Die Gefühle, über die wir nicht reden von Evilsmile ================================================================================ Kapitel 11: Ultimatum --------------------- Samstagnachmittag war ich unterwegs auf einer Shopping-Tour in der Innenstadt. Davids Geburtstag rückte näher, viel zu schnell. Die zündende Idee, was ich ihm schenken könnte, war mir leider noch nicht gekommen. Gedankenverloren schlenderte ich an Geschäften vorbei, bis ich am Schaufenster einer Buchhandlung stehen blieb. Natürlich! Wieso war es mir nicht gleich eingefallen? Vermutlich, weil ich selbst so selten Bücher las. Das letzte war unsere Klassenlektüre gewesen… Unglaublich, wie voll dieser Laden war! Vorweihnachtszeit und ein Buch das ideale Geschenk. Einige Minuten später wusste ich zwar, was ich kaufen wollte, aber nicht, wo ich es suchen sollte. Ich biss mir auf die Lippen, und nahm allen Mut zusammen, als ich die Buchhändlerin herantrat und nach einem Buch über Schwule und Kirche fragte. Entgegen meiner Befürchtungen lachte sie mich aber nicht aus. Als ich die Buchhandlung mit zwei Büchern verließ, war es Zeit, zu David zu fahren. Also ganz geschwind mit der U-Bahn zum Naturkostladen. Draußen spähte ich unauffällig durch das Schaufenster herein. David stand an der Kasse und bediente einen Kunden. Das Lächeln stand ihm gut, es war echt, das merkte man ihm an. Er konnte wirklich gut mit Menschen; war freundlich, höflich, aufmerksam und er bemerkte es immer, wenn es einem gerade nicht gut ging. Ich hatte gar nicht geahnt, wie sehr mir jemand wie er in meinem Freundeskreis gefehlt hatte. Ich schlich mich an ihm vorbei, ohne dass er mich bemerkte, weil er mir gerade den Rücken zuwandte. Für den Einkauf nahm ich mir Zeit, durchforstete sämtliche Reihen des kleinen Marktes. Lasagne-Blätter aus Vollkornmehl landeten in meinem Einkaufskorb, am Gemüsestand gab es um diese Uhrzeit noch Tomaten, Basilikum, eine Paprika; dann fand ich noch Sojamilch, und Hefe. Und vegane Schokolade. Mit meinem halbvollen Einkaufskorb zielte ich die Kasse an. „Du hier?“ Davids verdutzter Gesichtsausdruck brachte mich zum Lachen. Ich legte alle Waren vom Korb auf die kleine Theke, die an ein Tante-Emma-Laden anmutete. Das grüne Polohemd mit dem Logo des Ladens stand ihm wirklich gut, es saß figurbetonter als die Klamotten, die er üblicherweise trug. Routiniert scannte er meine Waren, doch sein Gesichtsausdruck war verkniffen. „Ich wusste gar nicht, dass du in Bioläden einkaufst.“ „Normalerweise gehe ich auch zum Supermarkt bei mir um die Ecke. Hör zu, David, wenn du nachher Feierabend hast, würde ich dich gern entführen!“ Nun blickte er auf. „Wohin denn?“ „Zu mir nach Hause, wo wir was Leckeres zum Abendessen kochen. Ich halte dich auch nicht zu lange auf, damit du noch das restliche Wochenende lernen kannst, in Ordnung?“ „Mh, ich habe eigentlich schon ziemlichen Hunger…“ Jetzt endlich schenkte er mir ein Lächeln. Die frischen Tomaten, die wir geschnitten hatten, köchelten im Topf vor sich hin. David fettete derweil die große Auflaufform mit einem Pinsel und Margarine, und ich versuchte mich an einem veganen Käse auf Hefebasis, nach einem Rezept, auf das ich im Internet gestoßen war. Schweigend werkelten wir vor uns hin; jeden Versuch einer Konversation blockte er mit einsilbigen Antworten ab, was mich zum Verzweifeln brachte. „Reichst du mir mal die Sojamilch?“ Stillschweigend hielt mir den Tetrapak hin, und ich rührte sie mit dem Schneebesen in den kleinen Topf. „Bist du jetzt angefressen, weil ich es gewagt habe, da einzukaufen, wo du arbeitest?“ Ein genervtes Seufzen von ihm. Also doch. „Okay, sorry, das wird nicht wieder vorkommen.“ „Es ist nicht wegen dem Einkauf! Ich weiß nicht, was du planst, aber ich habe ganz sicher nicht vor, an die große Glocke zu hängen, was wir machen!“ „Musst du doch auch nicht.“ „Ich möchte einfach nur keine Probleme bekommen, die mir meine Zukunft verbauen könnten, verstehst du? Nur zur Sicherheit.“ „Ich will dir bestimmt keine Probleme machen, David, glaub mir.“ „Dann verhalte dich bitte auch so.“ Wir rührten stumm weiter in dem Topf, bis er fragte: „Du… wusstest du, dass Jo Xia zum Weihnachtsmarkt mitbringt?“ „Nein. Er hat nichts erwähnt…“ Dann fielen mir wieder seine ganzen Nachrichten ein, die Treffen nach denen er gefragt hatte, die ich jedoch abgeblockt hatte, weil ich mit meinem eigenen Kram beschäftigt gewesen war. Oh Mann, was war ich für ein Kumpel… „Achtung, deine Soße kocht gleich über“, warnte er mich. Ich schaltete die Platte herunter, nahm die Pfeffermühle und andere Gewürze. Einen Löffel hielt ich David hin, zum Vorkosten. „Wie schmeckt das?“ „Ganz gut“, antwortete er knapp. „Dann können wir die Auflaufform befüllen.“ Abwechselnd legte David die Nudelplatten hinein, dann goss ich einige Löffel Soße darüber, so verfuhren wir, bis die Form bis oben hin voll war und ich zum Schluss den veganen Käse darüber verteilte. Eine Lasagne, Schicht für Schicht von David und mir erbaut, ein Teamprojekt. War doch schonmal ein guter Anfang, oder? „Ich bin mal gespannt, wie sie schmeckt. Das habe ich zum ersten Mal ausprobiert. So, auf mittlerer Schiene.“ Ich schob die Form auf das Blech im vorgeheizten Backofen und machte die Tür wieder zu. David lehnte gegen die Arbeitsplatte. „Deine Küche ist echt schön eingerichtet. Diese Postkarten, hat deine Mutter die dir von ihrer Weltreise geschickt?“ „Genau. Normalerweise protze ich damit aber nicht herum. Es wissen nur Jo und Marie Bescheid.“ „Es ist doch schon, dass sie so oft an dich denkt.“ „Hm.“ Unschlüssig standen wir uns gegenüber. „Weißt du schon, was du nach dem Freiwilligenjahr machst?“ „Ich sollte es endlich mal wissen, nicht wahr?“, seufzte ich. „Schließlich läuft mir die Zeit davon. Aber ich habe keinen Schimmer. Jo wusste es schon sehr früh, und du ja auch. Ich beneide euch echt!“ „Mir war immer klar, dass ich etwas mit Religion und Glauben machen wollte, nur die Details gilt es noch zu klären. Sag mal, wäre Koch nichts für dich? Ich beneide dich, mit wie viel Elan du kochst, während es für mich eine lästige Pflicht ist.“ „Uff. Danke für das Kompliment. Aber mich beruflich mit Lebensmitteln zu befassen, naja! Ich mag lieber die Menschen, für die ich koche. Als Koch hätte ich aber nicht mehr viel mit Menschen zu tun. Und ich merke in dem Freiwilligen Sozialen Jahr, dass mir das sehr gefällt. Nein, Kochen ist nur ein Hobby, das ist glaube ich, besser so.“ „Das ist doch gut. Am Ende sind es die sozialen Berufe, die wirklich zählen, und sie können einen mehr erfüllen als es jeder Beruf in der freien Wirtschaft kann, die alle so fern von Nächstenliebe sind, mit diesem Konkurrenzdruck, und wo es einzig um Kostensenkung und Geldvermehrung geht, und wo Altruismus ein Fremdwort geworden ist.“ „Ach David. Würden doch mehr Leute so denken!“ „Darf ich mal schnell auf die Toilette?“ Kaum dass er weg war, ging ich nebenan ins Badezimmer, das von unserem Klo getrennt war. Heißes Wasser ließ ich in die alte Wanne mit Klauenfüßen ein und goss großzügig Désirées Badeschaum hinein. Der Schaum entwickelte sich rasch und verbreitete einen Rosenduft. Nein, geplant hatte ich das nicht, das war wirklich spontan und improvisiert. „Was soll das werden?“ David war ins Bad gekommen um sich die Hände zu waschen, fragte mich das in einer Tonart, als ob er sich erkundigen wollte, ob ich verrückt geworden war. „Wonach sieht es denn aus?“ Den Finger um seine Gürtelschlaufe einhakend, zog ich ihn an mich. „Was… was ist mit der Lasagne…?“, warf er ein. „Die braucht noch ein bisschen, sagt der Chefkoch.“ Mit der Zunge leckte ich über sein Ohrläppchen, sah im Spiegel, wie er die Augen schloss. „Ich muss dich doch nicht schon wieder abfüllen, damit du morgen kein schlechtes Gewissen hast, oder?“, neckte ich ihn. „Wie bitte?“ „Damit du es auf den Alkohol schieben kannst, meine ich. Dass du neben einem anderen Kerl aufgewacht bist.“ „Ich habe nicht vor, bei dir zu übernachten. Ich hinke eh mit meinem Lernpensum hinterher und mghhhm...“ Den Rest seines Satzes schluckte mein Kuss. Er floh aber davor, legte mir einen Finger auf die Lippen. „Wir müssen uns dabei nicht küssen, in Ordnung?“ Er tastete nach hinten, in die Gesäßtaschen meiner Jeans hinein, und ahnte gar nicht, wie verdammt wild er mich damit machte. „Komm ins Wasser. Lass uns baden.“ Ich fing seinen Welpenblick auf, der Bände sprach, als ich ihm ganz langsam die Knöpfe seiner Jeans öffnete. „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.“ Ich ging darauf nicht ein, denn wenn es nach David ging, würde er bis ins hohe Alter zölibatär leben. Ließ ihn los, um mich aus meiner Jeans freizukämpfen, streifte mir dann noch meinen Pulli ab. Vor David fiel mir das viel leichter als vor Sandro. „Wir haben die Wohnung für uns, meine Schwester ist erst am Montag zurück.“ Ich stieg in die Wanne. Hach, Wohlfühl-Temperatur. Ich seufzte, tauchte einmal ganz unter, setzte mich aufrecht, den Rücken angelehnt und die Beine angewinkelt. Meine Knie schauten wie kleine Inseln aus dem Schaumwasser heraus. Als ich aufsah, stand David nackt vor der Wanne und ich blickte ehrfürchtig zu ihm auf. Da stand er, die Hände auf der Körpermitte verschränkt, mit gar nichts an, außer natürlich seiner Kette um den Hals. Die pure Sünde. Weil er stets so weite Klamotten trug, hatte ich gar nicht erahnen können, wie es darunter aussah. Ich hütete mich, ihm zu sagen, dass sein Körper unter einem Priestergewand versteckt, eine totale Verschwendung wäre. Das letzte, das ich in diesem Augenblick brauchte, war eine Diskussion über Religion. Schon kletterte er über den Rand der Wanne, ohne sich noch einmal dazu auffordern zu lassen und nahm mir gegenüber Platz, rückte jedoch ganz an den gegenüberliegenden Rand, mit deutlichen Anzeichen von Nervosität. Er schien ziemlich mit sich zu kämpfen, häufte sich Schaum auf den Körper. „Was ist eigentlich mit dir? Ich meine, hattest du nicht bis vor Kurzem eine Freundin?“ „Ja, hatte ich. Schließ die Augen“, sagte ich nur und David gehorchte. Ich erhob mich, nahm auf seinen Oberschenkeln Platz. Er seufzte, zog mich näher an sich, ließ seine Finger zaghaft meine Schulterblätter erkunden, langsam, bedächtig und beinahe vorsichtig meinen Rücken hinab gleiten. Ein Finger erreichte mein Steißbein, zog sich wie peinlich berührt ein Stück zurück, nur um kurz darauf aufs Neue die Tour fortzusetzen. Ich spielte an seinen Brustwarzen. Die Laute, die er dabei machte, waren interessant. Dann hielt ich es nicht mehr aus, nahm seinen Penis. Schloss die Finger darum, spürte seinen Herzschlag. Ich begann, erst mit seinem zu spielen, nahm später noch meinen eigenen hinzu, schließlich beide in meine Hand. David stieß ein wohliges Seufzen aus. Plätschern von Wasser vermischte sich mit seinem Keuchen und meiner heftigen Atmung. Unbezahlbar, ihn so zu erleben, als den menschlichen Vulkan, der jetzt ausbrach. In meiner Hand, nur wenige Augenblicke vor mir. Schweißperlen glitzerten ihm auf der Nase. Beide mussten wir erst wieder zu Atem kommen. „So gut“, seufzte er. „Schön, wenn man jemanden hat, mit dem man ab und an Stress abbauen kann.“ „Stress abbauen? Wie meinst du das?“ „Na eben unverbindlich. Ohne Verpflichtungen. Befreiend.“ Er stieg wieder aus der Wanne, trocknete sich mit dem hellblauen Handtuch ab, das meiner Schwester gehörte, und schlüpfte in seine Klamotten. Ich saß noch immer in der Wanne, sprachlos angesichts seiner Worte. Als hätte er eine langjährige Beziehung hinter sich, die mit sehr vielen Strapazen und Einbußen verbunden gewesen war, weswegen er jetzt endlich seine Freiheit genießen wollte. David warf mir einen Blick über die Schulter zu, der leichten Ekel verhieß. „Komm raus da, das ist doch eklig, was da drin rumschwimmt.“ „Ich bin nicht eklig.“ Ein resignierendes Seufzen. „Ich kann ja schon mal den Tisch decken“, sagte er und verschwand daraufhin. Schweigend kümmerte ich mich um die Ordnung im Bad, wie mechanisch zog ich den Stöpsel und beobachtete, wie der Inhalt in einem kleinen Strudel in den Ausguss floss. Stress abbauen. Ohne Verpflichtungen. Unverbindlich. Das war es, was er wollte? Vielleicht hatte er ja eine zu enge Beziehung zu Gott und Jesus gehabt, das würde einiges erklären. Schweigend aßen wir unsere Lasagne kurze Zeit später in der Küche. David brach gleich nach dem Essen auf, um zuhause zu lernen, und ich war nicht allzu unglücklich darüber. Später am Abend bekam ich eine Nachricht von Jo, die mich beunruhigte. Sie begann mit einem Daumen nach unten und einem Emoji, der sich die Ohren zuhielt: Alter, sei froh, dass du heute nicht im QUAKE bist! Gitarrhö ist abgesagt worden, dafür springt eine Country Coverband ein, die so mies ist, dass man denen Geld geben sollte, damit sie aufhören! Was eine Scheiße! Ich fahr heim! Ein Scheißhäufchen-Emoji rundete die Nachricht ab. Scheiße. Das war gar nicht gut. Sofort hatte ich Sandros Hand vor Augen. Mit diesen Klebestreifen tapeziert. Oder lag es am Ende doch an der Fehde mit seinem Ex? Oder ganz profan daran, dass er nun keine gute Gitarre mehr besaß? ~ „Warum hast du nicht in den Briefkasten geschaut?“, begrüßte mich meine Schwester am Montagabend, sobald sie die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, und ihre Stimme verhieß nichts Gutes. Schritte stapfen in die Küche, sie machte sich diesmal nicht die Mühe, die lauten Treter mit den Absätzen auszuziehen. Auf Maries Kochbuch, in dem ich blätterte, segelte eine Postkarte und ich blickte auf. Im grauen Wollmantel stand Désirée auf der Schwelle zur Küche, das Gesicht zornesrot. Die Karte drehte ich um, registrierte die fremdländischen Briefmarken, die bekannte Schrift. Meine Lieben. Ich komme euch über Weihnachten besuchen. Ihr müsst nichts vorbereiten. Freue mich sehr auf euch! In Liebe, eure Mutter, las ich laut vor und es war wie ein Fausthieb in den Magen. Das war ja absehbar gewesen, dass sie irgendwann wieder auftauchen würde. Trotzdem, es schwarz auf weiß zu lesen, sie sehr bald wiederzusehen, darauf war ich nicht gefasst. „Über Weihnachten! Und wo gedenkt sie zu schlafen? Davon schreibt sie nichts“, giftete sie los. „Weiß nicht, aber sie schreibt doch, wir brauchen nichts vorzubereiten“, versuchte ich sie zu beruhigen, doch erreichte das Gegenteil. „Ach. Was sie schreibt, und was sie tut! Weißt du, was ich denke? Sie spekuliert darauf, dass wir sie beherbergen, bis... Ja, keine Ahnung, zum jüngsten Tag?! In dieser Zwei-Zimmer-Wohnung! Sie hat sich mal wieder um überhaupt nichts gekümmert, genau wie damals, als alles an mir hängen geblieben ist. Ihr Chaos aufzuräumen, ihren Papierkram, ihre Rechnungen, ihr Wohnung kündigen… Sie hat DICH im Stich gelassen, ihren minderjährigen Sohn! Vergiss das bloß niemals!“ „Desi…sie schreibt doch nicht, dass sie hierher, in die Wohnung kommen will, sie hat bestimmt ein Zimmer gemietet oder so.“ „Glaubst du das wirklich? Woher will sie denn das Geld dafür haben, nach zwei Jahren in der Weltgeschichte? Weißt du, ICH durfte nicht ins Ausland nach meinem Abi, weil dafür ja kein Geld dagewesen war, ich habe es halt hingenommen, hat meiner Karriere nicht unbedingt geschadet. Aber was tut sie?! Sie schert sich genauso wenig um ihren Kram, wie du dich um deinen. Frei nach dem Motto, irgendjemand wird es schon richten, irgendwer wird die Rechnung schon zahlen. In diesem Fall ich. Man merkt, dass sie mit dir verwandt ist!“ „Ist es denn nicht eigentlich der Sinn von Weihnachten, jemanden Obdach zu gewähren und das Fest der Liebe zu feiern?“ Darauf ging sie nicht ein. „Neulich habe ich dich gefragt, was du nach dem Altenheim machst und keine Antwort erhalten. Jetzt frage ich dich nochmal.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust, richtete ihren bohrenden Blick auf mich und mir lief es kalt den Rücken hinab. Ich kam mir vor wie beim Jüngsten Gericht. „Okay. Weißt du was, ab jetzt läuft dein Ultimatum, du hast drei Wochen!“, verkündete sie, als ich ihr keine Antwort gab, mit Blick auf den Kalender. „Wenn ich bis dahin keinen ausformulierten Zehn-Punkte-Plan mit mindestens einem Plan B, sowie Finanzierungsmöglichkeiten von dir vorgelegt bekomme, wie du dir mittelfristig deine Zukunft und Ausbildung vorstellst, dann setze ich dich pünktlich zum Jahresende vor die Tür. Das ist mein voller Ernst und das ziehe ich durch! Das kann ich dir auch gerne schriftlich geben.“ „Was?! Mit einer Frist von drei Wochen?!“ Ich schnappte nach Luft. „Weißt du auch was? Wer dich zur Schwester hat, der braucht keine Mutter mehr!“ Doch sie war bereits abgedampft. Der Gedanke, dass Mama bald hier sein würde… Besser, ich entfernte die Postkarten noch heute von den Schränken. Sie sollte nicht denken, dass ich ihr in dieser Küche einen Schrein errichtet hätte, oder so. Zack, nahm ich mir auch schon die nächstbeste bunte Postkarte vor. In der Ecke, wo die Briefmarke geklebt hatte, war nun gähnende Leere, komisch. Auch auf sämtlichen anderen Postkarten, die ich abriss… Das bedeutete… Meine Schwester besaß einen Master in Chemie, womit es ein Leichtes für sie war, eine Briefmarke spurlos von einer Postkarte zu lösen. „Erwischt“, sagte ich überheblich und so laut, dass sie es durch Tür und Wände hören musste. „Du sammelst also heimlich Mamas Briefmarken, ja?“ Den beachtlichen Stapel von Postkarten ohne Briefmarke stopfte ich in eine Tüte und legte sie unter mein Bett. Die jüngste Postkarte aber ließ ich auf dem Küchentisch liegen. Dann zog ich mich an, ich hatte ein konkretes Ziel. Nachdem ich gestern, während meiner Plätzchen-Back-Orgie fast wahnsinnig geworden war. So sehr hatte ich mir den Kopf darüber zerbrochen, wie es Sandro ging. Ich könnte ihn ganz einfach besuchen und fragen. Das Naheliegendste war mir nicht eingefallen. Mit dem Bus in Kornheim angekommen, bei den graffitibesprühten Häusern, öffnete ich die Haustür, die hier wohl nie verschlossen war und klingelte an Sandros Tür im Erdgeschoss. Schritte. Geräuschvolles Einhaken der Türkette. Die Tür öffnete sich so weit, wie die Kette es zuließ und ich bekam Tilmanns bärtiges Gesicht zu sehen. „Sandro ist nicht da“, grummelte er in seinen Bart. Er wollte die Tür wieder schließen, doch ich steckte die Finger in den Spalt. „Warte! Warum wart ihr dieses Wochenende nicht im QUAKE?“ Er schnaubte. „Na, weil er keine Gitarre hat, darum.“ „Ja, klar, ich weiß, was Sache ist! Wie geht es Sandro? Gibst du mir bitte seine Nummer?“ „Nee. Hat er mir verboten.“ Das schien er sehr ernst zu nehmen, und ich versuchte gar nicht erst, ihn zu überreden. „Wird ja wohl einen Grund haben, wieso du sie noch nicht hast, oder?“ Da war etwas dran. „Er hat dir verboten, seine Nummer generell weiterzugeben? Oder sie explizit mir zu geben? Wie auch immer. Würdest du ihm dann bitte meine geben?“ „Ungern.“ „Och Tilmann, was hast du gegen mich? So blöde hab ich mich bei deinem Videospiel doch nicht angestellt, oder?“ Ein gequältes Seufzen, rollende Augen. „Na gut. Ich will das aber hinterher nicht bereuen, klar?“ „Das wirst du auf keinen Fall! So eine Szene wie sein Ex werde ich ihm niemals machen. Ehrenwort!“ Ich diktierte ihm meine Nummer, und er tippte sie in sein Handy ein, während er sich über den Bart strich. „Danke, Tilmann, du bist der Beste!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)