Katzenjammer von yamimaru ================================================================================ Kapitel 5: Lektion 5 - Nicht alles ist so, wie es scheint. ---------------------------------------------------------- In den paar Tagen, die Kaoru nun als Katze und Dies Mitbewohner lebte, hatten sie eine gewisse Routine entwickelt. Während sein Freund meist beim ersten Klingeln des Weckers aus dem Bett kroch, hatte er es sich zur Angewohnheit gemacht, noch ein wenig zu dösen. Diesen Schlendrian, den Kaoru sich unter anderen Umständen nie erlaubt hätte, rechtfertigte er vor seinem Pflichtbewusstsein damit, dass es als Kater für ihn ohnehin keine Aufgaben gab, denen er nachgehen konnte. Diese Taktik funktionierte so gut, dass er sich bereits am zweiten Tag eingestehen musste, dass er diese erzwungene Auszeit wirklich mehr als gebraucht hatte.   Kaum ließ ihn der Große morgens also allein, krabbelte er auf Dies Kopfkissen und kuschelte sich ein. Dort roch es immer so gut und das Polster war noch warm von der Körperwärme des anderen. Die hatte zwar schon mehrmals behauptet, er würde wegen all der Katzenhaare in seinem Bett eine Allergie entwickeln, dennoch hielt er nach der ersten Gewitternacht, in der sich Kaoru zu ihm ins Bett geschlichen hatte, die Schlafzimmertür immer einen Spalt offen. Wenn das keine Einladung war, wusste Kaoru auch nicht. Außerdem, je mehr haare er in Dies Bett verteilte, desto öfter nahm sich der Große die Zeit, ihm den Pelz zu bürsten. Und das war besser als jede Massage, die er als Mensch je erhalten hatte.   Allerdings blieb es nicht bei den kleinen Beschwerden, seine Katzenhaare betreffend. Kaoru hatte bemerkt, wie gern sich sein Freund über so ziemlich alles echauffierte und Stunden damit zubrachte, darüber zu lamentieren. Gestern erst war Die auf die glorreiche Idee gekommen, seine kräftig rote Haarfarbe in ein hübsches Dunkelrot ändern zu wollen und dafür nicht zu warten, bis er Zeit für einen Friseurtermin einplanen konnte. Nein, das musste zwischen Tür und Angel und selbst gemacht passieren. Was konnte also Kaoru dafür, dass er das Verschönerungsprojekt seines Freundes sehr interessant gefunden hatte? Gleiches galt für den kleinen, roten Fleck Farbe, der auf die Fliesen im Bad getropft war und den er so herrlich mit der Pfote hatte verschmieren können. Nichts konnte er dafür, das stand fest. Immerhin war er ein Kater und folgte lediglich seinen Instinkten. Möglicherweise hatte er letzten Endes einen roten Pfotenabdruck auf dem cremefarbenen Badvorleger hinterlassen, aber das war längst kein Grund, dem ach so hübschen Teppich derart intensiv nachzutrauern. Was war schon so schlimm daran, dass der Fleck nie wieder rausgehen würde? Offensichtlich so Einiges. Kaoru hatte noch nie in seinem Leben so unbedingt mit den Augen rollen wollen, wie nach zwanzig Minuten des konstanten Jammerns. Zum Glück hatte sich sein Freund irgendwann beruhigt und war zum Schluss gekommen, dass dieser kleine, nach mehrmaligen Auswaschversuchen nun rosarote Pfotenabdruck auf seinem Teppich eigentlich ganz schick aussah.   „So hab ich wenigstens eine bleibende Erinnerung an dich, wenn dich deine Besitzer abholen, was, Kao?“, hatte Die gemurmelt und war mit einem Schlag trübsinnig geworden.   Das war die zweite Eigenheit seines Freundes, die Kaoru aufgefallen war. Die war nicht mehr der unbeschwerte Kerl mit zu viel Blödsinn im Kopf, der ihn früher, als sie sich noch ein winziges Appartement geteilt hatten, stets zum Lachen gebracht hatte. Seine Launen schwankten wie ein Fähnchen im Wind und von einem Extrem ins Nächste. Das jedoch nur, wenn er sich unbeobachtet fühlte. In der Gegenwart von anderen war er sein altbekanntes Selbst, doch allein in seinen vier Wänden sah das ganz anders aus. Wie oft Kaoru seinen Freund seufzen gehört hatte, seit er bei ihm lebte, konnte er schon gar nicht mehr zählen.   Kaoru spitzte die Ohren, als dieser unerwünschte Laut schon wieder Dies Mund verließ. Bis gerade eben hatte der Große mit Toshiya telefoniert, hatte ein Dauergrinsen im Gesicht gehabt, weil ihm der Bassist offensichtlich ganz dringend von seinem Nicht-Date vor einigen Tagen erzählen musste. Kaum hatte Die jedoch aufgelegt, waren seine Mundwinkel herabgesunken und die Augen trüb geworden. Was war nur los mit ihm?   Kaoru ließ den Blick durch das Wohnzimmer schweifen, bis er die Federangel entdeckte, die zu seinem Lieblingsspielzeug geworden war. Zielstrebig ging er darauf zu, nahm sie ins Maul und trug sie wie ein zu klein geratenes Hündchen zu seinem Freund hinüber. Begleitet von einem auffordernden Maunzen legte er das Plastikstöckchen vor Dies Füßen ab und wartete. Es dauerte einen Moment, in dem sein Freund nicht reagierte und nur stumpf vor sich auf den Boden starrte, doch dann ging ein Ruck durch ihn. Ein feines Lächeln schlich sich auf seine Züge und entschlossen griff er nach dem Spielzeug.   ‚Na also, geht doch‘, dachte Kaoru und begann, den sich schnell hin und her bewegenden Federn am Stöckchen mit den Pfoten zu folgen. Die kommentierte seine Versuche enthusiastisch, lobte ihn, wenn er das Büschel erwischte, oder gluckste mitfühlend, wenn Kaoru zu langsam war. Wie lange sie sich so die Zeit vertrieben, hätte er hinterher nicht sagen können. Irgendwann war er vollkommen aus der Puste auf Dies Schoß gesprungen, wo er nun schnurrend lag und sich das Bäuchlein kraulen ließ.   ‚Hach ja, so lässt es sich leben.‘   „Weißt du …“, murmelte Die und Kaoru spitzte die Ohren. Wenn sein Freund einen Satz mit diesen Worten begann, folgte meist etwas Interessantes. „Normalerweise bin ich froh, wenn ich Diva ab und an für ein paar Wochen zu meiner Nichte geben kann. Wir haben sonst so viel um die Ohren, das ich immer Angst habe, sie könnte sich vernachlässigt fühlen. Aber jetzt, wo Kaoru nicht da ist …“ Die schlug die Augen nieder und erneut kam ihm ein Seufzen über die Lippen. Kaoru rappelte sich hoch und rieb seine Schnauze gegen Dies Wange, entlockte ihm damit ein kurzes, leises Lachen. „Was würde ich nur ohne dich machen, mh?“ Finger kraulten unter seinem Kinn und er drückte sich gegen sie, rieb sich auch an ihnen. „So ganz allein würde mir vermutlich die Decke auf den Kopf fallen.“ Plötzlich schlossen sich Dies Hände um seine Mitte, hoben ihn hoch, bis der Große sein Gesicht in seinem Pelz vergraben konnte. „Warum meldet er sich nicht?“ Kaoru erstarrte und blinzelte. Redete Die von ihm? Er versuchte, das Gesagte Revue passieren und sich diesmal nicht von kraulenden Fingern oder Streicheleinheiten ablenken zu lassen.   „Mensch, Die, könntest du nicht mal Klartext reden?“, maunzte er seinen Freund an, was dieser natürlich nicht verstehen konnte und annahm, ihm wäre sein neuer Job als Kuscheltier unangenehm. War es nicht, aber das konnte sein Freund nicht wissen und er konnte es ihm nicht sagen. Die ließ ihn los und reflexartig schüttelte Kaoru sich, um sein Fell wieder in Ordnung zu bringen.   „Tut mir leid, Kleiner.“ Ein letztes Mal streichelte Die über seinen Kopf, bevor er nach dem Handy auf dem Couchtisch angelte und geschäftig darauf herumtippte.   Kaoru rollte sich neben Die zusammen, beobachtete ihn bei seinem Tun, während das schlechte Gewissen seine spitzen Zähne in sein Fleisch rammte. Es tat ihm so leid, dass sein Freund sich seinetwegen sorgte oder schlimmer noch, sich unerwünscht fühlte, weil er nicht auf seine vielen Nachrichten und Anrufe reagieren konnte.   Verflixt, irgendwie musste es möglich sein, Die eine Nachricht zukommen zu lassen! Er fixierte das Handy, verwarf die fixe Idee, die sich in seine Hirnwindungen schleichen wollte, jedoch sofort wieder. Es würde ihm nie gelingen, den Touchscreen des Smartphones mit den Pfoten zu bedienen. Allerdings stand im Arbeitszimmer seines Freundes ein PC, den Die so gut wie nie benutzte. Ob er ihm damit wenigstens eine Mail schreiben konnte? Die Tastatur sollte er bedienen können, aber … Würde er überhaupt einen Text verfassen können? Seine Versuche, sich das Lesen wieder beizubringen, waren bislang kläglich gescheitert. Oh Mann, diese ganze Misere war wirklich zum Haareraufen!   Kaoru war so vertieft in seine Gedanken, dass er mit einem erschrockenen Satz vom Sofa sprang, als es urplötzlich an der Tür klingelte.   „Ganz ruhig“, murmelte Die, hatte sich ebenfalls von der Couch erhoben und bückte sich zu ihm hinunter, um ihn auf die Arme nehmen zu können. „Das wird nur Kyo sein.“   „Kyo?“, maunzte Kaoru und Die grinste, hatte sich sein Miauen doch beinahe wie der Name ihres Sängers angehört. An der Tür angekommen zappelte Kaoru so lange in Dies Armen, bis der Große ihn auf den Boden setzte, bevor er den Knopf der Gegensprechanlage drückte.   „Komm rauf“, forderte Die und öffnete schon einmal die Wohnungstür.   Kaoru hörte Schritte einige Stockwerke unter ihnen, dann das Surren des Aufzugs, der sich ihrer Etage langsam näherte. Was Kyo wohl hier wollte? Er hatte gar nicht mitbekommen, dass Die ihn eingeladen hatte oder … besuchten die beiden sich etwa öfter? Kaoru hätte nicht sagen können, warum, aber irgendwie freute ihn dieser Gedanke und stach gleichzeitig in seinem Herzen. Früher war er es gewesen, der sich regelmäßig mit Die getroffen hatte, aber das war, wie alles andere auch, über die letzten Jahre immer weniger geworden. Kaoru hörte das charakteristische Läuten des Aufzugs, Schritte, die sich der Wohnungstür näherten, und schaute keinen Moment später in das breit grinsende Gesicht ihres Sängers.   „Na, bereit für Blut, herausquellende Gedärme und fliegende Hirnmasse?“   „Nicht wirklich, aber wie immer wirst du das geflissentlich ignorieren.“   „So sieht’s aus.“   Kyos Begrüßungen wurden echt immer eigenwilliger, stellte Kaoru durchaus amüsiert fest, während Die geschäftig durch die Wohnung eilte und die wichtigsten Dinge zusammenräumte. Er selbst hingegen fand sich keine Sekunde später auf dem Arm ihres Sängers wieder, wurde ausführlich gekrault und musste zugeben, dass er sich an diese Behandlung wirklich gewöhnen könnte.   ‚Nein! Kaoru, reiß dich zusammen, du bist ein Mensch, keine Katze!‘, ermahnte er sich in Gedanken, konnte sein lautes Schnurren jedoch nicht unterdrücken.   „Das gefällt dir, was?“ Beinahe hätte Kaoru genickt, konnte sich im letzten Moment jedoch davon abhalten. So einen Fauxpas hatte er sich bei Die gerade so erlauben können, aber Kyo würde ihn schneller durchschauen, als er miau sagen konnte. „Bist du dann endlich so weit? Wir gehen nur ins Kino, da sieht dich sowieso niemand.“   „Ja, ja.“ Gehetzt kam Die wieder in den Flur, fuhr sich durch die dunkelroten Strähnen, stieg in seine Schuhe und warf sich eine leichte Jacke über die Schultern. „So, fertig.“   „Wurde ja auch Zeit.“   Im nächsten Moment hockte Kaoru wieder auf dem Boden und blinzelte zu den beiden Männern nach oben. Ganz ehrlich? Dieses ständige Hochgehoben- und wieder Abgesetztwerden machte ihn noch ganz blöd im Kopf. Das war definitiv eines der Dinge am Katzesein, das er nicht vermissen würde. Die beugte sich zu ihm herunter, streichelte flüchtig durch sein Fell, bevor er ihn mahnend ansah.   „Du bleibst brav, okay? Ich will dich nicht plötzlich vor dem Kino sitzen sehen oder einen Stunt in dieser Art, hast du verstanden, Kao?“ Kaoru betrachtete seinen Freund aus großen, hoffentlich unschuldigen Augen, während sich in seinem Kopf bereits ein Plan formte. „Sehr gut, du bist ein kluger Junge, nicht wahr?“   „Du tust gerade so, als hätte dir der Kleine gerade eine Antwort gegeben.“   „Das hat er, du verstehst ihn nur nicht, Kyo.“   „Aber sicher.“   Damit verschwanden die beiden im Hausflur, die Tür fiel ins Schloss und Kaoru war allein. Sogleich flitzte er ins Wohnzimmer und sprang auf das Fensterbrett, das an die Balkontür angrenzte. Erst versuchte er, den Griff mit den Pfoten zu erreichen, stemmte sich so lange dagegen, bis er ihn etwas nach unten drücken konnte. Als Nächstes fixierte er ihn und sprang dagegen. Es brauchte drei Anläufe, bis er ihn endlich in der richtigen Position hatte, dass die Balkontür sich theoretisch öffnen lassen würde. Dumm nur, dass er zu leicht und zu schwach war, um das auch in der Praxis bewerkstelligen zu können.   „Na toll, und jetzt?“   Sein Plan war gewesen, nach draußen zu kommen, um die Zauberkatze zu suchen. Wenn jemand es schaffte, Die eine Nachricht zukommen zu lassen, dann sie. Überlegend lief er vor der noch immer geschlossenen Balkontür auf und ab, hatte zwischendurch versucht, seine Krallen einzusetzen, um sie aufzustemmen, aber auch das war nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Nun jedoch kam ihm eine Idee.   Schnell lief er in die Küche, wo von Dies gestrigen, nicht sehr erfolgreichen Kochversuchen ein abgewaschener Pfannenwender noch auf dem Abtropfgitter in der Spüle stand. Kaoru sprang auf die Arbeitsplatte, nahm den Stil des Pfannenwenders in den Mund und trottete damit zurück zur Balkontür. Wenn es ihm gelang, die schmale Seite zwischen Tür und Türstock zu klemmen und den Stil als Hebel zu verwenden, sollte sie sich öffnen lassen.   So viel zur erneuten Theorie. In der Realität gestaltete sich dieses Unterfangen als unlösbares Problem. Er war zu klein, konnte seine ungelenken Pfoten und sein Maul nicht anständig koordinieren. Kaoru wusste nicht, wie lange er es versucht hatte, war jedoch mittlerweile so frustriert, dass er bereit war, aufzugeben, als … die Tür wie von Geisterhand aufsprang.   „Ernsthaft?“, maunzte er und sah sich im Wohnzimmer um, in der festen Überzeugung, die Zauberkatze lässig und sich köstlich amüsierend auf dem Sofa sitzen zu sehen. Aber der Raum war leer und auch nach mehrmaligem Rufen erschien sie nicht. „Okay~.“ Es war nicht so, dass er dieser Sache hier trauen würde und er war auch nicht so naiv, zu glauben, dass er es gewesen war, der die Tür schlussendlich geöffnet hatte. Dennoch hielt er es mit dem altbekannten Sprichwort, das da lautete: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Also quetschte er sich durch den Spalt in die Freiheit und sprang über die Hausdächer, wie er es einige Tage zuvor in Begleitung der Zauberkatze schon getan hatte. Es stellte sich jetzt nur die Frage, wo würde er sie finden?   ~*~   Seine Orientierung war noch immer ein Witz, dennoch hatte er es irgendwann tatsächlich bis in den Park geschafft, wo Shinya ihn vor Tagen aufgegabelt hatte. Sein Plan, wenn man diesen so nennen konnte, war es, die Straße zu finden, auf der ihm die Zauberkatze vors Auto gelaufen war. Auf seine Rufe reagierte sie nicht und … nun ja, vielleicht war dieser Ort ihr Lieblingsplätzchen oder so? Ach, er hatte keine Ahnung. Er wusste nur, dass er sie finden musste und das bitte, bevor Die und Kyo von ihrem Kinobesuch zurückkamen.   Kaoru wusste nicht einmal, wie spät es war. Es war bereits dunkel gewesen, als er die Wohnung verlassen hatte, und nun stand der Vollmond hoch am Himmel. Verflixt, er war sicher schon viel zu spät dran und Die würde sich Sorgen machen. Gerade, als er seine Mission abbrechen und sich auf den Nachhauseweg machen wollte, wurde er von hinten gepackt und hochgehoben.   „Wen haben wir denn hier?“ Kaorus Herz hämmerte wie wild in seinem Brustkorb, als er die dunkle Männerstimme hörte. Der Griff in seinem Nacken war so fest, dass er sich nicht bewegen konnte, als er vor das Gesicht des Fremden gehalten wurde. Finger überprüften seine Ohren, Augen musterten ihn. „Yuko? Komm mal mit dem Transportkorb. Ich hab hier einen kleinen Streuner gefunden.“   „Was? Ich bin kein Streuner! Ich bin nicht mal eine Katze! Lass mich los, du Idiot!“ Kaoru maunzte aus Leibeskräften, wand sich, versuchte sich zu befreien, aber seine Gegenwehr war sinnlos. Schritte knirschten über den Kiesweg, kamen auf ihn zu und bevor er es sich versah, wurde er in eine Plastikbox mit Gitter gestopft. „Hey! Lasst mich raus, verdammt!“ Kaoru fauchte und tobte, aber die Box war bereits verschlossen und schwankte hin und her, als er weggetragen wurde.   „Das ist ein ziemlich munteres Kerlchen.“ Eine Frauenstimme lachte, Kaoru hörte das Kratzen der Seitentür eines Vans, die aufgeschoben wurde, und im nächsten Moment wurde seine Box in das Auto gestellt. „Wir fahren am besten gleich ins Tierheim und geben ihn ab.“   „Ja, besser ist das, bevor sich noch jemand beschwert, weil er so laut schreit.“   „Da hofft man immer, die Tierchen würden verstehen, dass wir nur das Beste für sie wollen, aber die meisten brüllen zeter und mordio.“   „Nimm es nicht persönlich, Yuko, sie begreifen nicht, was mit ihnen geschieht.“   „Ich begreife sehr wohl, was mit mir geschieht!“, schrie Kaoru so laut, dass sein Hals zu schmerzen begann. „Ihr entführt mich, das passiert hier! Lasst mich raus, ich muss zurück zu Die!“   Es war zwecklos. Weder sein Rufen noch seine Versuche, sich aus der Box zu befreien, machten einen Unterschied. Die Tür des Vans wurde zugeschoben, die vorderen Türen geöffnet und knallend wieder zugeschlagen. Kaum erwachte die Zündung zum Leben, ging ein Vibrieren durch den Wagen, gefolgt von Rockmusik, die sein klägliches Maunzen effektiv übertönte.   Kaoru atmete schwer, versuchte, zwischen den gekreuzten Gitterstäben hindurch irgendetwas zu erkennen. Aber alles war grau, seine Sicht von der Seitenwand des Vans versperrt. Verdammt, was sollte er nun tun? Wenn er jetzt wirklich ins Tierheim gebracht wurde, dann … Panik schnürte ihm die Kehle zu, bis er das Gefühl hatte, sein Herz würde jeden Moment aufhören, zu schlagen. Er durfte nicht eingesperrt werden. Er war keine Katze, er war ein Mensch, oh Gott.   „Zauberkatze! Verdammt, antworte! Ich könnte hier wirklich ein wenig Magie gebrauchen!“, schrie er aus Leibeskräften immer und immer wieder, bis ihm die Stimme versagte.   ~*~   Kaoru wusste nicht, wie lange sie gefahren waren. Genaugenommen konnte er sich nicht einmal mehr auf den Beinen halten, so sehr hatte er sich verausgabt. Er lag regungslos in der Box, den trüben Blick nach vorn durch die Gitterstäbe gerichtet. Warum reagierte die Zauberkatze nicht? Sie hatte ihm geholfen, aus Dies Wohnung zu entwischen, da war er sich sicher, ohne, dass er sie darum gebeten hatte. Warum also reagierte sie jetzt nicht, wo er ihre Hilfe mehr als dringend brauchte?   Wieder wurde die Seitentür des Vans aufgeschoben, seine Box wackelte, als sie hochgehoben wurde und sich die Schritte seiner Entführer einem hell erleuchteten Gebäude näherten. Schon als sich die Tür öffnete, wäre Kaoru am liebsten davongelaufen. Es roch nach Desinfektionsmittel unterlegt mit dem Geruch nach Fäkalien und Urin. Er hörte Hunde bellen, aber das Schlimmste waren die Rufe der Katzen, die er verstehen konnte.   „Ich will hier raus.“ „Warum bin ich in dieser engen Kiste eingesperrt?“ „Mir tut alles weh.“ „Raus!“   Am liebsten hätte sich Kaoru die Pfoten über die Ohren gelegt, aber er wusste aus Erfahrung, dass das nichts brachte. Sein Gehör als Katze war zu gut und gegen die Gerüche würde das ohnehin nichts helfen.   „Guten Abend, Doktor Kanazawa“, sagte die Frauenstimme, seine Box wurde noch höher gehoben und dann auf etwas metallisch Klingendem abgesetzt.   „Hallo ihr zwei, was habt ihr mir denn da Süßes mitgebracht?“   Obwohl Kaoru nicht wollte, musste er zugeben, dass die Stimme der Ärztin ziemlich nett klang. Sie schien schon älter zu sein, was sich bestätigte, als seine Box geöffnet wurde und eine große Männerhand nach seinem Nacken griff, um ihn ins Freie zu zerren. Er hatte nicht einmal mehr die Kraft, sich zu wehren, starrte nur stumpf die Frau im weißen Kittel an, die ihn lächelnd musterte.   „Och, er ist ja noch ein ganz kleiner und recht mager. Den werden wir erst einmal ordentlich aufpäppeln. Du kannst loslassen, Ken, ich hab ihn. Dann wollen wir mal sehen, ob mit dir soweit alles in Ordnung ist.“   Kaoru musste in eine Art Schockzustand gefallen sein – Zeichen seiner mentalen und psychischen Überforderung – denn er bekam von der Untersuchung kaum etwas mit. Erst, als er erneut eingesperrt wurde, diesmal in einen Käfig mit Decke, Wasser- und Futternapf darin, kam er wieder zu sich.   „Last mich raus“, maunzte er kläglich, aber es war niemand hier, der ihn noch hätte hören können. „Die!“   „Na, na, Kleiner, kein Grund, gleich ans Sterben zu denken.“   „Was? Meinst du mich? Wo bist du?“   Kaoru schleppte sich näher an die Gitterstäbe heran, versuchte mehr als nur den Untersuchungstisch in der Mitte des Raumes zu erkennen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sein Käfig hier nicht der Einzige war und in einem von ihnen saß ein großer, roter Kater, der eindeutig besser im Futter stand als er.   „Klar mein ich dich. Wir sind gerade die Einzigen in diesem Quarantänezimmer.“   „Quarantäne?“   „Ja, eine Sicherheitsmaßnahme, damit wir die anderen nicht anstecken, wenn wir von draußen kommen.“   „Du scheinst dich ja prächtig auszukennen“, stellte Kaoru fest und hoffte, man würde ihm seine Verzweiflung nicht anhören.   „Bin Dauergast hier. Irgendwie erwischen sie mich immer wieder. Dummes Trockenfutter, das Zeug macht süchtig, sag ich dir.“   „Heißt das, du weißt, wie ich hier rauskomme?“   „Nein.“   „Aber …“   „Aus der Quarantäne gehts nur raus, wenn sie dich lassen.“   „Verstehe“, murrte er, trottete zu der Wasserschale hinüber und trank, bis seine Kehle nicht mehr schmerzte.   „Sobald du aber ins eigentliche Haus kommst, kann ich dir helfen. Zu zweit macht Ausbrechen sowieso mehr Spaß.“ Der Rote lachte, ein Laut, von dem Kaoru nie gedacht hätte, ihn aus dem Maul einer Katze zu hören. Wie sich das für Menschen wohl anhören mochte?   ‚Verflucht, Kaoru, du bist ein Mensch!‘   „Mein Name ist Kaoru“, stellte er sich vor und legte sich genau vor die Gitterstäbe. „Und mit wem hab ich das Vergnügen?“   „Oh, du bist einer von den Hauskatern, was? Ich hab keinen Namen, hab mich nie lange genug unter den Menschen herumgetrieben, dass mir jemand einen hätte geben können. Manchmal schreien sie mir Nekomata nach, wenn du willst, kannst du mich so nennen.“   „Das ist kein nettes Wort, das weißt du?“ Wieder lachte der Kater und auch beim zweiten Mal klang es nicht weniger seltsam in Kaorus Ohren.   „Das dachte ich mir schon. Sie schreien es meist, wenn ich ihnen ihr Futter stehle.“   Kaoru schüttelte den Kopf, bevor er ein lautes Gähnen nicht unterdrücken konnte. „Wie lange sitzen wir hier in Quarantäne fest?“   „Mh, ich hab es nicht so mit der Zeit. Ich weiß nur, dass ich immer ungefähr zehn Mal was zu futtern bekomme, wenn ich hier bin. Kannst du damit was anfangen?“   „Zehn Mal?“ Geschockt starrte Kaoru den Roten an, bevor er stöhnend die Augen schloss. Das konnte also alles zwischen fünf und zehn Tagen sein, je nachdem, wie oft die Tierheimmitarbeiter sie regulär fütterten. „So lange kann ich hier nicht herumsitzen, ich muss zurück.“   „Tja, Katerchen, da wirst du Pech haben. Versuch, es dir bequem zu machen“, riet ihm der Rote, bevor er sich streckte und eng zusammenrollte.   „Danke“, maunzte Kaoru leise und hätte nicht sagen können, ob er dieses Wörtchen ehrlich oder sarkastisch meinte. Das Einzige, woran er denken konnte, war Die und die großen Sorgen, die sich sein Freund machen würde, würde er tagelang nicht nach Hause kommen. Vor wenigen Stunden erst hatte der Große gesagt, dass er nicht wusste, was er ohne seine Gesellschaft machen würde. Die brauchte ihn, verdammt! Ihn, Kaoru, und nicht den Kater.   Aber obwohl sein Geist bereits Pläne schmiedete, wie er ausbrechen und zu Die zurückkehren konnte, war sein Körper zu müde, um auch nur einen von ihnen heute noch in die Tat umzusetzen. Noch einmal gähnte Kaoru, wünschte sich nichts sehnlicher, als genau jetzt in dies Bett liegen zu können, bevor er einschlief. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)