Advanced Attraction von Varlet ================================================================================ Kapitel 15: Ein bisschen Glück ------------------------------ Schwer atmend betrat Jodie ihre Wohnung. Auf der halben Strecke war sie losgelaufen und hatte erst Halt gemacht, als sie vor ihrer Wohnungstür stand. Sie hatte sogar vergessen Nachbarn zu grüßen und ihren Briefkasten nach neuer Post zu überprüfen. Aber das war unwichtig. Immer wieder ging sie die Worte von Liam im Kopf durch und suchte nach einem Hintertürchen; irgendwas das ihr verriet, dass er doch gelogen hatte. Sie wollte ihm nicht glauben und ein Teil von ihr hoffte, dass er das nur sagte, um sie ein weiteres Mal zu verletzen. Dennoch ahnte sie, dass Liam dieses Mal keinen Grund hatte, um sie anzulügen und er ihr wirklich nur helfen wollte. Aber wenn es tatsächlich die Wahrheit war, was hieß es dann für sie? Sie dachte an die Vergangenheit. Es war für sie selbstverständlich, dass sie mit Sharon auch über ihre Begegnung mit Liam und ihre Gefühle für ihn sprach. Sie schwärmte regelmäßig für den Jungen und teilte ihr einige Wochen später glücklich mit, dass sie nun ein Paar waren. Als Liam seine Zusage für die Universität in London erhalten hatte, hatte Jodie ihren Kummer nicht nur mit ihrer besten Freundin geteilt, sondern auch mit Sharon. Sie erzählte ihr von ihren Sorgen, da sie wusste, dass Liam nie und nimmer eine Fernbeziehung wollte. Damals war es ihr nicht merkwürdig vorgekommen, dass Liam seine Ansichten geändert hatte und tatsächlich eine Fernbeziehung führen wollte. In jener Zeit war sie einfach nur glücklich, dass sie eine wichtige Person in ihrem Leben nicht verlor. Aber jetzt wo sie die Wahrheit kannte, musste sie alles bisherige in Frage stellen. Es war schon schwer genug als Tochter eines FBI Agenten Freunde und einen Partner zu finden, immerhin konnte ihr Vater ganz schön einschüchternd sein. Doch jetzt gab es noch eine weitere Person, die die Fäden in Jodies Leben lenkte. Nur war Sharon einen Schritt zu weit gegangen. Wenn Liam tatsächlich ihre Rache fürchtete, musste Jodie dafür sorgen, dass es nicht so weit kam. Selbst wenn sie Lügen musste. Trotzdem nagte die ganze Situation an ihr. Konnte sie jetzt noch überhaupt den Menschen in ihrer Umgebung vertrauen? Mit einem Mal stellte sie alles in Frage. Konnte es sein, dass sich die Hausbewohner nur mit ihr anfreundeten, weil Sharon ihre Finger im Spiel hatte? Und was war mit Shuichi. War er zu ihr so nett, weil sie ihn kontaktierte und…? Augenblicklich schüttelte Jodie den Kopf. Sie durfte nicht anfangen so zu denken, ansonsten würde sie ihr gesamtes Leben nicht mehr froh werden. Jodie lehnte ihren Körper gegen die Haustür und seufzte leise auf. Langsam ließ sie sich nach unten gleiten und zog ihre Beine an sich heran. Sie legte den Kopf auf ihre Knie und schloss die Augen. Ihr war alles zu viel geworden. Sie hielt es nicht mehr aus und wollte nicht, dass die Baustellen in ihrem Leben zu nahmen und größer wurden. Aber wie konnte sie ihrem derzeitigen Teufelskreis entkommen? Würde es helfen, würde sie den Kontakt zu Sharon abbrechen? Aber die Schauspielerin gehörte irgendwie zur Familie und würde sowieso genug über Jodies Leben in Erfahrung bringen können. Wie sollte sie dann alles auf die Reihe bekommen? Langsam öffnete Jodie ihre Augen und ihre Handtasche. Mit zittrigen Händen zog sie ihr Handy hervor. Ein Teil von ihr war noch unentschlossen, ein anderer Teil wollte die Wahrheit wissen und die Situation klären. Aus dem Adressbuch suchte sie die Nummer der Schauspielerin und drückte auf die Wahltaste. Den Zeitunterschied von fünf Stunden hatte Jodie nicht bedacht. Das Signal ertönte sofort und es dauerte nicht lange, bis Sharon den Anruf entgegen nahm. „Guten Morgen, Jodie“, grüßte Sharon das Mädchen. Auch wenn es in New York gerade erst fünf Uhr war, hörte sie sich nicht müde an. „Ist irgendwas passiert? Du rufst mich sonst doch nicht so früh an. Geht es dir gut?“ Jodies Mut war verschwunden. Sie wusste auf einmal nicht mehr, was sie der Schauspielerin sagen wollte. „Jodie? Bist du noch dran?“ Jodie schluckte. „Liam…und ich…wir haben…uns getrennt“, brachte sie hervor. „Was? Oh, Jodie, das tut mir so leid. Was ist denn passiert?“, wollte Sharon besorgt wissen. „Es hat einfach nicht mehr…mit uns geklappt…“ „Meine arme Kleine“, entgegnete die Schauspielerin. „Kann ich dir irgendwie helfen?“ „Du könntest ihn in Ruhe lassen.“ „Jodie, was redest du da?“ Sharon stockte. Wusste sie es? Hatte Liam geplaudert? Sharons Blick wurde finster. „Jodie, was…“ „Stimmt es, Sharon? Bitte sag mir, ob es stimmt, dass du Liam…dass du ihm…das du… Bitte sag mir, dass es…nicht stimmt…Bitte, Sharon…“, flehte Jodie. Sharon entschied, die Wahrheit zu sagen, zumindest weitestgehend. Damit hatte sie mehr Chancen als mit einer Lüge. „Ich weiß nicht, was dir Liam erzählt hat“, begann sie ruhig. „Ich habe mich mit ihm getroffen, bevor ihr zusammen gekommen seid und ja, es stimmt, dass ich seiner Familie geholfen habe. Ich habe ihn allerdings nur darum gebeten, sich mit dir zu treffen. Wenn es nicht funktioniert hätte, wäre das für mich kein Problem gewesen. Das wars auch schon. Er wurde nicht gezwungen mit dir zusammen zu sein.“ Jodie schwieg. „Jodie?“ „Wieso…wieso hast du…das getan?“, fragte die junge Frau. „Ich hab dich nicht um deine Hilfe gebeten. Und…ich muss doch meine eigenen Erfahrungen machen.“ Eine Träne rollte über Jodies Wange. „Das weiß ich doch, meine Kleine“, entgegnete Sharon. „Du hattest es damals so schwer und…ich hatte Angst, dass du es nicht verkraftest, wenn er kein Interesse an dir hat. Deswegen habe ich mich für diesen Schritt entschieden. Natürlich musst du deinen eigenen Weg gehen, deine eigenen Entscheidungen treffen und auch deine eigenen Fehler machen, aber du musst mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich dir nur helfen wollte.“ „Wer noch, Sharon, wen hast du noch dazu gebracht, mich zu mögen?“ „Es gab sonst niemanden“, antwortete Sharon. „Das schwöre ich dir.“ „Kann ich dir das wirklich glauben?“, wollte Jodie leise wissen. „Vielleicht hast du mein ganzes Leben manipuliert, und ich weiß es einfach nicht.“ Sharon schluckte. Natürlich hatte sie gewollt, dass Jodie weiterhin als Model tätig war und später mit der Schauspielerei anfing, aber das konnte sie nicht zugeben. „Jodie, ich kann verstehen, dass du auf mich wütend bist. Aber du musst mir wirklich glauben, dass es nur Liam war. Sonst habe ich zu keinem deiner Freunde Kontakt aufgenommen.“ Jodie wollte ihr glauben, aber sie hatte Angst. Sie hatte ihrer Freundin so viel erzählt und anvertraut, ohne sich darüber Gedanken zu machen, welche Konsequenzen es hatte. „Ich bleibe mit Liam in Kontakt“, fing Jodie an. Sie log, aber das musste Sharon nicht erfahren. „Unsere Trennung war…zwar nicht einfach, aber es ist in Ordnung für mich. Wenn du seiner Familie etwas tun willst, werde ich es erfahren. Du wirst in Amerika die Füße still halten.“ Ein leichtes Lächeln legte sich auf Sharons Lippen. Jodie war erwachsener geworden und versteckte sich nicht mehr hinter anderen Menschen. Und sie hatte sogar den Mut und stellte sich gegen sie. „Ich lasse ihn in Ruhe.“ „Gut“, entgegnete die junge Frau. Jodie atmete tief durch. „Bitte kontaktier mich in der nächsten Zeit nicht mehr. Momentan ertrag ich dich nicht.“ „Jodie, hör zu, wir…“ Ungläubig starrte Sharon in ihr Handy. Jodie hatte einfach so aufgelegt. Und trotzdem war sie stolz auf das junge Mädchen. Die Schauspielerin war sich sicher, dass Jodie nun keine weitere Unterstützung mehr brauchte, um in den nächsten ein bis zwei Jahren klar zu kommen. Sie lächelte und dennoch wäre sie gerne nach London geflogen, doch aufgrund ihrer Vergangenheit konnte das MI6 nur auf diesen Fehler warten. Sie würde sich definitiv nicht gefangen nehmen lassen und weiterhin ihr Leben in Freiheit genießen. Auch wenn sie dafür Amerika nicht verlassen durfte. Und irgendwann, da war sie sich sicher, würde Jodie alles verstehen und ihr verzeihen. Sie musste nur warten. Jodie legte das Handy auf die Seite und seufzte leise auf. Das Gespräch mit Sharon zerrte mehr an ihrem Nervenkostüm als sie gedacht hatte. Aber sie war stolz auf sich, da sie kein einziges Mal angefangen hatte zu weinen. Und sie hatte gesagt, was sie sagen wollte. Jodie meinte jedes Wort ernst, denn Sharon hatte ihr mit ihrer Tagt keinen Gefallen getan. Es war viel eher das Gegenteil. Jodie fühlte sich schlecht und zweifelte an sich selbst und an allem, was passiert war. Es war schrecklich zu wissen, dass der eigene Freund nur mit einem zusammen war, weil er Angst vor Sharons Rache hatte, auch wenn er wirkliche Gefühle für sie hatte. Ihre Beziehung begann mit einer Lüge und endete, nachdem er erneut log. Und mit einer Lüge wollte er die Beziehung zu ihr wieder aufnehmen. Trotzdem musste Jodie ihr Leben weiter leben und sich auf die Zukunft fokussieren. Sie musste sich wieder darauf einlassen, dass es Menschen gab, denen sie wichtig war und denen sie auch weiterhin ihr Vertrauen schenken konnte. Nicht jeder Mann war wie Liam. Es gab Jemanden, der ihr Herz bewegte, einen Menschen mit dem sie sich die Zukunft vorstellen konnte und der aufgrund seiner familiären Hintergrundgeschichte integer war. Er würde sich nicht so einfach manipulieren lassen. Die junge Frau wischte sich all ihre Tränen weg und stand auf. Sie ging ins Schlafzimmer und zog sich um. Anschließend ging sie ins Badezimmer und machte sich frisch, damit sie sich auch außerhalb ihrer Wohnung wohl fühlte. Anschließend sah Jodie auf die Uhr und lief in den Flur. Sie steckte das Handy ein und verließ die Wohnung. Die Tür zog sie einfach hinter sich zu und marschierte die Treppen nach oben. Sie wollte unbedingt mit Shuichi reden und hoffte, dass er zu Hause war. Nach seinen Erzählungen hatte er morgen eine Klausur und wenn er tatsächlich seine Schichten in der Bar gekürzt hatte, konnte sie Glück haben und er war zu Hause. Und auch wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, Jodie wollte es unbedingt versuchen. Als sie vor seiner Haustür stand, atmete sie tief durch, ehe sie klingelte. Je mehr Zeit verging, desto nervöser wurde sie, aber als die Tür aufging, musste sie lächeln. „Guten Morgen.“ „Jodie“, gab Akai überrascht von sich. „Guten Morgen. Komm doch rein.“ Jodie nickte und trat ein. Sie zog sich die Schuhe aus und sah sich um. „Ist alles in Ordnung?“, wollte Shuichi wissen. „Du hast dich gestern aus dem Krankenhaus nicht mehr gemeldet und ich hab mir Sorgen gemacht. Aber ich wollte nicht aufdringlich sein.“ „Entschuldige“, begann Jodie ruhig. „Es war eine dumme Sache. Liam hat einen Autounfall beobachtet und ist dann vom Fahrrad gefallen, weil er den anderen Gaffern nicht ausweichen konnte. Er dachte, er gewinnt mich zurück, wenn ich mich um ihn kümmern muss. Deswegen war ich über Nacht dort, es ist aber nichts passiert. Ich habe ihm auch klar gemacht, dass das mit uns vorbei ist und…wir konnten uns auch aussprechen. Er wird es nicht erneut versuchen.“ „Verstehe“, entgegnete Akai und brachte Jodie ins Wohnzimmer. „Setz dich, möchtest du was trinken?“ Er nahm die Bücher, die er zum Lernen um sich versammelt hatte, vom Sofa und legte sie auf den Tisch. Jodie setzte sich. „Wasser reicht.“ Sie blickte auf seine Bücher. „Stör ich dich beim Lernen?“ Shuichi ging in die Küche und holte eine Flasche Wasser und zwei Gläser. Er brachte alles ins Wohnzimmer und stellte es auf den Tisch. „Ich hab dir doch gestern schon gesagt, dass ich für die Prüfungen immer gut vorbereitet bin und wenn ich wirklich keine Störungen will, hätte ich dafür gesorgt.“ Jodie nickte verstehend. „Geht es dir gut?“ Shuichi musterte sie. „Du siehst aus, als würde dich etwas bedrücken.“ Shuichi hatte schon immer eine gute Beobachtungsgabe. Wenn er in der Bar arbeitete, konnte er ihr immer viel über die Gäste erzählen, obwohl sie einander nicht kannten. Und jetzt erkannte er sogar hinter ihrem Lächeln, dass ihr irgendwas auf der Seele brannte. „Ehrlich gesagt geht es mir solala. Liam hat mir erzählt, dass er damals eigentlich gar keine Beziehung wollte, aber Sharon – eine Freundin meiner Familie – hat dafür gesorgt, dass er…es doch tat. Sie hatte wohl gute Argumente und letztlich war er auf das Angebot eingegangen. Allerdings hatte er die ganze Zeit Gefühle für mich, auch wenn es mit einer Lüge bei uns anfing.“ „Bist du dir sicher, dass es die Wahrheit ist?“ Akai verschränkte die Arme vor der Brust. „Wäre es nicht auch möglich, dass er dir das gesagt hat, um dich noch einmal zu verletzen?“ Am liebsten hätte Shuichi ihm eine rein gehauen, aber er riss sich zusammen, um nicht direkt nach draußen zu stürmen. Jodie schüttelte den Kopf. „Ich habe ihm klar gemacht, dass das mit uns endgültig vorbei ist und auch wenn er wütend darüber wäre, ich glaube nicht, dass er mir am Ende noch eins reinwürgen wollte. Wir haben Beide viele Fehler gemacht und jetzt ist es an der Zeit nach vorne zu sehen. Außerdem…habe ich mit Sharon telefoniert und sie hat es zugegeben.“ „Verstehe“, murmelte Shuichi von sich. Das Geständnis würde die Situation verkomplizieren, da war sich der Student sicher. Konnte Jodie überhaupt noch anderen Menschen vertrauen, nach all dem was passiert war? Shuichi runzelte die Stirn. „Was ist mit dir?“ „Mhm?“ Er blickte sie an. „Ich habe mich nur gefragt, wie es dir nach all diesen Offenbarungen geht und…was das für dein weiteres Leben heißt.“ Jodie sah runter auf ihre Hände. „Es ist hart“, antwortete sie. „Mein ganzes Leben hat sich auf einmal geändert. Die Menschen, denen ich vertraut hab, haben mich betrogen. Jetzt muss ich irgendwie damit klar kommen, aber ich möchte mich nicht unterkriegen lassen. Was das für meine Zukunft heißt, weiß ich nicht. Natürlich habe ich mich gefragt, ob alle Freundschaften nur erkauft gewesen sind, aber…wenn ich nur noch so denke...“ Jodie schüttelte den Kopf. „Das würde mir mein Leben nur kaputt machen. Ich möchte nicht alles hinterfragen müssen und daher werde ich nach vorne schauen. Das gleiche gilt auch für meine…künftige Beziehung…“ „Wenn ich ehrlich sein darf, ich bin froh, dass du früh bemerkt hast, dass dir Liam nicht gut tut. Dir steht immer noch alles offen. Du kannst studieren oder arbeiten. Dein Schulabschluss ist noch nicht lange her, deswegen hast du auch gute Chancen. Und…“ Er räusperte sich. „…um noch ehrlicher zu sein, bin ich froh, dass das mit dir und Liam nicht geklappt hat. Ebenso würde es mich freuen, wenn du in London bleibst.“ Jodie errötete. „Ich würde auch…gerne hier bleiben…“, murmelte sie leise. „Ich bin nämlich froh, dass ich dich…kennen gelernt habe und wir…uns…naja…irgendwie näher…gekommen…“ Shuichi schmunzelte und legte seine Hand an ihre Wange. „Das freut mich auch“, sagte er lächelnd, zog ihr Gesicht zu sich und küsste sie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)