown eyes [MUCC: Yukke/Tatsuro] -------------------------------------------------- ~*~ Triggerwarnungen: Krankheit, Trauer, Tod ~*~   Charakter: Yukke (MUCC) Prompt: Augen öffnen Aufgabe von: rumwolf surprise Saga: nein Wortanzahl: 1.049 Hinweis: zweite Variante der o.g. Prompts     Das Surren des Haarschneiders bohrt sich in mein Herz, verursacht mir körperliche Schmerzen. Doch nichts tut so weh, wie deinen Blick über den Spiegel hinweg einzufangen, zu halten, genauso fest, wie ich deine Hand umfasse. Lange Strähnen deines schwarzen Haars fallen den Messern zum Opfer, aufgefangen von den Händen der Stylistin, die sie sorgsam beiseitelegt. Es muss sein, hast du mir erklärt. Du würdest es nicht ertragen, deine Haare schrittweise zu verlieren, aufzuwachen, nur um dicke Bündel deiner Strähnen auf dem Kissen verteilt zu sehen. Minuten später ziehen sich lediglich feine Stoppeln über deine Kopfhaut, lassen dich nackt und verletzlich wirken. Es ist schwer, dich so zu sehen, dennoch zwinge ich mich, deinen Blick zu erwidern, dir zu zeigen, dass es okay ist. Deine Lider senken sich, als würdest du dich vor mir verstecken wollen, Scham unverkennbar über dein Gesicht geschrieben. Diese Regung passt so wenig zu dir, dass ich forsch nach deinem Kinn greife, dich zwinge, mich wieder anzusehen. Für mich wirst du immer der wunderschönste Mensch auf dieser Welt sein, sprechen mein Blick und meine Worte gleichermaßen, bevor ich dich an mich ziehe … ~*~ Unter deinem schwarzen Barrett bist du mittlerweile vollkommen kahl. Es ist unverkennbar, wie schwer es dir fällt, die Mütze herunterzuziehen, obwohl nur die Stylistin und ich dich so sehen. Sie lächelt dich über den Spiegel hinweg an, bevor sie die Perücke aus der Schachtel nimmt, sie über deine Kopfhaut schiebt. Für einen Moment bist du wieder wie früher; gesund, voller Energie. Nur deine Augen trüben meine Reise in die Vergangenheit, zu viel Leid steht in ihnen geschrieben, deine immer währende Erschöpfung zu präsent. Die Perücke anzupassen, dauert deutlich länger, als deine Haare abzuschneiden, aber ich verharre geduldig neben dir. Deine Finger liegen kalt in meiner Hand. Sie waren schon immer lang und schmal, aber nun gleichen sie Klauen, nur noch Haut und Knochen. Ich schlucke gegen den Kloß in meiner Kehle an, der mein ständiger Begleiter geworden ist, als du dich zu mir herumdrehst. Dein Lächeln ist dünn, kein Vergleich zu dem breiten verziehen deiner Lippen, dass früher so typisch für dich war. Dennoch sehe ich die Erleichterung darin, die Freude, wieder ein Stück Normalität zurückgewonnen zu haben … ~*~ Die Anweisungen des Fotografen sind ruhig, präzise, obwohl deine Aufnahmen bereits länger dauern als geplant. Aber keiner von uns beschwert sich, alle sitzen oder stehen wir in deiner Nähe. Ich will dir so den Halt geben, nach dem du nie fragen würdest, und wenn ich in die Gesichter von Miya und Satochi sehe, tummeln sich in ihren Augen ähnliche Gefühle. Der Leader gesellt sich zu mir, drückt mir ein Reisbällchen in die Hand. Du machst deine Sache heute richtig gut und ich solle etwas essen, sagt er. Keine Bitte, ein Befehl und Miyas typische Art, seine Besorgnis nicht auszusprechen. Ich nicke mechanisch, weiß nicht, ob ich seine Aussage oder seine Aufforderung damit bestätigen will. Der Reis ist zu klebrig in meinem Mund, die Füllung geschmacklos. Dennoch schlucke ich einen Bissen nach dem anderen herunter, bis ich das Gefühl habe, ein Stein läge in meinem Magen. In deinen weit geöffneten Augen hingegen liegt ein lebendiges Funkeln, als würdest du nicht die Kamera vor dir sehen, sondern jeden Fan, der sich später deine Bilder ansehen wird. Als wüsstest du, dass es deine letzte Chance ist, dich ihnen so zu zeigen. Energiegeladen, ausdrucksstark, ein wenig verrückt und manchmal sexy, wenn du auf diese ganz bestimmte Weise mit der Kamera flirtest … ~*~ Es steht schlecht um dich, sind die Worte der Stationsschwester auf das Nötigste reduziert. In meinen Ohren rauscht es, während ich im Auto sitze. Satochi hätte mich gefahren, aber unser Leader war vernünftig genug, darauf zu bestehen, dass ich ein Taxi nehme. Er wird heute niemanden von uns verlieren – das sind Miyas Worte, die auch jetzt noch in meinem Kopf nachhallen. Ich weiß, dass er damit vorrangig an dich gedacht hat, und ich bete, dass er rechtbehalten wird. Der Weg vom Parkplatz bis zu dir ist ein Fiebertraum, an den ich mich nicht erinnere. Erst, als ich deine aufgedunsene Hand in meiner eigenen halte, komme ich zu mir. Dunkle Schatten liegen wie verschmiertes Make-up unter deinen Augen, deine fahle Haut geht nahezu kontrastlos in das verwaschene Weiß des Bettbezugs über. Ich dachte immer, die Bettwäsche in Krankenhäusern würde bewusst nicht weiß, sondern blau, grün oder mit kleinen Blümchen bedruck daherkommen, um für Patienten und Gäste eine angenehmere Atmosphäre zu schaffen. Nicht auf der Intensivstation. Die einzigen Farben in deiner direkten Umgebung sind zwei rote Flecken auf deinen Wangen und das Blau deiner Lippen. ‚Bitte, macht die Augen auf, Tatsue. Zeig mir, dass du noch kämpfst.‘ Ich weiß nicht, wie lange ich dieses Mantra in Gedanken und später laut aufsage, während stumme Tränen über meine Wangen rinnen. Doch ich scheine dich erreicht zu haben, denn plötzlich flattern deine Lider, geben den Blick auf trübes Braun frei. Deine Lippen formen meinen Namen, aber kein Laut entkommt ihnen. Doch das ist in Ordnung. Ich beuge mich vor, küsse deinen Mund und ignoriere den Geschmack nach Krankheit und Chemie, der deinen Lippen anhaftet. Alles ist in Ordnung … ~*~ Das neue Haar auf deinem Kopf ist weich und flauschig, wie das eines Babys. Ich liebe es, darüber zu streicheln, dich im Arm zu halten. Mir ist viel zu warm unter der dicken Wolldecke, aber du frierst leicht, also ertrage ich es, will nichts mehr, als an deiner Seite zu sein. Deine Stimme ist kraftlos, als du süße Nichtigkeiten in mein Ohr flüsterst, einen Kuss auf meinen Hals presst, der mich erschauern lässt. Keiner von uns weiß, ob du jemals wieder auf der Bühne stehen wirst, jemals wieder singen kannst. Du hebst den Kopf, öffnest die Augen und siehst direkt in meine. Da ist er, der strahlende Funke, der dich selbst in den dunkelsten Stunden nie verlassen hat. Er zeigt mir, dass du weiterkämpfen wirst, bis du auch diese Hürde meisterst … ~*~ Ich öffne die Augen, Tränen fallen auf die Lilie, die ich zu dir lege. Ich höre noch immer dein Wispern im Morgengrauen, ich solle für dich weiterleben, wenn du es nicht mehr kannst. Mein Körper ist taub, als ich dich zurücklasse, mein Herz schreit, dass es bei dir bleiben will. Aber ich muss gehen, muss leben, weil ich dir noch nie einen Wunsch abschlagen konnte … Kapitel 5: Paper heart [Dir en grey: Kaoru/Die] ----------------------------------------------- Charakter: Shinya (Dir en grey) Prompt: Kami (Papier, Haare, Gott etc.) Aufgabe von: -En- Surprise Saga: nein Wortanzahl: 1.048     „Wenn das noch länger so weitergeht, geh ich da rein und frag Kaoru, ob er noch ganz dicht ist. Der macht Die seit über einer viertel Stunde zur Schnecke.“   „Kaoru neigt dazu, sich in Kleinigkeiten hineinzusteigern.“   „Als wüsste er nicht, wie sehr Die sich seine Schimpftiraden zu Herzen nimmt.“   „Nicht jeder hat deine Menschenkenntnis, Kyo, und Die ist ein Meister darin, seine Gefühle zu überspielen.“   „Du tust gerade so, als würden wir uns nicht schon über zehn Jahre kennen. Selbst Toshiya rafft mittlerweile, wenn Die ihm was vom Pferd erzählt.“   „Hey, lass mich da raus. Die miese Stimmung schlägt mir sowieso auf den Magen.“   „Soll ich dir einen Tee machen?“   „Nein, nicht nötig, aber danke, Shin.“   „Gerne.“   „Würde Kaoru einmal in seinem Leben die Augen aufmachen und statt der Arbeit auch die Menschen um sich herum bemerken, bräuchte es überhaupt keinen Tee.“   „Dem Grunde nach richtig, wobei ich Letzteres bedauern würde. Eine Welt ohne Tee wäre recht eintönig.“   „Du weißt, wie ich das meine.“   „Ich weiß immer, was du meinst, Kyo, aber ich muss es nicht für richtig halten.“   „Was machst du da eigentlich?“   „Origami.“   „Das seh ich auch, aber warum?“   „Es beruhigt die Nerven, willst du auch?“   „Willst du mir damit etwas sagen?“   „…“   „Ich geh da jetzt rein und hol Die raus. Produktives Arbeiten können wir nach dem Theater sowieso vergessen.“   „Dann verzieh ich mich auch, bevor Kaoru noch explodiert und sich ein neues Opfer sucht. Soll ich dich mitnehmen, Shinya?“   „Nein, aber danke.“   „Okay, dann einen schönen Abend und bis morgen.“   „Immer vorausgesetzt, wir haben morgen noch einen Leader.“   „Sei nicht immer so makaber, Kyo.“   „Ich bin nicht makaber, ich bin nur am Ende meiner Selbstbeherrschung.“   ~*~   „Shinya? Du bist noch da? Ich dachte, mittlerweile wären alle gegangen.“   „Offensichtlich nicht.“   „Was machst du noch hier?“   „Ich war dabei, zusammenzuräumen. Willst du dich setzen?“   „Ich muss den neuen Song noch abmischen, damit wir morgen weitermachen können. Wirklich viel haben wir ja nicht geschafft.“   „Setz dich.“   „Ich …“   „…“   „Na schön, eine kleine Pause schadet nicht.“   „Was war los?“   „Was meinst du?“   „…“   „Mit Die?“   „…“   „Wo soll ich anfangen?“   „Meist ist der Beginn der beste Startpunkt.“   „Haha.“   „Willst du auch ein Blatt Papier?“   „Wozu sollte ich?“   „Wenn deine Finger beschäftigt sind, hat dein Mund mehr Zeit zu sprechen.“   „Wer behauptet das?“   „Ich.“   „Warum frage ich eigentlich?“   „…“   „Ich weiß aber nur, wie man einen Kranich faltet.“   „Auch das ist ein Anfang und er bringt Glück.“   „Na schön, gib mir ein Blatt.“   „…“   „Bitte.“   „Gerne.“   „Ich sollte weiterarbeiten.“   „Gut, wenn du meinst.“   „Ich … Ach, verdammt, ich weiß doch auch nicht.“   „…“   „Es ist Die, wie immer. Er bringt mich einfach auf die Palme mit seiner andauernden Unkonzentriertheit. Ständig macht er Fehler wie ein blutiger Anfänger, obwohl er so verflucht talentiert ist. Er ist so verdammt gut, Shinya, aber er sieht es nicht. Jedes Mal, wenn er einen Leadpart übernehmen soll, ist das Drama vorprogrammiert, weil er sich nichts zutraut! Es ist zum Haareraufen!“   „Und du glaubst, ihn runterzuputzen hilft?“   „Wa…?“   „Wir wissen doch alle, dass Dies Selbstvertrauen in den meisten Fällen zu wünschen übrig lässt. Wäre es nicht sinnvoller, ihn zu ermutigen, statt ihm deinen Frust spüren zu lassen? Deine Meinung war ihm schon immer die Wichtigste, Kaoru, daran hat sich nichts geändert.“    „Du … Warum hast du eigentlich immer recht, mh?“   „Darauf werde ich nicht antworten.“   „Natürlich nicht.“   „Ich glaube jedoch, dass dein Frust ihm gegenüber nur ein Vorwand ist.“   „Ach ja? Und wofür?“   „Das kannst nur du dir beantworten.“   „Kryptisch wie immer.“   „Ich werde jetzt nach Hause gehen.“   „Ja, ich auch. Danke, Shinya.“   „Gern. Hier.“   „Ehm, danke, aber … Warum schenkst du mir das Papierherz, das du die ganze Zeit über gefaltet hast?“   „Weil du es gebrauchen kannst. Es ist zwar fragil und geht leicht kaputt, aber in den Händen der richtigen Person ist es fast unsterblich.“   „Das muss ich jetzt nicht verstehen, oder?“   „Nicht sofort, nein. Schönen Abend, Kaoru.“   „Dir auch, Shinya.“   ~*~   „Moin, Jungs. Ist unsere heiß geliebte Grummelbacke noch gar nicht hier?“   „Lass ihn das bloß nicht hören, Die. Ich bin froh, dass in den letzten Tagen endlich wieder so etwas wie Harmonie hier eingezogen ist.“   „Ach Totchi, du bist einfach viel zu sensibel.“   „Gar nicht!“   „Streitet euch nicht, Kaoru ist unten im Innenhof, eine rauchen.“   „Ja, Mama.“   „Du bist ein Kindskopf, Die.“   „Ein viel zu großer noch dazu. Wo ist der Leader?“   „Kann ja nicht jeder so kurz geraten sein wie du. Unten im Innenhof.“   „Dann nimm deine langen Stelzen in die Hand und hol ihn, ich will heut pünktlich schlussmachen.“   „Warum ich?“   „Weil du gefragt hast.“   „Menno.“   „Geh jetzt.“   „Schon gut, schon gut.“   „Hast du heut was vor, Kyo?“   „Jepp, SAW-Marathon, willst vorbeikommen?“   „Sicher nicht, dafür genieße ich meinen guten Schlaf zu sehr.“   „Leute, schaut mal!“   „Was ist denn, Toshiya? Beobachtest du wieder Tauben bei ihrem Paarungstanz?“   „Sehr witzig, das war nur einmal. Jetzt kommt schon her.“   „Und was sehen wir da?“   „Frag doch nicht, sondern guck.“   „Wir sollten Die und Kaoru wirklich nicht so beobachten.“   „Doch, genau das sollten wir, jetzt wird es nämlich interessant. Was gibt Kaoru ihm da?“   „Ich weiß nicht, sieht aus wie ein Stück Papier. Ein Brief?“   „Wäre es einer, würde Die ihn auffalten, oder?“   „Auch wieder wahr.“   „Ich geh jetzt.“   „Shinya, sei kein Spielverderber.“   „Ruhe. Mach das Fenster auf, vielleicht hören wir ja was.“   „Das ist verschlossen.“   „Mist.“   „Krass, was geht denn jetzt ab?“   „Das nennt man ein emotionales Gespräch, Toshiya.“   „Mann, Shinya, das war eine rhetorische Frage … Ah, seht doch!“   „Musst du mir so ins Ohr brüllen?“   „Das ist sonst ja eher deine Aufgabe, nicht?“   „Labert nicht, die umarmen sich!“   „Mh.“   „Und jetzt?“   „Wie, und jetzt? Fuck, die umarmen sich!“   „Wir haben es verstanden, Totchi. Könntest du mein Shirt loslassen?“   „Sorry, Kyo. Ah!“   „Was denn jetzt schon wieder?“   „Schau doch selbst!“   „Oh …“   „Kommt jetzt, das ist wirklich zu privat.“   „Ja, du hast recht. Totchi, Nase weg vom Fenster.“   „Aber …“   „Nichts aber.“   „Ihr seid gemein. Die küssen sich da unten und ich darf das nicht sehen!“   „Genau so sieht es aus. Lasst uns gehen, ich glaube, die Proben fallen heute aus.“   „Das trifft sich gut. Ich wollte ohnehin mit Miyu zum Friseur.“   „Sag mal, Shinya?“   „Ja, Kyo?“   „Hast du zufällig was mit der Sache zu tun?“   „Zufällig? Nein, sicher nicht.“ Kapitel 6: Black and white and the uncertainty in-between [MUCC: Miya/Satochi] ------------------------------------------------------------------------------ Character: Satochi (MUCC) Prompt: Shibuya Crossing Aufgabe von: - En - surprise Saga: nein Wortanzahl: 1.049     „Ich werde die Band verlassen.“   Die klar abgegrenzten Linien der Zebrastreifen verschwammen vor seinen Augen ebenso wie die Köpfe der vielen Menschen, die sich klein wie Ameisen unter ihm tummelten. Shibuya war geschäftig um diese Tageszeit, was er in der Abgeschiedenheit des Studios umgeben von Musik und versunken in der Arbeit beinahe vergessen hatte. Der Blick aus dem Fenster führte ihm diesen Umstand nun jedoch mehr als deutlich vor Augen. Beinahe so deutlich, wie ihm das angespannte Atmen in seinem Rücken zeigte, dass er seit mehreren Minuten nicht auf Satochis Worte reagiert hatte. Unwirsch rieb er sich über die Augen, verbannte die Feuchtigkeit, die kein Recht hatte, dort zu sein.   „Weißt du, was das Schlimmste daran ist?“   „Nein.“   „Dass mir bewusst ist, dass du damit niemals Späße machen würdest.“   „Miya.“ Sato hob die Hand, als er sich zu ihm herumdrehte, als wollte er ihn berühren. Unverrichteter Dinge krümmte er jedoch die Finger und senkte sie ebenso wie seinen Blick. „Glaub mir, ich hab noch nie so lange über etwas nachgedacht, wie über das hier, aber es gibt für mich keine Alternative. Ich bleibe noch so lange, wie ihr mich braucht …“   „Dann geh nicht!“ Er hatte nicht vorgehabt, laut zu werden, und die erschrockenen Augen, in die er nun sehen musste, ließen seinen Magen sich nur noch stärker verkrampfen. „Ernsthaft, Satochi, wie kannst du glauben, dass wir dich nicht mehr brauchen? Hab ich dir wirklich das Gefühl gegeben, ersetzbar zu sein?“   „Was? Nein!“ Satochi trat näher, obwohl das kaum noch möglich war. „Es liegt nicht an dir. Es liegt an keinem von euch.“ Kopfschüttelnd senkte er die Lider und seufzte abgrundtief. „Ich bin ausgebrannt, Miya, körperlich und mental.“    „Dann nimm dir eine Auszeit“, flehte er beinahe und hätte sich am liebsten die Haare gerauft, so hilflos fühlte er sich.   „Wir sind gerade erst aus dem Lock down raus, denkst du nicht, ich hatte in den letzten Monaten genug Zeit? Vermutlich kannst du das nicht verstehen und das ist in Ordnung, aber gerade weil wir uns so lange nicht treffen durften und bandtechnisch einfach nichts tun konnten, ist mir bewusst geworden, dass der Abstand von all dem hier genau das ist, was ich brauche.“ Satochi machte eine ausladende Handbewegung, die das gesamte Studio, das Equipment und sogar Miya selbst einzuschließen schien. „Endlich konnte ich wieder durchschlafen, meine Rückenschmerzen sind deutlich besser geworden und selbst diese ständige Anspannung war verschwunden. Kannst du dir vorstellen, was das für eine Erleichterung war?“   „Warum hast du nie etwas gesagt? Ich wusste von all dem nichts. Immer, wenn ich dachte, es würde dir nicht gut gehen und dich darauf angesprochen habe, hast du mich abgewimmelt. Und jetzt das? Verdammt, Sato, wir hätten daran arbeiten können, Lösungen finden, die nicht derart endgültig sind.“   „Ich konnte es mir nicht eingestehen. Es war leichter, mir einzureden, dass es nur eine Phase ist, dass mich die Euphorie der nächsten Tour sicher wieder genug aufbaut, um weiterzumachen.“   „Warum wartest du dann nicht noch? Wir starten doch gerade erst wieder. Natürlich werden die Shows in nächster Zeit nicht das sein, was wir gewohnt sind, aber …“   „Nein, Miya, mein Entschluss steht fest.“ Satochis Stimme brach und sein Adamsapfel hüpfte, als er trocken schluckte. „Ihr seid wie Brüder für mich, die ich nicht verlieren will, aber das Positive wiegt die negativen Auswirkungen mittlerweile nicht mehr auf.“   Die Zeit schien sich verlangsamt zu haben, während dessen sie sich unverwandt in die Augen sahen. Miyas Herz schmerzte, als würde ein Messer darin stecken und es hätte ihn nicht gewundert, Blut auf seinem weißen T-Shirt zu sehen. Aber da war nichts, die klaffende Wunde, die Satochis Entscheidung gerissen hatte, war unsichtbar.   „Ich wünschte, du hättest mich eingeweiht.“   „Es tut mir leid.“   „Ja, mir auch.“ Er rieb sich über die Nasenwurzel, verdrängte die Kopfschmerzen, die hinter seiner Stirn pochten und drückten. „Was hast du nun vor?“   „Ich denke, ich werde mit Tatsuro und Yukke sprechen, sobald sie wieder hier sind.“   Energisch schüttelte er den Kopf und gab dem Drang nach, seinen langjährigen Freund an der Schulter zu berühren. „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Die beiden neigen dazu, sich gegenseitig hochzuschaukeln, und dieses Drama willst du dir sicher nicht antun.“ Ein kurzes Zucken seiner Mundwinkel begleitete seine Worte, doch Satos erwiderndes Lächeln war so schwach und flüchtig, dass er sich fragte, ob er es sich nur eingebildet hatte. „Triff dich am besten einzeln mit ihnen und fang mit Yukke an.“   „Danke.“ Satochi senkte den Kopf und für einen irrwitzigen Moment glaubte er, sein Freund würde sich jeden Moment gegen ihn lehnen. Aber der Augenblick verging so schnell, wie er gekommen war und ließ ihn mit dem Gefühl zurück, ein sentimentaler Idiot zu sein. „Ist zwischen uns alles gut?“   „Nein.“ Tapfer ertrug er die Enttäuschung, die über Satochis Gesicht kroch und die er nicht verbergen konnte. „Aber ich hoffe, das wird es bald wieder sein. Lass uns weitermachen, okay? Ich höre unsere beiden Chaoten vor der Tür krakeelen.“   ~*~   Schwarz, weiß. Hell, dunkel. So wie ihn seine Schritte über den Zebrastreifen trugen, wirbelten Satochis Worte die unterschiedlichsten Emotionen in ihm auf. Enttäuschung, Hoffnung. Mut, Angst. Würde Satochis Fortgang bedeuten, ihn für immer zu verlieren? Oder würde sich ihre Freundschaft einfach in eine neue Richtung entwickeln? Dass die Band diese Veränderung überstehen würde, davon war er überzeugt, aber würde er selbst es genauso meistern? Sein Herz lag bleischwer in seiner Brust und immer, wenn er an ihr Gespräch zurückdachte, wollte er sich am liebsten zusammenkrümmen. Sein Mundschutz war durchgeweicht, obwohl er sich ständig über die Augen rieb und sein Magen war ein einziger, schmerzhafter Klumpen. Er drehte sich herum, ließ die vielen Passanten wie Wasser vorbeitreiben, während er das Fenster suchte, hinter dem er bis eben noch gestanden war. Ob Sato noch immer allein dort oben war? Er hätte nicht vor ihm gehen sollen, aber er hatte es nicht mehr ausgehalten. Fest presste er die Lippen aufeinander, senkte den Blick und ging weiter.   Schwarz, weiß. Hell, dunkel. Veränderungen mussten nicht immer etwas Schlechtes sein, auch wenn sie sich im ersten Moment so anfühlten, oder? Über zwei Jahrzehnte war es ihm unmöglich, ehrlich zu sich selbst zu sein, die Gefühle zu akzeptieren, die immer stärker wurden. Die Band, ihre Karriere, die Gesellschaft; alles war immer wichtiger, aber all das würde nun bald keine Rolle mehr spielen. Kapitel 7: Oh Baby, you’re hart to understand [The GazettE: Aoi/Uruha/Reita] ---------------------------------------------------------------------------- Character: Aoi (The GazettE) Prompt: Gebrauchsanleitung Aufgabe von: rumwolf surprise Saga: ja Wortanzahl: 1.045 kurze Anmerkung: Alle, die „It’s Playtime again“ gelesen haben, werden sofort wissen, was Aoi und uruha aufbauen. Allen anderen kann ich diese Story nur ans Herz legen. J   „Verbinden Sie Gurt A mit Schnalle B, ziehen Sie das Ende durch Öse E und befestigen Sie die Schlaufen an Halterung G.“   „Halterung G?“   „Ja, steht hier.“   „Wie sieht die aus?“   „Warte … hier, die Metallstange links von dir.“   „Mmmh, das passt nicht. An der Stange ist nichts, woran ich die Schlaufen befestigen kann.“   „Echt nicht? Zeig mal.“   „Hier.“   „Das ist ja auch die falsche Stange.“   „Aber du sagtest doch, die links von mir.“   „Nein, ich sagte, du sollst die da nehmen.“   „Du hast links gesagt.“   „Hab ich nicht. Nimm jetzt die Stange und mach die Schlaufen dran, damit wir weitermachen können.“   „Du und deine Links-rechts-Schwäche.“   „Was hast du gesagt?“   „Ich hab gefragt, wie es weitergeht.“   „Mh, na schön … Also, wo geht es weiter? Ah, hier. Verbinden Sie Gurt C mit Schnalle D, ziehen Sie das Ende durch Öse F und befestigen Sie die Schlaufen auf der gegenüberliegenden Seite an Halterung G.“   „Okay, so weit, so kompliziert; und irgendwie zweifle ich noch daran, dass sie dich aushält.“   „Willst du damit andeuten, ich wäre fett geworden?“   „Was? Nein! Wie kommst du darauf? Ich finde nur, die Gurte wirken bis jetzt noch nicht stabil genug.“   „Na~, ich will mal nicht so sein. Da hast du dich gerade noch aus der Affäre gezogen, mein Lieber.“   „Ich bin angemessen erleichtert. Liest du weiter?“   „Hmpf.“   „Ruha~!“   „Schon gut, schon gut. Ich hab Hunger, können wir nicht eine Pause machen?“   „Nein. Ich will sie fertig haben, bevor Reita nach Hause kommt. Sonst ist die ganze Überraschung im Eimer.“   „Hast ja recht.“   „Ich hol uns nachher was von deinem Lieblingsitaliener, einverstanden?“   „Okay. Dann such mal Verbindungsstange Y, die sieht so aus, und schraub sie im rechten Winkel an Halterung G.“   „So?“   „Müsste stimmen. Als Nächstes … warte mal, mein Handy.“   „Lass es bimmeln.“   „Sicher nicht. Was ist, wenn es etwas Wichtiges ist?“   „Dann meldet sich der Anrufer noch mal. He~, bleib hier und hilf mir.“   „Hier, studier die Bedienungsanleitung und jammer nicht rum. Ah, hallo Saga.“   „Hey, Uruha. Wer jammert rum?“   „Ach, nur Aoi. Wir versuchen gerade, einen Teil von Reitas Geburtstagsgeschenk zusammenzubauen.“   „Ich jammere gar nicht.“   „Tust du wohl. Und jetzt lass mich telefonieren.“   „Blöd, dass das Geschenk für Reita sein soll, was? Mit handwerklichem Geschick seid ihr beide eher nicht gesegnet.“   „Da redet der Richtige.“   „Ich hab nie etwas anderes behauptet. Aber, weshalb ich eigentlich anrufe, kommst du mit ins Kino? Ich hätte eine Karte für den neuen Star Trek übrig, Sakito ist kurzfristig abgesprungen.“   „Uh, würde ich wirklich gern, aber wenn ich Aoi mit unserem Heimwerkerprojekt allein lasse, beißt er mir den Kopf ab.“   „Ich beiß dir ganz andere Dinge ab, wenn du dich nicht beeilst.“   „Ja, ja. Du hast ihn gehört.“   „Er war nicht zu überhören. Was schraubt ihr denn zusammen?“   „Die Amor fünftausend de luxe.“   „Ah ja, darunter kann ich mir jetzt vieles oder gar nichts vorstellen, aber so wie ich dich kenne, ist es besser für meine geistige Unversehrtheit, mir einfach gar nichts vorzustellen.“   „Du bist wirklich zu prüde für dein Alter.“   „Kann sein, aber ich hab auch kein gesteigertes Interesse, daran etwas zu ändern.“   „Nicht? Und da dachte ich, ich könnte dir jetzt erzählen, was genau Aoi und ich geplant haben.“   „Lass mal gut sein. Sag deinem Heimwerker schöne Grüße von mir. Ich ruf Tora an, vielleicht geht der mit.“   „Spielverderber.“   „Mit Leib und Seele.“   „Uruha? Aoi? Ich bin zu Hause, wo seid ihr?“   „Ach du Scheiße, Reita ist gerade nach Hause gekommen! Sorry, Saga, aber ich muss auflegen. Fuck, fuckfuckfuck.“   „Hör zu fluchen auf und …“   „Hey, da seid ihr ja. Was macht …?“   „Nicht reinkommen!“   „Hast du ihm gerade die Tür vor der Nase zugeknallt?“   „Sag das nicht so vorwurfsvoll, was hätte ich denn tun sollen?“   „Keine Ahnung, aber das jedenfalls nicht.“   „Tut mir leid.“   „Sag das nicht mir, sondern ihm.“   „Kommst du hier allein klar?“   „Ach nee, plötzlich interessiert dich das?“   „Aoi~“   „Ist schon gut. Viel ist es nicht mehr und die Haken kann ich sowieso erst morgen in die Decke schrauben, sonst merkt Reita doch noch was.“   „Okay, dann lenke ich unseren verprellten Lieblingsbassisten ab, aber versuch, nicht mehr allzu lange zu brauchen, okay? Du weißt, wie neugierig er ist.“   „Verprellt? Ich hoffe, du hast ihm nichts geprellt.“   „Sag das nicht.“   „Husch jetzt, kümmer dich um ihn.“   ~*~   „Die Amor fünftausend de luxe. Eine Liebesschaukel für den gehobenen Anspruch. Spielendleichter Zusammenbau und sicherheitsgeprüfte Qualität für all Ihre erotischen Abenteuer. Pfff, den spielendleichten Zusammenbau möchte ich hiermit widerlegen.“   Aoi seufzte, klappte die Bedienungsanleitung zu und schob sie zusammen mit dem Gebilde aus Leder und Stahl unter das Bett. Er hoffte wirklich, alle Teile richtig miteinander verbunden zu haben, aber er würde alles noch einmal überprüfen, bevor er Uruha darin festschnallte. Nicht auszudenken, wenn sich sein Schatz seinetwegen verletzte. Aber apropos Schatz. Uruha meinte zwar, er würde sich um Reita kümmern, aber seitdem hatte er verdächtig wenig von den beiden gehört. Keine Gespräche, kein Murmeln des Fernsehers. Waren sie etwa ausgeflogen?   „Warum würde mich das nicht wundern?“ Aoi erhob sich, verzog das Gesicht, als seine Knie ein unschönes Knacken von sich gaben, und verließ das Schlafzimmer. In der Küche holte er sich ein kaltes Bier, gönnte sich einen großen Schluck, bevor er sich ins Wohnzimmer aufmachte und wie angewurzelt im Türrahmen stehen blieb. Er hätte nicht überraschter von dem sich bietenden Anblick sein können, wäre der Raum leer gewesen oder Uruha dabei, Reita auf eine ganz gewisse Art abzulenken.   Damit, dass sein Schatz entspannt auf dem Sofa saß und in sein Tagebuch schrieb, während Reita den Kopf auf seinem Schoß gebettet hatte und friedlich schlief, hätte er aber sicher nicht gerechnet. Auf dem niedrigen Tisch vor den beiden stand eine Flasche Massageöl und Reitas Rücken glänzte vielsagend. Aoi lehnte den Kopf gegen den Türrahmen, den Blick unverwandt auf seine Männer gerichtet, und spürte, wie sich ein gerührt-verliebtes Lächeln auf seine Lippen legte.   „Bist du fertig geworden?“, erkundigte sich Uruha in diesem Moment und hob den Kopf.   „Ja.“   „Warum kommst du dann nicht zu uns?“   „Gib mir noch zwei Minuten.“   Uruha lächelte ihn wissend an, nickte und vertiefte sich erneut in sein Tagebuch. Es mochte Momente geben, in denen sie beide aneinander vorbeiredeten, in denen es schien, als würden sie unterschiedliche Sprachen sprechen, aber wenn es darauf ankam, verstanden sie sich ohne Worte. Kapitel 8: Into the void [Malice Mizer: Mana/Közi] -------------------------------------------------- Titel: Into the void Promt: Stimme Charakter: Mana [Malice Mizer/Moi dix Mois] promt von: mir selbst Wortanzahl: 1.047     „Du gehst mir aus dem Weg und ich bin hier, um das zu ändern.“   Es ist eigenartig, diese Worte zu hören, ohne den warmen Hauch deines Atems an meinem Ohr zu fühlen. In all den Jahren, die wir uns kennen, gab es bislang nur zwei Gelegenheiten, zu denen ich deine Stimme wirklich gehört habe. Kein Flüstern, kein lesen von tiefschwarz geschminkten Lippen oder Interpretieren von Handzeichen, deren Sinn sich nur uns beiden erschließt. Ich schlucke, sehe in deine Augen, die trotz des fehlenden Make-ups so ausdrucksstark sind, dass sie bis auf den Grund meiner Seele blicken.   „Kann ich reinkommen?“   Ausgerechnet jetzt bin ich es, dem die Stimme versagt, dem jegliches Vokabular wie ein Schwarm aufgeschreckter Vögel aus dem Kopf geflogen ist. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, mache lediglich eine einladende Handbewegung und verschwinde in der Küche. Du kennst meine Wohnung besser als deine eigene und kannst dich ungeniert wie zu Hause fühlen. Ich hingegen brauche Zeit, um zu verarbeiten, was ich gerade gehört habe.   Das erste Mal, als du die Stimme für alle hörbar erhoben hast, war während Kamis Beerdigung gewesen. Ich war der Einzige, der wusste, dass du dich auf diese Weise von unserem Freund verabschieden wolltest, dennoch war es ein Schock, den samtenen Bariton deiner Worte über die Distanz hinweg zu hören, zu bemerken, wie viel Kraft trotz allem in deiner Stimme steckt. Deine Rede war ergreifend gewesen, roh und getränkt von einer Flut an Gefühlen, die dir von so vielen Menschen auch heute noch abgesprochen wird. Kami war ein ganz besonderer Mensch, so besonders wie das Band, welches dich mit ihm verbunden hatte. Ihn zu verlieren, war für uns alle unglaublich schmerzhaft gewesen, aber für dich war sein Verlust unerträglich. Deinen Schmerz hattest du jedoch immer gut versteckt und hättest du dich an diesem traurigen Tag nicht dazu entschlossen, deine Stimme in die Welt zu tragen, niemand außer mir hätte jemals davon erfahren. Ob es schändlich von mir war, mich damals auch besonders zu fühlen? Immerhin hattest du nur mich eingeweiht.   Das zweite Mal war deine Stimme rau und verärgert gewesen und wieder war ich geschockt. Vielleicht über deine energischen Worte, vielleicht wegen der Tatsache, dass du überhaupt laut geworden warst. Wieder trug ein Mensch Schuld daran, zu dem du eine ganz besondere Verbindung hattest. Nicht, dass du jemals mit mir darüber gesprochen hättest, was Gackt dir bedeutete, aber ich habe immer gespürt, dass mehr zwischen euch war. Dein Ausbruch, als er uns eröffnet hatte, dass er die Band verlässt, um seine Solo-Karriere zu verfolgen, hatte das nur zu deutlich gezeigt. Ich selbst hatte damals nicht gewusst, was ich fühlen sollte. Ich hatte Gackt immer gemocht und gern mit ihm zusammengearbeitet, aber ein Teil in mir, dem ich nur in den dunkelsten Momenten meines Lebens Gehör schenkte, frohlockte bei dem Gedanken, einen Rivalen loszuwerden. Ich weiß es noch wie heute, wie schwer es mir gefallen war, nicht laut loszulachen, als mir bewusst geworden war, was ich gedacht hatte. Gackt, mein Rivale. ‚Tja, Közi, um einen Rivalen zu haben, müsste ein Fünkchen Hoffnung bestehen, dass Mana deine Gefühle je erwidert.‘   Ich starre auf den Wasserkocher, der sich soeben mit einem lauten Klacken ausgeschaltet und mich damit aus meinen Erinnerungen gerissen hatte. Mechanisch befülle ich das Teesieb mit den grünen Blättern, hänge es in die filigrane Teekanne und gieße das Wasser in einem hohen Bogen ein, um es abzukühlen. Jede Bewegung ist automatisch, um ja nicht denken zu müssen. Gemeinsam mit zwei kleinen Teebechern stelle ich die Kanne auf ein Tablett und trage es umsichtig in mein Wohnzimmer.    Dein Blick hängt am Fenster, folgt den Regentropfen, die sich unaufhaltsam an der Scheibe entlang in die Tiefe stürzen. Ich fühle mich wie einer von ihnen, fallend, treibend, in einem Vakuum aus vollkommener Leere. Du drehst den Kopf und wieder fixieren mich deine Augen, nageln mich fest wie die Nadel einen Schmetterling. Nur siehst du nicht grausam dabei zu, wie ich mich flatternd zu befreien versuche, sondern senkst beschwichtigend die Lieder und klopfst einladend neben dich aufs Sofa. Wäre ich nicht so aufgewühlt, hätte ich deine Gastfreundschaft in meiner Wohnung amüsant gefunden. So beschleicht mich nur das untrügliche Gefühl, dass du wieder einmal haargenau weißt, was in mir vorgeht.   Ich folge deiner stummen Bitte, wie ich es immer tue, stelle das Tablett auf dem niedrigen Tischchen ab und gieße uns ein. Deine ungeschminkten Lippen ziert ein feines Lächeln und ich kann nicht anders, verharre für einen Herzschlag, um dich zu mustern. Wie anders du aussiehst, wenn deine Züge nicht von Make-up verändert sind. Eigenartigerweise wirkst du weder nackt noch verletzlich, wie ich es erwartet habe. Fast habe ich vergessen, wie fein deine Züge sind, wie elegant der Schwung deiner kleinen Nase. Und dennoch strahlst du eine Stärke aus, eine Entschlossenheit, die meinen Magen in Aufruhr versetzt.   Endlich kann ich mich von deinem Anblick losreißen, setze mich ungelenk neben dich und beginne, nervös mit dem Teebecher zu spielen. Das Porzellan ist zu heiß, meine Fingerspitzen kribbeln unangenehm, was ich jedoch nicht als Grund ansehe, mit meinem Tun aufzuhören. Ich brauche etwas, was mich ablenkt, was deine Stimme in meinen Ohren verstummen lässt.   „Du gehst mir aus dem Weg und ich bin hier, um das zu ändern.“   Ich hätte dir diesen Brief niemals schreiben sollen, niemals dem Drang nachgeben, dir nach all den Jahren endlich zu gestehen, wie viel du mir bedeutest. Nein, um genau zu sein, hätte ich schon deine Idee ausschlagen sollen, einen gemeinsamen Gig mit deiner Band zu spielen. Noch immer habe ich dein Flüstern im Ohr, das es doch eine schöne Sache wäre, wieder einmal gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Wie in alten Zeiten – und genauso hatte es sich angefühlt. An diesem Abend war es, als lägen nicht Jahre zwischen uns. Ich habe mich dir wieder so nahe gefühlt, war fasziniert wie eh und je von deiner Kraft, deiner Präsenz auf der Bühne. Und auch meine Gefühle für dich waren über mich hereingebrochen, als wäre ich mir nie über die Sinnlosigkeit meiner Schwärmerei für dich bewusst geworden.   „Du musst nichts sagen“, höre ich plötzlich deine Stimme. Kein flüstern, obwohl ich die Wärme deines Atems an meiner Wange spüre. „Heute übernehme ich das Sprechen.“   Warme Lippen berühren meine Haut. Ich atme ein. Und langsam beginnt das Vakuum in mir, sich mit Hoffnung zu füllen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)