Advanced Attraction von Varlet ================================================================================ Kapitel 11: neue Perspektive? ----------------------------- Wenn Jodie an das Gespräch mit Liam zurück dachte, musste sie schlucken. Dieses eine Treffen gab ihr das Gefühl, dass sie ihren Freund, der nun ihr Ex-Freund war, gar nicht wirklich kannte. Anstatt das er ihr Zeit gab zum Nachdenken, wollte er sofort eine Entscheidung von ihr. Und da kam das Wörtchen Trennung ins Spiel. Es war ein Wort, das alles kaputt machte. Vermutlich glaubte er, dass sie dann keinen Schlussstrich zog, stattdessen hatte er damit das Gegenteil erreicht. Eigentlich wollte sie auch nicht das Ende der Beziehung verkünden, aber Liam hatte sie darauf festgenagelt. Und jetzt mussten Beide damit leben. Es hieß, dass Zeit alle Wunden heilt. Jodie hoffte, dass sich dieser Spruch irgendwann bewahrheiten würde. Und bis es soweit war, musste sie das Beste aus ihrer Situation und ihrem Leben machen. Seit dem Gespräch mit Liam waren zwei Wochen vergangen und all seine Worte nagten noch immer an ihr. Es war zwar nicht gänzlich ihre Schuld, aber sie trug dazu bei, indem sie zunächst auf seine Wünsche einging und danach nicht mehr. Sie fühlte sich schlecht und fragte sich andauernd, ob es etwas geändert hätte, wenn sie sich gegen den Umzug gewehrt oder sich keinen Job gesucht hätte. Da Liam es nicht verneint hatte, schien es beinahe so, als wäre es unvermeidlich. Vielleicht war es auch ihr Schicksal und vielleicht hätte sie auch gar nicht erst nach London kommen sollen. Aber diese Erkenntnis kam zu spät. Viel zu spät. Und was war mit Liam? Er hatte sich seitdem nicht mehr gemeldet. Es schmerzte sie und unwillkürlich kamen verschiedene Gedanken in ihr hoch. Hatte er die Trennung bereits überwunden und traf sich wieder mit der anderen Frau? Jodie schüttelte den Kopf. Sie versuchte diese Gedanken zu verbannen und sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Mit dem Kugelschreiber in der Hand tippte sie auf dem Blatt Papier herum. Sie versuchte an das Hier und Jetzt zu denken und ihre Zukunft zu planen. Wie Shuichi vorschlug, begann sie mit einer Liste ihrer Interessen. Weit war sie allerdings nicht gekommen. Als ihr ein Cocktail auf den Tresen gestellt wurde, sah sie auf. „Mhm? Ich hab doch gar nichts bestellt.“ „Alkoholfrei und geht aufs Haus.“ Es war gerade erst früher Nachmittag und im April war nicht allzu viel los. Einige Studenten saßen zusammen und redeten, andere konzentrieren sich auf das Schreiben von Hausarbeiten. „Eh…? Danke“, murmelte sie und nahm das Glas. Sie führte es zu ihrem Mund und zog über den Strohhalm die orangene Flüssigkeit ein. „Schmeckt gut.“ Akai nickte und sah zu ihrem Zettel. „Was machst du da?“ Jodie seufzte leise auf. Musste sie sich jetzt dafür rechtfertigen? „Du hast mir doch geraten, dass ich aufschreiben sollte, was ich mag und wo meine Interessen liegen. Auch wenn es schon einige Tage her ist, möchte ich nun damit anfangen, mein Leben auf die Reihe zu bekommen. Und dafür sollte ich annähernd wissen, was ich künftig machen möchte.“ „Das heißt, du gehst nicht zurück nach New York?“, wollte der Student wissen. „Ich weiß es ehrlich gesagt noch nicht.“ Jodie blickte wieder auf ihren Zettel. „Ich hab vor zwei Wochen mit Liam gesprochen. Er hat…er hat mir erzählt, dass ihr ihn nicht zu mir gelassen habt…“ „Das stimmt“, entgegnete der Junge. „Aber es war Zufall, wir haben uns nicht auf die Lauer gelegt, falls du das denkst.“ „Hab ich nicht“, murmelte Jodie. „Danke, dass ihr das getan habt. Ich hätte sicher keine Kraft gehabt, um mit ihm zu reden.“ „Hat er dich um Verzeihung gebeten?“ „Er…er hat mir erklärt…wie es dazu gekommen ist. Er wollte, dass ich ihm eine zweite Chance gebe. Aber…ich weiß nicht, ob ich das kann. Es ist so viel passiert und kaputt gegangen…und dann…wollte mich Liam auf eine Entscheidung festnageln. Also…haben wir…uns getrennt…“ „Ich verstehe“, gab Shuichi von sich. „Danach habe ich mich gefragt, was ich hier noch mache. Und dann…ist mir eingefallen, was du über meine Optionen gesagt hast. Ich wollte…schon eher mit der Liste anfangen, aber…“ „Du musst dich nicht rechtfertigen. Ich kann mir vorstellen, wie es dir ging, nachdem das mit Liam vorbei war.“ Jodie nickte. Sie hatte viel geweint und brauchte ihre Zeit. „Auf deinem Zettel steht ja nicht viel drauf.“ Shuichi versuchte das Thema zu wechseln. „Leider“, entgegnete Jodie. „Ich hab erst einmal angefangen mit den Sachen, die ich früher gern machen wollte. Weißt du, als ich klein war, wollte ich wie meine Mutter Krankenschwester werden, aber wenn ich so an die derzeitigen Arbeitsbedingungen denke…nein, das ist nichts für mich. Danach wollte ich zum FBI, wie mein Vater, aber naja das schließe ich mittlerweile auch aus. Irgendwie ist mir das Leben als FBI Agentin zu gefährlich.“ „Verständlich“, gab Akai von sich. „Man muss immer auf der Hut sein und sein eigenes Leben schützen. Gerade mit Familie ist es nicht einfach.“ „Eben“, murmelte Jodie. „Was hast du noch?“ „Schauspielerei und Modeln“, antwortete sie, wobei sich ein leichter Rotschimmer auf ihre Wangen legte. „Ich hab das mal als Kind gemacht, nur kleine Werbeclips und dann ein paar Shootings. Allerdings waren die Erwachsenen sehr streng zu mir und wenn ich jetzt darüber nachdenke, möchte ich nicht in diese Branche gehen. Immer dünn, immer schön, immer beobachtet zu werden…“ Jodie schüttelte den Kopf. „Vielleicht mal als Nebenjob, aber nicht auf Dauer.“ „Mhm…verstehe…“ Akai überlegte. „Alles was du aufgezählt hast, waren Berufe bei denen du zwar feste Arbeitszeiten hast, diese aber häufig überschreiten wirst. Und wenn du nicht vollkommen dahinter stehst, bringt es dir auch nichts das Handwerk zu erlernen. Was ist mit einem Studium? Kommt das für dich in Frage? Und wenn ja, hast du dir Gedanken gemacht, wie du studieren willst?“ „Ehrlich gesagt habe ich schon mit dem Gedanken gespielt zu studieren. Ich dachte, es wäre eine gute Alternative anstatt nur zu Hause herumzusitzen. Allerdings weiß ich nicht was. Und die Frage nach dem wie kann ich dir auch nicht beantworten, da ich gar nicht weiß, was du damit meinst.“ „Bevor ich mich für das Studium der Ingenieurswissenschaften entschieden habe, habe ich mich sowohl hier als auch in Amerika mit dem System vertraut gemacht. Ich wollte schon immer zum MI6, wie meine Eltern, und ich weiß, dass meine Mutter über diese Entscheidung nie erfreut gewesen ist. Allerdings wollte ich auch nicht in das Thema Vetternwirtschaft rutschen, weswegen auch das FBI oder CIA für mich in Frage kommen würden. Daher kenn ich mich ein wenig mit dem dortigen System aus.“ Akai begann damit ein Glas zu putzen. „Du hast verschiedene Möglichkeiten, wenn du studieren willst. Du könntest ein duales Studium anfangen und damit parallel weitere Berufserfahrungen sammeln. Aber es kann kompliziert werden, weil du das Studium und die Arbeit unter einen Hut bekommen musst. Unter der Woche oder am Wochenende mal Spaß haben, ist dann vorbei. Oder du entscheidest dich für eine Eliteuniversität und machst dann Bachelor und im Anschluss deinen Master. Ein Fernstudium käme auch in Frage, aber es gibt noch nicht viele Anbieter und meistens muss man für die Klausuren eh reisen. Oder du entscheidest dich für ein ganz normales College und belegst verschiedene Kurse. Du kannst natürlich auch mehrere Abschlüsse nacheinander machen oder du beginnst mit dem, was dich interessierst und schaust, in welche Richtung es dich treibt. Je nachdem, was du dir für deinen späteren Lebensweg vorstellst, ist es eine wichtige Entscheidung.“ Jodie schluckte. „Wie gut, dass ich noch nicht weiß, was ich später machen will…“ „Du bist keine Ausnahme, Jodie.“ Shuichi lächelte. „Nicht jeder weiß, was er nach dem Schulabschluss machen will. Bei mir war es vermutlich auch nur Glück, weil ich viel durch meine Familie mitbekommen habe. Irgendwann macht es auch bei dir Klick. Und sieh es mal so, du kannst schon bestimmte Arbeiten ausschließen. Du arbeitest doch jetzt in einer Buchhandlung. Gefällt es dir dort?“ „Ja, schon. Die Arbeit macht mir Spaß, aber es ist irgendwie immer das Gleiche. Ich packe Kisten aus, sortiere Bücher ein und bediene Kunden. Für den Anfang ist es in Ordnung, aber ich glaube nicht, dass ich das mein ganzes Leben machen will“, antwortete sie. „Verständlich“, entgegnete er. „Du könntest dir auch überlegen, ob du etwas Allgemeines studierst. Betriebswirtschaft, Naturwissenschaften, Sprachwissenschaften oder Literatur.“ „Was Allgemeines…“, murmelte Jodie nachdenklich. „Ah, ich verstehe, wenn ich mich nicht darauf festlege, kann ich später auch eine andere Berufsrichtung einschlagen.“ „Genau. Und es besteht immer die Möglichkeit vom Quereinstieg. Daher ist es auch möglich zu studieren, wenn man gar nicht weiß, was man später machen will. Oder du versuchst es ohne Studium und suchst dir eine Vollzeitstelle. Du kannst auch an den Colleges nach Schnupperstunden oder Informationsveranstaltungen fragen. Entweder sie sind ganztätig während der normalen Vorlesungszeiten oder am Wochenende als Extra-Veranstaltung. Du könntest auch bei laufenden Vorlesungen fragen, ob du als Gast teilnehmen kannst. Ich könnte mich in meinen Kursen mal umhören und Ben und Elena könnten das in ihren machen.“ „Ähm…“, murmelte Jodie. „Danke, das ist nett von dir. Sei mir bitte nicht böse, aber ich glaube nicht, dass ich je in die Richtung Ingenieurwesen gehen werde.“ Akai lachte. „Es ist nicht so schlimm, wie es klingt. Ich hab auch andere Kurse wie Kriminologie. Das ist ein Vorteil von vielen Studiengängen, sie bieten die Möglichkeit an, dass man auch in andere Fächer reinschnuppern kann. Keine Sorge, ich lass dich schon nicht in den Physikkurs.“ Jodie errötete. „Oh man…jetzt ist mir das peinlich.“ Der Student schmunzelte. „Was deine Suche auch einkreisen könnte, wäre die Art und Weise wie deine Prüfungen ablaufen sollen. Es gibt schriftliche Tests, mündliche Tests, Hausarbeiten, Zwischenprüfungen und unangekündigte Lernkontrollen. Wenn ich das nächste Mal in der Uni bin, kann ich dir ein wenig Material mitbringen.“ „Das wäre wirklich lieb von dir.“ Sie lächelte. „Ich beneide dich gerade wirklich, Shuichi. Ich wünschte, ich wüsste auch schon, was ich später machen will und wie ich mir mein Leben in einigen Jahren vorstelle.“ „Du solltest dich damit nicht so stressen. Das College ist auch dafür da um sich auszuprobieren. Wie ich schon sagte, du kannst am Anfang auch nur Kurse belegen und im nächsten Semester mit dem Studiengang starten. Allerdings solltest du wissen, ob du in London bleiben willst oder nicht. Selbstverständlich könntest du auch hier ein Semester belegen und den Rest in New York machen.“ „Mhm…weißt du, ich hab mir darüber auch einige Gedanken gemacht. Ich bin wegen Liam hergekommen und wenn ich jetzt wieder nach Hause fliege, dann weiß jeder, dass wir es nicht geschafft haben. Das stimmt schon, aber…ich möchte nicht, dass man glaubt, ich würde nur wegen Liam bestimmte Dinge tun. Ich möchte auch allen beweisen, dass ich ohne Liam klar komme und…auch in einem fremden Land leben kann. Ich weiß, das hört sich kindisch an, aber so denk ich gerade.“ „Schon gut. Ich kann das nachvollziehen. Du hast das Gefühl, dass dich jeder auf Liam reduziert hat und möchtest zeigen, dass du auch etwas aus eigener Kraft schaffst.“ Sie nickte. „Genau. So wie du.“ Jodie nippte wieder an ihrem Getränk. „Aber sag mal…immer wenn ich dich sehe, spielst du entweder hier mit der Band, arbeitest oder kommst nach Hause. Wann…lernst du eigentlich? Oder ist das Studium hier nicht so hart?“ Akai schmunzelte. „Ich hab ein gutes Gedächtnis und passe in den Vorlesungen auf. Und ich nutze meine Zeit gut aus. Wenn ich mit der Bahn unterwegs bin, lese ich auch ein paar Sachen nach. Selbst hier lerne ich.“ Er wies nach unten. „Wenn nicht viel los ist, kann ich meine Notizen durchgehen. Wir haben unterhalb des Tresens eine weitere Ablage, die die Gäste nicht sehen.“ „Ach so.“ „Aber keine Sorge, ich hab während des Gesprächs nicht gelernt.“ „Das hab ich dir nicht vorgeworfen. Du bist irgendwie eine Art Superman. Du kriegst alles hin…“ „Übertreib nicht, Jodie.“ Sie legte ihre Hände auf den Tisch und betete ihren Kopf darauf. „Vielleicht sollte ich mir das mit Sprachwissenschaften oder Literatur einmal ansehen. Meinen Chef könnte ich auch befragen.“ „Das klingt doch nach einem Plan“, entgegnete der Student. „Danke, dass du mir hilfst“, murmelte Jodie. „Mhm? Wieso sollte ich das nicht tun?“ „Ach weißt du, bei unserer ersten Begegnung dachte ich, dass du mich nicht leiden kannst. Aber Elena meinte, dass du immer so reserviert bist. Naja und da hab ich gedacht, dass du mir eher aus dem Weg gehen würdest, stattdessen hast du dich um mich gekümmert, als es mir schlecht ging.“ Shuichi sah sie irritiert an. „Ich hab kaum was gemacht.“ „Mag sein…aber es hat mir geholfen. Und jetzt hilfst du mir auch mein Leben wieder zu ordnen und in die Zukunft zu sehen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)