Die Gefühle, über die wir nicht reden von Evilsmile ================================================================================ Kapitel 13: Schach ------------------ Drei Stunden vor dem offiziellen Beginn der Party klingelte ich an der Haustür von Jos Elternhaus im Westend. Der Kombi seines Vaters stand heute nicht in der Einfahrt. Wie auch immer Jo es geschafft hatte, seine Eltern heute aus dem Haus zu bekommen… Aber sie waren eh die coolsten Eltern auf diesem Planeten. „So früh, Dome, ernsthaft?“, begrüßte er mich. „Ich habe viel vor in deiner Küche!“, verkündete ich euphorisch. Mit meinen zwei vollen Taschen zwängte ich mich an ihm vorbei. „Machst du wirklich Sushi, wie du angekündigt hast?“ „Ja, mit Gemüsefüllung. Dazu gibt es einen veganen Nudelsalat. Und Blätterteigtaschen. Zu trinken eine alkoholfreie Bowle. Guck nicht so, dir bricht kein Zacken aus der Krone, wenn du einmal vegan isst, daher dachte ich, ich mach keine Extrawürste. Ach ja, und noch die Smoothies. Habe also genug zu tun.“ „Dann mal ran an den Speck.“ Damit verzog er sich die Wendeltreppe nach oben und überließ mir das Feld. Ich liebte auf Jos riesige, schwarz geflieste Küche mit Durchreiche. Sie war einfach perfekt für alle Belange. Hier könnte man Kochvideos drehen, die man live streamte vor Publikum... Meine geheime Fantasie, die ich niemals jemanden verraten würde. Ich war total in meinem Element. Hier zu kochen war keine Arbeit, sondern eine Ehre! Als erstes machte ich ein Küchen-Selfie. Da sah ich, dass Sandro mir geschrieben hatte: Hey, deine Zauberbrühe hat wirklich gewirkt! Heute Nacht dachte ich zwar, dass ich krepieren muss, aber jetzt geht es mir viel besser! Ich grinste und schrieb zurück: Freut mich, dass du sie wirklich gegessen hast! Ich bin heute auf der Geburtstagsparty von einem Kumpel. Dann viel Spaß, und nicht zuviel saufen! Ich verdrehte die Augen und machte mich an die Arbeit. Dass Sandro so schlecht von mir dachte… Als die Teigtaschen im Ofen waren, vernahm ich Stimmen aus dem Wohnzimmer. Xia war angekommen, und sie hatte ihre Mitbewohnerin mitgebracht, die sie als Corinna vorstellte. Ich erhaschte von der Durchreiche aus nur einen flüchtigen Blick auf eine zierliche Blondine. Wahrscheinlich war es Xia unangenehm gewesen, die einzige Frau heute Abend zu sein und daher moralische Unterstützung mitgebracht. Da betrat Xia auch schon die Küche mit einer Tüte. „Oh, hi! Na, schon fleißig an der Arbeit, wie? Hier sind meine veganen Muffins.“ Die Tüte stellte sie auf der Arbeitsplatte ab, und warf mir einen erwartungsvollen Blick zu, also riskierte ich einen Blick: Herrlich duftende Muffins, die das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. In Regenbogen-Papierförmchen steckend. „Da hast du ja wirklich nicht zuviel versprochen!“ Das entlockte ihr ein Grinsen. „Ähm, brauchst du bei irgendwas Hilfe, oder so?“ Ich lehnte jedoch ab und sie verschwand im Wohnzimmer. Irgendwann schneite Jos großer Bruder herein, während die drei eine Serie auf dem riesigen Flachbildschirm anschauten. „Na, Bro, steigt heute die Party? Ey, wie viel zahlst du diesen Girls pro Stunde, dass sie mit dir abhängen?“ Jo giftete eine Beleidigung zurück, die aber an Simon abperlte. Kurz darauf hörte ich die Brüder diskutieren, welche Playlists gespielt werden sollten, und erfuhr, dass David nur unter der Bedingung zugestimmt hatte, dass alles außer Rock und Metal gespielt werden wurde. Der Abend im QUAKE musste ihn wirklich nachhaltig traumatisiert haben. „Really? Schlager und Techno, oder was? Was gibt’s überhaupt zu trinken?“ „Alkohol jedenfalls nicht, das wollte David nicht.“ „Nicht mal Bier?!“ „Nein.“ „Soll ich schnell zum Edeka fahren und was holen?“ „Nicht nötig, Dome macht Bowle und Smoothies. Chill mal.“ „What? Digga, hättest du mir das nicht gleich stecken können, dass das hier safe eine woke Öko-Kinderfete wird? Dann wäre ich erst gar nicht aufgekreuzt, denkst du ich hab meine Zeit gestohlen, oder was! Schwule Musik, ohne mich!“ „Hör auf, etwas als ‚schwul‘ zu bezeichnen, du bist doch total verbuggt, man!“, erzog Jo ihn sofort, was mich überraschte. „Linus kommt auch, also hüte dein Maul.“ Interessant, durch Linus hatte er ein neues Bewusstsein für solche Feinheiten entwickelt? „Ach, fickt doch alle eure Political Correctness in den Arsch“, entgegnete Simon daraufhin. Ich hörte ihn nur noch trotzig die Treppe hinauf trampeln. Mehr bekam ich nicht mit, denn ich warf den Smoothiemixer an. Als alles soweit fertig war und nur noch David fehlte, machte ich mich im Gäste-WC frisch. Ganz zaghaft läutete es an der Tür, hatte ich mir das nur eingebildet? Niemand der Anwesenden schien die Klingel gehört zu haben. Also kam mir die Ehre zuteil, dem Geburtstagskind zu öffnen. Ja, ich war verdammt aufgeregt! Aber… Ein schlaksiger Typ im dunklen Mantel stand vor der Tür. Wasserblaue Augen, Sommersprossen, blasses Gesicht. Ein in Silberfolie gewickeltes Geschenkpäckchen hielt er in der Hand. Oh Shit. Dass Linus, dieses halbe Gesicht auf dem Foto, heute auch eingeladen war, hatte ich volle Kanne verdrängt. „Linus?“ „Ja“, sagte er und räusperte sich. „Bin ich hier richtig bei Davids Geburtstagsparty?“ Seine Stimme war so dünn und leise, sodass ich ihn nur mit Mühe verstehen konnte. Ich könnte einfach nein sagen, vielleicht wäre ich ihn so los, aber hört mich schon „Ja klar, komm rein“ sagen. Er trat zögerlich in den beleuchteten Flur. „Was schenkst du David?“, fragte ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte. „Äh, ein Brettspiel, das er schon immer mal spielen wollte.“ „Ah.“ Er wich meinem Blick aus, zog seinen Mantel aus, aber verhedderte sich irgendwie dabei. Schließlich gelang es ihm doch, bevor ich eingreifen konnte, sein Gesicht mittlerweile puterrot angelaufen, hängte er ihn an einen Haken der Garderobe. Der Ärmste konnte nichts dafür, aber ich beobachtete ihn mit Stielaugen und noch kritischer als jeden anderen, einfach nur, weil er besagter Linus war. Der schwul sein sollte und irgendwie meine Neugier geweckt hatte. Im Wandspiegel überprüfte er verschämt den Sitz seines rabenschwarzen Haars. Zu schwarzen Jeans, die an seinen dünnen Beinen wie eine zweite Haut saßen, trug er ein dunkles Shirt, das seine breiten Schultern wunderbar betonen würde, wenn er nur richtig aufrecht stehen und sie nicht einklappen würde wie ein müder Schmetterling seine Flügel. Und überhaupt stand ihm Schwarz nicht. Das war Sandros Farbe! „Wie lange kennt ihr euch schon, du und David?“ „Äh, seit Oktober.“ „Und seit wann habt ihr was miteinander?“ „Hä…?“ Der Blick eines erstarrten Kaninchens vor dem Wolf, diese Sprachlosigkeit – ich hatte ihn eiskalt erwischt und hätte fast gelacht. „Haben wir nicht! Wer behauptet das?“ Ich lächelte nur breit. „Ich bin übrigens Dominique. Schätze, mich hat er nie erwähnt.“ „Ehhm… Nein, hätte er das tun sollen?“ Nervös nestelte er an seinem Ärmelaufschlag herum, was einen ziemlich unterwürfigen Eindruck machte zusammen mit seiner leisen Stimme, so dass es mir, zugegeben, Vergnügen bereitete, fies zu ihm zu sein. „Linus! Da bist du ja endlich. Rein in die gute Stube!“ Jo tauchte auf der Bildfläche auf, hatte nichts von unserer Unterhaltung mitbekommen, zumindest nicht das Wesentliche, und erlöste mich. In der Küche ging ich an die Schränke und entnahm Gläser, Besteck und Teller für sieben Leute auf den Tisch, Simon würde ganz sicher wiederkommen, das Buffet würde er sich nicht entgehen lassen und schon gar nicht die Bekanntschaft der beiden Studentinnen. Linus hatte auf dem letzten Zipfel der riesigen Couchlandschaft Platz gefunden, wo er sich klein machte. Sein Blick klebte auf dem Display seines Smartphones. Bloß nicht auffallen, weder durch Lautstärke, noch Farbe, schien seine Devise zu sein. Deutlich war ihm anzumerken, dass er sich auf dieser Party wie ein Fremdkörper fühlte, zu der David ihn sicher lange hatte überreden müssen. Aber aus welchem Grund lud sich David gleich zwei Kerle ein, mit denen er etwas am Laufen hatte? War das nicht ein wenig gedankenlos, angesichts seiner Angst davor, geoutet zu werden? Wo blieb David überhaupt? Es war nach neun Uhr, und sehr gemütlich hier. Lichterketten und Kerzen spendeten warmes Licht, auch Luftballons lagen verstreut. Fröhliche Folkmusic dudelte aus den Boxen. „Weißt du, wo David bleibt?“, fragte ich Jo. „Der wird schon noch auftauchen, schließlich ist er der VIP des Abends. Ist vielleicht wieder in den falschen Bus eingestiegen, wie ich ihn kenne.“ Ich postierte mich so hinter der Couch, dass ich einen Blick auf Linus´ Display erhaschen konnte. „Schach?“, rief ich verdutzt aus und noch im selben Augenblick verfluchte ich mich, das laut gesagt zu haben. Linus zuckte zusammen und drehte sich zu mir um. „Noch nicht! Aber in fünf Zügen, und dann erreiche ich endlich Level Sieben“, raunte er leise, als wäre es ein Geheimnis. „Du spielst Schach gegen eine App? Auf einer Party!“, rief ich aus. „Du bist ja noch verrückter als David, der in einer Rocker-Kneipe Kreuzworträtsel löst!“ Nun huschte ein Lächeln über Linus´ Gesicht. „Ja, klingt sehr nach ihm.“ „Spiel wenigstens gegen mich!“, forderte ich ihn auf und ließ die Fingerknöchel knacken, woraufhin er die Nase kräuselte. „Oder kann das deine App nicht?“ Nun hatte ich seine volle Aufmerksamkeit, und er ließ das Smartphone sinken. „Natürlich kann die das. Aber kannst du es denn?“ „Warte nur ab!“ „Gut. Dann zeig es mir.“ Er tippte auf seinem Display herum, dann hielt er mir das Handy hin. Es zeigte ein Schachbrett, auf dem die Figuren neu aufgestellt waren, so, dass wir uns gegenüber setzen und gegeneinander spielen konnten. Ich nahm vor ihm auf dem Teppich Platz. Natürlich zogen wir befremdliche Blicke auf uns, so wie wir dasaßen, aber keiner mischte sich ein. „Wie hast du David kennengelernt?“, fragte Linus nach seinem Zug mit dem weißen Springer, während ich am Überlegen war. „Jo hat ihn ins QUAKE mitgebracht, als Gitarrhö Anfang Oktober aufgetreten ist“, antwortete ich und beobachtete seine Reaktion. Der Bandname schien ihm nichts zu sagen. Sogleich stellte ich die nächste Frage, als ich meinen Zug machte: „Hast du mit David auch Schach gespielt?“ Er verneinte. Natürlich nicht, sie waren wohl immer mit anderem beschäftigt gewesen. Stressabbau, wie David es nannte. Für alles Mögliche hatte er ein Codewort, nie nannte er die Dinge beim Namen. Verklausuliert wie die Bibel selbst. „Och nee!“, seufzte ich ein paar Züge später. „Ich hasse es, wenn ich meine Dame verliere.“ „Dann besorge dir doch einfach eine neue.“ „Wenn das mal so einfach wäre.“ „Tja. Hast du gehofft, ich mach es dir einfach?“ „Natürlich nicht, ich möchte schon gerne als ernsthafte Konkurrenz wahrgenommen werden“, entgegnete ich. „Dann spiel nicht so defensiv. Als würdest du niemanden wehtun wollen.“ Ich schaute vom Display hoch zu ihm, schnaubte. Ich und defensiv? Das sagte der richtige! Er scheute ja bereits Blickkontakt! „Was stört dich an meiner Defensive?“ Triumphierend schlug ich seinen Bauer mit meinem Läufer. „Gar nichts. Ich überlass dir liebend gerne meine Bauern, während ich dich einkreise und vernichte. Defensive kann man sich leisten, wenn man viele Züge im Voraus denken kann. Kennst du überhaupt das Ziel des Spiels? Ich erkenne überhaupt keine Strategie in deinen Zügen.“ Wie gemein. Er setzte abermals mit seiner Dame voran. Scheiße, und da hinten lauerte schon bedrohlich der Läufer. Es sah nicht gut für mich aus. Linus war ein viel besserer Spieler als Schiko, den ich manchmal schlagen konnte. Aber vielleicht nur, weil er alt war. Hätte ich doch nur öfter mit ihm geübt. „Ich geb dir einen Tipp: Das Ziel des Spieles ist es nicht, fleißig Figuren einzusammeln wie Trophäen.“ „Ach, nicht?“, entgegnete ich sarkastisch. „Gut, dass du mir das mal sagst!“ Nun bemerkte ich den Schatten über dem Handy und drehte mich um. Jo stand vor uns und schaute zu, wer weiß, wie lange schon! „Cool! Wusste ich gar nicht, dass du Schach kannst, Dome! Schaut mal, Mädels, Linus zockt Dome so richtig ab!“ „Tut er nicht“, knurrte ich, denn es bestand immer noch die Chance, zu gewinnen, auch wenn mir ein paar Figuren fehlten und ich noch keine Strategie entwickelt hatte. Nun hatte Jo aber die Aufmerksamkeit der anderen erfolgreich auf uns gezogen. Mir machte das bisschen Publikum nichts aus, doch Linus schien eine deutliche Veränderung durchzumachen. Zitterten seine Hände? Außerdem sagte er gar nichts mehr und presste die Lippen aufeinander. Wurde noch einen Ton bleicher im Gesicht. Er schien eine ganze Weile nachdenken zu müssen, welchen Zug er als nächstes machte, pulte an seiner Nagelhaut herum. Sein Finger schwebte auf den Springer zu, doch er hielt inne, in ihm schien es zu arbeiten. Es musste daran liegen, dass er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand, von mir, und weiteren drei Augenpaaren beobachtet. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Das war doch blöd, wenn seine Schachfähigkeiten darunter litten, wenn er vor Publikum spielte. „Spielst du in einem Schachverein?“ „Nicht mehr. Ich kam mit dem Publikum nicht klar.“ Daraufhin kicherte Xia los. „Leute, was erhofft ihr euch? Wir veranstalten hier keinen Strip-Poker, das ist bloß Schach, also widmet euch wieder eurer Serie“, sagte ich in die Runde. Damit hatte ich sogar Erfolg. Und dann hörte ich endlich die Türklingel. Das konnte nur einer sein! Ich bemerkte eine Veränderung in Linus´ Gesichtszügen, der aber stoisch sitzen blieb. Jo rauschte an mir vorbei zur Tür. Erst jetzt bemerkte ich Simon, der sich unbemerkt zu uns gesellt und Corinna in ein Gespräch verwickelt hatte. „Hey! David! Und wen bringst du da mit?“, rief Jo freudig. David hatte jemanden mitgebracht? Linus und ich tauschten einen irritierten Blick aus. „Leute! Das Geburtstagskind ist da! Die Party kann losgehen!“, verkündete Jo lautstark, als die drei das Wohnzimmer betraten. Davids Begleitung erregte viel mehr Aufmerksamkeit als David selbst: Ein etwas schmächtiger, dunkelhaariger Junge, dessen Kleidung ihm eine Nummer zu groß war, hielt sich fast an seinem Rockzipfel fest. Oh. Mein. Gott. War das etwa Pablo, seine Flamme vom Jakobsweg? In real sah er noch attraktiver aus als auf den Polaroids. Diese schwarzen Augen, die langen Wimpern, genau wie auf dem Foto, das er mir gezeigt hatte. Lediglich sein Haarschnitt war jetzt anders, ganz kurz rasiert an den Seiten, außerdem hatte er ein paar Bartstoppel. „Schön, dass ihr alle gekommen seid! Das hier ist Pablo Romero, er kommt aus Spanien, wir haben uns auf dem Jakobsweg kennengelernt. Er ist extra aus Madrid hergetrampt, um mit mir meinen Geburtstag zu feiern!“ „Uhh!“, machte Xia, was alles heißen konnte. Die beiden setzten sich nebeneinander auf den Zweisitzer, der einzige freie Platz. Ein Pärchen-Sessel. „Aber David hat erst morgen Geburtstag, gratuliert ihm also nicht vor Mitternacht“, mischte ich mich ein. Erst jetzt wurde mir bewusst, was Pablo da anhatte: Davids Pullover! Dieser weiße Rollkragenpullover, den hatte er an jenem Abend im QUAKE getragen, das wusste ich noch genau. Auch er trug einen silbernen Kreuz-Anhänger darüber, an einer langen Lederkordel um seinen Hals. David trug seinen auch gut sichtbar. Wie ein Pärchensymbol; Kreuze statt Ringe! Diese verwaschene Jeans könnte ebenfalls aus Davids Kleiderschrank stammen, er hatte wohl keine Wechselklamotten mitgenommen für seinen Besuch. Die Luft zwischen ihnen schien regelrecht zu vibrieren, und wenn Pablo Davids Blick suchte, war es, als spielten sie Pingpong mit einem brennenden Ball und lächelten beide so verschmitzt dabei. Fiel das denn keinem der anderen auf, diese Chemie zwischen ihnen? Ich spürte urplötzlich eine leichte Flamme der Wut in mir aufsteigen; ich musste raus hier. „Dann lass uns mal das Buffet eröffnen, David!“, sagte ich übertrieben feierlich und flüchtete in die Küche. Auf der Etagere lagen meine Teigtaschen mit der Rote-Beete-Füllung, die ich abwechselnd mit denen der Spinatfüllung dort angerichtet hatte; im Kühlschrank wartete die Bowle und der in Gläser abgefüllte Smoothie und auch der Sushi. Ich war nicht untätig gewesen, während er sich offensichtlich mit seinem Pilger-Buddy vergnügt hatte! Woher denn sonst diese Verspätung? Den Nudelsalat rührte ich abermals um, mit so viel Schwung, dass einige Nudeln über den Rand der Schüssel purzelten. Da trat David zu mir und ich fauchte ihn an: „Was soll das, David?“ „Was denn?“ „Was wohl! Warum du Pablo mitbringst!“ Ich hörte, wie Jo Pablo in ein Gespräch verwickelte und seine paar Brocken Spanisch dabei zum Besten gab. David zuckte mit den Achseln. „Ich wusste nicht, dass er herkommt, das war eine Überraschung! Was hätte ich machen sollen, die Party absagen?“ Ich seufzte. „Im Ernst, David. Man braucht euch beide nur anzusehen, und man weiß, was ihr die letzten Stunden getrieben habt! Ist das heute deine offizielle Coming-out-Party, oder was?“ Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme immer lauter wurde. Dabei warf ich einen Blick auf die Regenbogen-Muffins. Wie passend. „Was?! Um Himmels Willen! Sprich doch etwas leiser“, bat er mich. „Genau das meine ich, David, hörst du mir je zu?!“ „Es tut mir Leid, wenn ich deine Gefühle verletzt habe, Dominique.“ „Welche Gefühle denn?!“, brauste ich auf. „Das war doch bloß Stressabbau, ein Freundschaftsdienst!“ „Dominique, ich habe dir wirklich viel zu verdanken. Ohne dich wäre mir wohl nie bewusst geworden, was ich für Pablo empfunden habe, die ganze Zeit“, schwärmte er, seine Ohren nahmen den Farbton von Paprika an und er spielte an seinem Anhänger. „Ich sage dir eines, mit dem Richtigen ist es überhaupt nicht eklig.“ „Uäh, verschon mich mit Details!“ „Ich verstehe nicht, wieso in Gottes Namen du mir so eine Szene machst!“ „Hör doch auf mit Gott! Du hältst dich doch selbst an kein einziges Gebot deiner Kirche; lieg nicht bei einem Mann wie bei einer Frau, heißt es doch, und, vergeude nicht dein Sperma, sonst wirst du getötet, blabla… so steht es doch in diesem antiken Märchenbuch!“, redete ich mich in Rage. „Rosinenpicken nennt man so etwas!“ „Sprich nicht über Dinge, die du nicht verstehst!“, sagte er warnend. „Und ob ich es verstehe, es ist ja so simpel: Lass die Finger von allem, was Spaß macht, und du bist ein frommer Christ, und wenn nicht, musst du um Vergebung flehen vor Gott! Aber du hast weder von mir die Finger gelassen, noch von Pablo, genauso wenig wie von Linus!“ Seine Miene entgleiste, doch ich sprach weiter: „Wer weiß, mit wem du sonst noch alles Stress abgebaut hast an deiner Uni!“ Meine Finger zeichneten Gänsefüßchen in die Luft. „Ich geb dir mal einen Tipp: Wenn du nicht auffliegen willst, dann solltest du besser nicht wie ein Nomade durch die Betten ziehen, das ist nämlich pharisäerhaft! Du scheinheiliger Heuchler! Wirklich, dein Jesus würde sich im Grab umdrehen, wenn er noch drin liegen würde!“ Kaum hatte ich diese Beleidigung ausgesprochen, klatschte mir David mit voller Wucht eine, dass mein Kopf wegflog. Etwas, womit ich nie im Leben gerechnet hätte, bei seiner pazifistischen Einstellung! Da bemerke ich jetzt auch, wie still es im Wohnzimmer geworden war. Alle Gespräche im Raum waren verstummt, und alle Partygäste verfolgten gaffend unser Streitgespräch, unklar, seit wann genau, aber was durfte man erwarten, wenn es keine Küchentür gab?! Mir brach der kalte Schweiß aus. Pablo stürzte zu uns in die Küche, hakte sich bei David unter. David blähte die Nasenflügel. „Verlass meine Party, Dominique! Sofort! Ich will dich nie wieder sehen!“ brüllte er und an seiner Stirn trat dabei eine Ader hervor. „Piss off, asshole“, schrie Pablo mir entgegen. „Wow“, mischte sich Jo ein, „Dome …David…äh…chillt mal!“ Ich schlüpfte an Jo vorbei und auch an Linus, der dastand als hätte er sich selbst in Standby-Modus versetzt; rannte einem Impuls folgend in den Flur, die Wendeltreppe nach oben, Jos Kinderzimmer zum Ziel. Wie eine Königs-Schachfigur, die sich verzweifelt vor dem Matt retten wollte, was aussichtslos war. „Jemand einen Regenbogen-Muffin?“, fragte Xia bizarrerweise in die Runde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)