Sprich mit mir von loire (Ostern 2022) ================================================================================ Kapitel 1: Vor Ostern -> Verlust -------------------------------- Kian   Adrian stand mit ungewöhnlich ernstem Gesicht vor mir. Sonst hatte er meist noch ein Lächeln für mich gehabt, egal wie schlecht es ihm ging. Er kam gerade von einem weiteren Termin bei seinem Arzt, wie immer hatte er mich nicht mitnehmen wollen. Auch wenn ich ihn gerne dabei unterstützen würde, ich hatte es ihm regelmäßig angeboten. Nun legte er seine warme Hand an meine Wange und ich kuschelte mich aus einem Reflex heraus an sie. Meine Augen fielen automatisch zu, als ich diesen Kontakt zwischen uns genoss. Es tröstete mich, obwohl ich derjenige sein sollte, der ihm Trost spendete. Adrian konnte so unglaublich stark für andere sein und jetzt wollte ich stark für ihn sein, ich wusste nur nicht ob ich das auch schaffte. Ich fühlte mich unglaublich hilflos, weil ich nicht wusste, was ich für ihn tun konnte. „Hör mir … jetzt gut zu, … Kian“, seine Worte rissen mich aus meinen Gedanken, meine Augen flogen auf, die Stimme war so rau und gequält. Ich hatte ihn schon seit Wochen nicht mehr so viel sprechen gehört. Auch wenn das hier nur ein Satz gewesen war und er wollte noch mehr sprechen, stellte ich überrascht fest. „Der Doktor hat gesagt, … der Schaden ist … groß, sie werden operieren, … aber … wahrscheinlich wird … das nur die … Schmerzen beheben.“ Bei diesen Worten brach ich in Tränen aus, was er sagte, klang wie unser Horrorszenario, deswegen hatten wir nicht wirklich über die Folgen gesprochen. Ich hatte es mir nicht ausmalen wollen, aber natürlich hatten wir beide daran gedacht. Alles in mir wollte ihn in die Arme schließen, doch er hielt mich mit beiden Händen sanft auf Abstand. Die Tränen verschleierten meinen Blick, ich versuchte ihn irritiert anzuschauen um zu verstehen, warum er mich nicht näher heran ließ. Als ich ihm halbwegs durch meine Tränen hindurch in die Augen sah, lächelte er mich an. „Ich liebe dich“, formte er mehr mit den Lippen, als das ich ihn hören konnte. Wenn ich davor geweint hatte, dann vergoss ich nun Sturzbäche. Ich schluchzte laut, obwohl ich ihn gleichzeitig einen Idioten schimpfen wollte. Jetzt gab er nach, wir lagen uns in den Armen. Eine seiner Hände fuhr mir durch die Haare, während ich weiter unrühmlich Rotz und Wasser vergoss.   Es verging eine gefühlte Ewigkeit in der wir so da standen, bis sich in meinem Kopf ein Gedanke formte, der mich ruhiger werden ließ. Ich wollte doch für ihn stark sein! So konnte ich das allerdings nicht. Mit der linken Hand fuhr ich mir über das Gesicht um die letzten Tränen aufzuhalten. Wenn ich nicht stark sein konnte, dann durfte ich ihn zumindest nicht auch noch belasten. Vorsichtig löste ich mich aus unserer Umarmung, griff mir ein paar wichtige Sachen und verschwand mit einem „Mach‘s gut“ aus der Tür. Ich hatte keine Ahnung, wo ich hin wollte, doch mir würde schon etwas einfallen. Diese Heulsuse sollte er vorerst nicht mehr trösten müssen. Kapitel 2: Vor Ostern -> Basteln -------------------------------- Adrian   Die Tage seit ich Kian das letzte Mal gesehen hatte, waren im Nu vergangen. Auch wenn ich krank geschrieben war, meine jüngeren Geschwister hielten mich auf Trab, meine Mutter konnte immer Hilfe im Haushalt gebrauchen und mit dem beginnenden Frühling forderte unser kleiner Garten mehr Aufmerksamkeit. Also jätete ich mit den Jüngeren, doch allzu oft landete auch frisch angepflanztes Gemüse im Eimer. Es war scheinbar unmöglich nur mit Zeichen die Rasselbande auf das Richtige anzusetzen. Mit ihnen Zimmer aufzuräumen war da erstaunlicherweise einfacher, auch wenn nicht alles den vorbestimmten Platz fand. Frustriert strich ich diese Aufgaben von der Liste meiner Aktivitäten mit den Kleinsten. Meine älteste Schwester würde das hoffentlich für mich mit ihnen angehen.   Beim Wäsche sortieren war mir wieder eingefallen, dass Anne, die in der ersten Klasse war, begeistert davon erzählt hatte, wie sie in der Schule Fensterbilder für Ostern bastelten. Ostern! Ich hatte fast vergessen, dass das Fest schon so bald war. Vielleicht sollten wir auch als Familie wieder dafür basteln. Das war mir zumindest in dem Moment so durch den Kopf gegangen. Nun stand ich auf unserem Dachboden und war umringt von ordentlich gepackten, liebevoll beschrifteten Kartons voll mit Osterdekoration. Auf keinen Fall würden wir noch mehr in unserem Haus unterbringen können, selbst wenn etwas beim Auspacken kaputt ging. Meine Idee konnte ich also getrost vergessen, dachte ich. Dann schnappte ich mir einen Karton und trug ihn vom Dachboden, weil ich damit auch anfangen konnte, wenn ich schon daran dachte. Sobald meine Mutter nach Hause kam, konnten wir dann zusammen mit dem Schmücken anfangen.   Sophie, unser Nesthäkchen, war ganz aus dem Häuschen über die vielen Häschen, die in der Kiste verstaut waren. Sie stand mit glänzenden Augen vor der Kiste und hob fast ehrfürchtig eines heraus. Das hielt sie erst in die Höhe, drückte es dann schnell an ihre Brust und streichelte über das abstehende Ohr. Einen Moment lang sah es so aus als wollte sie es neben den Karton stellen und das nächste heraus holen wollen. Doch als sie meinen Blick sah, entschied sie sich anscheinend anders. Mit der Figur im festen Griff lief Sophie auf mich zu und streckte mir dann stumm ihre Arme entgegen. Das war ihre Art darum zu bitten hochgehoben zu werden. Und nur ich erfüllte ihr diesen Wunsch, wenn sie ihn stumm äußerte. Eigentlich besagte eine der Regeln nämlich, dass sie das aussprechen musste. Also hob ich sie hoch, mit einem schnellen Ruck war sie über meinem Kopf, und treffsicher brachte ich sie damit zum quietschen. „Nein, nein, nein“, rief sie und zappelte. Ich machte einen fragenden Gesichtsausdruck und deutete an sie wieder auf den Boden zu stellen. Das war natürlich auch nicht in ihrem Sinne, sie schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, das Haschen will nach da oben.“ Ja, sie sagte „Has-chen“ und zeigte auf die höchste Stelle des Wohnzimmerschranks. Also setzte ich sie auf meine Hüfte und ging mit ihr zum Schrank. Dort streckte sie sich, platzierte das Häschen, streichelte es nochmal und sagte dann „Danke“, als ich sie wieder auf dem Boden absetzte. Das Spielchen wiederholte sich etwa bei jedem zweiten Hasen, den sie aus der Kiste holte. Zum Glück war bald Schlafenszeit für sie, sonst hätte sich auf dem Schrank wohl auch der Rest der Deko wiedergefunden. Meine Mutter scheuchte mich danach noch einige Male auf den Dachboden und irgendwann als wir den Großteil der Kisten unten hatten, das Haus sich in ein wahres Osterparadies verwandelt war, konnte auch ich erschöpft in mein Bett fallen.   Zu jeder anderen Zeit wäre ich wohl sofort tief eingeschlafen. Jedoch kamen mir die Nächte ohne Kian neben mir kalt und lang vor. Meine Gedanken kreisten um ihn, in meinen Träumen tauchte er auch auf und einmal war ich aufgeschreckt und dachte, er stände im Schatten meines Zimmers, aber meine Nachttischlampe beleuchtete nur ein leeres Zimmer. Auch in dieser Nacht wälzte ich mich mit einem Kissen in den Armen im Bett herum und fand keine Ruhe. Ich versuchte mich mit Überlegungen zu Ostern abzulenken und fiel schließlich in einen Traum, in dem alle Ostereier mit Kians Gesicht bemalt waren.   Anne und Daniel weckten mich auf und verkündeten mir, während ich mir noch müde das Gesicht rieb, dass sie heute von mir zur Schule gebracht werden wollten.   Nachdem ich die Beiden vor ihrer Schule verabschiedet hatte und auch Sophie im Kindergarten war, machte ich mich auf den Heimweg. Dabei fielen mir Teile meines Traums wieder ein und ich stellte fest, dass Eier zu bemalen eine sehr gute Idee war. Wenn wir gekochte und keine ausgeblasenen nahmen, würde nach Ostern keine neue Dekokiste damit gefüllt werden. Spontan zückte ich mein Handy und checkte zu erst die Uhrzeit. Erleichtert stellte ich fest, dass es noch nicht zu spät war um meine älteste Schwester zu erreichen. Schnell schrieb ich ihr eine Nachricht in der ich ihr meine Idee erklärte und fragte, ob wir dafür genug Eier im Haus hätten. Ihre Antwort kam schnell und enthielt leider eine ganze Liste von Dingen, die ich noch einkaufen könnte, wenn ich schon dabei war. Seit sie letztes Jahr einen schlimmen Streit mit Mutter hatte, war sie unsere Vorratsbeauftragte und leider war sie sehr gut darin. Ich seufzte, weil ich wohl erst nach Hause musste und dann nochmal zum Laden zurück. Ein paar Eier hätte ich locker tragen können und mein Geld hätte gereicht, aber für so viele Dinge war ich nicht vorbereitet.   Zehn Minuten später machte ich mich also, mit einem Rucksack und mehr Geld bewaffnet, auf zu dem Laden in der Nachbarschaft. Elisas Liste umfasste neben den, von mir vorgeschlagenen, Eiern auch Lebensmittelfarbe zum färben der Eier. Die hätte ich wahrscheinlich vergessen. Aber Osterüberraschungen, in Form von Süßigkeiten, Hackfleisch und Tampons standen unter anderem noch darauf. Irgendwann musste ich nochmal ein ernstes Gespräch mit ihr darüber führen, was man seine Brüder einkaufen lassen konnte. Dieser Einkauf war wirklich schwierig für mich. An der Fleischtheke musste ich zweimal auf meinem Handy zeigen was ich brauchte, bevor die Dame mich verstand. Und dann musste sie die Liste natürlich noch laut vorlesen. Der Typ neben mir grinste, während ich rot anlief. Das Gespräch mit Elisa musste definitiv schnell stattfinden. Ich hätte mich gerne in Luft aufgelöst. So schnell ich konnte brachte ich diesen Einkauf hinter mich, wobei ich mich zwingen musste nicht aus dem Laden zu rennen. Hier würde ich in nächster Zeit nicht wieder einkaufen gehen.   Nachdem ich die Eingangstür hinter mir geschlossen hatte, überfiel mich eine Welle von Müdigkeit. Ich schleppte die Einkäufe in die Küche und überlegte, ob ich nochmal versuchen sollte zu schlafen. Aber nachdem ich fast alles eingeräumt hatte, erschien es mir besser gemütlich zu Frühstücken und schon mal einen Teil der Eier vorzukochen. Mit Sophie und den Jüngeren meiner Brüder kochte ich den anderen Teil nachmittags. Wir fingen auch an sie einzufärben und als Anne aus der Schule kam, lachte sie über unsere bunten Hände. Irgendwie hatten wir es geschafft unsere Finger in allen Farben zu färben nur die Eier sahen noch etwas blass aus. Anne versuchte sich an einer Standpauke wie Mutter sie wohl halten würde, aber am Ende konnten wir uns nicht mehr halten vor Lachen. Ich jagte sie mit meinen bunten Fingern etwas durch das Haus. Unsere Mutter und Elisa kamen gleichzeitig nach Hause, aber außer einem Stirnrunzeln ließen sie unsere fleckigen Hände unkommentiert. Elisa hatte noch extra Stifte besorgt, mit denen wir Gesichter auf die letzten ungefärbten Eier malen konnten und auch auf ein paar gefärbte verirrten sich Kreise und Striche, die Smileys hätten sein können. In Elisas Händen sah ich kurz ein Ei, dessen Bemalung mich an Kian erinnerte, aber als sie sah, wohin ich guckte ließ sie es schnell verschwinden. Kapitel 3: Ostersonntag -> Ostereier suchen ------------------------------------------- Kian   Mein Handy machte mich auf eine neue Nachricht aufmerksam. Ich zog es aus meiner Tasche und hoffte einen Moment darauf, dass Adrian mir geschrieben hatte. Was dumm war, schließlich war ich ja einfach abgehauen, und das wusste ich auch. Trotzdem passierte mir das regelmäßig. Ich wäre gern zu ihm gegangen, doch ich hatte Angst. Warum sollte er mich überhaupt noch sehen wollen? Was wenn ich wieder nur heulte und keinen klaren Satz formulieren konnte? Diese und andere Dinge gingen mir bei diesem Wunsch jedes Mal durch den Kopf. Aber die Nachricht war kurz und kam von Adrians Schwester. 14:30 Uhr im Pavillon im Park, sei Pünktlich. Ihr seid Idioten. Das war wahrscheinlich besser als eine Ohrfeige von ihr. Mir zog sich trotzdem der Magen zusammen. Von hinten legte sich eine große Hand auf meinen Kopf und ich zuckte zusammen. Bevor ich protestieren konnte, sagte der Besitzer der Hand: „Dann pack mal deine Sachen und mach dich auf den Weg. Sonst ist der Bus gleich weg.“ Ich wollte sagen, dass ich nicht vorhatte auf diese Nachricht zu reagieren. Doch ich wurde energisch angeschoben begleitet von einem „Los, los“.   Eine viertel Stunde später stand ich an der Bushaltestelle und wartete auf den Bus, der hoffentlich in jeder Sekunde um die Ecke biegen würde. Wenn ich ihn schon verpasst hatte, müsste ich eine Stunde warten und das auch nur, weil an der Strecke ein beliebtes Ausflugsziel lag. Vielleicht würden hier sonst nur zwei lausige Schulbusse fahren. Balthazar und ich hatten uns noch einen Schlagabtausch geliefert, bevor ich nachgegeben hatte. Trotzdem schmollte ich noch etwas, wie ich gestehen musste. Es war Ostern, warum musste ich da unbedingt in einem Park abhängen. Dort würden doch lauter glückliche Familien mit ihren Kindern Eier suchen. Oder Pärchen Picknicks veranstalten. Ich fühlte mich jetzt schon fehl am Platz. Der Bus kam und schaukelte mich und meine Gedanken durch die Landschaft. Die Fahrt dauerte lange genug um mich vom Schaukeln einlullen zu lassen.   In der Nähe des Parks stieg ich immer noch leicht zweifelnd aus, wenn ich den letzten Rest der Strecke zu Fuß hinter mich gebracht hatte, gab es kein Zurück mehr. Ich schlich praktisch zum Park, Kinder und ihre Eltern mit Kinderwagen überholten mich. Jeder Schritt fühlte sich für mich unglaublich schwer an. Aber als ich beim Pavillon ankam hatte ich noch etwa zehn Minuten Zeit. Zumindest dachte ich das bis ich hineinsehen konnte. Dort stand ein kleines Körbchen mit einem Zettel, der meinen Namen trug. Ich schaute mich um, ob ich sehen konnte, wer ihn abgestellt hatte, konnte aber niemanden in der Nähe entdecken. Also nahm ich den Zettel in die Hand und faltete ihn vorsichtig auf. Ich hatte keine Ahnung, was das hier sollte oder was ich davon halten konnte. In ordentlichen Druckbuchstaben stand auf dem Zettel: Ich kann seinen Anblick nicht mehr ertragen, übernimm die Verantwortung dafür. Wenn dir das zu hart formuliert erscheinen sollte, tut es mir nicht leid. Hab Eier in der Hose und steh zu ihm. Du gibst ihm etwas das wir nicht haben. Sollte er heute Abend alleine nach Hause kommen, wird es dir gewaltig leid tun, dafür werde ich sorgen. Wir alle vermissen euch. Elisa   Das war fast so formuliert wie ich sie in Erinnerung hatte. Elisa versuchte alles auf den Punkt zu bringen. Ich schniefte und gleichzeitig fühlte ich mich etwas besser bei ihren Worten. Es hatte mich irgendwie aufgebaut und mir doch keine Erklärung dafür geliefert, weswegen ich genau hierher kommen sollte. Ich drehte den Zettel in meinen Händen und suchte nach einem Zusatz irgendwo darauf, doch da war nichts. Ratlos schaute ich mich nochmal um und suchte diesmal mit meinem Blick auch weiter entfernte Bereiche des Parks ab. Als ich wieder niemanden entdecken konnte, setzte ich mich verloren auf eine Bank im Windschatten. Ich holte mein Handy heraus und überlegte, ob ich Elisa anrufen sollte und eine Erklärung verlangen konnte. Sie hatte mich spontan hier her bestellt, anscheinend damit gerechnet, dass ich dem folgen würde und ließ mich nun wieder alleine. Würde mir gefallen, was sie geplant hatte? Ich wusste es nicht. Wenn ich Adrian sah, würde ich mich entschuldigen müssen, daran hatte ich keine Zweifel. Nur wie ich das machte und ob er mich verstehen wollte, das konnte ich mir nicht ausmalen. Eine Kinderstimme, die mir wage bekannt vorkam, riss mich aus meinen Gedanken. Ohne mich zu erheben schaute ich mich in dem Teil des Parks um, den ich von meinem Platz im Pavillon aus überblicken konnte. Erst dachte ich, dass ich mich vertan hatte, weil ich so in Gedanken war. In meinem Blickfeld konnte ich keine vertrauten Gestalten erkennen. Dann hörte ich aber eine weitere fröhliche Kinderstimme. Und dann rief Elisas Stimme, sie wären da ganz falsch, der Osterhase hätte auf der Schatzkarte einen anderen Ort markiert. Ich stand auf und schaute zwischen ein paar Zweigen hinter mir hindurch. Und tatsächlich, da war Elisa mit ihrer Mutter und Sophie an der Hand und deutete in eine andere Richtung. Sie deutete auf eine Abzweigung vor sich und lenkte damit die Geschwister weg von der Richtung, in die sie los gestürmt waren. Sophie löste sich von der Hand und lief ein paar Schritte auf ein Blumenbeet zu. Dort bückte sie sich und reckte dann eine Hand in die Luft. Offensichtlich hatte sie schon ein Osterei gefunden. Ihre Mutter hielt ihr ein Körbchen hin, ähnlich dem was noch verloren bei mir stand, soweit ich das erkennen konnte, und sie legte etwas hinein. Die Jungs hatten alle eigene Körbchen, die sie teilweise wild schwenkten. Scheinbar hatten sie noch nichts oder nur wenig eingesammelt. Sie liefen hin und her und hatten anscheinend viel Spaß, auch Adrian, der zusätzlich noch Anne auf den Schultern trug. Auf den ersten Blick konnte ich nicht erkennen, weswegen Elisa seinen Anblick nicht mehr ertragen können sollte. Er sah für mich fröhlich aus und neckte seine jüngeren Geschwister wie so oft. Wie gebannt stand ich da und beobachtete ihn. Jetzt wo ich ihn wiedersah konnte ich mich kaum abwenden. Je länger ich seiner Familie und ihm beim Eiersuchen zusah, desto mehr konnte ich Elisa aber auch verstehen. Ich sah die Augenringe auch aus der Entfernung, wenn die Sonne sein Gesicht erhellte. Die kleinen Momente in denen er müde erschien blieben mir auch nicht verborgen. Und dann war da einmal dieser abwesende Blick. In mir wuchs das Bedürfnis ihn in die Arme zu schließen, auch wenn ich mich nicht traute aus meinem sicheren Versteck heraus zu treten. Denn so kam mir mein Beobachtungsposten immer mehr vor. Wie der perfekte Platz um diesem idyllischen Treiben zuzuschauen, was ich mir noch vor Kurzem nicht hatte anschauen wollen. Ich beobachtete wie Elisa Adrian einen Zettel zusteckte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Er sah ratlos aus und sie wurde anscheinend energischer. Ich konnte es nicht mehr gut sehen, sie waren mittlerweile ziemlich weit von mir entfernt. Doch dann setzte Adrian sich in Bewegung. Er entfernte sich von seiner Familie, ging auf einen Baum zu und schien etwas daran zu suchen. Ich konnte nicht sehen, ob er etwas fand, denn er verschwand hinter dem Stamm und ein paar Büschen. Mit meinem Blick suchte ich ihn. Einige Meter entfernt tauchte er wieder auf. Dieses Mal ging er zielstrebig zu einem Brunnen in meiner Nähe. Ich konnte sehen, wie er sich bückte und einen Zettel aufhob, so nah war er mir nun. Als er wieder stand schaute er sich suchend um. Ich hielt unbewusst die Luft an, denn er kam genau auf den Pavillon zu. Aus seiner Richtung dürfte er mich noch nicht gesehen haben. Er bog ab und nun ging er genau auf mich zu. Verzweifelt dachte ich darüber nach doch lieber unsichtbar zu werden. Doch dann erstarrte er in der Bewegung und schaute mir direkt in die Augen. Für Unsichtbarkeit war es nun zu spät. Ein leises Wort entkam meinen Lippen: „Hi!“ Kapitel 4: Ostersonntag -> Erkenntnis / Versöhnung -------------------------------------------------- Adrian   Elisa hatte mir einen Zettel in die Hand gedrückt den ich nicht lesen sollte. Und dann hatte sie mich losgeschickt eine Überraschung nur für mich zu suchen, wovon die Anderen nichts mitbekommen sollten. Es hatte sich mehr wie eine Schnitzeljagd angefühlt, den ich fand nur Zettel mit neuen Anweisungen darauf. Doch nun stand ich hier, wie vom Blitz getroffen, und mein Herz raste. Im Schatten der Sitzecke vor mir musste ein Geist stehen. Ich musste wieder fantasieren, ging es mir durch den Kopf. Und ich traute meinen Ohren nicht, ob ich seine Stimme wirklich gehört hatte. Schnell warf ich einen Blick zu allen Seiten, kontrollierte das mich niemand sah, wenn ich hier wirklich einem Hirngespinst aufsaß. Kian räusperte sich und sagte noch mal: „Hallo Adrian.“ Dieses Mal klang seine Stimme fester. Mein Blick richtete sich wieder auf ihn. Er sah verlegen aus. Mit wenigen Schritten war ich vor ihm und streckte vorsichtig meine Hand nach ihm aus. Seine Finger fingen sie ein bevor ich seine Brust berühren konnte, aber ich konnte ihn fühlen. Er war real, sah mich schuldbewusst an und hielt meine Hand. Für Außenstehende musste unsere Haltung seltsam aussehen. Ich bemühte mich mit meinen Lippen „Hallo“ zu formen. Mir fiel in diesem Moment nichts besseres ein, obwohl ich tausende Fragen hatte und auch etwas wütend auf ihn war. „Es ist schön dich zu sehen“, flüsterte Kian. Nickend stimmte ich zu, das war auch etwas, was ich in diesem Moment fühlte. Dennoch wollte ich plötzlich Antworten haben. Ich zog meine Hand zurück und tippte stattdessen damit an meinen Kopf und zeigte auf ihn. Meine Verzweiflung und Wut schwappte in dieser Sekunde über meine Freude ihn wieder zu sehen. So gut ich konnte versuchte ich das an ihn weiter zu leiten. Er sah mich an und ich hatte das Gefühl er würde mich nicht verstehen oder wollte einfach wieder weglaufen. Also zückte ich mein Handy um ihm alles aufzuschreiben. Es war so frustrierend, wenn wir an diesen Punkt kamen, ich wollte wieder mit ihm sprechen können. Schreiben dauerte so viel länger und drückte so viel weniger aus, hatte ich das Gefühl. Seine Hand legte sich auf mein Handy. Er brachte mich dazu es zu senken. Als ich ihn ansah, begann er zu sprechen. „Du hast Fragen und bist wütend. Das verstehe ich. Nur...“, sagte er zögernd. Ich machte eine ungeduldige Geste um ihn zum weitersprechen aufzufordern. Er atmete tief ein. „Es tut mir Leid. Ich hatte das Gefühl dich nur noch mehr zu belasten. Ich wollte dir helfen und hatte keine Ahnung wie. Ich war so verzweifelt und dachte, damit würde ich dich noch mehr belasten. Und davon drehte sich mir der Kopf, weil du es doch bist und du so stark für mich bist. Und so will ich auch für dich sein. Aber in dem Moment ist mir nichts anderes eingefallen. Ich wollte dich nicht noch mehr belasten mit meinen Tränen. Die mir immer leicht kommen wenn es um dich geht. Da ist mir nichts anderes eingefallen als etwas Abstand zwischen uns zu bringen. Ich dachte, damit musst du dir zumindest um mich keine Gedanken machen und kannst dich auf dich konzentrieren. Aber schon als ich aus der Tür war wusste ich, dass das falsch war. Ich wäre am liebsten sofort wieder umgedreht. Ich wusste nur nicht wie ich dir dann helfen sollte und das wollte ich ja immer noch. Das will ich die ganze, verdammte Zeit über“, sprudelte es aus ihm heraus. Mir drehte sich etwas der Kopf, ich konnte nur hoffen, dass ich alles richtig mitbekam. „Balthazar hat mir ganz schön den Kopf gewaschen, als er das aus mir heraus gequetscht hat. Danach habe ich versucht einen klaren Kopf zu bekommen und versucht mich zu erkundigen, wie ich dir helfen könnte. Das war gar nicht so einfach, wie du mir glauben kannst. Mir brummt jetzt noch der Kopf, wenn ich an meine Recherche denke. Und ich hab dich vermisst. Mehrmals wollte ich dich anrufen, aber dann ist mir immer eingefallen, dass du mir ja nicht antworten kannst wenn ich dich nicht sehe. Und dann habe ich gedacht, du willst mich nicht mehr sehen, weil ich dich im Stich gelassen habe. Das hat mich fertig gemacht und ich dachte, ich sollte mich besser weiter von dir-“ Ich legte meine Finger auf seine Lippen um ihn zu unterbrechen. Das war ganz schön viel aufeinmal und ich konnte ihm ansehen, wie er immer verzweifelter wurde. Mein Handy vibrierte in meiner Hand bevor ich ihm antworten konnte. Verwundert und irritiert schaute ich nach wer unbedingt jetzt stören musste. Es war eine Nachricht von Elisa, die schlicht besagte, wir sollten den Zettel lesen. Ich drehte das Handy, damit Kian die Nachricht auch lesen konnte. Dabei deutete ich auf das „Wir“, woher wusste sie das nun wieder. Kian zuckte mit den Schultern. „Ich hab auch eine Nachricht von ihr bekommen, dass ich hier herkommen sollte und dann war sie nicht da. Nur das da“, sagte er und deutete auf eins von unseren Körbchen, was ich bis jetzt nicht bemerkt hatte, da es hinter ihm auf einer Bank stand. „Ich schätze sie hat das hier geplant“, seufzte er. Dann sollten wir den Zettel lesen?, tippte ich in mein Handy. Ich war mir nicht sicher was ich davon halten sollte. In meiner Brust kämpfte Unbehagen über ihre Einmischung mit Dankbarkeit für diese Gelegenheit und alle meine Gefühle für Kian rangen zusätzlich um Aufmerksamkeit. Es fühlte sich plötzlich wie ein riesiges Chaos an. Überwältigt ließ ich mich auf die Bank neben mir fallen. „E-es tut mir Leid. Wenn du mich wirklich nicht mehr sehen willst, dann kann ich sofort gehen. Wir müssen nicht nach ihrer Pfeife tanzen“, sagte Kian und klang dabei irgendwie besorgt. Ich fasste nach seinem Handgelenk und zog ihn neben mich auf die Bank. Ohne ihn loszulassen tippte ich mit der anderen Hand Ich wollte dich die ganze Zeit sehen. Weil mir nichts besseres einfiel um anzufangen. „Uh, entschuldige. Ich war egoistisch in meiner Annahme. Ich bin einfach davon ausgegangen-“ Was hat deine Recherche ergeben? Ohne auf seine neue Entschuldigung einzugehen, fragte ich gleich das nächste was in mir aufkam. Das hier war kein geordnetes Gespräch, aber es störte mich auch nicht weiter. „Nun, also … “, druckste Kian herum und ich machte eine ungeduldige Geste. „Also, du kannst ja noch hören, aber … “ Ich war kurz davor mit den Augen zu rollen, nach der Ewigkeit ohne ihn hatte ich jetzt keine Geduld mehr für Umwege, stellte ich erstaunt fest. Abgesehen davon, dass das Gestammel nicht zu ihm passte. „Es gibt Kurse für Gebärdensprache. Einer startet in ein paar Tagen. Ich, ähm, habe es geschafft uns noch dafür einzuschreiben. Wenn du mich nicht mehr sehen wolltest, hätte ich Elisa noch rechtzeitig Bescheid gegeben. Gebärden sollte so etwas schneller gehen als schreiben. Und deine Geschwister könnten es auch lernen, auch die Kleinen, die noch nicht so gut lesen können. Dann könntest du dich wieder mit allen unterhalten ohne dein Handy. Ich habe gedacht, dass wäre eine gute Idee egal, ob die Ärzte deine Stimme vielleicht wieder hinbekommen. Aber ich hätte das wohl erst mit dir besprechen sollen. Ich war nur so froh einen Platz bekommen zu haben. Was meinst du?“ Gut, das du nicht noch mehr gestammelt hast. War mein erster, trockener Kommentar. Kian wurde rot bis zu den Ohren, was mich lächeln ließ. Wann hattest du vor mit mir darüber zu sprechen? Was wenn ich nicht einverstanden gewesen wäre? Ich hatte bis jetzt nämlich nicht vorgehabt mich noch mehr wie ein Idiot aufzuführen und absichtlich mit meinen Händen herumzufuchteln. Ein wenig männlichen Stolz hatte ich irgendwo noch verspürt, wenn es auch mit moderner Technik ging. Doch nach meiner letzten Erfahrung beim Einkaufen musste ich zugeben, dass es auch idiotisch war sich darauf zu verlassen. Vielleicht war es also zumindest in der Familie eine Lösung für mich. „Dienstag wollte ich vorbei kommen. Ich wollte dir nicht die Feiertage verderben, wenn du mir vorher sagen musst … Nun gut, jetzt ist es so. Bist du denn nicht einverstanden? Ich zumindest will dich anschauen können, wenn du mir etwas sagst und es nicht von deinem Handy ablesen“, erklärte er sich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)