Die Gefühle, über die wir nicht reden von Evilsmile ================================================================================ Kapitel 20: Martha ------------------ „Oh mein Gott! Sandro!“, keuchte ich außer Puste, und so wie sich das anfühlte, waren das die allerletzten Worte in meinem Leben. In Bächen lief mir der Schweiß von der Stirn, mein Herz explodierte beinahe, aber das Beste war, dass ich ihn mit beiden Armen fest umklammerte. Nichts war heute wichtiger. „Was war das denn für eine Bond-Aktion?“, fragte Sandro amüsiert, schnaubte mir ins Gesicht und rückte mir den verrutschten Träger meines Rucksacks wieder auf die Schulter. In ihm befand sich mein leichtes Reisegepäck für ein paar Tage Paris. Jetzt bemerkte ich auch, wie uns die anderen Passagiere angafften. In diesem Moment setzte sich der ICE in Bewegung und gewann sogleich rasant an Tempo. Ich ließ Sandro los, in dessen Lederjacke ich meine Finger gekrallt hatte. Nachdem ich, in letzter Sekunde, bevor die Türen schlossen, in den Zug gesprungen war. Sandro entgegen, der dort ungeduldig an der Tür wartete. Ihn alleine nach Paris fahren zu lassen, hätte ich nicht verkraftet. Ich öffnete den Reißverschluss meiner Jacke, weil mir so warm war vom Rennen quer durch den Hauptbahnhof. „Frag nicht! Ich war eh schon zu spät dran, weil eine Straßenbahn ausgefallen ist, und dann haben die in allerletzter Sekunde auch noch das Gleis geändert.“ „Aber du hast es geschafft. Komm, mir nach. Wir müssen zu Waggon H, dort sind unsere Plätze.“ Seine riesige Sporttasche geschultert, ging Sandro voran. ~ Kaum französischen Boden unter den Füßen, ließ Sandro mir keine Sekunde Zeit für Sightseeing. Obwohl der orange beleuchtete Eiffelturm und die vom frischen Neuschnee gepuderte Stadt wie ein Wintermärchen aussah, das danach verlangte, von meiner Kamera eingefangen zu werden. Meine Füße schwebten geradezu über dem Boden, ich war… Ja, was? Glücklich?! Erschütternd, dass mir dieses Gefühl so eigenartig fremd vorkam. Mein Herz schlug so heftig und ich lief nahezu über vor Glück. Ich konnte es mir nicht erklären, fröstelte, inhalierte das Leben der pulsierenden Metropole. Nicht mehr als das war ich letztlich auch; ein Mensch, in dem das Leben von Millionen Atomen vibrierte wie die Stadt, die Millionen Menschen beherbergte, und über uns die Millionen Himmelskörper, die das Universum beinhaltete. Fühlte mich jung und entsetzlich alt zugleich. „Vom Balkon meiner Tante hast du eine viel bessere Aussicht auf den Eiffelturm als hier.“ „Wenn du meinst…“, sagte ich und ließ das Smartphone sinken. Wie konnte er so unbeeindruckt da stehen! Gut, er war schon viel öfter in Paris gewesen als ich, aber trotzdem. „Komm, lösen wir die Métro-Tickets.“ Er zog mich zu den Automaten vor den Drehkreuzen, die ein flinker Kerl in Jogginghosen gerade gekonnt übersprang. „Métro-Ticket“, wiederholte ich verzückt. Mein erstes Mal in der Pariser Métro! Dieses Ticket würde ich wie einen Schatz aufbewahren. Wie jeden anderen Schnipsel, der mich an diese Reise erinnern würde. Wir durchquerten das Drehkreuz, warteten vor der Absperrung, die sich erst öffnete, als die Métro einfuhr, und quetschten uns dann in den vollen Waggon hinein. Fasziniert beobachtete ich diese beiden Teenie-Mädels schräg gegenüber, die sich so angeregt unterhielten, dass ich nur jedes fünfte Wort verstand. Obwohl ich nochmal in meine Schulhefte hineingeschaut hatte... Wie gut Sandro sich wohl verständigen konnte? Ich schielte zu ihm, wie er sich mit der einen Hand sich an einer Halteschlaufe festhielt, und mit der anderen etwas in sein Handy tippte. Ich wollte ihn so gern französisch sprechen hören. Aber er trug ohnehin seine drahtlosen Kopfhörer. Eine knappe Stunde später standen wir vor dem überdachten Hauseingang in einer ruhigen Seitenstraße. Ich war leicht nervös, klammerte mich an dem hübschen roten Weihnachtsstern fest, mein Mitbringsel für Sandros Tante aus einem Blumenladen hier in der Nähe. „Âllo?“, krächzte jetzt eine weibliche Stimme durch die Sprechanlage des Wohnblocks, die mit einer Kamera ausgestattet war. Puh, was mussten diese Wohnungen kosten… „Wir sind es“, antwortete Sandro und der Summer ertönte. Im Treppenhaus drückte er auf den Knopf des Fahrstuhls, der sich glücklicherweise auch sofort öffnete. „Hat sie viel mit deinem Vater gemeinsam, deine Tante?“, fragte ich, als wir ihn betraten. Er drückte auf den Knopf mit der 6. „Nee. Dann würde ich sie kaum so oft besuchen. Sie ist das komplette Gegenteil zu ihm. Kultiviert, weltoffen, reflektiert… und Kinder hat sie keine. Sie hat es unter allen Widrigkeiten fertig gebracht, in Paris Philosophie und Soziologie zu studieren, weil das in ihrer Jugend ihr größter Wunsch war, und ist danach nie wieder zurück nach Deutschland. Dafür bewundere ich sie. Jetzt ist sie dort Dozentin an der Uni, und Vater redet kein Wort mehr mit ihr. Deswegen habe ich fleißig Minuspunkte bei ihm gesammelt, jedes Mal als ich sie besuchen kam, aber das war es mir wert.“ Er zuckte die Achseln. „Pass auf, Aber manchmal kann sie schon ein Snob sein. Aber sie musste in ihrem Leben wirklich immer hart arbeiten.“ Endlich öffneten sich die metallischen Türen und er ging voran. An der Schwelle ihrer Wohnungstür stand eine untersetzte Frau mit Brille und einem kantigen Kurzhaarschnitt mit silbernen Strähnen, die Arme ausgestreckt. Die Perlenkette auf ihrem Rollkragenpullover verrutschte dabei. „Tante Martha!“, rief Sandro feierlich und breitete ebenfalls die Arme aus, und ich staunte darüber, dass er plötzlich wie ausgewechselt war. „Sandro! Ich freue mich so!“ Küsschen hier, Küsschen da, auch mich begrüßte sie auf diese Art. „[iSalut Dominique! Herzlich willkommen in Paris.“ Meine Güte, sie sprach meinen Namen aus wie meine Französischlehrerin! Ein markantes Parfüm, das den Zigarettengeruch aber nicht überdeckte. „Guten Abend Madame, vielen Dank für Ihre Einladung, und hier ist ein kleines Mitbringsel.“ Den Blumentopf nahm sie lächelnd entgegen. „Merci, und nicht so förmlich, nenn mich einfach Martha!“ Die warme, helle Wohnung empfing mich freundlich. Hörte ich Vogelgezwitscher aus dem Wohnzimmer? Sandro steuerte zielbewusst die zweite Tür an. „Fühlt euch wie zuhause, ihr müsst euch sicher ausruhen von der langen Fahrt. Wenn ihr soweit seid, kommt in die Küche. Dann bestellen wir uns Abendessen beim Lieferdienst.“ Ich hängte meine Jacke an die Garderobe, zog die Schuhe aus und folgte Sandro ins Gästezimmer. Ein ordentliches, nach Staub riechendes Zimmer empfing mich, es war nicht sehr geräumig, aber geschmackvoll eingerichtet in pastelligen Farben. „Sorry, jetzt hab ich dir schon die Entscheidung abgenommen, welches Bett du nimmst. Die Macht der Gewohnheit“, antwortete er auf der schmalen Matratze liegend, alle Viere von sich gestreckt. „Das ist übrigens das allererste Mal, dass ich jemanden zu Martha mitbringe.“ „Da fühle ich mich aber geehrt“, murmelte ich, ging auf das Bücherregal zu, das fast die ganze Wand einnahm. Bestimmt hatte Sandro fast alles davon gelesen. Ich betrachtete neugierig die Buchrücken, entdeckte namhafte Autoren, vor allem Philosophen. „Den hier sollte man auf keinen Fall lesen, wenn man eh schon depri drauf ist“, meinte Sandro und deutete mit dem Finger auf die Bücher von Kierkegard. „Sartre hab ich mit Siebzehn gelesen, Proust mit Achtzehn, zugegeben das war etwas früh. Tja, da dachte ich, dass ich für ein Philosophiestudium bestens vorbereitet wäre, naja, wie man sich halt irren kann... Egal, das liegt hinter mir... Ach und Foucault, den solltest du unbedingt lesen.“ Ich deutete auf Sämtliche Werkevon Kafka, ein etwas breiteres Taschenbuch, das stark zerlesen aussah. „Ist das alles, was er in seinem ganzen Leben geschrieben hat?“ „Tja. Der wurde ja auch leider nicht alt.“ Ich schrie leise auf, als Sandro mich mit seinen starken Armen so aufs Bett zog, dass ich quasi auf ihm lag. „Wir sollten lieber rübergehen, deine Tante wartet auf uns.“ „Ja, sie sagte aber auch, wenn wir soweit sind. Und da Worte ihre Profession sind, meint sie auch genau so, was sie sagt. Wollen wir ein paar Kurzgeschichten zusammen lesen?“ Seine Bartstoppeln kratzten mich. „Oder suchst du eine andere Art von Entspannung?“ Seine Finger wanderten tiefer meinen Körper hinab und ich sog die Luft ein, als er sich an meinem Reißverschluss zu schaffen machte, „ehrlich gesagt, war ich die komplette Zugfahrt über scharf auf dich…“ ~ Von uns dreien hatte ich den besten Platz am Tisch: Richtung Fenster, mit Blick auf Paris. Sandro hatte wirklich nicht zuviel versprochen. In ihrem Käfig in der Ecke am Fenster, saßen Marthas Sittiche nebeneinander und zwitscherten fröhlich vor sich hin, ein Blauer und ein Grüner. Wahrscheinlich deswegen, weil wir drei uns ebenso eifrig unterhielten. Endlich traute ich mich die Frage zu stellen, die mich schon das ganze Essen über beschäftigt hatte: „Die beiden Jungs auf dem Foto, sind das Sandro und Mario?“ Martha folgte meinen Blick auf das gerahmte Bild an der Wand. Darauf waren zwei kleine Jungs mit hellblondem Haar zu sehen. Sie saßen in Badehosen am Strand und bauten eine Sandburg. Einer der beiden hatte sich einen Eimer auf den Kopf gesetzt und grinste mit seinen Zahnlücken in die Kamera. „Ja. Stimmt, das sind die Zwillinge.“ Martha lächelte. „Weißt du noch, welcher davon du bist, Sandro?“ „Lasst mich raten“, kam ich ihm zuvor. „Bestimmt der, der so böse schaut.“ „Ich schau nicht böse. Ich blinzele nur in die Sonne“, verteidigte sich Sandro und wir lachten. „Aber Martha, du warst kaum präsent in unserem Leben, in unserer Kindheit. Für Vater warst du immer nur die Snob-Tante aus Paris. Und besuchen durften Mario und ich dich das erste Mal mit Dreizehn“, sagte er fast vorwurfsvoll. „Nun ja… ich dulde Kinder in meiner Wohnung erst dann, wenn sie sich selbst versorgen können, tut mir leid, aber ich habe nun mal meine Prinzipien.“ Martha kicherte, griff in die Schublade an dem Schrank hinter ihrem Stuhl. „Wie wäre es mit einer Runde Quid pro quo?“ Sie entnahm ihr eine Box mit Spielkarten. „Aber die Psychodynamik ist nicht zu unterschätzen...“ „Wie wird es denn gespielt?“, fragte ich, neugierig geworden. Sie mischte die Karten. „Jeder von uns zieht vier Karten. Dann wird reihum gezogen. Wer die ranghöchste Karte hat, beginnt. Der Ranghöhere darf dem rangniederen eine persönliche Frage stellen. Ein Spiel, bei dem die Psychodynamik nicht zu unterschätzen ist. Traut ihr euch?“ Sandro betrachtete sie mit seiner gekräuselten Stirn, als misstraue er ihr. „Der Rangniederste darf also niemandem eine Frage stellen?“ „Ja, genau. Wie es eben so ist im Leben, allein das Glück entscheidet.“ Martha hielt mir die Karten hin, und ich zog vier davon, die ich verdeckt vor mir ablegte. Nach einigem Zögern zog auch Sandro seine Karten. „Im Uhrzeigersinn ziehen wir nun eine Karte von unserem rechten Nachbarn. Dominique, du als Gast darfst beginnen. Wähle eine von Sandros Karte aus, und decke sie auf.“ Das tat ich. Ein Pik-Ass. Das fing ja gut an. Sandro wiederum drehte eine Karte von Martha um. Kreuz-König. Nun war Martha an der Reihe und sie deckte meine Herz-Neun auf. Somit war ich der Rangniederste, und durfte niemanden eine Frage stellen. Sandro stützte das Kinn auf seine Ellbogen. „Eine Frage, egal zu welchem Thema?“ Martha nickte. „Und wie ehrlich musst du die beantworten?“ Martha lächelte bloß. „Wieso hab ich den Verdacht, dass du dir dieses Psycho-Spiel gerade eben ausgedacht hast?“ „Wie lautet denn deine Frage, Sandro?“ Man konnte das Ticken der Wanduhr hören. Sogar die Vögel waren verstummt. Er musste nicht lange überlegen. „Also gut. Meine Frage an dich lautet: Hast du immer noch Schuldgefühle?“ Ich schaute gespannt zwischen den beiden hin und her. Der intensive Blickkontakt, als führten sie einen Dialog via Telepathie, verschaffte mir eine Gänsehaut. So eine starke Verbindung hatten sie, stärker als zwischen Vater und Sohn. Schließlich wandte Martha den Blick ab. Sandro nickte unmerklich, und da war wieder diese Falte zwischen seinen Brauen. „Also ja. War mir aber klar gewesen.“ Martha blickte mich fast schon streng an. „Gut, Dominique, dann darf ich dir eine Frage stellen: Wofür hast du dich zuletzt geschämt?“ Uff! „Geschämt?!“ Ich musste nachdenken, ließ die letzten Wochen Revue passieren, während die beiden mich beobachteten. Der Spiegel… aber eigentlich nicht der Spiegel und sein Nachspiel. Sondern vielmehr, wie ich damit umging... „Ich habe mich dafür geschämt…“ Ich senkte den Blick, begutachtete den Weihnachtsstern auf den Tisch. „Dass ich Sandro gar nicht gebeichtet habe, dass ich neulich betrunken mit Linus gevögelt habe.“ Ich biss mir auf die Unterlippe und spürte ihre Blicke auf mir. „Ist doch okay“, sagte Sandro leise. „Nichts zu beichten.“ „Wirklich?“ Tief in mir hätte mir ehrlich gesagt eine andere Reaktion von ihm gewünscht. Martha, wie als würde sie die Stimmung wittern, erhob sich vom Tisch. „Wie gesagt, das Spiel ist nicht ohne! Es ist spät, ich gehe jetzt ins Bett. Bon Nuit, schlaft gut!“ Sie nahm ein dünnes Tuch, das sie über den Vogelkäfig ausbreitete. Schweigend sahen wir ihr zu. Auf halbem Weg zum Schlafzimmer drehte sich noch einmal um. „Und nicht hier drin rauchen, Sandro, ja? Das ist nicht gut für die Vögel.“ „Weiß ich doch.“ Als sie weg war, stand Sandro auf öffnete die Balkontür. Ein kühler Luftzug zog ins Zimmer und ich stand auf und gesellte mich zu ihm ans Balkongeländer. Ein Déjà-vu… Mit einem Kopfnicken zeigte Sandro auf den Eiffelturm. „Als ich einmal zum Gay Pride hier war, da hat er in Regenbogenfarben geleuchtet.“ „Cool. Das musst du mir mal erzählen.“ Schweigend betrachtete ihn beim Zigarette anzünden. Sandro, der lebendiger und interessanter war als jeder Turm aus Stahl. Es ging mir letztlich gar nicht so sehr darum, nach Paris zu fahren. Es ging vielmehr darum, mit Sandro irgendwohin zu fahren. Solange es nur Sandro war. „Hat es dich nicht erschüttert?“, sprach ich ihn an. „Was?“ „Meine Beichte eben. Damit du es weißt: Es keine Wiederholung geben. Und ich werde mich auch nie wieder so mit Alk abschießen.“ Als er gar nichts sagte, wurde ich nervös. „Sag doch was, bitte.“ Sandro zuckte die Schulter. „Was soll ich denn sagen? Für Sex muss man sich auch nicht schämen. Ich bin weiß Gott kein Heiliger. Warum machst du dich so verrückt deswegen?“ Ich schnaubte. Eine Ansage, die Simon nicht besser hätte formulieren können. „Warum? Kann ich dir sagen: Da mochte ich dich doch schon, zu dem Zeitpunkt! Das hätte nicht passieren dürfen! Nicht mal mit drei Promille!“ Ohne es zu wollen, wurde ich laut. „Ist es aber. Und nun?“ Die Richtung, die dieses Gespräch nahm, missfiel mir. Fehlte nur noch, dass er mir eröffnete, dass wir sowieso nicht exklusiv waren, von Anfang an nicht… Mit wem hatte er eigentlich in der Métro geschrieben? Vielleicht war das einfach das Naturell schwuler Beziehungen? Ohje, wurde ich jetzt eifersüchtig? Ich zitterte, spürte die Kälte in den Knochen und verkündete, mich bettfertig zu machen. Sandro folgte mir nicht, als ich hinein ging. Es dauerte einige Zeit, bis er mir ins Gästezimmer folgte. Frisch geduscht schlüpfte er unter seine Bettdecke. Ein guter Meter trennte unsere Betten voneinander. „Darf ich das Licht ausschalten? Oder möchtest du weiterlesen?“ „Ist gut, lass uns schlafen.“ Das Buch legte ich auf den Nachttisch. „Um wie viel Uhr fahren wir morgen zur Klinik?“ „Ich fahre zur Klinik“, betonte er. „aber du wirst dort nicht versauern. Du schaust dir die Stadt an: Triumphbogen, Sacré-Cœur, Notre-Dame, die Champs-Élyssés, Mona Lisa und all das…“ „Wow. Ich darf dich jetzt also nicht mal in die Klinik begleiten. Gut, dass das schon mal geklärt wäre.“ Ich schnaubte, ich war wütend, ich war eifersüchtig aber zu all dem hatte ich keinen Grund, und das machte mich noch wütender. „Dann erkunde ich halt alleine die Stadt, nicht? Vielleicht finde ich die Gay-Bars. Kann es kaum erwarten! Hab dir bestimmt viel zu erzählen morgen, falls es dich überhaupt interessiert.“ Ich wickelte mich in die Bettdecke ein und wollte nichts mehr hören oder sehen. „Natürlich interessiert es mich. Schlaf gut.“ Damit löschte Sandro das Licht. ~ Mitten in der Nacht wurde ich wach von einem Schluchzen und wurde hellhörig. „Sandro? Brauchst du irgendwas?“, fragte ich in die Dunkelheit, in der ich seine Umrisse nur erahnen konnte. Statt einer Antwort schluchzte er immer heftiger, und ich stieg aus meinem Bett, auf den kalten Fußboden, und legte mich zu ihm. Ich rutschte ganz nah an ihn heran. Befühlte seine Gesichtslandschaft, wischte über die Tränenspur. „Diese verdammte Stadt macht mich immer so sentimental.“ „Stress dich nicht. Es ist total in Ordnung, Angst zu haben vor dieser OP. Ich hätte jedenfalls eine Scheißangst.“ „Ich hätte dich gar nicht mitnehmen dürfen“, flüsterte er mir zu. „So ein Quatsch. Ich bin froh, hier bei dir zu sein.“ Ich legte meinen Arm um ihn, drückte mich so eng an seinen warmen Körper, wie es nur ging. Ich spürte, wie sein Beben weniger wurde und nach und nach tiefen, ruhigen Atemzügen wich. Auch seine Anspannung fiel von ihm ab. „Schlaf weiter, Sandro, ich pass auf dich auf.“ ~ Nach neun Uhr wurde ich am nächsten Morgen wach. Zu spät! Sandro lag bestimmt schon unter dem Messer! Noch nie war ich so enttäuscht über die leere Betthälfte neben mir, enttäuscht von mir selbst, mein Versagen, einfach verpennt zu haben. Ich hatte ihn ohne Abschiedskuss oder ermunternde Worte in die Klinik gehen lassen. Lag da ein Zettel auf dem Nachtschrank? Stirnrunzelnd las ich ihn: Guten Morgen, Süßer. Schau mal unter dein Bett. Das tat ich auch, und entdeckte dort einen Stoffbeutel. Ein weißes Paar nagelneuer Schuhe in meiner Größe lag darin, das Logo und die Schnürsenkel in knalligem Neongrün gehalten. Ich las den beiliegenden Zettel: „Hättest du eigentlich erst an Weihnachten bekommen sollen, aber mir gefällt der Gedanke, dass du heute den ganzen Tag an mich denkst, während du auf eigene Faust Paris erkundest. Deine Füße haben nur das Beste verdient. Viel Spaß heute! Sandro Ich war baff. Das waren Schuhe zum Joggen! Mein Fuß schlüpfte hinein und schmiegte sich so geschmeidig in diesen Schuh, als wäre er eigens für ihn angefertigt worden, und es lief sich damit wie auf einer Wolke. Fantastisch! Ich zog mich fertig an und begab mich dann ins Esszimmer, wo Martha vor dem Laptop saß, eine Tasse daneben, die Vögel putzten schweigend ihr Gefieder. „ Bonjour Martha.“ Sie schaute von ihrem Computer auf. „ BonjourDominique. Neun Uhr ist die beste Zeit aufzustehen, Paris erwacht spät. Möchtest du ein Croissant, einen Kaffee?“ „Nein danke. Ich bin eh schon viel zu spät dran.“ Wie eine Dame, die sich in ein Kleid aus dunstigen Nebelschleiern gehüllt hatte, begrüßte mich der Eiffelturm, als ich zum Balkon herausschaute. Sandros Lieblingswetter. Möge es ihm Glück bringen. „Alles in Ordnung bei dir?“ Ich zuckte die Achseln. „Er hat mich nicht geweckt, und ich habe verschlafen.“ „Das wollte er wohl so. So ist Sandro. Er macht fast alles mit sich selbst aus.“ „Mhh. Dann werde ich mal losgehen, mir einen Coffee to go holen und mir eine Tageskarte für die [iMétro kaufen, ich habe ein volles Programm.“ „Tu das. Ich gebe dir mal meine Telefonnummer, falls du in irgendwelche Schwierigkeiten kommen solltest.“ Sie kramte in der Schublade und hielt mir dann ihre Visitenkarte hin. „Und das dabei zu haben, könnte auch nicht schaden.“ Damit reichte sie mir auch noch einen zusammengefalteten Stadtplan. „Ich habe mich anfangs nämlich immer verlaufen. Naja, nach ein paar Jahren auch noch manchmal, aber erzähle das keinem.“ Sie kicherte. Auch ich grinste. „Danke, Martha, aber ich habe doch Google Maps.“ Ich zögerte, wollte eine Frage stellen. Das schien sie mir anzumerken. „Ist noch etwas? „Wenn ich fragen darf… Was genau hat Sandro mit den Schuldgefühlen gemeint gestern?“ Sie blickte mich erstaunt an. „Nun ja… Du kennst ja seine Vergangenheit? Ich war nicht für ihn da, als er mich am dringendsten gebraucht hätte. Ich habe ihn in seiner Trauer und mit seinem Vater allein gelassen, ein fataler Fehler, aber ich musste arbeiten und noch vor seinem Geburtstag abreisen. Es war wohl seine Art, mich dafür zu bestrafen.“ Ich starrte sie entsetzt an. „Meinen Lebtag lang werde ich deswegen Gewissensbisse haben. Das ist paradox, schließlich halte ich Vorlesungen über Schuld, Ethik, Gerechtigkeit… predige meinen Studenten, dass man aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen kann…“ Sie brach ab und schüttelte den Kopf. „Was zählt das alles, wenn mein einer Neffe verunglückt ist, und ich den anderen auch noch fast verloren hätte.“ „Du musst dir selbst vergeben, Martha.“ Ich mochte diese Frau, sehr sogar. Schon jetzt fühlte ich mich mit ihr so verbunden, als wäre sie meine eigene Tante. Ich wollte gar nicht daran denken, dass ich mich in wenigen Tagen schon wieder von ihr verabschieden musste. „Au revoir ! Bis heute Abend!“ ~ Abends kam ich geschafft zurück zu Marthas Wohnung, es war bereits dunkel. Doch ich hatte meine Mission erfüllt, in dieser Stadt ein Weihnachtsgeschenk für Sandro zu finden. „[í] SalutDominique, willkommen zurück.“ „Hallo Martha. Ich bin echt kaputt. Ich habe so viel gesehen! Der Triumphbogen ist ja so riesig, den hätte ich mir viel kleiner vorgestellt... Und ich war auch dort, wo Prinzessin Diana verunglückt ist.“ Sie lächelte amüsiert. „Du bist doch hoffentlich nicht von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten gehetzt?“ „Würde ich nicht sagen, nein. Ich war auch in einem Café, wo ich Postkarten an Freunde geschrieben habe. Aber… das mit den öffentlichen Toiletten, da hättest du mich ruhig mal vorwarnen können!“ „Wieso? Was ist dort vorgefallen?“ „Also wenn mich jemand nicht in letzter Sekunde herausgezogen hätte, dann hätte ich eine Komplettdusche verabreicht bekommen.“ Martha gackerte aus vollem Hals los. „Aber solange du dich nicht verlaufen hast…“ „Doch, einmal schon…Dafür habe ich zufällig einen Trödelmarkt gefunden.“ „Ahh, ich liebe es, über Trödelmärkte zu flanieren…“ „Ist Sandro schon da?“ Meine Nachricht hatte er gelesen, und meine Statusmeldungen mit den Sehenswürdigkeiten angeschaut. Mein Lieblingsfoto war das mit dem Gullideckel neben meinen brandneuen Schuhen. Paris war die Stadt, in der sie sogar die Gullideckel hübsch verzierten. „Ja, er ruht sich aus. Er kam am Nachmittag aus der Klinik zurück, die Operation ist ohne Komplikationen verlaufen, und hat sich dann gleich hingelegt.“ „Okay…“ „Hast du Hunger, soll ich dir was Schnelles machen?“ „Nicht nötig, ich habe Crèpes gegessen.“ „Setzt du dich trotzdem kurz zu mir, bitte?“ Sie klappte ihren Laptop zu. Oh. Ich schluckte bang, als ich am Esszimmertisch ihr gegenüber Platz nahm, wo wir gestern so fröhlich beieinander gesessen hatten. Kam jetzt eine Ansage? Dass sich Sandro auf seine Genesung konzentrieren musste und ich ihren Neffen daher in Ruhe lassen und nach Hause fahren sollte, oder sowas in der Art? „Ich wollte es heute Morgen schon ansprechen, aber du schienst es da sehr eilig gehabt zu haben, und ich wollte dich nicht aufhalten. Also sage ich es dir jetzt. Sandro meinte, dass er sich ein wenig um dich sorgt.“ „Er um mich? Wieso das denn?“ Nun war ich wirklich verwundert. „Ja, natürlich sorgst du dich auch um ihn, vielleicht noch ein Stück mehr. Ich habe ihn übrigens schon lange nicht mehr so glücklich erlebt, du tust ihm wirklich gut.“ Sie spiegelte mein Lächeln bei diesen Worten. „Weißt du, wie er von dir gesprochen hat? Dass du ihm neue Sichtweisen aufzeigst, dass er vieles infrage stellt, seit er dich kennengelernt hat, und du andauernd in seinen Gedanken bist.“ „Wieso… wieso sagt er mir das nicht selbst?“ „Tja. Nun… Sandro konnte noch nie gut über seine Gefühle sprechen. Da ist er ganz wie sein Vater.“ „Ja das stimmt, aber er kann sie immerhin in metaphorische Songtexte packen und in die Welt herausbrüllen lassen.“ Da lachte Martha gackernd. „Er meinte übrigens auch, dass du das Zeug zum Sozialarbeiter, oder Psychologen hättest.“ „Was, ich?!“ „Aber eben auch, dass er den Eindruck hat, dass du etwas ziellos vor dich hinlebst, und Bedenken hast, Entscheidungen zu treffen.“ Aha! Da war er also, der wahre Grund für meinen Besuch! Ich faltete die Hände auf dem Tisch. „Da hat er wohl nicht ganz Unrecht, fürchte ich... Ich habe auch viel zu viel getrunken die letzte Zeit, so kenne ich mich gar nicht.“ „Das ist doch keine Schande! Weißt du, vor acht Jahren saß Sandro selbst auf dieser Eckbank und wusste überhaupt nicht, wohin mit sich im Leben, er wusste nur, dass er sein Studium auf keinen Fall weitermachen kann.“ Ich ahnte, dass dieses wohl eine der schwierigsten Gespräche in Sandros Leben gewesen sein musste – seiner Tante zu gestehen, dass er die Philosophie an den Nagel hängen wollte, und das nach der Lektüre von diesen ganzen Philosophen in so jungen Jahren. Da hätte ich wahrlich nicht in seiner Haut stecken wollen. Martha fuhr unbeirrt fort: „Das ist auch völlig in Ordnung eine zeitlang, nur muss es halt irgendwie weitergehen. Also hatten wir uns zusammengesetzt und überlegt, welche Möglichkeiten er hat, und welche Wünsche und Ziele für sein Leben. Es macht mir Freude, wenn ich einem jungen Menschen helfen kann, seinen Weg in der Welt zu finden. Die Welt ist groß und kann beängstigend sein, aber sie steckt im Grunde voller Möglichkeiten.“ Ich nickte schwach. Viel zu viele Möglichkeiten. Erdrückend. „Du hast noch meine Visitenkarte, oder? Ruf mich an, wenn du Fragen hast, egal was, oder schreibe mir einen Brief, oder eine E-Mail, was auch immer. Fände ich schön, in Kontakt zu bleiben. Muss auch nicht von Sandro abhängen, denke das auf keinen Fall! Wo Gefühle im Spiel sind, lässt sich nie etwas planen oder vorhersagen.“ Dem konnte ich nicht widersprechen. „Wenn du dich wo bewerben willst, ich werf gerne mal einen Blick auf deine Unterlagen; ich habe ein paar nützliche Kontakte, die sich freuen würden, zu helfen. Und wenn du eine Unterkunft suchst, könnt ich dir auch behilflich sein. Ich hätte mir gewünscht, so jemanden damals gehabt zu haben. Nichts ist aussichtslos, für alles gibt es eine Lösung, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint.“ Netterweise hatte mir meine Schwester heute eine Nachricht geschrieben, in der sie mich noch einmal an das Ultimatum erinnert hatte, und gefragt, wo ich war. Noch hatte ich darauf nicht geantwortet. „Martha“, seufzte ich. „Ich stecke echt in der Klemme!“ „Was bedrückt dich denn?“, fragte sie und legte den Kopf schief. Da brach alles aus mir hervor, ich kam von einem zum anderen, aber vor allem erzählte ich von dem Ultimatum, das mich plagte und meine Zukunftspläne, die noch nicht in Form gegossen waren. Dabei war ich doch schon Neunzehn, und mir lief die Zeit davon. Martha gackerte. „Das ist doch gar kein Alter. Kriegen wir hin, Dominique. Ich kann dir die Arbeit natürlich nicht abnehmen, in dich zu gehen und nach deinen Stärken zu forschen, aber ich kann dir einen Denkanstoß mitgeben…“ Sie schaute zum Kalender an der Wand. „Es sind noch ein paar Tage Zeit. Wenn du möchtest, erarbeiten wir morgen gemeinsam einen Plan, den du deiner Schwester präsentieren kannst. Wozu hat man denn an Weihnachten ein paar freie Tage und Ruhe, sich zu besinnen! Wenn sie dich so sehr unter Druck setzt, dann wohl nur aus dem Grund, weil du ihr wichtig bist, und sie nicht will, dass du etwas tust, was du später bereuen könntest.“ „Danke, Martha. Das bedeutet mir wirklich viel! Ich weiß, dass ich studieren möchte, nur noch nicht genau, was!“ Ich fühlte mich wirklich, als hätte sie eine schwere Last von meinen Schultern genommen. „Sag mal… Kennst du dich auch mit Musik ein bisschen aus, oder mit Antiquitäten? Ich habe nämlich auf dem Trödelmarkt etwas gefunden…“ Ihre Braue wanderte überrascht in die Höhe, noch etwas, das Sandro mit ihr gemeinsam hatte. „Jetzt hast du mich neugierig gemacht, Dominique. Lass mal sehen.“ Ich holte also den Knüllen Zeitungspapier aus meinem Rucksack und schälte die kleine Schatulle daraus hervor. Dunkles Holz, und diese vergoldeten Elemente erinnerten mich an die Piano-Bar neulich. „Sehr hübsch“, staunte Martha. „Warte ab, bis du hörst...“ Ich öffnete den Deckel der Schatulle, was den rostigen Mechanismus freigab. Eine diffizil geschnitzte Ballerina drehte sich um ihre Achse. Und schon legte eine Art Tonband los, die Stimme einer Frau, die mich von der ersten Sekunde an verzaubert hatte. Angeblich seine grand-mère, was mir der Flohmarktverkäufer mit Händen und Füßen erklärt hatte. Kein Instrument, diese zärtlich-melancholische Mezzosopranstimme erfüllte ganz alleine den Raum. Mehr gesummt als gesungen, als wolle sie ihren Geliebten nicht wecken, der noch im Bett schlummerte, nach ihrer letzten gemeinsamen Nacht. Während sie beim ersten Licht des Tages an der Frisierkommode saß, sich schminkte und diesen Abschiedsgruß an ihn aufnahm, dabei die Musselinvorhänge betrachtete, die die morgendliche Brise blähte, in dem Wissen, dass sich dieser Moment niemals wiederholen würde, nicht in diesem Leben. Diese Geschichte war wie ein film noir vor meinem geistigen Auge abgelaufen, als ich diesem Gesang gelauscht hatte. Sie zog die Silben in die Länge, betonte ganz eigenartig ihre Worte. Nicht mal eine Minute dauerte der Spaß an, doch mir stockte der Atem beim Zuhören. „Magnifique! C’est unique!“ Marthas Stimme war nur ein Hauchen, ihre Augen glänzten. „Klingt wie ein Schlaflied für ihr bébé. Wirklich außerordentlich. Guter Geschmack, ein Glücksgriff!“ „Ist das auch nicht…naja, zu kitschig, was meinst du?“ „Kitschig? Das ist eine wahre Kostbarkeit!“ Ich blickte zur Seite, und da stand Sandro. „Au Scheiße!“, hörte ich mich sagen und sprang auf. Ihn so zu sehen… seinen linken Arm bis zum Ellbogen in einen Verband gehüllt und mit einer Trageschlaufe um den Hals befestigt. Und zu allem Übel auch noch in Weiß, was so gar nicht zu ihm passte. Natürlich hatte ich mir es so in etwa vorgestellt, doch ihn leibhaftig so zu sehen, war etwas, das ich erst einmal verkraften musste. Ganz behutsam umarmte ich ihn, um ihm nicht wehzutun. „Das… solltest du noch nicht sehen. Das ist doch dein Weihnachtsgeschenk!“ „Zu spät“, sagte Sandro und lächelte. „Du trägst deine Schuhe ja auch schon. Passen sie?“ „Perfekt“, entgegnete ich und grinste wie ein Irrer. „Damit werde ich nächstes Jahr endlich mit Joggen beginnen.“ „Gut. Ich konnte dich in deinen durchgekauten Chucks nämlich nicht mehr sehen.“ Er nahm auf der Couch im Wohnzimmer Platz, und ich gab ihm die Schatulle, damit er sie noch einmal abspielte. Alle drei spitzten wir die Ohren, versanken in diesem Moment, der eine eigenartige Mystik besaß. Wir schwiegen eine ganze Weile, nachdem die Sängerin verstummt war. Da war er wieder, dieser verschwörerische Tante-Neffe-Blickkontakt. „Ich geh mal eine rauchen“, verkündete Martha nun und verschwand auf den Balkon hinaus, während sie in ihre Strickjacke schlüpfte. Ich setzte mich neben Sandro, lehnte mich an ihn. „Martha ist wirklich das Beste, was mir passieren konnte. Ich mag sie sehr!“ Ich beobachtete sie, wie sie draußen ihre Zigarette rauchte. In ihren Gesten erkannte ich Sandro direkt wieder. Ihre Verwandtschaft konnte man einfach nicht leugnen. „Ja, sie ist wirklich eine außergewöhnliche Frau. Aber erzähle mal. Wie waren die Gaybars?“, wollte er wissen. Ich schüttelte den Kopf. „Nee. Wenn, dann gehe ich nur mit dir zusammen da rein.“ Sandro seufzte. „Tu mir einen Gefallen, Dominique: Verlieb dich nicht in mich.“ „Warum nicht?“ „Weil es in meinem Zustand einfach anmaßend wäre, deine Fürsorglichkeit auszunutzen!“ „Das ist der Grund? Lass mich mal schön selbst entscheiden, in wen ich mich verliebe, Sandro! Dafür ist es nämlich schon längst zu spät! Ich bin total verknallt in dich. Nicht erst seit Paris. Du bist morgens das Erste, woran ich denke, und abends das Letzte, bevor ich einschlafe. Das klingt verdammt kitschig und ich bereue sicher dir das gesagt zu haben, aber es ist besser, als zu bereuen, es niemals gesagt zu haben, ganz egal, wie du das zwischen uns definierst. Ob das jemals etwas Festes, etwas Exklusives werden soll. Aber ich für meinen Teil kann sagen, dass ich es nicht ertragen könnte, dich mit irgendwem zu teilen.“ „Süßer…“ Sandros Hand, die nicht bandagiert war, ergriff meine und hielt sie ganz fest. „Das ist unheimlich. Dass du schon so viele Facetten von mir kennengelernt hast. Gottverdammt, du hast sogar Vater kennengelernt…“ „Ja. Das ließ sich nun wirklich nicht vermeiden, wenn er in dem Pflegeheim untergebracht ist, in dem ich arbeite.“ Sandro rang sich ein Lächeln ab, nickte bedächtig. „Ja. Vielleicht war es so herum wirklich der einzige Weg. Sonst hätte ich es niemals über mich gebracht.“ „Durchaus verständlich. Aber ich fand es stark von dir, dass du mich zu Mario mitgenommen hast, echt stark. Ab da wusste ich wirklich, dass du mich irgendwie mögen musst. Und mir vertraust.“ „Ja“, hauchte er. „Du wirst mir aber so oder so das Herz brechen, ich weiß es.“ „Unfug“, entgegnete ich. „Du wirst mein Leben immer rocken. Und weißt du auch, warum? Weil wir über unsere Gefühle reden!“ Ich konnte nicht mal Luft holen, denn im nächsten Moment küsste er mich. So leidenschaftlich. Mein Herz drohte davonzufliegen. Hinaus, über die weißen Dächer des nächtlichen Paris, Eine traumhafte Kulisse, inmitten tanzender Flocken… In Sphären, in denen all unsere weltlichen Belangen bedeutungslos waren. Einer Zukunft entgegenblickend, in der alles ins Lot rücken würde. Sandros Hand, die sicher erholen würde; meine beruflichen Pläne, die ich umsetzen würde, sobald ich wieder zuhause wäre… Weil ich plötzlich fest daran glaubte. Ich an mich, und nicht an einen der vielen Götter dieser Welt! Das war das einzige, das zählte. ~ Ende ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)