Letzte Wiederkehr von MizunaStardust ================================================================================ Epilog: Epilog -------------- Epilog Der Pharao schlug die Augen auf. Alles, was ihn nun umgab, erschien ihm unwirklich, obwohl es ihm schmerzlich vertraut war. Die Wüste, der Palast, dessen Schemen aus der Ferne am Horizont zu sehen waren – das alles wirkte viel intensiver auf ihn als das neuzeitliche Domino, er fügte sich hier besser ein. Und dennoch war es jetzt wie ein Traum, den er einmal geträumt hatte. Als er aufblickte, schob sich eine Hand in sein Blickfeld. Es war Bakura, der sie ihm hinhielt und ihm auf die Beine half. Sie blickten sich an. „Wie geht es nun weiter?“, fragte der Pharao etwas hilflos. Seine großen, müden Augen blickten den Dieb traurig an. „Na, du gehst zurück dorthin“, er zeigte in Richtung von Atems Residenz, „zurück in dein altes Leben.“ „Und du?“, hakte der Pharao mit gepresster Stimme nach. „Ich tue dasselbe“, entgegnete der König der Diebe und legte eine Hand an den Milleniumsring, „naja, nicht ganz, versteht sich. Wohl eher in mein neues Leben.“ „Ich schätze, dann sehen wir uns wieder“, stellte Atem fest. Bakura nickte. „Richtig, nur unter ganz anderen Umständen.“ Eine einsame Träne suchte sich ihren Weg über Atems Wange. „Kannst du denn nicht dagegen ankämpfen? Bitte lass nicht zu, dass ich dich irgendwann bekämpfen muss! Lass … mich nicht alleine.“ Die letzten Worte waren kaum mehr als ein Flüstern. Im Grunde wusste er bereits, dass es sinnlos war. Er konnte nicht gegen das ankommen, was nun einmal durch ein höheres Prinzip vorherbestimmt war. Deshalb war er ja schließlich auch so bereitwillig zurückgegangen. „Du machst das schon“, sagte Bakura aufmunternd, „alles wird gutgehen, du wirst sehen.“ Atem wusste, dass dem nicht so war. Dass der Grabräuber dafür über Kurz oder Lang sein Leben lassen musste. „Bakura … danke“, mehr fiel dem Pharao nicht ein. „Kopf hoch, Euer Trübseligkeit!“, mit diesen Worten ließ Bakura den Pharao stehen, dessen Gesicht nun erneut Tränen benetzten. Er sah dem Grabräuber nach, wie er im durch den Sand davonschlenderte und schließlich nur noch als kleine Gestalt am Horizont zu sehen war. Es dauerte lange, bis Atem den Weg zu seinem Domizil antrat. Ja, er war alleine. War es immer gewesen und war es nun wieder. Er ließ sich die letzten Tage durch den Kopf gehen, schwelgte in den wenigen Momenten mit Seto. Alles schien ihm bereits jetzt unwirklich. Als er zu Fuß im Vorhof des Palasts eintraf, eilten sogleich mehrere seiner Leibwächter auf ihn zu. „Pharao!“, rief Seth, der Seto so ähnlichsah und es doch nicht war. Atem musste schmunzeln, wenn er daran dachte, dass er über Seto anfangs dasselbe gedacht hatte – nur umgekehrt. Der Hohepriester schob sich vor die anderen Leibwächter und suchte sofort Blickkontakt mit ihm. „Wir haben uns schon Sorgen gemacht! Ihr wart mehrere Stunden fort, ohne jemanden zu sagen, wohin Ihr geht!“, sagte er mit leichtem Vorwurf in der Stimme. „Stunden? Nur?“, fragte Atem verblüfft. „Was soll das heißen, ‚nur‘!“, fragte nun Shada. „Oh … gar nichts“, winkte der Pharao ab. „Nach dem Vorfall mit Bakura in dieser Pyramide konnten wir nur das Schlimmste befürchten!“, erklärte nun Isis. „Es tut mir leid“, sagte Atem leise, „ich habe wohl die Zeit vergessen. Entschuldigt, wenn ich Euch Sorgen bereitet habe.“ „Pharao, während Eurer Abwesenheit ist etwas geschehen“, ergriff nun Mahad das Wort, „der Milleniumsring ist verschwunden.“ Atem konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. „Aber Pharao … was ist daran so komisch?“, wollte der ehemalige Besitzer des Gegenstands irritiert wissen. „Ach, gar nichts. Ich bin wohl etwas durcheinander, verzeiht. Das … ist wirklich furchtbar. Ich bin sicher, der Ring taucht wieder auf – früher oder später.“ *** Die nächsten Tage vergingen zäh und quälend langsam. Atem fiel es schwer, sich wieder in seinen üblichen Alltag einzuleben. Er dachte oft an Seto und fragte sich, was er wohl gerade tat, ob er bereits einen Punkt hinter die ganze Sache gesetzt hatte. Er verspürte ein nervöses Ziehen im Magen, wenn er daran dachte, dass er ihn eines Tages wiedersehen würde. Zumindest seine jüngere Version, die all diese Erinnerungen, die sie in den letzten Tagen geteilt hatten, noch nicht gesammelt hatte. Würde dieser andere Seto ihn überhaupt wahrnehmen? Würde es schmerzhaft sein, ihn nicht berühren zu können, weil er von alldem noch nichts wusste? Oder würde er ihn vielleicht sogar für sich gewinnen können, wie es dieses Mal auch der Fall gewesen war? Doch der Pharao bezweifelte es. Dieser Seto war sicherlich noch nicht an dem Punkt, um zu begreifen, was seine ältere Version letztlich begriffen hatte. Es schien so, als würde die Zeit gegen sie arbeiten, als gäbe es keinen richtigen Zeitpunkt, zu dem sie beide zusammen Sinn ergaben. Ob hier oder da, ob früher oder später, immer war nur einer von ihnen zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Insgeheim begann er sich zu fragen, ob es möglicherweise doch eine Möglichkeit gegeben hätte, Zorc zu bezwingen, ohne in seine Zeit zurückzukehren. Aber immer, wenn sich ihm diese unangenehme Frage aufdrängte, dachte er daran, dass auch sein Reich letztlich einen Herrscher brauchte. Es brauchte ihn. Er wusste, er hatte Seto enttäuscht. Er hatte sich selbst enttäuscht. Aber so waren nun mal die Gesetze der Welt. Seiner Welt. So vergingen drei Wochen, in denen der Pharao sich von den Ereignissen in Domino abgeschottet und einsam gefühlt hatte. Von Bakura hatte er nichts mehr gehört oder gesehen. Das änderte sich eines Nachts, als Atem ein Geräusch auf seinem Balkon vernahm. Verunsichert richtete er sich in seinem Bett auf. Er war vollkommen allein in seinen Gemächern, Wachen waren lediglich draußen vor der Tür abgestellt. Deshalb hoffte er, es sei nur ein Tier gewesen, was er gehört hatte, oder der Wind. Doch es dauerte keine Minute, da machte er draußen auf dem Balkon eine Silhouette aus. Sein Herz begann wild gegen seine Brust zu schlagen. In diesem Augenblick streckte Bakura den Kopf zu ihm herein. „Wie geht’s denn so?“, fragte er augenzwinkernd. „Hast du mich erschreckt!“, rügte Atem ihn erleichtert, doch noch nicht ganz ohne Skepsis, da er nicht sicher war, ob er es hier tatsächlich mit Bakura zu tun hatte oder bereits mit Zorc. „Du kannst dich entspannen“, sagte der Dieb, „ich bin noch Herr meiner Sinne.“ Kurze Zeit später saßen sie gemeinsam auf dem Balkon. Sie waren von vollkommener Stille umhüllt, lediglich der raue Nachtwind heulte ein wenig über die Weite der Wüste. „Wie ist es dir ergangen?“, wollte der Pharao wissen. „Wie man‘s nimmt“, sagte Bakura, „es scheint so zu sein, dass Zorc nicht einfach meinen Körper übernimmt, sondern es ist ein schleichender Prozess. Jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde sickert ein wenig von seiner Essenz in meinen Geist.“ Atem sah ihn bekümmert an. „Gibt es nichts, das wir tun können, um es aufzuhalten?“, wollte er wissen. Bakura schüttelte entschieden den Kopf. „Hey, es ist in Ordnung. Ich hab mich dafür entschieden, diese Suppe auszulöffeln. Und ich bereue es nicht.“ „Ich denke, du bist der eigentliche Held in dieser Geschichte“, lächelte der Pharao. „Wie sieht es bei dir aus?“, fragte der Grabräuber. Atem zuckte die Schultern. „Gegen deine Probleme sind meine im Grunde nicht der Rede wert. Ich bin ein wenig wehmütig. Und ich fühle mich noch mehr allein als vor unserer Reise in die Zukunft.“ Bakura nickte. „Vielleicht ist das unser Schicksal. Allein zu sein. Als Preis dafür, dass wir dieser Welt ein bisschen Ruhe bringen.“ „Das will ich zumindest glauben“, nickte Atem. In den nächsten Wochen besuchte Bakura Atem öfter in der Nacht und sie redeten lange. Atem hatte das Gefühl, einen Freund gefunden zu haben, aber dieser kleine Lichtblick wurde fast komplett überschattet, wenn er an Bakuras und sein eigenes Schicksal dachte. Eines Nachts, als Bakura wieder auf Atems Balkon erschien, legte der Pharao den Finger an den Mund, schob den Grabräuber hinaus und bedeutete ihm, leise zu sprechen. „Wieso bist du so nervös?“, Bakura zog eine Augenbraue nach oben. „Ich …“, Atem wandte sich fahrig um, „naja, die Sache ist die … ich bin nicht allein.“ Der Dieb spähte neugierig ins Innere von Atems Gemächern. In dem stattlichen Lager des Pharaos konnte er die schlafende Gestalt des Hohepriesters Seth ausmachen. Amüsiert sah Bakura den Pharao an. „Wie ist es denn dazu gekommen? Ich dachte, er hat dich abblitzen lassen.“ „Naja …“, begann Atem zögerlich. *** Die Sache hatte sich so zugetragen: Eines Abends nach einer Besprechung mit seinen Leibwächtern war er mit Seth allein im Raum zurückgeblieben, während die anderen sich nach und nach zurückgezogen hatten. „Pharao, bitte nehmt Euch noch einen Augenblick Zeit. Ich möchte etwas mit Euch bereden“, machte der Hohepriester sich bemerkbar. „Was gibt es, Seth?“, fragte Atem und rieb sich müde die Schläfen. „Es ist mir nicht entgangen, dass Ihr in letzter Zeit … bedrückt wirkt. Bereitet Euch denn irgendetwas Sorgen?“ Atem wandte sich ihm zu und musterte ihn nachdenklich. „Merkt man mir das denn so sehr an?“, spielte er schließlich mit offenen Karten. „Nun ja … sagen wir mal, MIR ist es aufgefallen“, begann Seth zögerlich, „und es schmerzt mich sehr, Euch so zu sehen.“ „Ihr habt immer ein Auge auf mich. Vielen Dank, Seth. Aber es ist nichts, womit Ihr mir helfen könntet.“ Atem spürte, wie es in Seth zu brodeln begann. Statt die Sache auf sich beruhen zu lassen, widersprach er gekränkt: „Woher wollt Ihr das wissen, bevor Ihr mir überhaupt die Chance dazu gebt?! Ich beobachte Euch bereits die letzten Wochen. Und Ihr wirkt von Tag zu Tag zurückgezogener, geknickter. Ich wünschte nur … Ihr würdet mir mehr anvertrauen! Nicht als Euer Untergebener, sondern … als Euer Vertrauter.“ Atem spürte, dass der Priester nicht nachdachte, als er einige beherzte Schritte auf ihn zumachte und seine Hand ergriff. Mit der anderen Hand berührte er sachte Atems Wange. Dieser konnte Seths warmen, gefühlvollen Griff spüren, und seinen Atem, der seine eigenen Augenlider streifte. In Seths Blick lag so viel Fürsorge und Zuneigung, aber auch Schmerz. Ihre Gesichter waren sich nun ganz nah und Seth strich mit dem Daumen über die Lippen des Pharaos. Hitze stieg in Atem auf. War dies etwa der Moment, den er immer heimlich herbeigesehnt hatte? Von dem er gehofft hatte, dass er irgendwann seine Träumereien verlassen und Wirklichkeit werden würde? „Seth“, wandte der Pharao verblüfft ein, „nun verwirrt Ihr mich. Ich bin nach Eurer klaren Ansage davon ausgegangen, dass Ihr keinerlei Interesse an dieser Art von Beziehung zu mir habt.“ Seth zog scharf die Luft ein. „Ich …“, er ließ von Atems Wange ab, senkte den Blick und atmete seufzend aus, „ich muss gestehen, das entsprach nicht der Wahrheit. Als ich das gesagt habe … ich hatte einfach solche Angst. Angst, wo uns das hinführen könnte. Dass wir damit unser gutes berufliches Verhältnis aufs Spiel setzen könnten. Und dass ich mich und vor allem Euch damit in Schwierigkeiten bringe. Aber jetzt … es fällt mir von Tag zu Tag schwerer, es zu verbergen.“ „Verstehe“, sagte der Pharao leise. Dann schloss er die Augen, „ich muss zugeben, das habe ich nicht kommen sehen.“ Es war schön, diese Art von Bestätigung von Seth zu erhalten. Seit der Ablehnung durch ihn hatte er stets das nagende Gefühl gehabt, nicht gut genug zu sein, um diese Art von Nähe erfahren zu dürfen. Aber nun hatte ihm zuerst Setos Zuneigung und nun Seths Geständnis das Gegenteil gezeigt. Es war sicher nicht unangenehm, jemanden an seiner Seite zu haben. Jemanden, dem er schon lange zugetan war. Jemanden, dem er Dinge anvertrauen konnte, bei dem er sich öffnen und er selbst sein konnte. Er musste es wohl einsehen: Seto würde nie wieder dieser jemand sein können. Er war weit weg. Für immer. „Atem, was habt Ihr? Ich habe Euch aufgewühlt. Das war nicht meine Absicht!“, sagte Seth, erschrocken über die einsame Träne, die ihren Weg über die Wange des Herrschers nahm. „Nein, schon gut“, sagte dieser und wischte sie weg, „ich … freue mich. Sehr.“ Dann nahm er Seths Hand und führte sie erneut zu seiner eigenen Wange. Offen lächelte er den Hohepriester an, der ihm nun durchs Haar strich. Dann küssten sie sich. Atem hatte nie so sehr wie in diesem Moment gespürt, dass Seth und Seto vollkommen verschieden waren. *** „Naja“, sagte Bakura, „ich schätze, du hast ein bisschen andauerndes Glück verdient.“ Atem quittierte das mit einem zögerlichen Nicken. „Und etwas Gesellschaft zu haben, ist auch nicht verkehrt“, überlegte der Dieb, „vor allem, da du ja bald nicht mehr in den Genuss der meinen kommst.“ Atems Gesicht wurde nun von Sorge überschattet. „Mal nicht den Teufel an die Wand.“ „Der Teufel ist schon längst an der Wand, Euer Gutgläubigkeit. Klar und deutlich“, Bakura grinste schief, „nun dauert es nicht mehr lange.“ Er sollte Recht behalten. Schon bald wurden seine Besuche kürzer, dann seltener. Schließlich blieben sie ganz aus. *** „Um ehrlich zu sein“, sagte Yugi, „ich wünsche mir sehr, du würdest nicht fliegen. Das kann ich nicht abstreiten. Aber … noch viel wichtiger ist mir, dass du dir deinen Traum erfüllen kannst. Ich freu mich so für dich!“ Er lächelte offen und ehrlich und Téa lächelte zurück. Ihr Gesichtsausdruck wurde weich. „Und genau das ist der Grund, warum du mir so ein guter Freund bist, Yugi.“ Sie beugte sich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Ich hoffe, du kommst mich mal besuchen … ihr alle natürlich“, sagte sie, während Yugi rot anlief wie eine Tomate. „Darauf kannst du wetten!“, sagte Joey, obwohl er so gut wie die anderen wusste, wie teuer Flugtickets waren. Sie mussten schon im Lotto gewinnen, um sich das einfach mal so leisten zu können. Trotzdem tat es gut, für den Moment so zu tun, als würde ihre Verbindung nie abreißen. Sie sahen dem Flugzeug vom Gate aus zu, wie es sich in die Lüfte erhob. Danach fuhren sie mit der U-Bahn nach Domino zurück. Yugi war schweigsam geworden, ihm schien die Situation aufs Gemüt zu schlagen. „Hey, Kumpel“, Joey, der es bemerkt hatte, legte ihm aufmunternd eine Hand auf die Schulter, „wie wär’s mit einem Besuch in Burgerworld? Wie in alten Zeiten! Na, was sagst du?“ Yugi nickte dankbar. „Klar, ich bin dabei.“ „Hey, Leute, seht ihr den Friseursalon da drüben?“, machte Tristan die anderen auf ein Geschäft auf der anderen Straßenseite aufmerksam, „schaut mal. Die benutzen jetzt auch das neue System der von Schroeders. Ist ne coole Sache. Ich hab's letztens selbst ausprobiert.“ „Ach ja? Und wie kommt es, dass du immer noch dieselbe lächerliche Frisur hast?“, zog Joey ihn auf. „Hat sich rausgestellt, dass mir nichts anderes steht“, sagte Tristan schulterzuckend, „meine Frisur ist halt mein Markenzeichen!“ „Frisur würde ich diesen Zipfel ja wohl nicht nennen“, frotzelte Joey und die beiden kabbelten sich auf ihre übliche Art freundschaftlich miteinander. In diesem Moment öffnete sich die Tür des Salons, begleitet von einem melodischen Klingeln, und Zigfried von Schroeder höchstpersönlich trat heraus. „Na, sowas! Hallo Zigfried!“, winkte Ryou ihm freundlich zu. Zigfried lächelte und kam zu ihnen herübergeschlendert. „Was verschlägt dich denn hierher?“, wollte Yugi wissen. „Na, ich muss doch überprüfen, ob mit meinem Equipment auch alles zufriedenstellend funktioniert. Besonders nachdem ich es auch Pegasus schuldig bin, dass sein Geld gut angelegt ist“, sagte der Firmenchef gewichtig. Zigfrieds Produkt hatte letztlich, wie zu erwarten, auch beim echten Pegasus viel Anklang gefunden, und so war er am Ende doch als Sponsor auf den Plan getreten und hatte Zigfried so seinen langgehegten Wunsch erfüllt. „Außerdem hab ich ohnehin einen Termin hier in Domino“, ergänzte der CEO schmunzelnd. „Ach so?“, wunderte sich Tristan, „was verschlägt dich denn in dieses Nest?“ Seine Frage wurde ihm auch sogleich beantwortet, als ein junger Mann mit schwarzem Haar sich auf die Gruppe zubewegte. „Hey, Leute, was für ne Überraschung. Lange nicht gesehen!“ „Uyeda!“, sagten alle unison. „Dann ist es wahr, was ich gehört hab“, ereiferte sich Joey, „du hast jetzt nen Job bei Kaiba?“ „Richtig“, lächelte der Sanitäter, „ich bin seit zwei Wochen im medizinischen Team der KaibaCorp angestellt. Ich komme gerade von dort.“ „So ist es“, sagte nun Zigfried stolz, „aber ich verzeihe ihm, dass er jetzt für meinen ärgsten Konkurrenten arbeitet, weil er wegen dieses Jobs nicht nach Tokyo zu seinem Bruder gezogen ist.“ „Aus diesem und aus weiteren Gründen“, lachte Uyeda, trat an Zigfrieds Seite, legte den Arm um ihn und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. „Wie schön! Wir wollten gerade zu Burgerworld. Ihr seid herzlich eingeladen, uns zu begleiten“, lächelte Yugi, „aber ich gehe davon aus, ihr habt bereits andere Pläne.“ „Richtig“, stimmte Zigfried zu, „Burgerworld ist nicht wirklich meine Art von Etablissement. Ich habe uns einen Tisch in einem gehobeneren Restaurant reserviert.“ „Kunststück. Alles ist gehobener als Burgerworld“, grinste Joey und die Gruppe lachte ausgelassen. Und selbst Yugi ließ sich von der Heiterkeit anstecken. *** Jemand anders bekam von der fröhlichen Stimmung auf Dominos Straßen wenig mit. Seto Kaiba saß mit müden und strapazierten Augen in seinem abgedunkelten Büro in der Kaibavilla und stierte auf den Bildschirm vor sich. Das letzte Mal, als er sich so gefühlt hatte, müde und aufgekratzt zugleich, war, als er das Milleniumspuzzle ausfindig gemacht und den Algorithmus entwickelt hatte, um es zu lösen. Es klopfte. Als Seto nicht reagierte, trat Mokuba kurzerhand ein. „Hi Seto, willst du nichts essen?“, fragte er, mit wenig Hoffnung, eine affirmative Antwort zu erhalten. „Später“, murmelte der Firmenchef abwesend. Sein jüngerer Bruder seufzte. „Seto, kann ich dich was fragen?“ Die Worte seines kleinen Bruders sorgten dafür, dass Setos Aufmerksamkeit kurz zu ihm schnellte. Er rieb sich die Stirn, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schloss für einen Moment die Augen. Auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte, registrierte er in diesem Moment, wie erschöpft er war. „Was gibt’s denn?“, fragte er tonlos. „Stürzt du dich in Arbeit, weil du dich davor drückst, dich mit deinen Gefühlen auseinanderzusetzen?“, fragte Mokuba geradeheraus. „Nein“, antwortete Seto einsilbig. „Was ist dann mit dir los?“, bohrte der jüngere Kaiba weiter, „seit Wochen verkriechst du dich hinter deinem Bildschirm. Denkst du nicht, du musst diese Emotionen mal zulassen? Egal, wie schmerzhaft sie auch sind?“ „Nein, denke ich nicht“, sagte Seto erneut sachlich, „und wie ich schon sagte: Das ist nicht der Grund. Der Grund ist, dass ich mich nicht damit abfinden will, wie die Dinge jetzt sind.“ Mokuba seufzte und schenkte Seto einen besorgten Blick. „Seto, bitte versteh mich nicht falsch, aber … du solltest dir nicht ewig etwas vormachen.. Du musst damit aufhören, zu verdrängen, was passiert ist. Das wird nicht mehr lange gutgehen. Es gibt Dinge im Leben, die lassen sich nicht einfach mit ein bisschen Technik beheben.“ „Bisher habe ich noch immer das Gegenteil beweisen können“, widersprach der Ältere. Anfangs hätte Seto die Wände hochgehen können. Er wusste einfach nicht, was er mit diesem Sturm an Gefühlen anfangen sollte, der so plötzlich in ihm losgetreten wurde und dort unbändig tobte. Nie zuvor hatte er so etwas erlebt oder gefühlt. Nachts lag er stundenlang wach und wälzte sich hin und her. Auf der Arbeit war er rastlos, wollte alles auf einmal erledigen und konnte sich kaum auf einzelne Dinge fokussieren. Manchmal war ihm elend zu Mute und er wollte nur dasitzen und Löcher in die Luft starren. Dann überrollten ihn Bilder der letzten Tage und er hätte all sein Leid einfach lauthals herausschreien können. Dann fehlte ihm Atem so sehr, dass er sich schwach und fiebrig fühlte. Ein anderes Mal überkam ihn ein unbändiger Tatendrang. Viele Wochen hatte er nicht gewusst, was er damit anfangen, wo er diesen Aktionismus hinlenken sollte. Er hatte sich so sehr gewünscht, dass Atem aus alldem gelernt hatte, dass er sein eigenes Schicksal in die Hand nehmen würde. Dass er begriffen hatte, dass er sich nicht in immer in vorgegebenen Bahnen bewegen musste. Aber letztlich hatte er sich doch für seine Pflicht und die Erfüllung seiner auferlegten Aufgabe entschieden. Ohne all das zu hinterfragen. Seto wusste nicht, ob es überhaupt eine Alternative dazu gegeben hätte. Aber das war nun ohnehin gleichgültig. Eines Nachts, so etwa um drei Uhr, kam ihm dann dieser eine Gedanke, der ihn in der darauffolgenden Zeit nicht mehr loslassen sollte. Er hatte den Pharao bereits einmal zurückgeholt. Zumindest war er erschienen, das war es, was zählte. Warum sollte es nicht noch weitere Möglichkeiten geben, ihn auf die ein oder andere Art wiederzutreffen? Wo doch sogar Diva mit seinem Dimensionswürfel Zeit und Raum hatte überwinden können. Dann war ihm die entscheidende Eingebung gekommen: Was, wenn er selbst Divas Technologie für sich nutzen konnte? Er konnte damit vielleicht nicht durch die Zeit reisen, aber … er konnte Atem im Totenreich wiedersehen. In einer Dimension weit entfernt von seiner eigenen. Denn der Atem, den er dort treffen würde, würde sich an alles erinnern können, an all die gemeinsamen Erlebnisse dieser wenigen Tage. „Das ist dein Plan?!“, fragte Mokuba nun fassungslos, „Daran hast du ernsthaft diese letzten Wochen gearbeitet?! An einer Technologie, die dich ins altägyptische Totenreich bringt?“ „So ist es“, nickte Seto geschäftig. Erneut seufzte Mokuba. „Seto, ich mache mir ehrlich Sorgen um dich. Hast du das ganze denn mal ordentlich durchdacht? Überleg doch mal: Du reist also ins Totenreich. Und was dann? Willst du dort denn dein gesamtes restliches Leben verbringen? Wenn das überhaupt noch ein Leben ist! Ich meine, wir sprechen hier vom Totenreich! Weißt du denn überhaupt, wie es dort ist? Ob es ... lebenswert ist? Und was ist mit deiner Existenz hier? Mit der Firma? Mit mir?“ „Das …“, Seto stockte, „ich muss ja nicht für immer dortbleiben. Ich kann Atem einfach aufgabeln und mit ihm hierher zurückkommen!“ „Einfach ‚aufgabeln‘? Und wenn das nicht geht? Du willst einen Toten ins Reich der Lebenden zurückholen? Nach allem, was man aus sämtlichen Horrorfilmen so weiß, gehen solche Ambitionen immer nach hinten los. Seto, das ist nicht natürlich.“ Der Ältere Kaiba blickte ihn mit stumpfem Blick an. „Du solltest für heute Schluss machen“, schlug Mokuba ihm nun wohlwollend vor, „morgen reden wir weiter, okay?“ „Ja, vielleicht hast du Recht.“ Seto schaltete den PC und das Licht aus, dann legte er sich in sein Bett. Alles in seinem Kopf drehte sich und wenn er seine Augen schloss, sah er Zahlen und Codes vor sich tanzen. Schließlich dämmerte er weg. Als er am nächsten Morgen seinen PC hochfuhr, starrte er taten- und antriebslos auf den Monitor. Denselben Monitor, den Atem damals so faszinierend gefunden hatte. Er blickte ernüchtert auf die vielen Zahlen, die dort standen. Sie erschienen ihm wahllos. Alles, was er berechnet hatte, schien keinen Sinn mehr zu ergeben. Hatte er sich da in etwas verrannt? Er, Seto Kaiba? Hatte er sich verkalkuliert? Hatte Mokuba womöglich Recht? Wenn er jetzt an eine mögliche Reise ins Totenreich dachte, beschlich ihn ein mulmiges Gefühl. Würde er … sterben, sobald er diese Grenze überschritt? Und wollte er das? Mit seinen gerade mal 20 Jahren? All der blinde Ehrgeiz, der ihn gestern noch unerbittlich getrieben hatte, war nun versiegt. Er saß auf seinem Schreibtischstuhl, seine Arme hingen schlaff zu beiden Seiten herab. Er erschrak sich selbst, als er feuchte Tränen auf seinem Gesicht spürte. Mit der Hand berührte er seine Wange. Er weinte. Erst nur stumm, dann begann er zu schluchzen. Immer lauter und lauter. Bald schüttelte es seinen ganzen Körper. Mokuba, der seinem Bruder gerade einen Kaffee bringen wollte, hielt in der Bewegung inne und lauschte betroffen vom Flur aus. Er wusste nicht, ob ihn das Weinen seines Bruders bekümmern oder beruhigen sollte. Es hatte lange gedauert, bis sich Setos Gefühle Bahn brechen konnten. *** Es war eine schwüle Nacht und Atem lag hellwach in seinem Bett. Unruhig wälzte er sich hin und her, schließlich entwand er sich Seths Griff, der im Schlaf den Arm um seine Taille gelegt hatte, und setzte sich auf. Er vergrub sein Gesicht in seinen Händen. In diesem Augenblick gab es einen kleinen Knall. Etwas war vom Balkon her in seine Gemächer geflogen und auf dem Boden gelandet. Verwundert erhob er sich und spähte hinaus. „Bakura!“, entfuhr es ihm, vor lauter Freude etwas zu laut. „Ja, ich bin es. Aber wir haben keine Zeit für lange Reden oder Geplauder“, kam der Dieb, der gekrümmt auf dem Boden des Balkons saß, sofort zur Sache. „Du siehst nicht gut aus“, bemerkte der Pharao besorgt, während der Grabräuber sich die Brust hielt, sein Gesicht schmerzverzerrt. „Gut erkannt. Ich hab nicht mehr allzu lange, bevor mein Geist vollkommen von Zorc begraben ist. Es erfordert große Anstrengung, bei Verstand zu bleiben, also hör mir einfach aufmerksam zu. Es gibt da etwas, das ich dir sagen muss.“ Atem kniete sich neben ihn und legte ihm eine Hand auf den Unterarm, er lauschte. „Da Zorc nun in meinem Kopf ist, habe ich auch Zugriff auf sein Wissen“, erklärte Bakura mit gepresster Stimme, „er will natürlich nicht, dass ich dir das sage, aber ich bin da auf etwas gestoßen, was dich interessieren dürfte: Nachdem du deinen Geist im Puzzle verschließt und in Domino wiedererwachst, gibt es offenbar eine Möglichkeit, zu verhindern, dass du ins Totenreich überwechseln musst, nachdem deine Mission erfüllt ist.“ „Bist du nur hergekommen, um mir das zu sagen?“, fragte der Herrscher unangenehm berührt. „Dachte, es würde dich etwas trösten, zu wissen, dass du noch ein wenig mehr Zeit in Domino verbringen könntest, vielleicht sogar dein ganzes Leben“, winkte Bakura ab. „Aber … wie ergibt das denn Sinn? Heißt das denn, dass ich nach ein paar Jahren auf mein jüngeres Ich treffen werde, wenn es nach dem Duell mit Diva in Domino ankommt?“, fragte der Pharao skeptisch. „Blödsinn!“, tat Bakura seine Bedenken ab, „es ist unmöglich, dass du dir selbst begegnest! Und es wird auch nicht passieren, weil wir nämlich verhindern werden, dass Zorc überhaupt jemals wieder in Domino erwachen kann.“ „Aber wie …?“ „Ganz einfach, wir werden noch in unserer Zeit die beiden Schriftrollen wiederfinden und zerstören!“, sagte Bakura und blickte Atem mit fiebrigem Blick an. „Du meinst, damit sie gar nicht erst in Pegasus Hände fallen?“ „Genau“, nickte Bakura, „es ist ein wenig suboptimal, dass mir diese Erkenntnis erst kommt, nachdem mich Zorc schon so sehr geschwächt hat, aber vorher hatte ich ja auch nicht diese grenzenlosen Einblicke in sein Denken. Wenn ich es nicht schaffen sollte, dir zu helfen, wirst du es eben alleine fertigbringen müssen. Ich werde dir alles sagen, was ich über den Aufenthaltsort der Schrift weiß und über die Leute, die sie mir damals abgejagt haben. Du wirst taff werden müssen, um im Untergrund zu bestehen, und wir werden dein Aussehen etwas verändern müssen, aber das kriegen wir hin.“ „Augenblick mal … Das ist ja alles schön und gut, aber wenn es keine Bedrohung durch Zorc im 21. Jahrhundert gibt, bedeutet das denn nicht auch, dass all das, was mir in Domino widerfahren ist, niemals passieren wird? Dass mein jüngeres Ich nie zurückgebracht wird? Dass dieses Ich niemals auf Seto treffen wird? Dass Uyeda niemals für Pegasus arbeiten und Zigfried niemals die Schrift für ihn beschaffen wird?“ „Richtig“, sagte Bakura, „und Diva wird gar nicht erst auf den Plan treten, weil er nie die Macht der Plana erhält. Denn du bist ja niemals gegangen. Also wird Kaiba auch nicht nach deinem Puzzle suchen, um dich zurückzubringen. Möglicherweise werden deine Erinnerungen an das Geschehene auch verblassen, da es ja dann nun mal nie passiert sein wird. Kurz gesagt: Wir werden die gesamte Zeitlinie ändern. Aber dafür bekommst du eine Chance, für immer in Domino zu bleiben und dem jüngeren Seto näherzukommen, ihn dein ganzes Leben lang kennenzulernen. Du hast die Wahl, welche dieser Optionen du bevorzugst.“ „Das ... könnte sie sein“, bemerkte der Pharao tonlos, „meine zweite Chance. Um alles selbst in die Hand zu nehmen. Um meine eigene Zukunft zu gestalten." Bakura nickte „Du hast es begriffen! Es liegt ganz bei dir.“ Atem senkte den Blick und schloss seine Augen. Ein rauer Nachtwind brauste über sie hinweg. Es fühlte sich an, als wären sie die einzigen beiden Menschen auf der Welt. Sie wussten Dinge, die keiner wusste. Nicht Seth, nicht seine Leibwächter. Niemand in ganz Ägypten. Die Erinnerungen an seine Zeit in Domino lagen plötzlich wieder kribbelnd auf seiner Haut, wie frische Regentropfen. Und Bakuras Worte lagen schwer auf Atems Gemüt. ~*~ENDE~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)