Letzte Wiederkehr von MizunaStardust ================================================================================ XVIII ----- XVIII Auch Zigfried stand missgelaunt in einem der Gästezimmer, das er gerade erfolglos durchsucht hatte. Diese ganze Situation war ihm mehr als lästig. Er fühlte sich wie in einem der Spiele, für die er die nötige Technologie entwickelte. Nur dass dies hier wesentlich weniger komfortabel war als mit einer VR-Brille vor der Konsole zu sitzen. Für so etwas hier war er ganz und gar nicht gemacht. Er konnte nicht begreifen, wie Pegasus eine Hälfte der antiken Schrift einfach so abhandenkommen konnte. Damals, als der Industrial-Illusions-Chef ihn zum ersten Mal deshalb kontaktiert hatte, hatte es den Anschein gemacht, als sei er ein Sammler, der diese kostbaren Stücke genauso sehr schätzte wie er selbst. Hatte er ihn in diesem Punkt so verkannt? Doch dieses Mal ging es um mehr als nur um ein Artefakt. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er die Schrift ohne zu zögern seiner eigenen Sammlung hinzugefügt. Aber vor zwei Tagen hatte sich dieser anonyme Händler bei ihm gemeldet und ihm eine horrende Summe dafür geboten. Als er die Zahl in der Nachricht gelesen hatte, hatte er sich die Augen reiben müssen. Er hatte es gar nicht glauben können! Es war nicht so, dass er Geld dringend nötig hatte, aber dennoch: Auch sein Deal mit Pegasus damals hatte ihn nicht so steinreich gemacht, wie Kaiba es war. Und die Schroeder-Corp brauchte dringend eine Innovation, die sie wieder ins Rennen brachte. Mehr noch: Sein Unternehmen musste endlich aus dem Schatten der KaibaCorporation treten. Zigfried war es so satt, dass seine Gedanken immer und immer wieder nur darum kreisten, wie Seto Kaiba ihm damals zuvorgekommen war und seine vielversprechende Karriere ausgebremst hatte. Nicht nur sein Bruder, sondern auch er selbst hatte genug unter seinen Minderwertigkeitsgefühlen und Rachegelüsten gelitten. Es war höchste Zeit, mit der Vergangenheit abzuschließen und weiterzugehen. Und nun endlich hatte er auch die zündende Idee, die ihm das ermöglichen konnte. Eine Idee, an die er mehr glaubte als an alles zuvor in seinem Leben! Diesmal war es völlig anders als bei seiner virtuellen Duel-Technologie. Sie war gut gewesen, ohne Frage. Aber er hatte nie wirklich dafür gebrannt. Dieses Mal aber spürte er, dass er ein Produkt großmachen konnte. Er allein. Alles war bereits durchgeplant, das Konzept so simpel wie genial: Seine neue Software sollte Kundinnen und Kunden in Friseur- und Beauty-Salons ermöglichen, mit einer VR-Brille unter Betreuung des Personals neue Looks zu kreieren und sich auszuprobieren. Im Anschluss an diese experimentelle Phase konnte die gewünschte Typveränderung dann zur Wirklichkeit werden. Bei diesem verwahrlosten Penner Bakura juckte es ihm gehörig in den Fingern. Ihm hätte er zu gerne einmal gezeigt, was seine Technik aus einem Menschen machen konnte, aber natürlich war alles noch streng unter Verschluss und er konnte nicht einfach so damit hausieren gehen. Ein erster Prototyp existierte bereits. Doch dieser musste noch stark verbessert und weiterentwickelt werden und das kostete nun mal Geld. Viel Geld. Das Problem dabei war: Seine Investoren glaubten bisher nicht an den einschlagenden Erfolg und alleine konnte er weder die Vollendung des Programms geschweige denn die Marketing-Kampagne finanziell stemmen. Er ballte die Faust, als er an die vielen erniedrigenden Treffen mit möglichen Kooperationspartnern zurückdachte, in die er so viel Herzblut und Hoffnung gesteckt hatte, in denen er gebuckelt und fast gebettelt hatte. Es war ihm zutiefst zuwider gewesen und hatte an seinem Stolz gekratzt. „Tut mir leid, Herr von Schroeder“, hatte selbst der letzte von ihnen schließlich gesagt, „aber … wir sind nicht interessiert. Wir glauben nicht wirklich daran, dass das Produkt Abnehmer findet.“ „Aber … ich werde höchstpersönlich bei den Dienstleistern Klinken putzen!“, hatte er beteuert, „ich kann das Konzept über meine Kanäle in sozialen Medien verbreiten! Ich habe bereits ein eigenes Mode-Label, das sehr gut läuft! Ich schwöre Ihnen, ich werde nicht aufhören, bis auch jeder noch so kleine Friseursalon das Konzept in seine Verkaufsstrategie integriert hat!“ „Versuchen Sie es gerne“, bestätigte der Investor, „falls Sie Erfolg haben sollten, melden Sie sich doch wieder. Dann können wir erneut Verhandlungen aufnehmen. Ich persönlich investiere lieber in ein erprobtes Produkt als in ein Hirngespinst.“ Das Lachen der Firmenvertreter, als sie sein Büro verlassen hatten, klang noch heute in seinen Ohren nach. Er war in einer Sackgasse angelangt. Dieser Deal mit den anonymen Käufer hier war eine einmalige Chance, die er einfach nutzen musste! Er musste dieses Papyrus finden, und hoffentlich unversehrt! Aber diese Suche nach der Nadel im Heuhaufen hier war mehr als sinnlos. Er konnte ja noch nicht einmal sagen, ob ihm bisher überhaupt alle Teile des Gebäudes bekannt waren. Wenn es doch nur einen Lageplan oder etwas ähnliches gäbe, mit dem er sich orientieren könnte … er blickte sich suchend um und fand schließlich, was er sich erhofft hatte: Auf dem kleinen Schreibtisch stand ein Tablet, das sicherlich mit dem Drahtlosnetzwerk von Burg Pegasus verbunden war. Entschlossen ließ er sich auf dem Schreibtischstuhl nieder. Seine Augen blitzten ehrgeizig auf und er begann konzentriert zu arbeiten: Wenn jemand sich unbehelligt in Pegasus' Netzwerk hacken konnte, dann war er es! Bereits nach wenigen Minuten hatte er, was er brauchte. Das Display zeigte einen kompletten Grundriss der Burg. Aufmerksam studierte er die Bereiche, zu denen er bisher keinen Zutritt gehabt hatte. Da war natürlich Pegasus‘ Flügel. Aber er entdeckte noch etwas anderes auf dem Plan: Hinter der Treppe schien es einen geheimen Eingang zu einem Keller zu geben. „Sehr verdächtig, Pegasus“, murmelte er, „vielleicht willst du mir auch nur einen Bären aufbinden und die Schrift befindet sich dort, wo du glaubst, ich würde sie ohnehin nie finden. Na, das werden wir ja sehen!“ Keine fünf Minuten später stand er vor der fast unsichtbaren Tür, die laut Plan in den Kellerraum führen sollte. Wie unerfreulich! Es gab hier nur so ein altmodisches, überholtes Analogschloss, das man nicht digital umgehen konnte. Er musste zugeben, seine motorischen Fähigkeiten waren leider gleich Null, wenn es nicht gerade um Haarstyling ging. „Tja, so ein Pech, nicht wahr?“, hörte er plötzlich eine Stimme hinter sich und fuhr erschrocken zusammen. „Kein Grund sich ertappt zu fühlen!“, sagte Pegasus nachsichtig und nahm die letzten Stufen der großen Haupttreppe, bis er schließlich vor ihm zum Stehen kam. „Wenn ich dir einen Vorschlag machen darf, junger Schroeder-Boy … statt diese Tür da zu öffnen, wie wäre es denn, wenn wir ein bisschen übers Geschäftliche reden, wo du schon mal den weiten Weg hierher zurückgelegt hast?“ „Was meinen Sie damit?“, fragte Zigfried argwöhnisch. „Nun, ich meine, dass mir zu Ohren gekommen ist, dass du händeringend Investoren für eine neue Technologie suchst – lediglich mich, der dich in der Vergangenheit doch so großzügig gefördert hat, hast du wohl auf deiner Liste vergessen.“ „Nun, ich dachte ehrlichgesagt, dass Industrial Illusions nur DuelMonsters-bezogene Produkte finanziert“, rechtfertigte Zigfried sich verunsichert. „Das kannst du nicht wissen, wenn du nicht fragst!“, lächelte der Hausherr und fuhr sich durch das silberne Haar, „wie wäre es, wenn du es einfach mal versuchst. Überzeuge mich von deiner Vision! Ich liebe Menschen, die für etwas brennen!“ Zigfried überlegte einen Augenblick. „Na schön“, sagte er schließlich, „ich habe das Prototyp-Programm dabei. Alles, was ich brauche, ist eine VR-Brille.“ „Das dürfte das geringste Hindernis sein“, lachte Pegasus, „folge mir.“ Eine halbe Stunde später nahm Pegasus die Brille wieder ab und nickte bedächtig. Zigfrieds Herz schlug ihm bis zum Hals. „Was denken Sie?“, fragte er mit gepresster Stimme und buttrigen Knien. Zu Maximilian Pegasus hatte er stets aufgesehen und vielleicht hatte er es auch vermieden, ihn zu kontaktieren, weil er sich so sehr von seinem Urteil fürchtete. Der Burgherr sah ihn an. „Superb!“, flötete er schließlich begeistert und klatschte anerkennend in die Hände. „Ich denke, ich sehe hier ein großes Geschäft.“ „Wirklich?“, fragte Zigfried nach Luft schnappend. „Aber natürlich. Nicht nur im Produkt selbst, sondern auch in Verbindung mit dem Unternehmer, der es authentisch verkauft. Also mit dir. Ich würde nur zu gerne investieren.“ Zigfried konnte sein Glück kaum fassen. Schnell hatten sie sich auf eine Summe und das weitere Vorgehen geeinigt. „Wunderbar. Ich bin froh, dass du nicht umsonst hergekommen bist, kleiner von Schroeder“, sagte Pegasus und erhob sich, „oh, da wäre noch eine ganz kleine Sache, um die ich dich bitten würde.“ „Ja, sicher“, Zigfried war so im Taumel der Euphorie, dass er kaum richtig hinhörte. „Eine reine Formalität.“ Pegasus zog etwas aus seiner Tasche und hielt es Zigfried hin. Zuerst begriff dieser nicht, was er da vor sich hatte, aber als er genauer hinsah, weiteten sich seine türkisfarbenen Augen. „Das … ist ja die Schriftrolle! Beide Teile davon!“, stieß er hervor. „In der Tat“, nickte Pegasus, „leider musste ich dich etwas anflunkern was das betrifft. Es waren nun mal Personen anwesend, die nicht wissen sollten, dass sich die andere Hälfte dieser Schrift noch in meinem Besitz befindet. Personen die … nichts Gutes damit im Sinn haben.“ Zigfried zog die Augenbrauen zusammen. „Meinen Sie, diese beiden, die nach der Rolle suchen? Yugi und diesen verwahrlosten Landstreicher?“ „Genau die“, bestätigte der Gastgeber, „also bitte: Tu mir den kleinen Gefallen und nimm die Rolle an dich. Ich möchte, dass du unverzüglich damit abreist, verstehst du? Verliere keine Zeit mehr.“ „In Ordnung aber …“ „Und da wir schon einmal bei kleinen Geständnissen sind: Nun muss ich dir offenbaren, dass ich derjenige war, der dich kontaktiert und dir das Angebot gemacht hat.“ „Sie waren das?! Aber warum denn?! Die Schrift gehört Ihnen doch bereits!“ Pegasus kicherte wie ein Schulmädchen, offenbar amüsiert über Zigfrieds Begriffsstutzigkeit. „Na, damit du schnell herreist und das Artefakt außer Reichweite der falschen Personen bringst, ohne dass es Verdacht erregt, ganz einfach. Ein kleiner Notbehelf, den ich mir erlaubt habe. Wenn Croquet oder jemand von meinem Personal aus der Burg das erledigt hätte und abgereist wäre, wäre es zu sehr aufgefallen. Aber du hast unseren anderen Gästen ja bereits glaubhaft gemacht, dass du ein sagenhaftes Angebot bekommen hast und das Artefakt so schnell wie möglich an den Mann bringen willst. Und da du ja nun nicht umsonst gekommen bist, hoffe ich, du verzeihst mir diesen kleinen Schwindel. Mein Sekretär wird einen Investoren-Vertrag aufsetzen, den ich dir am Montag sofort zur Prüfung zuschicke. Du hast mein Wort darauf.“ „Also gut.“ Zigfried griff nach den beiden Papyrusseiten und verließ damit Pegasus Büro. Es fühlte sich seltsam an, damit durch die Eingangspforte der Burg zu schreiten, irgendwie nicht richtig. Er hatte zwar den beiden anderen versprochen, ihnen einen Blick auf die Rolle zu ermöglichen, bevor er sie mit sich nahm … aber die Bedingungen hatten sich schließlich geändert. An diesem Vertrag hing seine gesamte weitere Karriere, sein zukünftiges Leben. Mit zitternden Händen schloss er schließlich die Klappe seines fliederfarbenen Jets und startete den Motor. Noch immer realisierte er nicht so recht, was eben passiert war, als er der Boden unter ihm zu vibrieren begann und das Flugzeug abhob. *** „Joey! Téa! Könnt ihr mich hören?! Hört schon auf mit dem Blödsinn!“, Tristan wedelte wild mit der Hand vor den Gesichtern seiner beiden Freunde herum. „Es ist zwecklos“, flüsterte Yugi, „sie reagieren nicht auf uns. Verdammt, wir sind auf uns allein gestellt!“ Panik und Hilflosigkeit breiteten sich in ihm aus und schnürten ihm die Kehle zu. „Yugi, sieh mal da!“, Tristan deutete alarmiert auf ein schwarzes, nebliges Geflecht, das begonnen hatte, sich nun auch Yugis Arm hinaufzuschlängeln. Dieser wich erschrocken zurück. „Was … was ist das?“, plötzlich jedoch begriff er, „wir … wir ziehen es selbst an! Diese Schatten da, das lösen wir ganz allein aus, wenn wir uns in negativen Gedanken verstricken!“ „Du meinst, Joey und Téa haben diese Schatten durch ihre Selbstzweifel angezogen?“, wollte Tristan skeptisch wissen. „Ich glaube schon“, bestätigte Yugi, „vielleicht ernähren sie sich sogar davon, ja, vielleicht macht es sie stärker, wenn sie sich an Wirte heften können, die mit negativen Gedanken und Gefühlen hadern. Wir müssen mit aller Kraft versuchen. positiv zu bleiben, auch wenn uns das im Augenblick schwerfällt!“ „Kein Problem“, Tristan ballte die Hand zur Faust und reckte sie in die Höhe, „ich bin immer positiv!“ Yugi musste lächeln. „Das stimmt tatsächlich. Im Gegensatz zu Joey und Téa, wie es scheint“, er warf einen besorgten Blick auf die beiden. „Joey, kannst du mich hören?“, sprach er seinen besten Freund schließlich erneut an, obwohl dessen Augen glasig waren und er keinerlei Reaktion zeigte. „Ich weiß … dass dich momentan viele Zweifel plagen. Und dich ebenfalls, Téa: Ich weiß, dass … wir gerade an einem Punkt im Leben sind, an dem es ganz natürlich ist, sich zu fragen, ob man den richtigen Weg gewählt hat. Ob man alldem gewachsen ist. Mir geht es ja selbst nicht anders.“ „Yugi …“, als Joeys Lippen sich begannen zu bewegen, war es zäh, als wären sie zusammengeklebt, als koste es ihn größte Anstrengung, zu sprechen. „Joey?“, fragte der Kleinere aufgeregt. „Yugi … warum sollte jemand wie du Zweifel haben? Dir ist bisher immer alles gelungen. Du hast deinen Großvater, der dich unterstützt, du bist ein cleveres Kerlchen, du hast Top-Ideen … und du bist der König der Spiele. Aber ich … was habe ich schon? Mein mein größter Traum steht immer nur auf wackligen Füßen. Was, wenn ich wieder verliere? Gegen Kaiba. Gegen alle anderen … Ich schätze, ich bin als Verlierer geboren. Ich werde nie ein erfolgreicher Duellant.“ „Er hat Recht“, Yugis Kopf schnellte nach links, als nun auch Téas Stimme leise erklang. „was ist, wenn ich aus New York zurückkehre und gescheitert bin? Was, wenn ich es nicht schaffe, dort Fuß zu fassen? Oder die Sprache nicht richtig lerne? Was, wenn ich zu viel Angst habe?! Wie soll ich euch dann noch unter die Augen treten?“ Yugi schüttelte fassungslos den Kopf. „Denkt ihr ehrlich, dass wir so über euch denken?! Denkt ihr, dass das für uns irgendeinen Unterschied macht?! Glaubt ihr denn, ich kann nicht genauso scheitern wie ihr? Was, wenn sich ein Spiel von mir schlecht verkauft? Wenn meine Ideen nicht gut genug sind, um damit meinen Lebensunterhalt zu verdienen?! Und überhaupt: Was ist schon dabei, mal zu scheitern? Dafür haben wir uns doch gegenseitig, um uns nicht alleine zu lassen, auch wenn das passiert!! Um uns wieder aufzuhelfen!“ „Yugi hat Recht“, mischte sich nun auch Tristan ein, „seit wann machen wir solche Sachen alleine im stillen Kämmerlein aus, statt darüber zu sprechen!? Man kann niemals von sich behaupten, gescheitert zu sein, wenn man seinen Traum mit allem verfolgt, was man hat! So, wie du es tust, Joey. Oder du, Téa. Denkst du, ich würde mich trauen, alleine nach Übersee zu fliegen? Meinen Respekt hast du schon, weil du es überhaupt versuchst!“ Yugi senkte den Kopf. „Momentan könnte es sein, dass wir alle scheitern. Vielleicht können wir unsere Familien und Freunde nicht retten. Deshalb brauchen wir euch jetzt hier, um das zu verhindern! In der Realität, und nicht in euren dunklen Schneckenhäusern!“ Sein Blick flog zu Téa, als er eine Bewegung aus ihrer Richtung wahrnahm. Ihre Hand wanderte zu ihrem Gesicht. Abwesend wischte sie sich eine Träne von der Wange. „Téa?“, fragte er zaghaft. „Du hast Recht, Yugi“, sagte sie mit erstickter Stimme. Sie weinte zwar stumme Tränen, doch der dunkle Schatten, der sie umklammert hatte, löste sich von ihr, stieg wie Wasserdampf nach oben und verpuffte schließlich in der Finsternis über ihnen. „Es tut mir leid. Ich habe mich mitreißen lassen.“ „Schon okay. Das ist nur menschlich.“ Nun wandte sich Yugi wieder Joey zu. „Joey, bitte. Auch wenn du nicht an dich glaubst – ich tue es. Und weißt du, warum? Weil ich sehe, was du bis heute schon erreicht hast. Das sind keine leeren Illusionen. Das sind die Früchte deiner harten Arbeit und deines guten Charakters.“ Joeys Kopf drehte sich langsam und wandte sich ihm zu. „Meinst du das ehrlich, Alter?“, fragte er zaghaft. Yugi nickte lediglich. „Okay“, sagte Joey schließlich, „danke, Yugi. Danke, Tristan. Ich bin schon’n ziemlicher Trottel, was? Tut mir leid, dass ich mich so hab gehen lassen.“ Dann setzte er sich wieder in Bewegung und einen Fuß vor den anderen, als wäre nichts gewesen. Der Schatten, der ihn in Dunkelheit getaucht hatte, löste sich auch von ihm mit jedem weiteren Schritt etwas mehr und wie bei Téa zuvor verpuffte er schließlich gänzlich. Tristan atmete erleichtert auf. „Ihr habt uns nen ganz schönen Schrecken eingejagt, ehrlich mal.“ Joey runzelte die Stirn und wandte sich um. „Ja, schätze, wir tun besser daran, nicht allein durch die Gegend zu rennen. Wenn wir zusammen sind, laufen wir weniger Gefahr, als Zombies zu enden.“ Téa wurde mit einem Mal blass. „Leute, was ist mit Ryou? Er ist ganz allein nach Hause gegangen!“ „Verdammt!“, stimmte Tristan ihr beklommen zu. „Richtig. Und auch wenn ich’s nur ungern sage: Wir sollten auch Kaiba warnen!“, nickte Joey grimmig. „Okay“, Yugi seufzte, „ich denke, das Beste wird sein, wenn wir alle nach unseren Familien sehen und ihnen einbläuen, negative Gedanken so gut es geht zu vermeiden. Jemand von uns sollte Ryou einsammeln. Und dann gehen wir alle zurück zur KaibaCorporation.“ „Klingt nach nem Plan!“, stimmte Joey zu. *** In seinem Büro prüfte Seto zuerst die wichtigsten Dokumente auf seinem Schreibtisch und erledigte dringende Angelegenheiten. Im Gebäude war es auffällig still. Viele aus den Reihen seines Personals schienen heute nicht zur Arbeit erschienen zu sein und das machte ihm Sorge. Auch der Schreibtisch seines Sekretärs im Vorzimmer war leergeblieben. Da er keine Möglichkeit hatte, herauszufinden, wer fehlte, wusste er auch nicht, welche wichtigen Arbeitsabläufe dadurch ins Stocken gerieten. Er schaltete den Rechner an und begann, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, welche dringenden Aufgaben anfielen. Doch so recht konnte er sich nicht konzentrieren. Immer wieder schweiften seine Gedanken zu Atem ab, der sich mit Bakura alleine im Königreich der Duellanten aufhielt. Hoffentlich gab er auf sich Acht und ließ sich nicht wieder von diesem dubiosen Zeitgenossen in einen Hinterhalt locken. Und dann war da auch noch Pegasus, dem er seit seinem Fund nicht mehr so ganz über den Weg traute. Ganz zu schweigen von diesem Uyeda-Typen. Dass zudem noch sein Konkurrent, dieser von Schroeder, sich in der Burg aufhielt, machte es auch nicht gerade besser. Verdammt, was hatte er sich eigentlich dabei gedacht, den Pharao einfach mit diesen zwielichtigen Gestalten zurückzulassen!? Nach einer Viertelstunde musste er sich geschlagen und zugeben, dass es wenig Sinn hatte, sich weiterhin hier aufzuhalten. Er würde ohnehin nicht die Konzentration aufbringen, produktiv zu arbeiten. Also fuhr er den Computer wieder herunter und schnappte sich seine Jacke. „Mokuba!“, rief er ins Vorzimmer, während er mit seiner Chipkarte die Bürotür abschloss, „Mokuba, ich hab’s mir anders überlegt! Wir gehen nach Hause. Ich rufe nur mal schnell noch bei Atem auf dem Handy an, dann können wir los. Sag Roland schon mal Be … Mokuba?“ Als Seto sich zu seinem Bruder umgewandt hatte, stockte er erschrocken. Der jüngere Kaiba saß auf dem kleinen Sofa im Vorzimmer, sein Smartphone in Händen. Doch seine Augen waren nicht auf das Display geheftet, sondern starrten völlig ins Leere. Auch sonst zeigte er nicht die geringste Regung. Mit wenigen Schritten war Seto bei ihm. „Mokuba, was ist mit dir?“ Hilflos rüttelte er an der Schulter seines kleinen Bruders. Dann kniete er sich neben ihn und versuchte, ihm in die Augen zu sehen. „Geht es dir nicht gut?“ Mokubas Lippen bewegten sich, aber es wollte kein rechter Ton herauskommen. Es war nicht mehr als ein Flüstern, was Seto vernahm. „Ich … bin nutzlos.“ „Wie bitte?“, Seto dachte, sich verhört zu haben, „was redest du da für wirres Zeug? Komm endlich. Steh auf und dann verschwinden wir hier!“ Halb glaubte er noch, sein Bruder erlaubte sich einen makabren Scherz mit ihm. „Ich werde nie so gut sein wie du. Gut genug, um eine wichtige Position in der Firma einzunehmen“, wisperte Mokuba jetzt, ohne auf seine Worte einzugehen, „weil ich nicht schlau genug bin.“ „Was soll das? Wie kommst du denn auf diese Dinge?“, so langsam befiel den Firmenchef Unbehagen, „okay, du hast vielleicht auch mal ne schlechte Schulnote … aber wozu brauchst du Kunst oder Literatur, um in der KaibaCorp zu arbeiten? Natürlich wirst du das irgendwann tun!“ „Das sagst du nur, weil ich dein Bruder bin. Wenn ich jemand anders wäre, hätte ich schlechte Karten. Du hast dir alles für uns aufgebaut. Und was konnte ich tun? Nicht das Geringste!“ „Aber Mokuba!“, Seto war vollkommen überfordert. Just in diesem Moment pochte es laut gegen die Vorzimmertür. „Kaiba, bist du dadrin?!“, quasselte Joey drauf los. „Augenblick“, sagte Seto zu Mokuba und ging, um zu öffnen. Vor seiner Tür standen in Reih und Glied Yugi, Joey, Tristan, Téa und Ryou. „Wir kommen, um dich zu warnen“, sagte Yugi mit ernstem Gesichtsausdruck, „hier geht etwas Seltsames vor sich: Diese Schatten um uns herum ernähren sich scheinbar von dunklen Gedanken. Nehmen sie Überhand, haben sie dich völlig im Griff.“ Erkenntnis trat ins Setos Züge. „Jetzt wird mir so einiges klar.“ Er gab den Blick frei auf Mokuba und auch die anderen begriffen die Situation sofort. „Lass mal Yugi, den Profi-Coach, ran“, grinste Joey, „niemand kann deinen kleinen Bruder besser aufpäppeln als er.“ Ryou nickte. „Das kann ich bestätigen! Bei mir hat er es auch im Handumdrehen geschafft!“ „In Ordnung“, Seto nickte, „danke euch. Ich werde mich in der Zwischenzeit mal bei Atem erkundigen, ob bei ihm alles in Ordnung ist.“ Während Yugi sich neben Mokuba niederließ, wählte er das Mobiltelefon an, das er dem Pharao gegeben hatte. Es tutete lange, dann schließlich knackte es in der Leitung. „Hallo? Hallo? … Ist das jetzt richtig so?“, sprach Atem verunsichert ins Telefon. Er klang weit entfernt. „Ich glaube, du hältst es falschrum“, hörte er jetzt auch Bakuras Stimme aus dem Off. „Oh … das kann sein.“ Nun wurde die Stimme des Pharaos lauter. „Seto?“, fragte er. „Ja, ich bin's. Ich sehe, du warst erfolgreich. Ist alles okay?“ „Ja, alles in Ordnung. Wie ist die Lage in Domino?“ „Das ist schwer in wenigen Worten zu beschreiben“, sagte Seto etwas resigniert, „aber es scheint, als würden …“ Er brach ab, da er am anderen Ende der Leitung ein Rascheln hörte. Bakura und Atem schienen sich jetzt aufgeregt miteinander zu unterhalten, doch er verstand nicht, was sie sagten. „Seto, es ist grade ziemlich schlecht. Ich ruf dich zurück, ja?“, sagte Atem schließlich hektisch. In der nächsten Sekunde brach das Gespräch ab. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)